Geschichte des Christentums

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Hans-Christoph Goßmann
(Hrsg.)
Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nicht nur interessant,
sondern auch hilfreich, um Phänomene der Gegenwart verstehen und deuten zu können.
Dies gilt auch für die Geschichte des Christentums. In diesem Buch sind die sechs
Vorträge einer Vortragsreihe über die Geschichte des Christentums dokumentiert, die
die VHS-Seniorenakademie Dithmarschen und die Jerusalem-Akademie in Hamburg
gemeinsam durchgeführt haben. Dr. Hans-Christoph Goßmann, Prof. Dr. Holger
Hammerich, Prof. Dr. Gabriele Borger, Bischof Dr. Hans Christian Knuth, Prof. Dr.
Inge Mager und Henning Keine stellen je eine Epoche der Christentumsgeschichte
dar. Ihre Beiträge geben somit einen Überblick über die Geschichte des Christentums
von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.) - Geschichte des Christentums
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Geschichte des Christentums
ISBN 978-3-88309-663-6
Verlag Traugott Bautz GmbH
Geschichte des Christentums
Jerusalemer Texte
Schriften aus der Arbeit der
Jerusalem-Akademie
herausgegeben von
Hans-Christoph Goßmann
Band 7
Verlag Traugott Bautz
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.)
Geschichte des
Christentums
Verlag Traugott Bautz
Bibliografische Information
Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Verlag Traugott Bautz GmbH
99734 Nordhausen 2011
ISBN 978-3-88309-663-6
Inhaltsverzeichnis
Hans-Christoph Goßmann
Vorwort
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Hans-Christoph Goßmann
Die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens
8
Holger Hammerich
Alte Kirche
19
Gabriele Borger
Die Kirche im Mittelalter
35
Hans Christian Knuth
Kirche in der Reformation. 12 Thesen zur Bedeutung
Luthers für die Zukunft
49
Inge Mager
Kirche in der Frühen Neuzeit 1555–1750. „Behüt uns
allzusammen / Vor falscher Lehr / Und Feindes Heer, /
Vor Pest und Feuersflammen“
86
Henning Kiene
Die EKD in Bewegung. Standortbestimmung der
evangelischen Kirche in Zeiten des Wandels
106
Die Autorinnen und Autoren
122
55 5
Vorwort
Hans-Christoph Goßmann
Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nicht
nur interessant, sondern auch hilfreich, um Phänomene der Gegenwart
verstehen und deuten zu können. Dies gilt auch für die Geschichte des
Christentums.
Um für eine Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Geschichte
des Christentums einen geeigneten Rahmen zu bieten, haben die VHSSeniorenakademie Dithmarschen und die Jerusalem-Akademie in Hamburg gemeinsam eine Vortragsreihe durchgeführt, in der die einzelnen
Epochen der Christentumsgeschichte in je einem Vortrag dargestellt
werden. Die sechs Vorträge dieser Reihe wurden in der Zeit vom September 2009 bis zum Januar 2011 im Sitzungssaal der Sparkasse Westholstein in Meldorf gehalten: Den Auftakt dieser Reihe bildete der Vortrag über die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens von Dr.
Hans-Christoph Goßmann am 8. September 2009, dann folgte am 17.
November desselben Jahres der Vortrag von Professor Dr. Holger
Hammerich über die Alte Kirche. Im Jahr 2010 wurden die nächsten drei
Epochen der Christentumsgeschichte in je einem Vortrag dargestellt:
Am 23. Februar hielt Professorin Dr. Gabriele Borger einen Vortrag über
die Kirche im Mittelalter, am 19. Oktober setzte Bischof i.R. Dr. Hans
Christian Knuth die Reihe mit einem Vortrag über die Kirche in der Reformation fort, in dem er die bleibende Aktualität Martin Luthers und
seiner Theologie zur Sprache brachte, und am 23. November gab Professorin i.R. Dr. Inge Mager eine Einführung in die Geschichte der Kirche
in der Frühen Neuzeit. Den Abschluss dieser Reihe bildete der Vortrag
über die Kirche in der Moderne von Henning Kiene am 25. Januar 2011,
in dem er die Nachkriegszeit bis zur Gegenwart thematisierte.
