Unterlagen für Akademielehrgang für SchülerberaterInnen an Allgemein bildende Höhere Schulen MODUL 3 BERATUNG BEI LERN- UND VERHALTENSSCHWIERIGKEITEN Teil II EINFÜHRUNG in die VERHALTENSPSYCHOLOGIE Zusammengestellt von Mag. Bernhard Higer und Dr. Hans Smoliner INHALTSVERZEICHNIS 1. VERHALTENSPSYCHOLOGIE.............................................................................. 1 Grundüberlegungen ................................................................................................ 1 Modelle der Verhaltenspsychologie ........................................................................ 2 2. VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN IN DER SCHULE........................................... 5 Erklärungsansätze .................................................................................................. 5 Definition des Begriffs Verhaltensstörung ............................................................... 6 Kriterien für Verhaltensstörungen ........................................................................... 7 Klassifikation von Verhaltensstörungen .................................................................. 7 Ursachen von Verhaltensstörungen ........................................................................ 8 Kreislauf von Verhaltensstörungen ......................................................................... 9 3. SPEZIFISCHE VERHALTENSSTÖRUNGEN ...................................................... 10 Hyperkinetische Störungen ................................................................................... 10 Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ....................................................................... 11 Aufmerksamkeitsstörung und Konzentration......................................................... 12 4. VERHALTENSMODIFIKATION IN DER SCHULISCHEN BERATUNG ............... 13 Beratungskonzepte .............................................................................................. 13 Bildungsberatung im Schnittpunkt Sozialarbeit und Beratung............................... 14 Verhaltensmodifikation ......................................................................................... 16 Problemlöseprozess in der Beratung .................................................................... 18 Die systemtheoretische Betrachtungsweise in der schulischen Beratung ............ 22 Grundsätze systemischer Beratung ..................................................................... 30 Phasen der systemischen Problemdefinition ........................................................ 30 Konsequenzen für die Beratungstätigkeit.............................................................. 36 5. LITERATUR.......................................................................................................... 37 6. ANHANG .............................................................................................................. 38 Einführung in die Verhaltenspsychologie 1. VERHALTENSPSYCHOLOGIE Grundüberlegungen Lernen am Modell: • • Empfindet eine Person das Verhalten einer anderen Person als positiv, so imitiert sie dieses Verhalten. Das Modell hat meist einen höheren sozialen Status. Kognitives Lernen: • Um ein positives Verhalten zu zeigen, muss die Person die Situation verstehen. Lernen durch Einsicht: • Bewirkt eine Person ein Mal durch ein bestimmtes Verhalten eine negative Konsequenz, so wird sie dieses Verhalten nicht noch einmal zeigen. Konditionierung Klassisches Konditionieren Klassisches Konditionieren (Signallernen)bedeutet, dass eine natürliche Reaktion auf einen Reiz an einen anderen Reiz gebunden ist • • • Löschung: Verbindung zwischen konditioniertem Reiz und konditionierter Reaktion wird gelöscht, wenn eine Person eine erwartete Reaktion über eine längere Zeit unterlässt. Gegenkonditionierung: Gegenkonditionierung findet statt, indem auf einen Reiz eine positive Reaktion stattfindet. Endkonditionierung: Bedeutet der schrittweise Abbau auf eine erlernte Reaktion. Operantes Konditionieren • • • • Positive Verstärkung: Hat ein Verhalten positive Konsequenzen, so wird dieses Verhalten öfter gezeigt. Negative Verstärkung: Hat ein verhalten negative Konsequenzen, so wird dieses Verhalten seltener gezeigt.) Löschung: jeder von uns hat gelernt, ein bestimmtes Verhalten als „Instrument“ einzusetzen, um eine bestimmte Konsequenz zu erreichen. Hat ein Verhalten gar keine Konsequenzen, so wird dieses Verhalten sinnlos und nach einiger Zeit nicht mehr gezeigt. Bestrafung: Bekommt eine Person für ihr Verhalten nur negative Konsequenzen, so bezeichnet man dies als Bestrafung I. Bleibt eine positive Konsequenz für ein Verhalten aus, so ist zu erwarten, dass dieses Verhalten nicht mehr auftritt. (Bestrafung II). Einführung in die Verhaltenspsychologie Zu beachten: • Erwünschtes Verhalten verstärken • Die Verstärkung des richtigen Verhaltens ist besser als zu warten, bis die betreffende Person sich von selbst richtig verhält. • Verstärker müssen immer individuell ausgesucht werden!!! Modelle der Verhaltenspsychologie Ivan Pawlow: Klassische Konditionierung Als der Tierphysiologe Ivan Pawlow den Speichelfluss seines Hundes untersuchte, machte er eine sonderbare Entdeckung: Dem Hund lief förmlich das „Wasser im Mund“ zusammen als er Pawlows Assistenten hörte, der das Futter brachte. Ivan fragte sich, wie denn das sein kann? Sein Hund intelligent? Pawlow war sehr experimen(tierfreudig). Experiment: Wie der Speichelfluss mit dem Klingeln kam: Pawlow klingelt mit einer Glocke, es gibt sofort danach Futter, Speichel fließt, es folgen mehrere Wiederholungen... Pawlow klingelt mit einer Glocke, Speichel fließt, ohne dass Futter geboten wird Ergebnis: Immer wenn die Glocke klingelt, läuft dem Hund das „Wasser im Mund“ zusammen. Er wurde konditioniert. Dieses Prinzip finden wir heute z.B. in der Werbung wieder, wenn der Kaffe freundlich riecht, das Auto erfolgreich fährt und die Cola spaßig schmeckt. Mit dem klingeln des Markennamens sollen diese Reaktionen wieder wachgerufen werden. John B. Watson: Emotionale Konditionierung Der kleine Albert war ca. 1 Jahr alt. Was hier so niedlich klingt, ist eigentlich eine traurige Geschichte. Watson wollte das mit der Konditionierung nach dem Prinzip von Pawlow gleich mal ausprobieren. Doch statt Futter und einen Klingelton gab es für den kleinen Albert eine kleine Ratte und eine Eisenstange. Experiment: Albert spielte mit der Ratte als Watson mit einer Eisenstange laut hinter Albert auf den Boden schlug. Albert weinte und bekam Angst. Ergebnis: Es führte dazu, dass Albert Angst vor Ratten bekam und seine Angst auch auf einige Stofftiere generalisierte. Man hat Albert später versucht zu therapieren... 2 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Thorndike: Lernen durch Versuch & Irrtum Thorndike hat sich gedacht, man soll das Tier einfach mal machen lassen. Vielleicht lernt es ja von selbst. Experiment: Thorndike sperrte seine Katze in einen Käfig. Die Tür war so präpariert, dass sie mit einem Tatzenschlag aufging. Ergebnis: Die Katze wollte raus und probierte einfach, überall mal dagegen zu drücken. Dann sprang die Tür auf und die Katze hat daraus gelernt. Hieraus entstand das "Learning by Doing“. Skinner: Lernen durch Verstärkung Skinner hat entdeckt, dass sowohl Tiere als auch Menschen sehr gut zwischen Belohnung und Bestrafung unterscheiden können. Die abgeschätzten Konsequenzen bestimmen das Verhalten. Dabei unterscheidet er vier Arten das Verhalten von Jemanden kontrollieren/manipulieren: 1. etwas Gutes bekommen (Positive Verstärkung) 2. etwas Negatives erspart bekommen (Negative Verstärkung) 3. etwas Schlechtes bekommen (Bestrafung durch aversive Reize) 4. etwas Gutes entzogen bekommen (Bestrafung durch Verstärkerentzug) zu Die Skinnerbox: Ausprobiert hat er die Verhaltensmanipulation in der Skinnerbox. Ziel war es, dass die Ratte lernt, einen Hebel zu betätigen. Dabei gab es zwei Möglichkeiten: Entweder bekam die Ratte solange Stromschläge, bis sie mit der Pfote einen Hebel betätigt und der Stromfluss endete (Negative Verstärkung). Oder es gab immer Futter, wenn die Ratte den Hebel betätigt hat (Positive Verstärkung). Shaping: Skinner wollte eine Taube dazu bringen, dass sie sich einmal im Kreis dreht. Also gab er ihr Futter, sobald sie sich in die gewünschte Richtung begab. Dann blieben diese aus und die Taube musste mehr leisten. Immer wenn sie sich etwas mehr drehte als zuvor, gab es Futter. Nach mehreren Versuchen lernte die Taube sich um 360° zu drehen, um Futter zu bekommen. Chaining: Jetzt fragt man sich natürlich, wie man einen Zirkushund dressiert, ist ja viel komplexer. Das Chaining besteht aus einer Vielzahl von Einzelkunststücken, die sozusagen einzeln „geshaped“ und aneinandergekettet werden. Begonnen wird mit 3 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie dem letzten Kunststück. Somit baut sich die Kette Rückwerts auf. Das Tier muss alle Kunststücke vorführen, damit es seinen Drops bekommt. Exkurs zur Menschenwelt: 1. materielle Verstärker (Geld & Co. Bekommen) 2. soziale Verstärker (Lob und Anerkennung) 3. aktivitäts- und Handlungsverstärker (Tun, was Spaß macht) Bandura: Lernen durch Beobachtung Was Anfangs so aussah wie eine lustige Kinderparty, war in echt ein klug durchplantes Experiment und zugleich die Geburtsstunde der "Gewalt in den Medien" - Diskussion. Experiment: Ein paar Kinder sahen einen Film, in dem ein Erwachsener mit einer Baseballkeule eine Plastikpuppe zusammenschlug. Kurz darauf wurden die Kinder in ein anderes Zimmer eingeladen, in dem diese Puppe und die Keule lagen. Eines der Kinder nahm die Keule und schlug auf die Puppe ein. Ergebnis: Bandura unterscheidet vier Prozesse: Aufmerksamkeit: sehen, dass etwas passiert und es beobachten Behalten: die beobachtete Handlung im Kopf durchspielen, und sich die Konsequenzen ausmalen Reproduktion: diese Handlung ausführen Motivation: wenn wir damit Erfolg hatten, werden wir es wieder tun Weitere Handlungen werden dadurch bestimmt, ob wir bestraft oder belohnt wurden. 