DRK-Generalsekretariat Gabriele Rössler · Christina Wildenauer (Hrsg.) Menschlichkeit im Sozialmarkt DRK-Generalsekretariat Gabriele Rössler Christina Wildenauer (Hrsg.) Menschlichkeit im Sozialmarkt Die Grundsätze des Roten Kreuzes Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von der Glücksspirale. Presserechtliche Abgrenzung Die nachfolgenden Manuskripte zur Veranstaltung „Menschlichkeit im Sozialmarkt oder ,Was bedeuten die Rot-Kreuz-Grundsätze heute eigentlich (noch)?’“ des Bereichs „Jugend und Wohlfahrtspflege“ des DRK-Generalsekretariats am 4. Oktober 2006 in Berlin geben nur die Meinung der Referenten – nicht die des Deutschen Roten Kreuzes – wieder. . . 1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15579-1 Ethik besteht darin, dass ich mich verpflichtet fühle, allem Leben die gleiche Ehrfurcht entgegenzubringen, wie dem eigenen Leben. Albert Schweitzer (1875-1965) Arzt, Theologe, Musiker und Kulturphilosoph 1952 Friedensnobelpreis Inhalt Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg Vorwort.………………………………………..……………………….………. 9 Soscha Gräfin zu Eulenburg Menschlichkeit im Sozialmarkt oder „Was bedeuten die Rot-Kreuz-Grundsätze in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit heute eigentlich (noch)?“................................................................ 11 Karl-Heinz Boeßenecker Wohlfahrtsverbände im Spagat zwischen Gemeinwohlagenturen und marktoperierenden Sozialunternehmen?!.…………….…………………...17 Christoph Lütge Ethische Grundlagen von Wohlfahrts- und Sozialarbeit in der globalisierten Welt ………………………………………………............37 Carsten Wippermann Das soziokulturelle Umfeld des Deutschen Roten Kreuzes heute und morgen …………………………………………………......51 Dominik H. Enste Soziale Dienstleistungen und Wettbewerb – Eine Reformagenda für DRK und Co. ……………………….………………...67 Gabriele Rössler/ Christina Wildenauer Die Grundsätze des Roten Kreuzes: Werte im Sozialmarkt ...………………………………………………………..83 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren …......……………………………….95 Vorwort Unbestritten spielt die Freie Wohlfahrt eine unverzichtbare Rolle bei der Sozialen Arbeit in Deutschland. Die derzeitigen und künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen wie z.B. der demografische Wandel, die Integration, die Sicherung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen sowie die angemessene und menschenwürdige Pflege und Betreuung älterer Menschen ist ohne die professionelle und ethisch ausgerichtete Soziale Arbeit der Freien Wohlfahrt nicht vorstellbar. Die Veränderungen der sozialstaatlichen Rahmenbedingungen, insbesondere auch die zunehmende Ökonomisierung der Sozialen Arbeit und die damit einhergehende Wettbewerbsorientierung haben in den letzten Jahren die Wohlfahrts- und Sozialarbeit nachhaltig beeinflusst. Auch die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes als einem der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege ist von zahlreichen Veränderungen betroffen. Mit dem Symposion „Menschlichkeit im Sozialmarkt“ am 4. Oktober 2006 in Berlin hat das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes die Zielrichtungen der laufenden Veränderungen im „Sozialen Sektor“ sowie mögliche Lösungsansätze hierzu diskutiert, damit die Wohlfahrts- und Sozialarbeit im Deutschen Roten Kreuz sich im Sinne einer Synthese aus ökonomischem und ethisch motiviertem Handeln nach wie vor an den Grundsätzen der Rot-Kreuz-/RotHalbmond-Bewegung orientieren und dabei erfolgreich arbeiten kann. In ihrer Begrüßungsrede hat Gräfin zu Eulenburg, ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, noch einmal bekräftigt, welch enorme Bedeutung die ethische Fundierung der Wohlfahrts- und Sozialarbeit im und für das Deutschen Rote Kreuz hat. Im Anschluss daran haben Externe und DRKVertreter das Spannungsfeld zwischen ethischer Motivation und ökonomischer Orientierung aus verschiedenen Blickwinkeln aufgezeigt: Prof. Boeßenecker hat die Sicht der Verbändeforschung vorgestellt, Dr. Lütge die Perspektive der Philosophie. Dr. Wippermann veranschaulichte die Bedeutung des Blicks auf die Menschen, seien es diejenigen, die Leistungen in Anspruch nehmen bzw. die mit Zeit- und materiellen Spenden zur Finanzierung der sozialen Arbeit beitragen oder diejenigen, die als Hauptamtliche für qualitätsorientierte Soziale Arbeit Sorge tragen. Dr. Enste präsentierte die Perspektive des Institutionenökonomens und stellte eine Reformagenda vor. Frau Dr. Rössler positionierte die Grundsätze der Rot-Kreuz-/Rot-Halbmond-Bewegung im veränderten Sozialmarkt. Vorwort 10 Im Symposion wurden nicht nur traditionsorientierte Meinungen präsentiert, sondern provokativ auch neue Wege aufgezeigt und große Sprünge von der Freien Wohlfahrt gefordert. Gerade das Spektrum der unterschiedlichen, teils konträren Meinungen bildete einen fruchtbaren Boden für die sich anschließende, in den Gliederungen konstruktiv fortgeführte und weiter fortzuführende DRKinterne Diskussion. Nur über die