Leseprobe aus: Markus Grill Kranke Geschäfte Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier. Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek Einführung Warum die Pharmaindustrie für ihr Geschäft ein paar Mythen braucht Wissen Sie eigentlich, warum Sie jeden Monat 14 Prozent Ihres Bruttoverdienstes an die Krankenkasse zahlen ? Kommt Ihnen das auch ein bisschen viel vor ? Deutschland pumpt so viel Geld in sein Gesundheitssystem wie kaum ein anderes Land. Nur drei Staaten geben noch mehr aus : die USA, Frankreich und die Schweiz. Vielleicht denken Sie : Hohe Krankenkassenbeiträge sind in Ordnung, schließlich ist unser Gesundheitssystem besonders gut, und Qualität hat eben ihren Preis. Schön wär’s ! Denn obwohl die Deutschen enorm viel Geld für die Gesundheitsversorgung ausgeben, ist die Qualität im internationalen Vergleich nur mittelmäßig. Gemessen an der Überlebensrate bei Brustkrebs, Darmkrebs oder Gebärmutterhalskrebs landet Deutschland innerhalb der OECDStaaten nur auf den hinteren Plätzen. Bei der Frage, warum wir so viel Geld für unsere Gesundheit zahlen müssen, hilft ein Blick auf den größten Kostentreiber im System : die Arzneimittelausgaben. Vor zehn Jahren haben die gesetzlichen Krankenkassen noch 17 Milliarden Euro für Arzneimittel bezahlt, im Jahr 2006 waren es bereits 26 Milliarden Euro – ein Plus von 48 Prozent. Für das Jahr 2007 zeichnet sich erneut ein Anstieg um mehr als 8 Prozent ab. Kein anderer Bereich im Gesundheitswesen ist derart gefräßig : So stiegen die Ausgaben für ärztliche Behandlung in den vergangenen zehn Jahren lediglich um 11 Prozent, die für Krankenhäuser um 22 Prozent. Während jedes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse im vergangenen Jahr für Arzthonorare durchschnittlich 441 Euro zahlen musste, kosteten Arzneimittel jeden Versicherten satte 513 Euro. Eine Perversion des Systems : Im Jahr 2001 gaben wir für Pillen und Pülverchen 9 erstmals mehr Geld aus als für alle Arztpraxen im Land – und daran hat sich seitdem auch nichts geändert. Warum aber sind Arzneimittel so teuer geworden ? Sie denken, das Gesundheitsministerium oder die Krankenkassen verhandeln mit der Pharmaindustrie über den Preis eines neuen Medikaments ? Stimmt leider nicht. Denn für die Pharmaindustrie herrschen in Deutschland perfekte Bedingungen : Sie selbst legt den Preis für ein neues Präparat fest, und sobald es zugelassen ist, muss die Krankenkasse ihn bezahlen. Die Pharmareferenten müssen nach der Zulassung also nur noch möglichst viele Ärzte dazu bringen, es zu verordnen – und schon sprudeln die Gewinne für das Unternehmen. So einfach funktioniert die Ausbeutung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sie wenden vielleicht ein : Na gut, neue Medikamente sind teurer als alte, dafür sind sie auch besser ! Stimmt leider auch nicht. Zwar ist dieser Mythos weit verbreitet – wie noch einige andere Mythen in diesem Markt der Gesundheit. Aber um die Zulassung für ein neues Medikament zu erhalten, muss das Pharmaunternehmen nur nachweisen, dass es wirkt. Es muss also gegenüber einem Placebo (einer Pille ohne Wirkstoff) irgendeine therapeutische Wirkung zeigen. Ob es tatsächlich besser ist als ein bewährtes Arzneimittel oder gar schlechter, interessiert in der Zulassungsbehörde erst einmal niemanden. Aber untersucht die Behörde nicht wenigstens, ob das Medikament sicher ist ? Schon wieder : leider nein. Denn die Pharmaunternehmen selbst dürfen solche Studien durchführen. Und erst wenn die Konzerne eine Studie haben, die das gewünschte Ergebnis zeigt, reichen sie die Unterlagen bei der Behörde ein und beantragen die Zulassung. In vielen Fällen wurden so die Nebenwirkungen von neuen Arzneimitteln bagatellisiert oder entscheidende Beobachtungen über Jahre zurückgehalten. Die Behörde selbst testet vor der Zulassung nichts. Sie prüft lediglich die von den Pharmakonzernen eingereichten Unterlagen. 10 Sie denken vielleicht : Arzneimittel sind eben deshalb so teuer, weil Forschung und Entwicklung neuer Medikamente so viel Geld verschlingen. Die Pharmaindustrie erzählt diese Geschichte gern – aber es ist eine glatte Lüge. In Wirklichkeit geben die Konzerne für Forschung nur noch halb so viel aus wie für Marketing und Verwaltung. Im Kern sind Pharmaunternehmen heute eher Marketingfirmen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Im Jahr 2005 hat die gesamte Pharmabranche gerade mal zehn echte Neuheiten hervorgebracht. Also Präparate, die nicht nur neu sind, sondern auch einen Fortschritt für Patienten bringen. Statt wirklich Neues zu erforschen, hat die Pharmaindustrie sich in den zurückliegenden Jahren auf die faule Haut gelegt. Denn sie hat zum großen Teil einfach bewährte Medikamente nachgebaut, die chemische Struktur leicht verändert und sie dann als Neuheiten auf den Markt geworfen. Diese Pseudoneuheiten können gut sein, etwa so gut wie die bisherigen Präparate. Aber wirklich innovativ sind sie nicht. Dennoch