Konflikte und politische Kultur in Mosambik : eine Analyse von

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Konflikte existieren, wenn Beobachter solche wahrnehmen. Ein Ergebnis dieser
Arbeit ist, dass die Analyse von Konflikten in zweifacher Hinsicht subjektiv ist. Die
Analyse basiert zum einen auf der Konfliktwahrnehmung der involvierten bzw. betroffenen Akteure (Beobachtung erster Ordnung) und zum anderen auf der Einschätzung von externen Beobachtern (Beobachtung zweiter Ordnung). Die
Wahrnehmung und Bewertung von Beziehungszusammenhängen durch die involvierten bzw. betroffenen Akteure basiert auf unwissenschaftlichen, subjektiven und
größtenteils vorbewussten Vorstellungen darüber, was ein Konflikt ist, ob Konflikte
vorhanden sein dürfen und wie diese zu bearbeiten sind. Diese Vorstellungen sind
eingeflochten in eine Gesamtheit der Vorstellungen von der sozialen und politischen
Ordnung. Maßgeblich für die Disposition, einen Beziehungszusammenhang als Konflikt wahrzunehmen und als solchen zu bezeichnen, sind die Vorstellungen von sozialen Zielen (z.B. Harmonie, Frieden, Eintracht), den Bedingungen sozialer
Integration (z.B. Konformität) und dem Maß tolerierbarer Divergenz. Hierin zeigt
sich, inwieweit Konflikte als funktional und kontingent bewertet werden. Dieser kulturellen Einbettung muss die Analyse zweiter Ordnung Rechnung tragen. Wissenschaftliche Konfliktanalysen müssen somit sowohl die Zuverlässigkeit der Angaben
der Befragten als auch das Verständnis des kulturellen Zusammenhangs seitens des
Forschenden voraussetzen. Entsprechend sind auch die Analysemodelle an den vorliegenden Kontext anzupassen, wenngleich dadurch die Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse eingeschränkt werden kann. Die Untersuchung zeigt, dass ‚Konflikt’
unterschiedlich aufgefasst wird und somit die Funktionalität und Notwendigkeit
nicht einheitlich bewertet wird. Im Prinzip lassen sich zwei Positionen identifizieren.
Einerseits werden Konflikte als notwendige und damit unumgängliche Begleiterscheinung eines Interessenpluralismus gedeutet. Andererseits werden Konflikte als
Ausdruck bestehender Unordnung verstanden, weshalb umgekehrt Ordnung nur
dann besteht, wenn die Situation ‚unter Kontrolle’ erscheint.
Konfliktkonstellationen. Aufgrund des sozialen und politischen Transformationsprozesses waren strukturell bedingte Konfliktpotentiale zu erwarten. So weisen die
vier untersuchten Kommunen viele Ähnlichkeiten hinsichtlich der vorhandenen
Konfliktkonstellationen auf, die sich in erster Linie auf die Interessengegensätze infolge der durch die Kommunalreform verursachten Verschiebung des lokalen
Machtgefüges zurückführen lassen. Durch die Einführung der kommunalen Ebene
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hat v.a. die Distriktverwaltung an Machtkompetenzen und Ressourcen eingebüßt. Da
jedoch Einzelne auch einen sozialen Statusverlust erleben, beinhalten die Konflikte
trotz des dominierenden Interessen- und Verteilungsaspekts auch eine Identitätskomponente. In den Konflikten zwischen den politischen Parteien Frelimo und Renamo treten die Werte- und Identitätsaspekte stärker in den Vordergrund. Hingegen
überwiegen Wert- und Identitätsfragen in den diffusen Konfliktkonstellationen zwischen lokaler Bevölkerung und Migranten, zwischen älteren und jüngeren Bevölkerungsgruppen sowie zwischen den Befürwortern und den Ablehnern der
Modernisierung. Entsprechend werden als Konfliktursachen Machtdemonstration,
die Sicherstellung von Ressourcen, Adaptionsprobleme, das Fehlen einer Normbindung und Faktoren sozialer Identität genannt. In Bezug auf die Bedeutung ökologischer Ressourcen ist weniger Knappheit oder Degradation denn die Ungleichheit der
Verteilung und des Zugangs als Konfliktursache zu nennen. Stark verbreitet ist Auffassung, dass sich durch mehr Bildung Konflikte verhindern ließen.
