RAPSERDFLOH OHNE INSEKTIZIDE BEIZEN – ERFAHRUNGEN UND KONSEQUENZEN Oliver Martinez, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück Die Anwendung neonicotinoider Wirkstoffe wurde mittels Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 durch die Kommission ab dem 01. Dezember 2013 für 2 Jahre eingeschränkt. Somit standen zur Aussaat im Herbst 2014 erstmalig keine insektiziden Rapsbeizen zur Verfügung. Die im Herbst auftretenden Rapsschädlinge, deren prominentester Vertreter sicherlich der Rapserdfloh darstellt, können daher aktuell nur mit Spritzapplikationen kontrolliert werden. Für die Bekämpfung der Kohlfliege stehen zurzeit keine Möglichkeiten zur Verfügung. Neben den Fragen zur diesjährigen Bedeutung des Großen Rapserdflohs in den Aussaaten 2014 wirft der Wegfall der insektiziden Beizen drängende Fragen zu Wirksamkeit und optimalen Terminierung der Insektizidspritzungen auf. Verschärft wird die Problematik durch eine fortschreitende Resistenz des Schädlings gegen die einzigen aktuell zugelassenen Wirkstoffe aus der Klasse der Pyrethroide. Um der landwirtschaftlichen Praxis Empfehlungen für nachhaltige Bekämpfungsstrategien an die Hand zu geben, wurde in Rheinland-Pfalz ein landesweites und sehr umfangreiches Monitoring durchgeführt. In der ersten Dezemberdekade 2014 wurde an 26 Standorten im Rahmen von 39 Einzelbeprobungen insgesamt ca. 1.950 Rapspflanzen auf Fraßschäden der Kohlfliegenlarve und ca. 975 Rapspflanzen auf Larvenbesatz durch den Rapserdfloh und Schwarzen Kohltriebrüssler untersucht (siehe Abb. 1). Auch wenn die Ergebnisse eines Monitorings nicht mit Exaktversuchen zu vergleichen sind, geben sie dennoch wichtige Hinweise zu aktuellem Schaderregeraufkommen, Wirksamkeit sowie zu Fragen der Terminierung von Bekämpfungsmaßnahmen. Tagungsband zur 59. WINTERTAGUNG Abb. 1: Landesweite Boniturstandorte RLP Biologie, Verbreitung und Schadbilder des Rapserdflohs Der Große Rapserdfloh (Psylliodes chrysocephala) gehört zur Familie der Blattkäfer und wird als Kühlbrüter bezeichnet, da er seine Larvenentwicklung im Inneren der Blattscheiden und Triebe befallener Rapspflanzen über Winter vollzieht. Er wird als Käfer 3-4,5 mm lang, hat blau-metallische Flügeldecken mit regelmäßig gereihten Punkten, seine Körperform ist dabei länglich oval. Der Halsschild und oft auch der 79 Kopf sind schwarz. Die Beine und Fühler sind zum Teil gelblich aufgehellt. Für viele sind die stark verdickten Hinterschenkel das markanteste Erkennungsmerkmal. Durch sie besitzen die Käfer ein hohes Sprungvermögen! Nach dem Schlupf aus den Puppen im Boden erscheinen die Käfer Ende Juni oder Anfang Juli auf Kohlgewächsen, ziehen sich aber nach einer kurzen Fraßperiode (etwa 10 Tage) in möglichst kühle und feuchte Sommerquartiere zurück. Sie überdauern die JuliSommerhitze nahezu inaktiv unter verschiedenen Wildpflanzen an Feldrändern. Die Käfer besitzen ein großes Hungervermögen, dass sie befähigt, auch eine längere Sommerruhe abzuhalten sowie weitläufige, weder Kultur- noch Wildkruziferen enthaltende Landstriche zu überqueren. Erst Ende August / Anfang September beginnt ihr Flug zu den auflaufenden Rapskeimlingen. Im August beginnen die Käfer mit dem Reifungsfraß, wobei runde Löcher in die Blattspreiten und Grübchen in die Stängel der jungen Pflanzen genagt werden. Der Reifungsfraß dauer i. d. R. ca. 14 Tage. Bei sehr starkem Aufkommen können in dieser Phase bereits beträchtliche Schäden entstehen. Besonders bei trockener Witterung ist der Schaden hoch, denn die Keimlinge und jungen Pflanzen verlieren viel Wasser und vertrocknen. Nach etwa zwei Wochen beginnen dann die Weibchen die Eier in Gruppen von je 3-6 Stück in den möglichst lockeren Boden 1-2 cm tief abzulegen. Die Eier sind knapp 1 mm lang, oval und weißlich. Die Eiablage zieht sich eine lange Zeit über den Winter bis zum März hin, solange Temperaturen über + 6 °C herrschen. Bis