Grüne Berlin

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Ballhaus Rixdorf
Kottbusser Damm 76 (Berlin-Neukölln)
Eingereicht von:
Landesvorstand
Gegenstand:
Antrag
L-01
Grüne
Landesdelegiertenkonferenz
21. Januar 2012
Grüne Oppositionsführerschaft: Bessere Konzepte für Berlin
17,6 Prozent der WählerInnen haben uns Berliner Bündnisgrünen bei der letzten Wahl ihre
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Stimme gegeben, mehr als je zuvor. Dieses Ergebnis ist für uns Ansporn und Verpflichtung
zugleich. Denn nicht allein die Anzahl der WählerInnenstimmen macht uns Grüne zur
Oppositionsführerin, sondern unsere politische Arbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments.
Wir wollen den rot-schwarzen Senat treiben, indem wir mit besseren Ideen, überzeugenderen
Konzepten und echten Alternativen zur Regierungspolitik aufwarten und dabei Antworten auf
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die Fragen geben, die den BerlinerInnen auf den Nägeln brennen. Das heißt aber auch, dass wir
uns auf unserem Wahlergebnis und dem, was wir uns programmatisch in den vergangenen
Jahren erarbeitet haben, nicht ausruhen dürfen. Wir wollen unsere eigenständige Grüne Politik
weiterentwickeln. Deshalb starten wir innerhalb unserer Partei einen neuen Arbeits- und
Debattenprozess.
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257.063 Gründe für starke Grüne Opposition
So viele WählerInnen haben uns im Herbst ihre Stimme gegeben. Das zeigt, dass unser
Anspruch, Politik für die ganze Stadt und alle ihre BewohnerInnen zu machen, im Grundsatz
richtig ist. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir im Wahlkampf nicht allen Erwartungen gerecht
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geworden sind, die diese Öffnung zu allen Teilen der Stadtgesellschaft geweckt hat. Wir
werden den Dialog auch in der neuen Legislatur fortsetzen, denn wir wollen Politik mit den
Menschen machen und nicht über ihre Köpfe hinweg. Aus dem Wahlkampf haben wir gelernt:
Wenn wir weiter wachsen wollen, müssen wir uns noch breiter in der Stadt verankern als bisher.
Wir wollen Politik für die Menschen in der ganzen Stadt anbieten, in der Innenstadt und in den
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Außenbezirken, für StammwählerInnen und für BerlinerInnen, die bisher noch nie Grün gewählt
haben. Wir wollen dabei keine Gruppe auf Kosten der anderen pflegen. Das ist unser
gemeinsames Ziel und dafür wollen wir unseren parteiinternen Pluralismus produktiver nutzen
als bisher. Öffnung bedeutet aber keine Beliebigkeit. Wir müssen und dürfen nicht aufhören,
authentisch Grün zu sein.
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Im Herbst 2010 hatten wir Umfrageergebnisse bis zu 30%. Die Möglichkeit, stärkste Partei zu
werden und die Regierende Bürgermeisterin zu stellen, schien greifbar. Wir haben uns auf
dieses Wagnis eingelassen, ohne große Debatten im Vorfeld und in großer Einmütigkeit. Im
März 2011 haben wir ein Wahlprogramm verabschiedet, das alle unsere Konzepte und
programmatischen Forderungen auf den Nenner „Eine Stadt für alle“ brachte. Strategisch
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haben wir uns lange alle Koalitions-Optionen offengehalten und damit etwas beansprucht, was
für die anderen großen Parteien – SPD und CDU – eine Selbstverständlichkeit ist.
Im Wahlkampf haben wir Fehler gemacht. Unterschiedliche Haltungen oder Prioritäten wurden
mit Formelkompromissen kaschiert, latente Konflikte überdeckt. Seit das gemeinsame Ziel, in
Regierungsverantwortung zu kommen, obsolet ist, brechen diese Konflikte in einer Weise auf,
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die sogar Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen scheint. Inhaltlicher Pluralismus ist wichtig
und richtig, aber er braucht ein gemeinsames Selbstverständnis.