erhalten die Pharmakonzerne mit diesem Trick den vollen Patentschutz und können erst mal dieselben astronomischen Preise verlangen wie für echte Neuheiten. Warum also soll ein Konzern noch viel Geld in die hochriskante Entwicklung neuer Medikamente stecken, wenn er mit solchen aufgemotzten Ladenhütern genauso gut fährt ? Das wäre aus der Perspektive der Pharmaunternehmen völlig unsinnig. Nach Einschätzung unabhängiger Wissenschaftler waren die Hälfte der zwischen 1978 und 2004 in Deutschland neu zugelassenen Arzneimittel solche Scheininnovationen. Die Politik unterstützt diese Schummelei auch noch, indem sie auf den Nachweis verzichtet, dass ein neues Präparat besser sein muss als ein altes. Auf Medikamente, die wirklich benötigt werden, wie solche, um Krebs zu heilen, Parkinson, Alzheimer oder Multiple Sklerose, warten Patienten unterdessen vergeblich. Ein Zufall ? Wer keine wirklich überzeugenden Produkte mehr herstellt, 11 braucht andere Anreize, damit die Ärzte seine Medikamente verordnen. Die Palette der Tricks ist dabei schier grenzenlos : Die Werbespezialisten der Pharmakonzerne bezahlen Professoren für gefällige Gutachten und beeinflussen Therapie-Leitlinien in ihrem Sinn. Klinikärzte werden zu Kongressen an touristisch reizvolle Orte eingeladen, Flug und Hotel werden selbstverständlich vom Pharmaunternehmen bezahlt. Vom niedergelassenen Orthopäden bis zum einfachen Landarzt werden Mediziner mit Espressomaschinen, Designerlampen und honorierten Scheinstudien versorgt, damit sie die « richtigen » Präparate verordnen. Und wo die Überzeugung durch derlei Zuwendungen nicht funktioniert, übt die Pharmaindustrie auch schon mal Druck auf Medizinzeitschriften aus, um das Erscheinen unliebsamer Artikel zu verhindern. PR-Agenturen werden damit beauftragt, unabhängige Wissenschaftler in schlechtem Licht erscheinen zu lassen, und ihre Kritiker überzieht die Industrie gern mit einer Welle von Prozessen – Geld spielt für die Pharmariesen schließlich keine Rolle. Es gibt keine Branche, die seit Jahren so hohe Gewinne einfährt wie die Pharmabranche – und es gibt keine Branche, die den Menschen so viel Sand über ihr wahres Geschäftsgebaren in die Augen streut. Ausgenommen vielleicht die Waffenindustrie. Die Politik hat dieses korrupte System in seinem ganzen Ausmaß bisher nicht wirklich zur Kenntnis genommen – oder davor die Augen verschlossen. Jedenfalls knicken die Gesundheitsminister, egal ob sie Horst Seehofer oder Ulla Schmidt heißen, noch immer regelmäßig ein vor den Lobbyisten der Pharmaindustrie. Und diese verfügen stets auch über einen direkten Draht ins Kanzleramt. Manchmal hat die Politik schon zaghaft einen Aufstand versucht, Veränderungen geplant und Gesetze entworfen – doch am Ende schaffte es « Big Pharma » noch jedes Mal, dass nichts umgesetzt wurde, was ihre Macht wirklich bedrohen könnte : 12 • So gibt es in Deutschland, im Unterschied zu den meisten anderen euopäischen Ländern, bis heute keine Positivliste, in der die wirksamen und wirtschaftlichen Medikamente verzeichnet sind, die also eine « positive » Auswahl unter den 45 000 hierzulande zugelassenen Medikamenten darstellt. • Es gibt keine echten Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen über neue Medikamente. • Es gibt keine Pflicht, Zulassungsstudien so durchzuführen, dass ein neues Präparat beweisen muss, dass es besser ist als ein bewährtes Präparat, um von den Krankenkassen bezahlt zu werden. • Es gibt fast keine unabhängigen Informationen über neue Arzneimittel für Ärzte. Die meisten Mediziner beziehen ihr Wissen von Pharmareferenten und werden dabei nach Strich und Faden manipuliert. • Es gibt keine Pflicht, dass Medizinprofessoren öffentlich angeben müssen, ob und von welchen Pharmakonzernen sie Geld erhalten oder mit welchen Unternehmen sie Beraterverträge abgeschlossen haben. • Es gibt kein Verbot vergüteter Anwendungsbeobachtungen, bei denen es sich größtenteils um Scheinstudien handelt, die den Arzt gegen Honorar dazu bringen sollen, einem Patienten das Präparat zu verordnen, das angeblich « beobachtet » werden soll. • Es gibt keinen staatlichen Korruptionsbeauftragten, der den ganzen Sumpf aus Geschenken, Reisen, Essenseinladungen, Vortragshonoraren und Schecks für Verordnungen trockenlegt, mit denen Ärzte dazu gebracht werden, überteuerte Medikamente zu verordnen. Marcia Angell, die frühere Herausgeberin der bedeutendsten medizinischen Fachzeitschrift, des « New England Journal of Medicine », hat einmal gesagt, die Pharmaindustrie sei wie « ein 800Pfund-Gorilla, der macht, was er will ». Derzeit ist dieser Gorilla 13 von Habgier und schnellem Profit getrieben. Dabei bräuchten wir eine Pharmaindustrie, die sich ihrer Verantwortung wieder bewusst wird und die sich bemüht, Medikamente herzustellen, die einen echten Fortschritt bedeuten. Um das zu erreichen, hilft es aber nicht, den Gorilla nur ständig weiterzufüttern. Viel nützlicher wäre es, ihm klare Grenzen setzen.