Kopf 9.1 9. Felsenbein und Ohr Übersicht und äußeres Ohr (Auris externa): Aufbau und Blutversorgung Canalis semicircularis lateralis Canalis semicircularis posterior Canalis semicircularis anterior Vestibulum N. vestibularis N. cochlearis Cochlea Malleus, Caput Felsenbein Stapes M. tensor tympani Cavitas tympani Tuba auditiva Membrana tympanica Incus Proc. styloideus Meatus acusticus externus a A Hör- und Gleichgewichtsorgan in situ a Frontalschnitt durch das rechte Ohr, Ansicht von ventral; b unterschiedliche Abschnitte des Hörorgans: äußeres Ohr (gelb), Mittelohr (türkis) und Innenohr (grün). In der Tiefe des Felsenbeinknochens liegen Hör- und Gleichgewichtsorgan. Beim Hörorgan unterscheidet man äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr (s. b). Die Schallwellen werden zunächst vom äußeren Ohr eingefangen (Ohrmuschel = Auricula, s. B ) und über den äußeren Gehörgang an das Trommelfell (Membrana tympanica) weitergeleitet, die Grenze zum Mittelohr. Das Trommelfell wird durch die Schallwellen in mechanische Schwingungen versetzt, die es über die Gehörknöchelchenkette im Mittelohr auf das ovale Fenster, die Grenze zum Innenohr, überträgt (s. S. 144). Die Schwingungen der Membran des ovalen Fensters versetzen eine Flüssigkeitssäule im Innenohr in Schwingungen, die dann ihrerseits Rezeptorzellen in Bewegung versetzt (s. S. 150). Die Umwandlung von Schallwellen in elektrische Impulse findet also erst im Innenohr, dem eigentlichen Hörorgan statt. Äußeres Ohr und Mittelohr werden daher auch im Gegensatz zum Innenohr als Schallleitungsapparat bezeichnet. Die Unterscheidung von äußerem Ohr, Mittel- und Innenohr ist wichtig, da die Ursache für eine Schwerhörigkeit in jedem dieser Bereiche liegen kann und jeweils unterschiedliche Therapien erfordert. b Beim Gleichgewichtsorgan, das im Innenohr liegt und im Anschluss daran besprochen wird, werden Bogengänge (Canales semicirculares) zur Wahrnehmung der Drehbeschleunigung sowie Sacculus und Utriculus zur Wahrnehmung der Linearbeschleunigung unterschieden. Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans führen zu Schwindel. 140 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Crura anthelicis Scapha Fossa triangularis Cymba conchae Meatus acusticus externus Helix A. temporalis superficialis Tragus Incisura intertragica Anthelix Antitragus Concha auriculae Rr. perforantes Aa. auriculares anteriores Lobus auriculae B Rechte Ohrmuschel Die Ohrmuschel (Auricula) schließt eine Knorpelplatte (Cartilago auriculae) ein und bildet auf diese Weise einen Schalltrichter. A. auricularis posterior A. carotis externa a M. auricularis superior (hinterer Teil des M. temporoparietalis) M. temporoparietalis M. helicis major M. helicis minor M. auricularis posterior Meatus acusticus externus M. antitragicus M. tragicus Rr. perforantes M. auricularis posterior arkadenförmige Anastomosen a A. auricularis posterior M. auricularis superior M. obliquus auriculae M. auricularis anterior M. transversus auriculae Meatus acusticus externus Ansätze des M. auricularis posterior b C Knorpel und Muskeln der Ohrmuschel a Ansicht von lateral auf die Außenfläche; b Ansicht von medial auf die Hinterfläche des rechten Ohres. Die Haut (hier entfernt!) liegt eng auf der aus elastischem Knorpel aufgebauten Cartilago auriculae auf (blaugrau dargestellt). Die Muskeln des Ohres gehören zur mimischen Muskulatur und werden wie diese vom N. facialis innerviert. Sie sind beim Menschen stark zurückgebildet und funktionslos. b A. carotis externa D Arterielle Versorgung der rechten Ohrmuschel Ansicht von lateral ( a ) und von hinten ( b). Die proximalen und medialen Teile der lateral gelegenen Vorderfläche des Ohres werden von den Aa. auriculares anteriores versorgt, die aus der A. temporalis superficialis (s. S. 59) entspringen. Die restlichen Abschnitte des Ohres werden von Ästen der A. auricularis posterior, einem Ast der A. carotis externa, versorgt. Die Gefäße anastomosieren gut miteinander, so dass Operationen in Bezug auf eine Blutmangelversorgung relativ unproblematisch sind. Die gut durchblutete Ohrmuschel trägt zur Temperaturregulation bei: Aufgrund dieser guten Durchblutung kann bei Weitstellung der Gefäße Wärme über die Hautoberfläche abgeführt werden. Da ein isolierendes Fettgewebe fehlt, kann es insbesondere im oberen Muscheldrittel zu Erfrierungen kommen. Lymphabfluss und Innervation der Ohrmuschel werden in der nächsten Lerneinheit besprochen. 141 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Äußeres Ohr: Ohrmuschel (Auricula), äußerer Gehörgang (Meatus acusticus externus) und Trommelfell (Membrana tympanica) 9.2 hinteres Territorium vorderes Territorium Nll. parotidei superficiales Meatus acusticus externus Nll. mastoidei (retroauriculares) Fascia parotidea Nll. parotidei profundi unteres Territorium V. jugularis interna Glandula parotidea A Ohrmuschel und äußerer Gehörgang: Lymphabfluss und regionale Lymphknotenstationen Rechtes Ohr, Ansicht von schräg-lateral. Die knorpelige Grundlage des Ohres und die Gefäßversorgung wurden in der vorigen Lerneinheit besprochen. Der Lymphabfluss der Ohrmuschel erfolgt über drei Territorien, die aber alle direkt oder indirekt in die seitlichen Halslymphknoten entlang der V. jugularis interna drainieren (Nll. cervicales laterales). Das untere Territorium drainiert direkt in die lateralen Halslymphknoten, das vordere zunächst in die parotidealen und das hintere zunächst in die mastoidalen Lymphknotenstationen. Nll. cervicales laterales N. facialis N. trigeminus, N. auriculotemporalis N. trigeminus, N. auriculotemporalis N. vagus u. N. glossopharyngeus N. vagus u. N. glossopharyngeus N. facialis a Plexus cervicalis, Nn. occipitalis minor u. auricularis magnus B Sensible