Wir haben mit diesem Wahlkampf die Hegemonie der SPD im linken Parteienspektrum erstmals
in Frage gestellt, wenn auch am Ende nicht mit Erfolg. Dennoch haben wir damit einen
Anspruch erhoben, mit dem wir die Rolle des „ewigen Juniorpartners“ hinter uns gelassen
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haben. Wir wollen weiter daran arbeiten, diesen Anspruch besser auszufüllen. Die Grüne
Eigenständigkeit haben wir im Wahlkampf zu wenig an Inhalten verdeutlicht und zu sehr von
Koalitionsoptionen abgeleitet. Eine Identität, die sich von der Nähe oder Distanz zu anderen
Parteien ableitet, ist aber gerade keine eigenständige. Wir werden deshalb jetzt die Chance
ergreifen, Grüne Politik für Berlin weiter zu entwickeln und noch stärker an unseren Grünen
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Grundüberzeugungen und den politischen Anforderungen dieser Stadt auszurichten.
Eigenständigkeit verlangt, zunächst das politische Ziel zu definieren, und dann Verbündete
dafür zu suchen.
Die BerlinerInnen erwarten, dass wir auch in der Opposition das umsetzen, wofür wir im
Wahlkampf angetreten sind. Wir werden damit nicht warten, bis die nächste Wahl vor der Tür
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steht. Wir wollen als größte Oppositionspartei mit unserem Grünen Angebot für Berlin RotSchwarz treiben und dabei alle BewohnerInnen dieser Stadt – unabhängig von Zuschreibungen
wie „links“ oder „bürgerlich“ – ansprechen. Wir wollen SPD und CDU in keinem Themenfeld
die Deutungshoheit überlassen, egal ob es um die Sozial- und Infrastrukturpolitik oder die
Themen Wirtschaft und Finanzen geht. Strategische Bündnisse mit den anderen
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Oppositionsparteien schließen wir immer dann, wenn sie sich mit Grünen Anliegen verbinden
lassen. In unserer Politik leitet uns das Grundprinzip der Nachhaltigkeit ebenso wie unser
emanzipatorisches Menschenbild.
Das Grüne Kernanliegen: Prinzip Zukunft
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Der grüne Gründungsimpuls war die Erkenntnis, dass die Menschheit dabei ist, ihre eigenen
Lebensgrundlagen zu zerstören. Wir müssen mit den Ressourcen dieser Erde so umgehen, dass
wir nicht auf Kosten nachfolgender Generationen oder der Menschen in anderen Teilen der
Erde leben. Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit liegt auch unserer Kritik an der
Industriegesellschaft und den Auswüchsen der kapitalistischen Marktwirtschaft zugrunde: Wir
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kämpfen für eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, die den Menschen dient und sie in den
Mittelpunkt stellt. Dieses Grüne Kernanliegen ist heute aktueller denn je; es muss unser Profil
wieder deutlicher prägen.
Unser Green New Deal ist nichts anderes als ein Entwurf für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik,
denn wirtschaftliche Entwicklung ist ohne erneuerten sozialen Ausgleich, bessere
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Bildungschancen für alle Menschen und ökologischen Umbau nicht zu haben. Unsere Aufgabe
ist es, die Rahmenbedingungen für diesen Wandel auch in Berlin zu schaffen. Wie nachhaltige
Finanzpolitik angesichts der europäischen Schuldenkrise aussehen kann, haben wir im
November 2011 bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Kiel deutlich gemacht. Mit einer
ehrlichen Haushaltspolitik lassen sich sogar Wahlen gewinnen – das hat nicht zuletzt die grüne
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Finanzsenatorin Karoline Linnert in Bremen gezeigt. Engagierte und begründete
Sparanstrengungen sind gerade in diesen Zeiten für glaubwürdige Politik zentral und erhöhen
zudem die Legitimation staatlicher Ausgaben. Auch in Berlin muss es gelingen, die
Schuldenbremse einzuhalten. Bei allen Zukunftsinvestitionen müssen wir die langfristige
Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte und der Sozialsysteme im Blick haben.
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Unsere Sozial- und Arbeitsmarkt-, aber auch unsere Bildungs-, Integrations-,
Stadtentwicklungs- und Rechtspolitik eröffnet Menschen Teilhabechancen. Grundlage dafür ist
unser emanzipatorisches Menschenbild, das den libertären Anspruch auf Selbstbestimmung mit
einem erweiterten Gerechtigkeitsbegriff verbindet. Vielfalt ist eine gesellschaftliche Realität und
für uns zugleich politische Handlungsmaxime.
