056-058.qxd 56 04.10.2006 13:09 Seite 56 Zahnmedizin Seltene Ursachen neurologischer Symptome Mukozele des Sinus maxillaris als Ursache einer akuten Sensibilitätsstörung Maximilian Moergel, Martin Kunkel Fotos: Kunkel In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen den differentialdiagnostischen Blick unserer Leser schulen. Abbildung 1: Orthopantomogramm: Es finden sich lediglich Zeichen der generalisierten Parodontitis marginalis profunda. Hinweise auf dentogene Ursachen der Sensibilitätsstörung, insbesondere Osteolysen oder Raumforderungen im Bereich des Sinus maxillaris, ergaben sich nicht. Eine 56-jährige Patientin wurde der Klinik ren ebenfalls regelrecht. In der neurologizur weiterführenden Diagnostik und Theraschen Untersuchung fand sich eine taktile pie bei einer unklaren Sensibilitätsstörung Hypästhesie rechts kongruent zum Versorim Bereich des Nervus infraorbitalis rechts gungsgebiet des Nervus infraorbitalis bei vorgestellt. Vorausgegangen war eine erhaltener Spitz-Stumpf-Diskrimination. spontane, plötzlich aufgetretene, intensive neuralgiforme Schmerzattacke, die eine Vorstellung in der Notfallambulanz zur Folge hatte. Die Schmerzen konnten durch die Gabe peripherer Analgetika zwar beherrscht werden, in der unmittelbaren Folge trat aber eine zunehmende Taubheit der rechten Wange und der Oberlippe ein, die eine eingehendere Diagnostik erzwang. Bei der extraoralen Untersuchung fanden sich keine Asymmetrien, Schwellungen oder sonstigen inspektorischen AufAbbildung 2: Computertomographie: Das native CT in fälligkeiten. Der Infraorbitalkoronaler Schnittebene zeigt beidseits belüftete Kieferhöhlen rand wies palpatorisch keine mit minimaler basaler Schleimhautschwellung. Medial des Veränderungen auf. Bulbusrechten Nervkanals des N. infraorbitalis findet sich jedoch eine umschriebene Auftreibung des Orbitabodens (➞ ). stand, Motilität und Visus wazm 96, Nr. 20, 16. 10. 2006, (2728) Klinische und anamnestische Hinweise auf eine akute Entzündung des Sinus maxillaris lagen nicht vor. Der Lymphknotenstatus war unauffällig und die Mundöffnung nicht eingeschränkt. Das konservierend und prothetisch versorgte Gebiss bot, abgesehen von einer generalisierten chronischen Parodontitis marginalis profunda, weder klinisch noch radiologisch (Abbildung 1) einen Anhalt für einen dentogenen Fokus als Ursache einer Entzündung. In der Computertomographie zeigte sich schließlich eine rundliche Struktur im Orbitaboden (Abbildung 2), die in der angeschlossenen Magnetresonanztomographie Abbildung 3: Magnetresonanztomographie: In der MRT kommt an korrespondierender Stelle eine signalintensive, klar abgegrenzte Raumforderung mit direktem Bezug zum Nerven zur Darstellung. 056-058.qxd 04.10.2006 13:09 Seite 57 57 muzinösem Inhalt entnehmen. Im Anschnitt war die innere Oberfläche glatt begrenzt (Abbildung 6). Das histologische Präparat wurde freundlicherweise durch Dr. Hansen (Institut für Pathologie, Direktor: Prof. Dr. J.C. Kirkpatrick) zur Verfügung gestellt. Es zeigt eine charakteristische Auskleidung mit einem mehrreihigen hoch prismatischen (respiratorischen) Epithel, so dass sich abschließend die Diagnose einer echten Mukozele in atypischer Lage in der Kieferhöhlenvorderwand ergab. Diskussion Abbildung 4: Intraoperativer Situs: Die Läsion wird nach dem Antragen der knöchernen Bedeckung in unmittelbarer Nähe zum N. infraorbitalis (➞) erkennbar. Im Gegensatz zu den sehr häufigen Extravasations-Pseudozysten am Kieferhöhlenboden, die im Orthopantomogramm als typische konvexbogig begrenzte basale Verschattungen imponieren, sind Mukozelen der Kieferhöhle echte, epithelial ausgeklei- Abbildung 5: Intraoperativer Situs nach Entfernung: Nach dem Ausräumen des Befundes zeigt sich eine vollständig knöchern begrenzte Höhle. Der N. infraorbitalis ist intakt und verläuft entlang der Wandung des Hohlraumes (➞ ). als eine signalintensive, klar abgegrenzte Raumforderung in unmittelbarer Lagebeziehung zum Nervus infraorbitalis zur Darstellung kam (Abbildung 3). Zur Entfernung wurde der Infraorbitalrand über einen infraorbitalen Zugang dargestellt und die Läsion unmittelbar medial des Nervus infraorbitalis über eine kleine Osteotomie aufgesucht (Abbildung 4). Aus der zur Kieferhöhle vollständig geschlossenen Knochenkavität (Abbildung 5) ließ sich unter Schonung des Nerven ein 6 x 7 Millimeter durchmessendes kugeliges Gebilde mit dete Zysten [Kaplan and Kountakis, 2004]. Die Begriffsverwirrung ist hier leider sehr groß, denn unglücklicherweise wird der Begriff der Mukozele auch noch an ganz anderer Stelle benutzt und bezeichnet dort die meist als Folge eines Aufbisstraumas entstandenen Extravasations-Pseudozysten kleiner Speicheldrüsen [Neville et al., 2002]. Die echte Mukozele der Kieferhöhle ist eine typische Spätkomplikation von Operationen beziehungsweise Verletzungen und selten auch von Infektionen im Bereich des zm 96, Nr. 20, 16. 