040-045 Jinhua

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FOLLIES AM FLUSSUFER
Jinhua Architectural Park, 2004–2006 Am Flussufer im chinesischen Jinhua ist ein Landschaftspark entstanden,
an dessen Gestaltung 17 internationale Architekten beteiligt waren. Die pavillonähnlichen Strukturen oszillieren zwischen
Plastik und Architektur und verbinden auf verschiedene Weise die Tradition westlicher und östlicher Gartengestaltung.
A
B
C
D
E
F
1
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archithese 4.2007
C Exhibition Space
(Tatiana Bilbao)
D Baby Dragon
(Herlach Hartmann
Frommenwiler)
E Tea Room
(Liu Jiakun)
F Toilet
(Wang Xing Wei / Xu
Tian Tian)
G Manager’s Room
(Buchner Bründler)
H Internet Café
(Ding Yi / Shen
Shu Yu)
I Coffee House
(Wang Shu)
J Archaeological
Archive (Ai Weiwei)
1 Fernando
Romero: Bridge Tea
House
(Fotos: Hubertus
Adam)
2 Situationsplan
der Stadt Jinhua
mit dem Stadterweiterungsgebiet
Jindong und dem
Architectural Park
3 Plan des Parks
mit den 17 Pavillons
A Welcome Center
(Till Schweizer)
B Ancient Tree
(Christ & Gantenbein)
K Newspaper Stand
(Toshiko Mori)
L Multimedia Room
(Erhard An-He
Kinzelbach)
M Restaurant
(Fun Design Consultant)
N Bridge Tea House
(Fernando Romero)
O Reading Space
(Herzog & de
Meuron)
P Book Bar
(Michael Maltzan)
Q Multifunctional
Space (Yung Ho
Chang)
P
2
3
O
N
M
G
I
Q
K
L
H
J
Text: Hubertus Adam
rückgestellte Planung für den zentralen Distrikt von Jindong
Etwa fünf Stunden benötigt der Zug, um von Shanghai aus
stammt von Herzog & de Meuron, mit denen Ai Weiwei seit
über Hangzhou nach Jinhua zu gelangen. Hangzhou, das man
2002 in engem Kontakt steht. Der Schweizer China-Kenner
auf halber Strecke passiert, ist mit der landschaftlichen Idylle
und Kunstsammler Uli Sigg hatte Architekten und Künstler
des Westsees ein Sehnsuchtsort auch noch des modernen
seinerzeit zusammgebracht, und zur ersten Zusammenarbeit
China und gilt als touristische Destination ersten Ranges;
zwischen ihnen kam es mit dem Stadion für die Olympischen
nach Jinhua indes verlieren sich Besucher nur selten. Den-
Spiele Peking 2008.
noch: Die relative Nähe zu Shanghai lässt auch die Provinz-
Ai Weiwei, der zwischen 1981 und 1993 in den USA lebte
stadt am Boom partizipieren, und im Osten der Stadt entsteht
und erst 1994 nach China zurückkehrte, beschäftigt sich seit
der neue Stadtteil Jindong.
dem Bau seines eigenen Atelierhauses in Peking 1999 zu-
Jinhua ist auch die Geburtsstadt von Ai Quing, einem der
nehmend mit architektonischen und urbanistischen Fragen.
berühmtesten chinesischen Dichter des 20. Jahrhunderts und
So entstand die Idee, das Jindong gegenüberliegende Nord-
Vater von Ai Weiwei. Ai Quing war Anhänger Maos, fiel aber
ufer des Flusses als Architekturpark zu gestalten. Es handelt
in Ungnade und wurde 1957 mit seiner Familie von Peking
sich dabei um einen dem befestigen Ufer folgenden Streifen
aus in die entlegene Provinz Xinjiang nahe der mongolischen
von selten mehr als achtzig Metern Breite, aber insgesamt
Grenze geschickt. Inzwischen ist Ai Quing rehabilitiert,
2200 Metern Länge. Im leichten S-Schwung folgt der Park der
Jinhua wollte ihm gar ein Denkmal setzen. Dass es in Form
Uferlinie.
eines traditionellen Monuments realisiert wurde, wusste sein
Freiflächengestaltungen sind im heutigen China keine Sel-
Sohn zu verhindern: Entlang des Flusses Wujiang solle ein
tenheit; sogar die Grünstreifen, welche die Autobahnen flan-
öffentlicher Park entstehen und somit die Stadt selbst zum
kieren, werden in Shanghai aufwendig gärtnerisch gestaltet.
Monument erheben.
