SFU M3 Borderline 2016 SFU- Differenzielle Krankheitslehre M3: Der Schmerz, Borderline zu sein Studie: „The Pain of Being Borderline“ (Mary Zanarini et al.1998) Borderline Befragung von Borderline- Patienten mit 50 Items dysphorischer Gedanken und Gefühle. Ergebnis: Bei allen Items höherer Wert als Patienten ohne BPS (Borderline- Persönlichkeitsstörung) •z.B.: sich überwältigt (overwhelmed), wertlos, sehr zornig, einsam, mißverstanden fühlen Noch aufschlußreicher: sehr hohe Werte für Leiden, die bei anderen Pat. vergleichsweise seltener vorkommen: •s. verlassen (abandoned), sich wie ein kleines Kind, betrogen fühlen •außer Kontrolle, böse, schlecht (evil) sein, •sich selbst verletzen oder töten Dr. Thomas Barth, 23/24.9.2016 Was macht eine „gesunde“ Persönlichkeit aus? gesund in diesem Kontext= Abwesenheit einer Persönlichkeitsstörung Vgl. Gunderson & Links (2008: S. 13) Was macht eine gesunde Persönlichkeit aus? Bereiche Fähigkeit Wie Bereiche Was Wie 1. Identität Selbst und andere wahrnehmen vielschichtig, stabil, akkurat 5. Wertesystem, Moral Über-Ich Ich-Ideal integriert, konsistent, reif 2. Objektbeziehungen Beziehungen zu anderen intim, stabil, zufrieden 6. Realitätsprüfung allgemein gültige Realität 3. Affekttoleranz Affekte erleben, aushalten gesamtes Spektrum altersadäquat Realität anerkennen (wenn auch nicht immer damit konform gehend). Intakt 7. Ich-Stärke, Resilienz Stress, Schmerz Affekte, Impulse regulieren/ steuern Copingstrategien, Abwehrmechanismen reif, differenziert, flexibel, situationsadäquat Ressourcenvoller Umgang ohne unangemessene Schwierigkeiten 4. Affektregulierung Vgl. „Psychodynamic Diagnostic Manual“ (PDM) 2006: , S. 22, adaptiert: T.Barth, 1/2 Vgl. „Psychodynamic Diagnostic Manual“ (PDM) 2006: , S. 22, adaptiert: T.Barth, 2/2 1 SFU M3 Borderline 2016 Persönlichkeit Aspekte der Identität = Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen. Das Konstrukt „Persönlichkeit“ beinhaltet Merkmale des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens sowie der interpersonellen Beziehungsgestaltung Vgl. „Psychiatrie und Psychotherapie“ Markus T. Gaspar, Siegfried Kasper, Michael Linden (1996: S. 217) Aspekte der Identität- lebenslange Prozesse Bereiche Beschreibung Körperbild Körpergefühl, -einschätzung: realistisch, intakt Selbstkonstanz Anpassung in verschiedenen Situationen ohne innere Kontrolle zu verlieren Zeitstabilität Kontinuität als Person über die Zeit, realistisches Zukunftsbild Authentizität Echtheit: die Person, die man wirklich ist (vs. „falsches Selbst“) Abgegrenztheit Eigene Affekte, Gedanken, Impulse werden sich selbst zugeordnet, Subjekt- Objekt- Abgrenzung Geschlecht Integrierte Geschlechtsidentität, -rolle, sexuelle Orientierung Einstellungen Verhaltensweisen Werte, religiöse Haltung, Gruppenzugehörigkeiten, kulturell, ethnisch, historisch, Verhalten in Übereinstimmung mit Selbstbild • „idem“ (lat. „derselbe“, „der gleiche“) Summe der Merkmale, anhand derer sich ein Mensch von anderen unterscheiden lässt • Stabilität des Wesens, konsistente, authentische Wahrnehmung von sich selber in verschiedenen Kontexten über die Zeit Dammann et al. In: Dulz et al. (2011: S. 276-277) 1/2 Persönlichkeitszüge Einzelne Persönlichkeitszüge („traits“), ohne aber gleich die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung zu erfüllen • Bsp: Probleme mit Nähe und Sich-Einlassen Schüchternheit, niedriges Selbstwertgefühl Arbeitsstörung (z.B. Arbeit nicht fertig machen können) •Z73.1: Akzentuierung von Persönlichkeitszügen (ICD-10) z.B. „Typ-A-Verhalten“ → Verhaltensmuster, charakterisiert durch zügellosen Ehrgeiz, starkes Erfolgsstreben, Ungeduld, Konkurrenzdenken und Druckgefühl Vgl. Dammann et al. In: Dulz et al. (2011: S. 276-277) 2/2 2 SFU M3 Borderline 2016 Beziehung zwischen Persönlichkeitszügen u. Symptomen Persönlichkeitszüge Symptome „Ich-synton“ (Ich-zugehörig) „Ich-dyston“ (Ich-fremd) (rel.) dauerhaft (rel.) vorübergehend „So bin ich halt“ „Ich habe diese Beschwerden“ „bitte weg damit ...“ Spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60) • schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens • nicht direkt auf eine Hirnschädigung/ -krankheit oder andere psychische Störung zurückführbar • verschiedene Persönlichkeitsbereiche betroffen • ausgeprägtes persönliches Leiden • soziale Beeinträchtigungen • Beginn in Kindheit/ Adoleszenz, Weiterbestehen im Erwachsenenalter → unterschiedliche Grade des Erlebens, der Bewußtheit ICD-10 = International Classification of Mental and Behavioral Disorders, Taschenführer (2011: S. 234) Diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (F60) G1. Deutliche Abweichungen von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben („Normen“) der charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster der betreffenden Personen in > 1 der folgenden Bereiche: 1. Kognition (Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und Ereignissen; entscheidende Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen) 2. Affektivität (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion) 3. Impulskontrolle und Bedürfnisbefriedigung 4. Art des Umgangs mit anderen Menschen, Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen ICD-10 (2011: 235) 1/4 Diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (F60) G2. Abweichungen sind so ausgeprägt, dass daraus resultierendes Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst bzw. unzweckmäßig ist (nicht begrenzt auf einen speziellen auslösenden Stimulus oder eine bestimmte Situation) G3. dadurch persönlicher Leidensdruck oder/ und nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt G4. Nachweis, dass 1. Abweichungen stabil und von verlängerter Dauer sind 2. Beginn in später Kindheit/ Adoleszenz ICD-10 (2011: 235) 2/4 3 SFU M3 Borderline 2016 Diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (F60) G5. Abweichungen können nicht erklärt werden durch Vorliegen einer anderen psychischen Störung des Erwachsenenalters (bzw. als Folge einer solchen) Episodische oder chronische Zustandsbilder (Kapitel F0-F5, F7) können aber neben dieser Störung existieren oder sie überlagern F0= Organische einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1= Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2= Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3= Affektive Störungen F4= Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5= Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (z.B. Essstörungen) F7= Intelligenzminderung ICD-10 (2011: 235) 3/4 Klinische Symptombilder • • • • • • • • • • • Diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (F60) G6. Ausschluss von organischer Erkrankung, Verletzung oder deutlicher Funktionsstörung des Gehirns als mögliche Ursache der Abweichungen (F07: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns) ICD-10 (2011: 235) 4/4 Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen Paranoide PS (F60.0) Schizoide PS (F60.1) Dissoziale PS (F60.2) Emotional instabile PS (F60.3) • F60.30 impulsiver Typ • F60.31 Borderline Typ Histrionische PS (F60.4) Anankastische (zwanghafte) PS (F60.5) Ängstliche (vermeidende) PS (F60.6) Abhängige (asthenische) PS (F60.7) Andere spezifische PS (F60.8) z.B. narzisstische PS (F60.80) Nicht näher bezeichnete PS (F60.9) Kombinierte PS (F61) Übergänge zwischen den einzelnen Symptombildern oft fließend ICD-10 (2011: 236-247) (nach Schmeck et al., 2009, cf. Dr. Marc Allroggen, Univ. Klinik Ulm 2011) 4 SFU M3 Borderline 2016 Emotional instabile PS, impulsiver Typ (F60.30) Emotional instabile PS, Borderline Typ (F60.31) • A. allgemeine Kriterien einer PS müssen erfüllt sein • A. allgemeine Kriterien einer PS müssen erfüllt sein • B. min. 3 der folgenden Eigenschaften • B. min. 3 der Eigenschaften einer impulsiven PS + min. 2 der folgenden: (darunter muss Item Nr. 2 sein) 1. deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln 2. deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden 3. Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt, Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens 4. Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden 5. unbeständige und launische Stimmung ICD-10 (2011: 241) Borderline PS nach DSM-V (301.83) • Tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität • Beginn im frühen Erwachsenenalter • Das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen • Min. 5 von insgesamt 9 Kriterien: DSM-V = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders American Psychiatric Association, Washington DC 1. Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und „inneren Präferenzen“ (einschließlich sexueller) 2. Neigung, sich auf intensive aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit Folge von emotionalen Krisen 3. übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden 4. wiederholt Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung 5. anhaltende Gefühle von Leere ICD-10 (2011: 241 f.) Borderline PS nach DSM-V (301.83) 1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden 2. Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, gekennzeichnet durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung 3. Identitätsstörung: Ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung 4. Impulsivität in min. 2 potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“) 5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen/drohungen oder Selbstverletzungsverhalten DSM-V (2015:, S.908-914) 5 SFU M3 Borderline 2016 Borderline PS nach DSM-V 6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung 7. Chronisches Gefühl von Leere 8. Unangemessene, heftige Wut bzw. Schwierigkeiten, diese zu kontrollieren 9. Vorübergehende durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome DSM-V, S. 908-914 Diagnostische Merkmale Ad 1. verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden • Wahrnehmung drohender Trennung, Zurückweisung bzw. Verlust äußerer Struktur kann zu grundlegenden Veränderungen des Selbstbildes, der Affekte, des Denkens und des Verhaltens führen • Sehr empfindlich gegenüber Einflüssen aus ihrer Umgebung • Trennungs- und Verlassensängste auch schon bei realistischen, zeitlich begrenzten Trennungen (Angst/Wut bei Ende Therapiestunde, Urlaub, Verspätungen, Planänderungen etc.) Vgl. DSM-V, S. 909 1/10 Diagnostische Merkmale Diagnostische Merkmale Ad 1. verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden Ad 2. Muster instabiler aber intensiver Beziehungen • Neigung zur Annahme, dass Verlassen werden „Ich bin böse/ schlecht“ bedeutet • Unfähigkeit, alleine zu sein → Bedürfnis, andere Menschen bei sich zu haben → Aus dieser Verzweiflung Tendenz zu – impulsiven Handlungen (vgl.4) – Selbstverletzungen (vgl.5.) – suizidalem Verhalten (vgl.5.) Vgl. DSM-V, S. 910 2/10 • Neigung, mögliche Bezugspersonen, LiebhaberInnen bereits nach der ersten oder zweiten Begegnung zu idealisieren • Neigung, viel gemeinsame Zeit einzufordern • Neigung zur Mitteilung intimer Einzelheiten bereits am Anfang einer Beziehung Vgl. DSM-V, S. 910 3/10 6 SFU M3 Borderline 2016 Diagnostische Merkmale Diagnostische Merkmale Ad 2. Muster instabiler aber intensiver Beziehungen Ad 3. Identitätsstörung (deutlich und andauernd instabiles Selbstbild/ instabile Selbstwahrnehmung) • Plötzliches Umschlagen von Idealisierung in Entwertung (der/die andere kümmert sich nicht genug um mich, „gibt“ mir nicht genug, ist nicht genug „da“) • Einfühlsamkeit und Fürsorglichkeit nur unter der Erwartung, dass die andere Person dann auch zur Erfüllung eigener Wünsche und Bedürfnisse zur Verfügung steht • Plötzliche dramatische Änderungen der Sichtweise von anderen Andere Personen werden einmal als wohltätig unterstützend, dann als grausam bestrafend erlebt → Wechsel spiegeln Enttäuschungen mit (frühen) Bezugspersonen wider: zuerst wurden sie idealisiert, dann von ihren abgelehnt oder verlassen • Plötzliche dramatische Wechsel im Selbstbild: Veränderungen von Zielsetzungen, Wertvorstellungen und Berufswünschen • Unvermutete Veränderungen von Meinungen und Planungen hinsichtlich Berufsweg, sexueller Orientierung, Wertvorstellungen und der Art der Freunde • Unvermittelte Rollenwechsel (z.B. vom bedürftigen, Hilfe suchenden Bittsteller zum selbstgerechten Rächer vergangener Vernachlässigung/ Mißhandlung) Vgl. DSM-V, S. 910 4/10 Vgl. DSM-V, S. 910 5/10 Diagnostische Merkmale Diagnostische Merkmale Ad 3. Identitätsstörung (deutlich und andauernd instabiles Selbstbild/instabile Selbstwahrnehmung) Ad 5. Wiederholte suizidale Handlungen, Drohungen und Andeutungen Selbstmord bzw. Selbstverletzungsverhalten (Schneiden, Brennen) •Im Selbstbild oft „böse“, „schlecht“ oder „sündig“ •auch Gefühl, überhaupt nicht zu existieren, z.B. wenn erlebter Mangel an wichtigen Beziehungen, versorgt sein und Unterstützung → schlechtere Leistungen unter unstrukturierten Lern- und Arbeitsbedingungen • •Ad 4. Impulsivität in min. 2 potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“) Vgl. DSM-V, S. 910 6/10 • • 8-10 % vollendete Suizide; Selbstmordandrohungen und – versuche sehr häufig (oft Anlass, Hilfe zu suchen) Auslöser: z.B. drohende / erlebte Trennung, Zurückweisung oder Erwartungen anderer, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen SVV oft im Rahmen von dissoziativen Erfahrungen (9.) Entlastung, Spannungsabfuhr, Bestätigung fühlen zu können, Buße für das Gefühl des Schlechtseins Vgl. DSM-V, S. 910 7/10 7 SFU M3 Borderline 2016 Diagnostische Merkmale Diagnostische Merkmale Ad 6. Affektive Instabilität infolge ausgeprägter Reaktivität der Stimmung (hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Vertimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern) Ad 8. Unangemessene, heftige Wut bzw. Schwierigkeiten, diese zu kontrollieren (häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen) •Grundgefühl der Dysphorie, häufig unterbrochen durch Perioden von Wut, Angst, Panik, Verzweiflung •Ausdruck extremer Reaktivität gegenüber zwischenmenschl. Belastungen •nur selten dazwischen Gefühle der Zufriedenheit und des Wohlbefindens • • • • Ad 7. chronische Gefühle der Leere Langeweile, u.U. ständig auf der Suche danach, etwas zu tun Vgl. DSM-V, S. 911 8/10 