24 Maligne Neoplasien, Zytostatika Weitere Prinzipien 24.5 Bortezomib ist ein Proteasomen-Inhibitor (Abb. 24.7). Proteasomen metabolisieren im Zytosol gelöste Proteine. Die Aufgabe der Proteasomen besteht darin: 앫 fehlerhaft synthetisierte Proteine unschädlich zu machen (bis zu einem Drittel der Proteine aus der eigenen Produktion können Defekte aufweisen), 앫 die vorübergehend für bestimmte Abschnitte des Zellzyklus benötigten Cycline zu aktivieren und 앫 eine adäquate Konzentration von Proliferationsbremsen, wie z. B. dem Protein p53, (periodisch) aufrecht zu erhalten. Die Proteasomen sind große Eiweiße mit einem zentralen Kanal. Vorbedingung für die Aktivität der Proteasomen ist die Markierung der abzubauenden Proteinmoleküle mit Ubiquitin. Als erstes findet eine Entfaltung der Makromoleküle statt, die anschließend durch den zentralen Kanal gefädelt werden. In diesem Kanal sind Proteasen lokalisiert, die die Eiweißkörper in kleine Bruchstücke zerlegen. Diese werden schließlich von Aminopeptidasen in die Bausteine (Aminosäuren) überführt. Bortezomib lagert sich an die proteolytische Region des Proteasoms an und blockiert diese reversibel. Die Hemmung des Abbaus intrazellulärer Steuer- und Signal-Moleküle führt zum Zelltod. Bortezomib dient als Reservetherapeutikum zur Behandlung des multiplen Myeloms (Plasmozytom). Es überwindet nicht die intakte Blut-Hirn-, Blut-Retina-, oder Blut-Testes-Schranke. Bortezomib wird durch CYP-abhängige hepatische Biotransformation mit renaler und biliärer Ausscheidung der Metabolite inaktiviert. Dosislimitierende Effekte sind Magen-Darm-Störungen, Blutbildveränderungen (Thrombozytopenie, Leukopenie), Schwächegefühl, periphere Neuropathie. Lenalidomid ist ein strukturell nah verwandtes Derivat von Thalidomid. Letzteres ist als Schlafmittel bekannt und berüchtigt wegen der Contergan姞-Affäre (s. S. 53). Beide stehen jetzt für eine ganz andere Indikation zur Verfügung, nämlich zur Behandlung des multiplen Myeloms. Beide können außerdem als Reservetherapeutika in Kombinationstherapien eingesetzt werden (Thalidomid mit Melphalan und Prednison, Lenalidomid mit Dexamethason). Vielfältige Wirkungen auf Zellen der Hämatopoese und auf das unspezifische und spezifische Immunsystem werden berichtet. Vermutlich liegt diesen eine Modulation der Genexpression zugrunde (vgl. S. 11). Wegen der Gefahr teratogener Wirkungen sind umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen zu berücksichtigen, die ein spezielles Rezeptierund Meldeverfahren beinhalten, das dem der BTM-Verschreibung ähnelt. Nachvollziehbar ist weiterhin, dass die Substanzen müde machen. NH2 Bortezomib O N N C CH2 N H mit Borsäure verfremdetes Leucin C B HC N O O Lenalidomid OH CH2 O H N abzubauendes cytosolisches Protein OH H N O CH3 Markierung mit Ubiquitin O O H N N CH3 O O Thalidomid reversible Blockade des Proteasoms Ubiquitinvermittelte Bindung an Proteasom wiederverwendbares Ubiquitin Einfädelung und Proteolyse Anagrelid verringert bei der seltenen essentiellen Thrombozythämie die Thrombozytenzahl im Blut und ist ein Medikament der zweiten Wahl (erste Wahl: Hydroxyharnstoff in Kombination mit einem Thrombozytenaggregationshemmstoff). Es wird peroral zugeführt. Die Substanz hemmt die Phosphodiesterase 3, jedoch ist unklar, wie dies den therapeutischen Effekt erklären kann. Kopfschmerzen, Herzklopfen, Flüssigkeitsretention, MagenDarm-Störungen kommen vor. PeptidBruchstücke Abb. 24.7 Proteasomen-Inhibitor Bortezomib. Die Hemmung des Abbaus intrazellulärer Signalproteine führt zum Zelluntergang. Miltefosin ist ein Alkylphosphocholin, das als ein abnormes Phosphatidylcholin (Lecithin)-Rudiment aufgefasst werden kann. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 470 24.7 Beurteilung der Pharmakotherapie neoplastischer Erkrankungen 24.6 Photodynamische Therapie Es werden Wirkstoffe eingesetzt, die unter Lichteinwirkung gewebstoxische Effekte hervorrufen. Durch eine gezielte Lichteinwirkung gelingt es, den toxischen Effekt regional zu begrenzen. Porfimer wird zur kurativen Laserlicht-Behandlung von nicht kleinzelligen Bronchialkarzinomen im Frühstadium eingesetzt. Es wirkt als „Photosensibilisierer“. Porfimer ist ein Hämatoporphyrin-Derivat, das intravenös zugeführt wird und sich besonders im Tumorgewebe anreichert. Daran schließt sich eine endoskopische Rotlichtlaser-Bestrahlung an, welche die Bildung reaktiver Sauerstoff-Spezies induziert, die das Gewebe schädigen. Für etwa einen Monat müssen Haut und Augen vor Sonnenlicht und heller künstlicher Beleuchtung geschützt werden. Temoporfin ist ebenfalls ein Porphyrin und wird im Prinzip angewendet wie oben für Porfimer geschildert. Temoporfin dient zur palliativen Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich. Methyl-5-amino-4-oxopentanoat ist ein Methylester von Aminolävulinsäure, der Vorstufe von Protoporphyrin. Die Substanz wird bei bestimmten Fällen von Basaliomen und aktinischen Keratosen lokal aufgetragen, mit Latenz erfolgt eine Rotlichtbestrahlung. 24.7 Beurteilung der Pharmakotherapie neoplastischer Erkrankungen Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist eine Kombination mehrerer Antineoplastika erfolgreicher als eine Monotherapie. In Tab. 24.3 sollen nur einige Beispiele für die üblichen Kombinationen gegeben werden. Die Dosierung ist anfangs während der „Induktionstherapie“ sehr hoch. Während der dann folgenden „Konsolidations-“ bzw. „Erhaltungstherapie“ sind die Dosen wesentlich niedriger, oder die Präparate werden gewechselt. Tab. 24.3 Beispiele für Kombinationen von Zytostatika, besonders bei hämatologischen Erkrankungen. Die Abkürzungen entstammen dem klinischen Gebrauch, sie leiten sich zum Teil von Fertigarzneimittel-Namen ab. CMF Cyclophosphamid ⫹ Methotrexat ⫹ Fluorouracil CHOP Cyclophosphamid ⫹ Doxorubicin ⫹ Vincristin ⫹ Prednison COPP Cyclophosphamid ⫹ Vincristin ⫹ Procarbazin ⫹ Prednison ABDV Adriamycin ⫹ Bleomycin ⫹ Dacarbazin ⫹ Vinblastin Box 24.4 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Es lagert sich in Zellmembranen ein und schädigt Membranfunktionen; so hemmt es membranständige Enzyme wie die Proteinkinase C. Es wird lokal angewandt, wenn ein Mammakarzinom auf die Haut übergegriffen hat und andere Therapiemaßnahmen erfolglos sind. Hautreizungen am Ort der Applikation können einen Therapieabbruch notwendig machen. 471 Fortentwicklung antineoplastischer Therapien Die Tumortherapie ist durch die rasch zunehmende Zahl an verfügbaren medikamentösen Wirkprinzipien, nicht medikamentösen Therapieformen und deren Kombinationsmöglichkeiten außerordentlich kompliziert geworden. Um die Therapie in strukturierter Weise fortzuentwickeln, werden Malignompatienten immer häufiger im Rahmen kontrollierter klinischer Studien behandelt. Die zugrunde liegenden Therapieprotokolle sind zuvor „konsortial“ entwickelt worden, enthalten also die Erfahrungen zahlreicher Therapeuten, sind evidenzbasiert und bieten daher eine größere Therapiesicherheit als durch den einzelnen Therapeuten „frei“ gestaltete Interventionen. Die Studien dienen der Erprobung neuer Präparate im Sinne von Zulassungsstudien, häufiger aber der Optimierung von Kombinationstherapien. Hierbei werden komplexen Algorithmen folgend in unterschiedlichen „Zyklen“ Zytostatika-Cocktails verabreicht. Um Nebenwirkungen, insbesondere hämatotoxische Effekte abklingen zu lassen, werden die Zyklen nach Pausen, ggf. in vorgeschriebenen Modifikationen, wiederholt. Eine weitere Möglichkeit bei hämatologischen Neoplasien, die ja praktisch immer generalisiert sind, ist die Kombination einer Chemotherapie mit einer Stammzelltransplantation. Hier erfolgt durch Bestrahlung eine vollständige Vernichtung der weißen Blutzellen, und dann durch die autologe (seltener heterologe) Transplantation pluripotenter Stammzellen eine Rettung, also die Erneuerung der lebenswichtigen Blutzellen. Auch eine protokollgestützte Kombination von Chemotherapie mit strahlentherapeutischen und chirurgischen Maßnahmen ist gängige und empfehlenswerte Praxis. Die Frage nach der Finanzierung der Patientenbehandlung im Rahmen solcher Therapiestudien (Firmen versus Kassen) soll hier nicht erörtert werden. 24 Therapeutische Erfolge sind seit Einführung der Kombinationen besser geworden. Heilungen werden bei malignen hämatologischen Erkrankungen (Leukämien, Lymphome) erreicht; solide Tumoren sprechen nur wenig an, vor allem die Karzinome des Bronchialbaumes, des Magen-DarmKanals, der Niere und der Harnblase, des Endometriums sowie das Melanom. Bei diesen Tumoren kann evtl. eine