07. Das Himbeerreich 07. Regisseur Andres Veiel im Gespräch mit Jörg Bochow ANDRES VEIEL hat in einer umfangreichen Recherche ehemalige und noch aktive Akteure der Finanzwelt befragt. Aus den Lebensgeschichten und den Berichten der Banker entsteht eine faszinierende Innenansicht jener Prozesse und Mechanismen, die unsere Gesellschaft und unser alltägliches Leben bestimmen. Jörg Bochow: Andres Veiel, du kommst vom Dokumentar- und Spielfilm zum Theater. Nach »Der Kick« ist dies nun deine zweite Theaterproduktion. Was ist der Vorteil für dich, beim Theater zu arbeiten? Andres Veiel: Theater ist erst einmal ein Ort, an dem bestimmte Dinge erzählt werden können, die woanders keinen Platz mehr haben. Das hat zwei Gründe: Das eine ist die Möglichkeit der Zumutung, die entsteht durch ein Publikum, das gewöhnt ist, auch sperrige, komplexe, widersprüchliche Erzählweisen auf eine bestimmte zeitliche Dauer wahrzunehmen. Zweitens ist Theater ein Ort, ein geschlossener Raum, wo die Fenster zu sind, d.h. er lässt wenig zu an Außenwirkung und genau das ist für mich wiederum interessant, weil ich dadurch Themen behandeln kann, die im Dokumentarfilm oder in der Übersetzung eines Spielfilms so nicht möglich sind. Das heißt Theater ist ein Erzählraum, der für mich einmalig ist und wo ich auch dann speziell Stoffe so entwickle, dass sie in dieser Einmaligkeit an diesem Ort auch möglich werden und zur Geltung kommen. JB: Aber wenn die Außenwirkung geringer ist, heißt es, dass man von vornherein sagt, dass man für einen kleinen Zirkel von Menschen arbeitet? AV: Ja, es ist natürlich immer der Wunsch, dass es wirkt wie ein Virus, der sozusagen mit minimalen Mitteln ein ganzes Gehirn neu programmieren kann. Das ist der utopische Wunsch, mit sehr wenig ganz viel zu erreichen. Wie in der Akkupunktur mit einem Nadelstich den entsprechenden Nerv zu treffen, eine bestimmte Form der Auseinandersetzung in einem kleinen Kreis möglich zu machen, was dann Folgewirkungen hat. keinen Zugang hatte. Dann liefen diese Gespräche weiter, dann hab ich noch vor der Finanzkrise überlegt, es wäre eigentlich wichtig in Voraussicht, dass diese Krise kommen könnte, was zu machen. Das sind natürlich Prozesse, die nicht spontan umsetzbar sind. Das ist der Nachteil einer langen Vorlaufzeit. JB: Ein Großteil deiner Arbeit besteht in der Recherche. Gibt es da einen Unterschied in den Recherchen für eine Theaterproduktion oder für einen Dokumentar- bzw. Spielfilm? AV: Im Prinzip nicht, weil ich erst einmal eine Welt, die mir fremd ist, erschließe, mit Zeitzeugen, mit Materialien. Ich möchte die Lufthoheit über das Material haben und gleichzeitig das Vertrauen der Menschen, die mir dieses Material zur Verfügung stellen. Die Entscheidung, was die richtige Form ist, entsteht ja manchmal während oder sogar erst nach der Recherche. Zunächst einmal versuche ich, ein Stück Wirklichkeit zu erschließen und dann stelle ich fest, keiner ist bereit vor die Kamera zu treten. Dann ist die nächste Überlegung, ob es eine fiktionale Übersetzung im Sinne eines Spielfilms wird oder ob das Theater der richtige Ort ist, wie jetzt beim Himbeerreich. In diesem Stoff liegt eine bestimmte Form von Sperrigkeit, da in dieser Welt viel über Sprache transportiert wird und nicht über Bilder. Natürlich kann man dazu auch Bilder