Gewaltpotentiale. Gemäß den in der Befragung gemachten Angaben ist der Frieden
auf lokaler Ebene konsolidiert – allerdings in seiner negativen Definition. Man sieht
sich weit von einem Ausbruch kriegerischer Handlungen entfernt. Wie weit entfernt
hängt vom Gewaltbegriff ab: Die Anwendung physischer Gewalt – insbesondere in
strategischer Form – stellt ein Ausnahmefall dar. Die Befragten erkennen den
Schwellenwert der Anwendung physischer Gewalt. Was stärker befürchtet wird ist
die (anomische) physische Gewalt, die in der Sogwirkung von symbolisch aufgeladenen Ereignissen (z.B. die politischen Demonstrationen in Montepuez) oder als Folge
der steigenden Kriminalität gesehen wird. Ein Gewaltpotential wird vorwiegend in
Zusammenhang mit arbeitslosen Jugendlichen, traumatisierten und nicht reintegrierten ehemaligen Soldaten sowie Drogenkonsumenten erkannt. In den wenigen Fällen
von Lynchjustiz (Pemba, Manica) wird die Anwendung von Gewalt als legitim aufgefasst und mit der Ineffektivität der zuständigen formellen Institutionen gerechtfertigt.
Die Anwendung struktureller Gewalt kann hingegen in einer Vielzahl der Konfliktkonstellationen festgestellt werden. Offen zutage tritt sie besonders in den Obstruktionsstrategien der Distriktverwaltung gegenüber der Kommunalverwaltung sowie in
der wechselseitigen Obstruktion und Sabotage von Frelimo und Renamo. Besonders
letztere zeichnen sich durch ein hohes Eskalationspotential aus, da der leidtragenden
Partei Handlungsoptionen entzogen werden, worauf die Gefahr einer Gewaltreaktion
vergrößert wird. Ähnliches gilt für den systematischen Ausschluss vom politischen
Entscheidungs- und Gestaltungsprozess.
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Auswahl der Kommunen. Die bewusste Auswahl der Kommunen nach Parteidominanz und regionalen Kriterien (Frelimo-Dominanz in Nordprovinz Cabo Delgado
und in der Südprovinz Inhambane; Renamo-Dominanz in der Zentrumsprovinz
Manica) unter Berücksichtigung der Größenverhältnisse (Pemba: Großstadt; Catandica, Manica und Vilankulo: Kleinstädte) kann folgendes verdeutlichen: In der Großstadt Pemba ist es weniger zu Konflikten in der Phase der Kompetenzübertragung
auf die Kommune gekommen als in den untersuchten Kleinstädten, da hier bereits
ein Exekutivrat mit partiellen Selbstverwaltungskompetenzen eingerichtet war. Im
Vergleich zu den Kleinstädten hat die Großstadt Vorteile in Bezug auf die Besserqualifizierung des Verwaltungspersonals sowie auf das höhere Steuereinkommen. Allerdings sind zur Lösung der Probleme in Pemba auch höhere Qualifikationen und
mehr Ressourcen erforderlich. In Vilankulo konnten lokale Entwicklungspotentiale
zugunsten einer effektiven Verwaltung genutzt werden. Catandica weist hingegen den
doppelten Nachteil auf, aufgrund des ländlichen Charakters kaum über Finanz- und
Humanressourcen zu verfügen und dennoch vergleichsweise großen Problemen ausgesetzt zu sein. Konflikte mit traditionellen Autoritäten sind in kleineren, ländlichen
Kommunen stärker ausgeprägt, spielen aber insgesamt keine tragende Rolle. Ein
entscheidender Faktor ist die geographische Lage, da sie in der Wahrnehmung der
Bevölkerung dafür zu verantworten ist, dass die Kommune bestimmten Einflüssen
wie Migration, Modernisierung, Kriminalität, AIDS exponiert ist. In den Kommunen
in der Zentrumsprovinz Manica erreichen die Konflikte zwischen Frelimo und Renamo höhere Intensitäten als etwa in Pemba oder in Vilankulo. In Vilankulo hat die
Renamo kaum Chancen angesichts der eindeutigen Frelimo-Dominanz. Hier werden
die zwischenparteilichen Konflikte als gering ausgeprägt beschrieben. Insofern
scheint die Verteilung der Parteiendominanz einen Einfluss auf die lokale Konfliktentwicklung zu haben.
