Projekt Differenzierung II Psychiatrische Dienste Aargau AG, PDAG Beratungszentrum Bezirk Baden, BZB Suchtberatung ags, Bezirk Aarau Projektgruppe: Sharon Katz, Beratungszentrum Bezirk Baden Martin Näf, Psychiatrische Dienste Aargau AG Monika Ridinger, Psychiatrische Dienste Aargau AG Helmut Wolfer, Suchtberatung ags (Projektkoordination) Anna-Barbara Villiger, Suchtberatung ags 1. Zusammenfassung Bei diesem Projekt wurden im Jahr 2015 über 6 Monate alle Personen systematisch erfasst, welche sich erstmals an die Suchtberatungsstellen der Bezirke Aarau (ags) und Baden (BZB) wandten. Mittels diagnostischem Abklärungsgespräch durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie wurden in den Räumlichkeiten der Beratungsstellen alle psychischen Störungsbilder nach ICD-10 erfasst. Ziel war die diagnostische Einschätzung der beratungssuchenden Personen. Im Erhebungszeitraum von März bis August 2015 wandten sich 276 Personen an die beiden Suchtberatungsstellen. Keine Abklärungsgespräche erhielten Angehörige oder Bezugspersonen (N=65; 24%), Teilnehmende an Gruppenangeboten (N=41; 15%), Personen, welche lediglich ein Gespräch wahrnahmen (N=17; 6%), Minderjährige, Personen, bei denen die Gespräche im Auftrag des Strassenverkehrsamtes oder der Bewährungshilfe durchgeführt wurden sowie Betroffene, welche nicht zugeordnet werden konnten (N=33; 12%). Darüber hinaus wurde bei Personen, welche sich bereits in psychiatrischer Behandlung befanden, auf das Abklärungsgespräch verzichtet (N=62; 22%). 58 Personen (21%) wurden Abklärungsgespräche angeboten. 15 Personen lehnten das Gespräch ab, 6 Personen erschienen nicht zum Gespräch. Bei 37 Personen (13.4% der Gesamtstichprobe) wurde ein diagnostisches Abklärungsgespräch durchgeführt. Das Durchschnittsalter lag bei 42 Jahren. Am häufigsten wurden Tabak, Alkohol, Cannabis oder Kokain konsumiert. Eine Spielsucht lag in 8% der Fälle vor. Bei 26 der 37 abgeklärten Personen (70%) wurden neben der Abhängigkeitserkrankung weitere psychiatrische Störungen diagnostiziert, am häufigsten Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder traumatische Belastungsstörungen. Der Schweregrad der Beeinträchtigungen lag im Mittel bei 4.6 Punkten. Dies entspricht einer deutlichen Erkrankung bzw. Beeinträchtigung der untersuchten Personen. Auf der Grundlage der vorliegenden Diagnosen und der Gesamtbeeinträchtigungen wurden Behandlungsempfehlungen ausgesprochen. Dabei folgten 30 von 34 Personen (88%) der Empfehlung, die Suchtberatung fortzusetzen, 4 von 30 Personen (13%) nahmen die Empfehlung zur Durchführung einer Entzugs- bzw. Entwöhnungsbehandlung wahr und 8 von 20 Personen (40%) folgten der Empfehlung, eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung aufzunehmen. Die Ergebnisse der Erhebungen des Projektes Differenzierung II zeigen einerseits die Vielfalt, andererseits auch die Niederschwelligkeit der Angebote der Suchtberatungsstellen auf. Die Suchtberatungsstellen waren erste Kontaktstellen sowohl für Betroffene als auch für Angehörige und Bezugspersonen und wurden darüber hinaus auch von Personen genutzt, welche sich bereits in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befanden. Für die Niederschwelligkeit der Angebote der Suchtberatungsstellen spricht auch, dass fast alle Personen die Suchtberatungen fortsetzten, aber nur wenige Personen die Empfehlungen für die Aufnahme der aus ärztlicher Sicht notwendigen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungen wahrnahmen sowie, dass von den für ein diagnostisches Abklärungsgespräch infrage kommenden Personen 36% das ärztliche Gespräch ablehnten oder nicht zum Gespräch erschienen. Die Auswertung zeigt insgesamt, dass die Suchtberatungsstellen Menschen erreichen, welche noch nicht bereit sind, sich in das psychiatrisch-suchttherapeutische Leistungsangebot zu begeben. Darüber hinaus entlasten die Suchtberatungsstellen sowohl die stationären als auch die ambulanten Leistungsträger durch ihre Angebote und stellen für die Angehörigen die einzigen Anlaufstellen dar, unabhängig von den süchtigen Personen Hilfe und Unterstützung zu erhalten. *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 2 2. Ausgangslage Im Auftrag des Departements Gesundheit und Soziales (DGSKAD) wurde das Projekt Differenzierung II durchgeführt. Dabei handelte es sich um eine konsekutive Erfassung aller Personen, welche sich im Zeitraum von März bis August 2015 in den Suchtberatungsstellen Baden und Aarau angemeldet haben. Personen, welche sich zum Zeitpunkt der Erhebung nicht in psychiatrischer Behandlung befanden, erhielten ein diagnostisches Abklärungsgespräch durch einen Facharzt für Psychiatrie. Primäre Ziele des Projektes waren eine lückenlose (repräsentative) Erhebung/Darstellung des Suchthilfebedarfes in den Bezirken Aarau und Baden; eine Einschätzung von psychiatrischen Diagnosen Gesamtbeeinträchtigungen bei Personen, die Abklärungsgespräch erhielten. und Schweregrad der ein psychiatrisches Die Bezirke Aarau und Baden wurden ausgewählt, weil dort ca. 33% der Wohnbevölkerung des Kantons Aargau lebt und die Ergebnisse somit auf den Gesamtkanton hochgerechnet werden können. Durchgeführt wurde das Projekt von März bis September 2015 jeweils wöchentlich in den Suchtberatungsstellen Baden und Aarau. Am Ende der diagnostischen Abklärungsgespräche wurden die Klienten über die Ergebnisse aufgeklärt und Empfehlungen zur weiteren Behandlung ausgesprochen. Einen Monat nach dem Abklärungsgespräch wurde erfasst, welchen Empfehlungen die Klienten jeweils gefolgt sind (Katamnese). Alle Daten wurden anonymisiert ausgewertet. Es wurde folgender Zeitrahmen festgelegt: März bis August 2015 - Screening aller Klienten Anwendung der Ausschlusskriterien Aufklärung der eingeschlossenen Personen März bis September 2015 - Durchführung der diagnostischen Abklärungsgespräche April bis Oktober 2015 - Katamneseerhebung bezüglich Wahrnehmung der Behandlungsempfehlungen 1 Monat nach Abklärungsgespräch November bis Dezember 2015 - Auswertung des Projektes Dezember 2016 - Berichterstellung und Vernehmlassung Projektmitglieder - Verabschiedung Projektbericht 2015 bis Anfang Februar 2016 Januar Ein detaillierter Beschrieb des Projektes Differenzierung II sowie das Muster für die Durchführung des ärztlichen Abklärungsgespräches finden sich als Anhänge im pdf-Format. *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 3 3. Methodik 3.1. Ein- und Ausschluss für diagnostisches Abklärungsgespräch Erfasst wurden alle Klienten, welche im genannten Zeitraum die Suchtberatungsstellen in Aarau oder Baden aufsuchten (Repräsentativerhebung). Bei Personen, welche sich bereits in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung befanden, wurde auf das Abklärungsgespräch verzichtet. Hier wurden die Klienten befragt, welche Diagnosen der betreuende Arzt bei ihnen erhoben habe. Folgende Klienten wurden vom diagnostischen Abklärungsgespräch ausgeschlossen: Nur ein Gespräch in der ambulanten Suchtberatung Angehörige und weitere Bezugspersonen (z.B. Arbeitgeber/-innen) Abklärungen Jugendlicher im Auftrag der Jugendanwaltschaft Aufträge des Strassenverkehrsamts, kurz StvA Ambulante Massnahmen und Bewährungshilfe Minderjährige Gruppen 3.2. Diagnostisches Abklärungsgespräch durch Psychiater Im psychiatrischen Abklärungsgespräch wurde beurteilt, ob eine Sucht oder ein schädlicher Gebrauch von Substanzen oder Verhaltensweisen vorliegt. Darüber hinaus wurden Basisdaten zur Person (z.B. Alter, Geschlecht) und zur Epidemiologie (z.B. Wohnstatus, Arbeitssituation) erhoben. Die Einschätzung von weiteren psychiatrischen Störungen erfolgte auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der psychischen Erkrankungen (ICD-10). Gemeinsam mit der Fachperson der Beratungsstelle wurde eine Schweregradbestimmung (CGI) vorgenommen und es erfolgte eine Empfehlung für Interventionen und Behandlungsmassnahmen. Die Schweregradbewertung erfolgte nach international gültigem und formalisiertem Standard, der sogenannten „Clinical global impression“ (CGI). Dabei wird die Gesamtbeeinträchtigung für den Betroffenen beurteilt. Diese bezieht sich nicht nur auf die Symptome (z.B. Konsumverhalten oder Depression), sondern auch auf die Beeinträchtigungen in den Alltagsfunktionen, im Verhalten und auf das Funktionieren in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in Beziehungen oder Familie. Die CGI wird folgendermassen beurteilt: 1 2 3 Normal, nicht krank Grenzwertig krank Mild krank 4 Moderat erkrankt 5 Deutlich erkrankt 6 Schwer erkrankt 7 Extrem erkrankt Keine Beeinträchtigungen Unterschwellige Beeinträchtigungen Symptome vorhanden. Sie verursachen minimale bis keine Schwierigkeiten im sozialen und beruflichen Bereich Offenkundige Symptome. Sie verursachen bemerkbare Beeinträchtigungen, z.B. Arbeitsausfälle Deutliche Symptome. Sie verursachen deutliche Beeinträchtigungen der sozialen und beruflichen Funktionen Symptome beeinflussen das Verhalten und die Funktion erheblich, z.B. Arbeitslosigkeit Symptome beeinträchtigen drastisch die Funktionen in vielen Lebensbereichen *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 4 4. Ergebnisse und Diskussion 4.1. Stichprobe Im Erhebungszeitraum von 6 Monaten befanden sich 276 Personen in einem Erstkontakt zu den Suchtberatungsstellen, 138 Personen in Aarau und 138 in Baden. Bezogen auf die kantonale Bevölkerungsstatistik nahmen hochgerechnet auf ein Jahr weniger als 0.5 Prozent der Gesamtbevölkerung die Suchtberatung erstmals wahr. Ausgeschlossen gemäss den Ausschlusskriterien wurden 57% (N=156) der Gesamtstichprobe, 22% (N=62) befanden sich bereits vor dem Erstkontakt in psychiatrischer Vor- bzw. Mitbehandlung. 21% (N=58) der Gesamtstichprobe kamen für ein psychiatrisches Abklärungsgespräch infrage (Tabelle, s. Anhang). 