Gleichwohl, so sieht es Ai Weiwei, zeigen sich die Grünräume
Ausgangspunkt war das steile Flussufer, das aus Gründen
zumeist lediglich funktional motiviert und durch eine ge-
des Hochwasserschutzes befestigt werden musste. Den der
wisse Monotonie geprägt: Sie dienen der Verbesserung der
Stadterweiterung Jindong vorgelagerten Uferbereich südlich
notorisch schlechten Luft sowie der Regeneration der Bevöl-
des Wujiang gestaltete Ai Weiwei als öffentliche Promenade;
kerung. Ai dagegen entwickelte das Konzept eines Parks,
markant sind hier die keilartigen Terrassenformationen, wel-
wie man ihn in China bislang nicht kennt. Es ist ein Park, der
che aus dem Steilufer heraustreten, sowie die Stelen, welche
die Sinne schärfen soll; ein Park, der einer Vielzahl von Betä-
das Zentrum des Ai Quing Culture Park bilden. Die derzeit zu-
tigungen Raum bietet; kurz, ein Kulturpark im besten Sinne
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4
4 Till Schweizer:
Welcome Center
8 Liu Jiakun: Tea
Room
5 Christ & Gantenbein: Ancient Tree
9 Wang Xing
Wie/Xu Tian Tian:
Toilet
6 Tatiana Bilbao:
Exhibition Space
7 Herlach
Hartmann Frommenwiler: Baby
Dragon
5
10 Ai Weiwei:
Archaeological
Archive
11 Erhard An-He
Kinzelbach: Multimedia Room
des Wortes, der nicht zuletzt sensibilisieren soll für die gebaute Umwelt. Dafür erstellte er zunächst ein Programm von
Funktionen, die im Park untergebracht werden sollten: von
den Toiletten über den Wachkiosk und den Zeitungsstand
bis hin zu Internet-Space, Galerie, Café und Restaurant. Insgesamt 17 kleine Gebäude oder Gebäudeensembles wurden
integriert in eine nach dem Konzept von Ai Weiwei gestaltete
Parklandschaft. Das Layout bildet ein System streng westöstlich ausgerichteter, paralleler Streifen, das von einem
winklig dazu geführten, mit niedrigen Backsteinmauern eingefassten Wegesystem überlagert ist. Ergänzt, aber auch
konterkariert wird diese strenge Geometrie durch ein Bepflanzungskonzept, das durch im Raster angepflanzte Bäume
die Streifenstruktur nachzeichnet, den weiten Blick über das
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Ensemble aber zugleich behindert.
Beraten von Herzog & de Meuron zog Ai Weiwei für die
Gestaltung der Pavillons insgesamt 16 internationale Architekten hinzu. Aus der Schweiz waren dies neben Herzog & de
Meuron Christ & Gantenbein, Herlach Hartmann Frommenwiler, Buchner Bründler, aus Deutschland Till Schweizer und
Erhard An-He Kinzelbach, aus den USA Michael Maltzan, aus
Japan Toshiko Mori, aus Mexiko Tatiana Bilbao und Fernando Romero, aus den Niederlanden Fun Design Consultant, und schliesslich aus China Yung Ho Chang, Wang Shu,
Liu Jiakun, Wang Xing Wei / Xu Tian Tian, Ding Yi / Shen
Shu Yu; ebenfalls mit einem Gebäude vertreten ist Ai Weiwei.
Insgesamt ist ein reizvolles Ensemble aus follies entstanden, die aus unterschiedlichen Entwurfshaltungen resultie-
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ren. Spannungsreich ist insbesondere der variierende Bezug
zur Tradition westlicher und östlicher Gartenkunst. Die aufgestelzten Teehäuser von Liu Jiakun adaptieren mit ihren erhöhten, der Luft und dem Wind ausgesetzten Plattformen das
Elementare dieses chinesischen Bautyps; mit Strommasten,
den für das Geländer genutzten Wasserrohren sowie den Materialien Stahl, Aluminium und Kunststoff gelangen indes
Strategien zur Anwendung, wie man sie vom Minimalismus
westlicher Prägung kennt. Fernando Romeros Haus, das
einen Teich überspannt, kombiniert zwei für chinesische Gärten charakteristische Elemente: das Teehaus und die Brücke.
Das Gebäude ist eine geometrisch prägnante, rot eingefärbte
Betonstruktur, in der Plattformen auf verschiedenen Ebenen zum Aufenthalt kleiner Gruppen dienen können. Till
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archithese 4.2007
8
Schweizers Welcome Center, nahe dem Eingang des Parks
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gelegen, erinnert mit seiner umhüllenden Lattenstruktur aus
Teakholz an die Treillagen europäischer Pavillons ebenso wie
an die Gitterwände der historischen chinesischen Architektur. Und die Basler Herlach Hartmann Frommenwiler haben
mit dem primär für Kinder gedachten Baby Dragon eine Struktur aufgestellt, deren diverse Öffnungen an die typischen
Wanddurchbrüche der klassischen chinesischen Architektur
erinnern – ein Gedanke, der auch von Herzog & de Meuron in
ihrem Reading Space aufgegriffen wurde. Explizit die Verbindung von Natur und Architektur thematisieren Christ &
Gantenbein: Ihr Ancient Tree ist ein Unterstand, bei dem 24
organisch geformte Betonrippen zusammen mit Dachelementen zu einer kuppelartigen Struktur zusammengefügt
sind, die wie ein alter grauer Baum erscheint. Anders als bei
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Herzog & de Meuron geht es nicht um die Generierung eines
raumbildenden, genetisch verstandenen abstrakten pattern,
sondern um ein Prinzip der Imitation der Natur mittels der
Architektur – man mag insbesondere an eine Strategie künstlich gestalteter Natur denken, wie man sie in den artifiziellen,
von labyrinthischen Wegen perforierten Felslandschaften der
chinesischen Gärten findet. Ai Weiwei schliesslich treibt ein
intelligentes Spiel mit Tradition und Abstraktion: Die mit vertikalen Bambusstäben geschalte Betonstruktur seines Archaelogical Archive wirkt von der Flusseite gesehen gleichsam wie die extrudierte Urform eines Hauses, während der
regelmässige wabenförmige Querschnitt sich erst von dem
vertieften Terrain eines fiktiven archäologischen Ausgrabungsfeldes auf der Rückseite aus erkennen lässt.
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Herzog & de Meuron: Jinhua-Pavillon
Text: Herzog & de Meuron
In Jinhua entstand ein Architekturpark mit Pavillons unterschiedlicher Form, Grösse und Funktion. Die Thematik jedes
Pavillons wurde vom chinesischen Künstler Ai Wei Wei festgelegt. Er hat uns gebeten, selbst einen dieser Pavillons zu
entwickeln und ihn bei der Auswahl der Architekten zu beraten. Die im Sommer 2004 vorgestellten Projekte von jungen
Architekten aus aller Welt wurden bis 2006 alle fertiggestellt.
Das Resultat ist eine Ansammlung von follies, wie sie zuvor
kaum je irgendwo realisiert wurde. Da wir seit mehr als
einem Jahr am Masterplan für ein neues Stadtzentrum für das
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14
12
Jindong-Quartier von Jinhua arbeiten und deshalb schon
werden, von dem aus wiederum von allen Seiten her dieses
sehr konkrete bauliche Vorstellungen davon auf unseren
Muster ins Innere projiziert wurde. Bei dieser Projektion von
Tischen liegen haben, war für uns der Einstieg in dieses
allen Seiten entsteht im Inneren des geometrischen Körpers
kleine Architekturprojekt ganz anders. Es schien alles ganz
ein fiktives Raumgitter mit einer unendlich grossen Menge
einfach und naheliegend: Unser Jinhua-Pavillon sollte zu-
von Schnittlinien und Kreuzungspunkten. Dieses fiktive
nächst nur eine Hülle sein, bestehend aus jenem geometri-
Raumgitter ist das Potenzial und das virtuelle Material, aus
schen Muster, das wir für die Gebäude des Jindong-Quartiers
dem wir – dank der Rechenkapazitäten des Computers – die
entwickelt hatten; jenem Muster, das wie ein Ordnungsprin-
undenkbaren und nicht vorstellbaren Formen und Räume des
zip Fenster, Türöffnungen und ganze Fassadenflächen über-
Pavillons herauskristallisierten.
zieht und als ein spielerisches, ornamentales Element mit
den Ziegelsteinkörpern des Gebäudes kontrastiert.
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archithese 4.2007
Allerdings entwickelte sich dieses Muster bei seiner
Transformation in den Raum für uns zunächst zu einem wah-
Für den Pavillon schien es logisch und naheliegend, dieses
ren Monster. Es wurde unheimlich. Es schien plötzlich eine
geometrische Muster – das als Ordnungsprinzip für all diese
wuchernde, nicht kontrollierbare Sprache zu sprechen, die
Gebäude des Masterplans so gut funktioniert hatte – nun los-
uns zwar faszinierte, die wir aber nicht verstanden. Wie soll-
gelöst von funktionalen Aufgaben gleichsam wie einen
ten wir die durch den Computer generierten, zufälligen For-
Schleier als reine Hülle einzusetzen. Doch das Resultat war
men, Figuren und Räume für uns umformen und nutzbar ma-
langweilig: räumlich, konstruktiv, konzeptionell völlig un-
chen? Wir mussten lernen, die Rechenprozesse entsprechend
interessant.
unseren Wünschen und Anforderungen an das entstehende
Das geometrische Muster sollte mehr als blosser Schleier
Ding zu manipulieren. Wir begannen, die räumlichen und to-
sein. Das Muster sollte eine Tiefe erhalten, in den Raum ge-
pografischen Merkmale, die wir entdeckten und die uns inte-
stülpt werden und selbst zum Raum werden. Das Muster
ressierten, zu verstärken und andere Formen zu unterdrü-
sollte seine oberflächliche Zweidimensionalität überwinden
cken. Dabei erwiesen sich nun plötzlich die dem Muster in-
und wie eine molekulare Struktur oder ein genetischer Code
härenten anthropometrischen Qualitäten als wesentliche
ein Potenzial aufbauen, aus dem sich eine ganze Welt ima-
Prämisse, die das Herausbilden von brauchbaren und be-
ginieren und bauen lassen würde. Dazu musste dieses Mus-
nutzbaren Orten begünstigte. Die anthropometrische Vor-
ter, das selbst bloss eine Ansammlung von sich kreuzenden
programmierung des Musters betrifft vor allem die Nei-
Linien ist, auf einen fiktiven geometrischen Körper (der Ein-
gungswinkel und die Massstäblichkeit, die wir bereits an un-
fachheit wegen wählten wir zunächst einen Kubus) projiziert
seren Gebäuden des Masterplans testen konnten. Unsere
12–14 Herzog & de
Meuron: Jinhua
Structure I –
cube
15 Herzog & de
Meuron: Jinhua
Structure II –
vertical
16 Herzog & de
Meuron: Jinhua
Structure III –
horizontal
Der Kubus für
Jinhua wurde mit
traditionellen
Baumethoden aus
eingefärbtem
Ortbeton hergestellt. Dazu mussten
die digitalen
Daten in konventionelle Informationen für die Schalung der Betonierformen auf dem
Bauplatz übersetzt
werden
Der Baumpavillon
für den Berowerpark wurde auf
einer computergesteuerten Werkbank
aus massivem,
verleimtem Holz
ausgefräst. Damit
war der Basler
Pavillon im Gegensatz zu Jinhua 1
während seiner
gesamten Entstehungsgeschichte
und bis zum
Abschluss seiner
physischen Herstellung ein rein
digitales Wesen.
Der Pavillon für
Genua ist noch in
Planung. Im Gegensatz zu den beiden
anderen Pavillons
ist hier auch eine
temporäre Struktur
denkbar
15
Aufstellung im
Novembergut im
Berowergut Riehen
anlässlich der
Ausstellung
ArchiSkulptur in
der Fondation
Beyeler; die Arbeit
befindet sich heute
in Wolfsburg
Arbeit konzentrierte sich deshalb, nachdem wir die allzu ab-
16
surden Formen ausgeschieden hatten, vor allem auf ein Betrachten und Auswählen der vom Computer vorgeschlagenen
Schnittmengen und weniger auf ein Nachbearbeiten der Form
wie bei einer konventionellen architektonischen oder plastischen Arbeit. Ähnlich wie beim Betrachten eines Felsens in
der Natur ergaben sich hier beim längeren Betrachten der
vom Computer produzierten, zunächst manchmal idiotisch
bizarr scheinenden Formen plötzlich interessante Anhaltspunkte, die gleichsam zu topografischen Orten mit spezifischen Eigenschaften mutierten: eine Bank, eine Plattform,
eine Höhle, ein Dachvorsprung oder eine Baumhütte. All
diese topografischen Orte kann man als solche ansehen, benutzen und auch wirklich gebrauchen. Gleichzeitig sind diese
Orte aber immer auch irgendwie unsichtbar, unbestimmt und
nicht figürlich oder funktionell im herkömmlichen Sinne.
Die Resultate dieser beobachtenden und abtastenden Arbeit waren so überraschend und ergiebig, dass uns gleich
mehrere ganz unterschiedliche Pavillons möglich schienen.
Wir entschieden uns deshalb, drei Projekte für ganz unterschiedliche Orte weiterzuentwickeln: Jinhua Structure I –
cube, eine Art virtuelle Bibliothek für den Architekturpark in
Jinhua; Jinhua Structure II – vertical, ein in die Bäume ragender Pavillon für den Berowerpark der Fondation Beyeler in
Basel-Riehen, und Jinhua Structure III – horizontal, eine begehbare Pergola für einen Innenhof im Zentrum von Genua.
Jinhua Structure I – cube (Urban Public
Mini-Structure No. 15), Architectural Park, Jinhua,
China, 2004–2006
Architektur: Herzog & de Meuron; Partner:
Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Ascan Mergenthaler; Projektarchitekten: Mark Loughnan
(Associate), Edman Choy; Projektteam: Wenjing
Dou, Philip Fung; Auftraggeber: Jindong
New District Constructing Headquarters of
Jinhua City
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