10. 2006, (2729) 056-058.qxd 58 04.10.2006 13:09 Seite 58 Zahnmedizin Abbildung 6: Anschnitt des Präparates: Das schleimgefüllte, kugelige Resektat zeigt im Anschnitt eine glatte Oberfläche. Sinus maxillaris und des Mittelgesichtes. Die diagnostische Problematik liegt darin, dass durchaus mehr als 15 Jahre zwischen der Primärbehandlung und der Manifestation der Zyste liegen können und die SinusMukozele daher oft erst von der „nächsten einen längeren stationären Aufenthalt verursachte. Entsprechend ihrer Pathogenese ist die Mukozele der Kieferhöhle eine Erkrankung des mittleren und fortgeschrittenen Erwachsenenalters. Als wichtige Sonderform kommt das Krankheitsbild aber in der Kindheit bei der Zystischen Fibrose vor [Nicollas et al., 2006]. Die klinische Manifestation ist meist unspezifisch, die Patienten geben Druckgefühl und auch wenig charakteristische chronische Gesichtsschmerzen an. Mitunter handelt es sich auch um reine Zufallsbefunde anlässlich einer radiologischen Untersuchung. Ausgedehnte Zysten können die Wandungen der Kieferhöhle destruieren und zu einer Verlagerung des Bulbus oculi führen. Eine Erstmanifestation über massive Reiz- beziehungsweise Ausfallerscheinungen benachbarter Hirnnerven, wie hier des Nervus infraorbitalis, ist sehr selten und betrifft aufgrund der engen topographischen Beziehungen eher Mukozelen des Sinus sphenoidalis [Girolamo et al., 2002]. Abbildung 7: Histologischer Aspekt: Der Ausschnitt aus der Zystenwand zeigt die charakteristische Auskleidung der Mukozele mit einem respiratorischen Epithel. (Färbung HE: Originalvergrößerung 400x) Generation“ ärztlicher Behandler erkannt werden kann. Die Patienten sehen den Zusammenhang zu einer lang zurückliegenden Erkrankung der Nasennebenhöhlen häufig nicht und auch im vorliegenden Fall erinnerte sich die Patientin erst bei der Besprechung des histologischen Befundes an eine mehr als 20 Jahre zurückliegende schwere Sinusitis maxillaris, die damals zm 96, Nr. 20, 16. 10. 2006, (2730) Diese ungewöhnliche Sensibilitätsstörung war im vorliegenden Fall der Anlass, umgehend eine chirurgische Exploration zur histologischen Diagnosesicherung vorzunehmen, da neuralgiforme Schmerzen, und insbesondere Ausfallerscheinungen, wichtige Warnsymptome eines infiltrierenden Tumorwachstums darstellen können. Die Therapie der Sinus-Mukozelen besteht in Fazit für die Praxis ■ Sinus-Mukozelen sind im Gegensatz zu den Extravasations-Pseudozysten des Kieferhöhlenbodens echte Zysten, die durch den sekundären Einschluss von respiratorischem Epithel entstehen. ■ Die klinische Symptomatik ist häufig unspezifisch. Sinus-Mukozelen kommen als Ursache des chronischen atypischen Gesichtsschmerz in Frage ■ Jede unklare Sensibilitätsstörung, und insbesondere eine Ausfallsymptomatik, muss zwingend zu einer eingehenden bildgebenden Untersuchung und bei Gewebevermehrungen auch zu einer histologischen Diagnosesicherung führen. der chirurgischen Ausräumung der Zyste und der Vereinigung des okkludierten Lumens mit der Kieferhöhle. Selten kann, wie hier, bei vollständig knöchern begrenzten Befunden, eine klassische Zystektomie durchgeführt werden. Für die Praxis soll dieser Fall an eine ungewöhnliche Ursache des Gesichtsschmerzes erinnern, vor allem aber daran, dass jede unklare Sensibilitätsstörung zur umgehenden, Diagnosesicherung führen muss. Dr. Maximilian Moergel Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Augustusplatz 2 55131 Mainz [email protected] Auch für den „Aktuellen klinischen Fall” können Sie Fortbildungspunkte sammeln. Mehr bei www.zm-online.de unter Fortbildung. Leser service Die Literaturliste können Sie in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes.