Ballhaus Rixdorf Kottbusser Damm 76 (Berlin-Neukölln) Eingereicht von: Landesvorstand Gegenstand: Antrag L-01 Grüne Landesdelegiertenkonferenz 21. Januar 2012 Grüne Oppositionsführerschaft: Bessere Konzepte für Berlin 17,6 Prozent der WählerInnen haben uns Berliner Bündnisgrünen bei der letzten Wahl ihre 5 Stimme gegeben, mehr als je zuvor. Dieses Ergebnis ist für uns Ansporn und Verpflichtung zugleich. Denn nicht allein die Anzahl der WählerInnenstimmen macht uns Grüne zur Oppositionsführerin, sondern unsere politische Arbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments. Wir wollen den rot-schwarzen Senat treiben, indem wir mit besseren Ideen, überzeugenderen Konzepten und echten Alternativen zur Regierungspolitik aufwarten und dabei Antworten auf 10 die Fragen geben, die den BerlinerInnen auf den Nägeln brennen. Das heißt aber auch, dass wir uns auf unserem Wahlergebnis und dem, was wir uns programmatisch in den vergangenen Jahren erarbeitet haben, nicht ausruhen dürfen. Wir wollen unsere eigenständige Grüne Politik weiterentwickeln. Deshalb starten wir innerhalb unserer Partei einen neuen Arbeits- und Debattenprozess. 15 257.063 Gründe für starke Grüne Opposition So viele WählerInnen haben uns im Herbst ihre Stimme gegeben. Das zeigt, dass unser Anspruch, Politik für die ganze Stadt und alle ihre BewohnerInnen zu machen, im Grundsatz richtig ist. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir im Wahlkampf nicht allen Erwartungen gerecht 20 geworden sind, die diese Öffnung zu allen Teilen der Stadtgesellschaft geweckt hat. Wir werden den Dialog auch in der neuen Legislatur fortsetzen, denn wir wollen Politik mit den Menschen machen und nicht über ihre Köpfe hinweg. Aus dem Wahlkampf haben wir gelernt: Wenn wir weiter wachsen wollen, müssen wir uns noch breiter in der Stadt verankern als bisher. Wir wollen Politik für die Menschen in der ganzen Stadt anbieten, in der Innenstadt und in den 25 Außenbezirken, für StammwählerInnen und für BerlinerInnen, die bisher noch nie Grün gewählt haben. Wir wollen dabei keine Gruppe auf Kosten der anderen pflegen. Das ist unser gemeinsames Ziel und dafür wollen wir unseren parteiinternen Pluralismus produktiver nutzen als bisher. Öffnung bedeutet aber keine Beliebigkeit. Wir müssen und dürfen nicht aufhören, authentisch Grün zu sein. 30 Im Herbst 2010 hatten wir Umfrageergebnisse bis zu 30%. Die Möglichkeit, stärkste Partei zu werden und die Regierende Bürgermeisterin zu stellen, schien greifbar. Wir haben uns auf dieses Wagnis eingelassen, ohne große Debatten im Vorfeld und in großer Einmütigkeit. Im März 2011 haben wir ein Wahlprogramm verabschiedet, das alle unsere Konzepte und programmatischen Forderungen auf den Nenner „Eine Stadt für alle“ brachte. Strategisch 35 haben wir uns lange alle Koalitions-Optionen offengehalten und damit etwas beansprucht, was für die anderen großen Parteien – SPD und CDU – eine Selbstverständlichkeit ist. Im Wahlkampf haben wir Fehler gemacht. Unterschiedliche Haltungen oder Prioritäten wurden mit Formelkompromissen kaschiert, latente Konflikte überdeckt. Seit das gemeinsame Ziel, in Regierungsverantwortung zu kommen, obsolet ist, brechen diese Konflikte in einer Weise auf, 40 die sogar Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen scheint. Inhaltlicher Pluralismus ist wichtig und richtig, aber er braucht ein gemeinsames Selbstverständnis. Wir haben mit diesem Wahlkampf die Hegemonie der SPD im linken Parteienspektrum erstmals in Frage gestellt, wenn auch am Ende nicht mit Erfolg. Dennoch haben wir damit einen Anspruch erhoben, mit dem wir die Rolle des „ewigen Juniorpartners“ hinter uns gelassen 45 haben. Wir wollen weiter daran arbeiten, diesen Anspruch besser auszufüllen. Die Grüne Eigenständigkeit haben wir im Wahlkampf zu wenig an Inhalten verdeutlicht und zu sehr von Koalitionsoptionen abgeleitet. Eine Identität, die sich von der Nähe oder Distanz zu anderen Parteien ableitet, ist aber gerade keine eigenständige. Wir werden deshalb jetzt die Chance ergreifen, Grüne Politik für Berlin weiter zu entwickeln und noch stärker an unseren Grünen 50 Grundüberzeugungen und den politischen Anforderungen dieser Stadt auszurichten. Eigenständigkeit verlangt, zunächst das politische Ziel zu definieren, und dann Verbündete dafür zu suchen. Die BerlinerInnen erwarten, dass wir auch in der Opposition das umsetzen, wofür wir im Wahlkampf angetreten sind. Wir werden damit nicht warten, bis die nächste Wahl vor der Tür 55 steht. Wir wollen als größte Oppositionspartei mit unserem Grünen Angebot für Berlin RotSchwarz treiben und dabei alle BewohnerInnen dieser Stadt – unabhängig von Zuschreibungen wie „links“ oder „bürgerlich“ – ansprechen. Wir wollen SPD und CDU in keinem Themenfeld die Deutungshoheit überlassen, egal ob es um die Sozial- und Infrastrukturpolitik oder die Themen Wirtschaft und Finanzen geht. Strategische Bündnisse mit den anderen 60 Oppositionsparteien schließen wir immer dann, wenn sie sich mit Grünen Anliegen verbinden lassen. In unserer Politik leitet uns das Grundprinzip der Nachhaltigkeit ebenso wie unser emanzipatorisches Menschenbild. Das Grüne Kernanliegen: Prinzip Zukunft 65 Der grüne Gründungsimpuls war die Erkenntnis, dass die Menschheit dabei ist, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Wir müssen mit den Ressourcen dieser Erde so umgehen, dass wir nicht auf Kosten nachfolgender Generationen oder der Menschen in anderen Teilen der Erde leben. Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit liegt auch unserer Kritik an der Industriegesellschaft und den Auswüchsen der kapitalistischen Marktwirtschaft zugrunde: Wir 70 kämpfen für eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, die den Menschen dient und sie in den Mittelpunkt stellt. Dieses Grüne Kernanliegen ist heute aktueller denn je; es muss unser Profil wieder deutlicher prägen. Unser Green New Deal ist nichts anderes als ein Entwurf für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik, denn wirtschaftliche Entwicklung ist ohne erneuerten sozialen Ausgleich, bessere 75 Bildungschancen für alle Menschen und ökologischen Umbau nicht zu haben. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen für diesen Wandel auch in Berlin zu schaffen. Wie nachhaltige Finanzpolitik angesichts der europäischen Schuldenkrise aussehen kann, haben wir im November 2011 bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Kiel deutlich gemacht. Mit einer ehrlichen Haushaltspolitik lassen sich sogar Wahlen gewinnen – das hat nicht zuletzt die grüne 80 Finanzsenatorin Karoline Linnert in Bremen gezeigt. Engagierte und begründete Sparanstrengungen sind gerade in diesen Zeiten für glaubwürdige Politik zentral und erhöhen zudem die Legitimation staatlicher Ausgaben. Auch in Berlin muss es gelingen, die Schuldenbremse einzuhalten. Bei allen Zukunftsinvestitionen müssen wir die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte und der Sozialsysteme im Blick haben. 85 Unsere Sozial- und Arbeitsmarkt-, aber auch unsere Bildungs-, Integrations-, Stadtentwicklungs- und Rechtspolitik eröffnet Menschen Teilhabechancen. Grundlage dafür ist unser emanzipatorisches Menschenbild, das den libertären Anspruch auf Selbstbestimmung mit einem erweiterten Gerechtigkeitsbegriff verbindet. Vielfalt ist eine gesellschaftliche Realität und für uns zugleich politische Handlungsmaxime. 90 Wir werden als Grüne immer solidarisch sein mit Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder diskriminiert werden. Es genügt uns aber nicht, Sprachrohr für diejenigen zu sein, die keine eigene Lobby haben. Wir wollen, dass immer mehr Menschen Verantwortung übernehmen und selbst für ihre Rechte und Interessen eintreten können. Die Berlinerinnen und Berliner wissen, dass wir sie und ihre Anliegen ernst nehmen. Es ist kein Zufall, dass uns in 95 Umfragen eine größere Sozialkompetenz bescheinigt wird als der SPD. Gerade dieses Feld werden wir nicht anderen Parteien überlassen. Lebendige Demokratie: Der Grüne Arbeitsprozess Lebendige Demokratie gehört zu unseren Grundwerten. Das gilt auch für die innerparteiliche Demokratie. Wir sind als Partei pluralistisch; es gibt bei uns ein breites Meinungsspektrum, das 100 nur zu einem kleineren Teil in Flügeln organisiert ist. Diesen Pluralismus wollen wir produktiv nutzen – für eine lebendige Debattenkultur nach innen, aber auch, um nach außen in möglichst viele Milieus hinein wirken zu können. Im Wahlkampf haben wir das nicht systematisch getan und dadurch teilweise ein einseitiges Bild unserer Politik erzeugt. Wir können die Stärke, die in unserer Vielfalt liegt, noch besser nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass alle wissen, dass sie 105 dabei an einem Strang ziehen. Lebendige Demokratie lebt davon, dass auch Minderheitenpositionen angemessen zur Geltung kommen können. Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe für alle, die verantwortliche Funktionen in den verschiedenen Gremien der Partei haben. Eine solche Debattenkultur ersetzt aber nicht demokratische Entscheidungen und Wahlen. Sie sind das Fundament unserer Arbeit und 110 müssen für alle und ohne jeden Zweifel gelten. Denn solche Entscheidungen markieren den Weg, den wir auch nach kontroversen Debatten gemeinsam weiter gehen. Wir wollen nicht bis zum nächsten Wahlkampf warten, um unsere innerparteiliche Demokratie, unsere Arbeitsweise und unsere Strukturen weiter zu entwickeln. Uns fehlten im Wahlkampf die zugespitzten und originär Grünen Konzepte und Alternativen zur Politik der anderen Parteien. 115 Auch deshalb blieb es trotz 230 Seiten Wahlprogramm bis zuletzt schwer, den Menschen in wenigen Sätzen zu erklären, warum Grün den entscheidenden Unterschied macht. Auch deshalb wurde die Ablehnung des Weiterbaus der A 100 als unser einziges Alleinstellungsmerkmal wahrgenommen. Wir wollen unser Wahlprogramm in einem verbindlichen Arbeitsprozess weiter entwickeln, der an unseren Werkstattprozess von 120 2010/2011 anknüpft und die Beteiligung von externen Fachleuten und der Zivilgesellschaft gewährleistet. Viele unserer Positionen sind mittlerweile Mainstream und damit gesellschaftlich mehrheitsfähig geworden. Das ist ein großer Erfolg, bedeutet aber auch, dass die programmatischen Unterschiede zu den anderen Parteien diffuser werden. Was uns weiterhin auszeichnen muss, 125 ist unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mit politischen Themen: Immer wieder sind es Grüne, die unangenehme Tatsachen aussprechen und sich vermeintlich einfachen Lösungen verweigern. Wir müssen auch zukünftig den Mut haben, Positionen zu vertreten, die (noch) nicht mehrheitsfähig sind. Das gilt auch dann, wenn wir dadurch unseren eigenen WählerInnen viel abverlangen. Und wir müssen den Mut haben, mit unseren Fehlern offener umzugehen als 130 andere Parteien. So wollen wir auch den Prozess angehen, der vor uns liegt. Wir haben nicht auf alle drängenden Probleme eine fertige Antwort und wir wissen, dass es schwierige Zielkonflikte gibt, die wir kreativ lösen müssen – etwa zwischen unserem Ziel der energetischen Sanierung von Gebäuden und dem Ziel, dass Mieten bezahlbar bleiben. Aber wir wollen diese Fragen mit den jeweiligen Akteurinnen und Akteuren in der Stadt diskutieren, ihre Interessen 135 ernst nehmen und Lösungen finden, die dem Gemeinwohl dienen. Für