Bedeutung von Institutionen. Um den soziokulturellen und politischen Kontext
stärker in die Konfliktanalyse einzubeziehen, wurde auf institutionentheoretische
Ansätze sowie auf den interpretativen Ansatz politischer Kulturforschung zurückgegriffen. Mittels einer institutionentheoretischen Perspektive konnte die zentrale Bedeutung institutioneller Funktionen für die Entstehung und Entwicklung von
Konflikten herausgestellt werden. Als zentrale Funktionen gelten:
ƒ Ordnungs- und Steuerungsfunktion durch Regulation und Verteilung;
ƒ Entlastung durch Normvermittlung und Sanktionierung bei Normverstoß;
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ƒ Reduktion von Unsicherheit durch die Stabilisierung von Ordnungen und der
Gewährleistung von Schutz und
ƒ Integration durch Sinnproduktion und Vermittlung kultureller Werte.
Anhand dieser lassen sich analytisch die verschiedenen Rollen bestimmen, die Institutionen als Organisationen in Konflikten einnehmen können. Institutionen können
in Konflikten als Akteur, Gegenstand sowie durch ihre Kontextwirkung einbezogen
sein. In der Untersuchung wird deutlich, dass Institutionen selten als Konfliktakteur
agieren. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass es den institutionellen
Akteuren nicht gelingt, etwa durch das Treffen von Absprachen geschlossen zu handeln. Zwar handeln die Akteure im Namen der Institution, sie können aber nicht den
Organisationsapparat hinter sich vereinigen. In Bezug auf Institutionen als Konfliktgegenstand wurde auf die Strategien der Schwächung und der Eroberung hingewiesen, mit deren Hilfe Akteure ihre Interessen zu verwirklichen suchen. Im Konflikt
zwischen den Distriktverwaltungen und den Kommunalverwaltungen ist das Handeln der Distriktverwaltungen am ehesten durch ‚Schwächung zur Eroberung’ zu
beschreiben. Die Distriktverwaltungen versuchen, mittels Machtdemonstration und
Obstruktionsstrategien ihre Machtpositionen gegenüber den Kommunalverwaltungen auszubauen. Die Kommunalverwaltungen hingegen bemühen sich um die Erhaltung der ihnen zugewiesenen Kompetenzen, um die Sicherstellung der Ressourcen
der Institution und damit des persönlichen Einkommens. Erhaltung ihrer Position ist
ebenfalls das Ziel der in Konflikten involvierten traditionellen Autoritäten. Die Versuche der Renamo, die Kommunalverwaltung in Catandica zu sabotieren, sind als
Akt der Schwächung zu verstehen. Ansonsten stehen die Strategien der Renamo eher
für Eroberungsabsichten. Für die Konfliktkonstellationen in den vier Kommunen
entscheidend ist der institutionelle Kontext. Gerade traditionelle und informelle Autoritäten nehmen einen ‚institutionellen Zusammenbruch’ wahr und beschreiben die
gegenwärtige Situation als Unordnung. Hier sind vor allem die Unübersichtlichkeit
infolge überlappender Zuständigkeiten (z.B. mehrfach erhobene Steuern) oder fehlender bzw. nicht erfüllter Zuständigkeiten (z.B. Verbrechensbekämpfung) zu nennen. Wesentlich ist, dass für Teile der Bevölkerung die Veränderungen bedrohlich
wirken, was besonders in der Perspektive politischer Kulturforschung klar hervortritt.