4 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 2. VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN IN DER SCHULE Die Begriffe „Verhaltensstörung“, „Erziehungsschwierigkeiten“ etc. entziehen sich mitunter durch ihre Person- und Situationsgebundenheit einer eindeutigen Definition. Sogenannte „Verhaltensgestörte“ werden häufig mit Ausdrücken, wie emotional gestört, neurotisch, psychopathisch, erziehungsschwierig, sozial fehlangepasst, verwahrlost, gemeinschaftsgefährdend, gemeinschaftsschädigend, persönlichkeitsgestört, verhaltensbehindert, verhaltensgestört, verhaltensauffällig, beschrieben (siehe Hillenbrand, 1999). Welcher dieser Begriffe nun entscheidend für die Bezeichnung als verhaltensgestört ist, bestimmt der soziale, kulturelle und historische Kontext, in dem ein Kind lebt. Sie setzt also ein soziales Bezugssystem voraus und ist wegen dessen Dynamik immer nur vorläufig. Erklärungsansätze Personorientierte Erklärung: Das auffällige Verhalten wird als Störung betrachtet, die die PERSON selbst bzw. die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung hemmt. Bestimmte (auffällige) Charakteristika und Reaktionstendenzen bestehen schon vor Eintritt in eine Situation und überdauern zeitlich. Umwelt- und normorientierte Erklärung: Das auffällige Verhalten wird als Störung betrachtet, die auf die UMWELT behindernd wirkt. Systemisch betrachtet: Das auffällige Verhalten wird als Störung des Regelkreises Person-UmweltBeziehung (Störung des Funktionsgleichgewichts in der Interaktion der Person mit ihrer Umwelt) betrachtet. Eine Verhaltensstörung ist demnach ein „auffälliges“ Verhalten im Erleben und Verhalten einer Person, das von bestimmten normativen Maßstäben und Erwartungen deutlich abweicht. Aber diese Auffälligkeiten treten unter ganz bestimmten (zeitlichen, räumlichen, situativen) Bedingungen auf. Diese Bedingungen tragen zur Auslösung und Aufrechterhaltung des auffälligen Erlebens und Verhaltens bei. Abweichendes Verhalten ist aus dieser Sicht auch „problemlösendes“ Verhalten. 5 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Definition des Begriffs Verhaltensstörung Heutzutage sind besonders „verhaltensgestört“ im Gebrauch. die Termini „erziehungsschwierig“ und Nach Norbert Myschker (1993): „Verhaltensstörung ist ein von zeit- und kulturspezifischen Erwartungen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann.“ Nach Havers (1978): „Jede Erziehungsschwierigkeit kann auch Verhaltensstörung genannt werden, aber nicht umgekehrt jede Verhaltensstörung Erziehungsschwierigkeit. Verhaltensstörung ist also der Oberbegriff für Erziehungsschwierigkeit.“ Demnach konstatieren also drei Elemente den Begriff „Erziehungsschwierigkeit“: Regelverstöße Das Wissen des Lehrers um den Regelverstoß Die Anwendung einer Verhaltensregel auf ein als störend und unangemessen beurteiltes Verhalten. Ein Vorteil des Begriffes „Erziehungsschwierigkeit“ liegt in der eindeutigen pädagogischen Ausrichtung. Ein Nachteil ist jedoch, dass die Sonderpädagogik immer auf einen Austausch mit Nachbarwissenschaften (z.B. Psychologie) angewiesen ist. Normative Kriterien: Ein grundsätzliches Problem des Begriffs „Verhaltensstörung“ bleibt der unvermeidliche Bezug auf Normen, wobei vier Vorstellungen von Normen relevant sind: • Statistische Normen • Sozio-kulturelle Normen • Persönliche-normative Wertvorstellungen einzelner Personen (z.B. Eltern, Lehrer) • Subjektive-normative Maßstäbe (Leidensdruck) 6 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Kriterien für Verhaltensstörungen Nach Steinhausen sind die Kriterien für Verhaltensstörungen aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht: • Angemessenheit • Persistenz • Lebensumstände • Sozio-kulturelle Begebenheiten • Das Ausmaß der Störung • Die Art des Symptoms • Der Schweregrad der Symptome • Die Häufigkeit der Symptome • Verhaltensänderungen • Situationsspezifität Ein wichtiges Kriterium nach Steinhausen (1996) Beeinträchtigung, das gekennzeichnet wird durch: • Leiden • soziale Einengung • Interferenz mit der Entwicklung • Auswirkungen auf andere ist das Ausmaß der Es müssen mehrere dieser Kriterien erfüllt sein, um von einer Verhaltensstörung sprechen zu können. Klassifikation von Verhaltensstörungen nach schulischen Phänomenen (Havers 1978): • • • • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen Verstöße gegen Interaktionsregeln Verstöße gegen Normen von Schule und Klasse Residuale Verhaltensabweichungen nach empirischen Klassifikationen (Myschker, 1993): • • • • Externalisierende Störungen (Aggression, Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeitsstörung) Internalisierende Störungen (Angst, Minderwertigkeit, Trauer, Interesselosigkeit, somatische Störungen) Sozial unreifes Verhalten (Konzentrationsschwäche, altersunangemessenes Verhalten, nicht belastbar, leistungsschwach) Sozialisiert delinquentes Verhalten (Gewalttätigkeit, Reizbarkeit, Verantwortungslosigkeit, leichte Erregbarkeit und Frustration, Beziehungsstörungen, niedrige Hemmschwellen) 7 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Ursachen von Verhaltensstörungen: Durch Entwicklungsprozesse erworbene Verhaltensstörungen: • • • • (Unbewusste) Entwicklung von Mechanismen zur Bewältigung Angst erzeugender Konflikte bei mangelnder emotionaler Integration Entwicklung von Emotions-Reflexen durch Klassische Konditionierung Entwicklung von auffälligen Reaktionsgewohnheiten in Abhängigkeit von Verstärkungsbedingungen Aufbau eines unrealistischen Selbstkonzepts Ausgewählte familiäre Ursachen: • • • • • Fehlendes Verständnis der Eltern Überbehütung Zuwendungs- und Abhängigkeitsbedürfnis bei emotionaler Vernachlässigung und fehlender Beachtung Aggressive Zurückweisung des Kindes Vereitlung von Vorhaben und Beeinträchtigung des Selbstwertes des Kindes Situationistische Erklärung: Es gibt „krankmachende“ Situationen: • Komplexität und Mehrdeutigkeit, Indifferenz und Unstrukturiertheit • Hoher Grad der Neuigkeit, der Abweichung von bestehenden Erwartungen • Hoher Grad der Bedürfnis- und Motivstimulation • Hoher Grad der Vereitlung (Frustration) von Bedürfnissen und konkreten Zielvorhaben und der Beeinträchtigung des Selbstwertes • „Überforderung“ durch zu hohe oder unangemessene Anforderungen an die zur Verfügung stehenden Problemlösetechniken • „Unterforderung“ durch Monotonie, fehlende Anregungen und fehlende Herausforderungen an die Eigenaktivität Interaktionistische Erklärung: • • • Wechselwirkung zwischen bestimmten Eigenarten der Person und der aktuellen Situation Erwartungen der Person über die Wahrscheinlichkeit und den subjektiven (emotionalen) Wert von Folgen, die sich aus einer Situation ergeben Modelle: z.B. Stress-Konzept, Verhaltensstörungen als fehlgeschlagene Bewältigung von Entwicklungsaufgaben; unzureichende Problemlösestrategie; unangemessene Informationsverarbeitung; unzureichende Handlungsregulation 8 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Etikettierungstheorie Eine Verhaltensweise wird dadurch “auffällig“, dass sie durch Eltern (Elternmaßstäbe, z.B. emotionale Labilität, Kontaktangst, unrealistisches Selbstkonzept, unangepasstes Sozialverhalten, instabiles Leistungsverhalten) oder Lehrer (Lehrermaßstäbe, z.B. Arbeitsverhalten, psychische Stabilität, Begabung, Dominanz, soziale Zurückgezogenheit) als gestört bewertet wird. Die subjektiven Annahmen der Beurteiler spielen dabei eine wesentliche Rolle. Kreislauf von Verhaltensstörungen 9 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 3. SPEZIFISCHE VERHALTENSSTÖRUNGEN Hyperkinetische Störungen Das Hauptmerkmal einer hyperkinetischen Störung ist ein durchgehendes Muster von Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und Hyperaktivität, das häufiger auftritt und stärker ausgeprägt ist, als es bei Kindern auf vergleichbarer Entwicklungsstufe typischerweise beobachtet wird (vgl. Döpfner, 1996). Störungen der Aufmerksamkeit • • • • • Vorzeitiger Abbruch von Aufgaben Tätigkeiten werden nicht beendet Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen Flüchtigkeitsfehler bei Schularbeiten Arbeiten sind häufig unordentlich Meist sind die Störungen bei fremdbestimmten Tätigkeiten stärker ausgeprägt als bei selbst gewählten. Impulsivität: • • • • • • • Ungeduld; Schwierigkeit abzuwarten und Bedürfnisse aufzuschieben Handeln ohne zu überlegen Platzen mit der Antwort heraus Sie unterbrechen andere übermäßig Sie stören und nehmen anderen etwas weg Fassen Dinge an, die sie nicht anfassen sollen Beschäftigen sich mit potentiell gefährlichen Aktivitäten, ohne dass auf die möglichen Konsequenzen geachtet wird Hyperaktivität: • • Desorientierte, mangelhaft regulierte und überschäumende motorische Aktivität Exzessive Ruhelosigkeit Dieses anhaltende Muster exzessiver motorischer Aktivität erscheint durch die soziale Umgebung (z.B. durch Aufforderungen) als nicht durchgreifend beeinflussbar. Dieses Verhaltensmerkmal zeigt sich am deutlichsten in strukturierten und organisierten Situationen, die ein hohes Maß an eigener Verhaltenskontrolle erfordern. 