Innervation der Ohrmuschel Rechtes Ohr, Ansicht von lateral ( a ) und dorsal ( b). Die Innervation der Ohrmuschelregion ist komplex, da sie an der entwicklungsgeschichtlichen Grenze zwischen Schlundbogennerven (Hirnnerven) und Ästen des Plexus cervicalis liegt. Von den Hirnnerven sind an der Innervation beteiligt: • N. trigeminus (V), • N. facialis (VII; welches Hautareal er sensibel versorgt, ist nicht abschließend geklärt), • N. glossopharyngeus (IX) und N. vagus (X). Von den Ästen des Plexus cervicalis sind beteiligt: b Plexus cervicalis, Nn. occipitalis minor u. auricularis magnus • N. occipitalis minor (C 2) und • N. auricularis magnus (C 2 , C 3). Beachte: Aufgrund der Beteiligung des N. vagus (R. auricularis, s. u.) an der Innervation des äußeren Gehörgangs kann es bei dessen mechanischer Reinigung (entweder durch Einführen eines Ohrtrichters oder bei Spülungen des Gehörganges) zu Husten und Brechreiz kommen. Der R. auricularis n. vagi gelangt durch den Canaliculus mastoideus sowie über einen Spalt zwischen Proc. mastoideus und Pars tympanica (Fissura tympanomastoidea, s. S. 23) zum äußeren Ohr bzw. zum äußeren Gehörgang. Die sensiblen Fasern des N. glossopharyngeus verlaufen über den R. communicans cum nervo vagi zum äußeren Gehörgang. 142 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Malleus Gll. sebaceae u. ceruminosae Incus Lig. mallei laterale Meatus acusticus externus osseus Stapes Manubrium mallei Meatus acusticus externus cartilagineus Membrana tympanica C Äußerer Gehörgang, Trommelfell und Paukenhöhle Rechtes Ohr, Frontalschnitt; Ansicht von ventral. Das Trommelfell (Membrana tympanica, s. E ) bildet den Abschluss des äußeren Gehörgangs (Meatus acusticus externus) gegen die Paukenhöhle, die bereits zum Mittelohr gehört (s. S. 144). Der S-förmig gekrümmte äußere Gehörgang (s. D ) ist etwa 3 cm lang und hat einen mittleren Durchmesser von 0,6 cm. Im Anfangsteil ist seine Wand durch elastischen Knorpel verstärkt (Meatus acusticus externus cartilagineus), im inneren Teil wird die knöcherne Wand von der Pars tympanica ossis temporalis gebildet (Meatus acusticus externus osseus). Vor allem im knorpeligen Abschnitt des äußeren Gehörganges liegen unter dem verhornten mehrschichtigen Plattenepithel zahlreiche Talg- und Zeruminaldrüsen (Gll. sebaceae und ceruminosae). Die Zeruminaldrüsen produzieren ein dünnflüssiges Sekret, das zusammen mit dem Talg und abgestoßenen Epithelzellen das sog. „Ohrschmalz“ (Cerumen) bildet. Es dient einerseits als Schutz (Eindringen von Fremdkörpern) und verhindert andererseits das Austrocknen des Epithels. Durch Aufquellen (Wasser im Gehörgang nach dem Schwimmen) kann es den Gehörgang verstopfen (Cerumen obturans). Die Folge ist eine vorübergehende Schwerhörigkeit. Incisura tympanica Prominentia mallearis Trommelfell Stria membrana tympani posterior Pars flaccida Stria membrana tympani anterior Incus Stapes a b IV I Umbo Caput mandibulae Os tympanicum c D Krümmung des äußeren Gehörganges Rechtes Ohr, Ansicht von frontal ( a ) und horizontal ( b). Vor allem im knorpeligen Anteil verläuft der äußere Gehörgang gekrümmt. Die Kenntnis dieser Krümmung ist in der Praxis außerordentlich bedeutsam: Bei der Inspektion des Trommelfells mit dem Otoskop muss die Ohrmuschel nach hinten oben gezogen werden, so dass der knorpelige Anteil des Gehörganges gestreckt wird. Dadurch wird der Gehörgang gerade ausgerichtet und der Trichter des Otoskops kann eingeführt werden ( c ). Beachte die Nachbarschaftsbeziehung der knorpeligen Vorderwand des äußeren Gehörganges mit dem Kiefergelenk. Führt man z. B. den kleinen Finger in den äußeren Teil des Gehörganges, kann man die Bewegung des Caput mandibulae spüren. Pars tensa Stria mallearis III II Lichtreflex E Trommelfell (Membrana tympanica) Rechtes Trommelfell, Ansicht von außen. Das gesunde Trommelfell hat eine perlgraue Farbe, ist rundoval mit einer mittleren Fläche von etwa 75 mm 2. Man unterscheidet einen kleinen schlaffen Abschnitt, die Pars flaccida (Shrapnell-Membran) und den größeren gespannten Teil, die Pars tensa, die in der Mitte trichterförmig zum Nabel (Umbo membranae tympanicae) eingezogen ist. Der Umbo bildet das untere Ende des mit der Innenseite des Trommelfells verwachsenen Hammergriffs. Er schimmert als heller Streifen (Stria mallearis) durch die Pars tensa hindurch. Das Trommelfell wird im Uhrzeigersinn in vier Quadranten eingeteilt (I: vorne oben, II: vorne unten, III: hinten unten und IV: hinten oben). Die Einteilung erfolgt entlang der Stria mallearis und einer Senkrechten darauf (Schnittpunkt ist der Umbo). Sie ist klinisch wichtig, da sie der Beschreibung der Lokalisation von krankhaften Veränderungen dient. Zur Funktion des Trommelfells s. S. 140 u. 146. Bei einem normalen Trommelfell entsteht im vorderen, unteren Quadranten durch das eintreffende Licht ein dreieckiger Lichtreflex, dessen Lage Rückschlüsse auf die Trommelfellspannung zulässt. 