Fazit 7 Fazit Konflikte existieren, wenn Beobachter solche wahrnehmen. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist, dass die Analyse von Konflikten in zweifacher Hinsicht subjektiv ist. Die Analyse basiert zum einen auf der Konfliktwahrnehmung der involvierten bzw. betroffenen Akteure (Beobachtung erster Ordnung) und zum anderen auf der Einschätzung von externen Beobachtern (Beobachtung zweiter Ordnung). Die Wahrnehmung und Bewertung von Beziehungszusammenhängen durch die involvierten bzw. betroffenen Akteure basiert auf unwissenschaftlichen, subjektiven und größtenteils vorbewussten Vorstellungen darüber, was ein Konflikt ist, ob Konflikte vorhanden sein dürfen und wie diese zu bearbeiten sind. Diese Vorstellungen sind eingeflochten in eine Gesamtheit der Vorstellungen von der sozialen und politischen Ordnung. Maßgeblich für die Disposition, einen Beziehungszusammenhang als Konflikt wahrzunehmen und als solchen zu bezeichnen, sind die Vorstellungen von sozialen Zielen (z.B. Harmonie, Frieden, Eintracht), den Bedingungen sozialer Integration (z.B. Konformität) und dem Maß tolerierbarer Divergenz. Hierin zeigt sich, inwieweit Konflikte als funktional und kontingent bewertet werden. Dieser kulturellen Einbettung muss die Analyse zweiter Ordnung Rechnung tragen. Wissenschaftliche Konfliktanalysen müssen somit sowohl die Zuverlässigkeit der Angaben der Befragten als auch das Verständnis des kulturellen Zusammenhangs seitens des Forschenden voraussetzen. Entsprechend sind auch die Analysemodelle an den vorliegenden Kontext anzupassen, wenngleich dadurch die Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse eingeschränkt werden kann. Die Untersuchung zeigt, dass ‚Konflikt’ unterschiedlich aufgefasst wird und somit die Funktionalität und Notwendigkeit nicht einheitlich bewertet wird. Im Prinzip lassen sich zwei Positionen identifizieren. Einerseits werden Konflikte als notwendige und damit unumgängliche Begleiterscheinung eines Interessenpluralismus gedeutet. Andererseits werden Konflikte als Ausdruck bestehender Unordnung verstanden, weshalb umgekehrt Ordnung nur dann besteht, wenn die Situation ‚unter Kontrolle’ erscheint. Konfliktkonstellationen. Aufgrund des sozialen und politischen Transformationsprozesses waren strukturell bedingte Konfliktpotentiale zu erwarten. So weisen die vier untersuchten Kommunen viele Ähnlichkeiten hinsichtlich der vorhandenen Konfliktkonstellationen auf, die sich in erster Linie auf die Interessengegensätze infolge der durch die Kommunalreform verursachten Verschiebung des lokalen Machtgefüges zurückführen lassen. Durch die Einführung der kommunalen Ebene 240 Fazit hat v.a. die Distriktverwaltung an Machtkompetenzen und Ressourcen eingebüßt. Da jedoch Einzelne auch einen sozialen Statusverlust erleben, beinhalten die Konflikte trotz des dominierenden Interessen- und Verteilungsaspekts auch eine Identitätskomponente. In den Konflikten zwischen den politischen Parteien Frelimo und Renamo treten die Werte- und Identitätsaspekte stärker in den Vordergrund. Hingegen überwiegen Wert- und Identitätsfragen in den diffusen Konfliktkonstellationen zwischen lokaler Bevölkerung und Migranten, zwischen älteren und jüngeren Bevölkerungsgruppen sowie zwischen den Befürwortern und den Ablehnern der Modernisierung. Entsprechend werden als Konfliktursachen Machtdemonstration, die Sicherstellung von Ressourcen, Adaptionsprobleme, das Fehlen einer Normbindung und Faktoren sozialer Identität genannt. In Bezug auf die Bedeutung ökologischer Ressourcen ist weniger Knappheit oder Degradation