21% Ausschluss 22% 57% Psychiatrische Behandlung Abklärungsgespräch 4.2. Ausschluss Von den 156 ausgeschlossenen Personen nahmen 17 (6%) nur ein Gespräch wahr. Bei insgesamt 65 Personen (24%) handelte es sich um Angehörige von Menschen mit Suchtproblematik, 20 Personen (7%) waren minderjährig oder nahmen an Abklärungen im Auftrag der Jugendanwaltschaft teil. 41 Personen (15%) nahmen Gruppenangebote wahr. Ambulante Massnahmen wurden bei 3 Personen durchgeführt, bei 5 Personen handelte es sich um Aufträge des Strassenverkehrsamtes und 5 Personen wurden aus anderen Gründen ausgeschlossen (s. Grafik). 70 60 50 40 30 20 10 0 *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 5 4.2.1. Angehörige Die Gruppe der Angehörigen umfasste insgesamt 24% der Gesamtstichprobe. Die Angehörigengespräche fanden im Einzelsetting statt. Angehörige begeben sich in Beratung, weil sie Unterstützung hinsichtlich einer Person mit Suchtproblematik benötigen. Ob die süchtigen Personen ebenfalls fachliche Unterstützung erhielten, wurde in diesem Projekt nicht erfasst. Bei der Angehörigenarbeit handelt es sich um flankierende Massnahmen. Laut DGS stehen für Angehörige im Kanton Aargau die Beratungsangebote der ambulanten Suchtberatungsstellen sowie das Ambulatorium Lenzburg zur Verfügung. Die Angebote befinden sich dezentral in Aarau, Baden, Brugg, Wohlen, Lenzburg, Rheinfelden, Zofingen und Döttingen. Die Suchtberatungsstellen stehen mit dem Kanton in einem Leistungsvertragsverhältnis. Die „Angebote sind kostenlos und politisch sowie konfessionell neutral“ (https://www.ag.ch/de/dgs/gesundheit/gesundheitsfoerderungpraevention/suchthilfe/beratung behandlung/beratungbehandlung.jsp). Die Angebote des Ambulatoriums Lenzburg erfolgen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Gespräche mit Angehörigen können im Tarmedkatalog als sogenannte „Leistungen in Abwesenheit“ oder in Form von „Paar- oder Familientherapie“ abgerechnet werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass derartige Leistungen sich auf die Personen mit der Suchtproblematik beziehen, d.h. die Paar- oder Familientherapie findet zu Lasten der Krankenversicherung der abhängigen Person statt, da diese sich in Behandlung befindet (s. http://www.fmh.ch/ambulante_tarife/tarmedtarif/tarmed_tarifbrowser-datenbank.html). Angehörige, welche unabhängig von der süchtigen Person in Behandlung stehen, benötigen für die Abrechnung nach Tarmed eine medizinische Indikation, d.h. eine Diagnose entsprechend ICD-10. 4.2.2. Gruppenangebote und Sonstige 15% der Beratungssuchenden nahmen Gruppenangebote wahr. Als Hauptproblemsubstanz wurde in 99.5% der Fälle Cannabis angegeben. Gruppentherapien können als ambulante Leistungen der OKP abgerechnet werden (Tarmedleistungen). Voraussetzung für die Abrechnung ist das Vorliegen einer Diagnose nach ICD-10, z.B. Abhängigkeitserkrankung, und einer Indikation für eine Gruppentherapie bei der betroffenen Person. Der Leistungskatalog beschreibt die notwendigen Bedingungen für die Abrechnungen der Gruppentherapien nach Tarmed, z.B. Qualifikationen von Gruppenleitern. Abklärungen, ambulante Massnahmen und Behandlungen von Minderjährigen sind grundsätzlich auch als Tarmedleistungen verrechenbar. 4.3. Psychiatrische Vor- und Mitbehandlung 62 Personen (22%) befanden sich entweder parallel zur Suchtberatung in psychiatrischpsychotherapeutischer Behandlung (N=26; 9%) oder wurden nach einer psychiatrischen Abklärung oder Behandlung (z.B. Entzugsbehandlung) zugewiesen (N=36; 13%). Bei dieser Gruppe handelt es sich um Personen, welche sich bereits im Suchthilfesystem von KVG oder Tarmed befinden. 