uns war der Umbau der Gesellschaft nie bloße Theorie; wir haben immer auch praktisch gezeigt, dass „anders leben, anders konsumieren, anders produzieren“ möglich ist. Gerade dadurch sind wir attraktiv für Menschen, die mitgestalten und die Gesellschaft verändern wollen. Wir wollen deshalb im Arbeitsprozess auch unsere Kampagnenfähigkeit neu beleben, 140 unsere Themen wieder verstärkt auf die Straße und direkt in die Öffentlichkeit bringen. Der Landesvorstand wird beauftragt, einen solchen Arbeitsprozess in Abstimmung mit den politischen Schwerpunkten unserer Fraktion im Abgeordnetenhaus und in Zusammenarbeit mit den Gliederungen der Partei zu initiieren und zu koordinieren. Eine erste Zwischenbilanz soll im Rahmen eines Grünen Berliner Zukunftskongresses im Frühjahr 2013 gezogen werden. 145 Schwerpunkte unserer Arbeit sehen wir zunächst in folgenden Debattenfeldern: Debattenfeld I: Soziale Stadt im Klimawandel Mehr als 1,2 Millionen Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren nach Berlin gezogen, angelockt von der Vielfalt und Weltoffenheit der Stadt, ihren Universitäten und ihrer kreativen 150 Szene, aber auch von den relativ niedrigen Lebenshaltungskosten. Sie sind überwiegend jung, gut ausgebildet und dynamisch; viel vom Aufschwung der letzten Jahre verdankt die Hauptstadt ihren Neuzugezogenen. Aber Berlin driftet sozial auseinander: Viel zu wenige – Neu- wie Alt-BerlinerInnen – profitieren von dem Aufschwung. Immer mehr Menschen sind in dieser Stadt von Armut bedroht, viele leben von sozialen Transferleistungen oder prekärer 155 Beschäftigung. Die sich vertiefende soziale Spaltung hat längst den Wohnungsmarkt erreicht und droht die Stadt nun auch geographisch zu spalten: Die sogenannte Gentrifizierung, die Verdrängung von Menschen aus ihrem angestammten Lebensumfeld durch steigende Mieten, ist nicht zuletzt ein Ergebnis des Aufeinanderprallens verschiedener Lebensrealitäten. 160 Dieser Entwicklung wollen wir Berliner Bündnisgrüne etwas entgegensetzen. Sie steht nicht nur im krassen Widerspruch zu unserem politischen Leitbild einer sozial integrierten Stadt, in der Nachbarschaften die Vielfalt der Stadt repräsentieren. Soziale Verdrängung und Segregation produzieren mittelfristig auch immense gesellschaftliche und finanzielle Kosten, weil die räumliche Konzentration von Armut und Perspektivlosigkeit, Bildungsferne und sozialen 165 Belastungen, die Probleme vor Ort noch potenziert und festschreibt. Wir Bündnisgrüne wissen, dass eine Metropole wie Berlin sich stetig verändert und auch verändern muss. Es geht uns nicht um die Bewahrung des Status Quo, sondern um einen urbanen Wandel, der ökologisch, sozialverträglich und gemeinsam mit den BewohnerInnen 170 dieser Stadt gestaltet wird. Wir werden deshalb gemeinsam mit allen, die daran mitarbeiten wollen, ein Leitbild für eine ökologische und solidarische Stadt entwickeln und mit konkreten Maßnahmen untersetzen. Dabei wollen wir auch neue Wege gehen und schwierigen Fragen nicht ausweichen. Wer wie der rot-schwarze Senat die energetische Sanierung öffentlicher und privater Gebäudebestände hinten anstellt, nimmt durch sein Nichtstun dreierlei in Kauf: eine 175 stärkere Belastung der MieterInnen durch steigende Energiekosten; hohe Ausgaben für die öffentliche Hand, in deren Dienstgebäuden, Schulen und Einrichtungen Geld im wahrsten Sinne des Wortes „verheizt“ wird; und ein komplettes Versagen Berlins beim wichtigsten Beitrag, den moderne Metropolen erbringen können, um den Klimawandel und seine Folgen abzumildern. Es wird an uns Grünen sein, aufzuzeigen, wie soziale Mietenpolitik und Klimaschutz 180 zusammengehen. In unseren Beschlüssen und in unserem Wahlprogramm haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen entwickelt und Maßnahmen