13. geriatrie und gerontologie - poekl

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13. GERIATRIE UND GERONTOLOGIE:
1. GRUNDLAGEN DER ALTERSFORSCHUNG:
* Unterscheide:
-> Gerontologie:
-> Geriatrie:
= Lehre vom Alterns
= Lehre von den Krankheiten im Alter
* Ab wann ist ein Mensch alt?
-> es gibt kein objektives Kriterium
-> Definition oft aufgrund von sozialen Kriterien (z.B. Pensionierung), kulturelle
Unterschiede
-> heute:
> „junge Alte“:
65 - 74 Jahre
> „alte Alte“:
über 75 Jahre
> Hochbetagte:
über 80 Jahre
* Probleme bei der Altersforschung:
Mehrere Einflußfaktoren, ob eine Variable (z.B. kognitive Leistungsfähigkeit) durch den
Alterungsprozeß verändert wird:
-> Alterseffekte:
= Effekte, die direkt auf den Alterungsprozeß
zurückzuführen sind
-> Kohorteneffekte:
> „Kohorte“ = alle in einem bestimmten Zeitraum
geborenen Menschen (z.B. 1920-1929);
> innerhalb einer Kohorte haben viele dieselben
Ereignisse erlebt (z.B. 2. Weltkrieg)
> psychologische Unterschiede zwischen verschiedenen
Altersgruppen sind auch auf unterschiedliche
Lebensbedingungen zurückzuführen, nicht nur auf das
Alter!
-> Meßzeitpunkteffekte:
treten bei Längsschnittuntersuchungen auf (z.B. wenn
zwischen 1. und 2. Meßzeitpunkt
Gesundheitsförderungs-Kampagne
-> VP zum 2. Zeitpunkt gesünder! KEIN Zusammenhang
mit dem Alter)
* Forschungsparadigmen:
-> Defizit-Modell:
Im Alter lassen nicht nur die physischen, sondern auch die psychischen Fähigkeiten
„automatisch“ nach (bis in die 80er Jahre gültig; gilt heute aufgrund empirischer
Befunde als überholt)
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-> Kompetenz-Modell:
Mensch verfügt über lebenslanges Entwicklungspotential; manche Fähigkeiten
lassen im Alter nach, andere sind selbst in hohem Alter noch steigerbar;
vgl. CATTELL: > fluid intelligence läßt im Alter nach (speed)
> crystallized intelligence nicht (power)
Abbau von Fähigkeiten kann durch Übung positiv beeinflußt werden
(„use it or lose it“)
* Alter ist KEINE Krankheit! (Mehrzahl der über 65Jährigen bezeichnen ihren körperliche
Gesundheitszustand als gut oder zufriedenstellend und sind auch psychisch gesund)
2. PSYCHOPATHOLOGIE DES ALTERS
* Unterscheiden sich psychische Störungen bei Alten und Jungen?