In dem vorliegenden Band werden die Vorträge dokumentiert und damit
einem größeren Publikum zugänglich gemacht.
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Für die gute Zusammenarbeit bei der Konzeption und Durchführung
dieser Vortragsreihe danke ich dem Leiter des Vereins Volkshochschulen in Dithmarschen, Herrn Martin Gietzelt, ganz herzlich.
Darüber hinaus gilt mein Dank Frau Ulla Wieckhorst für das gründliche
Korrekturlesen.
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Die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens
Hans-Christoph Goßmann
Wer waren die Mitglieder der Urgemeinde? Wer waren die ersten Christen? Mit diesen Fragen wollen wir versuchen, uns einem Thema zu nähern, das nicht nur von historischem Interesse ist. Die erste Antwort lautet: Sie waren zunächst einmal Juden. Die ersten Christen stellten eine
der vielen Gruppen innerhalb des damaligen Judentums dar. Das damalige Judentum präsentierte sich genau so vielschichtig wie das heutige.
Jeder, der schon einmal in Israel war, hat selbst gesehen, in welcher
Vielfalt jüdisches Leben in Israel existiert: Juden aus über 70 Ländern
sind seit der Staatsgründung im Jahr 1948 nach Israel eingewandert und
prägen jetzt das dortige Leben. Das jüdische Leben zur Zeit der Urgemeinde werden wir uns sehr ähnlich vorzustellen haben. Seit dem babylonischen Exil im 6. vorchristlichen Jahrhundert lebten Juden nicht nur
im Land Israel, sondern auch in der Diaspora. Das Leben in der Diaspora
– im Exil – geschah nicht aus Not, sondern freiwillig. Schließlich hatte
ja jeder Jude die Möglichkeit, ins Land Israel einzuwandern. Wenn viele
dies nicht taten, sondern ein Leben in der Diaspora vorzogen, dann deshalb, weil sie dort in jeder Hinsicht – kulturell wie materiell – günstige
Lebensbedingungen vorfanden. Dabei kam es zu einer gegenseitigen
Beeinflussung: Juden wirkten einerseits auf ihre Umgebung prägend und
wurden andererseits selbst von ihrer Umgebung beeinflusst. Diese Einflüsse wirkten auch auf Israel, das Heimatland der Juden, da ein reger
Austausch zwischen den Juden in der Diaspora und denen im Land Israel bestand. Dieser Austausch war allein deshalb schon gewährleistet,
weil unzählige Juden aus der Diaspora anlässlich der großen Wallfahrtsfeste nach Jerusalem kamen. Jerusalem bildete auch für die Juden in der
Diaspora das Zentrum. Das Leben in dem vergleichsweise kleinen Land
Israel war also durch eine Vielzahl von kulturellen Einflüssen geprägt –
es war gleichsam ein Schmelztiegel unterschiedlichster Richtungen. So
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wundert es nicht, dass es innerhalb des Judentums zur Zeit der Urgemeinde verschiedene jüdische Gruppierungen gab. Einige, wie z.B. die
Pharisäer, sind uns aus dem Neuen Testament bekannt. Andere – wie
z.B. die Essener – sind uns nicht aus dem Neuen Testament bekannt,
sondern aus anderen Quellen. Eine dieser Gruppen innerhalb des Judentums bildete die Urgemeinde. Ich sage bewusst: innerhalb des Judentums. Das mag im ersten Blick zumindest sehr ungewöhnlich klingen.