Diagnostische Merkmale Ad 9. Vorübergehende durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome (z.B. Depersonalisation, Verzerrung des Körperbildes, Beziehungsideen, hypnagoge Phänomene, Halluzinationen) •Gewöhnlich von geringem Ausmaß und kurzer Dauer (Minuten bis Stunden, keine zusätzliche Diagnose notwendig) •Überwiegend als Reaktion auf tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden •Tatsächliche oder wahrgenommene Rückkehr der Bezugsperson kann zur Rückbildung der Symptome führen Vgl. DSM-V, S. 911 9/10 Zugehörige Merkmale zur Diagnosesicherung • • • • • • Vgl. DSM-V, S. 911 10/10 Neigung zu extremen Sarkasmus, anhaltender Verbitterung, verbalen Ausbrüchen Wut oft dann, wenn Bezugsperson/ Partner als vernachlässigend, verweigernd, nicht fürsorglich oder zurückweisend erlebt wird Nach der Wut: häufig Scham-, Schuldgefühle Gefühle schlecht zu sein Neigung sich selbst zu untergraben, wenn ein Ziel gerade verwirklicht werden könnte (Schulabgang kurz vor Abschluss, schwere Regression nach einer „ guten“ Therapiestunde, Abbruch guter Beziehungen dann, wenn sie von Dauer sein könnten) u.U sicherer mit Übergangsobjekten als mit Menschen (Tiere, Gegenstände etc.) Sehr früher Tod dann, wenn gleichzeitig depressive Störungen oder Substanzmissbrauch Körperliche Behinderungen oft Folge von Selbstmordversuchen bzw. selbstverletzenden Verhalten Häufig wiederholter Stellenverlust, Ausbildungsunterbrechungen, Abbrüche, Trennungen, Scheidungen In der Kindheit oft sexueller Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung, feindselige Konflikte, frühe Trennungen, Verluste (Tod wichtiger Bezugspersonen) Vgl. DSM-V, S.911 8 SFU M3 Borderline 2016 Kulturelle Besonderheiten • Borderline-Verhaltensmuster können überall in der Welt unter verschiedenen kulturellen Bedingungen beobachtet werden • Jugendliche und junge Erwachsene können Verhaltensweisen zeigen, die irrtümlicherweise den Eindruck einer BPS vermitteln (z.B. Identitätskrisen + Drogen) • Merkmale: emotionale Instabilität, Sinnkrisen, Unsicherheit, ängstigende Entscheidungskonflikte, Unsicherheit in der sexuellen Orientierung, Berufswahl etc. BPS-Prävalenz • 1,6% gemessen an der Allgemeinbevölkerung („könnte aber auch bei 5,6% liegen“, vgl. DSM-V, S.912) • 6% in der Primärversorgung • 10% bei ambulanten, 20% bei stationären psychiatrischen Pat. • Ca. 75% der BPS- Diagnosen sind Frauen • Prävalenz der BPS kann im Alter abnehmen Vgl. DSM-V , S. 912 Entwicklung und Verlauf Oft recht unterschiedlicher Verlauf, am häufigsten: • Muster chronischer Instabilität im jungen Erwachsenenalter – Phasen mit schwerwiegendem affektiven und impulsiven Kontrollverlust – Häufige Inanspruchnahme allgemeiner Einrichtungen des Gesundheitswesens und spezieller psychiatrischer Institutionen – Störungsbedingte Beeinträchtigungen und Suizidgefahr im jungen Alter am größten • Abnahme der Intensität im Alter (ab 30.-40. Lj) Neigung zu intensiven Emotionen, Impulsivität und Intensität in Beziehungen bleibt aber oft bestehen • Katamnese psychiatrischer Tageskliniken: Nach 10J bei ca. 50 % kein Verhaltensmuster mehr, das Borderline- Kriterien vollständig erfüllt Vgl. DSM-V, S. 912 BPS Symptome- Merkhilfe (n. Marsha M. Linehan) Akronym: „AM SUICIDE“ Abandonment Mood Swings Suicide Unstable relationships Identity Control of anger Impulsivity Dissociation Emptiness (Angst vor) Verlassenwerden Stimmungsschwankungen Selbstmord Instabile Beziehungen Identität (Identitätsdiffusion) Kontrolle von Wut (mangelnde) Impulsivität (Durchbrüche) Dissoziation Leere Vgl. DSM-V, S. 912 9 SFU M3 Borderline 2016 Vergleich „gesunde“ Persönlichkeit / Borderline Vergleich „gesunde“ Persönlichkeit / Borderline Bereiche gesund Borderline 1. Identität integriert, konsistent, reif Identitätsdiffusion integriert, konsistent, reif 2. Objektbeziehungen intim, stabil, zufrieden oft chronisch chaotisch intim, stabil, zufrieden 3. Affekttoleranz Affekte erleben, aushalten gesamtes Spektrum altersadäquat oft schwer eingeschränkt 4. Affektregulierung Copingstrategien, Abwehrmechanismen reif, differenziert, flexibel, situationsadäquat unreif, undifferenziert, unflexibel, untersteuert, nicht situationsadäquat 5. Wertesystem, Moral integriert, konsistent, reif unintegriert, unreif, inkonsistent bis antisozial 6. Realitätsprüfung Realität anerkennen (wenn vorhanden, oft verzerrt/ auch nicht immer damit geschwächt konform gehend) 7. Ich-Stärke, Resilienz Ressourcenvoller Umgang ohne unangemessene Schwierigkeiten Bereiche gesund 1. Identität 2. Objektbeziehungen 3. Affekttoleranz gesamtes Spektrum altersadäquat 4. Affektregulierung Copingstrategien, Abwehrmechanismen reif, differenziert, flexibel, situationsadäquat 5. Wertesystem, Moral integriert, konsistent, reif 6. Realitätsprüfung Realität anerkennen (wenn auch nicht immer damit konform gehend) 7. Ich-Stärke, Resilienz Ressourcenvoller Umgang ohne unangemessene Schwierigkeiten Borderline? maladaptiv, ausgeprägte Schwierigkeiten Vgl. PDM 2006: , S. 22, adaptiert: T.Barth BPS: Komorbiditäten mit anderen Störungen Komorbidität mit anderen PS • Depressive Erkrankungen (ca. 96 %) • Angststörungen (ca. 80 %) • Dissoziative Störungen (65 %) • Schlafstörungen (70 %) • Störung des Essverhaltens (45 %) • Posttraumatische Belastungsstörung (70 %) • Substanzmissbrauch (64 %) und • Somatoforme Störungen (58 %) • Dependente Persönlichkeitsstörungen (50 %) • Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörungen (40 %) • Paranoide Persönlichkeitsstörungen (40 %) • Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörungen (25 %) • Antisoziale Persönlichkeitsstörungen (25 %) und • Histrionische Persönlichkeitsstörungen (15 %) Zanarini MC et al. (1998) Axis I comorbidity of borderline personality disorder American Journal of Psychiatry, 155 (12) Zanarini MC et al. (1998) Axis II comorbidity of borderline p personality disorder Comprehensive Psychiatry, 39 (5) 10 SFU M3 Borderline 2016 Differentialdiagnose BPS und depressive/ bipolare Störungen • Häufig gemeinsames Vorkommen. Sind Kriterien für beide erfüllt, können auch beide diagnostiziert werden • Querschnittsdiagnose der BPS kann aussehen wie eine Episode in der depressiven oder bipolaren Störung → Wichtigkeit einer Längsschnittdiagnose (über längere Zeit) → Zusatzdiagnose einer BPS meiden, bis gesichert ist, dass das Verhaltensmuster sowohl einen frühen Beginn als auch einen lang andauernden Verlauf aufweist Vgl. DSM-V, S. 913 Differenzialdiagnose BPS und Persönlichkeitsstörungen • Möglich, mehrere Persönlichkeitsstörungen zu diagnostizieren, sofern alle jeweiligen Kriterien erfüllt sind • Wichtig, zwischen den verschiedenen Störungen anhand von Unterschieden in charakteristischen Persönlichkeitsmerkmalen zu differenzieren Vgl. DSM-V, S. 913 Differentialdiagnose BPS und depr. / bipolare Störungen • BPS: anderes Erscheinungsbild als die typischen hypomanischen oder manischen Episoden der Depression • BPS: keine monatelang andauernden, extrem schweren, biologisch bedingten depressiven Episoden • Stimmungsschwankungen in BPS weniger extrem, häufiger und konstanter • BPS: Unreife in der Art der Beschreibung von sich selbst und anderen • 13-15% der Borderline-Pat. leiden auch unter einer affektiven Störung http://borderlinethefilm.com/project/kernberg Differenzialdiagnose BPS und Histrionische PS • ähnlich: Streben nach Aufmerksamkeit manipulatives Verhalten plötzliche Stimmungswechsel • Bei BPS anders: Autodestruktivität wütende Beziehungsabbrüche chronische Gefühle von Leere und Einsamkeit Vgl. DSM-V, S. 913 11 SFU M3 Borderline 2016 Differenzialdiag. BPS und Paranoide PS, Narzisstische PS Differenzialdiagnose BPS und Schizotype PS • ähnlich: paranoide Ideen, Illusionen • ähnlich: wütende Reaktionen auf geringfügige Reize • Bei BPS anders: paranoide Symptome eher vorübergehender Natur eher Reaktionen auf zwischenmenschliche Ereignisse günstige Entwicklung unter äußerer Strukturierung • Bei BPS anders: instabileres Selbstbild häufiger auftretende Autodestruktivität, Impulsivität und Ängste, verlassen zu werden Vgl. DSM-V, S. 913 Differenzialdiagnose BPS und Antisoziale PS • ähnlich: manipulatives Verhalten • andere Motive bei BPS: weniger um Profit, Macht, materielle Vorteile eher, um mehr Zuwendung zu erhalten Vgl. DSM-V, S. 913 Differenzialdiagnose BPS und Dependente PS • Ähnlich: • bei dependenter PS: Reaktion: wachsende Beschwichtigung, Unterwerfung Versuch, Ersatzbeziehung zu finden, um Versorgung und Unterstützung zu sichern • bei BPS: Vgl. DSM-V, S. 913 Angst vor Verlassenwerden Gefühle emotionaler Leere, Wut, Forderungen Muster an instabilen, intensiven Beziehungen Vgl. DSM-V, S. 913 12 SFU M3 Borderline 2016 Differenzialdiagnose BPS und Persönlichkeitsveränderung aufgrund eines anderen medizinischen Krankheitsfaktors • Persönlichkeitsmerkmale sind Folge der Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors auf das Zentralnervensystem (z.B. Schädel-Hirn-Trauma, Tumore, Epilepsie etc.) Differenzialdiagnose BPS und Substanzkonsumsstörungen • Abgrenzung der BPS von Symptomen, die sich im Zusammenhang mit einem persistierenden Substanzkonsum entwickeln Vgl. DSM-V, S. 914 Differenzialdiagnose BPS und Identitätsprobleme • Abgrenzung der BPS von Symptomen im Zusammenhang mit Identitätsunsicherheiten (z.B. in der Adoleszenz) • Schweregrad nicht im Ausmaß einer psychischen Störung Vgl. DSM-V, S. 914 Ad Halluzinationen Halluzinationen = Sinneswahrnehmungen ohne objektivierbare externe Reizgrundlage: sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken • Halluzinationen = unkorrigierbar, vom Pat. als real eingestuft, in der Realität aber nicht existent. Häufigkeit ca. 14 % • Pseudohalluzinationen = korrigierbar. Pat. ist sich Irrationalität der Wahrnehmung bewusst. Keine echten Wahrnehmungsstörungen, keine vollständige sensorische Qualität. Häufigkeit ca. 26 % Vgl. DSM-V, S. 914 Sendera & Sendera 2010: S 15 13 SFU M3 Borderline 2016 Ad Dissoziationen • z.B. bei traumatischen Ereignissen • Schutzmechanismus, der Leid verursacht • Erfahrungen intensiver Angst oder Schreckens können nicht in bestehende kognitive Schemata integriert werden • Diese Erfahrungen werden von der bewussten Wahrnehmung und Kontrolle als Fragmente abgespalten (dissoziiert) • Können sich später als pathologische Mechanismen bemerkbar machen Dissoziative Symptome 1. Derealisation Veränderte Wahrnehmung der Welt: Die Welt ist etwas Fremdes, Verschwommenes, nicht mehr „meine Welt“, Verlangsamung der Zeitwahrnehmung 2. Depersonalisation Veränderte Wahrnehmung der eigenen Person: „Out of body“-Erleben, Dissoziation als Abwehrmechanismus Abwehrmechanismus, da Schutz vor überwältigenden Affekterfahrungen Negative Konsequenzen dieser Abwehr: 1. Grundlegende Veränderung des Selbst- und Identitätsgefühls 2. Störung des Gedächtnisses 3. Störung der Selbst- und Umweltwahrnehmung Ad Flashback(s) = Unwillkürliches Auftreten einer traumatischen Erfahrung nicht als Erinnerung, sondern in Form eines Wiedererlebens im Hier-und-Jetzt → Verlust der bewussten Wahrnehmung der Umwelt, Person erlebt das Trauma von Neuem, wie real sich selbst oder die eigenen Handlungen als etwas Fremdes erlebend „Ich stehe neben mir“, „Ich beobachte mich, wie ich gefoltert, mißbraucht werde“ (z.B. Schmerzabspaltung) 3. Dissoziative Amnesie Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte eines traumatischen Ereignisses zu erinnern: Abspaltung des ganzen Ereignísses oder eines Teiles davon 14 SFU M3 Borderline 2016 Ad Selbstverletzendes Verhalten • • • • • • • Selbstverletzendes Verhalten: Funktionen Schneiden, Ritzen, Stechen durch Scherben, Rasierklingen, Messer.. Verbrennungen (z.B. Zigaretten) Wunden durch Kratzen oder das Aufkratzen alter Wunden Fingernägel abreißen oder abbeißen bis zum Nagelbett Haare ausreißen (Kopf und Körper) Schlagen des Kopfes oder anderer Körperteile an Wände, Tische, ... Schlucken von schädigenden Gegenständen, Substanzen, ... John Gunderson: Borderlne Personality Disorder. A Clinical Guide. 2nd ed. (2005: S. 25) Effekte verschiedener Drogen Drogen- Kreislauf Psycholyse= psychotische Dissoziation des Erlebens „auf der Suche nach einer anderen Welt“ Vgl. Felix Tretter in: Dulz et al. (2011: S. 464) Vgl. Tretter in: Dulz et al. (2011: S. 465) 15 SFU M3 Borderline 2016 Was macht es oft schwer, eine BPS zu erkennen? → oft problematisch zu diagnostizieren/ zu behandeln, da sehr unterschiedlicher Ausdruck möglich: The „quiet borderline“ •Überwiegend wurden/ werden extravertierte, dramatische Varianten von Pers. mit BPS erwähnt • Ǝ auch introvertierte Variante (Sherwood & Cohen 1995) 1. in verschiedenen Bereichen der Affektivität – depressiv – angstvoll – hypomanisch (hoch aufgeladen) 2. in verschiedenen Verhaltensweisen verschiedener Personen Die eine Pers. verletzt sich selber, eine andere nimmt Drogen; eine andere kämpft mit Problemen in Partnerschaften oder im Beruf 3. Störung stellt sich unterschiedlich zu unterschiedlichen Zeiten dar z.B. an einem Tag ein Tief, am nächsten Tag sozial, danach Panik Merkmale: schizoide, gehemmte, depressive Züge kein dramatischer, selbstzerstörerischer Ausdruck, aber: •chronische Verzweiflung •wenig Freude in Liebe und Arbeit •Schwere Probleme in den Bereichen Identität, Beziehungen, Affekttoleranz und –regulation, Resilienz, moralischer Integrität •Nähe zu paranoiden, psychopathischen, narzisstischen, sadistischen, sadomasochistischen hypomanischen, somatisierenden und dissoziativen Persönlichkeitsstörungen Vgl. PDM (2006: S. 24 f.) Vgl. Dr. Keith Gaynor: Embracing Borderline Personality Disorder BPS vs. Störungen des Kindes-und Jugendalters BPS-Symptombereiche Zanarini (1990) Folgende Störungen als unspezifische Vorläufer: • Störungen des Sozialverhaltens (oppositionell, aggressiv, antisozial) • Aufmerksamkeits- Hyperaktivitätsstörung (Trias aus: Aufmerksamkeitsstörung-motorische UnruheImpulsivität) • Depressionen, bipolare Störungen • Posttraumatische Belastungsstörung • „Adoleszentenkrise“ („Identitätskrise“) Anm.: Unterschiedliche Positionen, ob BPS im Kinder- und Jugendalter diagnostiziert werden soll Affektive Instabilität intensive, dysphorische Affekte chronisches Gefühl innerer Leere ausgeprägte