Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW “Der Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern – Paare mit unerfülltem Kinderwunsch auch in NRW unterstützen!“ (Anhörung von Sachverständigen des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend und des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation am 10.10.2013) 16 STELLUNGNAHME Antworten auf den Fragenkatalog 16/1061 Alle Abg 1. Welche Unterstützung brauchen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch? In welcher Form und von welcher Seite sollte Ihnen Beratung und Unterstützung gegeben werden? ● Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch sollte eine flächendeckende Versorgung an psychosozialer und psychologischer Beratung zur Verfügung gestellt werden. Eine von ärztlicher Seite angebotene medizinische Beratung umfasst insbesondere nicht die Aufarbeitung innerpsychischer und paardynamischer Konfliktlagen, die schon vor, während und nach einer Kinderwunschbehandlung zu einer schwerwiegenden Belastung werden können. ● Psychosoziale Beratung sollte sowohl fest in das Angebotsspektrum der Kinderwunschzentren aufgenommen werden, als auch in unabhängigen Beratungsstellen, insbesondere den Schwangerschaftskonfliktberatungstellen, durch qualifizierte Fachkräfte erfolgen und finanziert werden. Insbesondere Schwangerschaftsberatungsstellen, aber auch die Ehe-, Lebens-, Familien- und Schwangerenberatungsstellen halten ein entsprechendes Angebot an Beratung und Begleitung vor. Ein Beratungsangebot bietet im Gegensatz zu einer Psychotherapie einen niederschwelligeren Zugang und unterlässt die Zuschreibung einer Diagnose, die für eine durch Krankenkassen finanziell getragene Psychotherapie eine Voraussetzung darstellt. Hinzu kommt, dass Beratungsstellen durch ihre Arbeitsstruktur eine kurzfristige Terminvergabe ermöglichen können. ● Frauen oder Paare wenden sich in unterschiedlichen Phasen der ungewollten Kinderlosigkeit an Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, angefangen von der Diagnosestellung über die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Behandlungsmöglichkeiten, die Begleitung der Behandlung, die Verarbeitung von Fehlgeburten oder Risikoschwangerschaften bis hin zur Thematisierung und Erarbeitung alternativer Lebensentwürfe. Angefragt wird psychosoziale Seite 1 von 6 Beratung aber auch für die Information über Behandlungsmöglichkeiten, Finanzierungen und über rechtliche Fragenstellungen - auch im Ausland. Beispiele aus der psychosozialen Beratung: „Trauerprozess nach Fehlgeburt“ wie auch „Abschied vom Kinderwunsch“ sind Beratungsthemen, die nicht im ärztlichen Kontext aufgefangen werden können. Die Beratungsstellen halten dieses Angebot vor. Ebenfalls bieten sie Zeit und Fachlichkeit, um Fragestellungen wie „Wen weihen wir ein …“, „Wo liegt unsere Grenze?“ „Wie viele Versuche können wir gemeinsam tragen?“ einzubringen und Antworten zu finden. Sexualität nach Plan und das Warten auf Zeichen einer Schwangerschaft; das doch wieder Einsetzen der Periode - dies kann Beziehungsstörungen verursachen, bei denen eine Beratung hilfreich ist. ● 2. Wie bewerten Sie das Angebot an Beratung und Betreuung im Rahmen der Behandlung derzeit? Es gibt Beratungsstellen, die neben fundierten Fortbildungen im Feld der Psychosozialen Beratung bei Kinderwunsch auch feste Kooperationen mit Kinderwunschzentren haben. Zielsetzung ist bei diesen Kooperationen, dass Paare mit unerfülltem Kinderwunsch frühzeitig – vor der Aufnahme einer Kinderwunschbehandlung – über die