Läsionen kaudaler Hirnnerven

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Jean-Pierre Malin und
Hans Schliack
ls kaudale Hirnnerven
werden der N. glossopharyngeus (IX), der N.
vagus (X), der N. accessorius (XI) und der N.
hypoglossus (XII) zusammengefaßt.
Mit Ausnahme des N. hypoglossus
sind diese kaudalen Hirnnerven Kiemenbogennerven, das heißt sie innervieren in der Wand des Kopfdarmes Körperabschnitte viszeraler
Herkunft. Der N. hypoglossus als
motorischer Zungennerv ist das Relikt von ursprünglich zwei oder drei
Spinalnerven, deren sensible Wurzelanteile zurückgebildet sind. Die
Hirnnerven entspringen mit zusammenhängenden Bündeln aus dem
Hirnstamm, wobei sich eine mediale
von einer lateralen Reihe unterscheiden läßt. Während der N. hypoglossus an der Grenze zwischen
Pyramide und Olive zur medialen
Reihe gehört, liegen N. glossopharyngeus, N. vagus und N. accessorius
in der lateralen Reihe. Dementsprechend findet man in der Rautengrube in vier Reihen angeordnet die Ursprungs- beziehungsweise Endkerne.
Diese Hirnnervenkerne bilden in der
Medulla oblongata keine zusammenhängenden Säulen mehr, sondern
isolierte Kerngebiete (Abbildung 1).
An der knöchernen Schädelbasis
verlassen die Hirnnerven das Schädelinnere, wobei sich für die kaudalen Hirnnerven besonders enge topographische Beziehungen ergeben:
Der N. glossopharyngeus, der N. vagus und der N. accessorius ziehen gemeinsam durch das Foramen jugulare; der N. hypoglossus durch den Canalis hypoglossi (Abbildung 2). Aufgrund dieser engen räumlichen Beziehungen sind isolierte Läsionen
besonders des N. glossopharyngeus
und des N. vagus eher selten, woraus
A-294
,ZUR F! RTBILDUNG
Läsionen
kaudaler Hirnnerven
Isolierte Läsionen der Hirnnerven IX bis XII (kaudale Gruppe)
werden zunächst fast regelhaft
als Himstammerkrankungen, zum
Beispiel als Multiple Sklerose verkannt. Ihre Lokalisation und ihre
Ursachen sind bei Kenntnis der
Anatomie, sorgfältiger klinischer
Untersuchung und gezielter Anwendung moderner Schichtbildverfahren leicht zu erkennen. Ihre
Ursachen sind vielfältig: benigne
oder maligne Tumoren mit knöchernen Veränderungen im Bereich der Schädelbasis, Traumen
(etwa Frakturen der okzipitalen
Kondylen) und iatrogene Schädigungen, letzteres vor allem im Bereich des N. accessorius.
sich auch klinisch die Berechtigung
ableitet, die kaudalen Hirnnerven zu
einer besonderen Gruppe zusammenzufassen.
Klinische Symptome
kaudaler
Hirnnervenläsionen
a) N. glossopharyngeus (N. IX):
Eine einseitige Glossopharyngeus-Läsion führt zu:
1> Sensibilitätsstörungen am hinteren Zungendrittel, der TonsillenniNeurologische Klinik und Poliklinik
(Direktor: Prof. Dr. med. Jean-Pierre
Mahn) der Ruhr-Universität Bochum,
BG-Krankenanstalten Bergmannheil
(40) Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991
sche und des oberen Pharynx sowie
an einem kleinen Bereich vor dem
äußeren Gehörgang;
> abgeschwächtem oder aufgehobenem Würgreflex;
> Geschmacksstörung am hinteren
Zungendrittel;
> Herabhängen des Gaumensegels
auf der gelähmten Seite und positivem „Kulissenphänomen": Beim
Auslösen des Würgreflexes (weniger
deutlich beim Phonieren) verzieht
sich die hintere Pharynxwand zur gesunden Seite (Abbildung 3). Schluckstörungen werden entweder gar
nicht oder in nur sehr geringem Maße bemerkt bei intaktem N. vagus
(übergreifende Innervation).
b) Nervus vagus (N. X):
Eine einseitige Vagusläsion
führt zu:
> einseitiger Gaumensegelparese
mit Herabhängen des weichen Gaumens (M. uvulae, M. levator veli palatini). Der weiche Gaumen hebt
sich nicht oder nur wenig beim Auslösen des Würgreflexes oder beim
Phonieren. Positives Kulissenphänomen;
> „nasaler" Sprache (fehlende Abdichtung der Mund- zur Nasenhöhle);
> Heiserkeit: Bei Läsionen des Vagusstammes (proximaler Läsionsort)
steht das gelähmte Stimmband in Intermediärstellung. Bei Teilläsion
(„Rekurrensparese" im engeren Sinne) steht das Stimmband der betroffenenen Seite in Median- beziehungsweise Paramedianstellung.