aversive Spannungszustände starkes emotionales Schmerzempfinden Wechsel dysphorischer und euthymer Stimmungslagen gestörte Kognitionen überwertige Idee, schlecht und minderwertig zu sein dissoziatives Erleben unter hoher Belastung paranoides Erleben anderen gegenüber Realitätsverkennungen/ pseudopsychot. Symptome Instabilität der Identität Impulsivität SVV, Suiziddrohungen, -handlungen, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, verbale Ausbrüche, Essstörungen instabile, intensive Beziehungen Angst vor dem Verlassenwerden intensive Beziehungen häufige Konflikte, Trennungen, Wiederannäherungen Vgl. Herpertz-Dahlmann & Simons in: Dulz et al (2011: S. 171-176) 16 SFU M3 Borderline 2016 BPS-Verhaltensmuster (n. Linehan 1993) 1/2 BPS-Verhaltensmuster (n. Linehan 1993) 2/2 Muster Ausdruck Muster Ausdruck 1. Emotionale Verletzbarkeit (=umfassende Schwierigkeiten, negative Gefühle zu verarbeiten) •ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber negativen emotionalen Reizen •hohe Gefühlsintensität •ein nur langsamer Rückgang zur Ausgangsstimmung •Tendenz, den anderen unrealistische Erwartungen und Anforderungen vorzuwerfen 4. Unterdrücktes Trauern (Unterdrückung/ übermäßige Kontrolle) Bei Trauer und Verlust: Traurigkeit, Wut, Schuld- oder Schamgefühle, Angst, Panik 5. Aktive Passivität (= passives Problemlöseverhalten) •Unfähigkeit, eigene Lebensprobleme aktiv zu lösen •aktive Versuche, eine Lösung der Probleme von anderen zu erbitten •erlernte Hilf- u. Hoffnungslosigkeit 6. Scheinbare Kompetenz (= Pers. scheint trügerischerweise kompententer als sie tatsächlich ist) •mangelnde Generalisierung von Fähigkeiten über verschiedene Stimmungen, Situationen und Zeiten •Unfähigkeit, seelisches Leid („emotional distress“) über adäquate nonverbale Signale zu vermitteln 2. Selbst-Entwertung (= eigene emotionale Reaktionen, Gedanken, Überzeugungen und Verhaltensweisen werden entwertet oder nicht anerkannt) •Unrealistisch hohe Standards und Anforderungen an die eigene Person •Kann ausgeprägte Scham, Selbsthaß und auf sich selbst gerichtete Wut beinhalten 3. Ständige Krisen (häufige belastende, negative äußere Ereignisse, Störungen oder Hindernisse) Ursachen: •Selbst (dysfunktionale Lebensführung) •inadäquates soziales Umfeld •viele durch Schicksal oder Zufall BPS- Diagnostische Zusammenhänge (n. Gunderson) Zustand Ausdruck 1. GEHALTEN (gebunden) depressiv, reagiert empfindlich auf Zurückweisung, idealisierend, kollaborativ 2. BEDROHT (aktiviertes System) wütend, selbstbestrafend, manipulativ, entwertend 3. ALLEINE (primitive Kognition) dissoziiert, paranoid, verzweifelt impulsiv („desperately impulsive“) BPS Symptombereiche- Vergleich Zanarini Linehan Gunderson •Affektive Instabilität •gestörte Kognitionen •Impulsivität •Instabile u. intensive Beziehungen Instabilität in •Verhalten •Beziehungen •Selbst •Kognition •Übersensibilität in Beziehungen •Dysregulation der Affekte •Impulsivität •Kognition/ das Selbst („self“) 17 SFU M3 Borderline 2016 BPS: Ätiologie und Theoriebildung Feinfühligkeit („maternal sensitivity“) • Feinfühligkeit = Fähigkeit, Signale nicht nur wahrzunehmen und richtig zu interpretieren, sondern prompt und angemessen darauf zu antworten • Entscheidend für die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung Grossmann 1997 , S. 211, cf Dornes 1995: S. 230 Feinfühligkeit Aspekte der Mutter (n. Paulina Kernberg) • Je feinfühliger die Mutter re- bzw. interagiert→ je sicherer die Bindung • Ausgeprägte Korrelation bestimmter mütterlicher Verhaltensweisen in den ersten neun Monaten und späterer Bildungsqualität mit 12 bzw. 18 Monaten (1a bzw. 1,5 a) • Bereiche: Pflege, Körperkontakt, Stillen, Füttern, Reagieren auf Schreien des Kindes ... auf Kontaktanbahnung des Kindes nach Trennungen ... auf Autonomiesignale und Anzeichen zur Selbstständigkeit etc. Mary Ainsworth, 1979 cf Dornes 1995: 250 • Für das Baby ist die primäre Bezugsperson eine Quelle des Trostes und der Beruhigung • Verfügbarkeit der Mutter wird vermittelt durch erfolgreichen Austausch, auf visuellen, akustischen und körperlichen Kontakt beruhend • Kind macht die Erfahrung, „gesehen“, als reales, existierendes Wesen wahrgenommen zu werden • Mutter nimmt physische und emotionale Erfahrungen des Kindes in sich auf und verarbeitet sie (Containment, haltende Funktion) • Mutter vermittelt dem Kind auch Erwartungen bezüglich dessen Entwicklung ( Erwerb neuer Fähigkeiten zur angemessenen Zeit etc.) Vgl. Paulina Kernberg 2006: S. 30 18 SFU M3 Borderline 2016 Aspekte der Mutter- Spiegelfunktion = Fähigkeit, affektiv, visuell, vokal sowie durch Bewegung und Berührung angemessen auf das Kind und dessen Bedürfnisse einzugehen (Kinder, die von ihrer Bezugsperson nicht zuverlässig versorgt und betreut werden, nehmen auch ihr eigenes Spiegelbild als unbeständig war und reagieren mitunter so, als hätten sie kaum eine Beziehung zu sich selbst) • Mutter fördert Interesse des Kindes an der Umgebung • Mutter vermittelt Sicherheitsgefühl (kognitives/ emotionales Auftanken, integrative Fähigkeiten) → ermöglicht dadurch, dass Kind Objektpermanenz entwickeln kann • Mutter bestätigt das Körpergewahrsein des Kindes, einschließlich geschlechtlicher Zugehörigkeit Vgl. Paulina Kernberg (2006: S. 30) Mütterliche Interaktionsstile Mütterliche Interaktionsstile • • • • • • • • Beständigkeit/ Unbeständigkeit Vorhersehbarkeit/ Unberechenbarkeit Flexibilität/ Starrheit Authentizität/ Falschheit Sich-Einlassen/ Rückzug Ermutigung/ Entmutigung Responsivität (wie prompt reagiert Mutter)/ Distanziertheit Lebendige, klare / missverständliche Kommunikation Vgl. Paulina Kernberg (2006: S.32 f.) 1/2 Borderline-Mutter (Masterson & Rinsley 1975) •Wie reagiert die Mutter auf Autonomiebestrebungen des Kindes? • Verfügbarkeit vs. fehlende Verfügbarkeit • Respektierung der kindlichen Autonomie vs. übergriffiges, kontrollierendes Verhalten • Spontanes Verzichtsverhalten vs. „Aufopferung“ (die Schuldgefühle erzeugt) • Freude an der Mutterrolle vs. Märtyrertum • Ungeteilte Aufmerksamkeit für das Kind vs. Abgelenkt-sein durch andere Dinge (Präokkupation) Vgl. Paulina Kernberg (2006: S.33) 2/2 •Beschreibung der „Borderline-Mutter“: Das Kind kann nur dann auf die emotionale Verfügbarkeit der Mutter zurückgreifen, wenn es sich in regressiver Weise an sie bindet •Kind wird von Mutter als regressives, immer bei ihr bleiben wollendes und auf ihre Fürsorge angewiesenes Geschöpf benötigt •Entfernt sich das Kind von der Mutter (Individuation), reagiert Mutter nicht mit Freude und Hilfestellungen, sondern mit Unruhe, Angst und emotionalem Rückzug Vgl. Jürgen Kind in: Dulz et al. (2011: S. 27) 19 SFU M3 Borderline 2016 Borderline-Mutter (n. James F. Masterson & Donald B. Rinsley) Manifeste Ebene: Rückzug der Mutter, um das Kind dazu zu bewegen, wieder zurückzukehren, um bei ihr zu bleiben Latente Botschaft für das Kind: „Wenn ich selbstständig werde, lässt die Mutter mich alleine. Mein Wunsch nach Entwicklung ist gefährlich; von diesem Gefährlichen zieht sich meine Mutter zurück, da sie sich von mir zurückzieht“ Borderline-Mutter- Subtypen