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Wir werden als Grüne immer solidarisch sein mit Menschen, die an den Rand der Gesellschaft
gedrängt oder diskriminiert werden. Es genügt uns aber nicht, Sprachrohr für diejenigen zu sein,
die keine eigene Lobby haben. Wir wollen, dass immer mehr Menschen Verantwortung
übernehmen und selbst für ihre Rechte und Interessen eintreten können. Die Berlinerinnen und
Berliner wissen, dass wir sie und ihre Anliegen ernst nehmen. Es ist kein Zufall, dass uns in
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Umfragen eine größere Sozialkompetenz bescheinigt wird als der SPD. Gerade dieses Feld
werden wir nicht anderen Parteien überlassen.
Lebendige Demokratie: Der Grüne Arbeitsprozess
Lebendige Demokratie gehört zu unseren Grundwerten. Das gilt auch für die innerparteiliche
Demokratie. Wir sind als Partei pluralistisch; es gibt bei uns ein breites Meinungsspektrum, das
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nur zu einem kleineren Teil in Flügeln organisiert ist. Diesen Pluralismus wollen wir produktiv
nutzen – für eine lebendige Debattenkultur nach innen, aber auch, um nach außen in möglichst
viele Milieus hinein wirken zu können. Im Wahlkampf haben wir das nicht systematisch getan
und dadurch teilweise ein einseitiges Bild unserer Politik erzeugt. Wir können die Stärke, die in
unserer Vielfalt liegt, noch besser nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass alle wissen, dass sie
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dabei an einem Strang ziehen.
Lebendige Demokratie lebt davon, dass auch Minderheitenpositionen angemessen zur Geltung
kommen können. Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe für alle, die verantwortliche Funktionen in
den verschiedenen Gremien der Partei haben. Eine solche Debattenkultur ersetzt aber nicht
demokratische Entscheidungen und Wahlen. Sie sind das Fundament unserer Arbeit und
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müssen für alle und ohne jeden Zweifel gelten. Denn solche Entscheidungen markieren den
Weg, den wir auch nach kontroversen Debatten gemeinsam weiter gehen.
Wir wollen nicht bis zum nächsten Wahlkampf warten, um unsere innerparteiliche Demokratie,
unsere Arbeitsweise und unsere Strukturen weiter zu entwickeln. Uns fehlten im Wahlkampf die
zugespitzten und originär Grünen Konzepte und Alternativen zur Politik der anderen Parteien.
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Auch deshalb blieb es trotz 230 Seiten Wahlprogramm bis zuletzt schwer, den Menschen in
wenigen Sätzen zu erklären, warum Grün den entscheidenden Unterschied macht. Auch
deshalb wurde die Ablehnung des Weiterbaus der A 100 als unser einziges
Alleinstellungsmerkmal wahrgenommen. Wir wollen unser Wahlprogramm in einem
verbindlichen Arbeitsprozess weiter entwickeln, der an unseren Werkstattprozess von
120
2010/2011 anknüpft und die Beteiligung von externen Fachleuten und der Zivilgesellschaft
gewährleistet.
Viele unserer Positionen sind mittlerweile Mainstream und damit gesellschaftlich mehrheitsfähig
geworden. Das ist ein großer Erfolg, bedeutet aber auch, dass die programmatischen
Unterschiede zu den anderen Parteien diffuser werden. Was uns weiterhin auszeichnen muss,
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ist unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mit politischen Themen: Immer wieder sind es Grüne,
die unangenehme Tatsachen aussprechen und sich vermeintlich einfachen Lösungen
verweigern. Wir müssen auch zukünftig den Mut haben, Positionen zu vertreten, die (noch)
nicht mehrheitsfähig sind. Das gilt auch dann, wenn wir dadurch unseren eigenen WählerInnen
viel abverlangen. Und wir müssen den Mut haben, mit unseren Fehlern offener umzugehen als
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andere Parteien. So wollen wir auch den Prozess angehen, der vor uns liegt. Wir haben nicht
auf alle drängenden Probleme eine fertige Antwort und wir wissen, dass es schwierige
Zielkonflikte gibt, die wir kreativ lösen müssen – etwa zwischen unserem Ziel der energetischen
Sanierung von Gebäuden und dem Ziel, dass Mieten bezahlbar bleiben. Aber wir wollen diese
Fragen mit den jeweiligen Akteurinnen und Akteuren in der Stadt diskutieren, ihre Interessen
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ernst nehmen und Lösungen finden, die dem Gemeinwohl dienen.
