coup d’Œil Interventionelle Behandlung einer lymphatischen Malformation – sicher und effektiv Torsten Willenberga, Iris Baumgartnera, Do Dai Doa, Patrik Dubachb, Christoph Zubler c, Jan Grallac Universitätsspital Bern a Schweizer Herz- und Gefässzentrum, Universitätsklinik für Angiologie b Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie c Departement für interventionelle und diagnostische Neuroradiologie Wir berichten über eine 53 Jahre alte Patientin, welche sich aufgrund einer zunehmenden Raumforderung im Halsbereich vorstellte. Die Läsion war drei Monate zu­ vor erstmals aufgefallen und seither progredient mit zunehmend störendem Druckgefühl. Eine Magnetreso­ nanztomographie sicherte die Diagnose einer makro­ zystären, lymphatischen Malformation (LM). Bei gut zugänglicher Läsion entschieden wir uns für die Sklero­ sierung der multilobulären LM mittels Applikation von Picibanil® (OK­432). Picibanil® ist ein Lysat aus durch Benzylpenicillin (Penicillin G) und Wasserstoffperoxid attenuiertem Streptococcus pyogenes. Das enthaltene Streptokokkentoxin induziert an der Injektionsstelle eine Immunreaktion mit aseptischer Entzündung, ver­ gleichbar mit einem Erysipel. Die Einwanderung von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen, NK­Zellen und T­Lymphozyten führt dabei zur Zerstörung des empfindlichen Endothels und Verklebung der lympha­ tischen Strukturen. Technisch wird Picibanil® nach Aspiration der Lymph­ flüssigkeit direkt intraläsional appliziert. Es bewirkt durch den Entzündungsprozess eine Schrumpfung des Gewebes und so die Rückbildung der Lymphzysten. Für die Sklerosierung bei unserer Patientin wurde eine kli­ nische Einheit (1 KE) Picibanil® entsprechend 0,1 mg Streptokokkenlysat unter Fluoreszenzkontrolle appli­ ziert. Abbildung 1 x zeigt den CT­Befund vor der Be­ A Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. handlung. Die Verlaufskontrolle drei Monate später be­ stätigt die komplette Regression (Abb. 2 x). Kommentar Lymphatische Malformationen treten als zystische Ver­ änderungen sowie als Lymphödem isoliert oder in Kombination mit anderen Gefäss­ und Weichteilanoma­ lien auf. Grundsätzlich zählt das primäre Lymphödem zu den kongenitalen Angiodysplasien, obwohl sich diese Begrifflichkeit im deutschsprachigen Raum bisher kaum durchgesetzt hat [1, 2]. Bei den zystischen Ver­ änderungen unterscheidet man mikro­ und makrozys­ tische Läsionen, in welchen sich Lymphe sammelt, die nicht drainiert werden kann. Ursache für die fehlende Drainage kann eine Aplasie oder Hypoplasie der ab­ führenden Lymphbahnen sein. Häufiger sind embryo­ logisch bedingte lokalisierte Dysplasien lymphatischen Gewebes (extratrunkale lymphatische Malformation) mit fehlender Verbindung zum abführenden Lymphsys­ tem. Am häufigsten werden malformierte Lymphzysten im Kopf­ und Halsbereich beobachtet. Im dargestellten Fall postulieren wir eine spontane Ge­ nese, welche durch eine Progredienz im Durchmesser über Monate symptomatisch wurde. Für das therapeu­ tische Vorgehen war neben der Sonographie und der B Abbildung 1 MR in koronarer (A) und axialer Schnittführung (B). Darstellung einer multilobulären, makrozystären lymphatischen Malformation zervikal rechts (gelber Pfeil). Schweiz Med Forum 2011;11(39):684–685 684 coup d’Œil A B Abbildung 2 Kontrolle drei Monate nach intraläsionaler Sklerosierung mit 0,1 mg Picibanil® ohne Hinweis für einen Rest- oder Rezidivbefund. Magnetresonanzuntersuchung keine weitere Untersu­ chung notwendig. Eine Präzisierung der Diagnose hin­ sichtlich Hypo­ und Aplasie kann durch die Darstellung des Lymphsystems mittels Lymphszintigraphie erfolgen. Selbstverständlich ist es wichtig, vor jeder Behandlung abzuklären, ob eine primäre Läsion im Sinne einer An­ giodysplasie vorliegt oder ob die Läsion sekundär, zum Beispiel auf einer raumfordernden Erkrankung, basiert. Eine systemisch hämodynamische Komponente im Sinne einer vermehrten kardialen Belastung ist beim Lymphödem nicht zu befürchten, allerdings kann die Anlageanomalie wiederholt zur Infektion und Sepsis führen, über deren Symptome die Patientin informiert sein sollte. Die Behandlungsindikation und Methode richten sich demnach nach lokalen Komplikationen und dem Lei­ densdruck der Patientin. Im Fallbeispiel war die Schwellung subjektiv zunehmend störend, eine Organ­ kompression lag noch nicht vor. Die konventionelle Kompressionstherapie ist ein wichtiger Bestandteil der konservativen Therapie, allerdings ist sie wie im vorge­ stellten Fall nicht in jeder Lokalisation praktikabel. Grundsätzlich sollte im Bereich der Extremitäten ein flachgestrickter Strumpf der Kompressionsklasse (II–III) nach Mass angepasst werden. Gewöhnliche rund­ gestrickte medizinische Kompressionsstrümpfe sind in der Regel unzureichend. Es gibt aber auch wie gezeigt gute Optionen für eine in­ vasive Behandlung. Eine chirurgische Sanierung kann in ausgewählten Fällen indiziert sein. Die Sklerothera­ pie mit Picibanil® stellt eine minimalinvasive Behand­ lung dar, welche idealerweise zur Verklebung der Lymphzyste führt [3]. Makrozystäre Läsionen lassen sich dabei besser behandeln als mikrozystische, bei de­ nen jede der kleinen Zysten separat sklerosiert werden muss und somit viele Sitzungen notwendig sind. Die Be­ handlung ist gut verträglich, die meisten Patienten ent­ wickeln vorübergehend subfebrile Temperaturen und lokale Entzündungszeichen, die mit Paracetamol pro­ blemlos kupiert werden können. Im geschilderten Fall reichte die einmalige Applikation von Picibanil® aus, um eine komplette Verklebung der Zyste zu erreichen. Korrespondenz: Dr. med. Torsten Willenberg Klinische und interventionelle Angiologie Inselspital CH-3014 Bern [email protected] Literatur 1 Lee BB, Laredo J, Lee TS, Huh S, Neville R. Terminology and classifi­ cation of congenital vascular malformations. Phlebology. 2007;22(6): 249–52. 2 Lee BB, Villavicencio JL. Primary lymphoedema and lymphatic mal­ formation: are they the two sides of the same coin? Eur J Vasc Endo­ vasc Surg. 2010;39(5):646–53. 3 Helmstaedter V, Quante G, Rot B, Huttenbrink KB, Wittekindt C. Be­ handlung lymphatischer Malformationen mit Lysat attenuierter Streptokokken (Picibanil/OK­432). Monatsschr Kinderheilkd. 2007; 155:1077–82. Schweiz Med Forum 2011;11(39):684–685 685