Lokale politische Kultur. Die Untersuchung zeigt, dass die vorhandenen Institutionenstrukturen weitgehend positiv aufgenommen wurden. Wenngleich die Akzep243
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tanz demokratischer Ordnungsprinzipien betont wird, füllen die Befragten ‚Demokratie’ inhaltlich unterschiedlich aus. Mehrheitlich steht Demokratie für Freiheit, aber
auch für ‚zu viel Freiheit’, d.h. für Zügellosigkeit und Unordnung. Auffällig ist, dass
‚Demokratie’ nicht allein auf eine politische Dimension beschränkt bleibt, sondern
als die Gesamtheit der sozialen und politischen Prozesse der Modernisierung begriffen wird. Darum bevorzugen einige Befragte eine Art ‚limitierte’ oder ‚kontrollierte’
Demokratie, in der individuelle Freiheiten zugunsten gemeinschaftsorientierter Konformität begrenzt werden. Hierin äußert sich der hohe Stellenwert von Normen und
Werten, denn das Maß der Befolgung von Werten und Normen wird als Indikator
dafür gehalten, ob eine Ordnung gilt oder eine Situation als Unordnung zu beschreiben ist.
Bei der Untersuchung der Ordnungsvorstellungen werden die für die Befragten
wichtigen Bedingungen und Grundprinzipien einer Ordnung erkennbar. So stellen
Einheit und normkonformes Verhalten wichtige Elemente einer Ordnung dar. Unordnung hingegen wird durch bestimmte Problemlagen erzeugt, die wiederum als
Ursache von zahlreichen Missverständnissen und Konflikten verstanden und darum
negativ bewertet werden. Eine hierfür angegebene Erklärung ist, dass der Wandel
sich schnell vollzogen hat. Zur richtigen Einordnung der Vorgänge und Ereignisse
fehlt es demnach der Bevölkerung an Wissen und Erfahrung. Dieses Argument wird
für Verwaltungshandeln wie für soziale Bereiche angeführt. Ein zweiter Erklärungsansatz für Unordnung gründet auf der Wahrnehmung von ‚außen’ kommender Bedrohungen. Es sind dies etwa der Modernisierungseinfluss aus Simbabwe, das aus
sämtlichen Nachbarländern „importierte“ AIDS-Problem (AND/M) oder die Kriminalität aus der Nachbarstadt. Dies verdeutlicht, dass zwischen einer (positiv besetzten) Wir-Gemeinschaft und ‚Andere’, die für negativ bewertete Phänomene und
Praktiken verantwortlich gemacht werden, differenziert wird. Vor allem die Wahrnehmungs- und Bewertungsstrukturen der politischen Parteien zeugen von diesem
dualistischen Prinzip. Einerseits bietet dies zwar psychosoziale Vorteile wie die Reduktion der Umweltkomplexität mittels einer sozialen Kategorisierung, ein positives
Selbstbild und die Stabilisierung sozialer Identitäten. Andererseits führt diese Wahrnehmungsweise zu einer Entstehung von Konflikten bzw. zu einer Verhärtung von
bestehenden konfliktiven Beziehungszusammenhängen.
Die kommunalen Institutionen weisen nur einen geringen Institutionalisierungsgrad
auf, so dass ihre Kapazitäten zur Lösung von Problemen und Bearbeitung von Kon244
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flikten im Sinne einer demokratischen Kultur begrenzt sind. Problematisch ist, dass
die Einführung demokratischer Prinzipien Konflikte schafft, welche zu bearbeiten
die dafür zuständigen Institutionen noch nicht in der Lage sind. Dies bedarf neben
Ressourcen insbesondere an Zeit, um notwendiges Wissen zu sammeln, die Regeln
und Verfahren zu internalisieren sowie um die nötigen Beziehungen zu etablieren.
Vor allem müssen die kommunalen Institutionen das Vertrauen der Bevölkerung
gewinnen.
Die Effektivität der kommunalen Institutionen hängt in großem Maße vom Selbstverständnis der Einzelnen als politische Subjekte ab, d.h. welche Einstellungen sie
gegenüber Autorität haben und inwieweit sie zur politischen Partizipation bereit sind.