143 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Mittelohr (Auris media): Paukenhöhle (Cavitas tympani) und Ohrtrompete (Tuba auditiva) 9.3 Tuba auditiva Cavitas tympani A. carotis interna Malleus Cochlea Incus Canalis semicircularis anterior N. facialis N. cochlearis Meatus acusticus externus N. vestibularis Canalis semicircularis lateralis Vestibulum Aquaeductus cochleae Cellulae mastoideae Saccus endolymphaticus Canalis semicircularis posterior Auricula A Ausdehnung und Verbindungen des Mittelohres Rechtes Felsenbein, Ansicht von kranial. Das Mittelohr (türkis) liegt im Felsenbein zwischen äußerem Ohr (gelb) und Innenohr (grün). In der Cavitas tympani des Mittelohrs befindet sich die Gehörknöchelchenkette, von der hier Hammer (Malleus) und Amboss (Incus) zu sehen sind. Die Cavitas tympani hat nach ventral über die Tuba auditiva Verbindung zum Rachen, nach dorsal steht es in Verbindung mit den Zellen des Mastoids (Cellulae mastoideae). Keime aus dem Rachen können daher bis in die Zellen des Mastoids vordringen und dort schwere Entzündungen hervorrufen (s. C ). Sinus sigmoideus Aditus ad antrum mastoideum Malleus Incus Chorda tympani M. tensor tympani N. petrosus minor N. facialis Prominentia canalis semicircularis lateralis Prominentia canalis facialis Stapes Ansatzsehne, M. stapedius Membrana tympanica Meatus acusticus externus B Wände der Paukenhöhle (Cavitas tympani) Ansicht von ventral, ventrale Wand entfernt. Die Paukenhöhle ist ein leicht schräg gestellter Raum mit sechs Wänden: • laterale Wand (Paries membranaceus): Grenze zum äußeren Ohr, wird zum größten Teil vom Trommelfell gebildet; • mediale Wand (Paries labyrinthicus): Grenze zum Innenohr; besonders auffällig ist die Vorwölbung der basalen Schneckenwindung (Promontorium); Promontorium Plexus tympanicus N. tympanicus • untere Wand (Paries jugularis): bildet den Boden der Paukenhöhle und grenzt an den Bulbus v. jugularis; • hintere Wand (Paries mastoideus): grenzt an die Cellulae mastoideae des Proc. mastoideus, die über den Aditus ad antrum mastoideum erreicht werden; • obere Wand (Paries tegmentalis): bildet das Dach der Paukenhöhle; • vordere Wand (Paries caroticus, hier entfernt): beinhaltet die Tubenöffnung und grenzt an den Canalis caroticus. 144 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf Canalis semicircularis anterior Paries tegmentalis 9. Felsenbein und Ohr Ganglion geniculi Canalis semicircularis posterior N. facialis N. petrosus major Canalis semicircularis lateralis N. petrosus minor Fenestra vestibuli Semicanalis m. tensoris tympani Canalis facialis A. carotis interna Sinus sigmoideus Tuba auditiva Paries labyrinthicus Plexus caroticus internus Paries mastoideus Cellulae mastoideae Paries caroticus Chorda tympani Paries jugularis N. facialis Fossula fenestrae cochleae Plexus tympanicus C Paukenhöhle: Klinisch wichtige Nachbarschaftsbeziehungen Schräger Sagittalschnitt; Sicht von lateral auf den Paries labyrinthicus, vgl. B. Die Nachbarschaftsbeziehungen haben klinisch v. a. bei schweren eitrigen Mittelohrentzündungen (Otitis media) eine Bedeutung, da die Keime sich in die benachbarten Gebiete ausbreiten können, z. B. durch den Paries tegmentalis nach oben in die mittlere Schädelgrube (z. B. Me- V. jugularis interna N. tympanicus ningitis, Hirnabszesse v. a. des Temporallappens); über die pneumatisierten Räume in den Proc. mastoideus (Mastoiditis) bzw. in den Sinus sigmoideus (Sinusthrombose); über die pneumatisierten Zellen der Pyramidenspitze in den Liquorraum mit der Folge einer Abduzenslähmung, der Reizung des N. trigeminus sowie Sehstörungen (Gradenigo-Syndrom) sowie in den Canalis facialis mit der Folge einer Fazialisparese. A. carotis interna Tuba auditiva, Pars ossea Sinus sphenoidalis Membrana tympanica Meatus nasi superius Tonsilla pharyngealis Meatus nasi medius M. tensor veli palatini Tuba auditiva, Pars cartilaginea Meatus nasi inferior Ostium pharyngeum tubae auditoriae Tuba auditiva, Lamina membranacea M. levator veli palatini D Ohrtrompete (Tuba auditiva) Sicht von medial auf die rechte Kopfhälfte. Die Tube stellt eine offene Verbindung zwischen Mittelohr und Rachen her. Sie besteht aus einem knöchernen (æße) und einem knorpeligen Teil (Ùße). Der knöcherne Teil (Pars ossea) liegt im Felsenbein, der knorpelige (Pars cartilaginea) setzt sich bis zum Pharynx fort, wobei er sich vorne trichterförmig – wie eine Trompete – erweitert. Dabei bildet er eine Art Haken (Hamulus), an dem ein membranöser Teil ansetzt (Lamina membranacea), der zum Pharynx hin zunimmt. Oberhalb dieses Hakens bleibt eine permanente Öffnung, das sog. Sicherheitsrohr: Es garantiert eine konstante Belüftung des Mittelohrs. Darüber hinaus öffnet sich die Tuba audivita bei jedem Schluckakt. Durch diese Belüftung findet ein Druckausgleich zwischen Luftdruck im Mittelohr und Luftdruck in der Umgebung statt. Er ist es- M. salpingopharyngeus sentiell für die normale Beweglichkeit des Trommelfells, ohne die es zur Schwerhörigkeit kommt. Die Öffnung der Tube erfolgt durch die Muskeln des Gaumensegels (Mm. tensor veli und levator veli palatini) sowie durch den M. salpingopharyngeus, einen Teil des oberen Schlundmuskels. Die Fasern des M. tensor veli palatini, die an der Lamina entspringen, spielen dabei eine besondere Rolle: Wenn der M. tensor veli palatini beim Schlucken das Gaumensegel spannt, ziehen seine Fasern gleichzeitig an der Lamina membranacea und öffnen dadurch die Ohrtrompete. Innen ist die Tube mit respiratorischem Flimmerepithel ausgekleidet, dessen Zilien sich in Richtung Pharynx bewegen und so Keime von der Paukenhöhle im Mittelohr fernhalten. Wenn dieser unspezifische Schutzmechanismus versagt, können Keime aufwärts wandern und eine eitrige Mittelohrentzündung hervorrufen (vgl. C ). 