-> grundsätzlich können alle Störungen des Erwachsenenalters auftreten
-> Prävalenz bei den über 65Jährigen = 10-25%
* Besonderheiten:
-> hirnorganische Störungen sind im Alter häufiger
-> Multimorbidität ist im Alter hoch (d.h. Menschen leiden an mehreren Krankheiten
gleichzeitig, die sich gegenseitig beeinflussen)
A) HIRNORGANISCH BEDINGTE STÖRUNGEN:
a) Demenz:
* = Syndrom, das infolge einer Gehirnerkrankung entsteht
-> verläuft meist chronisch oder progressiv
-> gekennzeichnet durch multiple Störung der höheren kortikalen Funktionen
(Gedächtnis, Denken, Orientierung, Verständnis, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache,
Urteilsfähigkeit)
-> Bewußtsein ist nicht getrübt
-> vor oder gleichzeitig mit den kognitiven Beeinträchtigungen meist
Verschlechterungen
> der emotionalen Steuerung
> des Sozialverhaltens
> der Motivation
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* Epidemiologie:
Ein-Jahres-Inzidenz:
30-59:
0,01%
60-69:
0,1%
70-79:
0,7%
über 80:
2%
Prävalenz: verdoppelt sich ab 65 alle 5 Jahre
* 4 Hauptformen der Demenz (ICD-10):
-> Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT): 30 - 60%
-> vaskuläre Demenz (z.B. Multi-Infarkt-Demenz)
-> andere Formen der Demenz (z.B. Creuzfeldt-Jakob)
-> Demenz NNB
behandelbare Ursachen bei 5-10% aller Demenzen
1) Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT):
* Diagnosekriterien:
ICD-10
DSM-IV
Psychopathologie
-> Abnahme des Gedächtnisses
-> Abnahme anderer kognitiver
Fähigkeiten
-> Gedächtnisstörungen
-> mindestens 1 der folgenden Symptome:
- Aphasie
- Apraxie
- Agnosie
- Störung der exekutiven Funktionen
-> Verminderung
- der Affektkontrolle
- des Antriebs
- des Sozialverhaltens
Ausschlußkriterien
-> keine Bewußtseinstrübung
-> kein Delir
Alltagsrelevanz
-> Beeinträchtigung der Aktivitäten des
täglichen Lebens („activities of daily
living“; ADL)
-> deutliche Störung im sozialen / beruflichen Bereich und deutliche Minderung gegenüber früher
Dauer
-> seit mindestens 6 Monaten
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* Entstehung und Verlauf:
-> Ätiologie = unbekannt
> genetische Veranlagung?
> slow viruses?
> Autoimmundefekte?
-> diskutierte Risikofaktoren:
> genetische Faktoren (Apolipoprotein-E-Allelstatus)
> Morbus Down, Morbus Parkinson, endogene Depression, Schädel-HirnTrauma
-> Neuropathologie:
> Amyloid-Plaques (= wachsartige Ablagerungen im Gehirn)
> neurofibrilläre Tangles (= verknäuelte Proteinfäden in den Neuronen)
> Gehirnatrophie (Gehirnvolumen reduziert, Ventrikel erweitert)
* Verlauf:
-> je früher der Beginn, desto schneller
-> Tod im Durchschnitt nach 10-12 Jahren
-> 3 Stadien (Unterscheidung nach „selbständiger Lebensführung“):
> selbständige Lebensführung weitgehend erhalten
> selbständige Lebensführung eingeschränkt möglich
> selbständige Lebensführung nicht mehr möglich
2) vaskuläre Demenz:
* Symptomatik:
-> meist ungleichmäßige kognitive Beeinträchtigung
> Gedächtnisverlust
> intellektuelle Beeinträchtigungen
> neurologische Herdzeichen (z.B. Gesichtsfeldausfälle)
-> Einsicht und Urteilsfähigkeit können relativ lange gut erhalten bleiben
* Ätiologie:
-> dementielles Syndrom entsteht durch viele kleine oder mehrere größere Infarkte
im Gehirn aufgrund von Arteriosklerose („Verkalkung“)
-> Verstopfung eines Blutgefäßes bewirkt Absterben von Gehirngewebe
* Beginn: meist in höherem Lebensalter
* Verlauf:
-> oft plötzlicher Beginn
-> schrittweise Verschlechterung der Symptomatik
-> dazwischen Plateauphasen
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* Risikofaktoren:
wie bei anderen Gefäßerkrankungen (z.B. hoher Cholesterinspiegel, Rauchen, wenig
Bewegung,...)
Psychologische Demenzdiagnostik:
a) 1. Diagnose der Demenz:
* Anamneseerhebung
* Fremdanamnese mit Angehörigen (wichtig, wenn schon stärkere kognitive
Beeinträchtigung vorhanden!)
* „Strukturiertes Interview für die Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ, der
Multi-Infarkt-Demenz und Demenzen anderer Ätiologie nach DSM-III-R, DSM-IV
und ICD-10“ (SIDAM)
* „Demenztests“ (z.B.