9% der Personen befanden sich bereits in psychiatrischer Betreuung, sodass davon auszugehen ist, dass die Behandlung nach Tarmed abgerechnet wurde. Warum die Zuweiser zusätzlich zu ihren Leistungen auf das Angebot der Suchtberatungsstellen zurückgreifen, kann nicht beantwortet werden, da es nicht Inhalt des Projektes war. In der Regel gilt, dass Grundleistungen nach OKP nicht von mehr als einem Psychiater bei einer Person erbracht werden. Eine Ausnahme hierzu bilden Spezialsprechstunden, welche durch entsprechend spezialisierte Fachärzte im Sinne einer „Mitbehandlung“ angeboten werden. *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 6 13% der Beratungssuchenden erschienen nach einer Entzugsbehandlung oder einer diagnostischen Abklärung. Eine ambulante Suchtbehandlung nach Tarmed sollte in diesen Fällen grundsätzlich möglich sein. Bei den 62 Personen in psychiatrischer Vor- und Mitbehandlung lagen Probleme mit folgenden Substanzen/mit folgendem Verhalten vor (Tabelle, s. Anhang) 8% 3% 3% Alkohol Heroin 11% 13% Spielsucht 61% Cannabis Kokain Andere Ob neben dem problematischen Substanzkonsum oder der Spielsucht noch weitere psychische Störungen vorlagen, wurde bei der Suchtberatung erfragt, aber nicht systematisch erhoben. 21 Klienten gaben Auskunft. Bei den erfassten Störungsbildern traten depressive Episoden am häufigsten auf. Traumafolgestörungen, Persönlichkeitsstörungen und Psychosen wurden auch genannt (Tabelle, s. Anhang) 10 5 0 Depressionen 4.4. Traumata Pers.störungen Psychosen Ergebnisse der diagnostischen Abklärungsgespräche Die Einschlusskriterien erfüllten in beiden Städten 58 Personen (21% der Gesamtstichprobe). 15 Personen lehnten das Arztgespräch ab, 6 Personen erschienen nicht zum vorgeschlagenen Termin und es konnte auch kein Ersatztermin vereinbart werden. Somit konnten in beiden Städten insgesamt 37 Personen (13.4% der Gesamtstichprobe) in einem diagnostischen Abklärungsgespräch untersucht werden, davon 15 Personen in Aarau und 22 Personen in Baden. 10% Abklärungsgespräch 26% 64% Ablehnung nicht erschienen *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 7 4.4.1. Epidemiologische Daten Die diagnostischen Abklärungsgespräche wurden im Mittel nach 2.8 Beratungsgesprächen durchgeführt. Dabei handelte es sich um 9 (24%) Frauen und 28 (76%) Männer, welche durchschnittlich 42 Jahre (20-72 Jahre) alt waren. 14 Personen (38%) gaben anhaltenden Konsum an. Lediglich 3 Personen wiesen institutionelles Wohnen auf. 12 (32%) Personen waren arbeitslos, 2 Personen waren Familienfrau/-mann. Der Schweregrad der Gesamtbeeinträchtigung lag bei 4.6 Punkten im CGI. Zusammenfassend können die untersuchten Klienten als mittelschwer beeinträchtigt bezeichnet werden. 4.4.2. Problemsubstanzen/Problemverhalten Bei allen Personen konnten im diagnostischen Abklärungsgespräch Abhängigkeiten ermittelt werden. Am häufigsten lagen Alkohol- und Tabakabhängigkeiten vor (Tabelle, s. Anhang). Bei den meisten Probanden bestanden Mehrfachabhängigkeiten. Das folgende Diagramm gibt die Verteilung der Problemsubstanzen bzw. des Problemverhaltens wider. 68% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 46% 24% 21% 11% 8% 3% 4.4.3. Zusätzliche komorbide psychische Störungen 5.4% Depressionen 2.7% 2.7% 2.7% 2.7% Persönlichkeitsstörungen 5.4% 37.8% 8.2% Traumastörungen Anpassungsstörungen ADHS 32.4% Bipolare Störungen Angststörungen Zwangsstörungen Magersucht . Bei insgesamt 26 Personen (70% der untersuchten Probanden) lagen neben den Substanzstörungen zusätzliche komorbide psychiatrische Störungsbilder vor (Tabelle, s. *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 8 Anhang). Am häufigsten wurden Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und Traumafolgestörungen diagnostiziert (s. Grafik). 10 der Probanden (27% der untersuchten Probanden) hatten bereits psychiatrischpsychotherapeutische Behandlungserfahrungen mit einem durchschnittlichen Alter bei der Erstbehandlung von 31 Jahren. Die Komorbiditätsraten bei den untersuchten Personen dieses Projektes liegen leicht über repräsentativen Studien mit Fallzahlen zwischen 6000 und 21000 Personen (Kessler et al., 2004; Alonso et al., 2004). Dort wurden bei Vorliegen von Störung durch Alkohol in 45% und bei Drogenstörungen in 72% der Fälle weitere psychische Störungen ermittelt 4.4.4. Behandlungsempfehlungen Vier Wochen nach Durchführung des diagnostischen Abklärungsgespräches wurde von der Suchtberatungsstelle erhoben, welchen Empfehlungen die Probanden gefolgt sind. Fast allen untersuchten Probanden wurde empfohlen, die Suchtberatung fortzusetzen (N=34; 92%). Darüber hinaus wurde fast der Hälfte der Probanden empfohlen (N=16; 43%), sich in eine qualifizierte Entzugsbehandlung zu begeben. Insbesondere bei Vorliegen von komorbiden Störungen wurde die zusätzliche psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Dies betraf ca. die Hälfte der untersuchten Probanden (N=20; 54%). Bei Vorliegen von somatischen oder neurologischen Problemen wurde empfohlen, den Hausarzt oder einen somatischen Facharzt aufzusuchen (N=3; 8%). Alle Probanden folgten der Empfehlung, den somatischen Facharzt aufzusuchen. In fast 90% wurde die Suchtberatung fortgesetzt. Jedoch folgten nur 2 Probanden, d.h. knapp über 10%, der Empfehlung zur Aufnahme einer Entzugsbehandlung. Lediglich 8 Probanden, d.h. 40%, begaben sich in psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung (Tabelle, s. Anhang). Behandlungsempfehlungen Suchtberatung 54% 92% Entzugsbehandlung 43% PPT*-Behandlung *PPT=Psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung Wahrnehmung der Behandlungsempfehlung 4 Wochen nach ärztlichem Gespräch 40% Suchtberatung 88% 12.5% Entzugsbehandlung PPT*-Behandlung *PPT=Psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 9 5. Schlussfolgerungen Die Ergebnisse der Erhebungen des Projektes Differenzierung II zeigen einerseits die Vielfalt, andererseits auch die Niederschwelligkeit der Angebote der Suchtberatungsstellen auf. Personen mit einer komorbiden psychischen Störung und/oder einer Abhängigkeitserkrankung könnten aus fachlicher Sicht in das medizinische Suchthilfesystem integriert werden. Allerdings zeigt sich in der Auswertung, dass nur wenige Menschen, welche betroffen sind, das Angebot des psychiatrischen Suchthilfesystems wahrnehmen. Ein Vorteil der Leistungsangebote der Suchtberatungsstellen liegt darin, dass Menschen erreicht werden, welche sich auf dem Weg in einen problematischen Konsum oder in eine Abhängigkeit befinden bzw. welche noch nicht bereit sind, sich in das psychiatrischsuchttherapeutische Leistungsangebot zu begeben. Darüber hinaus entlasten die Suchtberatungsstellen sowohl die stationären als auch die ambulanten Leistungsträger durch ihre Angebote und stellen für die Angehörigen die einzige Anlaufstelle dar, unabhängig von den süchtigen Personen Hilfe und Unterstützung zu erhalten. 