Beidseitige Vaguslähmungen
sind bedrohlich, da das Schlucken
unmöglich wird und beim Trinkversuch Flüssigkeit aus der Nase läuft
oder in die Trachea übertritt (Aspirationspneumonie). Bei doppelseiti-
288
C)ehirnnerven.
Nudel» rtiber
ger Vaguslähmung ist die Sprache
aphonisch, und es kommt meistens
auch zu Dyspnoe, gelegentlich zu
Tachykardien.
Aquaeduetuff mehrt
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c) Nervus accessorius (N. XI):
Eine einseitige Accessorius-Läsion führt zu:
atrophisierender Lähmung des
M. sternocleidomastoideus, Lähmung des mittleren und unteren Anteils des M. trapezius (gelegentlich
auch Parese des oberen Trapeziusanteils, mit Innervation aus Asten
des Plexus cervicalis). „Schaukelstellung der Scapula" (Abbildung 4);
I> fehlenden Sensibilitätsstörungen;
oft aber Angabe von Mißempfindungen oder Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich.
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d) N. hypoglossus (N. XII):
Einseitige
Hypoglossusläsion
führt zu:
1> Lähmung und Atrophie der betroffenen Zungenhälfte (M. genioglossus, M. hyoglossus, M. styloglossus sowie der Longitudinal- und
Transversalmuskeln als auch der
kaudalen Zungenbeinmuskeln). Die
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Fissura orbitalis sup.
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olfactorius
N. (Fasciculus)
opticus
N. oculomotorius
IV
N. trochlearis
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Abbildung 1: Kerne der Hirnnerven (aus: H.
Braus, C. Elze: Anatomie des Menschen Bd.
III, 2. Aufl., Springer 1960)
ACanalis caroticus
,,, Foramen rotundurn,,
[N. maxillaris])
i(1."
Foramen ovale
(V [N. mandibularis])
Foramen lacerum
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N. ophthalmicus
N. maxillaris
N. mandibularis
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trigerninale
R. motoria
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V
N. trigeminus
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N. facialis u.
intermedius
VIII N. vestibulocochlearis
IX N. glossopharyngeus
VII
Porus acusticus
internes
Foramen jugulare
X, XI)
Canalis
hypoglossi (XII)
X N. vagus
Zunge weicht zur gelähmten Seite
ab; Seitwärtsbewegungen der Zunge
zur gelähmten Seite hin können
nicht oder kaum ausgeführt werden;
I> fehlenden Sensibilitätsstörungen;
1> einseitige Hypoglossuslähmungen beeinträchtigen das Sprechen
wenig. Bei doppelseitiger Lähmung
liegt die Zunge bewegungslos im
Mund, das Sprechen ist massiv beeinträchtigt („verwaschene Spra-
XI N. accessorius
XII N. hypoglossus
Abbildung 2: Die Schädelbasis. Links die
Foramina der austretenden Hirnnerven,
rechts die abgeschnittenen Hirnnerven
(aus: P. Duus: Neurologisch-topische Diagnostik, 4. Aufl., Thieme 1987)
A-296
(42) Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991
ehe"), wobei am besten noch die Labiallaute artikuliert werden. Kauen,
Schlucken und Trinken gelingen nur
mühsam.
Syndrome kaudaler
Hirnnervenläsionen
Die Symptome kombinierter
kaudaler Hirnnervenläsionen (Hirnnerven IX, X und XI) sind so charakteristisch, daß sich die Bezeichnung
„Foramen-jugulare-Syndrom" eingebürgert hat. Das klassische Foramen-jugulare-Syndrom besteht aus
einer einseitigen Lähmung des M.
sternocleidomastoideus und M. trapezius (N. XI), einer Gaumensegelparese mit Kulissenphänomen, Rekurrensparese (Heiserkeit), einer
Hypästhesie am weichen Gaumen,
am Rachen und in der Tonsillennisehe sowie herabgesetztem Würgreflex und schließlich einer Geschmacksstörung im hinteren Zungendrittel (N. IX, X). Die klinischtopographische Bedeutung des Foramen-jugulare-Syndroms wurde 1918
von M. Vernet erkannt (9), und auf
ihn geht auch der Ausdruck „Kulis-
Abbildung 3: „Kulissenphänomen" (aus M. Mumenthaler: Neurologie, 8. Aufl., Thieme 1986)
senphänomen" („Signe du rideau de
Vernet") zurück. Als „SiebenmannSyndrom" wird ein traumatisches
Foramen-jugulare-Syndrom bezeichnet, bei dem Frakturen der Schädelbasis das Foramen jugulare erreichen (3, 8).
