Submandibuläre arteriovenöse Gefäßmalformation

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Zahnmedizin
Differentialdiagnose einer unilateralen Halsschwellung
Submandibuläre arteriovenöse
Gefäßmalformation
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen den differentialdiagnostischen Blick
der Leser schulen.
Tarik Mizziani, Martin Kunkel
grenzung zur Drüse aufwies (Abbildung 2).
Die Computertomographie mit Kontrastmittel zeigte die gesamte Ausdehnung der
scharf abgrenzbaren Raumforderung in der
Submandibularloge mit verdrängendem
Charakter und ohne Anhalt für eine Infiltration in umliegende Nachbarstrukturen.
Es erfolgte die operative Entfernung des
Abbildung 1: klinischer Aspekt der linksseitigen submandibulären Schwellung: Der Patient
berichtete über einen Entstehungszeitraum von zwei Tagen.
Ein junger Mann stellte sich aufgrund einer
akut aufgetretenen, schmerzlosen Schwellung im Bereich der linken Halsregion am
Übergang zum Unterkiefer vor. Er gab an,
dass diese Schwellung erst seit einem Tag
bestehe und plötzlich neu aufgetreten sei.
Ein Trauma wurde verneint, die allgemeine
Anamnese war unauffällig. Dyspnoe oder
Schluckbeschwerden bestanden nicht und
es lag keine erhöhte Körpertemperatur vor.
Ein Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme
im Sinne einer Okklusionssymptomatik war
nicht erkennbar.
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Fall” können Sie Fortbildungspunkte
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zm 100, Nr. 14 A, 16.7.2010, (1818)
Bei der Erstuntersuchung war der 26 Jahre
alte Patient in einem guten Allgemein- und
Ernährungszustand. Palpatorisch imponierte eine faustgroße Schwellung von weicher
Konsistenz, die sich von der linken Kieferwinkelregion bis nach caudal bis auf Höhe
des Hyoids erstreckte (Abbildung 1). Bei tiefer Impresssion wurde eine diskrete Druckdolenz angegeben. Das Hautareal über der
Schwellung war in Farbe und Textur ohne
pathologischen Befund. Die Funktion der
mimischen Muskulatur war ebenfalls ungestört. Laborchemisch fanden sich keine
erhöhten Entzündungsparameter.
Intraoral gab es keinen Anhalt für einen
dentogenen entzündlichen Fokus. Sonographisch zeigte sich eine gut 2,5 cm x 3,5 cm x
1,5 cm durchmessende polyzystische Raumforderung mit deutlichem flow-Signal, die
der linken Glandula submandibularis caudal
anlag und teilweise keine eindeutige Ab-
Abbildung 2: Sonographie:
In der sonographischen Diagnostik stellt
sich der Befund unmittelbar angrenzend an
die Gl. submandibularis als stark vaskularisierter Tumor dar. Eine klare Abgrenzung
zum Drüsengewebe ist nicht durchgehend
erkennbar.
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Befunds über einen submandibulären
Zugang unter Intubationsnarkose. Intraoperativ zeigte sich ein unmittelbar
der Glandula submandibularis angelagerter, stark vaskularisierter Tumor
mit teils perfundierten, teils thrombosierten Gefäßanteilen. Die histopathologische Aufbereitung bestätigte die
intraoperative Verdachtsdiagnose einer
arteriovenösen Malformation.
Diskussion
Akute submandibuläre Schwellungen
sind in der weitaus überwiegenden
Zahl Ausdruck einer odontogenen Infektion, einer Lymphadenitis oder aber
durch eine Okklusion und Infektion der
Glandula submandibularis bedingt.
Durch die inflammatorische Genese
dieser Schwellungen ist das führende
Symptom der Schmerz, der in der
Abbildung 3: CT-Diagnostik:
In der axialen Rekonstruktion zeigt sich
eine ausgedehnte Raumforderung mit
Kontrastmittel-Aufnahme. Das Platysma
wird durch den Tumor vorgewölbt, aber
respektiert.
Regel zur zahnärztlichen oder ärztlichen Konsultation führt. Chronische,
langsam progrediente und vor allem
derbe schmerzlose Raumforderungen
sind hingegen häufig neoplastischer
Natur.
Eine (nahezu) schmerzfreie, innerhalb
von wenigen Stunden entstandene
Schwellung ist demgegenüber eine
seltene Konstellation, die nahezu
pathognomonisch für verschiedene
Varianten von Gefäß-Malformationen
ist. Bei arteriovenösen oder venösen
Malformationen können solche akuten
Schwellungen durch lokale Einblutungen, beispielsweise durch ein banales
zm 100, Nr. 14 A, 16.7.2010, (1819)
Zahnmedizin
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Abbildung 4:
OP-Situs:
Nach der Durchtrennung des Platysma
und der Verlagerung
des Ramus marginalis
mandibulae wird der
Gefäßtumor erkennbar. Die tief dunkle
Verfärbung lässt eine
spontane Einblutung
als Ursache der
plötzlichen Größenzunahme vermuten.
Trauma, entstehen oder aber die Begleitreaktion einer lokalen Thrombose darstellen. Lymphatische Malformationen können
analog einer unspezifischen Lymphadenitis
bei regionären Infektionen sehr schnell eine
massive Begleitschwellung entwickeln. In
all diesen Fällen imponiert für den Patienten
ohne erkennbare Prodromi eine plötzliche
Schwellung, die in kürzester Zeit massive
Ausmaße annehmen kann. Durch die Ansammlung ektatischer, flüssigkeitsgefüllter
Hohlräume entsteht ein weicher, mitunter
fluktuierender Eindruck bei der Palpation.
Richtungsweisend ist neben der klinischen
Untersuchung die Sonographie, die zum
einen die Morphologie der schwamm-
artigen Gefäßlumina abbildet, zum anderen
aber auch im Doppler-Modus die Durchfluss-Intensität erfassen lässt. Abhängig
vom vaskulären Versorgungstyp, von der
Dimension der Gefäßlumina und von der
Durchflussgeschwindigkeit können vaskuläre Malformationen entweder – wie hier –
allein operativ versorgt werden oder eine
präoperative Embolisation zuführender
kaliberstarker Gefäße erfordern. Kapilläre
Läsionen sind eine Domäne der Lasertherapie oder auch der intravaskulären
Sklerosierungsbehandlung.
Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall auf
die seltene Variante der akuten schmerzlosen Schwellung im Kiefer-Gesichts-Bereich
hinweisen. Für die diagnostische Einordnung ist hier vor allem die Dynamik des
Verlaufs entscheidend. Während perakute,
innerhalb von Stunden entstandene,
schmerzlose, weiche Schwellungen typisch
für die hier besprochenen vaskulären Läsionen sind, muss bei über Tage oder wenige
Wochen stark expansiven und
insbesondere derben Raumforderungen vor allem an schnell
wachsende solide Neoplasien
oder auch maligne Systemerkrankungen gedacht werden. In allen
Fällen ist die histologische Diagnosesicherung obligat.
Dr. Tarik Mizziani
Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und
plastische Gesichtschirurgie
Ruhr-Universität Bochum
Knappschaftskrankenhaus
Bochum-Langendreer
In der Schornau 23-25
44892 Bochum
[email protected]
[email protected]
Fazit für die Praxis
■ Vaskuläre Malformationen können über
lange Zeit unbemerkt bleiben und dann
durch eine plötzliche Volumenzunahme
auch erst im Erwachsenenalter klinisch
zutage treten.
■ Ursache der extremen Volumenzunahme
können Einblutungen, Thrombosen oder
Begleitreaktionen bei banalen Infekten sein.
■ Die Differentialdiagnose zu Okklusionsphänomenen der Speicheldrüse kann anamnestisch über den Bezug zur Nahrungsaufnahme geklärt werden.
■ Die Sonographie stellt die Untersuchungsmethode der ersten Wahl dar und erlaubt
sowohl eine morphologische Betrachtung
als auch eine Bewertung des Blutflusses.
zm 100, Nr. 14 A, 16.7.2010, (1820)
Abbildung 5: Resektat.
Das Resektat zeigt die Glandula submandibularis
mit dem aufliegenden Gefäß-Konvolut. Auf der Querschnittfläche wird der schwammartige Charakter der
Malformation mit ektatischen dünnwandigen Blutleitern deutlich.
Die Literaturliste kann im Bereich
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