Entlassen – und dann? - Medizintechnologie.de

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Entlassmanagement
Entlassen – und dann?
Krankenhäuser sind gestezlich dazu verpflichtet, die Weiterbehandlung der Patienten nach dem stationären Aufenthalt zu
planen und zu organisieren. Dabei können IT-Lösungen helfen.
Quelle: © Zerbor/Fotolia
04.09.2014 Bei vielen schweren Erkrankungen oder Verletzungen geht es nach dem Krankenhaus in die
Rehabilitation. Die Schnittstelle zwischen Klinik und Rehabilitation bzw. Rehabilitation und häuslicher
Umgebung bietet Raum für IT-Lösungen, die Prozesse optimieren und die Versorgung verbessern. Eine
Besonderheit: Außer Krankenkassen engagieren sich hier auch die Träger der Renten- und
Unfallversicherung.
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Rehabilitation in Deutschland: Gut zu wissen
Das Rehabilitationswesen kann für innovative KMU ein lohnendes Betätigungsfeld sein. Wer in diesem Bereich IT
Projekte vorantreiben möchte, sollte die speziellen Herausforderungen kennen und die breite Palette an Akteur
berücksichtigen.
Innovative Versorgungsprojekte im deutschen Gesundheitswesen anzustoßen ist oft nicht einfach. Die Gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) ist ein hoch reguliertes System, bei dem es bis zu einer regulären Erstattung neuer Leistung
viele Jahre dauern kann. Die Telemedizin ist ein prominentes
Beispiel dafür: Anfang 2012 hatte die Bundesregierung im GKVVersorgungsgesetz die Ärzte und Krankenkassen dazu verpflichtet,
Erstattungsmodelle für die Telemedizin zu entwickeln. Fast zwei
Jahre später dauern die Verhandlungen noch immer an. Eine
Einigung ist nicht absehbar.
Finanzierung der Rehabilitation ruht auf
mehreren Säulen
Im Vergleich zur Krankenversorgung ist die Finanzierung der im
SGB IX geregelten Rehabilitation weniger monolithisch. Innovativen
KMU bieten sich daher mehr Spielräume beim Ausloten von
Finanzierungsmöglichkeiten und beim Einbinden von Partnern. Drei
Prozent aller Gesundheitskosten in Deutschland werden für
In etwa 1200 Vorsorge- und Reha-Einrichtungen
medizinische Rehabilitation und Vorsorge aufgewandt. Im Jahr 2012
wurden 2012 insgesamt knapp 2 Millionen
waren das 8,71 Milliarden Euro. Die GKV kommt lediglich für etwa
Patienten behandelt.
30% dieser Kosten auf, Tendenz fallend. Hauptkostenträger ist die
Deutsche Rentenversicherung (DRV) mit einem Anteil von rund
Quelle: © Jannik Becker/DGUV
40%, Tendenz steigend. Weitere Rehabilitationsträger sind die
Gesetzliche Unfallversicherung, die Versorgungsverwaltung und die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. Sozialhilfe
Das Geld der Kostenträger geht an die ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen, die – anders als die
Krankenhäuser – monistisch finanziert sind: Sie erhalten ihre Einnahmen ausschließlich über die Vergütung der RehaMaßnahmen. Es gibt keine zusätzlichen Investitionsmittel der Bundesländer.
Mit Stand 31.12.2012 gab es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 1212 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtunge
unterschiedlicher Trägerschaft. In diesen Einrichtungen wurden knapp 2 Millionen Patienten behandelt. Seit den 90er
Jahren ist die Fallzahl in den Reha-Einrichtungen um ein Drittel gestiegen. Die durchschnittliche Verweildauer ist um ein
Fünftel auf 25,5 Tage gesunken. Rund 80% aller von der GKV finanzierten und ein Drittel der von der DRV finanzierten
Rehabilitationsleistungen in Deutschland sind Anschlussheilbehandlungen (AHB) unmittelbar im Anschluss an einen
Krankenhausaufenthalt. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Ebenfalls steigend ist der Anteil der
ambulanten Reha-Leistungen.