10 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) (oder hyperkinetisches Syndrom) Definition: ADS ist zu definieren als eine auf Grund von minimaler zerebraler Dysfunktion auftretende spezifische Verhaltens- bzw. Konzentrationsstörung, die von einer Reihe typischer Begleitsymptome (z.B. starke motorische Unruhe, Affektlabilität, mangelnde Frustrationstoleranz etc.) geprägt ist. (A. Ortner, R. Ortner, 1991) Symptomatik: • • • • • • • Konzentrationsschwäche Leichte Ablenkbarkeit Geringe Ausdauer Vergesslichkeit Kurze Aufmerksamkeitsspanne Starke Leistungsschwankungen Unharmonischer Bewegungsablauf • • • • • • Motorische Unruhe Dauerndes Zappeln Verkrampfte Schrift Geringes Selbstbewusstsein Stimmungsschwankungen Geringe Frustrationstoleranz Ursachen und Hintergründe: Primärursachen • • Gestörte Reizübertragung durch Neurotransmitter im ZNS Vererbung Sekundärursachen • • • Erziehungsansätze Schule Lärmexponierte Umgebung 11 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Aufmerksamkeitsstörung und Konzentration So paradox es klingt: Den Aufmerksamkeitsgestörten fehlt es nicht eigentlich an Aufmerksamkeit. ADHSler wenden sich durchaus aufmerksam der Welt zu – aber eben nur kurzfristig, solange ihnen der jeweilige Gegenstand neu und interessant erscheint. Sie können den Scheinwerfer ihrer Aufmerksamkeit nicht dort halten, wo sie ihn haben wollen, sondern er hüpft ihnen hin und her. Statt von innen werden sie von außen gesteuert – von den Signalen aus ihrer Umgebung. Es mangelt ihnen an jener selbstdirigierten Konzentration, die die Psychologen Detlef Berg und Margarete Imhof von den Universitäten Bamberg und Frankfurt anhand dreier Kriterien von wahlloser Aufmerksamkeit unterscheiden: • Intentionalität: Konzentration heißt, sich willentlich einem Gegenstand zuwenden. • Integration: Das Wahrgenommene wird nicht automatisch, sondern bewusst verarbeitet und in das vorhandene Wissensgebäude integriert. • Beanspruchung energetischer Ressourcen: Konzentration erfordert eine starke Aktivierung in bestimmten Hirnregionen und wird auch subjektiv als anstrengend erlebt. Auf allen drei Feldern haben aufmerksamkeitsgestörte Menschen ihre Probleme. Sie verteilen erstens ihre Aufmerksamkeit eher willkürlich als willentlich, und es fällt ihnen zweitens schwer, das Wahrgenommene zu integrieren, denn es fehlt ihnen drittens an jener psychischen Energie – auch Arousal genannt -, die erforderlich ist, um intensiv bei der Sache zu bleiben. Typisch für ADHS sei „das oft schlagartige psychische Ermüden“, schreibt Russel Barkley. Dies erklärt auch den paradoxen Befund, dass ausgerechnet Aufputschmittel wie Ritalin hippelige ADHSler ruhiger machen: Die Aktivierung schafft Konzentration. 12 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 4. VERHALTENSMODIFIKATION IN DER SCHULISCHEN BERATUNG Beratungskonzepte (nach Ruth Mitschka, 2002) Der Expertenansatz = das medizinische Modell = das lineare Modell = das personale Modell Das Verhalten ist eine „Eigenschaft“ der Person. Dieses wird mit einem wissenschaftlichen Etikett versehen, besonders die Verhaltens“störungen“. Wenn die Ursachen der Symptome in einer Therapie aufgedeckt werden, folgen Veränderungen. Im linearen Modell ist Beratung pathologiezentriert (auf eine psychische Erkrankung gerichtet) und Veränderung meint Gesundwerdung, Heilung, Normierung, Anpassung. Das Interesse richtet sich auf die Vergangenheit, auf das Warum. Der Berater ist der Experte für die Erklärungen und Deutungen. Dieses Modell liegt der Tiefenpsychologie zugrunde. Das interaktionistische Modell = das interpersonale Modell = die Lerntheorien Jedes Verhalten ist gelernt (ähnlich der Dressur bei Tieren): durch Gewöhnung und durch positive oder negative Verstärkung, durch Versuch und Irrtum oder Nachahmung eines Modells Dieser Zugang findet sich im Behaviorismus. Das verhaltenstherapeutische Vorgehen besteht darin, nach einem Plan das Verhalten nach und nach so zu ändern, dass es allmählich dem erwünschten entspricht. 13 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Das systemische Modell Jede und jeder ist Teil von Systemen. Jedes Verhalten hat innerhalb des Systems eine Funktion. Auch auffälliges Verhalten ist eine „gesunde“ Reaktion und bringt Gewinn. Veränderungen werden z.B. möglich, wenn derselbe Gewinn auf andere Weise erzielt werden kann oder wenn neue „Landkarten“, also veränderte Sichtweisen, benutzt werden. Dazu können alle im System etwas beitragen. Bildungsberatung im Schnittpunkt Sozialarbeit und Beratung Arbeitsfeld Beratung (nach Ruth Mitschka 2000) Alltag = Tun Elternhaus Sozialarbeit Schule Psychotherapie Spezialistentum = Reden Beratung im weitesten Sinn ist Unterstützungsmanagement Dieses geht davon aus, dass die Person, die Gruppe oder Organisation, er es zugute kommt, zu viel oder zu wenig von etwas hat. Durch das Angebot soll ein Ausgleich geschaffen werden. Erziehung, Therapie, Beratung, Schulung wirken in diesem Sinne unterstützend. Sie haben folgende Merkmale gemeinsam: • ein Angebot im Doppelpack (versorgen, unterstützen einerseits und bewerten andererseits – Hilfe plus Kontrolle) • das Aufeinander-Reagieren, die Interaktion (mindestens= zweier Personen 14 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Merkmale der Sozialarbeit: Die Auftragslage ist diffus und bewegt sich zwischen Hilfe, Kontrolle und Therapie. Die Klienten/inn/en haben häufig selber kein Interesse an einer „Beratung“ oder „Betreuung“. Oft sind es andere, die meinen, dass der/die Betreffende Hilfe bräuchte. Die Beratungsbeziehungen zu Klientinnen und das „Setting“ sind unklarer als in therapeutischen Situationen. Die „Indikation“ der Hilfe und Struktur der Beratung lässt sich oft erst im Verlauf der Beziehung klären. Die Hilfe vollzieht sich überwiegend im Übergang zwischen professioneller Beratung und Alltagsbeziehung. Die Beziehung zum/zur Sozialarbeiterin fungiert als „Ersatz“ für verloren gegangene soziale Bindungen. Erfolgskontrollen der Arbeit sind eher die Ausnahme. Soziale Arbeit umfasst zunehmend mehr wirtschaftliche Tätigkeiten, etwa mit „Sozialmanagement“ umschreibbar. 15 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Verhaltensmodifikation Entnommen aus: www.stangl-taller.at / ARBEITSBLAETTER / LERNEN / Verhaltenstherapie.shtml Grundannahmen Eine bedeutende Rolle - auch in der europäischen Psychologie - spielt die aus den Grundannahmen des Behaviorismus abgeleitete Verhaltenstherapie. Die Entstehung der Verhaltenstherapie hing einerseits mit der Unzufriedenheit über die vorherrschende Psychoanalyse und andererseits mit der Anwendung experimenteller wissenschaftlicher Ergebnisse auf die Erklärung und Behandlung seelischer Störungen zusammen. Die Grundannahme der Verhaltenstherapie besagt: Neurotisches Verhalten und andere Arten von Verhaltensstörungen sind meistens erworben. Die Verhaltenstherapie geht also davon aus, dass jedes Verhalten nach gleichen Prinzipien erlernt, aufrechterhalten und auch wieder verlernt werden kann. Dabei wird unter Verhalten nicht nur die äußerlich sichtbare Aktivität des Menschen verstanden, sondern auch die inneren Vorgänge wie Gefühle, Denken und körperliche Prozesse. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt erfordert zahlreiche Lern- und Anpassungsleistungen. Wir fühlen uns wohl, wenn wir in der Lage sind, auf diese psychischen und physischen Anforderungen flexibel und unter angemessener Berücksichtigung unserer Bedürfnisse selbstverantwortlich zu reagieren. Reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus, um zentrale Bedürfnisse wie die nach sozialer Sicherheit, befriedigenden Beziehungen oder selbstbestimmter Lebensgestaltung zu erfüllen oder stehen äußere Umstände dem entgegen, wird das Wohlbefinden beeinträchtigt. Die Folgen können Verhaltensauffälligkeiten, seelische und körperliche Erkrankungen sein. Die Schlussfolgerung: Ist neurotisches Verhalten erworben, so sollte es von den Lerngesetzen abhängig sein. Diese Lerngesetze beziehen sich nicht nur auf das Erlernen neuer Verhaltensmuster, sondern auch auf die Reduzierung oder das Eliminieren (Extinktion) von bestehenden Verhaltensmustern. Es gibt nicht nur gute, sondern auch schlechte Gewohnheiten, auf die die Verhaltenstherapie durch Aneignungs- und Beseitigungsverfahren abzielt. Der lerntheoretische Ansatz besagt: Jede Verhaltensstörung ist erlernt und kann durch entsprechendes Gegenlernen abgebaut werden. Dies wird unterstützt durch den Aufbau von gegenteiligen, erwünschten Verhaltensweisen. Das Erlernen neuer Verhaltensweisen erfolgt bevorzugt durch Verwendung positiver Verstärker (angenehme Konsequenzen, z.B. Belohnungen, Lob, etc.). Unerwünschte Verhaltensweisen werden durch negative Verstärker (Reize, die unangenehme Folgen haben, z.B. Schmerz, Tadel, etc.) eliminiert. Viele der ursprünglichen Grundannahmen haben sich nicht halten lassen, das Versprechen sehr kurzer effektiver Therapien konnte nur für wenige Störungen eingehalten werden. Dennoch hat die Verhaltenstherapie die Psychotherapie wesentlich weiterentwickelt und für viele Krankheitsbilder entscheidend geprägt. Sie zeigt weniger Hemmungen Erkenntnisse anderer Wissenschaften zu integrieren, ist weniger dogmatisch und damit flexibler in ihrer eigenen Entwicklung. Für manche Störungen ist sie einer analytischen Behandlung überlegen. 16 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Das gestörte Verhalten wird unter dem Gesichtspunkt einer aktuellen Funktionskette gesehen, nach dem Muster: Auslösung - Verhalten - Konsequenzen des Verhaltens. Der Patient muss zuerst unterscheiden lernen, welche der vielen täglichen Ereignisse, negative Gefühle, Selbstabwertung und Fehlverhalten bewirken. Das Grundmuster der Verhaltenstherapie ist das schrittweise Einüben eines so genannten Zielverhaltens (das erwünschte Verhalten). Die einzelnen Schritte bestehen im Allgemeinen zunächst aus einer konkreten Analyse des Verhaltens und dann der Bestimmung der Lernabschnitte, der Durchführung eines Kleinschrittlernens, einem Belastungstraining des neuen Verhaltens, einem Selbstkontrollabschnitt und aus gelegentlichen Wiederholungsstunden nach Therapieende, um das Gelernte wieder aufzufrischen. Bei allen Veränderungstechniken, die auf mentalem Weg versuchen, menschliches Verhalten und Denken zu verändern, ist zu berücksichtigen, dass diese Veränderbarkeit ihre Grenzen hat. Das menschliche Gehirn ist - bei aller Skepsis gegenüber der Computermetapher - einer nur einmal beschreibbaren Festplatte vergleichbar, die eine riesige Speicherkapazität hat. Gespeicherte Daten können jedoch nicht mehr gelöscht werden, was große Vorteile hat, aber auch Nachteile, zumal sich im Laufe des Lebens zahlreiche destruktive Programme, quasi neuronale Psycho-Viren, einnisten, die das Leben erschweren können. Die angeborenen und erlernten Steuerprogramme sind mächtig und bestimmen die Denkweise, die Emotionen und Verhaltensweisen, auch gegen den Willen und gegen unsere Interessen. Der Mensch ist daher weniger veränderbar als gemeinhin angenommen wird. Im Erwachsenenalter sind bestimmte Persönlichkeitseigenschaften fest verankert und kaum zu verändern. Auch Bedürfnisse und Neigungen sind sehr beständig. Begabungen und Intelligenzfaktoren sind ebenso überaus stabil. Ideologische Gesinnungen sind außerordentlich starr und widerstandsfähig. Einstellungen zu bestimmten Dingen sind in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren mehr oder weniger gut umzuwandeln. Werte und Überzeugungen sind relativ stabile Einstellungen, die aber durchaus veränderbar sind. Bewertungen von bestimmten Situationen und Gegebenheiten können mit der nötigen Einsicht und Selbsterkenntnis sehr erfolgreich geändert werden. Wissen und Fertigkeiten können beinahe das ganze Leben lang angeeignet werden. Es ist sinnvoll, bei der Bestimmung und Realisierung von Zielen, bei der Lösung von Problemen die Grenzen der Veränderbarkeit zu berücksichtigen. Man sollte daher nicht versuchen, Eigenschaften zu verändern, die kaum oder nicht zu verändern sind bzw. Eigenschaften zu entwickeln, die kaum oder nicht zu entwickeln sind. Es ist günstiger, die grundlegenden Merkmale in das Leben mit einzubeziehen, anstatt gegen die "Natur" anzukämpfen. Aus einem Introvertierten etwa, der eher selbstbezogen und reserviert ist, wird wohl nie ein Extrovertierter, der kontaktfreudig und gesellig ist, werden - und umgekehrt. Verhaltenstherapeutische Gruppen, Soziale Kompetenz-, Selbstsicherheits- oder Problemlösegruppen, können eine gute Möglichkeit sein, neue Verhaltensweisen oder verloren gegangene Sicherheit spielerisch zu lernen und zu üben. Dies kann im Einzelfall zu einer beträchtlichen Reduzierung von Belastungen wie soziale Isolation oder Auseinandersetzungen mit der Familie/am Arbeitsplatz/in der Schule führen und 17 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie damit einen Schutz vor erneuter Überlastung, die schlimmstenfalls wieder einen Rückfall auslösen kann, darstellen. In Rollenspielen, durch Hausaufgaben, durch aktives Umstrukturieren altgewohnter Denkschemata wird versucht, positive Veränderungen in Gang zu setzen. Wie bei allen Therapieformen spielt die Wahl eines Verhaltenstherapeuten eine entscheidende Rolle, wobei das Gefühl, zu diesem Menschen einen vertrauensvollen Kontakt aufnehmen zu können, zentral ist. Problemlöseprozess in der Beratung Problem: • • • Unerwünschter Ist-Zustand Gesuchter Soll-Zustand Barriere, die die Transformation vom Ist-Zustand in den Soll-Zustand momentan verhindert Möglichkeiten der Entstehung: • • • Mangelnde Klarheit des Ist-Zustandes Fehlen oder Nichterkennen der Transformationsmöglichkeiten Mangelnde Klarheit des Soll-Zustandes Prozessmodell mit 5 Phasen: PROZESSMODELL MIT 5 PHASEN PROBLEMSTELLUNG PROBLEMANALYSE ZIELANALYSE MITTELANALYSE ERPROBUNG UND BEWERTUNG VON LÖSUNGSSCHRITTEN 18 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 1. Problemstellung „Worum geht es überhaupt?“ Mehr oder weniger differenzierte Auswahl an Darstellungen eines Problems z.B.: Klient ist unzufrieden damit, dass... Klient möchte erreichen, dass... Achtung: Einziges/Mehrere Probleme; Keine voreilige Einengung Annahmen über die Entstehung und Veränderbarkeit von Problemen (Health-believe-Modell) erfragen 2. Problemanalyse „Das Knäuel soll entwirrt werden!“ Auf den Ebenen von: 2.1 Ebene des Verhaltens in Situationen: „Wie sieht das ganz konkret aus?“ Konkretes Verhalten in konkreten Situationen 2.2 Ebene der Regeln und Plänen: „Jetzt vergrößert sich das Blickfeld!“ Welche Bedeutung haben Regeln und Pläne für die Problematik Hilfreiche Fragen zum Erstellen einer Planstruktur: • Welchen übergeordneten Zielen dient das Vh X? • Lässt sich das konkrete Vh in verschiedenen Situationen auf einen gemeinsamen Plan zurückführen? • Welche Pläne stehen in Konflikt miteinander? • Wie groß ist der Geltungsbereich eines Plans? Probleme können entstehen durch mangelnde: • Bewusstheit und Transparenz • Rationalität • Widerspruchsfreiheit • Sinnvolle Ableitung • Effizienz • Verhaltenskompetenz 19 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 2.3 Ebene der Systemregeln: „Welche Spielzüge sind vorgeschrieben?“ Vorschriften für das Zusammenleben innerhalb eines Systems Bedingungen, die aus sozialen Systemen heraus resultieren Beachte auch die Funktion, die die Symptomatik für den Bestand des Systems hat Hilfreiche Fragen: • Welche Regeln im System stabilisieren das Problem? • Welchen Stellenwert hat das Problem für die einzelnen Mitglieder des Systems? • Welchen Schwellenwert gibt es für Veränderungen? Probleme können entstehen durch mangelnde: • Bewusstheit und Transparenz • Rationalität • Widerspruchsfreiheit • Sinnvolle Ableitung • Effizienz • Verhaltenskompetenz 2.4 Genese: „Ein Blick zurück“ Frage nach der Entstehung des Problems (Lerngeschichte Muster usw.) Die Genese besteht aus: • Biographische Daten • Erstes Auftreten bzw. Beginn des Problems • Weiterentwicklung des Problems(Verbesserung, Verschlechterung, Bewältigungsversuche, Bewertungen usw.) 3 Zielanalyse „Auf den ersten Blick erscheint uns das Ziel oft klar...“ Differenzierung des angestrebten Soll-Zustandes und seiner Voraussetzungen 3.1 Veränderungsvoraussetzungen „Was kann und will ein jeder einsetzen?“ Welche Vorteile bringt ein Problem? Welche Lebensbereiche werden als zufrieden stellend erlebt und können daher als Ressource genützt werden? Welche Erwartungen bestehen hinsichtlich der Veränderungsmöglichkeiten, fähigkeiten und –resultate? 20 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 3.2 Zielbestimmung „Was soll erreicht werden?