> MMSE = Mini Mental Status Examination;
> SKT = Syndrom-Kurztest
> ADAS = Alzheimer’s Disease Assessment Scale
> BAT = Berliner Amnesietest
* kognitive Leistungstests: z.B.
> NAI = Nürnberger Alters-Inventar
> AKT = Alters-Konzentrations-Tests
* neurologische Tests
* Fremdratingskalen (z.B. Reisberg-Skalen)
* ADL-Skalen
b) Differentialdiagnostik:
auszuschließen sind
* leicht kognitive Störung
* Delir
* isolierte kognitive Störungen
* Pseudodemenz bei Depression
c) Diagnose der DAT:
* Ausschluß aller anderen Ätiologien
* Nachweis des typischen Verlaufs
* Stützen der Diagnose durch bildgebende Verfahren
d) Diagnose der vaskulären Demenz:
* Risikofaktoren-Anamnese: Ischämie-Skala (HACHINSKI)
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Behandlung und Prävention:
a) Elemente der Behandlung:
* Förderung der Selbständigkeit:
-> Betroffene sollen möglichst lange in möglichst vielen Bereichen selbständig
bleiben
(bzw. wieder werden)
-> Überforderung vermeiden (Frustration!)
* symptomatische Behandlung der Gedächtnisstörung:
-> kognitives Training (zur Verbesserung des Gedächtnisses)
-> Training von kompensatorischen Strategien („Gedächtnishilfen“)
-> Reduktion der Anforderungen an das Gehirn durch entsprechende Gestaltung der
Umwelt
* Training anderer kognitiver Fähigkeiten
* Realitäts-Orientierungs-Training
* emotionale Unterstützung der Betroffenen
* Stützen des sozialen Netzes (Angehörige), Information
* Validation (entwickelt von Naomi FEIL): Methode für den verstehenden Umgang mit
desorientierten Menschen
* Nootropika:
-> = Medikamente, die die kognitiven Leistungen verbessern sollen
-> sind noch umstritten
* wenn möglich, zusätzlich Behandlung der Ursachen / Risikofaktoren
b) Prävention:
* Minderung der Risikofaktoren
* Früherkennung, um rechtzeitig entsprechende Unterstützungsmaßnahmen einleiten
zu können
b) Delir:
* Symptomatik:
gleichzeitig bestehende Störungen von
-> Bewußtsein
-> Aufmerksamkeit
-> Wahrnehmung
-> Denken
-> Gedächtnis
-> Orientierung
-> Psychomotorik
-> Emotionalität
-> Schlaf-Wach-Rhythmus
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* Differentialdiagnostik:
auszuschließen ist: Demenz
* Epidemiologie:
-> ca. 30-50% aller Patienten mindestens 1x Aufenthalt in Institution
-> 10-15% nach Operation
* Ursachen:
vielfältig, oft multikausal
-> Intoxikationen durch Medikamente
-> Stoffwechselstörungen
-> Operationen und Infektionen / Fieber
* Verlauf:
-> fluktuierende Symptomatik und Intensität
-> bei Behandlung: Rückbildung meist innerhalb von 4 Wochen
-> 1-Jahres-Mortalität: unbehandelt ca. 40%
* Behandlung:
-> pharmakologisch
-> unterstützende Maßnahmen (z.B. Lichtquelle im Zimmer)
-> Aufklärung der betreuenden Personen
B) PRIMÄR PSYCHISCH BEDINGTE STÖRUNGEN:
1) Depression:
* Besonderheiten der Symptomatik bei älteren Menschen:
-> mehr somatische Beschwerden
-> stärkere motorische Verlangsamung
-> (subjektive) Gedächtnisschwierigkeiten
* Epidemiologie:
15-20% der Bevölkerung über 65 Jahre weisen depressive Symptome (nicht das Vollbild!)