zu 1000 Eier pro Weibchen werden in milden Wintern abgelegt. Die winzigen Larven schlüpfen nach zwei bis drei Wochen, suchen die Rapspflanzen auf und bohren sich in die Basis der Blattstiele ein. Später minieren sie auch im Trieb und können bei milder Herbstwitterung den Vegetationspunkt der jungen Rapspflanzen zerstören. Häufig dringt im Winter Wasser in die Fraßgänge ein, das dann gefriert und das Pflanzenmaterial zerstört. Sterben solche Pflanzen nicht gleich ab, beginnt nach der Frostperiode das aufgeweichte Pflanzengewebe zu faulen. Oftmals wintern befallene Pflanzen aus, vergilben und sterben ab. Der Befall schafft zusätzlich Infektionspforten für 80 pilzliche Krankheitserreger. Spät gesäte Bestände sind i. d. R. nicht so stark betroffen wie reguläre August-Saaten. Spät abgelegte Eier entwickeln sich aufgrund der niedrigen Temperaturen so langsam, das es oftmals erst im Frühjahr zum Schlupf kommt. Dann sind noch junge kleine Larven neben den ausgewachsenen vom Herbst zu finden. Die Larven sind schmutzig weiß, werden 6-7 mm lang und haben einen schwarzen Kopf und Halsschild, sowie ein recht großes, schwarzbraunes Afterschild mit zwei kleinen Dornen am Hinterende. Sie lassen sich von Larven der Rüsselkäfer, wie denen des Schwarzen Kohltriebrüssler oder denen der im Frühjahr vorkommenden Arten Gefleckter Kohltriebrüssler und Großer Rapsstängelrüssler durch ihre drei Beinpaare recht gut unterscheiden. Die Larven der Rüssler sind stets beinlos. Die meisten Larven überwintern in der Rapspflanze und verpuppen sich im Frühjahr. Ab Ende Juni schlüpfen die Käfer aus den Puppen. Eine Vermehrung gelingt bei allen Kultur- und Wildkruziferen, sofern Blattstiele und Stängel den Larven genügend Lebensmöglichkeiten bieten. Bei senfölhaltigen Kruziferen (Senf, Hellerkraut) gehen die Larven im Verlauf ihrer Entwicklung zugrunde. Der Rapserdfloh bevorzugt Regionen mit feuchten Böden und milden Wintern. Daher ist er in Nord- und Ostdeutschland sehr häufig, in Süddeutschland sind Kalamitäten meist zeitlich und lokal begrenzt. Wird die Rapsfläche in einem Gebiet verkleinert, konzentrieren sich die Rapserdflöhe auf den verbleibenden Flächen und es ist mit stärkerem Schaden zu rechnen. In solchen Gebieten gewinnt die Schädlingsüberwachung an Bedeutung. Die Bekämpfungsrichtwerte unterscheiden nach Käfer- und Larvenfraß: ■■ Blattbonitur (Auflauf bis 6-Blattstadium): 10 % Fraß der Blattfläche ■■ Gelbschale (Anfang September bis Ende Oktober): 50 Tiere in 3 Wochen ■■ Ab 3 Larven je Pflanze Tagungsband zur 59. WINTERTAGUNG Aktuelle Befallssituation Nach dem Wegfall der insektiziden Beizmittel wurde den Herbstschädlingen bundesweit eine größere Aufmerksamkeit gewidmet, als dies in den vorangegangenen Jahren der Fall war. Insbesondere die milde Witterung des vergangenen Winters führte im rapslastigen Nordosten Deutschlands zu einem z. T. sehr hohen Schaderregeraufkommen. Nach Schätzungen des amtlichen Dienstes wurden dort bis dato ca. 300 ha Raps umgebrochen. Viele Betriebe insbesondere in den stark betroffenen Regionen im Westen Mecklenburgs reagierten mit drei bis vier Spritzapplikationen auf den hohen Rapserdflohbefall. In Rheinland-Pfalz kam es im Herbst nur in seltenen Fällen zu hohen Schäden, auf die betroffene Betriebe mit einem Umbruch der Bestände reagieren mussten. Dies betraf v. a. Flächen in den südlichen, wärmeren Landesteilen, auf denen keine Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Unseren Schätzungen zu folge, traf dies auf etwa 5 % der Rapsflächen in diesen Regionen zu. In Rheinland-Pfalz fiel der Hauptzuflug des Rapserdflohs in den meisten Regionen auf die letzte Septemberdekade. Insbesondere in den wärmeren Regionen, wie Rheinhessen und der Naheregion wurden aber schon in der ersten Septemberdekade z. T. hohe Gelbschalenfänge festgestellt. In Beständen ohne Insektizideinsatz war Anfang Dezember ein relativ hohes