Venöse Malformation am Zungenrand - Ruhr

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Zahnmedizin
Differentialdiagnose vaskulärer Pathologien
Venöse Malformation am Zungenrand
Marcus Oliver Klein, Martin Kunkel
Fotos: Kunkel
Abb. 1:
Klinischer Aspekt
der Läsion, die den
rechten Zungenrand
deutlich auftreibt.
Die erkennbaren
Zahnimpressionen
verdeutlichen den
raumfordernden
Charakter der zu einer
Einengung des
Zungenraumes führt.
Abb. 2:
Intraoperativer Situs
nach partiellem Auslösen des
Tumors. Das Gebilde
hat keine Kapsel und
ist gegenüber der
Zungenmuskulatur
nicht klar abgegrenzt.
Ein 60-jähriger Patient stellte sich zur Beurteilung einer Raumforderung im Bereich
des rechten Zungenrandes vor. Ursprünglich war die Größe des Befundes mit zirka
15 x 15 Millimetern seit etwa 30 Jahren im
Wesentlichen unverändert geblieben, lediglich während Erkältungsepisoden sei
vorübergehend eine leichte Zunahme zu
beobachten gewesen. Aktuell hatte der Patient in den letzen sechs bis acht Wochen
nun eine geringe aber nach seiner Einschätzung kontinuierliche Größenprogredienz
bemerkt. Eine rund 25 Jahre zurückliegende
Probeexzision habe damals keinen pathologischen Befund ergeben.
Die klinische Untersuchung zeigte einen
prominenten, etwa kleinkirschgroßen, livide
verfärbten Tumor im Bereich des rechten
seitlichen Zungenrandes mit deutlichen
zm 95, Nr. 22, 16. 11. 2005, (3040)
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen den differentialdiagnostischen
Blick unserer Leser schulen.
Der Befund wurde in Intubationsnarkose
lokal exzidiert. Intraoperativ (Abb. 2) stellte
sich ein unregelmäßig begrenzter, bräunlicher Tumor dar, der gegen die Zungenmuskulatur keine eindeutige Begrenzung
beziehungsweise Kapselbildung aufwies.
Im Gewebeanschnitt zeigten sich mehrere
kalkdichte Konkremente, die vom Aspekt
her typischen Phlebolithen entsprachen
(Abb. 3). Die histopathologische Aufarbeitung des Gewebes (Abb. 4 a und b) zeigte
multiple, kommunizierende, teilweise sehr
ausgedehnte, dünnwandige venöse Gefäße, die jeweils mit Endothel ausgekleidet
waren. Hinweise auf eine echte Neoplasie
fanden sich nicht. Dieses Bild entspricht der
typischen Morphologie einer venösen Malformation.
Diskussion
Abb. 3: Im Gewebeanschnitt des Resektates
zeigt sich ein blutreicher Tumor mit nodulären
Verkalkungsstrukturen, die typischen Phlebolithen entsprechen.
Zahnimpressionen (Abb. 1). Der unter einem
geschlossenen Epithel liegende Tumor ließ
sich palpatorisch schwer gegen die Umgebung abgrenzen. Die Konsistenz war deutlich fester als das restliche Zungengewebe.
Die Zungenmotilität sowie das Geschmacksempfinden waren nicht beeinträchtigt.
Die venösen Malformationen gehören zu
den gefäßbezogenen Fehlbildungen des
Gesichts- und Halsbereiches. Sie werden
der Gruppe der anlagebedingten vaskulären Malformationen zugeordnet und
sind gegen die nicht anlagebedingten,
proliferierenden echten Neubildungen
abzugrenzen, zu denen die Hämangiome
gehören (Enjolras, 1997; Ernemann et al.,
2003). Diese Einteilung basiert auf einer
Klassifikation der International Society for
the Study of Vascular Anomalies (ISSVA) aus
dem Jahre 1996 und ist heute durchgehend
akzeptiert. Während die Hämangiome ganz
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Abbildung 4: Der histologische Befund (Färbung HE:
Originalvergrößerung A: 200x, B: 400x) zeigt in der Übersicht (A) schwammartige Formationen dysplastischer
Venen, die keine Abgrenzung gegenüber der Muskulatur
haben. Die Detailaufnahme (B) zeigt die endotheliale
Auskleidung der bluthaltigen Räume und das Fehlen eines
typischen Gefäßwandaufbaus.