6. Anhänge 6.1. Charakterisierung der Gesamtstichprobe Stichprobe, Ein- und Ausschluss Anzahl 276 138 / 138 % von N=276 Gesamtstichprobe Aarau / Baden Psychiatrische Vor- Mitbehandlung 62 22% Einschluss in Evaluation, gesamt Diagnostisches Abklärungsgespräch Nicht erschienen von N=58 Abgelehnt von N=58 58 37 6 15 21% 13% 10% 26% Ausschluss Nur ein Gespräch Minderjährige, Abklärungen Jugendlicher Massnahmen, Bewährungshilfe Aufträge Strassenverkehrsamt Angehörige Gruppen Nicht zugeordnet 156 17 20 57% 6% 7% 3 5 65 41 5 1% 2% 24% 15% 2% *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 10 Ausgeschlossene Klienten Hauptproblemsubstanz/Hauptproblemverhalten Anzahl Cannabis 71 Alkohol 37 Spielsucht 25 Kokain 4 Heroin 2 Andere 17 6.2. % von N=156 45% 24% 16% 3% 1% 11% Charakterisierung der Klienten mit psychiatrischer Vor- und Mitbehandlung Psychiatrische Vor- und Mitbehandlung Hauptproblemsubstanz/Hauptproblemverhalten Anzahl Alkohol 38 Heroin 8 Spielsucht 7 Cannabis 5 Kokain 2 Andere 2 % von N=62 61% 13% 11% 8% 3% 3% Psychiatrische Vor- und Mitbehandlung Psychiatrische Störungsbilder Anzahl Schizophrenien und Psychosen 2 Depressive Störungen 10 Traumatische Störungen 5 Persönlichkeitsstörungen 4 % von N=62 3% 16% 8% 7% 6.3. Charakterisierung der Klienten mittels diagnostischem Abklärungsgespräch Problemsubstanzen/Problemverhalten Substanz/Verhalten Abhängigkeit Schädlicher (%) Gebrauch (%) Alkohol 12 (32%) 5 (14%) Tabak Benzodiazepine Heroin Kokain Cannabis 25 (68%) 1 (3%) 4 (11%) 6 (16%) 7 (19%) Spielsucht 3 (8%) *Durchschnittswerte 2 (5%) 2 (5%) *Dauer *Menge Abhängigkeit pro Tag in Jahren 10 119 g EtOH 22 21 Zig. *Alter Erstbehandlung 14 7 14 22 Jahre 28 Jahre 24 Jahre 5 0.5 g 2.25 g 2 Joints 38 Jahre 36 Jahre 39 Jahre *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 11 Verdachtsdiagnosen nach ICD-10 Mehrfachdiagnosen möglich Depressionen - leichte - Mittelgradige - Rezidivierend - Zyklothymie - Dysthymie Bipolar affektive Störung Anpassungsstörungen Posttraumatische Belastungsstörungen Angststörungen Zwangsstörungen Magersucht ADHS Persönlichkeitsstörungen - Narzissstische - Emotional instabile - Ängstlich vermeidende - Abhängige - Kombinierte Anzahl N=26 14 7 3 2 1 1 1 2 3 1 1 1 2 12 5 1 4 1 1 % von Gesamt 37.8 2.7 5.4 8.2 2.7 2.7 2.7 5.4 32.4 Behandlungsempfehlungen nach diagnostischem Abklärungsgespräch und Wahrnehmung der empfohlenen Massnahmen 4 Wochen nach diagnostischem Abklärungsgespräch Empfohlen N (%) Wahrgenommen N (% von empfohlen) Suchtberatung 34 (92) 30 (88) Entzugsbehandlung 16 (43) 2 (12.5) Entwöhnungsbehandlung 14 (38) 2 (14) Psychiatrisch20 (54) 8 (40) psychotherapeutische Behandlung Andere Ärzte 3 (8) 3 (100) 6.4. Literatur ECA (Epidemiologic Catchment Area Study): N = 14480 (Regier et al., 1990); ESEMeD (European Study of the Epidemiology of Mental Disorders project: 12-Monats-Prävalenz; N= 21425 (Alonso et al., 2004) NCS/-R (National Comorbidity Survey /Replication/ Study): N = 9282 / 5692 (Kessler et al., 2004) MRI, 2016-02-01 *Zur vereinfachten Lesbarkeit wird in diesem Text lediglich die männliche Form verwendet 12