denn die Ungleichheit der Verteilung und des Zugangs als Konfliktursache zu nennen. Stark verbreitet ist Auffassung, dass sich durch mehr Bildung Konflikte verhindern ließen. Gewaltpotentiale. Gemäß den in der Befragung gemachten Angaben ist der Frieden auf lokaler Ebene konsolidiert – allerdings in seiner negativen Definition. Man sieht sich weit von einem Ausbruch kriegerischer Handlungen entfernt. Wie weit entfernt hängt vom Gewaltbegriff ab: Die Anwendung physischer Gewalt – insbesondere in strategischer Form – stellt ein Ausnahmefall dar. Die Befragten erkennen den Schwellenwert der Anwendung physischer Gewalt. Was stärker befürchtet wird ist die (anomische) physische Gewalt, die in der Sogwirkung von symbolisch aufgeladenen Ereignissen (z.B. die politischen Demonstrationen in Montepuez) oder als Folge der steigenden Kriminalität gesehen wird. Ein Gewaltpotential wird vorwiegend in Zusammenhang mit arbeitslosen Jugendlichen, traumatisierten und nicht reintegrierten ehemaligen Soldaten sowie Drogenkonsumenten erkannt. In den wenigen Fällen von Lynchjustiz (Pemba, Manica) wird die Anwendung von Gewalt als legitim aufgefasst und mit der Ineffektivität der zuständigen formellen Institutionen gerechtfertigt. Die Anwendung struktureller Gewalt kann hingegen in einer Vielzahl der Konfliktkonstellationen festgestellt werden. Offen zutage tritt sie besonders in den Obstruktionsstrategien der Distriktverwaltung gegenüber der Kommunalverwaltung sowie in der wechselseitigen Obstruktion und Sabotage von Frelimo und Renamo. Besonders letztere zeichnen sich durch ein hohes Eskalationspotential aus, da der leidtragenden Partei Handlungsoptionen entzogen werden, worauf die Gefahr einer Gewaltreaktion vergrößert wird. Ähnliches gilt für den systematischen Ausschluss vom politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozess. 241 Fazit Auswahl der Kommunen. Die bewusste Auswahl der Kommunen nach Parteidominanz und regionalen Kriterien (Frelimo-Dominanz in Nordprovinz Cabo Delgado und in der Südprovinz Inhambane; Renamo-Dominanz in der Zentrumsprovinz Manica) unter Berücksichtigung der Größenverhältnisse (Pemba: Großstadt; Catandica, Manica und Vilankulo: Kleinstädte) kann folgendes verdeutlichen: In der Großstadt Pemba ist es weniger zu Konflikten in der Phase der Kompetenzübertragung auf die Kommune gekommen als in den untersuchten Kleinstädten, da hier bereits ein Exekutivrat mit partiellen Selbstverwaltungskompetenzen eingerichtet war. Im Vergleich zu den Kleinstädten hat die Großstadt Vorteile in Bezug auf die Besserqualifizierung des Verwaltungspersonals sowie auf das höhere Steuereinkommen. Allerdings sind zur Lösung der Probleme in Pemba auch höhere Qualifikationen und mehr Ressourcen erforderlich. In Vilankulo konnten lokale Entwicklungspotentiale zugunsten einer effektiven Verwaltung genutzt werden. Catandica weist hingegen den doppelten Nachteil auf, aufgrund des ländlichen Charakters kaum über Finanz- und Humanressourcen zu verfügen und dennoch vergleichsweise großen Problemen ausgesetzt zu sein. Konflikte mit traditionellen Autoritäten sind in kleineren, ländlichen Kommunen stärker ausgeprägt, spielen aber insgesamt keine tragende Rolle. Ein entscheidender Faktor ist die geographische Lage, da sie in der Wahrnehmung der Bevölkerung dafür zu verantworten ist, dass die Kommune bestimmten Einflüssen wie Migration, Modernisierung, Kriminalität, AIDS exponiert ist. In den Kommunen in der Zentrumsprovinz Manica erreichen die Konflikte zwischen Frelimo und Renamo höhere Intensitäten als etwa in Pemba oder in