benannt, wie Berlin explodierenden Mieten und sozialer Segregation politisch entgegenwirken kann. Der neue rot-schwarze Senat macht 185 keinerlei Anstalten, diese aufzugreifen und konzentriert sich ausschließlich auf den Wohnungsneubau. Den brauchen wir tatsächlich. Aber wie geht das zu bezahlbaren Mieten, für alle Einkommen und in allen Teilen der Stadt? Wie viel Verdichtung sind wir bereit zu akzeptieren und wo ist der Erhalt von Grünflächen wichtiger? Wie gelingt es, das Eigentum an Grundstücken und Immobilien mit sozialen und ökologischen Zwecken zu verbinden? 190 Berlin braucht auch wieder eine breit angelegte Debatte zur Stadtentwicklung. Dabei entscheidet sich auch, ob Berlin ein Ort bleibt, der experimentellen Räumen, innovativen Kulturund Zwischennutzungen sowie einem regen Szene- und Clubleben seine Anziehungskraft verdankt. Berlins Kreative warnen bereits heute, dass Berlin sich selbst um die Voraussetzungen für seinen Erfolg der vergangenen Jahre bringt. 195 Welche Alternativen gibt es zu den plakativen Senats-Masterplänen mit freier Hand für Investoren? Was sind die Erfordernisse einer modernen Stadtentwicklung, die an den Bedürfnissen der EinwohnerInnen und NutzerInnen ausgerichtet ist? Wie organisiert man systematisch Beteiligung und eine breit angelegte Debatte über Neubau- und Planungsprojekte, den Umgang mit dem öffentlichen Raum und den landeseigenen Liegenschaften? Wie können 200 wir Schulen und Bildungschancen vor Ort stärken? Am Aufwachsen und an der Bildung von Kindern in Berlin sind viele Menschen beteiligt: Eltern, Geschwister, Freunde, Kitas, Schulen, Kirchen- und Moscheegemeinden, Initiativen, Musikschulen, Sportvereine, die Jugendhilfe, Wirtschaftsbetriebe. Wir wollen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sie alle zusammen arbeiten können und ihre Potentiale nicht länger verschenkt werden. 205 In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass die Bürgerinnen und Bürger das Bedürfnis nach mehr Partizipation auch mit einer anderen Erwartungshaltung gegenüber dem Staat, der Politik und den öffentlichen Verwaltungen verbinden. Wir sind der Auffassung, dass diese Entwicklung beiden Seiten gut tut, weil am Ende durch die Mitsprache von Vielen bessere und auch breiter legitimierte Entscheidungen getroffen werden. Voraussetzung ist ein 210 höchstmögliches Maß an Offenheit und Transparenz. Wir wissen aber auch, dass Transparenz allein noch lange kein Garant für gelungene Partizipation ist. Das Internet bietet große Chancen, aber gerade Beteiligung lebt davon, dass sie auch „offline“ stattfindet. Wir wollen, dass Berlin zu einer Modellstadt für Partizipation und modernes Verwaltungshandeln wird. Wir haben im Wahlkampf für eine neue politische Kultur geworben – jetzt können wir beweisen, 215 dass es uns damit ernst ist. Debattenfeld II: Berlins Green New Deal Wenn wir Armut bekämpfen und den Wohlstand gerechter verteilen wollen, brauchen wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum, eine ökologische Modernisierung und mehr fair entlohnte 220 Arbeitsplätze. Wir Grüne wären nicht Grün, wenn wir Grüne Ökonomie lediglich als eine Weiterentwicklung roter oder schwarzer Wirtschafts- und Industriepolitik begreifen würden. Ein „Greenwashing“ alter Politikansätze, wie es der rot-schwarze Senat betreibt, bleibt weit hinter unserem Anspruch zurück. Wir begrüßen es, wenn Tegel ein Standort für grüne Zukunftstechnologien und Berlin eine Modellstadt für Elektromobilität wird. Wir wollen aber 225 mehr: eine ökologische Transformation der Wirtschaft, die auch soziale Verbesserungen bringt und sich an sozialen Standards ausrichtet. Für diesen Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem haben wir auf Bundes- und europäischer Ebene ein Konzept entwickelt: den