zeigen, das wäre dann die bekannte Ikonographie – Banken von innen, Banken von außen, Menschen die eine Jacht haben, Menschen die Golf spielen, Menschen die sich in ihren Bugatti reinsetzen. Man könnte natürlich sagen, man probiert, das mit anderen Bildern zu erzählen, die das gegen den Strich bürsten. Aber ich finde das Theater markiert hier einen Unterschied durch die mögliche Abstraktion. Und das ist eigentlich im Brechtschen Sinne, wenn ich einen Gegenstand betrachte, ihn aus dem Kontext heraus nehme und damit zwangsläufig einen Bruch herstelle. Ich kann das dann so zeigen, dass ich plötzlich neu auf etwas scheinbar Bekanntes schaue. Das kann man natürlich auch im Film machen, aber ich finde, das Theater ist vor allem der Ort der Reduktion, wo man das Wichtige vom Unwichtigen trennt, vereinfacht – und in der Einfachheit wieder eine größtmögliche Komplexität herstellt. „Man kann das Denken verwerflich finden, man kann es pervers finden oder absurd. Es obliegt dann dem Zuschauer, das zu bewerten.“ JB: Wie viele Banker hast du gesprochen? JB: Ist die Kommunikation zwischen den Künstlern im Theater intensiver als beim Film? AV: Ein Teil meiner Arbeitsweise ist, dass ich Partner in einem ganz frühen Stadium einbeziehe. Ich arbeite nur mit Menschen zusammen, die in diesen Prozess mit einer Offenheit und Neugierde hineingehen und sich inspirieren lassen und mich auch wieder inspirieren. Deswegen liegt der Unterschied nicht in der Intensität der Kommunikation, weil jedes Projekt für mich ein Stück Lebenszeit und mit meinen eigenen Fragen verknüpft ist. Ob das jetzt ein Film ist oder ein Theaterstück, beides hat einen langen Vorlauf, einen Vorlauf von mindestens zwei Jahren, manchmal länger. Jetzt entsteht hier eine Arbeit für die die ersten Überlegungen acht, neun Jahre zurückliegen. Also in den ersten Erfahrungen mit »Black Box BRD«, wo ich in Bankenkreise reingekommen bin, zu denen ich sonst 18 AV: Ich habe jetzt ungefähr 23, 24 Gespräche geführt, es kommen jetzt noch zwei dazu. Die Gespräche hatten meistens eine Länge von zwei bis vier Stunden. Manche habe ich auch zweimal befragt. D.h. es gibt jetzt eine Materialmenge von ca. 1400 Seiten, und ich bin dabei, diese auf ungefähr 40 Seiten zu verdichten, d.h. auf ungefähr 3 %. Man hätte aus diesen Materialbergen natürlich auch ein anderes Stück machen können, insofern ist es nicht ein einfaches Abbild der Wirklichkeit, sondern gestaltetes Material durch Auslassung, es ist nichts dazu erfunden. Durch die Art der Montage, die Art der Verdichtung, was setze ich wo hin, erzähle ich natürlich meine Sicht auf das, was die Finanzkrise ausmacht. JB: Und wie haben die Banker auf deine Fragen reagiert? War es erleichternd, dass du nicht deine Kamera dabei hattest? JB: Hast du bei den Interviews – sowohl was die Personen betrifft als auch die Welt der Banken als Ganzes – etwas Neues für dich erfahren, das dich überrascht hat? AV: Ja, das Schöne an der Arbeit ist ja, dass ich über diese Neugierde etwas zu erfahren, auch ganz viel aus einem anderen Blickwinkel neu erzählen kann. Natürlich habe ich mich viel theoretisch mit Banken und der Bankenkrise beschäftigt, aber als ich dann die Abläufe mitbekommen habe, den schwindelerregenden Blick in diese Abgründe, die wissentlich genauso von Menschen gestaltet wurden, die in