Gesellt sich zum Foramen-jugulare-Syndrom noch eine einseitige
periphere Hypoglossus-Lähmung
hinzu, spricht man vom „Collet-Sicard-Syndrom".
Tabelle : Charakteristika einiger kaudaler Himnerven-Syndrome
(aus 1)
Bezeichnung
betroffene
Hirnnerven
Hornerkontralaterale
Syndrom Symptome
Foramen-jugulareSyndrom
IX, X, XI
Collet-SicardSyndrom
IX, X, XI, XII
Tapia-Syndrom
X, XII (XI)
(Hemiparese,
Hemihypästhesie
Schmidt-Syndrom
X, XI, XII
Hemiparese,
Hemihypästhesie
Villaret-Syndrom
IX, X, XI, XII
+ homolateral
Avellis-Syndrom
X
Hemiparese,
Hemihypästhesie
Jackson-Syndrom
XII
(X)
Hemiparese
(Ataxie)
Dabei erstreckt sich die Läsion
über das Foramen jugulare hinaus in
den Bereich der Okzipital-Kondylen
(Canalis condylaris, Canalis hypoglossi). Bei dem verwandten Syndrom (Tapia-Syndrom, Schmidt-Syndrom, Villaret-Syndrom etc.) liegt
die Schädigung im Hirnnervenkerngebiet der Medulla oblongata, so daß
zusätzlich zu den peripheren Hirnnervenausfällen Symptome der langen Bahnen zu finden sind. Als
„Garcin-Syndrom" wurde ursprünglich die einseitige Lähmung aller
Hirnnerven bezeichnet („HemibasisSyndrom"). Gelegentlich wird auch
dann, wenn einzelne Hirnnerven
ausgespart bleiben, bereits vom Garein-Syndrom gesprochen. Trotz der
eindrucksvollen Hirnnervenausfälle
fehlen hier in der Regel Hirndruckzeichen, eine Hemiparese oder eine
Kleinhirnataxie. Nur gelegentlich
findet man eine Stauungspapille. Typische Ursache ist ein infiltrierend
wachsender Tumor der Schädelbasis,
meistens vom Rhinopharynx ausgehend (7). In Tabelle 1 sind die Charakteristika einiger kaudaler Hirnnervensyndrome zusammengefaßt.
Ätiologie kaudaler
Hirnnervenausfälle
Isoliert werden von den kaudalen Hirnnerven aus den genannten
topographisch anatomischen Gründen am ehesten der N. accessorius
und der N. hypoglossus lädiert, während N. glossopharyngicus und N. va-
* Tapias ursprüngliche Beobachtungen betrafen rein periphere Hirnnervenläsionen ohne
Beteiligung der langen Bahnen. Die Syndrome werden in der Literatur unterschiedlich zitiert.
Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991 (45)
A-297
gus meistens gemeinsam geschädigt
sind. Als Ausnahme wäre hier an die
seltene Glossopharyngicus-Neuralgie zu erinnern (7).
N. accessorius (XI):
Spontane, isolierte AkzessoriusLähmungen als Folge von Schädelbasistumoren, Meningiosis blastomatosa oder Glomustumoren am Foramen jugulare sind selten. Am häufigsten wird der N. accessorius bei Operationen im Halsbereich geschädigt.
Im Rahmen größerer Eingriffe ist
die Opferung des Nerven im Interesse einer radikalen Tumorentfernung
oft nicht vermeidbar. Dagegen ist bei
Lymphknotenbiopsien im seitlichen
Halsdreieck die iatrogene Schädigung des Nerven durch Quetschung,
Zerrung oder Ligation eine grundsätzlich aber nicht immer vermeidbare Komplikation, die einer besonderen Aufklärungspflicht unterliegt,
zumal die Ergebnisse spontaner
Reinnervation unbefriedigend sind
(4). Deutlich seltener als die iatrogene Schädigung sind Drucklähmungen oder radiogene Läsionen nach
Bestrahlungen in der seitlichen Halsregion (7).