Schließlich sind wir ja heute gewöhnt, Judentum und Christentum als
zwei unterschiedliche Religionen anzusehen. Diese Sichtweise wird dem
Problem jedoch nicht gerecht, da Judesein nicht nur die Zugehörigkeit
zu einer Religion, sondern auch zu einem Volk bedeutet. Anders ausgedrückt: Jüdische Existenz definiert sich nicht nur religiös, sondern auch
ethnisch. Die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk haben die ersten Christen jedoch niemals aufgegeben. Für sie schlossen sich die Bezeichnungen ’Juden’ und ’Christen’ keineswegs aus. Sie waren ihrem Selbstverständnis nach Juden, die an den Messias – an Jesus Christus – glaubten.
Auch in ihren religiösen Auffassungen unterschieden sie sich in vielerlei
Hinsicht nicht von ihren nichtchristlichen Mitjuden. Dies möchte ich an
zwei Beispielen verdeutlichen: Die Essener von Qumran lasen die alttestamentlichen Texte in dem Bewusstsein, die Erben der göttlichen Verheißung zu sein. Da die Endzeit angebrochen war, konnte nun der eigentliche Sinn der prophetischen Aussagen verstanden werden. Dieses
Schriftverständnis wird in folgendem Text, der in der ersten Höhe von
Qumran gefunden wurde, besonders deutlich:
Und Gott sprach zu Habakuk, er solle aufschreiben, was kommen wird
über das letzte Geschlecht. Aber die Vollendung der Zeit hat er ihm
nicht kundgetan. Und wenn es heißt: Damit eilen kann, wer es liest, so
bezieht sich seine Deutung auf den Lehrer der Gerechtigkeit, dem Gott
kundgetan hat alle Geheimnisse der Worte seiner Knechte, der Propheten. (1 Q pHab VII, 1-5).
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Dieses Schriftverständnis findet sich auch im Neuen Testament:
Lasset uns auch nicht Unzucht treiben, wie etliche von ihnen Unzucht
trieben und (deshalb) an einem Tage 23000 fielen. Lasset uns auch nicht
Christus versuchen, wie etliche von ihnen ihn versuchten und von den
Schlangen umgebracht wurden. Murret auch nicht, wie etliche von ihnen
murrten und von dem Verderber umgebracht wurden. Dies aber widerfuhr jenen als Exempel; geschrieben wurde es zur Warnung für uns, denen das Ende der Welt nahe bevorsteht. (1. Kor. 10, 8-11).
Paulus bezieht hier Ereignisse der Geschichte Israels auf die christliche
Gemeinde. Vers 11 macht deutlich, dass er – wie die Essener von Qumran – glaubt, in der Endzeit zu leben.
Auch die Bestimmungen, wie in der Gemeinde von Qumran Mitglieder
zu behandeln sind, die gesündigt haben, sind den entsprechenden des
Neuen Testamentes ähnlich:
Man soll zurechtweisen, ein jeder seinen Nachbarn in Wahr(heit) und
Demut und barmherziger Liebe untereinander. Keiner soll zum anderen
sprechen in Zorn und Murren oder Halsstarrig(keit oder im Eifer) gottlosen Geistes. Und er soll ihn nicht hassen in seinem (unbeschnittenen)
Herzen; sondern am selben Tag soll er ihn zurechtweisen, aber nicht soll
er seinetwegen Schuld auf sich laden. Ferner soll niemand gegen seinen
Nächsten eine Sache vor die vielen bringen, wenn es nicht vorher zur
Zurechtweisung vor Zeugen gekommen ist.
Diese Bestimmungen decken sich teilweise mit denen in Matthäus 18,
15-17:
Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin und weise ihn zurecht unter
vier Augen! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört
er dagegen nicht, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit „jede
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Sache auf Aussage von zwei oder drei Zeugen beruhe“. Wenn er jedoch
nicht auf sie hört, so sage es der Gemeinde! Wenn er aber auch auf die
Gemeinde nicht hört, so sei er dir wie der Heide und Zöllner!
Diese Beispiele machen deutlich, dass die Urgemeinde mit ihren religiösen Auffassungen nicht gleichsam im luftleeren Raum entstand, sondern
in das damalige Judentum eingebettet war.