einer Verantwortung stehen, war für mich klar, dass es viel interessanter ist, jetzt nicht von außen Kritik an dem System zu üben wie in jeder kapitalismuskritischen Abhandlung, sondern das System von innen zu beschreiben. Das gibt eine andere Perspektive auf diese Krise und ihre Wirkungsmechanismen, auf dieses Ursachendickicht, wer was wann wie angeschoben hat und welche Rechtfertigungsmechanismen praktiziert werden, um diese Handlungen wieder nach außen zu decken, welche Art der Camouflage betrieben wird. Und da finde ich es wichtig, dass die Kunst sich nicht zurückzieht und sagt, das ist dröge Materie, wir machen jetzt Kapitalismuskritik, sondern dass wir versuchen, uns in diese Art des Denkens hineinzuarbeiten. Ich möchte den Menschen, die ich da gesprochen habe, beim Denken zuschauen und sie nicht einfach nur abschießen. Man kann das Denken verwerflich finden, man kann es pervers finden oder absurd. Es obliegt dann dem Zuschauer, das zu bewerten; ich bewerte erst einmal nicht. Zahnarzt, der sagt, ich gebe mich hier doch nicht mit einer kleinen Rendite zufrieden, hier habe ich doch ein Steuersparmodell und dann kann ich das Geld vielleicht nochmal auf den Kaimaninseln anlegen. Ich möchte den Zahnarzt jetzt nicht auf die gleiche Stufe mit dem Investmentbanker stellen, aber es ist ein System, das eben aus der Mitte der Gesellschaft heraus entwickelt und mitgetragen wurde. Da spielt die Politik eine maßgebliche Rolle, die aus dem Komplex »Wir wollen nicht zurückfallen, wir wollen mitmischen,« eben genau die Regeln so entwickelt hat, dass das möglich wurde. Das heißt, da sind eben nicht nur ein paar Durchgeknallte, die die ›Weltherrschaft‹ erringen gegen den Rest der Welt, sondern das ist ein System von Beteiligten, die sich gegenseitig animieren. JB: Außer den Erkenntnisgewinn zu befördern soll Theater, vor allem auch Spaß machen, lustvoll sein. Welche lustvollen Momente kann man denn, wenn man in diese Abgründe schaut, entwickeln? AV: Ich glaube es ist wichtig, aus den Bankern nicht vordergründige Karikaturen zu machen, das wäre zu billig. Ich finde, man muss die Lust in den leisen Abgründen suchen, im Humor, der am Abgrund gebaut ist. Die Absurdität der vermittelten Wirklichkeit ist in dem Material, das ich bekommen habe, so groß – das ist vollkommen ausreichend. Es geht darum, die Sprache dieser Welt und dieser Menschen, die eine ganz eigentümliche ist, als Ganzes zu belassen und damit auch Momente zu haben, wo man vielleicht etwas nicht sofort versteht, aber gleichzeitig in die Antriebskräfte dieser Menschen hineinschaut – was macht sie zu dem, dass sie über Jahre, Jahrzehnte so eine Arbeit sehr gerne gemacht haben, was treibt sie an? Das ist etwas, das mich bei allen Arbeiten interessiert, dass ich nicht nur Strukturen abbilden will, sondern diese Art von ›Gewordenheiten‹ sichtbar machen möchte. Und ich glaube, dass da sehr viel absurde Komik drin ist. Das Himbeerreich von Andres Veiel Regie: Andres Veiel, Bühne: Julia Kaschlinski, Kostüme: Michaela Barth, Chorleitung: Stefan Streich, Dramaturgie: Ulrich Beck, Jörg Bochow Mit: Manfred Andrae, Joachim Bißmeier, Jürgen Huth, Sebastian Kowski, Ulrich Matthes, Susanne-Marie Wrage Eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes Uraufführung: 11. Januar 2013 // NORD / Große Bühne (Premiere am Deutschen Theater Berlin am 16. Januar 2013) „Da sind eben nicht nur ein paar Durchgeknallte, sondern das ist ein System von Beteiligten, die sich gegenseitig animieren.