Für uns war der Umbau der Gesellschaft nie bloße Theorie; wir haben immer auch praktisch
gezeigt, dass „anders leben, anders konsumieren, anders produzieren“ möglich ist. Gerade
dadurch sind wir attraktiv für Menschen, die mitgestalten und die Gesellschaft verändern
wollen. Wir wollen deshalb im Arbeitsprozess auch unsere Kampagnenfähigkeit neu beleben,
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unsere Themen wieder verstärkt auf die Straße und direkt in die Öffentlichkeit bringen.
Der Landesvorstand wird beauftragt, einen solchen Arbeitsprozess in Abstimmung mit den
politischen Schwerpunkten unserer Fraktion im Abgeordnetenhaus und in Zusammenarbeit
mit den Gliederungen der Partei zu initiieren und zu koordinieren. Eine erste Zwischenbilanz
soll im Rahmen eines Grünen Berliner Zukunftskongresses im Frühjahr 2013 gezogen werden.
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Schwerpunkte unserer Arbeit sehen wir zunächst in folgenden Debattenfeldern:
Debattenfeld I: Soziale Stadt im Klimawandel
Mehr als 1,2 Millionen Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren nach Berlin gezogen,
angelockt von der Vielfalt und Weltoffenheit der Stadt, ihren Universitäten und ihrer kreativen
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Szene, aber auch von den relativ niedrigen Lebenshaltungskosten. Sie sind überwiegend jung,
gut ausgebildet und dynamisch; viel vom Aufschwung der letzten Jahre verdankt die
Hauptstadt ihren Neuzugezogenen. Aber Berlin driftet sozial auseinander: Viel zu wenige –
Neu- wie Alt-BerlinerInnen – profitieren von dem Aufschwung. Immer mehr Menschen sind in
dieser Stadt von Armut bedroht, viele leben von sozialen Transferleistungen oder prekärer
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Beschäftigung. Die sich vertiefende soziale Spaltung hat längst den Wohnungsmarkt erreicht
und droht die Stadt nun auch geographisch zu spalten: Die sogenannte Gentrifizierung, die
Verdrängung von Menschen aus ihrem angestammten Lebensumfeld durch steigende Mieten,
ist nicht zuletzt ein Ergebnis des Aufeinanderprallens verschiedener Lebensrealitäten.
160
Dieser Entwicklung wollen wir Berliner Bündnisgrüne etwas entgegensetzen. Sie steht nicht nur
im krassen Widerspruch zu unserem politischen Leitbild einer sozial integrierten Stadt, in der
Nachbarschaften die Vielfalt der Stadt repräsentieren. Soziale Verdrängung und Segregation
produzieren mittelfristig auch immense gesellschaftliche und finanzielle Kosten, weil die
räumliche Konzentration von Armut und Perspektivlosigkeit, Bildungsferne und sozialen
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Belastungen, die Probleme vor Ort noch potenziert und festschreibt.
Wir Bündnisgrüne wissen, dass eine Metropole wie Berlin sich stetig verändert und auch
verändern muss. Es geht uns nicht um die Bewahrung des Status Quo, sondern um einen
urbanen Wandel, der ökologisch, sozialverträglich und gemeinsam mit den BewohnerInnen
170
dieser Stadt gestaltet wird. Wir werden deshalb gemeinsam mit allen, die daran mitarbeiten
wollen, ein Leitbild für eine ökologische und solidarische Stadt entwickeln und mit konkreten
Maßnahmen untersetzen. Dabei wollen wir auch neue Wege gehen und schwierigen Fragen
nicht ausweichen. Wer wie der rot-schwarze Senat die energetische Sanierung öffentlicher und
privater Gebäudebestände hinten anstellt, nimmt durch sein Nichtstun dreierlei in Kauf: eine
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stärkere Belastung der MieterInnen durch steigende Energiekosten; hohe Ausgaben für die
öffentliche Hand, in deren Dienstgebäuden, Schulen und Einrichtungen Geld im wahrsten Sinne
des Wortes „verheizt“ wird; und ein komplettes Versagen Berlins beim wichtigsten Beitrag, den
moderne Metropolen erbringen können, um den Klimawandel und seine Folgen abzumildern.
Es wird an uns Grünen sein, aufzuzeigen, wie soziale Mietenpolitik und Klimaschutz
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zusammengehen.