Möglichkeit der Beratung und Begleitung durch Beratungsstellen informiert werden. Aus den Beratungsstellen, ob mit oder ohne Kooperationsvertrag mit einem Kinderwunschzentrum, wird berichtet, dass sich ein sehr geringer Prozentsatz der Paare, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, tatsächlich an die Beratungsstellen wendet. Eine ausreichende Aufklärung und Information über die Möglichkeit muss dringend über die Ärzte und Kinderwunschzentren forciert und ausgebaut werden. ● • Der Zugang zur psychosozialen Beratung für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch hat sich in den letzten Jahren verbessert, aber es bestehen nach wie vor große regionale Unterschiede. ● Die Arbeit der Beratungsstellen ist stark unter Druck geraten. Die unabhängigen niedrigschwelligen Angebote der Beratungsstellen werden nachgefragt und werden benötigt, gleichzeitig weitet sich das Aufgabenspektrum der Beratungsstellen aus. Oft kann der Bedarf an Fortbildungen nicht gedeckt werden. ● Engpässe für Ratsuchende bestehen vor allem bei der psychotherapeutischen Versorgung durch niedergelassene PsychologInnen, bei einer krisenhaften Zuspitzung der Situation. Seite 2 von 6 3. Welches sind in der Beratungspraxis die größten Probleme der von unerfülltem Kinderwunsch betroffenen Paare? Wie bewerten Sie die psychische Belastung der Frauen, welche durch eine IVF/ICSI-Behandlung besteht? ● Die Wissenschaft zeigt auf, dass in der Mehrzahl der unerfüllte Kinderwunsch auf die Zeugungsunfähigkeit des Mannes zurückzuführen ist. Diese Männer sind dadurch häufig in ihrem Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt und von Schuldgefühlen geplagt. Nicht anders geht es Frauen, wenn ihre Fruchtbarkeit eingeschränkt ist. Häufig sind die Partnerschaften nach „erfolglosen“ Jahren in einer großen Krise, insbesondere dann, wenn keine alternative Paar- und Lebensperspektive – unabhängig vom Kinderwunsch- existiert. Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit sind Gefühle, von denen die Betroffenen oft ummantelt werden. ● Durch die Möglichkeit der IVF/ICSI-Behandlung wird in vielen Paaren eine häufig unerfüllbare Erwartung geschürt. Die labile psychische Verfassung wird in vielen Fällen zusätzlich destabilisiert, wenn der erste Versuch nicht zum gewünschten Erfolg führt. Die daraus resultierenden Trauer- und Leidenssituationen sind gepaart mit immenser Angst vor dem Misslingen weiterer Versuche. Oft wird diese (wiederkehrende) Erfahrung als eine kaum zu ertragende Tortur beschrieben. Druck und Panik steigen mit jedem gescheiterten Versuch und bringen das Paar an die eignen Grenzen. ● In der Literatur ist zu lesen, dass selbst nach mehreren Versuchen lediglich bei 35% der Paare ein Kind bzw. Mehrlinge geboren werden. Um einiges häufiger treten Schwangerschaften ein, die mit einer Fehlgeburt enden. Viele Paare und Frauen sind nicht auf die Möglichkeit einer Fehlgeburt eingestellt. Sie sind unvorbereitet vor die Situation gestellt, den Tod ihres Wunschkindes zu betrauern. Dieser Trauerprozess wird zu selten professionell begleitet – u. a. weil die Kliniken selber dafür keinen ausreichenden „Raum“ und Fachkenntnis bereitstellen und andererseits zu selten auf die EFL- und SKB Beratungsstellen hinweisen. ● Nicht zu unterschätzen ist auch die finanzielle Belastungssituation der Paare. In vielen Fällen müssen Kredite für die IVF/ICSI-Behandlung aufgenommen werden und damit ist auch die Gefahr der Überschuldung gegeben. Dadurch wird ein Teufelskreis hervorgerufen: In der Zeit der Versuche und den