“ JB: Trotzdem hast du eine eigene Sicht auf diese Phänomene, bei denen ich mich frage, wie sehr die Banker eine herausgehobene Kaste bilden, wie es immer wieder gesagt wird, oder wie sehr sie signifikant, beispielhaft für das ganze System und damit auch für uns und unser Verhalten sind ? AV: Ja, es ist natürlich leicht, sich davon zu distanzieren, weil es sich um eine abgehobene, in sich relativ kleine und geschlossene Gruppe handelt – speziell was das Investmentbanking angeht. Aber ich glaube, sie spiegeln letztendlich etwas wider – ich sag das jetzt zugespitzt: eine Religion; nämlich dass, wenn man nur will, ein Perpetuum mobile machbar ist, dass sich Geld aus sich selbst heraus vermehrt. Und dass über zehn, fünfzehn Jahre dieser Glaube genährt wurde und jeder, der sich dem entgegen gestellt hat, wurde als historisierender Denkender abgetan, der das System nicht verstanden hat und irgendwelche altmodischen Träume verfolgt. Und gerade deshalb ist es wichtig, das System von innen heraus zu betrachten, erstens zu sehen, wie konnte sich das in dieser Weise verselbständigen und zweitens, wie weit ist es auch ein Spiegel für den Das Journal Dezember 2012 / Januar und Februar 2013 Über den Regisseur Andres Veiel, geboren 1959 in Stuttgart, wurde für seine Filme (u.a. »Black Box BRD« 2001, »Die Spielwütigen« 2004, »Der Kick« 2006, »Wer wenn nicht wir« 2011) mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen geehrt, darunter der Europäische Filmpreis (2001), der Deutsche Filmpreis (1994, 2002 und 2011) und der Preis der deutschen Filmkritik für den besten Dokumentarfilm (2005). Für sein bisheriges Gesamtwerk bekam er 2005 den Konrad-Wolf-Preis und 2006 den Preis der DEFA-Stiftung zur Förderung der Deutschen Filmkultur. Das Himbeerreich ist nach Der Kick seine zweite Theaterarbeit. Fotos: Ingrid Trobitz; Gerhard Kassner / Berlinale „Ein schwindelerregender Blick in diese Abgründe“ AV: Ja, diese Arbeit hätte es nie mit einer Kamera gegeben. Es gibt da die Angst zu haften, d.h. Menschen präsentieren sich hier mit sehr intimem Wissen und mit intimer Kenntnis der Verhältnisse, aber sie sind vertraglich über eine Verschwiegenheitsklausel gebunden. Als Teil des Vorstandsvertrages mussten sie das alle unterschreiben, als sie noch im Vorstand waren. In den niederen Rängen gilt das aber genauso, dass sie sich nicht äußern dürfen, und wenn sie es doch tun, dann hat das zivilrechtliche Konsequenzen, was dann bedeutet: Streichung der Pension, Streichung von Gratifikationen, wie Boni usw. Man kann jetzt natürlich sagen, die haben eh ausgesorgt, also können sie jetzt doch mal was riskieren, das kann man durchaus auch so vertreten. Auf jeden Fall haben sie mit Einbußen zu rechnen und ich habe ihnen zugesichert – da fühle ich mich dann auch gebunden – eine Anonymisierung zu ermöglichen. Das heißt, dass sie mir über Internes berichten, aber ich sie und ihre Institution so weit schütze, dass ich entsprechend eingreife und verfremde, dass die Kernerzählung der Struktur erhalten bleibt, aber sie jetzt selbst nicht zivilrechtlich belangt werden können. Deshalb geht das eben nur als Theaterstück. 19