In unseren Beschlüssen und in unserem Wahlprogramm haben wir eine ganze Reihe von
Vorschlägen entwickelt und Maßnahmen benannt, wie Berlin explodierenden Mieten und
sozialer Segregation politisch entgegenwirken kann. Der neue rot-schwarze Senat macht
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keinerlei Anstalten, diese aufzugreifen und konzentriert sich ausschließlich auf den
Wohnungsneubau. Den brauchen wir tatsächlich. Aber wie geht das zu bezahlbaren Mieten, für
alle Einkommen und in allen Teilen der Stadt? Wie viel Verdichtung sind wir bereit zu
akzeptieren und wo ist der Erhalt von Grünflächen wichtiger? Wie gelingt es, das Eigentum an
Grundstücken und Immobilien mit sozialen und ökologischen Zwecken zu verbinden?
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Berlin braucht auch wieder eine breit angelegte Debatte zur Stadtentwicklung. Dabei
entscheidet sich auch, ob Berlin ein Ort bleibt, der experimentellen Räumen, innovativen Kulturund Zwischennutzungen sowie einem regen Szene- und Clubleben seine Anziehungskraft
verdankt. Berlins Kreative warnen bereits heute, dass Berlin sich selbst um die Voraussetzungen
für seinen Erfolg der vergangenen Jahre bringt.
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Welche Alternativen gibt es zu den plakativen Senats-Masterplänen mit freier Hand für
Investoren? Was sind die Erfordernisse einer modernen Stadtentwicklung, die an den
Bedürfnissen der EinwohnerInnen und NutzerInnen ausgerichtet ist? Wie organisiert man
systematisch Beteiligung und eine breit angelegte Debatte über Neubau- und Planungsprojekte,
den Umgang mit dem öffentlichen Raum und den landeseigenen Liegenschaften? Wie können
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wir Schulen und Bildungschancen vor Ort stärken? Am Aufwachsen und an der Bildung von
Kindern in Berlin sind viele Menschen beteiligt: Eltern, Geschwister, Freunde, Kitas, Schulen,
Kirchen- und Moscheegemeinden, Initiativen, Musikschulen, Sportvereine, die Jugendhilfe,
Wirtschaftsbetriebe. Wir wollen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sie alle
zusammen arbeiten können und ihre Potentiale nicht länger verschenkt werden.
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In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass die Bürgerinnen und Bürger das
Bedürfnis nach mehr Partizipation auch mit einer anderen Erwartungshaltung gegenüber dem
Staat, der Politik und den öffentlichen Verwaltungen verbinden. Wir sind der Auffassung, dass
diese Entwicklung beiden Seiten gut tut, weil am Ende durch die Mitsprache von Vielen bessere
und auch breiter legitimierte Entscheidungen getroffen werden. Voraussetzung ist ein
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höchstmögliches Maß an Offenheit und Transparenz. Wir wissen aber auch, dass Transparenz
allein noch lange kein Garant für gelungene Partizipation ist. Das Internet bietet große
Chancen, aber gerade Beteiligung lebt davon, dass sie auch „offline“ stattfindet. Wir wollen,
dass Berlin zu einer Modellstadt für Partizipation und modernes Verwaltungshandeln wird. Wir
haben im Wahlkampf für eine neue politische Kultur geworben – jetzt können wir beweisen,
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dass es uns damit ernst ist.
Debattenfeld II: Berlins Green New Deal
Wenn wir Armut bekämpfen und den Wohlstand gerechter verteilen wollen, brauchen wir
nachhaltiges Wirtschaftswachstum, eine ökologische Modernisierung und mehr fair entlohnte
220
Arbeitsplätze. Wir Grüne wären nicht Grün, wenn wir Grüne Ökonomie lediglich als eine
Weiterentwicklung roter oder schwarzer Wirtschafts- und Industriepolitik begreifen würden. Ein
„Greenwashing“ alter Politikansätze, wie es der rot-schwarze Senat betreibt, bleibt weit hinter
unserem Anspruch zurück. Wir begrüßen es, wenn Tegel ein Standort für grüne
Zukunftstechnologien und Berlin eine Modellstadt für Elektromobilität wird. Wir wollen aber
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mehr: eine ökologische Transformation der Wirtschaft, die auch soziale Verbesserungen bringt
und sich an sozialen Standards ausrichtet. Für diesen Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und
Sozialem haben wir auf Bundes- und europäischer Ebene ein Konzept entwickelt: den Green
New Deal.