145 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Mittelohr: Gehörknöchelchenkette 9.4 Caput mallei Gelenkfläche für den Incus Collum mallei Proc. lateralis Collum mallei Proc. lateralis Manubrium mallei a Proc. anterior b Corpus incudis Corpus incudis Gelenkfläche für den Malleus Crus breve c Crus breve Crus longum d Proc. lenticularis Caput stapedis Stapes Fenestra vestibuli mit Lig. anulare stapedis Membrana tympanica Cavum tympani a Proc. pyramidalis Fenestra vestibuli mit Lig. anulare stapedis Stapediussehne c b Malleus Crus anterius e Basis stapedis Fenestra vestibuli Caput mallei Collum mallei Crus breve Proc. anterior Corpus incudis Art. incudostapedialis Manubrium mallei Crus posterius g Incus Bewegungsachse Art. incudomallearis Crus anterius Basis stapedis A Gehörknöchelchen Dargestellt sind die Gehörknöchelchen des linken Ohres. Drei hintereinander geschaltete Knöchelchen bilden die Gehörknöchelchenkette (zur Funktion s. B). Sie schafft eine gelenkige Verbindung zwischen Trommelfell und ovalem Fenster (Fenestra vestibuli) und besteht aus: • Hammer (Malleus), • Amboss (Incus) und • Steigbügel (Stapes). a u. b c u. d e u. f g Incus Collum stapedis Crus posterius f Malleus Hammer: Ansicht von hinten und von vorne; Amboss: Ansicht von medial sowie von vorne und von der Seite; Steigbügel: Ansicht von oben und von medial; Gehörknöchelchenkette in der Aufsicht von medial. Beachte die gelenkige Verbindung zwischen Hammer und Amboss (Art. incudomallearis) sowie zwischen Amboss und Steigbügel (Art. incudostapedialis). d Stapes B Funktion der Gehörknöchelchenkette Ansicht von frontal. a Schallwellen, d. h. periodische Druckschwankungen der Luft, versetzen das Trommelfell in Schwingungen. Über die Gehörknöchelchenkette werden die Schwingungen des Trommelfells und somit die Schallwellen über das ovale Fenster (Fenestra vestibuli) auf ein wässriges Medium (Perilymphe) übertragen. Während der Wellenwiderstand in der Luft gering ist, ist er in der Innenohrflüssigkeit (Perilymphe) hoch. Deshalb ist eine Verstärkung der Schallwellen erforderlich (sog. Impedanzwandlung). Eine 17-fache Verstärkung erfolgt durch den Größenunterschied von Flächen (Verhältnis der Fläche des Trommelfells zur Fläche des ovalen Fensters), eine weitere durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchenkette (1,3-fach). Insgesamt wird der Schalldruck damit 22-fach verstärkt. Fällt die Schalldruck-Transformation vom Trommelfell zur Steigbügelfußplatte aus, kommt es zu einer Schallleitungsschwerhörigkeit (Hörverlust von ca. 20 dB). b u. c Durch den Schalldruck auf das Trommelfell verschiebt sich die Gehörknöchelchenkette. Dies führt zu einer Kippbewegung des Steigbügels ( b Normallage, c gekippte Stellung). Die Bewegung des Steigbügels auf der Membran des ovalen Fensters (Membrana stapedialis) führt dann zu einer Wellenbewegung der Flüssigkeitssäule im Innenohr. d Die Abfolge der Bewegungen der Knöchelchenkette sind insgesamt Pendelbewegungen (die Bewegungsachse ist durch eine gestrichelte Linie markiert, die Bewegungsrichtung durch Pfeile). Die Beweglichkeit der Gehörknöchelchenkette wird durch zwei Muskeln beeinflusst: M. tensor tympani und M. stapedius (s. c). 146 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf Lig. incudis posterius 9. Felsenbein und Ohr Lig. incudis superius und Lig. mallei superius Incus Art. incudomallearis Lig. anulare stapedis Malleus Sehne des M. tensor tympani Membrana stapedialis M. tensor tympani Art. incudostapedialis A. carotis interna Proc. pyramidalis Fissura petrotympanica M. stapedius Lig. mallei anterius A. stylomastoidea Chorda tympani N. facialis A. tympanica posterior Chorda tympani Membrana tympanica C Gehörknöchelchenkette in der Paukenhöhle (Cavitas tympani) Sicht von lateral auf das rechte Ohr. Die Gelenke und der sie sichernde Bandapparat werden sichtbar. Zusätzlich erkennt man die beiden Muskeln des Mittelohrs, den M. stapedius und den M. tensor tympani. Der M. stapedius (Innervation: R. stapedius n. facialis) setzt am Steigbügel an. Bei seiner Kontraktion wird die Schallleitungskette versteift und die Schallübertragung auf das Innenohr verringert. Diese Filterfunktion soll insbesondere bei hohen Tönen von Bedeutung sein („Hochpassfilter“). Beschallt man das Mittelohr über eine im äußeren Gehörgang liegende Proc. anterior mallei Sonde, kann man aufgrund der Impedanzänderung (Verstärkung der Schallwellen) die Funktion dieses Muskels messen (Stapediusreflexprüfung). Der M. tensor tympani (Innervation: N. pterygoideus medialis n. trigemini) versteift bei seiner Kontraktion das Trommelfell und vermindert somit ebenfalls die Schallübertragung. Beide Muskeln kontrahieren sich reflektorisch bei lauten Schallreizen. Beachte: Die Chorda tympani, die die Geschmacksfasern für die vorderen Ùße der Zunge enthält, zieht ohne Knochenschutz durch das Mittelohr (Gefahr der Schädigung bei Operationen). Epitympanon Incus Plica mallearis superior Chorda tympani Stapediussehne Stria mallearis Umbo A. tympanica anterior Stapes Malleus Lig. mallei laterale Recessus membranae tympani superior Prominentia mallearis Membrana tympanica D Schleimhautüberzug der Paukenhöhle Ansicht von hinten-außen (Trommelfell teilweise entfernt). Paukenhöhle und darin liegende Strukturen (Gehörknöchelchenkette, Muskelsehnen, Nerven) sind von einer Schleimhaut bedeckt, die Falten und Buchten um die von ihr eingefassten Strukturen bildet. Das Epithel ist größtenteils einschichtig isoprismatisch, daneben finden sich Areale mit Flimmerepithel und Becherzellen. Da die Paukenhöhle über die Tuba auditiva direkten Zugang zur Atemluft hat, wird sie auch als spezialisierte Nasennebenhöhle angesehen. Ähnlich wie bei den Nasennebenhöhlen, finden im Bereich der Paukenhöhle häufig Infektionen statt (Mittelohrentzündungen). Incus Sehne des M. tensor tympani Malleus Meatus acusticus externus Membrana tympanica Mesotympanon Hypotympanon Tuba auditiva E Klinisch wichtige Etagen der Paukenhöhle Man teilt die Paukenhöhle in Bezug auf die Lage eines bestimmten Abschnitts zum Trommelfell in drei Etagen: • Epitympanon (Recessus epitympanicus, Kuppelraum, Attikus), oberhalb des Trommelfells; • Mesotympanon, auf Höhe des Trommelfells; • Hypotympanon (Recessus hypotympanicus), unterhalb des Trommelfells. Das Epitympanon ist mit den Mastoidzellen verbunden, das Hypotympanon mit der Tube. 147 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9.5 9. Felsenbein und Ohr Innenohr (Auris interna): Übersicht Ductus semicircularis lateralis Ductus semicircularis posterior Ductus semicircularis anterior Canalis semicircularis anterior Porus acusticus internus Os temporale, Pars petrosa Dura mater encephali Saccus endolymphaticus Cochlea Cristae ampullares 45° Aquaeductus vestibuli Canalis semicircularis lateralis 90° Utriculus Macula untriculi Fenestra vestibuli 45° Macula sacculi Stapes Sacculus Fenestra cochleae Canalis semicircularis anterior Canalis semicircularis posterior N. facialis, N. vestibulocochlearis a Cochlea Canalis semicircularis posterior Ductus reuniens Canalis semicircularis anterior Ductus perilymphaticus Scala tympani Helicotrema Scala vestibuli Os temporale, Pars squamosa Ductus cochlearis Vestibulum A Schema des Innenohrs (Auris interna) Das Innenohr (Auris interna) liegt im Innern des Felsenbeins (s. B ) und enthält das Hör- und das Gleichgewichtsorgan (s. S. 150 ff). Es besteht aus einem häutigen oder membranösen Labyrinth (Labyrinthus membranaceus), das von einem analog geformten knöchernen Hohlraumsystem (knöchernes Labyrinth = Labyrinthus osseus) umgeben ist. Zum Hörorgan gehört das kochleäre Labyrinth mit dem membranösen Schneckengang (Ductus cochlearis), der zusammen mit seiner knöchernen Hülle die Gehörschnecke (Cochlea) bildet. Es enthält das Sinnesepithel des Hörorgans (Corti-Organ). Zum Gleichgewichtsorgan gehört das vestibuläre Labyrinth mit drei Bogengängen (Ductus semicirculares) sowie einem Sacculus und einem Utriculus, von denen jeder ein Sinnesepithel enthält. Während die membranösen Bogengänge einzeln von einer knöchernen Hülle (Canales semicirculares) umschlossen werden, liegen Utriculus und Sacculus gemeinsam in einer Knochenkapsel, dem Vestibulum. Der Hohlraum des knöchernen Labyrinths ist mit Perilymphe gefüllt (Perilymphraum, beige), deren Zusammensetzung einem Ultrafiltrat des Blutes entspricht. Der Perilymphraum ist durch den Aquaeductus cochleae (= Ductus perilymphaticus) mit dem Subarachnoidalraum verbunden; er endet an der Hinterfläche der Pars petrosa unterhalb des Porus acusticus internus. Das häutige Labyrinth „schwimmt“ sozusagen im knöchernen Labyrinth, mit dem es durch Bindegewebsfasern locker verbunden ist. Es ist mit Endolymphe gefüllt (Endolymphraum, blaugrün), deren Ionenzusammensetzung der des Zellinneren entspricht. Der Endolymphraum von Hör- und Gleichgewichtsorgan kommuniziert über den Ductus reuniens untereinander und über den Aquaeductus vestibuli (Ductus endolymphaticus) mit dem Saccus endolymphaticus, eine an der Felsenbein-Hinterfläche gelegene, epidurale Aussackung, in der die Endolymphe resorbiert wird. Cochlea Frankfurter Horizontale 30° Canalis semicircularis lateralis b Proc. mastoideus Porus acusticus externus B Projektion des Innenohrs auf den knöchernen Schädel a Ansicht von kranial auf die Pars petrosa des Schläfenbeins; b Ansicht von rechts-lateral auf die Pars squamosa des Felsenbeins. Die Spitze der Schnecke (Cochlea) zeigt nach lateral vorne und nicht wie man intuitiv annimmt nach oben. Die knöchernen Bogengänge (Canales semicirculares) sind etwa in einem Winkel von 45° zu den Hauptebenen des Kopfes (frontal, horizontal, sagittal) angeordnet (wichtig zur Orientierung bei der Betrachtung von Feinschicht-Computertomogrammen des Felsenbeins). Beachte: Die Lage der Bogengänge ist bei der thermischen Funktionsprüfung des Vestibularapparates klinisch von Bedeutung. Der laterale (horizontale) Bogengang ist nach vorn kranial um 30° gekippt (s. b). Wenn der Kopf beim liegenden (!) Patienten um 30° angehoben wird, steht der horizontale Bogengang senkrecht. Da warme Flüssigkeiten nach oben steigen, kann durch Spülung des Gehörgangs mit warmen (44 °C) oder kälterem (30 °C) Wasser (in Bezug auf die normale Körpertemperatur) eine thermische Strömung in der Endolymphe des Bogengangs erzeugt werden, die zu einem vestibulären Nystagmus (ruckartige Augenbewegungen, vestibulookulärer Reflex) führt. Da bei Kopfbewegungen immer beide Vestibularapparate erregt werden, ist die thermische Prüfung die einzige Methode, die Vestibularapparate getrennt auf ihre Funktion zu prüfen (wichtig bei Schwindel unklarer Ursache). 148 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf Ductus semicircularis anterior N. ampullaris anterior Ganglion vestibulare, Pars superior 9. Felsenbein und Ohr N. vestibularis N. facialis Aquaeductus vestibuli Ganglion vestibulare, Pars inferior Dura mater R. communicans cochlearis Saccus endolymphaticus N. intermedius N. ampullaris lateralis N. cochlearis Crus commune N. utricularis N. saccularis N. ampullaris posterior Ductus semicircularis lateralis Modiolus Ductus semicircularis posterior Ganglion spirale cochleae Ampulla posterior Fenestra vestibuli Fenestra cochleae C Innervation des häutigen Labyrinths Rechtes Ohr, Ansicht von frontal. Die afferenten Impulse der Rezeptororgane von Utriculus, Sacculus und Bogengängen (also des Gleichgewichtsorgans ) werden zunächst über dendritische (periphere) Fortsätze zum zweigeteilten Ganglion vestibulare (Pars superior und inferior) geleitet, das die Perikarya der afferenten Neurone (bipolare Ganglienzellen) enthält. Ihre zentralen Fortsätze bilden den N. vestibularis, der zusammen mit dem N. cochlearis durch den Meatus acusticus internus und den Kleinhirnbrückenwinkel zum Hirnstamm zieht. N. petrosus major Die afferenten Impulse aus den Rezeptororganen der Cochlea (also des Hörorgans ) werden zunächst über dendritische (periphere) Fortsätze zu den Spiralganglien (Ganglia spiralia) geleitet, die die Perikaryen der bipolaren Ganglienzellen enthalten. Sie liegen im zentralen knöchernen Kern der Schnecke (Modiolus). Ihre zentralen Fortsätze bilden den N. cochlearis, der sich mit dem N. vestibularis zum N. vestibulocochlearis verbindet. Beachte auch den mitangeschnittenen N. facialis mit seinen parasympathischen Fasern (N. intermedius) im inneren Gehörgang (s. D). D Ein- bzw. Austritt der Hirnnerven aus dem rechten Meatus acusticus internus Ansicht von schräg dorsal auf den Fundus meatus acustici interni. Der etwa 1 cm lange innere Gehörgang beginnt mit dem Porus acusticus internus an der Hinterwand des Felsenbeins. Er enthält Ganglion geniculi Crista transversa N. facialis • den N. vestibulochochlearis mit seinem kochleären und vestibulären Anteil, • den deutlich dünneren N. facialis mit seinen parasympathischen Fasern (N. intermedius) sowie • die A. und V. labyrinthi (nicht dargestellt). N. intermedius A. carotis interna N. cochlearis N. vestibularis N. sacculoampullaris N. utriculoampullaris N. ampullaris posterior Die enge Nachbarschaft von N. vestibulochochlearis und N. facialis im knöchernen Kanal bedingt, dass es bei einem Tumor des N. vestibulocochlearis (sog. Akustikusneurinom) durch Kompression des N. facialis zu peripheren Fazialislähmungen kommen kann (s. auch S. 79). Akustikusneurinome sind gutartige Tumoren, die von den Schwann-Zellen der Vestibularisfasern ausgehen, daher bezeichnet man sie korrekt als Vestibularis-Schwannome (s. auch S. 82). Das Tumorwachstum beginnt immer im inneren Gehörgang und kann sich bei zunehmender Größe in Richtung Kleinhirnbrückenwinkel ausdehnen, daher auch die häufig benutzte Bezeichnung „Kleinhirnbrückenwinkeltumor“. Eine akute einseitige Funktionsstörung des Innenohrs mit Schwerhörigkeit (Hörsturz) und häufig begleitendem Tinnitus wird u. a. in Zusammenhang mit einer vaskulären Genese (Vasospasmus der A. labyrinthi mit nachfolgender Durchblutungsstörung) gebracht. 149 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Innenohr: Hörorgan 9.6 Modiolus N. petrosus major Scala vestibuli N. petrosus minor Helicotrema Stria vascularis N. cochlearis Cavitas tympani N. cochlearis N. vestibularis Membrana tectoria Ganglion spirale N. facialis Lig. spirale Lamina spiralis ossea Chorda tympani Meatus acusticus internus a Ductus cochlearis Limbus laminae spiralis Ganglion geniculi Cochlea ReissnerMembran Corti-Organ Scala tympani b Os petrosum Basilarmembran Bogengänge ReissnerMembran Scala vestibuli Lig. spirale Nuel-Raum innere Haarzelle Limbus spiralis Ductus cochlearis Lamina spiralis ossea Stria vascularis Membrana tectoria äußere Haarzellen Ganglion spirale Basilarmembran A Lage und Aufbau der Cochlea a Querschnitt durch die Schnecke im Felsenbein; b die drei Stockwerke des Schneckenkanals; c Kochleawindung mit Hörorgan. Der knöcherne Schneckenkanal (Canalis spiralis cochleae) ist beim Erwachsenen ca. 30–35 mm lang. Er windet sich etwa 2½ mal um seine knöcherne Achse, den Modiolus, der von verzweigten Hohlräumen durchsetzt ist und das Ganglion spirale (Perikarya der afferenten Neurone) enthält. Die Basis der Schnecke ist dem inneren Gehörgang zugewendet (a). Ein Querschnitt durch den Schneckenkanal zeigt drei membranöse Kompartimente, die stockwerkartig angeordnet sind (b): oben und unten jeweils einen mit Perilymphe gefüllten Raum, die Scala vestibuli und die Scala tympani, sowie in der Mitte den mit Endolymphe gefüllten Ductus cochlearis. Während die Perilymphräume an der Schneckenspitze durch das Schneckenloch (Helicotrema) miteinander in Verbindung stehen, endet der Endolymphraum an der Spitze blind. Der im Querschnitt dreieckige Ductus cochlearis wird von der Scala vestibuli durch die Reissner-Membran, von der Scala tympani durch die Basilarmembran getrennt. Die Basilarmembran entspringt einem knöchernen Vorsprung des Modiolus (Lamina spiralis ossea) und wird von der Schneckenba- Sulcus spiralis internus Corti-Tunnel Knochenwand Scala tympani c sis zur Schneckenspitze kontinuierlich breiter. Hohe Frequenzen (bis zu 20 000 Hz) werden an den schmalen, tiefe Frequenzen (bis etwa 200 Hz) an den breiteren Abschnitten der Basilarmembran wahrgenommen (Tonotopie); vereinfacht ausgedrückt: unterschiedliche Frequenzen (Töne) werden an unterschiedlichen Orten (topisch) registriert! Basilarmembran und Lamina spiralis ossea bilden somit den Boden des Ductus cochlearis, auf dem das eigentliche Hörorgan, das Corti-Organ, liegt. Es ist aus einem System von Sinnes- und Stützzellen aufgebaut, über denen die Tektorialmembran (Membrana tectoria) liegt, ein zellfreies, gallertartiges Gebilde. Die Sinneszellen (innere und äußere Haarzellen) sind die Rezeptoren des Corti-Organs (c) und besitzen apikal etwa 50–100 Stereozilien. An ihrer basalen Seite bilden sie Synapsen mit den Endigungen afferen- ter und efferenter Neurone. Sie sind in der Lage, mechanische Energie in elektrochemische Potentiale umzuwandeln (s. u.). In dem vergrößerten Ausschnitt aus einer Cochlea-Windung ( c ) ist jetzt auch die Stria vascularis zu sehen, ein mit Blutgefäßen durchzogenes Epithel, in dem die Endolymphe gebildet wird. Mit dieser Endolymphe ist das häutige Labyrinth (hier der Ductus cochlearis, ein Teil dieses Labyrinths) gefüllt. Das Corti-Organ liegt der Basilarmembran auf. In ihm werden die Schwingungen der Wanderwelle in elektrische Impulse umgewandelt, die dann mit dem N. cochlearis in das Gehirn geleitet werden. Die prinzipielle Zelle der Signaltransduktion ist die innere Haarzelle. Sie wandelt die Schallwelle, die ihr über die Basalmembran zugeleitet wird, in Impulse um, die wiederum vom Ganglion cochleare aufgenommen und weitergeleitet werden. 