Larvenaufkommen in befallenen Pflanzen zu beobachten (Durchschnittswerte siehe Tab. 1). In 6 der 10 untersuchten Flächen ohne Insektizideinsatz waren dabei jeweils über 90 % der Pflanzen befallen, wobei jeweils über 4 Larven (Maximalwert: 19!) je befallener Pflanze gezählt wurden. Untersuchungen legen nahe, dass gut entwickelte Rapspflanzen einen Befall von bis zu 2 Larven je Pflanze in Abhängigkeit von der folgenden Witterung tolerieren können. Ab 3 Larven je Pflanze ist witterungsabhängig mit Ertragsausfällen zu rechnen. Neben den Fraßschäden im Mark befallener Rapspflanzen kann ein hoher Larvenbefall parasitäre Auswinterung verursachen und Eintrittspforten Tagungsband zur 59. WINTERTAGUNG für Pilzkrankheiten schaffen. Daneben ist bei solch hohen Befallsdichten mit einem starken Populationsaufbau zu rechnen. Die kritische Grenze von 3 Larven je Pflanze wurde auf rund 70 % der unbehandelten Flächen überschritten! Flächen auf denen Pyrethroide in Spritzapplikation angewendet wurden, zeigten dagegen durchweg tolerierbare Befallswerte (siehe Tab. 1). Ausnahmen mit höherem Larvenbesatz bzw. höheren Anteilen befallener Pflanzen wurden nur auf Flächen festgestellt, auf denen die Bekämpfungsmaßnahmen im Verhältnis zum Zuflug schlecht terminiert waren. Hier lagen die Besatzdichten bei bis zu 2,4 Larven je Pflanze bzw. Anteile befallener Pflanzen von 30 bis 60 %. Die zusätzliche Betrachtung von neun Spritzfenstern zeigte deutlich, dass Bekämpfungsstrategien mit zwei Behandlungsterminen nur unwesentlich bessere Wirkungsgrade (WG) erzielten als Einfachanwendungen. Auch hier spielte die genaue Terminierung der Maßnahmen die bedeutendere Rolle. Gut terminierte Einfachanwendungen erzielten WG bis nahe 100 % (Durchschnitt: 72,3 %; n = 5), während die beste Zweifachanwendung einen WG von 83 % erzielte (Durchschnitt: 72,5 %; n = 4). Die Schadenshöhe eines Rapserdflohbefalls ist neben den Larvendichten insbesondere vom Entwicklungsstand der Larven zu Beginn des Winters abhängig. Bei besonders günstiger und milder Herbstwitterung befinden sich viele Larven Anfang Winter bereits im ältesten Larvenstadium (L3) und sind dann in der Lage, durch ihre starke Fraßaktivität zur Terminalknospe vorzudringen und diese zu schädigen. Im Rahmen der Untersuchungen konnten alle drei Larvenstadien nachgewiesen werden. Allerdings wurden die schädlichen L3-Larven eher selten und v. a. in Stichproben gefunden, die von Flächen aus wärmeren Regionen entnommen worden waren. Es ist davon auszugehen, dass die feuchte Witterung im letzten Herbst eine rasche Populationsentwicklung gehemmt hat. 81 Tab. 1: Mittelwerte der untersuchten Parameter: Anzahl Larven je Pflanze, Anzahl Larven je befallener Pflanzen, sowie Anteil (%) befallener Pflanzen in unbehandelten, 1fach sowie 2fach mit Pyrethroiden behandelten Bestände. Im Rahmen des umfangreichen Monitorings wurden die Stichproben ebenfalls auf Schäden durch die Kleine Kohlfiege und auf einen Larvenbesatz durch den Schwarzen Kohltriebrüssler untersucht. Auf nahezu allen Flächen konnte ein moderater Wurzelfraß durch die Kohlfliege festgestellt werden. Dabei waren durchschnittliche Schädigungen der Wurzeloberfläche von 1 bis 18 % (Durchschnitt: 8 %) nachweisbar. Die Befallsstärke in allen untersuchten Proben lag damit in einem moderaten Bereich, so dass für die Rapserträge 2015 von diesem Schädling keine besondere Gefahr ausgehen dürfte. Der Stichprobenumfang umfasste ebenfalls einen Beizversuch. Hier konnten für die getestet Beizen WG von rund 30 bzw. 50 % beobachtet werden. Aktuell stehen zur Regulierung der durch Spritzapplikation nicht wirkungsvoll bekämpfbaren Fliege keine zugelassenen Mittel zur Verfügung. Der Schwarze Kohltriebrüssler besiedelte in 2014 die Rapsschläge ca. 3-4 Wochen nach dem Rapserdfloh. In vielen Regionen wurde der Flughöhepunkt zum Monatswechsel September / Oktober festgestellt. Erstaunlich war, dass trotz der zum Teil erheblichen Gelbschalenfänge lediglich ein sehr geringer Larvenbesatz festgestellt werden konnte. In 4 von 39 Einzelbeprobungen wurden dabei 1-2 Larven in ca. 8-16 Prozent der untersuchten Rapspflanzen gefunden. Der Schädling war dabei v. a. in unbehandelten Schlägen festzustellen. 