Die Trennung zwischen der Urgemeinde von dem übrigen Judentum und
ihre Gründe
1. Die Trennung christlicher Seite
Bei dieser engen Einbettung der urchristlichen Gemeinde in das damalige Judentum stellt sich die Frage, wann und vor allem warum es zur
Trennung zwischen der Urgemeinde und den anderen Juden kam. Zunächst zur Frage, wann die Trennung erfolgte. Offensichtlich schon relativ früh. Die Juden waren durch das Claudius-Edikt aus Rom vertrieben
worden. Eine genaue Datierung dieses Edikts ist nicht möglich. Während es nach dem christlichen Historiker Paulus Orosius, der im 5. Jahrhundert lebte, im Jahr 49 erlassen wurde, gibt der römische Schriftsteller
Dio Cassius das Jahr 41 an. Auf jeden Fall betraf die Christenverfolgung
des Nero im Jahr 64 nicht mehr die Juden, sondern die Christen. Daraus
ist zweierlei zu schließen: Erstens, dass es zu der Zeit bereits nichtjüdische Christen gegeben hat, mit anderen Worten: dass sich das Christentum bereits als eigenständige Größe neben dem Judentum konstituiert
hat und zweitens, dass die heidnische Umgebung bereits klar zwischen
den Christen und den verschiedenen jüdischen Gruppierungen zu differenzieren wusste. Die Frage, warum die Trennung erfolgte, beantwortet
uns das Neue Testament, genauer gesagt Galater 2 und Apostelgeschichte 15. Diese beiden Texte berichten von dem so genannten Apostelkonzil. Auf diesem wurde beschlossen, dass es neben der Judenmission auch
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die Heidenmission geben dürfe und solle. D.h. nun musste ein Heide, der
Christ werden wollte, nicht erst Jude werden, sondern konnte direkt zum
Christentum übertreten. Wie brisant dieses Problem zur Zeit des Neuen
Testaments war, zeigt der Galaterbrief. Dieser Brief ist eine Kampfschrift, in der sich Paulus mit Vehemenz gegen die Auffassung wendet,
ein Heide müsse zunächst Jude werden, um dann als Jude, der die Gebote hält, Christ werden zu können. In die galatischen Gemeinden waren
Juden gekommen, die genau dieses förderten. Paulus, ebenfalls Jude,
setzt sich aufs schärfste mit dieser Forderung auseinander und bezieht
sich in Gal 2 auf die Regelung, die auf dem Apostelkonzil festgelegt
wurde.
Durch diese Regelung wurde aber die Gemeinschaft des jüdischen Volkes verlassen. Denn ein Heide, der nicht mehr Jude werden musste, um
Christ werden zu können, gehörte natürlich nicht mehr der Gemeinschaft
des jüdischen Volkes an. Ursprünglich war es also nicht so, dass Juden,
die sich zu Jesus Christus bekannten, dadurch keine Juden mehr waren.
Es war vielmehr so, dass die nichtjüdischen Christen zu keinem Zeitpunkt Juden gewesen waren. Seit dem Zeitpunkt, an dem die Christen
nicht mehr nur unter Juden, sondern auch unter Heiden missionierten,
muss zwischen den so genannten Judenchristen und den so genannten
Heidenchristen unterschieden werden.
Die heidenchristlichen Gemeinden waren z.T. aus den so genannten Gottesfürchtigen – Heiden, die sich von der jüdischen Ethik und dem jüdischen Monotheismus angesprochen fühlten und an den Synagogengottesdiensten teilnahmen, aber nicht zum Judentum übertreten wollten –
hervorgegangen. Trotzdem fühlten sie sich im Laufe der Zeit dem Judentum immer weniger verbunden und distanzierten sich von ihm. Dies
hatte u.a. die Konsequenz, dass in der frühen Kirche zunächst nicht klar
war, ob das Alte Testament als Heilige Schrift der Kirche anerkannt
werden sollte. Denn es war ja auch die Heilige Schrift der Juden. Und
von denen wollten sich die Heidenchristen distanzieren. Markion, der als
erster einen neutestamentlichen Kanon zusammengestellt hatte, verwarf
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