Supportivtherapie © Adam Gregor / Fotolia.com Fortbildung Für die Wiedereingliederung nach der Rehabilitation wird gemeinsam mit dem Patienten ein zeitlicher Stufenplan erstellt. Nach onkologischer Rehabilitation Voraussetzungen für die stufenweise Wiedereingliederung ISOLDE HABERK AMP UND JÜRGEN KÖRBER Die sogenannte stufenweise Wiedereingliederung (SWE) ist ein wichtiges Instrument in der Rehabilitation von arbeitsunfähigen Patienten, die über längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgegliedert sind und nach ärztlicher Feststellung schrittweise an die volle Arbeitsbelastung herangeführt werden sollen. D ie stufenweise Wiedereingliederung ist auch als „Hamburger Modell“ bekannt. Gesetzliche Voraussetzungen dazu sind in § 74 SGB V sowie in § 28 SGB IX geregelt. Nach länger dauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kann sie eingeleitet werden. Sie kann auch während einer medizinischen Rehabilitation von den behandelnden Ärzten für die Zeit nach der Entlassung veranlasst werden. Im letztgenannten Fall wird diese Empfehlung im Reha-Entlassungsbericht vermerkt. Grundsätzlich ist die SWE ein Instrument der gesetzlichen Sozialversicherungen (gesetzl. Kranken- und Rentenversicherung), steht aber auch privat Krankenversicherten und Beamten zu, sofern das Einverständnis der beteiligten Akteure (Arbeitgeber, Kostenträger) besteht. 44 Chronik der stufenweisen Wiedereingliederung Ursprünglich war das „Hamburger Modell“ eine Eingliederungsmaßnahme der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten für die Durchführung wurden anteilig zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Arbeitgeber aufgeteilt. Dieses Vorgehen hat sich 2004 verändert. Seitdem sind auch die gesetzlichen Rentenversicherungsträger an der SWE finanziell beteiligt. Und zwar dann, wenn die Notwendigkeit der Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung während des Rehabilitationsaufenthaltes festgestellt wurde und die Einleitung der Maßnahme im „unmittelbaren Anschluss“ nach Ende der medizinischen Leistung erfolgen sollte. Als unmittelbar galt eine Maßnahme, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Ende der Rehabilitation begann. Alle stufenweisen Wiedereingliederungen, die zu einem späteren Zeitpunkt begonnen wurden, gingen weiterhin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Arbeitgeber waren seit diesem Zeitpunkt nicht mehr finanziell beteiligt. In der Praxis hatte die neue gesetzliche Regelung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und zu Kostenstreitigkeiten zwischen den Sozialleistungsträgern (gesetzliche Kranken- und gesetzliche Rentenversicherung) geführt, da der Begriff „im unmittelbaren Anschluss“ unterschiedlich interpretiert wurde. Das Bundessozialgericht befasste sich 2009 in einem Urteil mit den Fristen zur SWE und erläuterte die Auslegung des Begriffs. Im Urteil wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Rentenversicherung für die Integrationsmaßnahme auch dann finanziell aufkommt, wenn ein innerer Zusammenhang zu den Zielen der medizinischen Rehabilitation vorhanden ist (also bei den Versicherten die Integration in das Erwerbsleben). Da das Urteil des Bundessozialgerichts weiterhin nicht eindeutig war und Im Focus Onkologie 2013; 16 (1-2) Interpretationsspielräume zuließ, trafen die Deutsche Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung in der Folge am 01.09.2011 eine Vereinbarung über die verwaltungspraktikable Zuständigkeitsabgrenzung für eine zunächst einjährige Probezeit. Darin wurde festgelegt, dass alle stufenweisen Wiedereingliederungen, die innerhalb einer Frist von 28 Tagen nach Beendigung einer medizinischen Rehabilitationsleistung angetreten werden, zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung gehen. Mit diesem Vorgehen sind die Kosten der stufenweisen Wiedereingliederung onkologischer Patienten zu einem großen Teil auf die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen worden und werden aus dem gedeckelten Rehabilitationsbudget finanziert. Da onkologischen Patienten oft eine Schwerbehinderung zuerkannt ist, erfolgt die stufenweise Wiedereingliederung in diesen Fällen nach § 28 SGB IX. Zu erwähnen ist hier noch der § 51 SGB V. Darin ist der Wegfall des Krankengeldes bzw. der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe geregelt. Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, kann die Krankenkasse eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb derer sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu stellen haben. Diese Frist kann somit die ansonsten übliche Krankengeldzahlung von 78 Wochen erheblich verkürzen. Kommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht nach, wird die Krankengeldzahlung eingestellt. Sie wird erst wieder aufgenommen, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Stellt ein Versicherter einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente, gilt seit 1890 die Regel „Rehabilitation vor Rente“. Sollte sich nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation zeigen, dass das Leistungsvermögen im Erwerbsleben für die bisher ausgeübte Tätigkeit und den allgemeinen Arbeitsmarkt für die kommenden sechs Monate aufgehoben ist, erfolgt durch die Krankenkasse ohne weiteres Zutun des Versicherten eine Umwidmung des Rehaantrages in einen Rentenantrag. Der letztlich damit befristeten Krankengeldzahlung kann alternativ ggf. Im Focus Onkologie 2013; 16 (1-2) ein Übergang in die Arbeitslosengeldzahlung folgen, sofern noch Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt besteht. Zu beachten ist dabei auch, dass gerade intensivere multimodale Therapien erhebliche Zeit in Anspruch nehmen können und mit der erforderlichen Rekonvaleszenzphase die Durchführung der SWE innerhalb des 78-Wochen-Zeitraumes gelegentlich schwierig sein kann. Hierzu kann bei berechtigter Aussicht auf Wiedereingliederung die Kontaktaufnahme mit dem Kostenträger zur Frage der Kostendeckung für die Lohnersatzleistungen während der SWE erforderlich sein. Grundsätzliche Voraussetzungen für eine SWE Folgende Voraussetzungen müssen für Rehabilitanden gegeben sein, die zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erhalten und eine stufenweise Wiedereingliederung in Anspruch nehmen möchten: — Es muss sich um einen Versicherten handeln, der in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder selbstständig ist und über einen Arbeitsplatz verfügt. — Der Versicherte ist am Ende der Reha krankheitsbedingt noch arbeitsunfähig und wird mit diesem Status entlassen. Es besteht aber eine Besserungsaussicht, sodass ein Erfolg der Eingliederungsmaßnahme erwartet werden kann. — Der behandelnde Arzt muss den Rehabilitanden für ausreichend belastbar halten, um seine berufliche Tätigkeit innerhalb der nächsten vier Wochen zunächst für mindestens zwei Stunden täglich auszuüben. Zudem muss er überzeugt sein, dass der Versicherte in den nächsten sechs Monaten seine Tätigkeit wieder im bisherigen Umfang erfolgreich ausüben kann. Der Rehabilitand und der Arbeitgeber müssen der vorgeschlagenen SWE und dem zeitlichen Stufenplan zustimmen, in welchem der Arbeitsumfang für die folgenden Wochen geregelt ist. Spätestens am Entlassungstag muss der Stufenplan der Krankenkasse und dem Rentenversicherungsträger übermittelt werden. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, mit dem Arbeitneh- mer eine Vereinbarung zu treffen, die diesem die Wiedereingliederung ermöglicht. Er muss eine Ablehnung auch nicht begründen, außer bei schwerbehinderten Arbeitnehmern (siehe hierzu § 81 Abs. 4 SGB IX). Dennoch ist der Gestaltungsrahmen des Arbeitgebers eingeschränkt. Mit der Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) 2004 zum Schutz von langzeiterkrankten Arbeitnehmern (Neufassung des § 84 Abs. 2 SGB IX) ist gesetzlich vorgeschrieben, dass der Arbeitgeber einem Beschäftigten, der – dauerhaft oder zusammengefasst über ein Jahr – sechs Wochen arbeitsunfähig ist, die Teilnahme an einem Eingliederungsprozess anbieten muss (das muss aber nicht zwangsläufig eine SWE sein). Die Wiedereingliederungsmaßnahme kann von allen Vertragsseiten (Krankenkasse, Veranlassung des Arztes, Betroffener, Arbeitgeber) abgebrochen werden. Nimmt der Betroffene an sieben Tagen aus gesundheitlichen Gründen (AU) nicht an der Maßnahme teil, gilt diese als gescheitert. In Einzelfällen kann ein Fortbestand der Maßnahme über die 7-Tage-Regelung hinaus angestrebt werden, wenn Aussicht auf einen positiven Abschluss des „Hamburger Modells“ besteht. Ablauf zur Einleitung einer stufenweisen Wiedereingliederung Anhand einer seit 01.09.2011 neu eingeführten Checkliste (G833) prüft der Reha-Arzt bei allen gesetzlich Krankenversicherten, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder eine selbstständige Tätigkeit ausüben und bei denen absehbar ist, dass sie am Ende der Reha arbeitsunfähig entlassen werden, ob durch eine Wiedereingliederung innerhalb von vier Wochen nach Ende der Rehabilitation ein Erfolg zu erwarten ist. Wenn ja, ist die Wiedereingliederungsmaßnahme nach Zustimmung des Rehabilitanden einzuleiten und ein zeitlicher Stufenplan zu erstellen. Problematisch ist, dass die entscheidenden Fragen zur SWE aufgrund des zeitaufwändigen Verwaltungsverfahrens zur Wiedereingliederung häufig bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt erörtert werden müssen. Oft zeigt der 45 Fortbildung Reha-Verlauf dann, dass die Ziele zu hoch gesteckt sind. In diesem Fall muss der Zeitpunkt der Wiedereingliederung gegebenenfalls in die fernere Zukunft (und dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung) verschoben oder ganz davon Abstand genommen werden (Tabelle 1). Gerade im onkologischen Bereich gibt es immer wieder