KULTUR SKURRILE GERÄTE Von KulTobjekt bis Lebensretter Automaten sind längst mehr als reine Kaugummispender Vom Kaugummiautomaten aus der D-Mark-Zeit bis hin zum Hightech-Würstchen-Spender: Freiburgs Automatenlandschaft ist bunt – und ziemlich skurril.. W as haben ein Rumpsteak, ein 26-Zoll-Fahrradschlauch und eine sterile Spritze gemeinsam? All das gibt es in Freiburg auf Knopfdruck – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Die Automatisierung hat nicht nur die Industrie, sondern auch das Straßenbild erfasst, und an den Geräten gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Und auch der Automatenklassiker – der Kaugummi – ist noch nicht ausgestorben. Fotos: © tbr Schweinereien per Knopfdruck Im Herbst heißt es am Automaten der Metzgerei Pum im Stühlinger: Grillgut raus, Rinderroulade im Glas rein. Der heiße Sommer hatte für reißenden Absatz am Automaten gesorgt, an den meisten Sonntagen mussten Besitzer Jürgen Pum und seine Frau Angela Vogel-Pum mittags nochmal für Nachschub sorgen. „Ich bin teilweise mit dem Etikettieren gar nicht mehr hinterhergekommen, so eine lange Schlange war vor dem Automaten“, erzählt Vogel-Pum. 60 CHILLI OKTOBER 2015 Das Würstchen per Knopfdruck kommt so gut an, dass manch einer selbst bei geöffnetem Laden lieber den Automaten mit Münzen füttert, als sich an der Theke bedienen zu lassen. Junge Menschen, die Selfies vor dem Automaten schießen, sind ein alltägliches Bild. Einige Kunden kommen sogar von Waldkirch oder Ebringen angefahren, um sich ihr Grillgut zu ziehen, weiß Plum zu berichten. „Der Automat ist mittlerweile ein Kultobjekt.“ Sein Erfolgsrezept: „Bei uns gibt’s Qualität aus dem Automaten. Wer ein Rumpsteak kauft, bekommt ein dry aged beef und kein 0815-Fleisch von der Tanke.“ Schläuche statt Glimmstängel Auch wenn die Luft mal raus ist, gibt’s Hilfe am Automaten. Fahrradschläuche auf Knopfdruck bieten die Reifenhersteller Schwalbe und Continental an. Allein von den blauen Schwalbeautomaten – die sich auch per App orten lassen – stehen in Freiburg und der näheren Umgebung 17 Exemplare. Schlauchwünsche jeder Art werden hier erfüllt, für den Platten gibt es Ersatz in sechs Sorten in neun Größen. Wo heute Schläuche gezogen werden, gab es einst Glimmstängel zu kaufen: Die Idee, alte Zigarettenautomaten umzurüsten, wurde angeblich im Radhaus Freiburg geboren. Als offizielle Erfinder gelten jedoch zwei Kassler. Doch auch, wenn sich die Erfinderfrage nicht abschließend klären lässt: Fest steht, dass das Radhaus einer der ersten Händler überhaupt mit Schlauchautomat war, und der steht auch heute noch vor dem Geschäft in der Münchhofstraße. Frisches Frühstücksei Wer auf seiner Radtour in Stegen-Wittnau östlich von Freiburg vorbeikommt, sollte unbedingt einen Abstecher zum Baldenwegerhof machen. Hier gibt es den wohl außergewöhnlichsten Automaten der Region. Am Eierautomaten von Landwirt Bernd Hug kann man sich seine Eier direkt unter dem Hintern der Henne wegziehen. Durch Klappen an der Stallwand kann der Käufer hineingreifen und sich bedienen. Die Bezahlung erfolgt auf Vertrauensbasis. KULTUR SKURRILE GERÄTE Einen Probelauf des Automaten gab es bereits vor einigen Jahren – und da die Hühner in diesem Jahr fleißig gelegt haben, hat Hug den Automaten wieder ins Leben gerufen. Es ist eine Win-win-Situation: Der Bauer und seine Mitarbeiter sparen sich das Einsammeln, Putzen und Sortieren, und für