Vilankulo. In Vilankulo hat die Renamo kaum Chancen angesichts der eindeutigen Frelimo-Dominanz. Hier werden die zwischenparteilichen Konflikte als gering ausgeprägt beschrieben. Insofern scheint die Verteilung der Parteiendominanz einen Einfluss auf die lokale Konfliktentwicklung zu haben. Bedeutung von Institutionen. Um den soziokulturellen und politischen Kontext stärker in die Konfliktanalyse einzubeziehen, wurde auf institutionentheoretische Ansätze sowie auf den interpretativen Ansatz politischer Kulturforschung zurückgegriffen. Mittels einer institutionentheoretischen Perspektive konnte die zentrale Bedeutung institutioneller Funktionen für die Entstehung und Entwicklung von Konflikten herausgestellt werden. Als zentrale Funktionen gelten: Ordnungs- und Steuerungsfunktion durch Regulation und Verteilung; Entlastung durch Normvermittlung und Sanktionierung bei Normverstoß; 242 Fazit Reduktion von Unsicherheit durch die Stabilisierung von Ordnungen und der Gewährleistung von Schutz und Integration durch Sinnproduktion und Vermittlung kultureller Werte. Anhand dieser lassen sich analytisch die verschiedenen Rollen bestimmen, die Institutionen als Organisationen in Konflikten einnehmen können. Institutionen können in Konflikten als Akteur, Gegenstand sowie durch ihre Kontextwirkung einbezogen sein. In der Untersuchung wird deutlich, dass Institutionen selten als Konfliktakteur agieren. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass es den institutionellen Akteuren nicht gelingt, etwa durch das Treffen von Absprachen geschlossen zu handeln. Zwar handeln die Akteure im Namen der Institution, sie können aber nicht den Organisationsapparat hinter sich vereinigen. In Bezug auf Institutionen als Konfliktgegenstand wurde auf die Strategien der Schwächung und der Eroberung hingewiesen, mit deren Hilfe Akteure ihre Interessen zu verwirklichen suchen. Im Konflikt zwischen den Distriktverwaltungen und den Kommunalverwaltungen ist das Handeln der Distriktverwaltungen am ehesten durch ‚Schwächung zur Eroberung’ zu beschreiben. Die Distriktverwaltungen versuchen, mittels Machtdemonstration und Obstruktionsstrategien ihre Machtpositionen gegenüber den Kommunalverwaltungen auszubauen. Die Kommunalverwaltungen hingegen bemühen sich um die Erhaltung der ihnen zugewiesenen Kompetenzen, um die Sicherstellung der Ressourcen der Institution und damit des persönlichen Einkommens. Erhaltung ihrer Position ist ebenfalls das Ziel der in Konflikten involvierten traditionellen Autoritäten. Die Versuche der Renamo, die Kommunalverwaltung in Catandica zu sabotieren, sind als Akt der Schwächung zu verstehen. Ansonsten stehen die Strategien der Renamo eher für Eroberungsabsichten. Für die Konfliktkonstellationen in den vier Kommunen entscheidend ist der institutionelle Kontext. Gerade traditionelle und informelle Autoritäten nehmen einen ‚institutionellen Zusammenbruch’ wahr und beschreiben die gegenwärtige Situation als Unordnung. Hier sind vor allem die Unübersichtlichkeit infolge überlappender Zuständigkeiten (z.B. mehrfach erhobene Steuern) oder fehlender bzw. nicht erfüllter Zuständigkeiten (z.B. Verbrechensbekämpfung) zu nennen. Wesentlich ist, dass für Teile der Bevölkerung die Veränderungen bedrohlich wirken, was besonders in der Perspektive politischer Kulturforschung klar hervortritt. Lokale politische Kultur. Die Untersuchung zeigt, dass die vorhandenen Institutionenstrukturen weitgehend positiv aufgenommen wurden. Wenngleich die Akzep243 Fazit tanz demokratischer Ordnungsprinzipien betont wird, füllen die Befragten ‚Demokratie’ inhaltlich unterschiedlich aus. Mehrheitlich steht Demokratie für Freiheit, aber auch für ‚zu viel Freiheit’, d.h. für Zügellosigkeit und Unordnung. Auffällig ist, dass ‚Demokratie’ nicht allein auf eine politische Dimension beschränkt bleibt, sondern als die Gesamtheit der sozialen und politischen Prozesse der Modernisierung begriffen wird. Darum bevorzugen einige Befragte eine Art ‚limitierte’ oder ‚kontrollierte’ Demokratie, in der individuelle Freiheiten zugunsten gemeinschaftsorientierter Konformität begrenzt werden. Hierin äußert sich der hohe Stellenwert von Normen und Werten, denn das Maß der Befolgung von Werten und Normen wird als Indikator dafür gehalten, ob eine Ordnung gilt oder eine Situation als Unordnung zu beschreiben ist. Bei der Untersuchung der Ordnungsvorstellungen werden die für die Befragten wichtigen Bedingungen und Grundprinzipien einer Ordnung erkennbar. So stellen Einheit und normkonformes Verhalten wichtige Elemente einer Ordnung dar. Unordnung hingegen wird durch bestimmte Problemlagen erzeugt, die wiederum als Ursache von zahlreichen Missverständnissen und Konflikten verstanden und darum negativ bewertet werden. Eine hierfür angegebene Erklärung ist, dass der Wandel sich schnell vollzogen hat. Zur richtigen Einordnung der Vorgänge und Ereignisse fehlt es demnach der Bevölkerung an Wissen und Erfahrung. Dieses Argument wird für Verwaltungshandeln wie für soziale Bereiche angeführt. Ein zweiter Erklärungsansatz für Unordnung gründet auf der Wahrnehmung von ‚außen’ kommender Bedrohungen. Es sind dies etwa der Modernisierungseinfluss aus Simbabwe, das aus sämtlichen Nachbarländern „importierte“ AIDS-Problem (AND/M) oder die Kriminalität aus der Nachbarstadt. Dies verdeutlicht, dass zwischen einer (positiv besetzten) Wir-Gemeinschaft und ‚Andere’, die für negativ bewertete Phänomene und Praktiken verantwortlich gemacht werden, differenziert wird. Vor allem die Wahrnehmungs- und Bewertungsstrukturen der politischen Parteien zeugen von diesem dualistischen Prinzip. Einerseits bietet dies zwar psychosoziale Vorteile wie die Reduktion der Umweltkomplexität mittels einer sozialen Kategorisierung, ein positives Selbstbild und die Stabilisierung sozialer Identitäten. Andererseits führt diese Wahrnehmungsweise zu einer Entstehung von Konflikten bzw. zu einer Verhärtung von bestehenden konfliktiven Beziehungszusammenhängen. Die kommunalen Institutionen weisen nur einen geringen Institutionalisierungsgrad auf, so dass ihre Kapazitäten zur Lösung von Problemen und Bearbeitung von Kon244 Fazit flikten im Sinne einer demokratischen Kultur begrenzt sind. Problematisch ist, dass die Einführung demokratischer Prinzipien Konflikte schafft, welche zu bearbeiten die dafür zuständigen Institutionen noch nicht in der Lage sind. Dies bedarf neben Ressourcen insbesondere an Zeit, um notwendiges Wissen zu sammeln, die Regeln und Verfahren zu internalisieren sowie um die nötigen Beziehungen zu etablieren. Vor allem müssen die kommunalen Institutionen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Die Effektivität der kommunalen Institutionen hängt in großem Maße vom Selbstverständnis der Einzelnen als politische Subjekte ab, d.h. welche Einstellungen sie gegenüber Autorität haben und inwieweit sie zur politischen Partizipation bereit sind. Die Erhebung der Einstellungen gegenüber Autorität zeigt, dass eine klare Vermittlung von Steuerungs- und Sanktionskompetenzen von formellen wie von informellen Autoritäten erwartet wird, die sich beispielsweise in Form sachlicher Kompetenz aber auch in einem