R. Courant Vorlesu~gen Erster Band Funktionen einer Veranderlichen iiber Differential- und Integralrechnung Vierte unveranderte Auflage Mit 126 Textfiguren Springer-Verlag Berlin· Heidelberg· New York 1971 Professor Richard Courant New York University, Courant Institute AMS Subject Classifications (1970) : 26-01, 26A09, 26A24, 40-01, 40A05, 42-01, 42A08, 42A12, 34-01, 26A42 ISBN 3-540-05466-9 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York ISBN 0- 3 87-05466-9 Springer-Verlag New York Heidelberg Berlin Die dritte Auflage erschien 1969 als gebundene Ausgabe ISBN-13: 978-3-540-05466-5 DOl: 10.1007/978-3-642-61988-5 e-ISBN-13: 978-3-642-61988-5 Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder iihnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfiiltigungen fiir gewerbliche Zwecke ist gemiil! lag zu zahlen, deren Hehe mit clem Verlag zu vereinbaren ist. © by § 54 UrhG eine Vergiitung an den Ver- Springer-Verlag Berlin: Heidelberg 1971. Library of Congress Catalog Card Number 70-159442 Softcover reprint of the hardcover 4th edition 1971 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenhezeichnungen usw. in dies em Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dal! solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und .Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Offsetdruck von Julius Beltz, Hemsbach/Bergstr. Vorwort zur vierten Auflage Diese vierte Auflage erscheint, inhaltlich unverandert, in neuem Gewand. Ich freue mich uber das gleichbleibende In teresse, welches Mathematiker verschiedener Generationen dieser Darstellung der Grundlagen der Analysis entgegenbringen. Mein Motiv in der Darstellung war, mathematische Prazision mit Anschaulichkeit zu verbinden und dadurch solchen Lesern zu dienen wie N aturwissenschaftlern oder Technikern, fur welche Mathematik ein wesentliches Hilfsmittel ist. Ich habe gerne der Anregung des Verlages zugestimmt, die neue Auflage in zeitgemaBer Form herauszubringen. R. COURANT New Rochelle, N. Y., 1971 Vorwort zur dritten Auflage Die ersten Auflagen von Band I des vorliegenden Lehrbuches erschienen 1927 und 1930. Ich wurde von Studenten und Kollegen gedrangt, meine Gottinger Vorlesungen herauszugeben. Zum ersten Male wurde in einem Lehrbuch Differentiation und Integration von vorneherein gemeinsam eingefuhrt, entgegen der seit EULER immer wieder kopierten getrennten Behandlung, welche fur den Anfanger ganz unsachgemaB ist; weiterhin versuchten die Vorlesungen, ohne Verzicht auf Prazision, den Stoff in einer undogmatischen lesbaren Form darzustellen und abstrakte Begriffe anschaulich zu motivieren. SchlieBlich soUte der Zusammenhang der mathematischen Analysis mit der physikalischen Realitat betont werden. Der Erfolg des Buches, in mehreren Sprachen, hat gezeigt, daB das Bedurfnis nach einer solchen Darstellung nicht nachgelassen hat. Ich freue mich daher, nunmehr eine wesentlich veranderte und, wie ich glaube, verbesserte, dritte Auflage vorlegen zu konnen, welche mit dem Erscheinen des zweiten Bandes bald voUstandig sein wird. Das Buch wendet sich an zukunftige Lehrer und Forscher in der Mathematik, in der Physik und anderen N aturwissenschaften, und an Ingenieure. Ich hoffe, daB es den Lernenden den Zugang zur Wissenschaft erleichtern wird, ohne sie durch billige Kompromisse zu tauschen. Herrn Dr .. J. MOSER in Gottingen und Frau CHARLOITE JOHN in New Rochelle bin ich zu Dank verpflichtet fur ihre Hilfe bei der Neubearbeitung. Ganz besonders aber muB ich Herrn Dr. FERDINAND SPRINGER danken, mit dem mich ein jahrzehntelanges Verhaltnis freundschaftlichen Vertrauens verbindet und dessen personliches Interesse diese Neubearbeitung veranlaBt hat. R.COURANT New Rochelle, N. Y., und Heidelberg, Sommer 1954 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen . Erstes Kapitel Vorbereitungen § 1. Das Zahlenkontinuum . § 2. § 3. § 4. § 5. Das System der rationalen Zahlen und die Notwendigkeit seiner Erweiterung S.3. - Das Kontinuum der reellen Zahlen und unendliche Dezimalbriiche S.6. - Ungleichungen S.8. Der Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele S.9. - Begriffliche Formulierung S.10. - Geometrische Darstellung. Stetigkeit. Monotone Funktionen S. 11. - Umkehrfunktionen S.15. Nii.here Betrachtung der elementaren Funktionen . . . . . . . . . . Die rationalen Funktionen S. 16. - Algebraische Funktionen S. 18. Die trigonometrischen Funktionen S.19. - Exponentialfunktion und Logarithmus S. 20. Funktionen einer ganzzahligen Veranderlichen - Zahlenfolgen - Vollstii.ndige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition und Beispiele S. 21. - Das Prinzip der vollstii.ndigen Induktion S.22. - Beispiel: Die Summe der ersten n Quadrate S. 24. Der Begriff des Grenzwertes einer Zahlenfolge. Beispiele ...... 1 1 1 n a,.=-n S.25. - a.m=-; a.m_l =2m - - S.26. a,,=-m n+1 S. 27. - a,. = S. 27. - a,. = cr." S. 29. - Zur geometrischen Veranschaulichung der Grenzwerte von cr." und S. 30. - Die geometrische vp 3 9 16 21 25 VP Reihe S.31. - an=yn S32. - a,.=Vn+1-Vn S32. - a,,= :,. S·33. § 6. Genauere ErOrterung des Grenzwertbegriffes. . . . . . . . . . . . . Definition der Konvergenz S. 33. - Zweite Definition der Konvergenz S.35. - Monotone Folgen S. 36. - Rechnen mit Grenzwerten S.37. Die Zahl e S.38. - Beweis der Irrationalitat von B. S. 40. - Die Zahl:ll: als Grenzwert S. 40. - Das arithmetisch-geometrische Mittel S.41. Motivierung der prazisen Grenzwertdefinition S. 42. § 7. Der Begriff des Grenzwertes bei stetigen Veranderlichen . . . . . . . Definitionen und Beispiele S.43. - Motivierung der Begriffsbildung S.45. § 8. Der Begriff der Stetigkeit .................... Definitionen S. 47. - Unstetigkeitspunkte S.48. - Satze iiber stetige Funktionen S. 52. 33 43 47 VI Anhang I zum ersten Kapitel Vorbemerkungen . . . 52 § 1. Das Haufungsstellen-Prinzip und seine Anwendungen. . . . . . . . . 54 Das Haufungsstellen-Prinzip S. 54. - Intervallschachtelung undZahlenkontinuum S.55. - Grenzwerte von Zahlenfolgen S. 56. - Beweis des CAUCHyschen Konvergenzkriteriums S.58. - Oberer und unterer Haufungspunkt, obere und untere Grenze einer Zahlenmenge s. 59. § 2. Satze iiber stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GraBter und kleinster Wert stetiger Funktionen s. 60. - Die GleichmaBigkeit der Stetigkeit S.61. - Der Zwischenwertsatz S.63. - Umkehrung einer stetigen monotonen Funktion S. 64. - Weitere Satze iiber stetige Funktionen S.65. 60 § 3. Bemerkungen iiber die elementaren Funktionen 65 Anhang II zum ersten Kapitel § 1. Polarkoordinaten ...... . 67 § 2. Bemerkungen iiber komplexe Zahlen 68 Zweites Kapitel Grundbegriffe der Integral- und Differentialrechnung § 1. Das bestimmte Integral. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Integral aIs FIiicheninhalt S. 71. - Die analytische Definition des 70 Integrales S.72. - Erganzungen, Bezeichnungen und Grundregeln fiir das bestimmte Integral S. 74. § 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Erstes Beispiel S. 76. - Zweites Beispiel S. 77. - Integration von xa. bei beliebigem positiven ganzzahligen ex S. 78. - Integration von fiir 1 S. 79. - Integration von sin x und cos x beliebiges rationales ex S.80. 76 § 3. Die Ableitung oder der Differentialquotient . . . . . Differentialquotient und Kurventangente S. 82. - Der Differentialquotient als Geschwindigkeit S. 85. - Beispiele S.86. - Einige GrundregeIn fiir die Differentiation S. 89. - Differenzierbarkeit und Stetigkeit der Funktionen S. 89. - Hahere Ableitungen und ihre Bedeutung S. 91- Differentialquotienten und Differenzenquotienten; Bezeichnungen von LEIBNIZ S. 92. - Der Mittelwertsatz S. 94. - Angenaherte Darstellung beliebiger Funktionen durch Iineare. - Differentiale S.97. - Bemerkungen iiber die Anwendungen unserer Begriffe in der Naturwissenschaft S. 98. 82 *- x« § 4. Das unbestimmte Integral, die primitive Funktion und die Fundamentalsatze der Differential- und Integralrechnung. . . . . . . . . . . . . 99 Das Integral als Funktion der oberen Grenze S. 100. - Der Differentialquotient des unbestimmten Integrales S. 101. - Die primitive Funktion (Stammfunktion); allgemeine Definition des unbestimmten Integrales S.103. - Die Verwendung der primitiven Funktion zur Ausfiihrung bestimmter Integrale S.106. - Einige Beispiele S.107. § 5. Einfachste Methoqen zur graphischen Intesration 108 VII § 6. Weitere Bemerkung~n tiber den Zusammenhang zwischen dem Integral und dem Differentialquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Die Massenverteilung und Dichte; Gesamtquantitat und spezifische Quantitat S. 110. - Gesichtspunkte der Anwendungen S. 112. § 7. Integralabschatzungen und Mittelwertsatz der Integralrechnung . . . . 114 Der Mittelwertsatz der Integralrechnung S. 114. - Anwendung: Integration und Differentiation von XZ S. 117. Anhang zum zweiten Kapitel § 1. Die Existenz des bestimmten Integrales einer stetigen Funktion 118 § 2. Zusammenhang des Mlttelwertsatzes der Differentialrechnung mit dem Mittelwertsatz der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . 120 Drittes Kapitel Differential- und Integralrechnung der elementaren Funktionen § 1. Die einfachsten Differentiationsregeln und ihre Anwendungen . . . . . Differentiationsregeln S. 122. - Differentiation der rationalen Funktionen S. 124. - Differentiation der trigonometrischen Funktionen S. 125. § 2. Die entsprechenden Integralformeln . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Integrationsregeln S. 126. - Integration der einfachsten Funktionen S. 127. § 3. Die Umkehrfunktion und ihr Differentialquotient . . . . . . . . . . Die allgemeine Differentiationsformel S. 128. - Die Umkehrfunktionen der Potenzen und der trigonometrischen Funktionen S. 130. - Die zugehorigen Integralformeln S. 134. § 4. Die Differentiation der zusammengesetzten Funktionen . . . . . . . . Die Kettenregel S. 135. - Beispiele S. 137. - Nochmals Integration und Differentiation von xC< ftir irrationales IX S. 138. § 5. Maxima und Minima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geometrische Bedeutung der zweiten Ableitungen (Konvexitat) S. 140. Maxima und Minima S. 141. - Beispiele ftir Maxima und Minima S. 144. § 6. Logarithmus und Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . Definition des Logarithmus. Differentiationsformel S. 148. - Das Additionstheorem S. 150. - Monotoner Charakter und Wertevorrat des Logarithmus S. 151. - Die Umkehrfunktion des Logarithmus (Exponentialfunktion) S.151. - Die allgemeine Exponentialfunktion aX und die allgemeine Potenz xC< S. 153. - Exponentialfunktion und ·Logarithmus dargestellt durch Grenzwerte S. 154. - SchluBbemerkungen S. 156. § 7. Einige Anwendungen der Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . Charakterisierung der Exponentialfunktion durch eine Differentialgleichung S.157. - Stetige Verzinsung. Radioaktiver Zerfall S.158. - Abktihlung oder Erwarmung eines Korpers in einem umgebenden Medium S. 159. - Abhangigkeit des Luftdruckes von der Hohe tiber dem Erdboden S. 160. - Verlauf chemischer Reaktionen S. 161. - Ein- und Ausschalten eines elektrischen Stromes S. 162. § 8. Die Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . ......... Analytische Definition S. 163. - Additionstheoreme und Differentiationsformeln S.164. - Die Umkehrfunktionen S. 165. - Weitere Analogien S. 166. 122 126 128 135 139 148 157 163 VIII § 9. Die GroBenordnung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Begriff der GroBenordnung. Einfachste Falle S. 168. - Die GroBenordnung der Exponentialfunktion und des Logarithmus S.169. - Allgemeine Bemerkungen S. 171. - Die GroBenordnung einer Funktion in der Umgebung eines beliebigen Punktes S. 171. - GroBenordnung des Verschwindens einer Funktion S. 172. Anhang zum dritten Kapitel § 1. Betrachtung einiger spezieller Funktionen. . . . . . . . . . . . . . 173 1 Die Funktion y=e-z. S.173. - 1 Die Funktion y=e --Z S.174. Die Funktion y='Ig~ S.174. - Die Funktion y=x'Ig~ S.175. x x Die Funktion y = x sin":'. y (0) = 0 S. 176. x § 2. Bemerkungen iiber die Differenzierbarkeit von Funktionen . . . . . . 176 § 3. Verschiedene Einzelheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Beweis des binomischen Satzes S. 177. - Fortgesetzte Differentiation S. 178. - Weitere Beispiele fiir Anwendung der Kettenregel. Verallgemeinerter Mittelwertsatz S. 179. Viertes Kapitel Weiterer Ausbau der Integralrechnung § 1. Zusammenstellung der elementaren Integrale . § 2. Die Substitutionsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Substitutionsformel S. 182. - Neuer Beweis der Substitutionsformel S. 186. - Beispiele. Integrationsformeln S.187. § 3. Weitere Beispiele zur Substitutionsmethode . . . . . . . . . . . . . § 4. Die Produktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines S. 191. - Beispiele S. 193. - RekursionsformeIn S. 194. - Die WALLIssche Produktzerlegung von :n S. 195. § 5. Integration der rationalen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . Aufstellung der Grundtypen S.198. - Integration der Grundtypen S. 199. - Die Partialbruchzerlegung S. 200. - Beispiel. Chemische Reaktionen S. 202. - Weitere Beispiele fiir Partialbruchzerlegung. (Methode der unbestimmten Koeffizienten) S.203. § 6. Integration einiger anderer Funktionenklassen. . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen iiber die rationale Darstellung der trigonometrischen und Hyperbelfunktionen S.205. Integration von R(cos x. sin x) S.207. - Integration von R([of x. @5inx) S.207. - Integration von R(x. V1- xl) S.207. - Integration von R(x. VX2 -1) S. 208 . .:.. Integration von R(x. VxI+1) S.208. - Integration vonR(x. Vax2+2bx+c) S. 208. - Weitere Beispiele fiir Zuriickfiihrung auf Integrale rationaler Funktionen S.209. - Bemerkungen zu den Beispielen S.210. § 7. Bemerkungen iiber Funktionen. die sich nicht mittels der elementaren Funktionen integrieren lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition von Funktionen durch In.tegrale. Elliptische Integrale S.211. - Grundsatzliches iiber Differentiation und Integration S.213. § 8. Erweiterung des Integralbegriffes. Uneigentliche Integrale . . . . . . Funktionen mit Sprungstellen S.214. - Funktionen mit Unendlichkeitsstellen S.214. - Unendliches Integrationsintervall S.217. 181 182 188 191 197 205 211 214 IX Anhang zum vierten Kapitel Der zweite Mittelwertsatz der Integralrechnung . . . . . . . . . . . 222 Fiinftes Kapitel Anwendungen § 1. Darstellung von Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Parameterdarstellung S. 223 - Die zu einer Kurve gehOrigen Differentialquotienten bei Parameterdarstellung S. 226. - 'Obergang zu neuen Koordinatensystemen bei Parameterdarstellung S. 228. - Allgemeine Bemerkungen S.229. § 2. Anwendung auf die Theorie der ebenen Kurven . . . . . . . . . . . Der Fliicheninhalt in rechtwinkligen Koordinaten S. 230. - Die Unabhiingigkeit vorn Koordinatensystem S. 235. - Beispiel: Ellipse S.236. Fliicheninhalt in Polarkoordinaten S. 236. - Lange einer Kurve S. 237. Kriimmung S. 241. - Schwerpunkt und statisches Moment einer Kurve S.243. - Fliicheninhalt und Volumen einer Rotationsflache S.244. Triigheitsmoment S. 245. § 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zykloide S. 246. - Kettenlinie S. 247. - Ellipse und Lemniskate S.248. § 4. Die einfachsten Probleme der Mechanik. . . . . . . . . . . . . . . Grundvoraussetzungen aus der Mechanik S. 249. - Freier Fall. Reibung S.251. - Die einfachste elastische Schwingung S.253. - Die allgemeine Bewegung auf einer vorgegebenen Kurve S. 254. § 5. Weitere Anwendungen: Fall eines Massenpunktes auf einer Kurve . . . Allgemeines S. 256. - Diskussion der Bewegung S. 258. - Das gewohnliche Pendel S. 259. - Das Zykloidenpendel S. 260. § 6. Arbeit Allgemeines S. 261. - Erstes Beispiel. Massenanziehung S. 263. Zweites Beispiel. Spannen einer Feder S. 264. - Drittes Beispiel. Aufladen eines Kondensators S. 264. 223 230 246 249 256 261 Anhang zum fflnften Kapitel Eigenschaften der Evolute . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Sechstes Kapitel Die TAYLORsche Formel und die Annaherung.yon Funktionen durch ganze rationale § 1. Der Logarithmus und der Arcustangens. . . . . . . . 268 Der Logarithmus S. 268. - Der Arcustangens S. 271§ 2. Die allgemeine TAYLORSche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Die TAYLORSChe Formel fiir ganze rationale Funktionen S. 272. - Die TAYLORSche Formel fiir eine beliebige Funktion S.273. - Abschiitzung des Restgliedes S. 276. § 3. Anwendungen. Entwicklung der elementaren Funktionen . . . . . . . 278 Die Exponentialfunktion. Irrationalitiit von e S.278. - sin x, cos x, Stn x, Q:of x S.280. - Die binomische Reihe. Ein allgmeiner Satz iiber Konvergenz der TAYLORSchen Reihe einer Funktion mit nicht negativen Ableitungen aller Ordnungen S. 281. x § 4. Geometrische Anwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Beriihrung von Kurven S.285. - Der Kriimmungskreis als Oskulationskreis S.287. - Zur Theorie der Maxima und Minima S.287. Anhang zum sechsten Kapitel § 1. Beispiel einer Funktion. die sich nicht in eine TAYLORSche Reihe entwickeln laCt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Approximation beliebiger stetiger Funktionen durch Polynome und trigonometrische Summen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Satz von WEIERSTRASS S.289. - Approximation von Ixl S.289. - Beweis des WEIERSTRAssschen Approximationssatzes S. 291. - Anwendungen. - Trigonometrische Approximation S. 292. § 3. Nullstellen. Unendlichkeitsstellen von Funktionen und sog. unbestimmte Ausdriicke. . . . ........ . . . . . .. § 4. Interpolation . . . . . . . . . . . . . .. Problemstellung und Vorbemerkungen S.296. - Konstruktion der Losung. Die NEWToNsche Interpolationsformel S. 298. - Restabschatzung S. 300. - Die Interpolationsformel von LAGRANGE S. 302. 288 289 293 296 Siebentes Kapitel Exkurs tiber numerische Methoden Vorbemerkungen . . . . . § t. Numerische Integration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtecksregel S.303. - Trapezformel und Tangentenformel. S.304 - Die SIMPsoNsche Regel S. 304. - Beispiele S.305. - Fehlerabschatzung S. 306. § 2. Anwendungen des Mittelwertsatzes und des TAYLORSchen Satzes.. Die .. Fehlerrechnung" S.308. - Berechnung von :II; S.310. - Berechnung der Logarithmen S.311. § 3. Numerische Auflosung von Gleichungen .............. Das Verfahren von NEWTON S. 312. - Regula falsi S. 314. - Beispiel S.315. - Das Iterationsprinzip S.315. 302 303 308 312 Anhang zum siebenten Kapitel Die STIRLINGSche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Achtes Kapitel Unendliche Reihen und andere Grenzprozesse Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . § 1. Die Begriffe Konvergenz und Divergenz . . . . . . . . . . . . . . Grundbegriffe S.321. - Absolute und bedingte Konvergenz S.323. - Umordnung der Reihenglieder S.326. - Das Rechnen mit unendlichen Reihen S. 329. § 2. Untersuchung der Konvergenz und Divergenz . . . . . . . . . . . . Das Prinzip der Reihenvergleichung S.330. - Vergleichung mit der geometrischen Reihe S.331. - Vergleichung mit einem Integral S.333. § 3. Grenziibergange und Reihen von Funktionen einer Veranderlichen . . . Allgemeines S.335. - Grenziibergange mit Funktionen und Kurven S.336. 320 321 330 335 XI § 4. GleichmaBige und ungleichmaBige Konvergenz . . . . . . . . . . . 338 Allgemeines und Beispiele S. 338. - Kriterium der gleichmaBigen Konvergenz S.342. - Stetigkeit gleichmaBig konvergenter Reihen stetiger Funktionen S.344. - Die Integration gleichmaBig k0nvergenter Reihen S. 345. - Differentiation unendlicher Reihen S. 346. § 5. Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Das Konvergenzverhalten einer Potenzreihe S. 348. - Die Integration und Differentiation von Potenzreihen 5.350. - Das Rechnen mit Potenzreihen S. 351. - Eindeutigkeitssatz fUr die Potenzreihen S. 352. § 6. Entwicklung gegebener Funktionen in Potenzreihen. Methode der unbestimmten Koeffizienten. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Die Exponentiaifunktion S.354. - Die binomische Reihe S.354. Die Reihe fUr arc sin x S. 356. - Die Potenzreihenentwicklung von ~r~.nx=log(X+V1+x2l S.356. - Beispiel fiir Reihenmultiplikation S. 357. - Beispiel fiir gliedweises Integrieren. Elliptisches Integral S.357. § 7. Potenzreihen mit komplexen Gliedern . . . . . . . . . . . . . . . 358 EinfUhrung komplexer Glieder in Potenzreihen S. 358. - Ausblick auf die allgemeine Theorie analytischer Funktionen S. 360. Anhang zum achten Kapitel § 1. Multiplikation und Division von Reihen . . . . . . 361 Multiplikation Multiplikation absolut konvergenter Reihen S. 361. undDivision von Potenzreihen S.362. § 2. Grenziibergange, die mit der Exponentiaifunktion zusammenhangen . . 363 Die GleichmaBigkeit des Grenziiberganges ( 1 + : r -->- e" S. 363· - Be- merkung iiber Integration und Differentiation der Exponentiaifunktion f e-x'dx= t Vn 00 S.365. - Beweis der Formel o § 3. Unendliche Reihen und uneigentliche Integrale § 4. Unendliche Produkte . . . . . . . . . § 5. Weitere Beispiele fiir unendliche Reihen Verschiedene Entwicklungen S. 370. S.365. 366 368 370 Neuntes Kapitel FOURIERsche Reihen § 1. Die periodischen Funktionen ... . . . . . 373 Allgemeines S.373. - Zusammensetzung von reinen Schwingungen. Obertone. Schwebungen S.376. § 2. Die Verwendung der komplexen Schreibweise . . . . . . . . . . . . 380 Allgemeine Bemerkungen S.380. - Anwendung in der Lehre vom Wechselstrom S. 381. - Komplexe Darstellung der Superposition von reinen Schwingungen S.383. - Ableitung einer trigonometrischen Formel S.383. § 3. Beispiele fiir die FOURIERsche Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Form der FOURIERschen Reihenentwicklung S.384. - Entwicklung der Funktionen tp (xl = x und cp (xl = x 2 S. 386. - Entwicklung der Funktion x cos x S.387. - t(xl = Ixl S·388. - 5. Beispiel S.389. - XII I (x) = Isin x I S. 389. - Entwicklung der Funktion cos Jl x. Partialbruchzedegung des Kotangens. Produktzerlegung des Sinus S. 389. Weitere Beispiele S. 391. § 4. Beweis der FOURIERschen Reihenentwicklung . . . . . . . . . . . . 391 Die Konvergenz der FOURIERschen Reihe einer stiickweise glatten Funktion S. 391. - Genauere Untersuchung der Konvergenz. - BESSELsche Ungleichung S. 396. § 5. Die mittlere Approximation durch trigonometrische Polynome . 400 Anhang zum neunten Kapitel § 1. BERNOuLLIsche Polynome und ihre Anwendungen . . . . . . . . . . 404 Definition und FOURIER-Entwicklung S. 404. - Erzeugende Funktion und TAYLORSChe Reihe des trigonometrischen und hyperbolischen Kotangens S. 406. - EULERSche Summenformel S. 408. - Anwendungen (konvergente Entwicklungen, Summen von Potenzen, Rekursionsformeln fiir die BERNOuLLIschen Zahlen, EULERsche Konstante, STIRLINGS Formel, Asymptotische Reihenauswertungen) S.410. § 2. Integration von FOURIERschen Reihen 415 § 3. Trigonometrische Interpolation 417 Die Interpolationsformel S.417. - Beispiele zur trigonometrischen Interpolation S. 421. Z ehn tes Kapitel Die Differentialgleichungen der einfachsten Sch~ngungsvorgange § 1. Schwingungsprobleme der Mechanik und Physik . . . . . . . . . . . 426 Einfachste mechanische Schwingungen S. 426. - Elektrische Schwingungen S. 428. § 2. Uisung der homogenen Gleichung. Freie Bewegungen . . . . . . . . 429 Formale Auf)tisung S. 429. - Physikalische Deutung der Uisung S.431. - Anpassung an gegebene Anfangsbedingungen. Eindeutigkeit der Uisung S.432. § 3. Unhomogene Gleichung. Erzwungene Bewegungen . . . . . . . . • • 433 Allgemeine Bemerkungen S.433. - Uisung der unhomogenen Gleichung S.435. - Die Resonanzkurve S.436. - Nahere Diskussion des Bemerkungen iiber RegistrierinstruSchwingungsablaufes S. 439. mente S. 440. SchluJ3bemerkung . Sach verzeichnis. 442 443 Vorbemerkungen. Der Anfanger, welcher zum ersten Male mit der sogenannten hoheren Mathematik in Beriihrung kommt, wird sich dem Gefiihl einer gewissen Diskontinuitat zwischen der Schulmathematik und der Mathematik, wie sie an den Hochschulen getrieben wird, nicht entziehen konnen. Dieses Gefiihl entspringt nicht nur aus der historisch entstandenen Verschiedenheit der Unterrichtsmethoden an Hochschulen von denen an den Schulen. Auch im Wesen der hoheren oder besser neueren Mathematik, die sich in den letzten drei Jahrhunderten herangebildet hat, liegt ein Unterschied gegen die Elementarmathematik, welche bis vor kurzem den Schulunterricht vollig beherrschte und deren Inhalt vielfach fast unmittelbar der klassischen Mathematik der Griechen entnommen ist. Der elementaren Mathematik eigentiimlich ist zunachst ihre enge Beziehung zur Geometrie. Auch dort, wo die Entwicklung aus dem geometrischen Gebiet in das arithmetische hiniiberwachst, bleibt doch die Geometrie fast immer das Fundament. Ais zweiten charakteristischen Zug der elementaren Mathematik miissen wir wohl ihre Tendenz ansehen, das Augenmerk auf die einzelnen mathematischen Objekte gerichtet zu halten. Dinge, die wir heute als spezielle Faile einer allgemeinen Erscheinung unterordnen wiirden, stehen dort haufig unvermittelt ohne sichtbare gegenseitige Beziehung nebeneinander. Die enge Beziehung zur geometrischen Anschauung und das Haften an den individuellen Einzelheiten verleiht der alten Mathematik einen eigentiimlichen Reiz. Aber es war doch ein entscheidender Fortschritt, daB sich mit dem Beginn der Neuzeit in der Mathematik ganz andersartige Tendenzen durchsetzten und zu einer groBen neuen Entwicklung AniaB gaben, nachdem viele J ahrhunderte hindurch wahrend''des Mittelalters trotz mancher Fortschritte im einzelnen doch ein gewisser Stillstand geherrscht hatte. Die Grundtendenz aller neueren Mathematik ist die Ersetzung von Einzelbetrachtungen durch immer allgemeinere systematische Methoden, welche vielleicht nicht immer den individuellen Ziigen des einzelnen Falles in vollem MaBe gerecht werden, aber doch durch die Kraft ihrer Allgemeinheit eine Fiille neuer Resultate versprechen. Auf der anderen Seite gewinnt die Zahl, die analytische Behandlung der Dinge, immer mehr ein selbstandiges Recht, urn schlieBlich ganzlich zur Herrschaft iiber die Geometrie zu gelangen. Ihren deutlichsten 0 Courant, Vorles. iiber Diffo' Uo Integralrechnung I, 3. Aufi. 2 Vorbemerkungen. Ausdruck finden diese neuen Tendenzen nach mannigfachen vorangehenden Ansatzen durch die Ausbildung der analytischen Geometrie, urn deren Entwicklung FERMAT und DESCARTES die gr6Bten Verdienste haben, und der Differential- und Integralrechnung, als deren Vater man gew6hnlich LEIBNIZ und NEWTON betrachtet. Die neuere Mathematik hat in den 300 Jahren ihres Bestehens eine so groBartige, sowohl fur die reine Wissenschaft als auch fUr die technischen und naturwissenschaftlichen Anwendungen bedeutungsvolle Entwicklung genommen, daB ihre Grundbegriffe, vor aHem der Funktionsbegriff, allmahlich sich weiteste Verbreitung erzwangen und schlieBlich auch in den Schulunterricht eindringen muBten. Diese Vorlesungen entwickeln die wichtigsten Tatsachen aus der Differential- und Integralrechnung so weit, daB der Leser am SchluB einerseits zum Studium der h6heren mathematischen Disziplinen und zur Vertiefung der Grundlagen, andererseits zur Handhabung der Differential- und Integralrechnung in den verschiedenen Anwendungsgebieten gerustet ist. Dabei sei auf eine Gefahr, die aus der eingangs erwahnten Di5kontinuitat entspringt, besonders hingewiesen. Der elementare Standpunkt der Schulmathematik verleitet zwar dazu, an Einzelheiten haften zu bleiben und den Blick fur die allgemeinen Zusammenhange und systematischen Methoden zu verlieren. Der "h6here Standpunkt" der allgemeinen Methoden birgt aber die umgekehrte Gefahr in sieh, daB der Zusammenhang mit dem konkreten Einzelnen verloren geht und daB man den einfachsten individueHen Schwierigkeiten ratios gegenubersteht, weil man in der Welt allgemeiner Begriffe verlemt hat, das Konkrete zu sehen und zu fassen. Der Leser muB mit eigenen Kraften dafiir sorgen, durch dieses Dilemma hindurchzukommen. Nut das immer wiederholte selbstandige Durchdenken der Einzel· heiten und das vollstandige Erfassen der allgemeinen Gedanken im speziellen Beispiel kann zu diesem Ziele fuhren, und hierin liegt die Hauptaufgabe fur jeden, der sieh urn das Studium der Wissenschaft bemuht. Erstes Kapitel. Vorbereitungen. Die Differential- und Integralrechnung und mit ihr die ganze hohere Analysis beruht, abgesehen von dem Zahlbegriff, vor allen Dingen auf zwei Begriffsbildungen, namlich dem Begriff der Funktion und dem Begriff des Grenzwertes, die zwar schon im klassischen Altertum gelegentlich auftauchen, aber doch ihre charakteristische Pragung und Bedeutung erst in der modernen Mathematik erhalten. In diesem einleitenden Kapitel wollen wir versuchen, diese Begriffe auf moglichst einfache und anschauliche Art zu erfassen. § 1. Das Zahlenkontinuum. Was fUr eine Art von Dingen eigentlich die Zahlen sind, das ist eine Frage, die mehr den Philosophen als den Mathematiker angeht und mit der sich Philosophen viel beschiiftigt haben. Die Mathematik braucht jedoch keine erkenntnistheoretischen Vorstudien uber das tiefere Wesen des Zahlbegriffes. So wollen wir die Zahlen, und zwar zunachst die ganzen positiven oder naturlichen Zahlen 1, 2, 3, ... als etwas Gegebenes hinnehmen; ebenfalls wollen wir die Regeln, nach denen man mit diesen Zahlen rechnen kann 1, als etwas Gegebenes betrachten und uns nur noch einmal kurz in Erinnerung zuruckrufen, in welcher Weise man den Begriff der ganzen positiven Zahlen oder der naturlichen Zahlen notgedrungen hat erweitern mussen. 1. Das System der rationalen Zahlen und die Notwendigkeit seiner Erweiterung. 1m Bereich der natiirlichen Zahlen sind die Grundoperationen der Addition und Multiplikation immer unbeschrankt ausfUhrbar, d. h. Summe und Produkt zweier naturlicher Zahlen ist immer wieder eine 1 Diese Regeln sind die folgenden: (a + b) + c = a + (b + c). Das heiBt: Addiert man zur Summe zweier Zahlen a und b eine dritte, c, so erhalt man dasselbe, als wenn man zu a die Summe von b und c addiert. (Assoziatives Gesetz der Addition.) a + b = b + a. (Kommutatives Gesetz der Addition.) (ab) c = a (be). (Assoziatives Gesetz der Multiplikation.) ab = ba. (Kommutatives Gesetz der Multiplikation.) a (b + e) = ab + ae. (Distributives Gesetz.) 1* 1. V orbereitungen. 4 natiirliche Zahl. Aber die Umkehrungen dieser Operationen, d. h. Subtraktion und Division, sind im Bereiche der natiirlichen Zahlen nicht mehr ausnahmslos durchfiihrbar, und diese Tatsache drangte die mathematische Erfindungskraft schon friihzeitig zur Einfiihrung der Zahl 0, der negativen Zahlen und der positiven und negativen Briiche. Die Gesamtheit aller dieser Zahlen pflegt man als die rationalen Zahlen zu bezeichnen, weil sie alle aus der Einheit durch Anwendung der "rationalen Rechenoperationen" Addition, Multiplikation, Subtraktion und Division entstehen. Man pflegt die Zahlen anschaulich durch Punkte einer geraden Linie, der "Zahlengeraden", zu repriisentieren, indem man auf dieser geraden Linie einen beliebigen Punkt als den Nullpunkt festsetzt, einen anderen als den Punkt 1; die Strecke zwischen diesen beiden Punkten dient dann als MaBstab, urn jeder positiven oder negativen rationalen Zahl eine bestimmte Stelle auf der Zahlengeraden zuzuordnen, wobei iiblicherweise die positiven Zahlen auf der rechten, die negativen Zahlen auf der linken Seite des I Nullpunktes eingetragen werden (vgl. Fig. 1). -3 -2 -1 2 3 Fig. I. Zahlengerade. Versteht man in der iiblichen Weise unter dem absoluten Betrag Ia I einer Zahl a den Wert a selbst, wenn a ~ t, dagegen den Wert - a, wenn a < ist, so bedeutet Ia I einfach die Entfernung des betreffenden Punktes auf der Zahlengeraden yom Anfangspunkt. Die geometrische Deutung der rationalen Zahlen durch Punkte auf der Zahlengeraden weist uns auf eine wichtige Eigenschaft hin, die man durch die Wendung bezeichnet: "Die Menge der rationalen Zahlen ist iiberall dicht." Dies besagt, daB es zwischen zwei beliebigen rationalen Zahlen, wenn sie auch noch so nahe aneinanderliegen, weitere rationale Zahlen gibt oder daB in jedem noch so kleinen Intervall der Zahlengeraden stets rationale Zahlen liegen; geometrisch gesprochen, daB jede noch so kleine Strecke auf der Zahlengeraden rationale Punkte enthalt. Diese Dichtigkeit der rationalen Zahlen wird sofort klar, i ° ° wenn wir von der Bemerkung ausgehen, daB die Zahlen ...!.., ~ , ~3' 2 2 2 .•. , ~, ... immer kleiner werden und sich mit wachsendem n der Null 2n immer mehr nahern. Teilen wir nun, yom Nullpunkt beginnend, die Zahlengerade in gleiche Teile der Lange dieser Intervalle ;n' :n' ;n' ... -.!" ein, so stellen die Endpunkte 2 rationale Zahlen der Form ;:. dar; t Durch das Zeichen ::;;; soli angedeutet werden, daB entweder das Zeichen > oder das Zeichen = gelten soU. Entsprechendes gilt flir das hernach einzufiihrende Zeichen ± (bzw. =fl. 5 § 1. Das Zahlenkontinuum. uber die Zahl n durfen wir dabei noch beliebig verfugen. Haben wir irgend ein fest vorgegebenes Intervall der Zahlengeraden, mag es auch noch so klein sein, so brauchen wir nur n hinreichend groB zu wahlen namlich so groB, daB ~ kleiner als die Intervallange wird -, die obige 2" Einteilung also entsprechend fein zu machen, urn sieher zu sein, daB Punkte der Einteilung in das Intervall hineinfallen. Wir wollen nunmehr postulieren, daB jedem Punkte der Zahlengeraden eine Zahl entsprieht, und umgekehrt. Trotz der Eigenschaft der Dichtigkeit reiehen jedoch die rationalen Zahlen nieht aus, urn alle Punkte auf der Zahlengeraden darzustellen. Schon die Griechen haben erkannt, daB es Strecken gibt, welche nach Wahl einer Strecke der MaBzahl1 nieht durch eine rationale Zahl reprasentiert werden konnen, sog. mit der Einheit inkommensurable Strecken. SO Z. B. ist die Hypotenuse eines rechtwinklig-gleiehschenkligen Dreieckfs, dessen Katheten die Lange 1 haben, nieht kommensurabel mit der Strecke 1, d. h. ihre Lange ist nieht durch eine rationale Zahl gegeben. Das Quadrat dieser Lange t muB namlich nach dem pythagoreischen Lehrsatz gleich 2 sein; wenn t rational ware, also von der Form k mit ganzzahligen, selbstverstandlieh von Null q verschiedenen p und q, so wiirde folgen p2 = 2q2. Dabei konnen wir annehmen, daB p und q keinen gemeinsamen Teiler haben, weil wir einen solchen von vomherein hatten wegheben konnen. Da p2 infolge der obigen Gleiehung eine gerade Zahl ist, so muB auch peine gerade Zahl sein, etwa p = 2P'; setzen wir diesen Ausdruck ein, so erhalten wir 4P'2 = 2q2 oder q2 = 2p'2; es muBte also auch q2 und daher ebenso q selbst eine gerade Zahl sein, entgegen unserer Voraussetzung, daB p und q keinen gemeinsamen Teiler, also auch nieht beide den Teiler 2 besitzen. Unsere Annahme, daB die Hypotenuse durch einen Bruch k q darstellbar ist, hat sich daher als widerspruchsvoll, mithin als falsch erwiesen. Die eben durchgefuhrte - fur das Wesen eines "iildirekten Beweises" charakteristische - SchluBweise lehrt uns, daB dem Zeiehen V2 keine rationale Zahl entsprechen kann. Wir sehen aus dieser Betrachtung, daB wir genotigt sind, auBer den rationalen Zahlen noch andere, "irrationate" Zahlen einzufiihren, wenn wir j edem Punkt der geraden Linie eine Zahl zuordnen wollen. Und diese Forderung, daB den Punkten einer geraden Linie in umkehrbar eindeutiger Weise - nach Wahl einer Einheitsstrecke - Zahlen zugeordnet sein sollen, wollen wir durchaus festhalten. Das System dieser in umkehrbar eindeutiger Weise den Strecken zugeordneten rationalen und irrationalen Zahlen nennt man das System der reeUen Zahlen. I. Vorbereitungen. 6 2. Das Kontinuum der reellen Zahlen und unendliche Dezimalbriiche. Unser Postulat, daB den Punkten auf einer Geraden umkehrbar eindeutig "Zahlen" entsprechen sollen, wird erfullt, wenn wir die Gesamtheit aller endlichen und unendlichen Dezimalbruche als ein solches Zahlensystem betrachten. Wir erinnern uns zunachst an die elementarmathematische Tatsache: Jede rationale Zahl kann durch einen abbrechenden oder periodischen Dezimalbruch dargestellt werden; und umgekehrt: J eder solche Dezimalbruch stellt eine rationale Zahl dar. Wir werden jetzt zeigen, daB jedem Punkt auf der Zahlengeraden ein eindeutig bestimmter Dezimalbruch (gewohnlich ein unendlicher) zugeordnet werden kann, so daB die irrationalen Punkte oder irrationalen Zahlen durch unendliche nicht periodische Dezimalbruche dargestellt werden, z. B. 0,101101110 .... Nehmen wir an, daB die Punkte, die den ganzen Zahlen entsprechen, auf der Zahlengeraden markiert sind. Mit Hilfe dieser Punkte ist die Zahlengerade in Intervalle der Lange 1 eingeteilt. 1m folgenden sagen wir, daB ein Punkt der Geraden zu einem Intervall gehort, wenn er ein innerer oder ein Endpunkt des Intervalles ist. Wir nehmen nun an, daB P ein willkurlicher Punkt der Zahlengeraden ist. Dann gehOrt der Punkt zu einem, oder wenn es ein Teilpunkt ist, zu zweien der obigen Intervalle. Wenn wir vereinbaren, daB in dem zweiten Fall das rechte der beiden Intervalle, die sich in P treffen, gewahlt werden soIl, dann haben wir fur jeden Fall ein Intervall mit Endpunkten g und g 1, zu dem P gehort, wo g eine ganze Zahl ist. Dieses Intervall teilen wir in zehn gleiche Teilintervalle mit Hilfe der Punkte, die den + Zahlen g + _1_, g + ~, 10 10 "', g + ~entsprechen, und wir ordnen diesen 10 Teilintervallen die Ziffern 0, 1, ., . , 9 in der naturlichen Ordnung von links nach rechts zu. Das Teilintervall mit der Zahl a hat dann die Endpunkte g + ~ und g + ~ 10 10 + _1_. 10 Der Punkt P muB in einem dieser Teilintervalle enthalten sein. (Falls P einer der neuen Teilpunkte ist, gehort er zwei aufeinanderfolgenden Intervallen an; wie vorher wahlen wir das rechte.) Nehmen wir an, daB das so bestimmte Intervall der Zahl a1 zugeordnet ist. Die Endpunkte dieses Intervalles ent- sprechen dann den Zahlen g + ~ und g + ~ 10 10 + _1_. 10 Dieses Teilinter- vall teilen wir wieder in zehn gleiche Teile und bestimmen das, zu dem P gehort; wie vorher wahlen wir das rechte, falls P zu zwei Teilintervallen gehort. Auf diese Weise erhalten wir ein Intervall mit a a d a a 1 . d en Ed n pun k ten g + _ 1 + ---.L2 un g + _ 1 + ~ + - 2 ' wo a 2 eme 10 10 10 10" 10 der Ziffern 0, 1, ... , 9 ist. Dieses Teilintervall teilen wir wieder in zehn gleiche Teile und setzen dieses Verfahren fort. Nach n Schritten erhalten 7 § 1. Das Zahlenkontinuum. wir ein Teilintervall, das P enthalt, das die Lange Endpunkte den Zahlen a + a + a.. g + 10 102 .. . + 1QiI 1 2 und _1_ 10" hat und dessen a + a + an + 10" 1 g + 10 102 ... T. 1QiI 1 2 entsprechen. Hierbei ist jedes a eine der Ziffern 0, 1, ... , 9. Aber a1 a2 10 + 102- an + ... + 1QiI ist einfach der Dezimalbruch 0, a1 a 2 ••• a". Die Endpunkte der Intervalle konnen daher auch in der Form geschrieben werden: g + 0, a1 a2 ••• an und g + 0, a1 a2 ••• an 1 + 1QiI' Wenn wir uns vorstellen, daB das obige Verfahren unendlich oft wiederholt wird, erhalten wir einen unendlichen Dezimalbruch 0, a1 a2 ••• , der die folgende Bedeutung hat: Falls wir den Dezimalbruch an irgend einer Stelle abbrechen, sagen wir an der n-ten, dann liegt der Punkt P in dem Intervall mit der Lange punkte) g + 0, a1 a2 ••• an -!", dessen Endpunkte (Annaherungs10 und g + 0, a1 a2 ••• an + 1 10n sind. Au1 diesem' Grunde werden die Punkte g + 0, a1 a2 ••• an Annaherungspunkte genannt. Wir sagen nun, daB der unendliche Dezimalbruch g + 0, a1 a 2 ••• die reelle Zahl ist, die dem Punkt P entspricht. Hier solI die fundamentale Annahme betont werden, daB wir mit reellen Zahlen und daher auch mit Dezimalbriichen wie iiblich rechnen konnen. Diese Annahme, welche bis spat ins 19. Jahrhundert als selbstverstandlich hingenommen wurde, kann ohne Schwierigkeit streng bewiesen werden 1. Die dezimale Schreibweise tragt in gewisser Hinsicht den Charakter des Zufalligen, z. B. hinsichtlich der Grundzahl10. Fiir manche theoretische Zwecke, aber auch fiir die praktische Konstruktion von automatischen Rechenmaschinen empfiehlt sich die' Darstellung der Zahlen im sog. Dual- oder dyadischen System, d. h. in einem System mit der Grundzahl 2. In einem solchen System wiirde eine ganze positive Zahl a in der Form a= OCo + OC1 • 2 + OC2 • 22 + IXa • 2 3 + .. dargestellt werden, wobei die Ziffern OCo, OC1' OC2,'" jeweils nur 0 oder 1 sein k6nnen. Die Zahl 9 wiirde z. B. im Zweiersystem folgendermaBen 1 Siehe Anhang zu diesem Kapitel, § 1; vgl. ferner COURANT-RoBBINS "What is Mathematics?" Oxford Press, New York, 6. Aufl., 1953. I. Vorbereitungen. 8 zu schreiben sein: 1001 = 1 . 2 3 + O' 22 + O' 21 + 1 . 2°. Man sieht, daB im Zweiersystem die Zahlen verhrutnismaBig lange Ausdrucke haben. (Dafur wird der Mechanismus von Addition und Multiplikation besonders einfach.) Gleichviel aber in welchem Zahlensystem wir die Zahlen schreiben, stets lassen sich in ihm die samtlichen rationalen und irrationalen Zahlen ausdriicken. 3. Ungleichungen. Das Rechnen mit Ungleichungen spielt in der hOheren Mathematik eine viel groBere Rolle als in der elementaren Mathematik. Hier sollen wir an die einfachsten Regeln fUr das Reehnen mit Ungleiehungen erinnert werden. Wenn a > b und e > d, dann folgt a + e > b + d, aber im allgemeinen naturlich nieht a - e > b - d. Aus a > b, e > 0 folgt ae> be, dagegen aus a> b, e < 0 folgt ae < be. SchlieBlich folgt aus a> b > 0 und e > d > 0 die Ungleichung ae > bd. Mit Ia I bezeichnen wir die Zahl a mit positivem Vorzeichen, d. h. lal =a falls a~O und lal = -a wenn a<O. Man nennt lal den absoluten Betrag von a (siehe oben). Fur den absoluten Betrag von Zahlen gelten folgende einfache Ungleichungen: la+bl :;;;;Ial +Ibl la+bl ~Ial-Ibl· Das Quadrat einer Zahl ist stets groBer oder gleich Null. Daher gilt fur beliebige Zahlen x, y (x - y)2 = Xl 2xy:;;;; x2 + yl + yl. 2x y~ 0 Die letzte Ungleichung gestattet eine in den Anwendungen sehr wichtige Verallgemeinerung, die wir herleiten wollen. Mit~, a., ... , a,., bI , bl , ... ,b" bezeichnen wir 2n reelle Zahlen. Wenden wir die letzte Ungleichung auf xak y= bk t - Va~+a~+ ... +a~' Vb~+b~+ ... +b~ fUr k = 1,2, ... , nan und addieren die Ungleichungen, so erhalten wir 2 (lit b1 + as bs + ... + all b,.) Va~+a~+ ... +a~ Vb~+b~+ ... +b~ :;;;; 1 +1= 2. al bI + a2 bl + ... + an b,. ~ Va~ + a: + ... + a! Vb~ + b: + ... + b!. t Mit Y; meinen wir fiir ~ > 0 die positive Zahl, deren Quadrat ~ ist.