150 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf Malleus 9. Felsenbein und Ohr Incus Stapes Fenestra vestibuli Wanderwelle Scala vestibuli Stapes Lig. anulare stapedis Fenestra vestibuli Fenestra cochleae Fenestra cochleae Basilarmembran Basilarmembran Membrana tympani a B Zusammenwirken von Mittel- und Innenohr bei der Hörwahrnehmung (rechte Seite) a Schallübertragung vom Mittel- zum Innenohr: Der Schall wird mit dem Trommelfell aufgenommen und über die Gehörknöchelchenkette zum ovalen Fenster (Fenestra vestibuli) geleitet. Dessen Membran wird durch den Schalldruck in Schwingungen versetzt, die über die Perilymphe auf die Basilarmembran des Innenohres (s. b) übertragen werden. Das runde Fenster (Fenestra cochlea) dient dem Druckausgleich. innere Haarzelle Lamina tectoria Scala tympani b b Entstehung der Wanderwelle in der Cochlea: Die Schallwelle beginnt am ovalen Fenster (Fenestra vestibuli), läuft dann die Scala vestibuli aufwärts bis zur Schneckenspitze („Wanderwelle“). Die Amplitude der Wanderwelle verstärkt sich in ihrem Verlauf in Abhängigkeit von der Schallfrequenz und erreicht an definierten Orten ihr Amplitudenmaximum (hier stark überhöht dargestellt). An dieser Stelle werden die Rezeptoren des Corti-Organs erregt, hier findet die Signaltransduktion statt. Um diesen Prozess zu verstehen, muss man zunächst den Aufbau des Corti-Organs (= Hörorgan im engeren Sinne) kennen, der in der nächsten Abbildung geschildert wird. Abscherung der Stereozilien Stereozilien Auslenkung a afferente Hörnervfasern äußere Haarzelle Lamina basilaris C Corti-Organ in Ruhe (a) und während des Ausschlags einer Wanderwelle (b) Die Wanderwelle wird durch die Schwingungen des ovalen Fensters erzeugt (vgl. Bb ). An einem für jede Schallfrequenz typischen Ort kommt es zu einer maximalen Auslenkung der Basilar- und damit der Tektorialmembran; hier erfolgen Scherbewegungen der beiden Membranen gegeneinander. Durch die Scherbewegungen werden die Stereozilien b der äußeren Haarzellen abgebogen. Die Haarzellen ändern ihre Länge daraufhin aktiv und verstärken damit lokal die Wanderwelle. Dies wiederum bewirkt, dass auch die Stereozilien der inneren Haarzellen abgebogen werden und infolgedessen am basalen Pol der inneren Haarzellen Glutamat freigesetzt wird. Dies führt zu einem exzitatorischen Potential an den afferenten Nervenfasern, das an das Gehirn weiter geleitet wird (Einzelheiten hierzu s. Physiologiebücher). 151 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9.7 9. Felsenbein und Ohr Innenohr: Gleichgewichtsorgan A Aufbau des Vestibularorgans Das Vestibularorgan besteht aus den drei häutigen Bogengängen (Ductus semicirculares), die in ihren Erweiterungen (Ampullae) Sinnesleisten (Cristae ampullares) enthalten, sowie Sacculus und Utriculus mit ihren Makulaorganen (Macula sacculi und Macula utriculi; zur Lage im Felsenbein s. B, S. 148). Die Sinnesorgane in den Bogengängen reagieren auf Drehbeschleunigung, die Makulaorgane, die annähernd in der Senkrechten bzw. in der Horizontalen stehen, auf horizontale (Macula utriculi) bzw. vertikale Linearbeschleunigungen im Sinne der Schwerkraft (Macula sacculi). B Aufbau von Ampulla und Crista ampullaris Querschnitt durch eine Bogengangsampulle. Jeder Bogengang besitzt am Ende eine Erweiterung (Ampulla), in die eine quer stehende Bindegewebsleiste mit Sinnesepithel hineinragt (Crista ampullaris). Über der Crista ampullaris sitzt eine gallertartige „Kuppel“ (Cupula), die am Dach der Ampulle befestigt ist. Die einzelnen Sinneszellen der Crista ampullaris (insgesamt etwa 7000) tragen an ihrem apikalen Pol jeweils ein langes Kinozilium und etwa 80 kürzere Stereozilien, mit denen sie in die Cupula hineinragen. Bei Drehbewegungen des Kopfes in der Ebene des jeweiligen Bogenganges kommt es aufgrund der Trägheit der Endolymphe zu einer stärkeren Auslenkung der Cupula, was wiederum zum Abknicken der Stereozilien führt. Je nach Abscherrichtung der Zilien werden die Sinneszellen entweder depolarisiert (Reiz) oder hyperpolarisiert (Hemmung) (Details s. E ). C Aufbau der Macula statica (= Macula sacculi und utriculi) Innerhalb der epithelialen Auskleidung von Sacculus und Utriculus befindet sich jeweils ein oval angeordnetes Feld von Sinnes- und Stützzellen mit einem mittleren Durchmesser von 2 mm. Ähnlich wie die Sinneszellen der Crista ampullaris tragen die Sinneszellen der Makulaorgane apikal zahlreiche Zilien, mit denen sie in eine sog. Statolithenmembran hineinreichen. Diese besteht ähnlich wie die Cupula aus einer Gallertschicht, an deren Oberfläche jedoch zusätzlich Kristalle aus Calciumkarbonat (Statolithen) eingebettet sind. Aufgrund ihres hohen spezifischen Gewichtes zerren diese Statolithen bei Einwirkung von Linearbeschleunigung an der Gallertmasse, was wiederum zu Scherbewegungen der Zilien führt. In Abhängigkeit von der Ausrichtung der Zilien in den einzelnen Feldern kommt es bei Bewegung zu De- bzw. Hyperpolarisation der Sinneszellen. Crista ampullaris mit N. ampullaris anterior Canalis semicircularis anterior Ganglion vestibulare, Pars superior Ductus semicircularis anterior Ganglion vestibulare, Pars inferior Crista ampullaris mit N. ampullaris lateralis Utriculus Saccus endolymphaticus Macula utriculi mit N. utricularis Macula sacculi mit N. saccularis Ductus semicircularis lateralis Sacculus Ductus semicircularis posterior Ductus endolymphaticus Crista ampullaris mit N. ampullaris posterior Ductus reuniens Ampulla Canalis semicircularis Cupula Zilien der Sinneszellen Stützzelle Sinneszelle Crista ampullaris Statolithen Statolithenmembran Stereozilien der Haarzellen Typ I Stereozilien der Haarzellen Typ II Haarzelle Typ I Haarzelle Typ II Membrana propria Stützzelle afferente Nervenfaser 152 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf D Reizumwandlung in den vestibulären Sinneszellen Die Sinneszellen der Macula statica und der Crista ampullaris tragen an ihrer apikalen Oberfläche ein langes Kinozilium und etwa 80 unterschiedlich lange, orgelpfeifenartig angeordnete Stereozilien. Durch die Anordnung der unterschiedlich langen Zilien sind die Sinneszellen