“ Änderung des Verhaltens Änderung der Ziele Gegenseitige Annäherung von Ist- uns Soll-Zustandes Ausstieg aus dem Problemrahmen und völlige Neuorientierung Achtung: • Ziele sollen vom Klienten initiierbar und aufrechterhaltbar sein • Ziele sollen positiv formuliert werden • Ziele sollen konkret und situationsspezifisch sein 4 Mittelanalyse „Wege zum Ziel“ An welche Person wird der Veränderungsanspruch gerichtet Ansatzpunkt der Veränderung: • Ebene des Verhaltens in Situationen • Ebene von Regeln und Plänen • Ebene der Systemregeln 5 Erprobung und Bewertung der Lösungsschritte „Probieren geht über studieren“ Umsetzung erleichtert sich durch genaue Festsetzung über: Gelegenheit zur Ausführung (Ort, Zeit, Person) Art der Ausführung (wie, wie lange, Umfang) Erinnerungshilfen Festhalten der Ergebnisse (Selbstbeobachtungsprotokolle) 21 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Die systemtheoretische Betrachtungsweise in der schulischen Beratung Theoretische Grundlagen des systemischen Ansatzes in der Beratungstätigkeit 1. Von einer individuumsorientierten zu einer systemorientierten Betrachtungsweise Seit kaum dreißig Jahren vollzieht sich im psychologisch-psychotherapeutischen Praxisfeld ein Wandel zu Beratungs- und Therapieformen, denen gemeinsam ist, dass sie individuelle Störungen unter dem Aspekt des an der Störung beteiligten Systems (Familie, Schule etc.) betrachten. Die systemische Sichtweise integriert drei historische Entwicklungsstufen in der Beratungsarbeit, die jeweils einer personalen, interpersonalen und systemischen Beobachtungsebene des Beraters entsprechen. 1. Die individuumorientierte Beratungsarbeit legt das Schwergewicht auf die Beschreibung des individuellen Problemverhaltens. Entsprechend dem so genannten „medizinischen Modell“ werden mittels psychodiagnostischen Verfahren die pathologischen Eigenschaften gesucht, die der individuellen Störung zugrunde liegen. Dem linear-kausalen Denken verhaftet, wird nach einem inneren (organischen Defekt, etc.) oder einem äußeren Verursacher (Fehlverhalten der Eltern, Lehrer, Mitschüler, etc.) gesucht. (siehe auch psychoanalytische Ansätze). 2. Die interpersonale Betrachtungsebene sieht das Individuum in der Interaktion mit anderen Personen. Es werden die Zweierbeziehungen untersucht. Die Analyse der Dyaden, ihrer Kommunikationsmuster und Beziehungsstrukturen gibt Aufschluß, wie sich das Problemverhalten wechselseitig bedingt. (z.B. verhaltenstheoretisches Modell) 3. Die systemische Betrachtungsebene sieht nicht nur das Individuum und die dyadischen Interaktionen in ihrem Bezugssystem (siehe Stockwerksmodell von C. Henning/U. Knödler, 1985), sondern betont, dass das System mehr ist als die Summe seiner Bestandteile. Der Problemschüler ist diesem Verständnis nach kein isoliertes Individuum sondern in ein System von sozialen Beziehungen eingebettet, die sein Verhalten mitbestimmen. Er wird von seinem sozialen Netzwerk beeinflusst und beeinflusst durch sein Verhalten die anderen Mitglieder seines jeweiligen Bezugsystems (Familie, Schulklasse). Sein Verhalten ist bedingt durch den wechselseitigen Austausch zwischen ihm und den anderen Personen. Dies gilt auch für auffälliges und abnormes Verhalten. (C. Henning/U. Knödler, 1985) 22 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 2. Systemtheoretische Betrachtung menschlicher Kommunikation Die Systemtheorie sieht den Menschen in einem System von sozialen Beziehungen integriert, die auf ihn wirken und die er beeinflusst (vgl. Schlippe, 1984). Im Rahmen einer solchen Konzeption verändert sich auch die Auffassung vom Individuum. Dieses wird als Persönlichkeitssystem verstanden, das mit seiner Umwelt in einer Wechselbeziehung, in einer Beziehung der gegenseitigen Beeinflussung steht. Das Denken vollzieht sich hier in Begriffen von Interaktion, Rückkoppelung und Kreisförmigkeit aller Kommunikation. 2.1. Was ist ein System? Im allgemeinsten Sinne ist ein System „ein Aggregat von Objekten und Beziehungen zwischen Objekten und ihren Merkmalen“ (Hall & Fagan 1956). Unter Objekten sind die Bestandteile des Systems, unter Merkmale die Eigenschaften der Objekte zu verstehen. Die Beziehungen gewährleisten dabei den Zusammenhang des Systems. M. Selvini-Palazzoli (1976) präzisiert diese Definition im psychologischen Sinn indem sie Systeme „als jene „gewordene“ Gruppen bezeichnet, die sich nach einer gewissen Zeitspanne, die für ihre Entfaltung und die Entwicklung gemeinsamer Ziele ausreicht, als funktionale Einheit konstituiert haben und von eigenen und einmaligen Regeln gelenkt werden.“ Mit anderen Worten, dieser Typ der natürlichen Gruppe, ist ein gewordenes Aggregat von Subjekten, ein Organismus mit eigenen Merkmalen, die sich nicht auf die Merkmale der für sich betrachteten Teile reduzieren lassen. Dieses System (bzw. diese Gruppe) hat eigene Regeln, die nur in seinem Inneren Geltung besitzen und es lebt von den Interaktionen seiner Teile (Beziehungen), die als zirkulär betrachtet werden. Systeme die mit „gewordenen Gruppen“ identisch sind, lassen sich als „offene Systeme“ definieren, die ständig Beziehungen (d.h. fortwährender Austausch und Rückkopplungen von Informationen) zu anderen Systemen unterhalten (M. SelviniPalazzoli, 1976). Reimann (1968) definiert ein System noch allgemeiner: „Ein System (kann) als ein Ganzes bestimmt werden, das aus einzelnen Elementen, die untereinander in Wechselwirkung stehen, zusammengefügt ist. Die Beschaffenheit der Element, deren spezifische Koordination (Systemstruktur) machen die Eigenart des Systems aus. Das System besitzt eine Grenze zur Außenwelt (Innen- und Außenaspekt), mit der es im übrigen in ständiger Wechselbeziehung (Austausch) steht. Die Bewahrung des Gleichgewichtes zwischen Innen und Außen (Äquilibrium; Homöostase) dient der Selbsterhaltung des Systems.“ 2.2. Offene und geschlossene Systeme In der Systemtheorie wird zwischen offenen und geschlossenen Systemen unterschieden. a) Offene Systeme: „...organische Systeme sind offen, was bedeutet, dass sie mit ihrer Umwelt Stoffe, Energie oder Informationen austauschen.“ b) Geschlossene Systeme: „Ein System ist geschlossen, wenn kein Export oder Import von Energie in irgendeiner Form (z.B. Information) stattfindet.“ (Hall & Fagan 1956,23) Soziale Systeme werden als offene Systeme betrachtet, sie haben keine festen Grenzen. Es sind die beständig sich wiederholenden Aktivitätszyklen beim Austausch 23 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie und bei der Transformation von Information (Energie), wodurch die wesentliche Funktion jedes sozialen Systems beschrieben werden kann und wodurch es möglich erscheint, verschiedene Systeme voneinander abzugrenzen. Bezogen auf die Schule, handelt es sich hier in hohem Maße um ein offenes System. Die Lehrer sind nur eine bestimmte Zeit des Tages im Kollegium zusammen und investieren „Energie“ in Form von Arbeit in der Schule. Die Schüler befinden sich nachmittags und abends in der Regel in ihren Familien und gehen vielfältigen Freizeitaktivitäten nach. 2.3. Abgrenzung von Systemen, Hierarchie von Systemen In komplexen Systemen existieren Elemente bzw. Einzelkomponenten, die wiederum abgrenzbare organisierte Ganzheiten darstellen, die ebenfalls die formalen Eigenschaften eines offenen Systems aufweisen. Sie werden als „Subsysteme“ innerhalb des jeweiligen übergeordneten „Suprasystems“ bezeichnet. Ob ein System als Subsystem, System oder Suprasystem bezeichnet wird, hängt einzig und allein von der jeweiligen Problemstellung oder Perspektive ab. Das was unter einem engeren Blickwinkel als Gesamtsystem (z.B. Schule) oder Suprasystem betrachtet wird, erscheint in einem weiter gefassten Systemzusammenhang lediglich als Subsystem (z.B. Schule - Gesellschaft). Abb.: Subsysteme innerhalb des Gesamtsystems Schule (C. Henning/U. Knödler, 1985) 24 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 2.4. Eigenschaften offener Systeme 2.4.1 Energieaustausch Keine soziale Struktur ist selbstgenügsam und unabhängig von der Umwelt. Offene Systeme nehmen in irgendeiner Form aus der äußeren Umgebung Energie (z.B. Information) auf. Aus systemischer Sicht investieren Lehrer und Schüler in der Schule ihre Arbeitskraft („Energie“) mit dem Ziel, durch das Angebot (Lehrer) und die Aufnahme (Schüler) von Informationen, Veränderungen in den kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Strukturen der Schüler zu erzielen. 2.4.2 Ganzheit Systeme sind Ganzheiten. Jeder Teil eines Systems ist mit den anderen Teilen so verbunden, dass die Änderung eines Teiles im System eine Änderung in allen anderen Teilen und damit im gesamten System nach sich zieht. Das heißt, ein System bzw. eine Gruppe ist mehr als die Summe seiner Teile bzw. ihrer Subjekte. 2.4.3 Zielorientierung (Äquifinalität) Lebende Systeme verhalten sich zielorientiert. Das Verfolgen eines Zweckes bzw. die Orientierung auf ein Ziel ist kennzeichnend für menschliches Verhalten. Systeme bestimmen ihr Verhalten und verändern ihren Zustand in Bezug auf ihre Umwelt stets in Richtung auf ein Ziel. Als Ziel kann dabei jeder beliebige Zustand des Systems (oder eines bzw. mehrerer Teile des Systems) unter Berücksichtigung der auf das System von außen oder innen wirkender Ereignisse bezeichnet werden (z.B. Erziehungsziele der Landesverfassung, Leistungsversagen eines Schülers). 