Voraussetzungen für die stufenweise

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Supportivtherapie
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Fortbildung
Für die Wiedereingliederung nach
der Rehabilitation wird gemeinsam
mit dem Patienten ein zeitlicher
Stufenplan erstellt.
Nach onkologischer Rehabilitation
Voraussetzungen für die stufenweise
Wiedereingliederung
ISOLDE HABERK AMP
UND
JÜRGEN KÖRBER
Die sogenannte stufenweise Wiedereingliederung (SWE) ist ein
wichtiges Instrument in der Rehabilitation von arbeitsunfähigen
Patienten, die über längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgegliedert
sind und nach ärztlicher Feststellung schrittweise an die volle
Arbeitsbelastung herangeführt werden sollen.
D
ie stufenweise Wiedereingliederung ist auch als „Hamburger
Modell“ bekannt. Gesetzliche
Voraussetzungen dazu sind in § 74 SGB
V sowie in § 28 SGB IX geregelt. Nach
länger dauernder krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit kann sie eingeleitet
werden. Sie kann auch während einer
medizinischen Rehabilitation von den
behandelnden Ärzten für die Zeit nach
der Entlassung veranlasst werden. Im
letztgenannten Fall wird diese Empfehlung im Reha-Entlassungsbericht vermerkt. Grundsätzlich ist die SWE ein Instrument der gesetzlichen Sozialversicherungen (gesetzl. Kranken- und Rentenversicherung), steht aber auch privat
Krankenversicherten und Beamten zu,
sofern das Einverständnis der beteiligten Akteure (Arbeitgeber, Kostenträger)
besteht.
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Chronik der stufenweisen
Wiedereingliederung
Ursprünglich war das „Hamburger Modell“ eine Eingliederungsmaßnahme der
gesetzlichen Krankenversicherung. Die
Kosten für die Durchführung wurden
anteilig zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Arbeitgeber
aufgeteilt.
Dieses Vorgehen hat sich 2004 verändert. Seitdem sind auch die gesetzlichen
Rentenversicherungsträger an der SWE
finanziell beteiligt. Und zwar dann,
wenn die Notwendigkeit der Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung während des Rehabilitationsaufenthaltes festgestellt wurde und die Einleitung der Maßnahme im „unmittelbaren Anschluss“ nach Ende der medizinischen Leistung erfolgen sollte. Als unmittelbar galt eine Maßnahme, wenn sie
innerhalb von zwei Wochen nach Ende
der Rehabilitation begann. Alle stufenweisen Wiedereingliederungen, die zu
einem späteren Zeitpunkt begonnen
wurden, gingen weiterhin zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung. Die
Arbeitgeber waren seit diesem Zeitpunkt
nicht mehr finanziell beteiligt.
In der Praxis hatte die neue gesetzliche
Regelung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und zu Kostenstreitigkeiten
zwischen den Sozialleistungsträgern (gesetzliche Kranken- und gesetzliche Rentenversicherung) geführt, da der Begriff
„im unmittelbaren Anschluss“ unterschiedlich interpretiert wurde. Das Bundessozialgericht befasste sich 2009 in einem Urteil mit den Fristen zur SWE und
erläuterte die Auslegung des Begriffs. Im
Urteil wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Rentenversicherung für die Integrationsmaßnahme auch dann finanziell
aufkommt, wenn ein innerer Zusammenhang zu den Zielen der medizinischen Rehabilitation vorhanden ist (also
bei den Versicherten die Integration in
das Erwerbsleben).
Da das Urteil des Bundessozialgerichts weiterhin nicht eindeutig war und
Im Focus Onkologie
2013; 16 (1-2)
Interpretationsspielräume zuließ, trafen
die Deutsche Rentenversicherung und
die gesetzliche Krankenversicherung in
der Folge am 01.09.2011 eine Vereinbarung über die verwaltungspraktikable
Zuständigkeitsabgrenzung für eine zunächst einjährige Probezeit. Darin wurde festgelegt, dass alle stufenweisen Wiedereingliederungen, die innerhalb einer
Frist von 28 Tagen nach Beendigung einer medizinischen Rehabilitationsleistung angetreten werden, zu Lasten der
Deutschen Rentenversicherung gehen.