Wir meinen: Auch Berlin braucht einen Green New Deal! Im Wahlkampf ist es uns zu wenig
230
gelungen, anhand konkreter Beispiele deutlich zu machen, was das im Einzelnen bedeutet. Die
kommenden Monate wollen wir nutzen, um den Green New Deal auf unsere Stadt herunter zu
brechen. Wie sieht zukunftsfähige Standortentwicklung aus – ob bei der Nachnutzung von
Flächen wie in Tegel oder in bestehenden Gewerbegebieten? Wie können wir neue
Unternehmen voranbringen und Selbständigen helfen, ihre kreativen Ideen in dauerhafte
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Arbeitsplätze und nachhaltige Produkte umzusetzen? Wie können wir erreichen, dass Handel,
Handwerk und Industrie in Berlin effizienter und umweltschonender mit Material und Energie
umgehen? Wie schaffen wir es, in Berlin die Energiewende konsequent einzuleiten und – trotz
Rot-Schwarz - ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen? Wie nutzen wir das Auslaufen
der Konzessionsverträge für Strom und Gas optimal für eine beschleunigte Energiewende? Wie
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beteiligen wir BürgerInnen an der Energiewende und -produktion und wie schaffen wir die
besten Voraussetzungen für unser Klima-Stadtwerk? Und wie werden dadurch Arbeitsplätze
geschaffen? Unsere Aufgabe ist es, in Berlin für die Rahmenbedingungen einer sozialökologischen Transformation der Wirtschaft zu sorgen, durch parlamentarisch-gesetzgeberische
Initiativen und durch den Dialog mit der Wirtschaft.
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Sozialer Aufstieg hängt in einer Wissensgesellschaft wesentlich von Bildung ab. Gerade in einem
Stadtstaat wie Berlin müssen wir nachhaltiges Wachstum und einen Green New Deal deshalb
auch immer mit dem Thema Bildung zusammen denken. Dies betrifft keineswegs nur die
Bereiche Wissenschaft und Forschung. Die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss und
Ausbildung ist eines der drängenden sozialen Probleme Berlins. Gleichzeitig macht sich auch in
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unserer Stadt der Fachkräftemangel bemerkbar. Wie können wir die Ausbildungs- und
Qualifizierungschancen für diese Jugendlichen erhöhen und zugleich den Dschungel an
Maßnahmen und sinnlosen Warteschleifen lichten? Wie müssen wir gerade auch kleine und
mittlere Betriebe darin unterstützen, mehr Ausbildungsplätze für diese Jugendlichen zu
schaffen? Und welche Freiräume brauchen die Berliner Oberstufenzentren, um Jugendliche
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noch besser zu fördern?
Zu einem Green New Deal für Berlin gehört auch die Debatte über eine moderne Berliner
Infrastruktur. Wir haben es hier in der Vergangenheit der politischen Konkurrenz zu leicht
gemacht, uns als „Dagegenpartei“ zu diffamieren. Der Konflikt um die A100 war nicht
ursächlich für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen, aber für Klaus Wowereit und die SPD
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ein willkommener Anlass, die Gespräche zu beenden. Wir Bündnisgrüne müssen zukünftig
deutlicher machen, dass es uns bei der Verbesserung der städtischen Infrastruktur nicht um das
„Ob“, sondern um das „Wie“ geht. Wir werden es dem Senat nicht durchgehen lassen, wenn
er den teuersten Autobahnneubau in der Geschichte der Bundesrepublik mit
vorprogrammiertem Stauchaos und einer zusätzlichen Verkehrsbelastung innerstädtischer
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Wohngebiete als „modernes Infrastrukturprojekt“ verkauft. Aber wir Bündnisgrüne müssen
gleichzeitig deutlich machen, wie wir die vorhandenen Anbindungs- und Verkehrsprobleme
konkret und nachhaltig lösen wollen, ohne dabei nur auf die Stärkung des Radverkehrs und die
Zukunftspotentiale der Elektromobilität zu verweisen. Das hält uns nicht davon ab, eine Vision
für Mobilität in einer modernen Metropole zu entwickeln. Auch hier kann der Green New Deal
270
mit seiner Verknüpfung von Zukunftsinvestitionen, technologischer Innovation, Umwelt- und
sozialer Verantwortung zum Leitgedanken werden.
Antragsteller:
Landesvorstand
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