2.4.4 Kreisförmigkeit der Interaktion und Rückkoppelung Jedes System führt auf dem Weg zu seinem Ziel selbstregulierende Prozesse durch. Die Interaktion in Systemen wird durch das Prinzip der Kreisförmigkeit bzw. der Rückkoppelung bestimmt. Soziale Strukturen entstehen durch Ereignisse oder Verhaltensformen, die durch Rückkoppelungsprozesse miteinander verbunden sind. „ Das Verhalten jedes einzelnen wirkt auf Verhaltensweisen der anderen Personen ein und wird selbst wiederum auch von Handlungen aller anderen bedingt. Das Individuum bzw. der Schüler ist also nicht aus sich allein heraus in seinen Handlungen zu verstehen, sondern seine Reaktionen sind nur im Zusammenhang mit Reaktionen der übrigen Handelnden (z.B. Eltern, Lehrer, Freunde, etc.) zu begreifen.“ (Bastine & Jacoby 1977,129) Es wird zwischen „positiven“ und „negativen“ Rückkoppelungen unterschieden. Positive Rückkoppelung: Ist jener Prozess, bei dem Information dazu verwendet wird, einen Systemzustand zu verändern. Das heißt, das System stellt sich auf ein Problem ein und entwickelt Maßnahmen (Positive Rückkoppelung) zu seiner Behebung (z.B. Verhaltensstörungen bei Schülern - Schülerberatung). Negative Rückkoppelung: Ist jener Prozess, bei dem Information zur Verminderung der Abweichung von einem bestimmten Sollwert verwendet wird. (z.B. Zuspätkommen des Schülers wird durch Strafmaßnahmen unterbunden) 25 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 2.4.5 Homöostase - Veränderung Jedes interaktive System zeichnet sich durch das gleichzeitige Vorhandensein zweier Tendenzen aus, die für sein Überleben und seine Existenz von gleicher Wichtigkeit sind: a) Die Tendenz zur Beständigkeit = Homöostase b) Die Tendenz zu Veränderung = Transformation Watzlawick unterscheidet zwei Arten der Veränderung: a) Veränderung, die sich im Inneren des Systems ergeben kann, das seinerseits aber als System, das heißt in seiner globalen Organisation, unverändert bleibt (Veränderung erster Ordnung) b) Veränderung, die das ganze System insgesamt ergreift und transformiert (Veränderung zweiter Ordnung) Ein lebendes System verändert sich ständig und geht von einem Zustand zu einem anderen über. Um überleben zu können müssen offene Systeme einem natürlichen Zerfallsprozess entgegensteuern, dem nach der allgemeinen Systemtheorie jedes System unterworfen ist. Um diesem Verfall (Zustand der Desorganisation) entgegenzuwirken und den Übergang von einem Systemzustand in den anderen gefahrlos vollziehen zu können, bedarf es eines systeminternen fließenden Gleichgewichts, der „Homöostase“. Hierbei handelt es sich um einen Zustand des Gleichgewichtes bzw. Beständigkeit, den jedes System anstrebt, den es jedoch nur für kurze Zeit halten kann. Soziale Systeme neigen zu einer quasi -stationären Homöostase. Entsprechen die Anpassungsmaßnahmen (Tendenz der Veränderung) des Systems nicht der Komplexität und der Qualität der zu bewältigenden Probleme, d.h. hat sich das System auf ein zu niedriges „homöostatisches Plateau“ stabilisiert, dann kommt es zu minderwertigen Lösungen, Fehlanpassungen des Systems oder zur Rigidisierung verbunden mit (aktiver) Informationsabwehr (vgl. Abwehrmechanismen, Verleugnung, Widerstand, etc.). 2.4.6 Systemregeln Der Begriff „Regeln“ bezeichnet die in einem System bestehende Struktur. Damit sind jene Verhaltensformen gemeint, mit denen ein System den Fluss von Gleichgewicht und Veränderung steuert und damit seine Homöostase aufrechterhält. Regeln können sprachlich kodiert (explizit) oder nicht kodiert (implizit) sein. Weiters können sie funktional (in Bezug auf das Anstreben bestimmter Ziele) oder dysfunktional sein. 26 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Systemregeln kodiert nicht kodiert funktional 1. 2. dysfunktional 3. 4. Beispiele: ad 1.: kodierte funktionale Regeln: • • • Sprich nicht, wenn der Lehrer mit einem anderen Schüler spricht! (Schüler-Schüler-Regel) Sprich im Unterricht nicht ohne Erlaubnis, melde dich erst! (Schüler-Lehrer-Regel) Bei der Stundenplangestaltung sind alle Lehrer gleich zu behandeln! (Lehrer-LehrerRegel) ad 2.: nicht kodierte funktionale Regeln: • • • Bestimmte Sprachinhalte (z.B. Fluchen) sind verboten! (Lehrer-Schüler-Regel) Über Kollegen wird an unserer Schule nicht geklatscht! (Lehrer-Lehrer-Regel) Häufig ist es besser, über bestimmte Probleme nicht zu sprechen, weil die Probleme dadurch größer werden! (Lehrer-Lehrer-Regel) ad 3.: kodierte dysfunktionale Regeln: • • • Wer sich bei uns dumm anstellt, wird abgesägt! (Lehrer-Lehrer-Regel) Pädagogische Konferenzen brauchen wir nicht, (Lehrer-Lehrer-Regel) Wir wollen uns doch für das Wohl unserer Schüler einsetzen! (Lehrer-Schüler-Regel, diese Regel ist dysfunktional, weil unpräzise) ad 4.: nicht kodierte dysfunktionale Regeln: • • • Wer stärker ist, setzt sich durch! (Lehrer-Schüler-Regel) Wenn der Direktor eine Konferenz leitet, werden wir ihm schon zeigen wer hier das Sagen hat! (Lehrer-Schulleiter-Regel) Über zwischenmenschliche Konflikte unter Lehrern sprechen wir nicht, denn wir haben keine! - Und wer sich nicht an diese Regel hält, kriegt Ärger mit uns! (Lehrer-LehrerRegel) Die kategoriale Zuordnung von Regeln kann nur im jeweiligen Handlungskontext und in Bezug auf die darin enthaltenen Zielorientierungen erfolgen. Weiters sind die Regeln häufig in hierarchischer Form gegliedert. Daher ist es wichtig zu fragen: Welche Regeln steuern die Verhaltensformen innerhalb sozialer Systeme? Die nicht kodierten Regeln sind den Systemmitgliedern in den meisten Fällen nicht bewusst. Werden diese angesprochen tauchen meistens heftige Widersprüche auf, gelingt es jedoch, sie in angemessener Weise bewusst zu machen, und stehen die Systemmitglieder diesen spannungsvollen Prozess durch, ergeben sich häufig überraschende und weit reichende Wirkungen. 27 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Der Problemschüler im Schnittpunkt der Systeme „Familie“ und „Schule“ Abb. (siehe Schlippe 1984, in C. Hennig/U. Knödler 1987, S 24) Abb. Der Problemschüler in seinem sozialen Netzwerk (nach C. Hennig/U. Knödler 1987,25) In der Beratung schulischer Probleme ist es analog zum familientherapeutischen Vorgehen notwendig, zunächst das individuelle Problemverhalten zu betrachten, um dann bei nicht ausreichendem Informationsgehalt, auf die nächst höhere Beobachtungsebene zu gehen. Schließlich erhält das unerklärliche Problemverhalten im erweiterten Kontext einen Sinn, der auf den verschiedenen Stockwerksstufen ungleich mehr Interventionsmöglichkeiten zulässt. 28 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Stockwerksmodell (nach C. Henning/U. Knödler 1985) 1. Stock (personale Ebene): Hier sehe ich das Kind als isoliertes Individuum und beschreibe es mit Aussagen, wie "aggressiv", "dumm", "faul", "unkonzentriert" usw. Auf dieser Ebene beschreibe ich also lediglich sein Verhalten, kann es mir aber nicht erklären "warum" das Kind so ist. 2. Stock (interpersonale Ebene): Von hier aus sehe ich den Schüler in der Interaktion mit anderen Personen. Hier wird die Zweierbeziehung untersucht, z.B. wie verhält sich das Kind zum Vater, zur Mutter, zu Geschwistern, zur Großmutter, zum Lehrer usw. "Analysiere ich diese Dyaden so erkenne ich, wie sich das Problemverhalten wechselseitig beeinflusst und bedingt. 3. Stock (Systemebene): Hier sehe ich den Schüler in Beziehung zu all jenen Personen, mit denen er seinen Alltag verbringt wie Eltern, Großeltern, Geschwister, Lehrer usw. Erst auf dieser Ebene ist es dem Berater möglich, da er nun alle relevanten Bezugspersonen mit einbeziehen kann, eine systemische Aussage über das Symptomverhalten des Kindes zu machen und auch die Sinnhaftigkeit des Symptomverhaltens zu verstehen. 29 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Grundsätze systemischer Beratung (nach Eve Lipchik) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Jeder Klient ist einzigartig. Menschen streben nach Gefühlen der Sicherheit. Klienten haben das Potential und die Kraft sich selber zu helfen. Keine Situation ist nur negativ. Berater können Klienten nicht ändern; Klienten können sich nur selber ändern. Problem und Lösung müssen nicht zusammenhängen. Man soll nicht Ursache und Wirkungen analysieren, sondern darüber nachdenken, wie sich die Situation bessern könnte. Wenn etwas gut funktioniert, mach mehr davon. Wenn etwas nicht funktioniert, mach etwas anderes. Da man die Vergangenheit nicht ändern kann, soll man sich auf die Zukunft konzentrieren. Änderungen finden im Leben ständig statt; ein kleiner Schritt kann zu großen Veränderungen führen. Veränderungen erfordern Geduld. Phasen der systemischen Problemdefinition (nach C. Henning/U. Knödler 1985 und Stampfer 2004) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Was ist jetzt das Problem ? Reaktionsweisen der Betroffenen auf das Symptom. Was wäre ohne das Symptom anders? Was würde passieren, wenn die Symptomatik noch länger andauern würde? Was wurde bisher gegen die Symptomatik unternommen. Seit wann besteht das Symptom? Erklärungsmuster der Betroffenen zur Symptomentstehung. 