medizinische Gründe, warum eine geplante stufenweise Wiedereingliederung kurz vor der Entlassung wieder zurückgenommen werden muss. Während der gesamten Wiedereingliederungsmaßnahme besteht Arbeitsunfähigkeit. Diese ist vom behandelnden Arzt vor Ort zu bescheinigen. Daher kann während der Wiedereingliederungsmaßnahme kein Urlaub in Anspruch genommen werden. Der Arbeitgeber wiederum hat keinen Anspruch auf die volle vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung. Er bestätigt den Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme und am Ende die erfolgreiche Durchführung des Stufenplanes. Sollte es zu einem vorzeitigen Erreichen der RehaZiele kommen oder zu einem Abbruch der Maßnahme, so ist dies ebenfalls vom Arbeitgeber darzulegen. Eine Ausnahme hiervon stellen Beamte dar. Während einer stufenweisen Wiedereingliederung gelten Beamte als dienstfähig und erhalten ihre vollen Dienstbezüge. Während der onkologischen Rehabilitation hat der Versicherte (Leistungsberechtigte) gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung in Form von Übergangsgeld. Wird eine stufenweise Wiedereingliederung innerhalb der vorgesehenen Frist nach Ende der Reha begonnen, besteht der Anspruch auf Übergangsgeld bis zum Abschluss der Maßnahme fort. Darüber hinaus gibt es keinen weiteren Anspruch auf Vergütung. In wenigen Ausnahmefällen kann die Wiedereingliederungsmaßnahme auch von einer gesetzlichen Unfallversicherung oder von der Bundesagentur für Arbeit getragen werden. Regelung für Leiharbeiter Bei Leiharbeitern müssen entsprechend der Europäischen Richtlinie 2008/104 EG Artikel 5 die wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen der 46 Supportivtherapie Schritte zur stufenweisen Wiedereingliederung im zeitlichen Verlauf | Tabelle 1 Innerhalb von 28 Tagen: − Einleitung durch die Rehabilitationseinrichtung − Zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung − Bei Durchführung erhält der Versicherte bis zur Beendigung Übergangsgeld Nach 28 Tagen: − Einleitung durch den weiterbetreuenden Arzt − Zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung − Bei Durchführung erhält der Versicherte weiter Krankengeld Leiharbeitnehmer denjenigen entsprechen, die von dem Unternehmen unmittelbar für die gleiche Arbeit eingestellt worden wären. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Leiharbeitsfirma und das entleihende Unternehmen zusammen agieren müssen. SWE zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung Wird von der Rehabilitationseinrichtung die stufenweise Wiedereingliederung als erforderlich angesehen, aber nicht eingeleitet, sodass diese nicht innerhalb von 28 Tagen nach Ende der Rehabilitation beginnt, muss dies ausführlich dokumentiert und in der sozialmedizinischen Epikrise des Reha-Entlastungsberichts begründet werden. In jedem Fall muss nachvollziehbar dargelegt werden, warum die stufenweise Wiedereingliederung nicht zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung eingeleitet wurde. Diese neue Regelung ist ein Paradigmenwechsel. Gegenüber dem vor 2004 geltenden Modell ist nun zu begründen, warum keine stufenweise Wiedereingliederung eingeleitet wurde. Gründe für ein Nicht-Einleiten der SWE innerhalb von vier Wochen Gründe gegen eine Einleitung der SWE innerhalb von 28 Tagen nach Ende der Rehabilitation können sein: — es bestand nur eine kurzzeitige Arbeitsunfähigkeit, — die Arbeitsfähigkeit kann voraussichtlich durch die stufenweise Wiedereingliederung nicht wiederhergestellt werden, — die Zustimmung des Versicherten oder des Arbeitgebers liegen nicht vor (z. B. weil dieser nicht erreicht werden konnte) — oder die Mindestarbeitszeit von zwei Stunden täglich kann innerhalb von vier Wochen nicht erreicht werden — sonstige individuelle Gründe. Neu ist, dass die gesetzliche Krankenkasse in den Fällen, in denen die stufenweise Wiedereingliederung in der Rehabilitationseinrichtung nicht eingeleitet wurde, selbst innerhalb von 14 Tagen nach Ende der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme eine stufenweise Wiedereingliederung beim Rentenversicherungsträger anregen kann. Anregungstatbestände sind dann gegeben, wenn sich die individuellen Verhältnisse nach dem Erstellen der Checkliste geändert haben. In der Regel ist dies dann der Fall, wenn der Case-Manager der gesetzlichen Krankenversicherung den Patienten davon überzeugen kann, die stufenweise Wiedereingliederung früher als von der Rehabilitationseinrichtung geplant zu beginnen. Autoren: Isolde Haberkamp Dr. Jürgen Körber Korrespondierender Autor: Dr. Jürgen Körber Klinik Nahetal Fachklinik für onkologische Rehabilitation und Anschlussrehabilitation (AHB) Burgweg 14, 55543 Bad Kreuznach E-Mail: [email protected] Für die Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen Krebsgesellschaft (ASORS). ASORS im Internet: www.asors.de Im Focus Onkologie 2013; 16 (1-2)