Erfolgsfaktoren Transparenz, Kooperation und Effizienz
Insgesamt gilt die ökonomische Situation der Reha-Einrichtungen als angespannt. Im Reha Rating Report 2009 des
Essen lag der Anteil der Einrichtungen mit erhöhter Insolvenzgefahr ein Drittel höher als bei Akutkrankenhäusern. In den
nächsten Jahren wird mit einer weiter steigenden Nachfrage nach Reha-Leistungen gerechnet. Der Report prognostizier
bis 2020 einen Anstieg der Reha-Fälle um 10,6%. Wichtiger Grund dafür ist der demographische Wandel. Aber auch der
Umstieg der Krankenhausabrechnung auf das DRG-System mit seinen frühen Entlassungen spielt mit hinein.
Diese Entwicklung stellt Rehabilitationseinrichtungen vor eine Reihe von Herausforderungen, die sich zumindest teilweis
durch innovative IT-Projekte adressieren lassen. So ist Datentransparenz bei der Überleitung aus der vorbehandelnden
Einrichtung wichtig, um Verzögerungen beim Reha-Beginn zu vermeiden. Eine medizinische Unterstützung durch
akutstationäre Kollegen kann Komplikationen vermeiden und wird daher zunehmend erwartet. Schließlich muss die Effizie
der Rehabilitation verbessert und gut dokumentiert werden, um Verteilungsdiskussionen den Wind aus den Segeln zu
nehmen. Telerehabilitation und Telekooperation können hier wertvolle Beiträge leisten.
Quellen:

Reha-Bericht 2013, Deutsche Rentenversicherung Bund (PDF)

Gutachten 2014 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Kapitel 4
„Rehabilitation“
Reha Rating Report 2009, RWI Essen (PDF)

Schnittstellenprobleme nach der Akuttherapie: Chance und Herausforderung für
KMU
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Ein Großteil der Reha-Maßnahmen in Deutschland erfolgt in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem
Krankenhausaufenthalt. Wer die Überleitung in die Rehabilitation verbessern will, muss sich der Komplexität der
Materie bewusst sein und den rechtlichen Rahmen kennen.
„Um einen optimalen Transfer von einer medizinischen Einrichtung
in die andere zu erreichen, ist ein effizientes Entlassmanagement
gerade im Kontext der Rehabilitation unverzichtbar“, betont der
Management Berater Thomas Bade aus Eichstätt, der Unternehmen
coacht, die sich mit Netzwerkprojekten in Rehabilitation und Pflege
profilieren wollen. Schon rein rechtlich gibt es dabei einiges zu
berücksichtigen: Ein Krankenhaus beispielsweise, das sich mit
selektierten (Rehabilitations-)Einrichtungen digital vernetzen möchte,
greift damit in den Wettbewerb ein. Ist das wettbewerbsrechtlich
überhaupt gestattet?
Lange Zeit war das umstritten. In einem Urteil vom März 2014 (Az.: I
ZR 120/13) hat der Bundesgerichtshof jetzt aber medizinischen
Einrichtungen und den mit ihnen kooperierenden Unternehmen
erweiterte Spielräume beim Entlassmanagement zugestanden. „Das
heißt konkret, dass das in den Paragraphen 11 und 39 SGB V
Die elektronische Fallakte ermöglicht eine schne
und komplette Übermittlung der Patientendaten
vom Akutkrankenhaus an die Reha-Klinik.
Quelle: © DragonImages/Fotolia
niedergelegte Entlassmanagement dem Wettbewerbsrecht
übergeordnet ist. Die Klinik darf steuern, und es ist rechtens, dass sie Netzwerkstrukturen gründet, sofern der Patient
einwilligt“, so Bade.