30 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 31 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Systemischer Ansatz in der schulischen Einzelfallberatung (nach C. Henning/U. Knödler, 1985) Die Regeln der Beziehung definieren, um einen Kontakt der Kooperation zu schaffen, wie: • seine eigene Beraterrolle genau definieren • seine Kompetenzen klar erläutern • die Zusammenarbeit als einziges Mittel für eine Problemlösung erbitten und anbieten • den Lehrer als gleichberechtigten Kooperationspartner mit in die Verantwortung nehmen Die positiven Bewertungen der bisherigen schulischen Bemühungen • D.h. Einstellung und Verhaltensweisen, die zur Bewältigung des Problems herangezogen wurden, werden vom Berater beachtet und anerkannt, um den Lehrer bzw. Schulleiter in seinem Selbstwertgefühl zu bestärken und eine gute Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Beachtung der Bedürfnisse der schulischen Arbeitswelt • Neben der Anerkennung der subjektiven Wichtigkeit der vom Lehrer geleisteten Arbeit, hat der Berater auch dem Bedürfnis des Lehrers nach Selbsttätigkeit und Unabhängigkeit Rechnung zu tragen, d.h. ihn zu informieren und in Entscheidungen, die mit der Schule in Zusammenhang stehen, einzubeziehen. Ein überschaubarer Beobachtungs- und Interventionsbereich muss gegeben sein • Dazu meinen Hennig/Knödler: "Subsysteme eignen sich besser zur Kooperation als größere Systeme. Je größer das System, das in die Beratung einbezogen wird, desto mehr Faktoren müssen berücksichtigt werden." (1987, S 196) Berücksichtigung der hierarchischen Ordnung im System Schule • Damit die Beratung vom Lehrer nicht sabotiert wird, darf kein Verantwortlicher im Kollegium - auch nicht der Schulleiter - übergangen werden. Kommunikationsformen symmetrischer Art sollen vermieden werden • D.h. symmetrische - rivalisierende Interaktionen mit Lehrern und Schulleitung sollen unterlassen werden. Anstelle dessen soll der Berater auf eine komplementäre Kommunikation zwischen sich und dem Kollegium wert legen, indem er in seinem fachlichen Bereich die Verantwortung übernimmt und sie im schulischen Bereich dem Lehrer bzw. dem Schulleiter überlässt. Vermeidung von überdauernden Koalitionen des Beraters • D.h. der Berater darf weder mit einem Teil des Kollegiums gegen einen anderen, noch mit der Familie gegen den Lehrer bzw. umgekehrt ein dauerhaftes "Bündnis" schließen. 32 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Richtlinien für die schulische Beratungstätigkeit Mögliche Ursachen: • • • • • Entwicklungskrisen Verlust von Bezugspersonen Veränderung sozialer Strukturen (Klassen- bzw. Schulwechsel, Nahtstellen: Kindergarten → Volksschule, Volksschule → Sekundarstufe) nichtadäquater Erziehungsstil (Familie, Schule) und/oder nichtadäquate Unterrichtsmethoden Über- bzw. Unterforderung (Familie, Schule) Mögliche Maßnahmen • • • • • • • • • • • • • verstärkte Beachtung der Lehr- und Lernformen gemäß der entsprechenden Lehrpläne soziales Lernen Förderung der persönlichen Sicherheit (Reduzierung konkurrenzfördernder Arbeitsweisen, Gruppenarbeit, projektorientierter Unterricht usw.) Gestaltung von Strukturen: Raum, Zeit, Rhythmus, Bewegung ... Einbeziehung von Erziehungsberechtigten keine Kumulation „schwieriger“ Schüler in einer Klasse Anwendung des § 25 Abs. 6, 1. Satz SchOG (therapeutische und funktionelle Übungen in Form von Kursen) kollegiale Beratung und Stützung, Einbeziehung von Mediatoren (Schulpsychologe, Beratungslehrer usw.) begleitende Beratung und Behandlung Schulpsychologie Kinderpsychotherapie Heilpädagogische Station usw. Klassen- bzw. gegebenenfalls Lehrer- oder Schulwechsel 33 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Problemanalyse und schulische Interventionsstrategien (Higer/Smoliner 2004) PROBLEMANALYSE Pädagogische Interventionen Administrative Organisatorische Interventionen Beraterische Interventionen Therapeutische Interventionen Klassenvorstand Klassenlehrer Direktor Klassenvorstand LSI Schülerberater Vertrauenslehrer Klassenvorstand Schulpsychologie Schulpsychologie Psychotherapeuten Methodik / Didaktik Soziales Lernen Päd. Konferenzen Org. Maßnahmen Verhandlungen Beratungsgespräch Mediation Konfliktgespräch Psych. Beratung Supervision Psychotherapie 34 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Leitfaden für schulische Beratung (Higer/Smoliner 2004) Schulproblem tritt auf Lehrer od. Eltern informieren BB Problemklärung durch BB Schulproblem als Ausdruck eines Familienproblems Problem als Ausdruck eines Schulproblems Ind. Problem des Schülers z.B. Lernprobleme etc. Rollen- und Aufgabenklärung durch BB Was kann ich selber lösen, was muss ich delegieren? Elternberatung Lehrerberatung, Arbeiten mit der Klasse Schülerberatung Helfersysteme: Jugendamt, PPD, Schulpsychologie Helfersysteme: Schulleiter, BSI, Schulpsychologie Helfersysteme: Schulpsychologie, Psychotherapeuten etc. 35 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Konsequenzen für die Beratungstätigkeit Das Vier-Felder-Modell der Klärungshilfe Was tut der Schülerberater in all den schwierigen Gesprächen? Dem unbedachten Zuschauer solcher Sitzungen begegnet eine verwirrende Vielfalt von Verhaltensweisen und Interventionen des Beraters. Mal ist er mehr auf den einzelnen konzentriert, ein anderes Mal mehr auf die Beziehungen, das System etc. Diese Sichtweise legt eine Einteilung der Arbeitsschwerpunkte in vier Felder nahe: Das Vier-Felder-Modell der Klärungshilfe (nach Chr. Thomann, F. Schulz v. Thun, 1988). Prozess Struktur Selbstklärung Persönlichkeitsklärung Kommunikationsklärung Systemklärung Individuum System Prozess: Darunter werden solche Vorgänge zusammengefasst, die sich punktuell ereignen, sei es im „Hier und Jetzt“ oder in der Rückbetrachtung wichtiger Schlüsselszenen im „Dort und Damals“. Struktur: Damit sind die über Jahre hinweg "geronnenen" Prozesse gemeint, die sich als Persönlichkeitscharakteristika und Interaktionsmuster verfestigt haben ad 1.) Selbstklärung: Betrifft den Prozess der einzelnen Klienten im "Hier und Jetzt" oder "Dort und Damals". Ziel ist es den Kl. wieder in Kontakt mit sich selbst zu bringen, „Innere Stimmigkeit“ ist wichtig und oft treten statt Worten starke Gefühle auf. Hilfe zur Selbstklärung ist Hilfe zur „Authentizität“. Und Authentizität ist in nahen Beziehungen sowohl ein Ziel in sich selbst als auch eine Voraussetzung für Beziehungsklärung. ad 2.) Kommunikationsklärung: Betrifft die Beziehung, das System in seinem dialogischen Hier und Jetzt. Hier stellt sich die „Transportfrage“: Wie kann ich das, was ich für mich selbst mehr oder minder klar habe, auch vermitteln? (z.B. Klient weiß genau, was in ihm vorgeht, hat aber Mühe, es "herauszubringen") Ziel in diesem Quadranten ist die Förderung des Kontaktes und des zwischenmenschlichen Dialoges ad 3.) Persönlichkeitsklärung: Betrifft die Aufhellung der Persönlichkeitsstruktur und individuellen Eigenschaften im therapeutischen und beraterischen Kontext.(z.B. Was bin ich für einer, wie bin ich zu dem geworden, etc.) Es geht um die Nachbearbeitung biographischer Schlüsselszenen. Ziel ist es den Ausdruck der persönlichen Eigenarten des anderen über sich zu begreifen; es geht um regelhafte wiederkehrende Muster einer gewordenen Persönlichkeit. Der Akzent liegt auf der Rollenklärung: Wie definiere ich meine Rolle, was sehe ich als meine Aufgabe an, was nicht etc.? ad 4.) Systemklärung: Betrifft die Interaktionsstruktur, die sich mit der Zeit eingespielt und zur Regelhaftigkeit verfestigt hat. (z.B. Teufelskreise). Ziel ist es hier eine solche regelhafte wiederkehrende Interaktionsstruktur zu erahnen, herauszuarbeiten und sie in prägnanter Form zu präsentieren. D.h. sich von alltäglichen Abläufen zu distanzieren und diese gleichsam vom „Feldherrnhügel“ aus zu betrachten. 36 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 5. LITERATUR: Bachmeier et. all.: Beraten will gelernt sein, Psychologie Verlags Union, 1989. Dreisörner Th.: Handout zum Seminar: Interventionsmöglichkeiten bei ausgewählten Lernund Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter, 2004. Döpfner/Schürmann/Fröhlich: THOP - Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten. Beltz 1997. Th. Fleischer: Zur Verbesserung der Sozialen Kompetenz von Lehrern und Schulleitern, Schneider Verlag 1990. Havers, N.: Erziehungsschwierigkeiten in der Schule. Klassifikation, Häufigkeit, Ursachen und pädagogisch-therapeutische Maßnahmen. Weinheim 1978. Holowenko H.: Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, 1999. Henning C. / Knödel U.: Problemschüler – Problemfamilie. Beltz, Basel 1985. Hillenbrand, C.: Einführung in die Verhaltensgestörtenpädagogik. München 1999. Kuhlemann I.: Jungenarbeit an der Jungenschule?! Hausarbeit. Oldenburg 2001. Linden, M. & Hautzinger, M. (Hrsg.). 