die Käufer ist es ein Erlebnis: 40 bis 50 Eier wurden im Sommer am Automaten gezogen – pro Tag. Jetzt sind die Klappen jedoch erstmal wieder dicht – die tierischen Lieferanten machen Winterpause. High aber sicher Es gibt jedoch auch Automaten, die sind keine lustigen Spielereien, sondern wahre Lebensretter: An den beiden Spritzenautomaten in der Faulerstraße und in der Nähe des Dreisam-Ufercafés werden jährlich 6500 Spritzen verkauft. „Der Bedarf ist da“, weiß Jeanette Piram, Leiterin der Drogenhilfe Freiburg, „eigentlich bräuchten wir noch mehr.“ Doch für eine flächendeckende Versorgung in Freiburg sei kein Geld da, zudem ist sich manch ein Bürgerverein sicher, dass es in seinem Stadtteil kein Drogenproblem gäbe. „Durch den Kontaktladen wissen wir, woher die Leute kommen und sehen, dass auch in anderen Stadtteilen Bedarf ist“, weiß Piram es besser. Dabei sei die Akzeptanz der Automaten, die mit sterilen Spritzen die Übertragung von Krankheiten verhindern sollen, ihrer Erfahrung nach hoch, die meisten Menschen reagierten mit „positiver Neugierde“. Beschwerden gebe es jedoch immer wieder aufgrund des Fixermülls rund um die Automaten – vor allem auf dem Spielplatz in der Faulerstraße. Freiburgs Müllwerker sammeln hier nicht die herumliegenden Spritzen ein, das machen ehemalige Drogenabhängige des Vereins „Sprungbrett“ und der Kontakt- Zwölf STunden täglich im Einsatz für die Automaten laden, der mit seinen beiden 400-Euro-Jobbern nur den Bereich direkt um die Automaten sauber halten kann. Komplett Herr werden können sie dem Fixermüll nicht. Piram: „Das ist ein Problem, das sich wohl nie lösen lässt.“ Plastikringe, Glibbermonster & Co. Kaugummiautomaten sind Relikte aus einer anderen Zeit und einige von ihnen sehen auch so aus: verschrammelt, vollgekritzelt und verdreckt. So lässt sich etwa in Freiburg-Hochdorf noch ein Automat finden, der mit 50-Pfennig-Stücken gefüttert werden will und nach Angaben der benachbarten Metzgerei seit Jahrzehnten nicht mehr nachgefüllt wurde. Und doch sind die Automaten nicht ausgestorben, denn es gibt sie noch – die bunten Kauspaßspender, die regelmäßig gewartet und aufgefüllt werden. Genaue Zahlen, wie viele von ihnen Hauswände und Mauern in Deutschland zieren, gibt es nicht, der Bundesverband der Warenautomatenaufsteller schätzt 300.000. Etwa 900 davon gehören Peter Kiedels. Der Rentner aus dem Maintal betreibt seit 1968 Kaugummiautomaten von Basel bis Lahr. Einmal im Monat tourt er durch die Region und tauscht leere oder kaputte Geräte gegen funktionsfähige aus. Nach einer Woche und bis zu 1200 Kilometern kehrt er in seine Werkstatt zurück, wo er sich an die Reparaturen macht. Zwölf Stunden am Tag ist der 71-Jährige für die Automaten im Einsatz, teilweise auch am Wochenende. Um davon leben zu können, sei der Umsatz zu gering – dafür bräuchte es laut Kiedels mindestens zweieinhalbtausend Automaten. Doch um die Rente aufzubessern reiche es allemal. Vor allem, da die Nachfrage nach wie vor da sei. Zumal, wenn das Angebot stimmt – billige Plastikringe reichen längst nicht mehr aus. „Für Preise bis zu einem Euro muss man schon was anbieten“, weiß Kiedels. Der beste Platz: In der Nähe von Schulen oder bei Lebensmittelgeschäften. Ein Leben ohne Automaten kann er sich – trotz Herzkrankheit – nicht vorstellen: „Solange ich mich bewegen kann, werde ich mich um die Automaten kümmern.“ Tanja Bruckert OKTOBER 2015 CHILLI 61