Mit diesem Vorgehen sind die Kosten
der stufenweisen Wiedereingliederung
onkologischer Patienten zu einem großen Teil auf die Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung übertragen worden
und werden aus dem gedeckelten Rehabilitationsbudget finanziert.
Da onkologischen Patienten oft eine
Schwerbehinderung zuerkannt ist, erfolgt die stufenweise Wiedereingliederung in diesen Fällen nach § 28 SGB IX.
Zu erwähnen ist hier noch der § 51 SGB
V. Darin ist der Wegfall des Krankengeldes bzw. der Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe geregelt. Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert
ist, kann die Krankenkasse eine Frist von
zehn Wochen setzen, innerhalb derer sie
einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe
am Arbeitsleben wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu stellen haben. Diese
Frist kann somit die ansonsten übliche
Krankengeldzahlung von 78 Wochen erheblich verkürzen. Kommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht nach, wird
die Krankengeldzahlung eingestellt. Sie
wird erst wieder aufgenommen, wenn ein
entsprechender Antrag gestellt wurde.
Stellt ein Versicherter einen Antrag auf
Erwerbsminderungsrente, gilt seit 1890
die Regel „Rehabilitation vor Rente“.
Sollte sich nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation zeigen, dass das
Leistungsvermögen im Erwerbsleben für
die bisher ausgeübte Tätigkeit und den
allgemeinen Arbeitsmarkt für die kommenden sechs Monate aufgehoben ist, erfolgt durch die Krankenkasse ohne weiteres Zutun des Versicherten eine Umwidmung des Rehaantrages in einen Rentenantrag. Der letztlich damit befristeten
Krankengeldzahlung kann alternativ ggf.
Im Focus Onkologie
2013; 16 (1-2)
ein Übergang in die Arbeitslosengeldzahlung folgen, sofern noch Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt
besteht. Zu beachten ist dabei auch, dass
gerade intensivere multimodale Therapien erhebliche Zeit in Anspruch nehmen
können und mit der erforderlichen Rekonvaleszenzphase die Durchführung
der SWE innerhalb des 78-Wochen-Zeitraumes gelegentlich schwierig sein kann.
Hierzu kann bei berechtigter Aussicht auf
Wiedereingliederung die Kontaktaufnahme mit dem Kostenträger zur Frage
der Kostendeckung für die Lohnersatzleistungen während der SWE erforderlich
sein.
Grundsätzliche Voraussetzungen
für eine SWE
Folgende Voraussetzungen müssen für
Rehabilitanden gegeben sein, die zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung
eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erhalten und eine stufenweise
Wiedereingliederung in Anspruch nehmen möchten:
— Es muss sich um einen Versicherten
handeln, der in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder selbstständig ist
und über einen Arbeitsplatz verfügt.
— Der Versicherte ist am Ende der Reha
krankheitsbedingt noch arbeitsunfähig und wird mit diesem Status entlassen. Es besteht aber eine Besserungsaussicht, sodass ein Erfolg der Eingliederungsmaßnahme erwartet werden
kann.
— Der behandelnde Arzt muss den Rehabilitanden für ausreichend belastbar
halten, um seine berufliche Tätigkeit
innerhalb der nächsten vier Wochen
zunächst für mindestens zwei Stunden
täglich auszuüben. Zudem muss er
überzeugt sein, dass der Versicherte in
den nächsten sechs Monaten seine Tätigkeit wieder im bisherigen Umfang
erfolgreich ausüben kann.
Der Rehabilitand und der Arbeitgeber
müssen der vorgeschlagenen SWE und
dem zeitlichen Stufenplan zustimmen, in
welchem der Arbeitsumfang für die folgenden Wochen geregelt ist. Spätestens
am Entlassungstag muss der Stufenplan
der Krankenkasse und dem Rentenversicherungsträger übermittelt werden.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber
nicht verpflichtet, mit dem Arbeitneh-
mer eine Vereinbarung zu treffen, die
diesem die Wiedereingliederung ermöglicht. Er muss eine Ablehnung auch
nicht begründen, außer bei schwerbehinderten Arbeitnehmern (siehe hierzu
§ 81 Abs. 4 SGB IX).