damit einhergehenden (Paar-)Probleme wäre es angemessen sich selber und der Paarbeziehung etwas Gutes zu tun. Jedoch sind Urlaubsreisen, Essen gehen oder Kinobesuche auch mit Kosten verbunden, die mit der Kreditaufnahme nicht mehr ohne Weiteres zu vereinbaren sind. ● Ein unerfüllter Kinderwunsch stellt eine hohe psychische Belastung auch für gleichgeschlechtliche Paar dar. Hinzu kommt die rechtliche Situation, die eine legale Erfüllung des Kinderwunsches in Deutschland unmöglich macht. Seite 3 von 6 4. Welche grundsätzliche Haltung haben die christlichen Kirchen zur künstlichen Befruchtung und den unterschiedlichen Verfahren in diesem Bereich? Die LAG der Freien Wohlfahrtspflege hat die Standpunkte der Kirchen wie folgt zusammen getragen: Seitens der evangelischen Kirche gibt es verschiedene Stimmen. Es gibt auch nach biblischen Texten, keinen Anspruch auf ein (gesundes) Kind. Menschliches Leben ist geprägt von Begrenzungen, Unvollständigkeiten. Gleichzeitig wird ein Leben in der Fülle versprochen, ist der Kinderwunsch eine elementare Lebensäußerung, ein Hoffnungszeichen, gehören auch medizinische Möglichkeiten zum modernen Leben. Eine ethische Diskussion der verschiedenen Methoden und Implikationen ist von Nöten: Invitrovertilisation, Samenspende, Fremdsamenspende – das, was zurzeit nach deutschem Recht möglich ist, wird kirchlicherseits weitgehend akzeptiert. Schwieriger sind die Themen wie Eizellenspende und besonders Leihmutterschaft – dabei besteht das Risiko von Käuflichkeit, außerdem ist wegen der einzigartigen Beziehung zwischen Mutter und Embryo während der Schwangerschaft von gravierenden psychischen Beeinträchti-gungen von Mutter und Kind auszugehen. Die Katholische Kirche hat 2008 die Instruktion „Dignitas personae“ veröffentlicht, eine Auseinandersetzung mit neueren medizinischen Verfahren um Zeugung und Schwangerschaft und den damit auftretenden ethischen Fragen. Das Papier folgt zwei Grundprinzipien: «Der Mensch muss von seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden und infolgedessen muss man ihm von diesem Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Menschen auf Leben». «Der Ursprung des menschlichen Lebens hat. seinen authentischen Ort in Ehe und Familie, wo es durch einen Akt gezeugt wird, der die gegenseitige Liebe von Mann und Frau zum Ausdruck bringt. Eine gegenüber dem Ungeborenen wahrhaft verantwortliche Zeugung muss die Frucht der Ehe sein». Katholische Positionen sind nicht vereinbar mit In-Vitro-Fertilisation (wegen der überzähligen Embryonen), Fremdspenden von Samen- oder Eizellen und Leihmutterschaft, weder für verheiratete noch unverheiratete noch gleichgeschlechtliche Paare. Der „Akt der gegenseitigen Liebe“ schließt außerdem einen technischen Zeugungsakt unter Mitwirkung von z. B. Ärzten aus; ein medizinischer Eingriff kann danach allenfalls den ehelichen Akt unterstützen, „indem er seinen Vollzug erleichtert oder ihm sein Ziel zu erreichen hilft, sobald er in normaler Weise vollzogen worden ist“ (z.B. Hormontherapie). Siehe http://www.pthv.de/fileadmin/user_upload/PDF_Theo/Ethikrat/VE_183.pdf Seite 4 von 6 Die Christlichen Frauenverbände haben sich in der Stellungnahme “PID-Wir sagen nein” deutlich gegen PID ausgesprochen. http://www.evangelischefrauen-deutschland.de/images/stories/efid/Ethik /PID%20-%20Wir%20sagen%20Nein.pdf Sicher existieren in NRW weitere Positionen von Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften. Wir regen an, diese zu recherchieren und in die Diskussion aufzunehmen. 