rigiden Herrschaftsstil niederschlagen sollten. Problematisch ist die Autoritätssituation insofern, als dass die traditionellen Autoritäten u.a. aufgrund des modernisierungsbedingten Bedeutungsverlusts tradierter sozialer Praktiken insgesamt selbst an Einfluss verlieren, die formellen Autoritäten in den Kommunalverwaltungen aber nicht über ausreichend Legitimität verfügen. So zeugen Aussagen wie „Jeder macht, was er will“ von der wahrgenommenen Unordnung und der empfundenen Orientierungslosigkeit. Die Bevölkerung zeigt eine geringe Bereitschaft zur politischen Partizipation, was nicht bedeutet, dass sie bei Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen vernachlässigt werden will. Vielmehr erwartet sie eine Konsultation in wichtigen Angelegenheiten. Das gilt für zivilgesellschaftliche Organisationen, für traditionelle Autoritäten wie für politische Parteien. Allerdings erwarten die Kommunalverwaltungen, dass sich die Bevölkerung spontan und aktiv einbringt. Zum Teil wird darunter auch das selbstständige und selbstverantwortliche Lösen von Problemen verstanden, für welche die Kommunalverwaltung keine Kapazität hat. Insgesamt besteht eine Schwierigkeit darin, dass für eine Steigerung der Akzeptanz der lokalen Institutionen ebenso wie für die Entwicklung einer demokratischen Kultur positive Erfahrungen infolge einer aktiven Teilhabe an lokalen politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen erforderlich sind. Politisches Desinteresse hingegen kann die bestehende Distanz zwischen politischer Führung und Bevölkerung erweitern. 245 Fazit Erklärungsmodell und weitere Forschungsfragen. Die systematische Aufarbeitung der Aussagen der Befragten ermöglicht die Bestimmung der drei idealtypischen Grundmuster von Ordnungsvorstellungen modernistisch, traditionalistisch und hybrid, wobei hybrid in opportunistisch und anomisch zu differenzieren ist. Diese ermöglichen die Generierung von Aussagen, die zu einem Erklärungsmodell verdichtet werden können. Hierzu wurden drei Thesen zum Zusammenhang von politischer Kultur, Konfliktbereitschaft, institutionellem Kontext und Gewalt formuliert: These 1: Die Anwendung von Gewalt ist eine rationale Handlungsoption in einem von Uneindeutigkeit geprägten institutionellen Kontext. Konflikten geht eine Normmissachtung voraus. These 2: Die Missachtung von Normen steht für die Ablehnung der sozialen und politischen Ordnung. Von Institutionen wird die Bewahrung der Ordnung durch rigide Maßnahmen erwartet. These 3: Die Konfliktbereitschaft sowie die Regelbindung bei der Bearbeitung von Konflikten variieren mit dem Typus politischer Kultur. Diese Thesen sind das Ergebnis verstehender, sinnorientierter Deutung und formulieren damit nur Hypothesen über potentielle Kausalbeziehungen, die zur Gewinnung eines gültigen Erklärungsmodells empirisch-statistisch geprüft werden müssen. Der Rekurs auf institutionentheoretische Ansätze sowie auf Ansätze politischer Kulturforschung hat sich bei der Analyse von Konflikten bewährt. Insofern ist eine systematische Vertiefung der hier angerissenen Themenkomplexe zu begrüßen. Für wünschenswert erachte ich eine institutionenanalytische Behandlung formeller und informeller sozialer wie politischer Institutionen im Hinblick auf ihre Relevanz für die Entwicklung und Bearbeitung von Konflikten. Auch die empirische Untersuchung des Zusammenhangs von institutioneller Dynamik und Konfliktentwicklung erscheint mir aus institutionentheoretischer Perspektive gewinnbringend. Beide Fragestellungen ermöglichen eine Anbindung an Untersuchungsdesigns politischer