Dennoch ist der Gestaltungsrahmen
des Arbeitgebers eingeschränkt. Mit der
Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) 2004 zum
Schutz von langzeiterkrankten Arbeitnehmern (Neufassung des § 84 Abs. 2
SGB IX) ist gesetzlich vorgeschrieben,
dass der Arbeitgeber einem Beschäftigten, der – dauerhaft oder zusammengefasst über ein Jahr – sechs Wochen arbeitsunfähig ist, die Teilnahme an einem Eingliederungsprozess anbieten
muss (das muss aber nicht zwangsläufig
eine SWE sein).
Die Wiedereingliederungsmaßnahme
kann von allen Vertragsseiten (Krankenkasse, Veranlassung des Arztes, Betroffener, Arbeitgeber) abgebrochen werden. Nimmt der Betroffene an sieben Tagen aus gesundheitlichen Gründen (AU)
nicht an der Maßnahme teil, gilt diese
als gescheitert. In Einzelfällen kann ein
Fortbestand der Maßnahme über die
7-Tage-Regelung hinaus angestrebt werden, wenn Aussicht auf einen positiven
Abschluss des „Hamburger Modells“ besteht.
Ablauf zur Einleitung einer
stufenweisen Wiedereingliederung
Anhand einer seit 01.09.2011 neu eingeführten Checkliste (G833) prüft der
Reha-Arzt bei allen gesetzlich Krankenversicherten, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder eine selbstständige Tätigkeit ausüben und bei denen absehbar ist, dass sie am Ende der
Reha arbeitsunfähig entlassen werden,
ob durch eine Wiedereingliederung innerhalb von vier Wochen nach Ende der
Rehabilitation ein Erfolg zu erwarten ist.
Wenn ja, ist die Wiedereingliederungsmaßnahme nach Zustimmung des Rehabilitanden einzuleiten und ein zeitlicher Stufenplan zu erstellen.
Problematisch ist, dass die entscheidenden Fragen zur SWE aufgrund des
zeitaufwändigen Verwaltungsverfahrens zur Wiedereingliederung häufig bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt erörtert werden müssen. Oft zeigt der
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Fortbildung
Reha-Verlauf dann, dass die Ziele zu
hoch gesteckt sind. In diesem Fall muss
der Zeitpunkt der Wiedereingliederung
gegebenenfalls in die fernere Zukunft
(und dann zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung) verschoben oder
ganz davon Abstand genommen werden
(Tabelle 1). Gerade im onkologischen
Bereich gibt es immer wieder medizinische Gründe, warum eine geplante stufenweise Wiedereingliederung kurz vor
der Entlassung wieder zurückgenommen werden muss.
Während der gesamten Wiedereingliederungsmaßnahme besteht Arbeitsunfähigkeit. Diese ist vom behandelnden Arzt vor Ort zu bescheinigen. Daher
kann während der Wiedereingliederungsmaßnahme kein Urlaub in Anspruch genommen werden. Der Arbeitgeber wiederum hat keinen Anspruch
auf die volle vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung. Er bestätigt den Beginn
der Wiedereingliederungsmaßnahme
und am Ende die erfolgreiche Durchführung des Stufenplanes. Sollte es zu
einem vorzeitigen Erreichen der RehaZiele kommen oder zu einem Abbruch
der Maßnahme, so ist dies ebenfalls vom
Arbeitgeber darzulegen. Eine Ausnahme
hiervon stellen Beamte dar. Während einer stufenweisen Wiedereingliederung
gelten Beamte als dienstfähig und erhalten ihre vollen Dienstbezüge.
Während der onkologischen Rehabilitation hat der Versicherte (Leistungsberechtigte) gegenüber der gesetzlichen
Rentenversicherung einen Anspruch auf
finanzielle Unterstützung in Form von
Übergangsgeld. Wird eine stufenweise
Wiedereingliederung innerhalb der vorgesehenen Frist nach Ende der Reha begonnen, besteht der Anspruch auf Übergangsgeld bis zum Abschluss der Maßnahme fort. Darüber hinaus gibt es keinen weiteren Anspruch auf Vergütung.