Standardentwicklung noch in den Kinderschuhen
Eine für Unternehmen enorm wichtige rechtliche Frage ist damit letztinstanzlich geklärt. Etwas diffuser ist die Situation
dagegen bei den für digital unterstützte Entlass- und Überleitungsprojekte nötigen technischen und semantischen
Standards. Ein digitaler Kommunikationsstandard für die intersektorale Übermittlung medizinischer Daten ist die vom
Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) und der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) unterstützte elektronische
Fallakte (EFA). Sie orientiert sich an international üblichen Standards wie IHE und HL7. „Durch ihren strikten Fallbezug, de
mit klar definierten Regeln für die Löschung von Daten einhergeht, erfüllt die Fallakte zentrale Datenschutzanforderunge
sagt Volker Lowitsch, CIO des Universitätsklinikums Aachen. Dieser Kommunikationskanal wird daher von vielen
Landesdatenschutzbeauftragten explizit empfohlen.
Ein standardisierter Kommunikationskanal löst aber nicht alle Probleme: „Die Rehabilitationswelt ist komplex, und daran
scheitern viele Unternehmen, die innovative Lösungen anbieten wollen“, so Bade. Ein Stolperstein ist die im SGB IX
geregelte, sozialdienstliche Abwicklung mit ihren komplexen Antragsprozeduren, an denen eine Vielzahl von Akteuren
beteiligt ist. Eine Anlaufstelle ist die Deutsche Vereinigung für soziale Projekte im Gesundheitswesen (DVSG), die sich be
der Entwicklung einer HL7-fähigen Software für die soziale Arbeit im Gesundheitswesen engagiert. Die DVSG hat auch
Leistungskomplexe eines Sozialdienstes im Krankenhaus definiert, die für eine Überleitung relevant sind und überführt
diese in die WHO-Klassifikation ICF. „Insgesamt gibt es bisher aber kaum befriedigende digitale Schnittstellen für diese Ar
von Daten in Überleitungsprojekten“, betont Bade.
Elektronische Überleitungsakte nutzt Reha-Einrichtungen und Akutkliniken
Wie die medizinische Kooperation zwischen Krankenhaus und Rehabilitation optimiert werden kann, zeigt seit einiger Zeit
das Universitätsklinikum Aachen. Es hat sich über eine elektronische Fallakte mit Reha-Kliniken vernetzt, um die Versorgu
von geriatrischen Patienten mit orthopädischen bzw. mit kardiovaskulären Erkrankungen zu verbessern. Die digitale
Vernetzung erlaubt nicht nur eine prompte Datenübermittlung. Die Experten der Universitätsklinik können den Kollegen
der Reha-Klinik auch beispielsweise bei der Beurteilung von Röntgenbildern zur Seite stehen.
Das Anfang 2014 in Aachen angelaufene TIRA-Projekt geht noch einen Schritt weiter: Hier kommen die
Universitätsmediziner regelmäßig per Televisite in die Reha-Klinik und besprechen Videos von Bewegungsabläufen mit d
Ziel, rascher eine gute Belastbarkeit zu erreichen. Lowitsch betont, dass beide Einrichtungen von diesem Arrangement
profitieren: „Die Reha-Klinik erhält medizinische Unterstützung, was die Chancen auf einen guten Rehabilitationserfolg
verbessert. Und die Universität behält die Patienten nach der Entlassung im Auge. Sie kann bei Komplikationen rechtzeitig
intervenieren und so unter Umständen teure Rücküberweisungen verhindern.“
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Neue Wege: Telerehabilitation und Telekooperation
Online-Plattformen und telemedizinische Anwendungen erlauben im Rehabilitationskontext die Umsetzung gan
neuer Versorgungskonzepte. Sie eröffnen sowohl stationären als auch ambulanten Reha-Anbietern neue
Perspektiven.