heblichen, teilweise lebensbedrohlichen, funktionellen Einschränkungen (akute Verlegung
der Atemwege) sowie mit erheblichen ästhetischen Beeinträchtigungen für den Patienten einhergehen (Abb. 5). Bei jugendlichen
Patienten können Wachstumsbehinderungen des knöchernen
Gesichtsschädels die Folge sein.
Erwähnt werden muss auch die
Möglichkeit von Blutungskomplikationen, insbesondere bei Fehlbildungen mit hohem Blutfluss.
Für das Therapiekonzept ist die
korrekte Einordnung hinsichtlich
des Blutflusses (low-flow versus
high-flow) notwendig. Neben
der klinischen Beurteilung ist in
vielen Fällen eine B-Bild- beziehungsweise Duplexsonographie
richtungsweisend für die Diagnosestellung. Bei ausgedehnten Läsionen ist die MagnetresonanzTomographie die Bildgebungsmethode der Wahl. Zudem ist bei
arteriovenösen (high-flow) Malformationen eine angiographische Darstellung sinnvoll [Ernemann et al., 2002]. Während die
überwiegend Tumoren des Kindesalters
sind, die nach einer raschen Größenzunahme im ersten Lebensjahr in der Mehrzahl der Fälle eine Spontanregression erfahren, sind vaskuläre Malformationen in jedem Lebensalter anzutreffen. Eine spontane Rückbildung tritt bei vaskulären Malformationen nicht ein. Die oftmals sehr
großen Raumforderungen können mit er-
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zm 95, Nr. 22, 16. 11. 2005, (3042)
Fazit für die Praxis
■ Im Gegensatz zu den als echte Neoplasien zu betrachtenden Hämangiomen
sind vaskuläre Malformationen anlagebedingte Fehlbildungen. Sie können erhebliche, teilweise entstellende Ausmaße annehmen.
■ Bei einer Probebiopsie muss immer
mit der Möglichkeit einer starken Blutung gerechnet werden.
■ Kleine Veränderungen an der Oberfläche können unter Umständen die
„Spitze des Eisberges“ darstellen und
Ausläufer einer ausgedehnten Läsion mit
tiefen Anteilen sein.
Chance der spontanen Involution bei kindlichen Hämangiomen ohne Wachstumsdynamik und ohne funktionelle Beeinträchtigungen in ausgesuchten Fällen ein kontrolliertes Zuwarten rechtfertigt, erfordern
größere vaskuläre Malformationen regelmäßig individuelle zumeist interdisziplinäre
Therapieansätze, bestehend aus Größenreduktion durch Embolisationsverfahren und
nachfolgender chirurgischer Reduktion /
Entfernung des Restbefundes. Laserchirurgische Ansätze können eine ergänzende
Therapieoption darstellen.
Die geringe Größe und die gute Zugänglichkeit des hier vorgestellten singulären Befundes gestattete eine primäre und vollständige Entfernung ohne erwartbare Blutungskomplikationen. In jedem Fall ist auch
bei einem typischen klinischen Aspekt eine
histologische Aufarbeitung des Resektates
obligat.
Dr. Marcus Oliver Klein
Priv.-Doz. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie
Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
[email protected]
Abbildung 5: Klinischer Aspekt einer sehr
ausgedehnten venösen Malformation mit
entstellender Deformierung des Untergesichtes und Beteiligung der Halsweichgewebe.
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