In wenigen Ausnahmefällen kann die
Wiedereingliederungsmaßnahme auch
von einer gesetzlichen Unfallversicherung oder von der Bundesagentur für
Arbeit getragen werden.
Regelung für Leiharbeiter
Bei Leiharbeitern müssen entsprechend
der Europäischen Richtlinie 2008/104
EG Artikel 5 die wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen der
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Supportivtherapie
Schritte zur stufenweisen Wiedereingliederung im zeitlichen
Verlauf
| Tabelle 1
Innerhalb von 28 Tagen:
− Einleitung durch die Rehabilitationseinrichtung
− Zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung
− Bei Durchführung erhält der Versicherte bis zur Beendigung Übergangsgeld
Nach 28 Tagen:
− Einleitung durch den weiterbetreuenden Arzt
− Zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
− Bei Durchführung erhält der Versicherte weiter Krankengeld
Leiharbeitnehmer denjenigen entsprechen, die von dem Unternehmen unmittelbar für die gleiche Arbeit eingestellt
worden wären. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Leiharbeitsfirma und das
entleihende Unternehmen zusammen
agieren müssen.
SWE zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung
Wird von der Rehabilitationseinrichtung die stufenweise Wiedereingliederung als erforderlich angesehen, aber
nicht eingeleitet, sodass diese nicht innerhalb von 28 Tagen nach Ende der Rehabilitation beginnt, muss dies ausführlich dokumentiert und in der sozialmedizinischen Epikrise des Reha-Entlastungsberichts begründet werden. In jedem Fall muss nachvollziehbar dargelegt
werden, warum die stufenweise Wiedereingliederung nicht zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung eingeleitet wurde. Diese neue Regelung ist ein
Paradigmenwechsel. Gegenüber dem
vor 2004 geltenden Modell ist nun zu begründen, warum keine stufenweise Wiedereingliederung eingeleitet wurde.
Gründe für ein Nicht-Einleiten der
SWE innerhalb von vier Wochen
Gründe gegen eine Einleitung der SWE
innerhalb von 28 Tagen nach Ende der
Rehabilitation können sein:
— es bestand nur eine kurzzeitige Arbeitsunfähigkeit,
— die Arbeitsfähigkeit kann voraussichtlich durch die stufenweise Wiedereingliederung nicht wiederhergestellt
werden,
— die Zustimmung des Versicherten
oder des Arbeitgebers liegen nicht vor
(z. B. weil dieser nicht erreicht werden
konnte)
— oder die Mindestarbeitszeit von zwei
Stunden täglich kann innerhalb von
vier Wochen nicht erreicht werden
— sonstige individuelle Gründe.
Neu ist, dass die gesetzliche Krankenkasse in den Fällen, in denen die stufenweise Wiedereingliederung in der Rehabilitationseinrichtung nicht eingeleitet
wurde, selbst innerhalb von 14 Tagen
nach Ende der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme eine stufenweise Wiedereingliederung beim Rentenversicherungsträger anregen kann. Anregungstatbestände sind dann gegeben, wenn
sich die individuellen Verhältnisse nach
dem Erstellen der Checkliste geändert
haben. In der Regel ist dies dann der Fall,
wenn der Case-Manager der gesetzlichen Krankenversicherung den Patienten davon überzeugen kann, die stufenweise Wiedereingliederung früher als
von der Rehabilitationseinrichtung geplant zu beginnen.
Autoren:
Isolde Haberkamp
Dr. Jürgen Körber
Korrespondierender Autor:
Dr. Jürgen Körber
Klinik Nahetal
Fachklinik für onkologische Rehabilitation
und Anschlussrehabilitation (AHB)
Burgweg 14, 55543 Bad Kreuznach
E-Mail: [email protected]
Für die Arbeitsgemeinschaft Supportive
Maßnahmen in der Onkologie,
Rehabilitation und Sozialmedizin der
Deutschen Krebsgesellschaft (ASORS).
ASORS im Internet: www.asors.de
Im Focus Onkologie
2013; 16 (1-2)
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