FREITAG, 18. MÄRZ 2016, 19:00 KLANGRAUM KREMS MINORITENKIRCHE ALLE WORTE ENDEN HIER Hover Kammerchor, Armenien Sona Hovhannisyan, Künstlerische Leitung Ustad NaseerudDin Saami, Pakistan KOMITAS (1869 – 1935) (HEILIGE LITURGIE DER HEILIGEN ARMENISCHAPOSTOLISCHEN KIRCHE) Durch die Fürbitte Deiner Jungfräulichen Mutter Sanctus Der Leib des Herrn Christus wurde in unserer Mitte offenbart Herr, erbarme Dich Kommunionshymne Wir sind erfüllt von Deiner Güte Wir danken Dir ARVO PÄRT (*1935) „Most Holy Mother of God“ für vier Singstimmen a cappella (2003) ARTUR AVANESOV (*1980) „Kyrie Eleison“ (Uraufführung) KOMITAS (VOLKSLIEDER) Arbeiterlied Das Lied des Pflügers von Lori Ich bitte dich, mein Stier SAYAT-NOVA (zwischen 1712 und 1722 – 1795) „Ashkharums agh chim kashi“ Jazz-Arrangement von A. Manukyan, V. Babloyan ARMENISCHE VOLKSMUSIK „Kele-kele“ Jazz-Arrangement von A. Manukyan, V. Babloyan +++ PAUSE +++ TRADITIONELLE RELIGIÖSE MUSIK AUS PAKISTAN ZWEIFEL, LIEBE, HOFFNUNG Trotz Zweifel erneuert sich der Glaube mit jeder Generation. Die Realität ist anders und existiert nicht per se / existiert nicht in ihrem reinen Selbst. Die neue Komponistengeneration ermöglicht in dieser Realität die Erschaffung neuer Ideen und Zugänge ohne Zweifel. In dem Werk „Herr, der du die Quelle vom Fels fließen ließest“ von Sharafyan wird zum Beispiel der Text des Autors Nerses Shnorhali aus dem 11. Jahrhundert verwendet. Das bedeutet, dass sowohl Shnorhali zu seiner Zeit, als auch Sharafyan in unserer Zeit, die Essenz des Glaubens, durch Zweifel, Skepsis und spirituelle Debatten untersuchen. Selbiges lässt sich auch über die Arbeiten von Avanesov, einem jüngeren Komponisten sagen. Es ist ein poly-rhythmisches zeitübergreifendes Werk, das nach Erlösung durch Liebe und Glauben strebt. In der Musik kann man Zweifel und Qualen hören und es finden sich darin Versuche, die Erlösung zu finden. Man kann sagen, dass die Komponisten heutzutage durch ihre Musik viel in Frage stellen. Das macht das Wesen der heutigen Musik aus; es gibt viele Zweifel und zu Beginn Zurückweisung, aber auch neue Vorgehensweisen. Das bedeutet, dass Musik nicht nur repetitiv oder mechanisch ist, sondern, dass sie versucht, neue Formen der Wahrnehmung zu ergründen. Und das ist auch die Qualität, das Merkmal, authentischer Kunst – sie bewegt sich jenseits aller Klischees. Sona Hovhannisyan *** DIE HEILIGE LITURGIE DER HEILIGEN ARMENISCHAPOSTOLISCHEN KIRCHE Die Heilige Patarag (Heilige Liturgie) ist das zentrale Ritual der Heiligen Armenisch-Apostolischen Kirche, die mit der Messe oder Eucharistie anderer christlichen Kirchen gleichgesetzt werden kann. Das Wort Patarag kommt aus dem Pahlavi (Mittelpersisch) und bedeutet Geschenk, Spende. Heute wird es als Opfergabe verstanden: das Opfer Christi für die Erlösung der Menschheit. Das Patarag beruht auf dem Mysterium der Eucharistie oder des Sakrament der Heiligen Kommunion. Diese Messe gedenkt dem letzten Abendmahl, als Jesus Brot und Wasser mit seinen Jüngern teilte und sie anwies dies „in Erinnerung an ihn“ zu tun. Im Lauf der Patarag wird in Ritualen und Prozessionen der Kirche Bezug auf diverse Teile des Lebens Jesus Christus genommen. Das Ritual der Heiligen Armenischen Liturgie basiert auf dem Erbe der universalen Kirchenväter/Gesamtkirchenväter, übernahm aber im Lauf