polar differenziert. Im Ruhezustand sind die Zilien gerade ausgerichtet. Bei Ablenkung der Stereozilien in Richtung Kinozilium depolarisiert die Sinneszelle, die Aktionspotential-(Impuls-)frequenz steigt (rechts); bei Ablenkung der Stereozilien vom Kinozilium weg hyperpolarisiert die Zelle, die Impulsfrequenz wird herabgesetzt (links). Auf diese Weise wird am basalen Pol der Sinneszelle die Freisetzung des Transmitters Glutamat und damit die Aktivierung der afferenten Nervenfaser reguliert (Depolarisation führt zur Freisetzung von Glutamat, Hyperpolarisation zur Hemmung der Freisetzung). Dadurch erhält das Zentralnervensystem Informationen über Richtung und Ausmaß der Bewegung bzw. der Lageveränderung. Kinozilium Stereozilien 9. Felsenbein und Ohr Sinneszelle Zeit afferente Nervenfaser Ampulla anterior Ampulla lateralis Macula utriculi Macula sacculi Ampulla posterior Ductus cochlearis E Unterschiedliche Orientierung der Stereozilien im Vestibularapparat (Crista ampullaris und Macula statica) Da der Reiz in den Sinneszellen durch die Ablenkung der Stereozilien von bzw. zum Kinozilium die Signaltransduktion bewirkt, müssen die Zilien räumlich unterschiedlich ausgerichtet sein, damit bei jeder Lage im Raum bzw. bei jeder Kopfdrehung bestimmte Rezeptoren erregt oder gehemmt werden. Durch die hier dargestellte Anordnung der Zilien wird gewährleistet, dass verschiedene Richtungen im Raum einem jeweils maximal empfindlichen Rezeptorenfeld zugeordnet sind. Die Pfeile markieren die Polarisation der Zilien, d. h. die Pfeilspitze weist immer in Richtung des Kinoziliums. Beachte, dass die Sinneszellen in den Sinnesfeldern von Utriculus und Sacculus in entgegengesetzter Richtung angeordnet sind. F Zusammenwirken kontralateraler Bogengänge bei der Kopfdrehung Bei einer Kopfdrehung nach rechts (roter Pfeil) strömt die Endolymphe aufgrund der Massenträgheit nach links (blauer, durchgezogener Pfeil), wenn der Kopf als Bezugspunkt gewählt wird. Aufgrund der Ausrichtung der Stereozilien werden die linken und rechten Bogengangsorgane gegensätzlich stimuliert. Rechts erfolgt eine Ablenkung der Stereozilien in Richtung Kinozilium (gestrichelter Pfeil; Folge: Erhöhung der Impulsfrequenz), links hingegen vom Kinozilium weg (gestrichelter Pfeil; Folge: Erniedrigung der Impulsfrequenz). Diese Anordnung dient der Kontrasterhöhung des Reizes und damit der Steigerung der Empfindlichkeit, d. h. der Unterschied zwischen erniedrigter Impulsfrequenz auf der einen Seite und erhöhter Impulsfrequenz auf der anderen Seite führt dazu, dass der jeweilige Reiz umso stärker wahrgenommen wird. 153 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9.8 9. Felsenbein und Ohr Blutversorgung des Felsenbeins A Herkunft der wichtigsten Arterien der Paukenhöhle Mit Ausnahme der Aa. caroticotympanicae (Äste der A. carotis interna, Pars petrosa) stammen alle Gefäße zur Versorgung der Paukenhöhle aus der A. carotis externa. Die Gefäße anastomosieren häufig untereinander und erreichen z. B. die Gehörknöchelchen über Schleimhautfalten. Innerhalb der Gehörknöchelchen verlaufen intraosseale Gefäße. Arterie Herkunft Versorgungsgebiet Aa. caroticotympanicae A. carotis interna Tube und vordere Wand der Paukenhöhle A. stylomastoidea A. auricularis posterior hintere Wand der Paukenhöhle, Cellulae mastoideae, M. stapedius, Stapes A. tympanica inferior A. pharyngea ascendens Boden der Paukenhöhle, Promontorium A. auricularis profunda A. maxillaris Trommelfell, Boden der Paukenhöhle A. tympanica posterior A. stylomastoidea Chorda tympani, Trommefell, Malleus A. tympanica superior A. meningea media M. tensor tympani, Dach der Paukenhöhle, Stapes A. tympanica anterior A. maxillaris Trommelfell, Antrum mastoideum, Malleus, Incus A. subarcuata aufsteigender Ast der A. petrosa superficialis A. labyrinthi N. facialis A. petrosa superficialis absteigender Ast der A. petrosa superficialis N. petrosus major A. tympanica superior A. cruralis anterior N. petrosus minor A. carotis interna A. cruralis posterior A. stylomastoidea, R. tympanicus posterior Äste zum M. stapedius (R. stapedius) Tuba auditiva A. tubaria M. tensor tympani N. facialis A. stylomastoidea Aa. caroticotympanicae A. mastoidea R. tympanicus posterior A. auricularis profunda A. tympanica inferior B Arterien der Paukenhöhle und der Cellulae mastoideae Rechtes Felsenbein, Ansicht von frontal. Hammer und Amboss sowie Teile der Chorda tympani und die mit ihr verlaufende A. tympanica anterior sind entfernt worden. 154 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag Kopf 9. Felsenbein und Ohr Tegmen tympani Incus Antrum mastoideum A. tympanica superior N. facialis M. tensor tympani R. stapedialis A. tympanica anterior Stapes Manubrium mallei Chorda tympani A. tympanica posterior Tuba auditiva A. stylomastoidea A. auricularis profunda Membrana tympanica C Gefäßversorgung von Gehörknöchelchenkette und Trommelfell Sicht von medial auf das rechte Trommelfell. Die Hauptversorgung dieses Bereiches geschieht durch die A. tympanica anterior. Bei einer Ent- A. vestibuli A. tympanica inferior zündung des Trommelfells können sich die Arterien stark erweitern, so dass ihr Verlauf im Trommelfell wie hier dargestellt sichtbar wird. Ganglion vestibulare N. vestibuli N. facialis A. u. Vv. labyrinthi V. aquaeductus vestibuli N. intermedius N. cochlearis A. cochlearis communis A. vestibulocochlearis A. cochlearis propria V. fenestrae cochleae D Blutversorgung des Labyrinths Ansicht von frontal rechts. Die arterielle Versorgung des gesamten Labyrinths erfolgt aus der A. labyrinthi, einem Ast der A. inferior anterior cerebelli. Gelegentlich entspringt sie direkt aus der A. basilaris. V. aquaeductus cochleae 155 Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag