Die Jahreszeiten Einführung von Christoph Emanuel Seitz Haydns Quartette und Sinfonien, seine Oratorien und Kirchenstücke gefallen an der Donau wie an der Themse, an der Seine wie an der Newa, ja sie sind jenseits der Meere wie in unserem Weltteile geschätzt und bewundert. "Der Nachruf des Biographen Georg August Griesinger aus dem Jahre 1810 gibt eine ungefähre Vorstellung von der ungeheuren, wahrhaft weltweiten Popularität Joseph Haydns zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Zu Haydns bedeutendsten Werken zählen die beiden Oratorien „Die Schöpfung" und „Die Jahreszeiten". Das 1801 uraufgeführte Oratorium "Die Jahreszeiten" gehört zu den letzten großen Werken des Komponisten. Es ist der "Schöpfung" mit ihrer Verherrlichung einer idyllischen, göttlich geordneten Welt ähnlich und durchaus ebenbürtig, spannt aber einen noch breiteren Bogen von der musikalisch beschriebenen Hirschjagd und der Weinernte bis zum Lobgesang an den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde und den Spender des Lebens. „Die Jahreszeiten" werden meistens als Oratorium bezeichnet, aber eigentlich haben wir es mit einem Zyklus von vier Kantaten zu tun, die das Landleben in den verschiedenen Jahreszeiten besingen. Das Werk erzählt vom Leben des Pächters Simon (Bass), seiner Tochter Hanne (Sopran) und des jungen Bauern Lukas (Tenor) in einer niederösterreichischen Landschaft am Ende des 18. Jahrhunderts. Das Leben zu dieser Zeit war geprägt von einer tiefen Gottesfurcht und Naturverbundenheit, aber auch von dem Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den Launen der Natur. 1. Der Frühling Die instrumentale Einleitung stellt den Übergang vom Winter zum Frühling dar. Der lebhafte Vortrag des Orchesters geht in ein Rezitativ über, dem der berühmte Chor "Komm, holder Lenz" folgt, in dem auf genial einfache Weise die ganze Lieblichkeit der erwachenden Natur beschrieben wird. Die Frühjahrsarbeit der Landleute wird von Simon in dem Lied "Schon eilet froh der Ackersmann zur Arbeit auf das Feld" dargestellt. Nach getaner Arbeit kann er nur abwarten und flehen: "Sei nun gnädig, milder Himmel". Sein Gebet wird erhört und schon bald kann Hanne, die Tochter des Pächters Simon, singen: "O wie lieblich ist der Anblick der Gefilde", und der ganze Chor dankt: "Ewiger, mächtiger, gütiger Gott". 2. Der Sommer Der Sommer beginnt mit einem Rezitativ des jungen Bauern Lukas. Es ist noch früh am Morgen. Erst nach einiger Zeit kann er feststellen: "Des Tages Herold meldet sich", um dann zu berichten: "Der muntre Hirt versammelt nun die frohen Herden um sich her". Ein Höhepunkt in der Darstellung des Sommers ist der Chor "Sie steigt herauf, die Sonne". Die Solisten beginnen im zartesten Pianissimo, schrauben sich chromatisch nach oben und übergeben dann an den Chor, der die Sonne mit einem mächtigen Fortissimo erstrahlen lässt. Doch der Sommer bringt nicht nur Wachstum, sondern auch Erschöpfung. Lukas erzählt davon in seinem "Dem Druck erlieget die Natur". Hanne weiß aber Rat: "Willkommen jetzt o dunkler Hain", und sie dankt: "Welche Labung für die Sinne". Doch die Launen der Natur bergen noch mehr Gefahren, denen man nicht so leicht entgeht: "Ach! Das Ungewitter naht", warnt der Chor, und das Orchester macht die Drohung zur Wirklichkeit. Aber auch das geht vorbei, und wir vernehmen vom Solo-Terzett: "Die düstren Wolken trennen sich", so dass die Abendglocke in der gereinigten Luft erklingen kann. 3. Der Herbst Der Herbst wird mit einer langen instrumentalen Einleitung eröffnet, welche die Freude des Landmanns über die reiche Ernte schildert. Terzett und Chor singen dann: "So lohnet die Natur den Fleiß". Nun hält der Dichter den Augenblick für gekommen, sich an den zwischen Lukas und Hanne erwachenden Gefühlen zu erfreuen. Der Junge ist stolz auf sein Mädchen: "Ihr Schönen aus der Stadt, kommt her, blickt an die Tochter der Natur". Das Ende des Sommers bringt auch den Beginn der Jagd mit sich. Simon berichtet darüber in seiner Arie: "Seht auf die breiten Wiesen hin". Das Landvolk und die Jäger beschreiben das bunte Treiben der Jagd auf Hasen und Hirsche in dem Chor "Hört das laute Getön". Ein wichtiges Thema im Herbst ist aber auch die Zeit der Traubenlese. In der furiosen Schlussfuge "Juchhe, der Wein ist da." feiert der Chor eine wahre Weinorgie, die in einen sinfonischen Orchestersatz mit Triangel und Tambourin eingebettet ist. Haydn selbst sagte: "Mein Kopf war so voll von dem tollen Zeug: es lebe der Wein, es lebe das Fass!, dass ich alles darunter und darüber gehen ließ. Ich nenne daher die Schlussfuge des Herbstes `die besoffene Fuge'." 4. Der Winter Die Ouvertüre zum Winter erinnert an die dicken Nebel, mit denen diese Jahreszeit sich anzukündigen pflegt. "Licht und Nebel sind geschwächt", klagt Hanne, und Lukas fährt fort: "Hier steht der Wandrer nun verwirrt". Das Leben spielt sich jetzt mehr im Haus ab. Die Mädchen spinnen am Feuer : "Knurre, schnurre, knurre" und Hanne singt ihr höchst tugendsames Lied: "Ein Mädchen, das auf Ehre hielt". Das Lied erzählt, wie ein von einem Edelmann bedrängtes Mädchen diesen foppte, indem sie mit seinem Pferd durchgeht. Der Frost bringt Simon zu einer moralisierenden Betrachtung: "Erblicke hier betörter Mensch, erblicke deines Lebens Bild". Alles vergeht, außer der Tugend, die uns zum höchsten Ziel leitet. Und der Doppelchor stimmt mit ein: "Dann gehen wir ein in Deines Reiches Herrlichkeit." Im Schlußchor geht der Blick vom Dieseits ins Jensseits, vom’Werden und Vergehen‘ zum Ewigen Leben. Text und Musik (Trompeten des Jüngsten Gerichts) nehmen Bezug auf Offenbarungstexte und das Evangelium des Ewigkeitssonntages (Matth. 25/Verse 31ff): „Wer darf in diesem Zelte wohnen? Der Armen und Bedrängten half?“ und über das in Gestalt einer Fuge komponierte Gebet „Uns leite deine Hand, o Gott! Verleih uns Stärk und Mut!“ mündet der letzte Satz in die Vision des ewigen Lebens in strahlendem C-Dur: „Mit Jubelsang dann geh’n wir ein in deines Reiches Herrlichkeit. Amen!“ Stand: 01.11.2011 www.aschaffenburger-kantorei.de