5. Gibt es gesundheitliche Probleme bzw. Risiken bei künstlichen Befruchtungen für Frauen und Kinder, falls ja, welche (evtl. vorhandene statistische Daten bitte anfügen)? Medizinische Gründe liegen vor, wenn bei der Frau eine schwere Grunderkrankung vorliegt, bei der eine Kontraindikation für eine Schwangerschaft besteht. Nach heutigem Wissenstand ist eine HIV-Infektion keine Kontraindikation mehr. Wie bei anderen Behandlungen sollte ein Indikationskatalog geprüft und festgelegt werden, z. B. Gewicht, Altersbegrenzung, Nikotinabusus usw. 6. Gibt es Gründe für eine Beschränkung auf verheiratete Paare? Wenn ja, welche wären das? Welche medizinischen Gründe gibt es, Reproduktionsmedizin auf bestimmte Paare zu beschränken? Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege beurteilen diese Frage unterschiedlich. Die Caritasverbände schließen sich diesbezüglich der Argumentation der katholischen Kirche an (vgl. „Dignitas personae“ http://www.pthv.de/fileadmin/user_upload/PDF_Theo/Ethikrat/VE_183.pdf) Die Diakonie und die anderen Wohlfahrtsverbände sprechen sich gegen eine Beschränkung auf verheiratete Paare aus. 7. Wie stellt sich die Situation für gleichgeschlechtliche Paare dar, die sich ein Kind wünschen und dazu auf künstliche Befruchtung angewiesen sind? Erhalten sie eine finanzielle Unterstützung seitens der GKV oder aus dem Bundesprogramm? 8. Wie stehen Sie zu einer Ausweitung der Regelung unter Einbeziehung unverheirateter und gleichgeschlechtlicher Paare? Auch hier gibt es keine einheitliche Position der Freien Wohlfahrtspflege. Außer den Caritasverbänden befürworten alle anderen Verbände die Gleichbehandlung unverheirateter und gleichgeschlechtlicher Paare. Die Diakonie schließt sich der EKD an, die aktuell in ihrer Orientierungshilfe zur Familie, die Offenheit und Wertschätzung von anderen Familienformen betont. D. h auch Seite 5 von 6 unverheiratete und gleichgeschlechtliche Kinderwunschbehandlung unterstützt werden. Paare sollten finanziell bei der Der Paritätische und die AWO halten eine Ausweitung auf alle Menschen mit Kinderwunsch für sinnvoll, unabhängig von ihrer Lebensform. Auch alleinstehende Frauen und Männer haben ein Recht auf Unterstützung bei der Verwirklichung ihres Kinderwunsches. Unverheiratete Männer und Frauen sollten bei Adoptionen berücksichtigt werden. 9. Wie erfolgreich ist die Behandlung im Vergleich mit dem natürlichen Weg für ein Paar schwanger zu werden? 10. Warum ist die Zahl der von der Gesetzlichen Krankenversicherung anteilig finanzierten assistierten Reproduktionen auf 3 begrenzt? Wie hat sich die Zahl der Behandlungen seit der Kappung der Finanzierung durch GKV von 4 auf 3 Behandlungen entwickelt? 11. Die hier diskutierte Unterstützung der ungewollt kinderlosen Paare aus Steuermitteln ist mit Kosten für das Land Nordrhein-Westfalen verbunden. Wie bewerten Sie das? Angesichts der begrenzten finanziellen Mittel sollte eine Ausweitung der Kostenübernahme einkommensabhängig erfolgen. 12. Wie sind die Erfahrungen in anderen Bundesländern mit dem Bundesprogramm zur künstlichen Befruchtung? 13. Wie hoch sind die Kosten der Behandlung, und können sich ärmere Paare, die auf sie entfallende anteilige Finanzierung leisten? 14. Aus welchen Gründen haben Bundesregierung und Bundestagsmehrheit das vom Bundesrat 2012 beschlossene Kinderwunschförderungsgesetz (Bundestags-Drucksache 478/11) zu einer bundesgesetzlich verbindlichen finanziellen Entlastung von einkommensschwachen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch abgelehnt? Wuppertal, 12.09.2013 Seite 6 von 6