Bei der Telerehabilitation geht es um die „Verlängerung“ der
Rehabilitation in Richtung häusliche Umgebung bzw. Wohnzimmer
des Patienten. „Für die Reha-Einrichtungen ist das eine Möglichkeit,
Versorgungsangebote nach Hause zu verlagern und so die
Rehabilitation besser auf die individuellen Bedürfnisse
abzustimmen“, sagt Michael John, der am Fraunhofer FOKUS in
Berlin im Projekt MeineReha eine Plattform für häusliche und
mobile Rehabilitation entwickelt hat. Aber auch für ambulante
Rehabilitationsleistungen könne eine solche Plattform interessant
sein, betont John: „Orthopäden oder Physiotherapeuten kommen
heute nicht bis nach Hause. Ihr Einflussbereich beschränkt sich auf
eine begrenzte Zahl an Sitzungen. Über eine
Telerehabilitationsplattform können mit wenig Aufwand zusätzliche
Sitzungen eingefügt werden, was den Rehabilitationserfolg erhöht.“
Rentenversicherung erstattet Telerehabilitation
www.ambulanzpartner.de: In dem
Versorgungsnetzwerk für Patienten mit schwere
John ist derzeit in Gesprächen mit Kostenträgern, um die Pilotierung
neurologischen Erkrankungen arbeiten Ärzte,
der Plattform weiter voranzutreiben: „Die GKV ist an
Therapeuten und andere Versorgungspartner in
Präventionsszenarien interessiert, während die Rentenversicherung
einem virtuellen Team zusammen.
sich einen Einsatz im Kontext der rehabilitativen Nachsorge
Quelle: © www.ambulanzpartner.de
vorstellen kann.“ Schon einen Schritt weiter ist das Unternehmen
EvoCare, das in den letzten Jahren ebenfalls eine telemedizinische
Rehabilitationsplattform entwickelt hat. Im Juli 2014 hat die Fachklinik Johannesbad bekannt gegeben, dass die Deutsche
Rentenversicherung Bayern Süd künftig die Kosten für eine sechswöchige, bis zu 24 Therapieeinheiten umfassende
Telerehabilitation übernimmt, sofern eine stationäre oder ganztägig ambulante Rehabilitation vorausgegangen ist. Eine
entsprechende Zulassung durch die DRV Bayern Süd war bereits im Juli 2013 erfolgt.
Online-Plattform unter Einbeziehung der Heil- und Hilfsmittelversorger
Ähnlich innovativ ist das aus einem Förderprojekt des BMBF hervorgegangene Versorgungsnetzwerk AmbulanzPartner
Berlin. Das Konzept wurde an der Berliner Charité entwickelt. Ziel ist es, nach der Krankenhausentlassung alle an der
Versorgung von Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder anderen schweren neurologischen Erkrankungen
beteiligten Ärzte, Therapeuten und Versorgungspartner in einem virtuellen Team zu vernetzen. So kann die Hilfs- und
Heilmittelversorgung sowie die Medikamentenversorgung optimal koordiniert werden. Mittlerweile werden monatlich 20
Versorgungen mit Hilfsmitteln, Heilmitteln, Pflegeleistungen und Medikamenten über die Plattform abgewickelt. 144 Ärzt
nutzen das Angebot.
Es besteht aus zwei Komponenten: Eine elektronische Akte vernetzt Patienten, Apotheker, Ärzte und sozialmedizinische
Partner, die das Portal jeweils kostenfrei nutzen. Dazu kommt ein Koordinator, der als Ansprechpartner für alle Beteiligte
fungiert. Unternehmerische Akteure wie etwa die Heil- und Hilfsmittelversorger sind über ein Lizenzmodell eingebunden
über das die Dienstleistungen und die Internetplattform finanziert werden. Es handelt sich also um ein
kostenträgerunabhängiges Third-Party-Payer-Prinzip. Die Versorgungspartner beteiligen sich, weil sie Effizienzgewinne
realisieren und die Versorgungsqualität steigern. „Dieses Projekt gilt mittlerweile deutschlandweit als Beispiel für eine
erfolgreiche Plattformbildung an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus, Rehabilitationswesen und ambulanter
medizinischer Versorgung“, betont Management Berater Thomas Bade.
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