Kulturforschung. Insbesondere eine systematische Erhebung der auf Institutionen bezogenen Einstellungen, in der sowohl die Repräsentanten der Institutionen als auch die Institutionenadressaten berücksichtigt werden, kann zu Erkenntnissen in Bezug auf die Effektivität von Institutionen in Konfliktsituationen führen. Schließlich sind die hier aufgeworfenen Fragen zum Zusammenhang von Ordnungsvorstellungen und Konflikt- bzw. Gewaltbereitschaft zu vertiefen. Es sind die traditionalistischen und modernistischen Einstellungsmuster empirisch zu erhärten, 246 Fazit wobei eine stärkere Berücksichtigung der Einstellungen der Bevölkerung sowie der Verhaltensdimension zu wünschen ist. Damit wird deutlich, dass in methodischer Hinsicht eine Ergänzung um quantitative Daten von großem Nutzen ist. Praktische Relevanz. Gerade in der Konfliktforschung interessiert neben dem wissenschaftlichen Beitrag von Analysen deren Relevanz für die Praxis. Die vorliegende Arbeit zielt weniger auf die Formulierung praktischer Handlungsanleitungen als auf die Erfassung relevanter Dimensionen von Konflikten, die Aussagen über langfristige Konflikt- und Gewaltpotentiale ermöglichen, jedoch bislang weder ausreichend noch angemessen berücksichtigt wurden. In der Regel konzentrieren sich Konfliktanalysen auf stattgefundene Ereignisse und Strukturen und weniger auf schwer zugängliche Faktoren wie Einstellungsmuster und subjektive Sinnstrukturen. Erst aber die Berücksichtigung eines verstehenden Ansatzes, der auf die Erfassung des Sinnzusammenhangs von Handlungen abzielt, lassen sich vollständige Erklärungen für spezifische Prozessverläufe und Systemzustände finden, auf die steuernd im Sinne einer gewaltarmen Konfliktbearbeitung eingewirkt werden soll. Allgemeine Zielsetzungen. Auf der Grundlage der Untersuchungsbefunde möchte ich abschließend auf Zielsetzungen für die Praxis hinweisen. Ich sehe ein notwendiges, allgemeines Ziel in der Vermeidung von Gewalt als rationale Option zur Herstellung von Eindeutigkeit. Diese resultiert zuallererst aus Situationen sozialer Dilemmata und individueller Krisen, welche es darum zu vermeiden gilt. Insofern lassen sich als Unterziele (a) die Herstellung von Sicherheiten bzw. die Reduktion von rechtlicher und politischer Unsicherheit ebenso wie von individueller Verunsicherung sowie (b) die Bekämpfung von desintegrativ wirkenden Phänomenen und Prozessen ableiten. (a) Die Herstellung von Sicherheit zur Vermeidung von Gewalt sollte nicht auf Aspekte öffentlicher Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung beschränkt bleiben. Nicht allein die „Sicherung von Sicherheiten“ (KAUFMANN 1973: 57), also die Sicherstellung bereits rechtlich und gesellschaftlich vereinbarter Garantien wie Rechtssicherheit und Systeme sozialer Sicherung, sollte angestrebt werden, sondern auch – hier liegt das Besondere – die Herstellung von Gewissheit auf individueller Ebene. Hierunter ist v.a. die institutionelle Bereitstellung von Orientierungsangeboten für individuelles und kollektives Handeln zu verstehen. Es liegt also besonderes Interesse einerseits in der Integration des institutionellen Kontexts und andererseits in der gesellschaftlichen Verankerung von Institutionen. Im Hinblick auf die lokalen demokratischen Institutionen sind als konkrete Ziele zu nennen: eine ‚gute Institutionen247 Fazit performanz’132 als Voraussetzung für gesellschaftliches Vertrauen und Legitimation sowie die Entwicklung und Einübung einer demokratischen Konfliktbearbeitungskultur, in welcher der produktive Charakter von Konflikten deutlich