Auseinandersetzung mit Herausforderungen und Veränderungen kann der DRK-Gesamtverband zeitgemäße, nutzerorientierte und regionenspezifische Soziale Arbeit auf hohem Niveau ethisch fundiert und zugleich wirtschaftlich anbieten. Eine flexible Anpassungsfähigkeit sichert hier die Zukunftsfähigkeit der stets notwendigen Sozialen Arbeit. Mit der vorliegenden Dokumentation der Tagung soll die Fortführung des Diskurses über mögliche und notwendige Veränderungen in der DRK-Wohlfahrts- und Sozialarbeit über den Teilnehmerkreis des Symposions hinaus sichergestellt werden. An dieser Stelle möchte ich allen Vortragenden und Autoren der Fachbeiträge für ihre anregenden und zukunftsweisenden Beiträge sowie dem Mitarbeiterteam im Generalsekretariat für die Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation des Symposions danken. Berlin, im März 2007 Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes Menschlichkeit im Sozialmarkt oder „Was bedeuten die Rot-Kreuz-Grundsätze in der DRK-Wohlfahrtsund Sozialarbeit heute eigentlich (noch)?“ Soscha Gräfin zu Eulenburg Begrüßungsrede am 4. Oktober 2006, Berlin Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu unserem Symposion und freue mich, dass eine Veranstaltung zu den ethischen Grundlagen unserer Arbeit so viele Interessenten gefunden hat. Menschlichkeit im Sozialmarkt oder „Was bedeuten die Rot-KreuzGrundsätze in der DRK-Wohlfahrts- und Sozialarbeit heute eigentlich (noch)?“ Das Thema der heutigen Veranstaltung ist eine der Kernfragen, die sich allen Mitarbeitern des Roten Kreuzes, Ehrenamtlichen wie Hauptamtlichen, in ihrer Arbeit immer wieder neu stellt. Diese Kernfrage zieht sich wie ein roter Faden, nein, wie ein dickes rotes Seil durch meine gesamte Zeit als Vizepräsidentin. Durchaus auch im Sinne von Halt und Orientierung. Schön, dass eine meiner letzten Reden in diesem Amt gerade zu dieser Thematik zu halten ist. Die zunehmende Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens hat in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit Einzug gehalten. In allen Bereichen unserer Arbeit sehen wir uns dem Ökonomisierungsdruck der Kostenträger ausgesetzt. Wir konkurrieren in Dienstleistungen mit gewerblichen und gemeinnützigen Trägern, deren Tätigkeit durch die Kostenträger zunehmend nur noch durch ein einziges Kriterium bewertet wird, nämlich die Kosten. „Geiz ist geil“ - lassen Sie mich mit diesem Schlagwort diese Position überspitzt beschreiben. Geiz ist auch „geil“. Wo die Qualität und damit auch der Preis von Produkten und Dienstleistungen ausschließlich über technische Eigenschaften definiert werden, ist es gerechtfertigt, ja sogar vernünftig und geboten, ausschließlich auf den Preis zu sehen. Und für gewerbliche Anbieter ist es ebenso gerechtfertigt und vernünftig, dass der Kern ihrer gewerblichen Arbeit ausschließlich darin besteht, ihr Produkt, ihre Dienstleistung zu einem marktgängigen Preis anzubieten. Nur: Das alles sind nicht Wir! 12 Soscha Gräfin zu Eulenburg Dem mächtigen Prinzip „Geiz ist geil“ setzen wir unsere Prinzipien entgegen: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. Diese sieben Grundsätze sind uns allen wohlbekannt: Die sieben Grundsätze, wie sie in der Rot-Kreuz/Rot-Halbmond-Bewegung niedergelegt sind. Und ich möchte behaupten: Es sind ebenso mächtige Prinzipien. „Kosten gegen Menschlichkeit“. Damit ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, ziemlich exakt umrissen. Es ist ein Spannungsfeld, an dem man verzweifeln kann, in dem viele Mitarbeiter, Hauptamtliche wie Ehrenamtliche, ihre eigentliche Motivation, ihre Freude und Zufriedenheit in der täglichen Arbeit zu verlieren drohen. Denn es ist ja eben nicht so, dass die Qualität unserer Arbeit rein über technische Maßstäbe bewertet werden kann. „Geiz ist geil“ hat in unserer Arbeit nichts zu suchen. Medizinische und pflegerische Versorgung, alle unsere sozialarbeiterischen, (sozial)pädagogischen, psychologischen und pflegerischen Aktivitäten, also auch die Betreuung von Menschen mit Behinderungen, Migrationsarbeit oder die Schwangeren-Konfliktberatung orientieren sich ausschließlich an einem: am Menschen. Und den können sie nicht reduzieren auf „satt, sauber, trocken“. Deshalb scheint dieses Spannungsfeld für uns so unerträglich zu sein: nicht nur weil wir wissen, dass „Geiz ist geil“ in unserer Arbeit ein Kriterium ist, das schon sachlich falsch ist. Sondern auch, weil viele den Eindruck haben, diese, unsere Motive, die Legitimation unserer Arbeit als Rotes Kreuz, aus deren Umsetzung wir die Freude und Befriedigung unserer Arbeit ziehen, durch die wir uns von anderen Anbietern unterscheiden, werde von den Kostenträgern als irrelevant eingeschätzt. Da kann man schnell den Eindruck gewinnen, man sei, wie es so schön heißt, „im falschen Film“. Ich möchte heute allen denen, die diesen Eindruck gewonnen haben, Mut zusprechen. Die Gegensätze, die ich so scharf gegeneinander gesetzt habe, sind nicht neu und nicht unvereinbar.