auf
* Ursachen, Auslöser, Korrelate:
-> körperliche Erkrankungen
-> (multiple) Verluste
-> Isolation
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* Verlauf:
-> ohne Behandlung Tendenz zur Chronifizierung
-> mit adäquater Behandlung gute Prognose
-> im höheren Lebensalter verstärktes Suizidrisiko:
> Suizidversuche sind seltener als in jüngeren Jahren, führen aber öfter
tatsächlich zum Tod
> bei Männern:
Suizidrate nimmt von Jugend an linear zu,
Maximum erst bei über 80 Jahren
> bei Frauen:
Maximum bei 50 Jahren,
dann leichter Rückgang des Risikos
* Diagnostik der Depression:
-> Befindlichkeit
-> Verhaltensbeobachtung
-> kognitive Tests
* Differentialdiagnostik:
auszuschließen ist Demenz
* Behandlung:
-> psychodynamische Therapie
-> kognitive und Verhaltenstherapie
-> Gesprächstherapie
-> systemische Ansätze
-> kreative Therapieformen
-> Gruppentherapie
-> Antidepressiva
2) Wahnhafte Störungen:
* Wahn =
komplexes Ideengebäude von Vorstellungen unwahren Inhalts und objektiv
falschen Überzeugungen, die mit subjektiver Gewißheit erlebt werden und
durch Erfahrung und zwingende Schlüsse unkorrigierbar sind
* Wahnvorstellungen = realistischer, betreffen verstärkt Menschen der eigenen Umgebung
als bei Jüngeren
* Epidemiologie:
-> in der Bevölkerung ca. 2%
-> unter stationären Patienten paranoide Symptome bei bis zu 30%
* Ursachen, Auslöser, Korrelate:
-> sensorische Beeinträchtigungen (vor allem Schwerhörigkeit)
-> Isolation
-> Delir / Demenz
-> Störung / Disposition in früheren Jahren
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* Verlauf: unbehandelt Tendenz zur Chronifizierung
* Therapie:
-> Stützen, emphatisches Vorgehen, Vertrauensverhältnis herstellen, erst dann ev.
Bearbeitung der Wahnideen
-> Tranquilizer
-> wenn möglich, Beseitigung der „Ursachen“
3) Substanzmißbrauch:
* Besonderheiten bei Alten:
-> weniger Alkoholabhängigkeit / Alkoholmißbrauch
-> Abhängigkeit von illegalen Drogen sehr gering (Kohorteneffekt)
* Medikamentenmißbrauch und - abhängigkeit:
-> Pharmakodynamik und Pharmakokinetik im Alter verändert, daher oft stärkere
oder
andere Nebenwirkungen
-> „unabsichtlicher“ Mißbrauch:
> zu geringe ärztliche Aufklärung
> Beipackzettel unverständlich oder zu klein gedruckt
> Non-Compliance (= fehlende Bereitschaft, bei therapeutischen Maßnahmen
mitzuarbeiten); daher: Vertrauensverhältnis zum Arzt ist besonders wichtig!
-> Abhängigkeit besonders bei Schlafmitteln (Barbiturate, Benzodiazepine); bei
Frauen öfter als bei Männern
-> Gefahr einer Fehldiagnose! (und zwar Demenz)
4) Schlafstörungen:
* Symptomatik:
-> Schlafunterbrechungen
-> Einschlafschwierigkeiten
-> Schlafverkürzung
-> Tagesmüdigkeit
* Epidemiologie:
-> bis zu 45%
-> mehr Männer als Frauen
* Ursachen:
-> altersbedingte Veränderungen des Schlafmusters
-> somatische Krankheiten, Schmerzen
-> Schlaf-Apnoe (= Atemstörungen)
-> Medikamente
-> Depression, Angst, Streß
-> Mangel an physischer Aktivität
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-> schlechte Schlafgewohnheiten
* Behandlung:
-> Schlafmittel (nur kurzfristig, da Suchtgefahr!)
-> Beratung, Information
-> Entspannungstraining
-> Schlafhygiene
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