82 Optimierung der Bekämpfungsmaßnahmen Durch den Wegfall der neonicotinoiden Beizprodukte ergibt sich aus Sicht des integrierten Pflanzenschutzes eine sehr unbefriedigende Situation im Rapsanbau. Aktuell stehen zur Regulierung des Rapserdflohs ausschließlich Spritzpräparate auf Basis von Pyrethroiden zur Verfügung (u. a. Bulldock, Decis, Delta Super, Karate Zeon, Mavrick Citro Pack). Neben einer steigenden Pflanzenschutzintensität durch weitere insektizide Spritzapplikationen wird seit einigen Jahren eine stetig voranschreitende Ausbreitung resistenter Rapserdflohpopulationen beobachtet. Ausgehend vom östlichen Schleswig-Holstein und westlichen Mecklenburg-Vorpommern breitet sich diese stetig aus. Betroffen von Minderwirkungen sind dabei Pyrethroide der Klasse I und II gleichermaßen. Als einzig wirksame Antiresistenzstrategie kann deshalb nur empfohlen werden, auf jede unnötige oder schlecht terminierte Anwendung zu verzichten, um weder durch einen unnötig ausgeübten Selektionsdruck noch durch Minderwirkungen eine Resistenzbildung zu provozieren. Die erhobenen Daten zeigen, dass Landwirte in Jahren ohne außergewöhnlich hohen oder frühen Rapserdflohzuflug eine einmalige und gut terminierte Maßnahme einer zweifachen Insektizidanwendung vorziehen sollten. Für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Rapserdflohs steht ein vergleichsweise großes Zeitfenster zur Verfügung, Tagungsband zur 59. WINTERTAGUNG da eine gut terminierte Maßnahme mit voller Aufwandmenge auch die ersten Larvenstadien des Schädlings mit bekämpft. Wer sich in 2014 mit seiner Maßnahme bis zum Monatswechsel September / Oktober geduldet hat, konnte sowohl die vollständig zugeflogene Käferpopulation, als auch die ersten Larvenstadien wirkungsvoll treffen (Vergleiche Abb. 2). Überdies fielen diese Termine auch mit dem Zuflug des Schwarzen Kohltriebrüsslers zusammen, der zu diesem Termin an einigen wenigen sonnigen und warmen Tagen die Rapsfelder besiedelte. Abb. 2: Anteil (%) befallener Pflanzen beprobter Flächen sowie Ergebnisse der Auswertungen von Spritzfenstern (WG), jeweils geordnet nach Applikationstermin. Fazit und Ausblick In 2014 war aufgrund des Wegfalls der bewährten neonicotinoiden Beizen auf Schlägen, auf denen die Bekämpfungsrichtwerte überschritten waren, eine Pyrethroid-Applikation notwendig. Bei optimaler Terminierung der Maßnahme ist eine Einfachanwendung einer zweifachen Spritzapplikation vorzuziehen. Grundlage zur Optimierung einer Bekämpfungsmaßname ist das Aufstellen und Kontrollieren von Gelbschalen schon ab Anfang September! Zu spät oder zu früh terminierte Maßnahmen erzielen schlechtere Wirkungsgrade und gefährden nicht nur den Ertrag sondern können sowohl Resistenzbildung als auch einen verstärkten Populationsaufbau fördern. Dies gilt v. a. vor dem derzeitigen Zulassungshintergrund! Tagungsband zur 59. WINTERTAGUNG Sollten nach Auflaufen der jungen Rapsbestände keine außergewöhnlich hohen Fraßschäden an Keimblättern bzw. Trieben beobachtet werden, ist es prinzipiell angeraten, erst nach Abschluss des Zufluges zu behandeln. Dies ermöglicht auch das Erfassen der frühen Larvenstadien sowie der oftmals später zufliegenden Schwarzen Kohltriebrüssler. Die Maßnahmen sind dabei immer unter optimalen Witterungsbedingungen bei voller Aufwandmenge und mit adäquater Applikationstechnik durchzuführen, um Minderwirkungen zu vermeiden. Es ist zurzeit davon auszugehen, dass auch in 2015 keine regulär zugelassenen Beizverfahren zur Verfügung stehen werden. Daher ist auch nächstes Jahr verstärkt auf die Herbstschädlinge zu achten! 83