Green New Deal. Wir meinen: Auch Berlin braucht einen Green New Deal! Im Wahlkampf ist es uns zu wenig 230 gelungen, anhand konkreter Beispiele deutlich zu machen, was das im Einzelnen bedeutet. Die kommenden Monate wollen wir nutzen, um den Green New Deal auf unsere Stadt herunter zu brechen. Wie sieht zukunftsfähige Standortentwicklung aus – ob bei der Nachnutzung von Flächen wie in Tegel oder in bestehenden Gewerbegebieten? Wie können wir neue Unternehmen voranbringen und Selbständigen helfen, ihre kreativen Ideen in dauerhafte 235 Arbeitsplätze und nachhaltige Produkte umzusetzen? Wie können wir erreichen, dass Handel, Handwerk und Industrie in Berlin effizienter und umweltschonender mit Material und Energie umgehen? Wie schaffen wir es, in Berlin die Energiewende konsequent einzuleiten und – trotz Rot-Schwarz - ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen? Wie nutzen wir das Auslaufen der Konzessionsverträge für Strom und Gas optimal für eine beschleunigte Energiewende? Wie 240 beteiligen wir BürgerInnen an der Energiewende und -produktion und wie schaffen wir die besten Voraussetzungen für unser Klima-Stadtwerk? Und wie werden dadurch Arbeitsplätze geschaffen? Unsere Aufgabe ist es, in Berlin für die Rahmenbedingungen einer sozialökologischen Transformation der Wirtschaft zu sorgen, durch parlamentarisch-gesetzgeberische Initiativen und durch den Dialog mit der Wirtschaft. 245 Sozialer Aufstieg hängt in einer Wissensgesellschaft wesentlich von Bildung ab. Gerade in einem Stadtstaat wie Berlin müssen wir nachhaltiges Wachstum und einen Green New Deal deshalb auch immer mit dem Thema Bildung zusammen denken. Dies betrifft keineswegs nur die Bereiche Wissenschaft und Forschung. Die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss und Ausbildung ist eines der drängenden sozialen Probleme Berlins. Gleichzeitig macht sich auch in 250 unserer Stadt der Fachkräftemangel bemerkbar. Wie können wir die Ausbildungs- und Qualifizierungschancen für diese Jugendlichen erhöhen und zugleich den Dschungel an Maßnahmen und sinnlosen Warteschleifen lichten? Wie müssen wir gerade auch kleine und mittlere Betriebe darin unterstützen, mehr Ausbildungsplätze für diese Jugendlichen zu schaffen? Und welche Freiräume brauchen die Berliner Oberstufenzentren, um Jugendliche 255 noch besser zu fördern? Zu einem Green New Deal für Berlin gehört auch die Debatte über eine moderne Berliner Infrastruktur. Wir haben es hier in der Vergangenheit der politischen Konkurrenz zu leicht gemacht, uns als „Dagegenpartei“ zu diffamieren. Der Konflikt um die A100 war nicht ursächlich für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen, aber für Klaus Wowereit und die SPD 260 ein willkommener Anlass, die Gespräche zu beenden. Wir Bündnisgrüne müssen zukünftig deutlicher machen, dass es uns bei der Verbesserung der städtischen Infrastruktur nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ geht. Wir werden es dem Senat nicht durchgehen lassen, wenn er den teuersten Autobahnneubau in der Geschichte der Bundesrepublik mit vorprogrammiertem Stauchaos und einer zusätzlichen Verkehrsbelastung innerstädtischer 265 Wohngebiete als „modernes Infrastrukturprojekt“ verkauft. Aber wir Bündnisgrüne müssen gleichzeitig deutlich machen, wie wir die vorhandenen Anbindungs- und Verkehrsprobleme konkret und nachhaltig lösen wollen, ohne dabei nur auf die Stärkung des Radverkehrs und die Zukunftspotentiale der Elektromobilität zu verweisen. Das hält uns nicht davon ab, eine Vision für Mobilität in einer modernen Metropole zu entwickeln. Auch hier kann der Green New Deal 270 mit seiner Verknüpfung von Zukunftsinvestitionen, technologischer Innovation, Umwelt- und sozialer Verantwortung zum Leitgedanken werden. Antragsteller: Landesvorstand