Zusammen mit dem N. glossopharyngicus und N. vagus bezie-
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Abbildung 4: Computertomogramme eines 55jährigen Mannes mit metastasierendem Prostatakarzinom. atrophische Zungenlähmung rechts. Die Pfeile zeigen die Hypoglossus-Kanäle. Der linke zeigt normale Konturen, der rechte ist durch osteolytische Metastasen gestört
hungsweise dem N. hypoglossus treten Akzessorius-Lähmungen beim
Foramen-jugulare-Syndrom oder
verwandten Syndromen auf.
N. hypoglossus (XII):
Eine isolierte ein- oder doppelseitige, sich fortschreitend entwikkelnde Hypoglossus-Lähmung ist auf
einen Tumor (Clivuschordom, Mestastasen, Neurinom) zurückzuführen, sofern nicht eine lokalisierte Läsion (Trauma, chirurgischer Eingriff)
-
Tumoren
(extra- oder intrakranielle, extra- und intrakraniell)
—Glomus-jugulare-Tumoren
—Neurinome, Meningeome, Cholesteatome, Chondrome, Epidermoid-Tumoren, Karzinome, und Sarkome des Rhinopharynx, Metastasen
—Plasmozytom
Traumen
— ausgedehnte Schädelbasisfrakturen
(Siebenmann-Syndrom)
—Schußverletzungen
—Hieb- und Stichverletzungen
vaskuläre
Erkrankungen
— Thrombose der Vena jugularis interna
— Phlebitiden
—Aneurysmen der A. carotis interna
—fibromuskuläre Dysplasie
entzündliche
Erkrankungen
— tuberkulöse und syphilitische Meningitis
— Sarkoidose
—chronische Otitiden
—Pharynx-Phlegmone
A-300
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Tabelle 2: Ätiologie des Foramen-jugulare und Collet-SicardSyndroms (aus 1)
andere
1523
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EXAM
basiläre Impression
(48) Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991
an typischer Stelle nachweisbar ist.
Auch periphere Zungen- oder Zungengrundtumoren (Plattenepithelkarzinom) können die Nervenfasern
infiltrierend erfassen. Die Erkennung der Hypoglossuslähmung kann
dann durch den Lokalbefund erschwert werden, da durch Ödem und
mechanische Zungenverlagerung die
typische Atrophie und das Faszikulieren verdeckt sein können (5).
Weitere Ursachen der isolierten
Hypoglossuslähmung sind entzündliche Erkrankungen (basale Meningitis, phlegmonöse Angina, infektiöse
Mononukleose, Morbus Boeck), vaskuläre Läsionen (extremes „Kinking" der Arteria carotis) oder Traumen (Schußverletzungen, Frakturen
in der Nähe des Condylus occipitalis,
Canalis hypoglossi). Von den iatrogenen Schädigungen ist an erster
Stelle die Läsion des Hypoglossus
nach Thrombendarteriektomien der
extrakraniellen A. carotis zu nennen,
seltener nach Tonsillektomien (5).
Differentialdiagnostisch ist bei doppelseitiger Hypoglossus-Lähmung
immer an eine amyotrophe Lateralsklerose mit Bulbärparalyse oder eine bulbäre Myasthenie zu denken.
Kombinierte kaudale
Hirnnerven
Die hier in Frage kommenden
Syndrome sind in Tabelle 1 aufgeführt. Bei der Suche nach der Ursache multipler kaudaler Hirnnerven-
läsionen ist auf das Erkrankungstempo zu achten. So ist bei einem akut
aufgetretenen Foramen-jugulareoder Collet-Sicard-Syndrom zunächst an ein Trauma oder eine vaskuläre Erkrankung zu denken. Der
Nachweis entsprechender Frakturlinien an der Schädelbasis, in der Nähe des Foramen jugulare, des Canalis hypoglossi, der Kondylen oder der
Atlasregion ist mit konventionellen
Röntgenaufnahmen oft mühsam (6)
und wird heute durch die axiale
Computertomographie mit Einstellung spezieller Knochenfenster bei
modernen, hochauflösenden Geräten erheblich erleichtert. Bei einem
sich langsam progredient entwikkelnden Syndrom wird man in erster
Linie an einen Tumor denken. Die
Tumoren können intrakraniell entspringen und durch das Foramen jugulare nach außen wachsen oder von
extrakraniell sich in den Foramen jugulare entwickeln. Auch rein extraoder intrakranielle Lokalisationen
sind möglich, was für die Wahl eines
eventuell operativen Zuganges praktische Bedeutung hat. Während bei
den extrakraniellen Tumoren die
Karzinome überwiegen, ist bei den
intra- beziehungsweise intra- und extrakraniellen Tumoren außer an
Glomus-jugulare-Tumoren auch an
Neurinome, Chordome, Chondrome,
Meningiome, Cholesteatome, Epidermid-Tumoren und Sarkome oder
Karzinome des Rhinopharynx zu
denken (1).