der Zeit Praktiken anderer Christlicher Traditionen bzw. passte sich dieser an. Dennoch enthält die Heilige Armenische Liturgie viele Besonderheiten, die auf die Beiträge Armenischer Kirchenväter wie dem Hl. Gregor, dem Erleuchter, dem Hl. Sahak Partev (Isaak dem Großen), Hl. Hovhannes Mandakuni, Hl. Hovhannes Odznetsi, Khosrov Andzevatsi, Hl. Grigor Narekatsi (Gregor von Narek), St. Nerses Shnorhali (der Begnadete), St. Nerses Lambronatsi (Nerses von Lambron) und Vater Khachatur Taronetsi (Khachatur von Taron) zurückgehen. *** KOMITAS: MÖNCH, POET, KOMPONIST, SÄNGER, MUSIKFORSCHER Soghomon Komitas ist der armenische Musiker und Sänger, dem es Noten und Gesang verschlägt, als die türkischen Besatzer in seiner Heimat brandschatzen und morden. Er ist der große Denker und Poet, der lange Jahre unter der Verfolgung durch die türkische Administration zu leiden hat und dessen Leben in einer Nervenheilanstalt endet. „Brillant, Vater Komitas! Ich verneige mich vor Ihrem musikalischen Genie!“ sagte Claude Debussy bei einer Begegnung mit dem armenischen Musiker. Komitas, der Sohn einer musikalischen Familie verliert bereits als Kleinkind die Mutter. Vom vielbeschäftigten Vater bei der Großmutter untergebracht, durchlebt der Junge eine freudlose Jugend. Als Soghomon elf Jahre ist, stirbt auch der Vater. Nach seinem Studium am Priesterseminar von Etchmiadzin entschließt er sich, dort Musik zu unterrichten, wird 1893 zum Priester der armenischen Kirche geweiht und trägt fortan seine Namen „Komitas“ bzw. „Gomidas“. An der Musikhochschule von Tiflis lernt Komitas den Komponisten Makar Yekmalyan kennen, bei dem er Harmonielehre studiert und der Komitas’ Musikschaffen fortan entscheidend prägen wird. Komitas geht mit einem Stipendium nach Berlin, wo er neben seinem Studium am Konservatorium von Professor Richard Schmidt auch Vorlesungen in Philosophie, Ästhetik und Geschichte an der FriedrichWilhelms-Universität belegt. 1899 erwirbt er den Doktor in Musikwissenschaften, kehrt nach Etchmiadzin zurück und ist als Chorleiter sowie Musikdozent am dortigen Seminar tätig. In der Folgezeit schreibt er über dreitausend Lieder in armenisch, arabisch, kurdisch und persisch, beschäftigt sich mit sakraler wie säkularer Musik – und wird vor allem zum Wiederentdecker der armenischen Volksmusik: Jahre verbringt Komitas unterwegs, auf Reisen durch die Provinzen und Dörfer, lauscht den Liedern der Menschen, beobachtet ihre Tänze und dokumentiert seine Eindrücke. Neben der Beschäftigung mit der Volksmusik bearbeitet er die gesamte Liturgie („Badarak“) der armenischen Kirche für Männerstimmen. Der armenische Priester von internationaler Reputation wird das erste nicht-europäische Mitglied in der Internationalen Musik-Gesellschaft und gibt Konzerte in Paris, Genf, Konstantinopel (dem heutigen Istanbul), Venedig und Alexandria. 1910 verlässt Komitas das Kloster Edchmiadzin und übersiedelt nach Konstantinopel, leitet dort einen renommierten Männerchor und gibt vielerorts Konzerte als Dirigent und Sänger, dessen voller Bass weithin gelobt wird. Im Schicksalsjahr 1915, als im Frühjahr die Intellektuellen und führenden Köpfe der armenischen Gemeinde auf Anordnung höchster türkischer Stellen inhaftiert werden, ist auch Komitas unter ihnen. Er wird jedoch – auf Intervention des damaligen US-Botschafters Henry Morgenthau sowie des türkischen Poeten Mehmet Emin Yurdakul, der Komitas’ Werk bewundert – wieder freigelassen. Das Grauen des Massakers der Türken an seinem, dem armenischen Volk, erschüttert den Sänger, Komponist, Wiederentdecker und Erneuerer der armenischen Musik. Nach 20 Jahren in geistiger Umnachtung stirbt Komitas 1935 im Sanatorium Vil-Jouif in Paris. 1936 werden seine sterblichen Überreste nach Armenien überführt und im Pantheon von Yerevan beigesetzt. Nach Komitas ist das Staatliche Konservatorium in der armenischen Hauptstadt benannt, und es ist die Musik von Komitas, die während der Prozession zum armenischen Nationalfeiertag am 24. April auf dem Gelände des Völkermorddenkmals in Eriwan erklingt. *** PÄRT: MOST HOLY MOTHER OF GOD In ersten Kompositionen setzte sich der aus Paide stammende, estnische Musiker Arvo Pärt noch mit damals in der Sowjetunion fortschrittlichen Kompositionsmodellen wie der Zwölftontechnik auseinander, wenn auch mit kritischem Unterton. Darin war schon eine Spur jener persönlichen kompositorischen Krise erkennbar, nach der sich Pärt von den bis dahin erprobten Techniken der Moderne abkehrte und einen radikalen Neuanfang setzte. Aus der Beschäftigung mit der Polyphonie Ockeghems und Machauts, mit Wurzeln russisch-othodoxer liturgischer Musik und dem mittelalterlichen Organum fand Pärt zu einer Tonsprache, die auf die reine Kraft des Dreiklangs und auf die Vielstim- migkeit der Schwingungen eines einzelnen Tones vertraut. Pärt nannte diesen Stil „Tintinnabuli“, nach dem lateinischen Wort für Glöckchen. Aus der Verbindung der Horizontale der Tonleiter und der Vertikale des Dreiklangs entstand ein kompositorisches Muster, nach dem Pärts Werke in verschiedenen Ausprägungen gebaut sind. Die Vokalwerke, die sowohl für den Kirchenraum als auch für den Konzertsaal gedacht sind, sind dabei von christlichen Inhalten und Texten inspiriert. Warum Tintinnabuli? Warum stellt Pärt einen Zusammenhang zwischen Glöckchen und seiner Musik her? Weil darin dauerhaft ein einziger unveränderter Dreiklang mitschwingt, wie eine Glocke, deren Ton und Obertöne noch lange nachklingen, nachdem sie angeschlagen wurde. Dieser Dreiklang kann in Pärts Musik unverstellt offen in homophonem Satz notiert sein, oder auch versetzt und aufgeteilt in einem polyphonen Feld, ebenso verdeckt und in einer anderen, bestimmenden Tonart beziehungsweise in einem der Modi enthalten, die sich in der Art von Kirchentonarten durch Pärts Musik ziehen. Es ist also eine Stilbezeichnung, die sowohl den Klang, als auch die Harmonik betrifft. Der vierstimmige A-cappella-Satz „Most Holy Mother of God“, dem Hilliard Ensemble gewidmet, ist für Countertenor, zwei Tenöre und Bass notiert, also für ein Männerquartett (wobei der Countertenor auch durch eine Altstimme ersetzt werden kann). In jedem Fall fehlt der Sopran, doch das Werk behält durch die beiden Tenöre eine helle Ausstrahlung. Die Anrufung der Muttergottes wirkt in der wiederkehrenden Bitte um Rettung durch eine dynamisch synkopierte Rhythmik rituell und beschwörend. Das expressive Moment, das hier in Pärts Musik kommt, ist für seine aktuelle Tonsprache bezeichnend. Rainer Lepuschitz *** HOVER KAMMERCHOR Der Hover Kammerchor ist ein staatliches armenisches Vokalensemble, das sich besonders der Pflege der Kirchenmusik wie der Volksmusik seines Heimatlandes widmet. Aber auch Höhepunkte der internationalen Chorliteratur mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössischer Musik finden sich kontinuierlich im Repertoire des Kammerchores. Neben den regelmäßigen Auftritten in Armenien ist der Chor auf Tourneen durch Europa und Asien unterwegs und feierte in den letzten Jahren vor allem in Deutschland, Frankreich, Russland, Estland und Taiwan große Erfolge. Die Künstlerische Leitung des Kammerchores liegt in Händen von Sona Hovhannisyan, Assistenzprofessor des Staatlichen Komitas Konservatoriums von Erewan. USTAD NASEERUDDIN SAAMI In der profunden Ausbildung durch seinen älteren Onkel, dem angesehenen Munshi Raziuddin, sog Saami das weitgefächerte Repertoire dessen Gharana-Schule auf, welches sowohl die Stile der Khayals als auch der Qawwali umfasst. Sein Mentor führte ihn auch zu anderen Größen der Dilli Gharana, nämlich Sardar Khan und Pyaray Khan. Ustad NaseerudDin Saami wurde 2007 von der pakistanischen Regierung mit dem prestigeträchtigen Preis „Des Präsidenten Stolz auf Leistung“ geehrt. Der Tradition seiner Vorväter folgend ist Saami Sahibs Musik eng verbunden mit seiner eigenen Religiosität und Spiritualität. Er fühlt sich ebenfalls zugehörig zum Sudh Bani-Gesangsstil („Begründer der Reinheit im Ausdruck“) in der Interpretation des reinen Sur-Haltetons. Als der Sur still wurde, gab er alle mit ihm verbundenen Klangwelten der „Muqaams“* preis. Auf der Basis des Haupttons Sa finden wir alle anderen Sur-Töne: re, ga, ma, pa, dha, ni und auch, was zwischen ihnen liegt ...Und unser Sa bezeugt deren Wahrhaftigkeit. *Verortung der Töne und Mikrotöne Dies bildet zweifellos das Fundament seines einzigartigen Gesangs, in dem er eine mikrotonale Struktur von 49 Intervallen pro Oktave anwendet, also weit über den üblichen 22 Intervallen. KHAYAL Khayal (aus dem Arabischen: Idee, Vorstellung, Fantasie) ist ein Genre der klassischen nordindischen Musik, das ab dem 17. Jahrhundert populär wurde. Ursprünglich gedacht als spirituelle Praxis auf der Suche nach dem Ur-Klang, wurde Khayal anfangs mit dem Chishtiyya Sufi-Orden assoziiert. Man nimmt an, dass sich Khayal aus dem Zusammenspiel von den älteren indischen, strengeren Musikstilen mit persischen, arabischen und türkischen Melodiesystemen, begründet durch die zunehmende muslimische Einflussnahme auf dem Subkontinent, herausgeformt hat. Die daraus entstehende melodische Vielfalt ergab einen raffiniertnuancierten Stil mit reicher tonaler Ornamentik. Obwohl Khayal seiner eigenen spezifischen Rhythmik folgt, muss dieser nicht strikt gefolgt werden, was eigene künstlerische Ausgestaltung erlaubt. Ebenso sind die Texte dem emotionalen Ausdruck des Klangs untergeordnet und können im Vortrag variantenreiche Deutungen erlangen. Tatsächlich gibt genau diese Bandbreite im individuellen künstlerischen Anspruch dem Genre seinen Namen. Ein Khayal beginnt üblicherweise mit einer offenen Interpretation eines Raga-Alaps (Tonfolge) ohne Begleitung durch Schlaginstrumente. Die Vorstellung der tabla (Begleitung des Khayal durch ein Kesseltrommelpaar) bewegt sich von vilambit (langsames Tempo) zu drut (schnelles Tempo) und endet mit der gesungenen tarana-Melodiefolge in schnellem Tempo mit dem für sie typischen Gebrauch von Tonsilben.