Die Erhebung der Einstellungen gegenüber Autorität zeigt, dass eine klare Vermittlung von Steuerungs- und Sanktionskompetenzen von formellen wie von informellen
Autoritäten erwartet wird, die sich beispielsweise in Form sachlicher Kompetenz
aber auch in einem rigiden Herrschaftsstil niederschlagen sollten. Problematisch ist
die Autoritätssituation insofern, als dass die traditionellen Autoritäten u.a. aufgrund
des modernisierungsbedingten Bedeutungsverlusts tradierter sozialer Praktiken insgesamt selbst an Einfluss verlieren, die formellen Autoritäten in den Kommunalverwaltungen aber nicht über ausreichend Legitimität verfügen. So zeugen Aussagen wie
„Jeder macht, was er will“ von der wahrgenommenen Unordnung und der empfundenen Orientierungslosigkeit.
Die Bevölkerung zeigt eine geringe Bereitschaft zur politischen Partizipation, was
nicht bedeutet, dass sie bei Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen vernachlässigt
werden will. Vielmehr erwartet sie eine Konsultation in wichtigen Angelegenheiten.
Das gilt für zivilgesellschaftliche Organisationen, für traditionelle Autoritäten wie für
politische Parteien. Allerdings erwarten die Kommunalverwaltungen, dass sich die
Bevölkerung spontan und aktiv einbringt. Zum Teil wird darunter auch das selbstständige und selbstverantwortliche Lösen von Problemen verstanden, für welche die
Kommunalverwaltung keine Kapazität hat. Insgesamt besteht eine Schwierigkeit
darin, dass für eine Steigerung der Akzeptanz der lokalen Institutionen ebenso wie
für die Entwicklung einer demokratischen Kultur positive Erfahrungen infolge einer
aktiven Teilhabe an lokalen politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen
erforderlich sind. Politisches Desinteresse hingegen kann die bestehende Distanz
zwischen politischer Führung und Bevölkerung erweitern.
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Erklärungsmodell und weitere Forschungsfragen. Die systematische Aufarbeitung der Aussagen der Befragten ermöglicht die Bestimmung der drei idealtypischen
Grundmuster von Ordnungsvorstellungen modernistisch, traditionalistisch und hybrid, wobei hybrid in opportunistisch und anomisch zu differenzieren ist. Diese ermöglichen die Generierung von Aussagen, die zu einem Erklärungsmodell verdichtet
werden können. Hierzu wurden drei Thesen zum Zusammenhang von politischer
Kultur, Konfliktbereitschaft, institutionellem Kontext und Gewalt formuliert:
These 1: Die Anwendung von Gewalt ist eine rationale Handlungsoption in einem
von Uneindeutigkeit geprägten institutionellen Kontext. Konflikten geht eine
Normmissachtung voraus.
These 2: Die Missachtung von Normen steht für die Ablehnung der sozialen und politischen Ordnung. Von Institutionen wird die Bewahrung der Ordnung durch rigide
Maßnahmen erwartet.
These 3: Die Konfliktbereitschaft sowie die Regelbindung bei der Bearbeitung von
Konflikten variieren mit dem Typus politischer Kultur.
Diese Thesen sind das Ergebnis verstehender, sinnorientierter Deutung und formulieren damit nur Hypothesen über potentielle Kausalbeziehungen, die zur Gewinnung eines gültigen Erklärungsmodells empirisch-statistisch geprüft werden müssen.
Der Rekurs auf institutionentheoretische Ansätze sowie auf Ansätze politischer Kulturforschung hat sich bei der Analyse von Konflikten bewährt. Insofern ist eine systematische Vertiefung der hier angerissenen Themenkomplexe zu begrüßen. Für
wünschenswert erachte ich eine institutionenanalytische Behandlung formeller und
informeller sozialer wie politischer Institutionen im Hinblick auf ihre Relevanz für
die Entwicklung und Bearbeitung von Konflikten. Auch die empirische Untersuchung des Zusammenhangs von institutioneller Dynamik und Konfliktentwicklung
erscheint mir aus institutionentheoretischer Perspektive gewinnbringend. Beide Fragestellungen ermöglichen eine Anbindung an Untersuchungsdesigns politischer Kulturforschung. Insbesondere eine systematische Erhebung der auf Institutionen
bezogenen Einstellungen, in der sowohl die Repräsentanten der Institutionen als
auch die Institutionenadressaten berücksichtigt werden, kann zu Erkenntnissen in
Bezug auf die Effektivität von Institutionen in Konfliktsituationen führen. Schließlich sind die hier aufgeworfenen Fragen zum Zusammenhang von Ordnungsvorstellungen und Konflikt- bzw. Gewaltbereitschaft zu vertiefen. Es sind die
traditionalistischen und modernistischen Einstellungsmuster empirisch zu erhärten,
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wobei eine stärkere Berücksichtigung der Einstellungen der Bevölkerung sowie der
Verhaltensdimension zu wünschen ist. Damit wird deutlich, dass in methodischer
Hinsicht eine Ergänzung um quantitative Daten von großem Nutzen ist.
Praktische Relevanz. Gerade in der Konfliktforschung interessiert neben dem wissenschaftlichen Beitrag von Analysen deren Relevanz für die Praxis. Die vorliegende
Arbeit zielt weniger auf die Formulierung praktischer Handlungsanleitungen als auf
die Erfassung relevanter Dimensionen von Konflikten, die Aussagen über langfristige Konflikt- und Gewaltpotentiale ermöglichen, jedoch bislang weder ausreichend
noch angemessen berücksichtigt wurden. In der Regel konzentrieren sich Konfliktanalysen auf stattgefundene Ereignisse und Strukturen und weniger auf schwer zugängliche Faktoren wie Einstellungsmuster und subjektive Sinnstrukturen. Erst aber
die Berücksichtigung eines verstehenden Ansatzes, der auf die Erfassung des Sinnzusammenhangs von Handlungen abzielt, lassen sich vollständige Erklärungen für spezifische Prozessverläufe und Systemzustände finden, auf die steuernd im Sinne einer
gewaltarmen Konfliktbearbeitung eingewirkt werden soll.
Allgemeine Zielsetzungen. Auf der Grundlage der Untersuchungsbefunde möchte ich
abschließend auf Zielsetzungen für die Praxis hinweisen. Ich sehe ein notwendiges,
allgemeines Ziel in der Vermeidung von Gewalt als rationale Option zur Herstellung
von Eindeutigkeit. Diese resultiert zuallererst aus Situationen sozialer Dilemmata und
individueller Krisen, welche es darum zu vermeiden gilt. Insofern lassen sich als Unterziele (a) die Herstellung von Sicherheiten bzw. die Reduktion von rechtlicher und
politischer Unsicherheit ebenso wie von individueller Verunsicherung sowie (b) die
Bekämpfung von desintegrativ wirkenden Phänomenen und Prozessen ableiten.
(a) Die Herstellung von Sicherheit zur Vermeidung von Gewalt sollte nicht auf Aspekte öffentlicher Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung beschränkt bleiben. Nicht
allein die „Sicherung von Sicherheiten“ (KAUFMANN 1973: 57), also die Sicherstellung bereits rechtlich und gesellschaftlich vereinbarter Garantien wie Rechtssicherheit und Systeme sozialer Sicherung, sollte angestrebt werden, sondern auch – hier
liegt das Besondere – die Herstellung von Gewissheit auf individueller Ebene. Hierunter ist v.a. die institutionelle Bereitstellung von Orientierungsangeboten für individuelles und kollektives Handeln zu verstehen. Es liegt also besonderes Interesse
einerseits in der Integration des institutionellen Kontexts und andererseits in der
gesellschaftlichen Verankerung von Institutionen. Im Hinblick auf die lokalen demokratischen Institutionen sind als konkrete Ziele zu nennen: eine ‚gute Institutionen247
Fazit
performanz’132 als Voraussetzung für gesellschaftliches Vertrauen und Legitimation
sowie die Entwicklung und Einübung einer demokratischen Konfliktbearbeitungskultur, in welcher der produktive Charakter von Konflikten deutlich wird. Hinsichtlich
traditioneller
Institutionen
ist
vor
allem
die
Anpassung
der
Problemlösungskapazitäten und –verfahren an die sich wandelnden Umweltbedingungen erforderlich. Insgesamt ist für einen integrierten institutionellen Kontext zu
sorgen, so dass den handelnden Individuen ausreichend Handlungsorientierung und
kontextuelle Sicherheit geboten wird. Für neu eingerichtete Institutionen bedeutet
dies vor allem eine stärkere Berücksichtigung der lokalen politischen Kultur.