Von den gefäßbedingten Syndromen sei außer an Aneurysmen an
die Thrombose der Vena jugularis
interna erinnert, die eine konsequente Angiographiediagnostik (Jugularisvenographie) erfordert, obwohl sich durch hochauflösende
CT-Geräte mit Bolus-Injektion ein
Teil dieser Gefäßprozesse heute
leichter als früher darstellen läßt.
Bei den seltenen kranialen Polyneuropathien sind gelegentlich schwerpunktmäßig oder sogar primär die
kaudalen Hirnnerven betroffen (2).
Auch an andere systemische neurologische Erkrankungen (amyotrophe
Lateralsklerose mit Bulbärparalyse,
multiple Sklerose) ist differentialdiagnostisch zu denken.
Besonders wichtig ist es, die primär bulbäre Myasthenie rechtzeitig
IPOPAr ■ i
ta ,e;.■,,
zu erfassen. Das Ermüdungs- beziehungsweise Erholungsphänomen,
das heißt vor allem Verschlechterungen des Schluckvorganges, ist nicht
immer deutlich, am ehesten beim
Frühstück nach der Nachtruhe erkennbar. Der Tensilon-Test bestätigt
die Diagnose, die Krankheit ist gut
therapierbar. In Tabelle 2 sind die
wichtigsten Ursachen zusammengefaßt.
Literatur
1. Malin, J.-P.-; Haas, J.: Schliack, H.; Vogelsang, H.: Zur Ätiologie des Foramen-jugulare- und des Collet-Sicard-Syndroms. Akt.
Neurol. 11 (1984) 50-53
2. Malin, J.-P.; Schliack, H.: Kraniale Polyneuropathien. Akt. Neurol. 13 (1986) 92-98
3. Mumenthaler, M.: Neurologie, 8. Aufl., Thieme, Stuttgart-New York, 1986
4. Müller-Vahl, H.: Akzessoriuslähmungen.
Akt. Neurol. 10 (1983) 18-23
5. Schliack, H.; Malin, J.-P.: Läsionen des Nervus hypoglossus. Akt. Neurol. 10 (1983)
24-28
6. Schliack, H.; Schaefer, P.: Hypoglossus- und
Akzessoriuslähmung bei einer Fraktur des
Condylus occipitalis. Nervenarzt 36 (1965)
362-364
7. Schmidt, D.; Malin, J.-P.: Erkrankungen der
Hirnnerven. Thieme Verlag, Stuttgart-New
York, 1986
8. Svien, H. J.; Baker, H. L.; Rivers, M. H.: Jugular foramen syndrome and allied syndromes. Neurology 13 (1963) 797-809
9. Vernet, M.: Syndrome du trou de.chirn posterieur. Rev. neurol. 2 (1918) 117-148
Die Abbildungen 4 und 5 a-c verdanken
wir Herrn Professor Dr. med. Hartmut
Becker, Leiter der Abteilung für Neuroradiologie der Medizinischen Hochschule
Hannover.
Anschriften der Verfassen
Abbildung 5 a-c: Linksseitiger Glomus-Tu
mor. Klinisch: linksseitige pulssynchrone
Ohrengeräusche, mäßig ausgeprägte Funktionsstömngen des N. accessorius, linksseitige atrophische Zungenlähmung. Im CT erkennt man die knöcherne Destruktion im
Bereich des Foramen jugulare. Die Angiogramme zeigen in typischer Weise den Glomus-Tumor mit funktionell erweiterter Arteria pharyngea ascendens und Arteria auricularis
Prof. Dr. med. Jean-Pierre Malin
Neurologische Klinik und Poliklinik
der Ruhr-Unversität Bochum
BG-Krankenanstalten
Bergmannsheil
Gilsingstraße 14
W-4630 Bochum 1
Prof. Dr. med. Hans Schliack
Am Ortfelde 95
W-3004 Isernhagen 2 NB
Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991 (51)
A 303
-
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