wird. Hinsichtlich traditioneller Institutionen ist vor allem die Anpassung der Problemlösungskapazitäten und –verfahren an die sich wandelnden Umweltbedingungen erforderlich. Insgesamt ist für einen integrierten institutionellen Kontext zu sorgen, so dass den handelnden Individuen ausreichend Handlungsorientierung und kontextuelle Sicherheit geboten wird. Für neu eingerichtete Institutionen bedeutet dies vor allem eine stärkere Berücksichtigung der lokalen politischen Kultur. (b) Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Gewalt nicht allein politische Ursachen bzw. Motive hat, sondern auch Folge desintegrativ wirkender Faktoren sein kann. Die Vermeidung der Entstehung anomischer Gewalt ist von hoher Bedeutung, da diese besonders schwer zu kontrollieren ist. Daher ist der Bekämpfung desintegrativ wirkender Faktoren sowie der Abmilderung ihrer Folgen eine hohe Priorität einzuräumen. Hier wurde auf die erhebliche Wirkung von Kriminalität, Traumatisierungen, AIDS und Drogenkonsum hingewiesen. Es sind die jeweiligen Ursachen- und Wirkungszusammenhänge und ihre Bedeutung für konfliktrelevante Akteursgruppen zu analysieren. Besondere Beachtung gebührt einerseits Akteursgruppen, von denen ein signifikantes Gewaltpotential ausgeht (z.B. ehemalige Soldaten, gegenwärtige Jugendgeneration) und andererseits diffusen Konfliktkonstellationen wie z.B. dem hier beschriebenen Generationenkonflikt. Akteursspezifische Zielsetzungen. Für die in der Untersuchung als zentral befundenen Akteure und Zielgruppen (vgl. Tabelle 18) lassen sich folgende Beispiele gewaltmindernder Zielsetzungen formulieren: Die Kommunalverwaltung wie die Distriktverwaltung spielen eine wichtige Rolle bei der regulierenden und ordnenden Gestaltung des lokalen Kontexts. Insofern gilt es, ihre Kapazitäten zu steigern, beispielsweise in Form einer stärkeren Vermittlung demokratischer Verwaltungsprinzipien und einer kommunalen Vernetzung. Die Kommunalverwaltung übernimmt besondere Verantwortung bei der Definition der lokalen politischen Gemeinschaft. Angesichts der Konfliktpotentiale, die aus der Anwesenheit von Migranten und ausländischen Investoren resultieren, hat die Kommunalverwaltung die soziale Integration zu fördern und ausgleichend auf Kon- 132 In Analogie zum Ziel eines Good Governance. 248 Fazit kurrenzsituationen einzuwirken. Eine Förderung der Kommune als Identitätsmarker (z.B. „Wir in Pemba“) könnte die Bevölkerung für soziales und politisches Engagement motivieren und somit zur Steigerung der lokalen Problemlösungskapazitäten beitragen. Als Interessenrepräsentanten und Multiplikatoren stehen die politischen Parteien auf lokaler Ebene in einer entscheidenden Position. Für die Entwicklung einer lokalen demokratischen Konfliktbearbeitungskultur ist der Ausbau des lokalen Interessenpluralismus durch die Förderung weiterer politischer Parteien und Initiativen sowie die Verstärkung des lokalen Bezugs örtlicher Politik zu fördern. Wünschenswert ist eine Entkopplung der kommunalen Politik von nationalen Parteistrategien, so dass die Vertretung lokaler Interessen und die Lösung lokaler Sachprobleme im Vordergrund stehen. Die Polizei ist in doppelter Hinsicht von großem Stellenwert. Zum einen prägt sie das Bild formeller Institutionen in der Öffentlichkeit und zum anderen ist sie mit der empfindlichen Aufgabe der Herstellung von Sicherheit betraut. In beiden Aspekten sind Defizite zu erkennen, so dass die Polizeiarbeit gefördert werden muss, um Kriminalität und Lynchjustiz zu verhindern und das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. 249