(b) Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Gewalt nicht allein politische Ursachen bzw.
Motive hat, sondern auch Folge desintegrativ wirkender Faktoren sein kann. Die
Vermeidung der Entstehung anomischer Gewalt ist von hoher Bedeutung, da diese
besonders schwer zu kontrollieren ist. Daher ist der Bekämpfung desintegrativ wirkender Faktoren sowie der Abmilderung ihrer Folgen eine hohe Priorität einzuräumen. Hier wurde auf die erhebliche Wirkung von Kriminalität, Traumatisierungen,
AIDS und Drogenkonsum hingewiesen. Es sind die jeweiligen Ursachen- und Wirkungszusammenhänge und ihre Bedeutung für konfliktrelevante Akteursgruppen zu
analysieren. Besondere Beachtung gebührt einerseits Akteursgruppen, von denen ein
signifikantes Gewaltpotential ausgeht (z.B. ehemalige Soldaten, gegenwärtige Jugendgeneration) und andererseits diffusen Konfliktkonstellationen wie z.B. dem hier beschriebenen Generationenkonflikt.
Akteursspezifische Zielsetzungen. Für die in der Untersuchung als zentral befundenen
Akteure und Zielgruppen (vgl. Tabelle 18) lassen sich folgende Beispiele gewaltmindernder Zielsetzungen formulieren:
Die Kommunalverwaltung wie die Distriktverwaltung spielen eine wichtige Rolle bei
der regulierenden und ordnenden Gestaltung des lokalen Kontexts. Insofern gilt es,
ihre Kapazitäten zu steigern, beispielsweise in Form einer stärkeren Vermittlung demokratischer Verwaltungsprinzipien und einer kommunalen Vernetzung. Die Kommunalverwaltung übernimmt besondere Verantwortung bei der Definition der
lokalen politischen Gemeinschaft. Angesichts der Konfliktpotentiale, die aus der
Anwesenheit von Migranten und ausländischen Investoren resultieren, hat die
Kommunalverwaltung die soziale Integration zu fördern und ausgleichend auf Kon-
132
In Analogie zum Ziel eines Good Governance.
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kurrenzsituationen einzuwirken. Eine Förderung der Kommune als Identitätsmarker
(z.B. „Wir in Pemba“) könnte die Bevölkerung für soziales und politisches Engagement motivieren und somit zur Steigerung der lokalen Problemlösungskapazitäten
beitragen.
Als Interessenrepräsentanten und Multiplikatoren stehen die politischen Parteien auf
lokaler Ebene in einer entscheidenden Position. Für die Entwicklung einer lokalen
demokratischen Konfliktbearbeitungskultur ist der Ausbau des lokalen Interessenpluralismus durch die Förderung weiterer politischer Parteien und Initiativen sowie
die Verstärkung des lokalen Bezugs örtlicher Politik zu fördern. Wünschenswert ist
eine Entkopplung der kommunalen Politik von nationalen Parteistrategien, so dass
die Vertretung lokaler Interessen und die Lösung lokaler Sachprobleme im Vordergrund stehen.
Die Polizei ist in doppelter Hinsicht von großem Stellenwert. Zum einen prägt sie
das Bild formeller Institutionen in der Öffentlichkeit und zum anderen ist sie mit der
empfindlichen Aufgabe der Herstellung von Sicherheit betraut. In beiden Aspekten
sind Defizite zu erkennen, so dass die Polizeiarbeit gefördert werden muss, um Kriminalität und Lynchjustiz zu verhindern und das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen.
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