2000: Verhaltenstherapiemanual. Techniken, Einzelverfahren und Behandlungsanleitungen. Berlin: Springer. Myschker, N.: Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen. Stuttgart 1993. Mitschke, R.: „Sich auseinander setzen, miteinander reden“, Veritas 2000. Ortner A. /Ortner R.: Verhaltens- und Lernschwierigkeiten. Beltz 1991 M. Selvini-Palazzoli et all.: Der entzauberte Magier, Klett-Cotta 1978. M. Steiner: Der Betreuungslehrer im Spannungsfeld Lehrerkollegium-ProblemschülerProblemfamilie, Hausarbeit 1995 Steinhausen, H.-C.: Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie. München 1996. Ch. Thomann/ F. Schulz von Thun: Klärungshilfe, rororo 1988 Linkliste: www.beratung-therapie.de/therapie/therapiemethoden www.psychiatrie.de/therapie/verhalt.htm www.stangl-taller.at / ARBEITSBLAETTER / LERNEN / Verhaltenstherapie.shtml 37 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie 6. ANHANG 38 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie SCHÜLERHANDLUNGEN AUS LEHRERSICHT unter dem Aspekt von Normabweichung Bezeichnung der Handlung 0 1 2 3 4 Mittelwert 1. Im Unter. umherlaufen; d. Platz wechseln 2. Schwindeln bei Schularbeiten 3. Anweisungen des Lehrers ignorieren 4. Mitschüler auslachen, ärgern, verspotten 5. Unterschrift fälschen 6. Herausrufen, anderen ins Wort fallen 7. Schulschwänzen 8. Räume, Einrichtung, Lehrmittel beschmutzen 9. Rauchen in der Öffentlichkeit 10. Abschreiben der HÜ 11. Schwätzen im Unterricht 12. Raufen mit Mitschülern 13. Belügen des Lehrers 14. Im Unterricht essen, Briefe schreiben, lesen, Make-up machen 15. Lärmen (schreien, lachen, klopfen, u.ä.) 16. Diebstahl 17. Lehrer verbal provozieren, sie beleidigen, ihnen widersprechen 18. Wehrlose Mitschüler tätlich angreifen, verprügeln 19. Seine Hü nicht machen 20. Lässig, provozierendes Verhalten (Kaugummi kauen, mit dem Stuhl reiten, u.ä.) 21. Eigentum von Mitschülern beschädigen 22. Durch Stinkbomben, Kracher u.ä. stören 23. Ungepflegtes Äußeres 24. Konsum von Alkohol und Drogen 25. Unpünktlich und schlampig in Schuldingen 26. Küssen in der Öffentlichkeit 27. Beschädig/Zerstör. v. Einrichtung/Lehrmittel 28. Unfug (Sachen werfen, verstecken, nass machen etc) 29. Oberängstlichkeit 30. Andere Schüler anstiften zu Unerlaubtem © Mathes Reinhard 0=nicht abweichend, 1=leicht abweichend, 2=deutlich abweichend, 3=stark abweichend, 4=sehr stark abweichend 39 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Pädagogische Hinweise für Lehrer (Zusammengestellt von Mag. Ingrid Egger-Agbonlahor, Schulpsychologische Beratungsstelle WienUmgebung in Anlehnung an einen Artikel der schulpsychologischen Beratungsstelle Velbert, D.) In der Schule ist hilfreich, wenn viel mit Veranschaulichungen gearbeitet wird. Systematik, strukturierter Unterrichtsaufbau und einübendes Wiederholen helfen. Hiervon ausgehend kann der Lehrer dann behutsam zunehmend Freiräume zum selbstbestimmenden Lernen schaffen. • Ein fester Sitzplatz in der Klasse, an den sich das Kind gewöhnen kann und der • • • • • • • • • • • • ihm vertraut ist, ist wichtig. Ein eher ruhiges Kind neben einem hyperaktiven bietet ein positives Modell. Auch ein Platz für sich allein ist hilfreich. Ein Platz an einem Gruppentisch hingegen ist ungünstig, wie auch ein Platz am Fenster. Der Sitzplatz sollte auch möglichst in der Klassenzimmerecke sein, in der der Lehrer häufig präsent sein kann, damit er den Schüler im Blickfeld hat und ihn mit kurzen und nonverbalen Korrekturen im Geschehen halten kann. Ein Ansprechen des Schülers mit häufigem Blickkontakt oder direktes Berühren erleichtert es ihm, seine Aufmerksamkeit auf den Lehrer zu richten. Anweisungen müssen in klaren, einfachen Worten gegeben werden und nicht durch immer wieder andersartige Erklärungsansätze, die verwirren. Hinweise für Übergänge im Unterricht müssen klar und deutlich sein: „Lesen ist jetzt zu Ende. Bitte das Buch vom Tisch. Wir brauchen jetzt nur das Sprachheft.“ Auf dem Tisch des Schülers darf nichts liegen, was er für die momentane Aufgabenerledigung nicht braucht bzw. was ihn ablenken könnte. Eine Arbeitsphase kann erst erfolgen, wenn Ruhe in der Klasse herrscht. Gestellte Aufgaben müssen kontrolliert werden (auch Hausaufgaben!). Der hyperaktive Schüler braucht häufige Rückmeldungen (verbal oder nonverbal) für das, was er tut. Anstelle von Ermahnungen und Bloßstellungen vor der Klasse sollten häufiger nonverbale Verhaltenskorrekturen erfolgen, wie wortloses Wegnehmen eines Gegenstandes, mit dem der Schüler gerade abgelenkt ist, Drehen des Kopfes in die „richtige Richtung“, Zeigen mit dem Finger auf einen Punkt im Heft, wo der Schüler weiterarbeiten soll. Während einer Arbeitsphase sollte der Schüler nicht die Erlaubnis bekommen, sich vom Platz zu entfernen. Mit der ganzen Klasse vereinbarte Signale und Zeichen helfen allen, sich daran zu erinnern, was auf dieses Signal oder Zeichen hin erfolgen soll und was bei Nichteinhaltung erfolgen wird. Hausaufgaben dürfen nicht erst dann gestellt werden, wenn in der Klasse schon allgemeine Aufbruchstimmung herrscht, denn gerade in solchen komplexen Reizsituationen fällt es dem Hyperaktiven schwer, das für ihn Wichtige herauszufiltern und zu behalten. Es kann auch hilfreich sein, dem Wunsch der Eltern nachzukommen, nachzuschauen, ob der Schüler seine Hausaufgaben auch notiert hat. ADHS-Kinder sind im mündlichen Unterricht oft deutlich besser, als im Schriftlichen. Uneingeschränktes Lob motiviert; Aussagen, wie „Wenn du im Schriftlichen nur annähernd so gut wärst wie im Mündlichen“, demotivieren. 40 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie • Wenn möglich, ist es immer sinnvoll, kleine Aufträge zu erteilen (etwas aus dem Sekretariat holen, Tafel abwischen...). • Im Sportunterricht sind Gruppenaktivitäten ungünstig: In der Menge schaukelt sich der hyperaktive Schüler schnell auf und wird unbremsbar. „Helferjobs“, wie Matten holen, sind günstig. • Der hyperaktive Schüler braucht das Gefühl, emotional angenommen zu sein ebenso wie eine liebevolle aber auch deutliche, konsequente, und aufmerksamkeitslenkende Führung. Je klarer, einschätzbarer, sachlicher und freundlicher (und wenn möglich, auch humorvoller) der Umgang mit dem Schüler ist, desto sicherer fühlt er sich und desto eher wird der Lehrer zum „Superreiz“ und der Schüler erfährt einen Motivationszuwachs. Bei allen Maßnahmen soll das Selbstvertrauen und die Sicherheit der Kinder wieder entdeckt und gestärkt werden. Durch positive Erfahrungen kann das Kind lernen, Misserfolge zu verkraften und Konkurrenz zu akzeptieren. Wenn das Selbstvertrauen wächst, kommen Fähigkeiten zu Tage, die bislang durch Misserfolge überdeckt wurden. 41 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3 Einführung in die Verhaltenspsychologie Pädagogische Hinweise und Hilfen für Eltern und Schule (aus Henryk Holowenko: Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, 1999) • • • • • • • • • • • • • • Eltern müssen den Stundenplan, von dem sie eine Kopie bekommen sollten, kennen, ebenso wie sie über den täglichen Schulablauf Bescheid wissen sollten und über die Erwartungen, die an ihr Kind gestellt werden. Auf diese Weise können sie dem Kind beim Organisieren seiner Schularbeit in und außerhalb der Schule helfen. Die Kommunikation wird durch den Gebrauch eines Notizbuches, in das Eltern und Schule wechselseitig Eintragungen vornehmen, erleichtert, wobei keine Notizen vorgenommen werden sollten, die sich auf Sachverhalte beziehen, die dem Kind ein negatives Selbstbild vermitteln. Die Eltern ermutigen, es so einzurichten, dass sie dem Kind helfen, seine Schultasche jeden Abend für den nächsten Morgen zu packen und auf Vollständigkeit hin zu prüfen. Die Kommunikation mit den Eltern muss wirksam sein. Effektive und positive Strategien kann man teilen. Die Verhaltenssteuerung von Seiten der Schule sollte auf festen Prinzipien beruhen, die als kontinuierlich und konsequent empfunden werden. Für kleinere Kinder muss die Übergabe bei Schulanfang und Schulschluss klar geregelt sein. Tägliche Nachfragen zum Verhalten des Kindes von Seiten der Eltern oder Lehrer sind nicht besonders hilfreich. Solch ein Austausch könnte einmal in der Woche oder sogar alle vierzehn Tage stattfinden. Dabei sollte man sich auf Positives und erbrachte Leistungen konzentrieren. Auf Schulausflügen oder bei Besichtigung ist zusätzliche Beaufsichtigung möglicherweise angebracht. Die Eltern eine Hausarbeit abzeichnen lassen, wenn für die Aufgaben eine im Voraus festgelegte Zeit aufgewendet wurde. Die Partnerschaft zwischen Lehrer und Eltern betonen. Jede Unterstützung ist am wirksamsten, wenn sie gegenseitig erfolgt. Die Eltern bei der Festlegung von Zielen für ihr Kind beteiligen. Sicherstellen, dass zwischen allen, die mit dem Kind arbeiten, eine Verbindung besteht, und dafür sorgen, dass die Ziele angemessen und realistisch sind. Die Ziele einer regelmäßigen Überprüfung unterziehen. Erfolge feiern. 42 Akademielehrgang SB/AHS - Modul 3