Subtypen der Borderline-Mutter (Masterson 1988) • • • • Waif-mother (Heimatlose, Obdachlose) Hermit-mother (Einsiedlerin) Queen-mother (Königin) Witch-mother (Hexe) Kind erfährt zwei Ängste: 1. Angst vor Liebesverlust 2. Kind erträgt die Angst der Mutter nicht → Kind muss Mutter stabilisieren, um diese vor ihren eigenen Individuations- und Separationsängsten zu schützen Vgl. Kind in: Dulz et al. (2011: S. 27) Art der Bindung (attachment) → späteres Sozialverhalten Organisierte und Desorganisierte Bindungssysteme Organisierte Bindungssysteme: z.B. Zurückweisung des Körperkontakts vonseiten der Mutter bei Wiederannäherung → Entstehen einer vermeidenden Bindung → Kind nimmt (äußerlich) das Weggehen oder Rückkehr der Mutter kaum zur Kenntnis, erlebt aber (innerlich) elterliche Unerreichbarkeit bzw. Zurückweisung → Die mit einem Jahr vorherrschende Qualität der Bindung ermöglicht zuverlässige Prognosen für späteres Sozialverhalten in Kindergarten und Schule 1. sicher: vorhersehbare Beruhigung durch Bindungsperson: (Kind kann in Trennungssituationen seine neg. Gefühle frei zeigen, beruhigt sich bei Wiederannäherung bald wieder, exploriert weiter) 2. unsicher-vermeidend: vorhersehbare Ablehnung durch Bindungsperson: (Kontaktvermeidung bei Wiederannäherung, vermehrtes Explorieren, Unterdrückung negativer Gefühle): ↓ Bindungsverhalten, ↑ Exploration 3. unsicher-ambivalent: unvorhersehbare Interaktionserfahrung: (Ärger und Widerstand beim Versuch das Kind zu beruhigen): ↑ Bindungsverhalten, ↓ Exploration Bei 2. und 3. → Vulnerabilität für potentiell dysfunktionale Affektregulation Vgl. Dornes 1995: 232 20 SFU M3 Borderline 2016 Desorganisierte Bindung, Dissoziation Desorganisierte Bindung, Dissoziation, Pathogenese BPS Zentrale Bedeutung als Risikofaktor: Trauma in Kindheit 4 signifikante Risikofaktoren für BPS mit hohem Ausmaß an Dissoziation: (Zanarini 2000) → Kind, das sich fürchtet, sucht Sicherheit bei der Bindungsperson. → Unlösbares Dilemma: Bindungsperson ist gleichzeitig Quelle der Bedrohung → Entstehung eines desorganisierten Bindungsmusters → kennzeichnend für Entstehung einer BPS 1. 2. 3. 4. Inkonsistente Behandlung durch eine Bezugsperson Sexueller Mißbrauch durch Betreuungsperson Zeuge sexueller Gewalt in Kindheit Vergewaltigung im Erwachsenenalter (George & West 1999, Lyons-Ruth & Jacobvitz 2008) → maßgeblich für Entstehung dissoziativer Reaktionen im Rahmen der BPS Vgl. Anna Buchheim in: Dulz et al (2011: S. 159) Unspezifische Risikofaktoren biologisch Vgl. Anna Buchheim in: Dulz et al (2011: S. 159) Kumulativer Effekt von Risikofaktoren genetische Disposition, schwieriges Temperament, Prä-, peri-, postnatale Komplikationen, Hirnschädigung, chronische Erkrankungen, ... psychosozial – familiär frühe Elternschaft, Verlust wichtiger Bezugspersonen – interaktionell: chronischer Streit, gestörte Bindungsmuster u. Kommunikation, rigides, nicht validierendes Umfeld, Vernachlässigung, emotionale Kälte, Missbrauch, Trauma, konflikthafte Freundschaftsbeziehungen – sozial widrige Lebensumstände, mangelnde Bildung, niedriger sozioökonomischer Status, mangelnde unterstützende Systeme, Delinquenz ... → bei einer Häufung früher Risken: kontinuierliches Ansteigen der Gefahr psychischer Fehlentwicklung n. Laucht et al. 2000 21 SFU M3 Borderline 2016 Risikofaktoren für die Ätiologie einer BPS Multifaktorelle Genese: Komplexes Zusammenwirken mehrerer kausaler Faktoren 1. Genetische Faktoren (z.B. Zwillingsstudie Torgersen 2000) 2. Gen-Umgebungs-Interaktionen (Gunderson & Lyons-Ruth, 2008) 3. Psychosoziale Faktoren: sexuelle Gewalterfahrung 65%* körperliche Gewalterfahrung 60% schwere Vernachlässigung 40% * = meistens sehr frühe, langwierige familiäre Traumatisierungen, aber: sexuelle Traumatisierung weder notwendige noch hinreichende alleinige Ursache für Entstehung einer BPS • ätiologisch und symptomatisch viele Ähnlichkeiten zur Traumafolgestörung (komplexe posttraumatische Belastungsstörung) Anna Buchheim in Dulz et al (2011: 158 f.) Ätiologie der BPS (n. John Gunderson) Prädiktoren aus der Kindheit für spätere Entwicklung einer BPS im Erwachsenenalter: Bei einer angenommen Vererbbarkeit von ~ 55%: 1. Interpersonelle Übersensibilität (interpersonal hypersensitivity) 2. Desorganisierte Bindungen (disorganized attachments) 3. Trennungsproblematik (separation problems) Genetische Risikofaktoren für die Ätiologie einer BPS Genetische und physiologische Faktoren • BPS 5x häufiger bei biologischen Verwandten ersten Grades mit BPS als in der Allgemeinbevölkerung • Erhöhtes familiäres Risiko auch für – Substanzkonsumstörungen – Antisoziale Persönlichkeitsstörung – Depressive und bipolare Störungen Vgl. DSM-V , S. 912 Genetische Dispositionen für Probleme in Interaktionen 1. (angeborene) Hypersensibilität im zwischenmenschlichen Bereich Bsp.: Kind mit dieser Disposition interpretiert ein Stirnrunzeln der Mutter als feindliche/ strafende Geste. Oder: Mutter, die den Raum verläßt, löst inneren Alarm beim Kind aus, dass sie niemals wieder zurückkommt 2. (angeborene) Emotionsregulationsschwäche Angeborene überschießende, unangemessene emotionale Reaktionen des Kindes tragen zu Problemen in der kindlichen Fähigkeit zu Beziehung bei. → Dadurch Eltern oft in Interaktionen überfordert „It is not simply poor parenting“ Kommen dazu noch elterliche Vulnerabilitäten (Ängstlichkeit, erhöhte Reaktivität, Irritierbarkeit etc.) → dann negativer, sich wechselseitig verstärkender Kreislauf John Gunderson, Interview mit Sigmund Karterud, 15:42 22 SFU M3 Borderline 2016 Biosoziale Theorie (Marsha M. Linehan 1993) Schema Biosoziale Theorie (n. Marsha M. Linehan) Ätiologie der BPS: Wechselseitiges Zusammenwirken aus biologischen Einflüssen und sozialem Lernen Zentrales Problem: Störung der Affektregulation in einem invalidierenden Umfeld→ Zusammenwirken früher Traumatisierung, Vernachlässigung und neurobiologischer Disposition •Invalidierendes („ungültig machendes“) Umfeld: Gefühle des Kindes werden nicht ausreichend gewürdigt, ernst genommen, missachtet, verdreht → Störung der Affektmodulation des Kindes aufgrund hoher Verletzbarkeit und erlernter dysfunktionaler Strategien Linehan 1993 Linehan 1993 Ätiologie der BPS (n. Otto Kernberg) Konzept der Mentalisierung (n. Peter Fonagy) Hauptfaktoren: „Having mind in mind“ * →„I have my mind and your mind on my mind“ Dynamische Interaktion zwischen: • Temperament (individuelle Unterschiede der Affektaktivierung und Affektregulierung, motorische Reaktivität) • Umweltfaktoren (Missbrauch, Vernachlässigung) • Fehlen von Selbst- u. Objektkohärenz im Kontext eines unsicheren Arbeitsmodells von Bindung • Defizite in der Mentalisierungsfähigkeit • Gering ausgeprägte „effortful control“ (= Fähigkeit zur Regulation von Antworten auf Reize) Vgl. Yeomans & Diamond in: Dulz et al (2011: 545) = die Art und Weise, wie wir (automatisch, prozesshaft) das Verhalten von uns und anderen lesen und interpretieren (inkl. Gedanken, Gefühle, Intentionen, Überzeugungen) Mentalisierungsfähigkeit= inneres Arbeitsmodell für die Einschätzung komplexer sozialer Situationen → soziales Lernen: Fähigkeit, interpersonale Situationen angemessen zu verstehen *Peter Fonagy (z. B. Allen et al. 2008 S. 3) 23 SFU M3 Borderline 2016 Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit Bedeutung des Mentalisierens •Reflexionsfähigkeit (Reflektieren über sich und andere) •kohärentes System der Bewertung eigenen Handelns (selfevaluation) •Orientierung und Kontrolle bei jeder Art interpersoneller Kommunikation und Beziehungsgestaltung •eigene Emotions- und Selbstregulation •höhere emotionale und soziale Kompetenz Entwicklungsstufe Alter Fähigkeiten Zielgerichteter Modus (teleologischer Modus) 9m -1,5a Eigene und fremde Handlungen werden als zielgerichtet interpretiert, deren Ursachen (Motive) aber noch nicht. Nur das, was beobachtet werden kann, zählt Psychische Äquivalenz (konkretistisches Denken) 1,5. – 4a Kein Unterschied zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit (Wort = Gedanke = Realität). Alles ist konkret. Innere Zustände werden als real erfahren (Monster unter dem Bett) Als-Ob-Modus (pretend mode) „playing with reality“ 1,5. – 4a Gedanken, Motive und Ängste sind (wie im Spiel) von der Realität getrennt Reflexiver Modus Ab 4. – 5a Integration der Modi. Nachdenken über das eigene Selbst und über das Innenleben anderer Menschen. Unterschiedliche Perspektiven inkl. falscher Überzeugungen werden bei sich und anderen anerkannt Entwicklung des „autobiographischen Selbst“ Zusammenhänge Mentalisierung, Bindung •Sicher gebundene Kinder: bessere Mentalisierungfähigkeit * •Unsicher gebundene Kinder: nicht grundsätzlich Mentalisierungsdefizite, aber häufig weniger gut angepasste innere Arbeitsmodelle für die Einschätzung komplexer sozialer Situationen ** •Positiv- reflexiv-emphatische Mütter: am ehesten sicher gebundene Kinder; nicht reflexiv-emphatische Mütter eher unsicher gebundene Kinder (signifikanter Zusammenhang)*** *Vgl. Fonagy 2006, Miller & Martinez 2008 **Grossmann & Grossmann, 2002 ***Quitmann, Romer u. Ramsauer, 2010 Zusammenhänge Reflexionsfähigkeit, Bindung •Mütter mit besserem Zugang zur eigenen inneren Welt haben mit höherer Wahrscheinlichkeit sicher gebundene Kinder * •Verbesserung der mütterlichen reflexiven Empathie durch therapeutische Interventionen mit den Eltern → Abnahme von Verhaltensauffälligkeiten beim Kind * Mütter aus einer sozial benachteiligten, relativ stressbelasteten Gruppe (allein erziehende Elternschaft, elterliche Kriminalität, Arbeitslosigkeit, beengende Wohnverhältnisse oder psychische Erkrankungen): eher sicher gebundene Kinder, wenn sie über eine größere Reflexionsfähigkeit verfügten ** *Quitmann et al, 2010 ** Fonagy 2003 24 SFU M3 Borderline 2016 „Pseudo-Mentalisieren“ Mentalisierungsprozesse = Unzählige Interaktionen zwischen Eltern und Kind im Lauf der Entwicklung Formen des Pseudo-mentalisierens: 1. Verharren auf einem entwicklungsgeschichtlich früheren Niveau (z.B. Ignorieren altersadäquater Bedürfnisse eines Adoleszenten) Ätiologie BPS: Störung der Mentalisierungsfähigkeit Störungen der Mentalisierungsfähigkeit verursacht durch 1.Störungen in der Affektspiegelung 2.Mißbrauch/ Vernachlässigung 2. Intrusives Mentalisieren Nicht respektieren, dass das Kind eine, von einem selbst getrennte Person/ mentale Einheit ist: „Ich weiss (immer), was Du denkst/ fühlst“ 3. Überaktives, ungenaues Mentalisieren: Wenn Denken und Fühlen des Kindes zu oft und ungenau kommentiert wird, dann „Psychobabble-mind-reading“ 4. Vollkommen falsche Attributionen: „Du versuchst mich verrückt zu machen“, Du willst mich nur ärgern“, „Du wünschst dir nur ich wäre tot“, „Du hast es gemocht, wenn ich dich so berürt habe“ Vgl. Allen & Fonagy (2006: S. 213) Ätiologie BPS: Störung der Mentalisierungsfähigkeit •Unlösbares Dilemma, dass traumatisierende Bezugspersonen gleichzeitig Schutz und Gefahr darstellen: → Blockierung der Einfühlung in die Bezugsperson (= den Täter) als Schutz vor unerträglichen Affekten, denn die Motive der Bezugspersonen zu hinterfragen, könnte die Situation verschlimmern, anstatt die Affektbewältigung zu unterstützen → Verwehrt aber Bewältigung/ Widerstandskraft (Resilienz), die auf der Fähigkeit beruht, interpersonale Situationen angemessen zu verstehen Vgl. Bateman & Fonagy 2004, 2/2 Erklärung: Durch Traumatisierungen bleibt Kind in teleologischer Selbst- und Fremdwahrnehmung fixiert, in der z.B. dem Täter keine Motive und Bedeutungen unterstellt werden bzw. oszillieren zwischen „Äquivalenzmodus“ (konkretistischem Denken) und „Als ob-Modus“ (dissoziatives Denken und Fühlen) Vgl. Bateman & Fonagy 2004, 1/2 Mangelnde Fähigkeit zur Symbolisierung •Personen mit BPS oft nicht fähig, Konflikte sprachlich zu artikulieren und in einem psychischen Binnenraum (wie auf einer inneren Bühne) zu inszenieren und mögliche Lösungsmöglichkeiten in Form eines „Probehandelns“ gegeneinander abzuwägen •Ursache: frühe traumatische Erfahrungen können nicht durch sprachliche Symbole repräsentiert werden, sondern sind im Körper eingeschrieben als Teil eines sensomotorischen, interaktiven Gedächtnisses •Diese Erfahrungen sind zwar (abgespaltene) Teile des Selbst, können aber nicht reflektiert werden → Ausdruck der Konflikte im interpersonellen Kontext, Aktualisierung im interaktiven Verhalten (z.B. „Agieren“) Vgl. Gerd Rudolf, 2002 25 SFU M3 Borderline 2016 Gibt es Kernmerkmale der BPS, die auch im Zentrum der Behandlung stehen sollten? Bedeutung der frei flottierenden Angst (n. Birger Dulz) Therapiemethode Kernmerkmale DBT (Dialectic Behavioral Therapy, konstitutionell bedingte emotionale Linehan) Dysregulation + Defizite in Achtsamkeit („mindfulness“) TFP (Transference-focused Identitätsdiffusion Psychotherapy, Kernberg et al) MBT (Mentalization-based treatment, Fonagy & Bateman) GPM (Good Psychiatric Management, Gunderson & LyonsRuth) entwicklungspsycholog. Defizite in Mentalisierungsfähigkeit Hypersensivität im zwischenmenschl. Bereich + unsichere Bindungsmodelle Vgl. Yeomans & Diamond in: Dulz et al (2011: S. 545) Dulz in: Dulz et al. (2011: S. 331) Gemeinsamkeiten von Borderline-Partnern A Borderline motto: “Life should be easy and somebody else should do it for me.” (James Masterson) Masterson (1976, 1981) • • • • • • • • • Rettungsphantasien (für den Partner) Wunsch die Probleme des Partners zu lösen Geringes Selbstwertgefühl und Verlust der Selbstachtung Schwierigkeiten eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, zu artikulieren und umzusetzen Ansprüche des Partners immer über die eigenen stellen Selbstaufgabe für die Beziehung Bemühen, alles richtig zu machen, möglichst perfekt zu sein Scheuen von Streit und Konflikten Probleme Grenzen zu setzen und sich gegen Grenzverletzungen zu wehren Sendera & Sendera (2010: S. 155, 1/3) 26 SFU M3 Borderline 2016 Gemeinsamkeiten von Borderline-Partnern • Schwierigkeiten negative Gefühle zuzulassen und einzugestehen • Ausreden für jedes Fehlverhalten des Partners finden • Verantwortung für alles und alle übernehmen • Wert legen auf Außenmeinungen • Hinnehmen emotionaler oder physischer Misshandlungen • Borderline-Störung ist Entschuldigung für alles • Bedingungslose Akzeptanz • Verleugnung der Diagnose und Verhaltensweisen Sendera & Sendera (2010: S. 155, 2/3) Otto Kernberg Theoretische und diagnostische Konzepte zu: •Borderline- Persönlichkeitsstörung (BPS) •Borderline- Persönlichkeitsorganisation (BPO) Gemeinsamkeiten von Borderline-Partnern • Isolation und Vermeidung, dass Konflikte von außen bemerkt werden • Borderline-Verhalten als unkorrigierbare Krankheit sehen • Verlust der Selbstachtung • Schuld- und Schamgefühle • Ohnmacht und Hilflosigkeit, Rückzug • körperliche Erkrankungen, Stress-Symptome • eigene Stimmungsschwankungen durch Übernahme der Borderline-Gefühle • Co-Abhängigkeit Sendera & Sendera (2010: S. 156, 3/3) Theorie der Borderlinestörung (n. Otto Kernberg) • Aufbauend auf (u.a.) Objektbeziehungstheorie (z.B. Melanie Klein), Ich-Psychologie (z.B. Erik H. Erikson) • Borderline- Persönlichkeitsorganisation (BPO) = spezifische Störung der Ich-Funktionen BPO BPS • BPS ist Teilmenge der BPO • Pathologie= Unfähigkeit zur Entwicklung reifer Abwehrmechanismen (z.B. Verdrängung) • Vorherrschen primitiver (früher, unreifer) Abwehr: Spaltung • Verstärker der Spaltung: primitive Idealisierung, projektive Identifizierung, Omnipotenz, Entwertung, Verleugnung → erhebliche Schwächung der Realitätsprüfung, die aber prinzipiell (im Unterschied zur Psychose) intakt ist Vgl. Rohde-Dachser, 2009 1/3 27 SFU M3 Borderline 2016 Spaltung Spaltung • Schutz gegen mögliche konflikthafte Inhalte • Effekt der Spaltung: andere Personen werden nur in getrennt voneinander gehaltenen Extremen - entweder als nur „gut“ (Idealisierung) oder nur „böse“/ „schlecht“ (Entwertung)erlebt • Keine Kontinuität einer inneren Repräsentanz anderer Personen („Objekte“) in ihrer Ganzheit, sondern nur als getrennt voneinander gehaltene, affektiv extrem positiv bzw. negativ aufgeladene Anteile Vgl. Kernberg 1998: 103 f., Rohde-Dachser: 2009, 2/3 Primitive (unreife, frühe) Abwehrmechanismen Abwehrmechanismus Beschreibung Spaltung absolut gut idealisiert Freude, Glück, Lust Zufriedenheit Primitive Idealisierung absolut böse/schlecht entsetzlich Angst, Wut, Hass, Neid, Schmerz Erzeugt pathologisch übertriebene, nur gute, mächtige Imagines. Th. wird wie omnipotenter Gott behandelt, von der Pat. bedingungslos abhängig ist. Menschliche Unvollkommenheiten werden nicht toleriert. Omnipotenz+Entwertung Pat. stellt sich hoch grandios dar, Th. wird entwertet, geringschätzig behandelt, als verfolgend/ gefährlich gesehen Verleugnung Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle werden zwar kognitiv erinnert, aber können damit verbundene aktuelle Gefühle nicht beeinflussen, bleiben somit emotional unverbunden und ohne Bedutung Vgl. Kernberg 1998 • Spaltung dient Abwehr der ubw. Angst, daß bei einem Zusammentreffen des guten und des bösen inneren Objekts das böse innere Objekt das gute Objekt ein für allemal zerstören könnte • Das gute innere Objekt muss deshalb auf jeden Fall erhalten bleiben → daher wird das böse innere Objekt in die Außenwelt projiziert, die auf diese Weise einen bedrohlichen Charakter erhält → In Interaktion plötzliche Umkehrungen zwischen Selbst- und Objekt Vgl. Kernberg 1998: 103 f., Rohde-Dachser, 2009, 3/3 Primitive (unreife) Abwehrmechanismen: Projektive Identifizierung Abwehrmechanismus Beschreibung Projektive Identifizierung 1. Ein Impuls wird auf eine andere Pers. projiziert, wird aber weiterhin bei sich selbst wahrgenommen 2. Angst vor der anderen Person, die scheinbar unter Einfluß dieses Impulses steht und auch so wahrgenommen wird 3. Bedürfnis, diese Person zu kontrollieren 4. → Diese Pers. wird zu einem bestimmten Verhalten provoziert, das die Projektion scheinbar bestätigt Eigene konflikthafte Anteile werden in andere „hineingelegt“- die sich dann auch dementsprechend verhalten können - und dort bekämpft → interpersonelle Konflikte (z.B. anpöbeln, provozieren, Streit suchen) Vgl. Kernberg (1998: S. 16) 28 SFU M3 Borderline 2016 Unreife Abwehrmechanismen: Beispiel Objektbeziehungsdyade, basierend auf frühesten, internalisierten Beziehungserfahrungen “My husband’s an idiot! Not like Steve. He’s wonderful. He understands my need to have two men in my life. Steve tells me what to do, and I do it because I agree with him. My husband can kiss my ass! I’m staying with Steve this weekend, and my husband can take care of the children! Why shouldn’t I be in control for a change? Why do I want to die?” “Mein Ehemann ist ein Idiot! Nicht wie Steve! Der ist wundervoll. Er versteht meinen Bedarf, zwei Männer in meinem Leben zu haben. Steve sagt mir was ich machen soll und ich tue es, weil ich seiner Meinung bin. Mein Ehemann kann mich mal ..., ich bleibe bei Steve dieses Wochenende und mein Ehemann kann sich um die Kinder kümmern! Warum sollte ich nicht zur Abwechslung einmal die Kontrolle haben? Warum will ich sterben?” Aus: Jerome S. Blackman: „101 Defenses: How The Mind Shields Itself“ (2004: S. 8) Selbst- und Objektrepräsentanzen: Spaltung Schema: DDr. Karl Golling nach Kernberg 1/3 Selbst- und Objektrepräsentanzen: Integration → Integration und Komplexität der Selbst- und Objektrepräsentanzen inklusive der dazugehörigen Affekte Schema: DDr. Karl Golling nach Kernberg 2/3 Schema: DDr. Karl Golling nach Kernberg 3/3 29 SFU M3 Borderline 2016 Persönlichkeit (n. Otto Kernberg) Persönlichkeit= dynamische Integration von verschiedenen intrapsychischen Komponenten: • • • • Temperament Charakter Über-Ich (internalisiertes Wertesystem) Es (libidinöse + aggressive Komponenten, dominantes motivationales Persönlichkeitssystem, dynamisches Ubw) Hauptkomponenten der Persönlichkeit (Kernberg) 1. Temperament = angeborene, größtenteils genetische Veranlagung für bestimmte Reaktionen auf Umweltreize (insbes. Intensität, Rhythmus und Schwelle affektiver Reaktionen) = Veranlagung für die kognitive Organisation und das motorische Verhalten → Affektive Aspekte des Temperaments von fundamentaler Bedeutung für die Ätiologie von Persönlichkeitsstörungen Vgl. Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 287) Hauptkomponenten der Persönlichkeit (Kernberg) 2. Charakter Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 286) Hauptkomponenten der Persönlichkeit (Kernberg) 3. Über-Ich = die individuelle dynamische Organisation von Verhaltensmustern der Ich-Identität Inklusive der: 1. intrapsychischen Strukturen, die sich aus den subjektiven Aspekten der Ich-Identität (Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen mit den dazugehörigen Affekten) bilden 2. Verhaltensaspekte der Ich-Funktion und Ich-Struktur (Ich-Stärke), wie Impulskontrolle, Angsttoleranz, Informationsorganisation (Kognition), Kommunikationsstil Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 287) = das Wertesystem eines Individuums, alle moralischen und ethischen Werte einer Persönlichkeit 4. Es (Triebkomponente) = das dynamische Unbewusste, das dominante und potentiell konfliktgeladene motivationale Persönlichkeitssystem = Libidinöse und aggressive Impulse Kernberg & Levy in: Dulz et al 2011: 286 30 SFU M3 Borderline 2016 Strukturelle Merkmale der Persönlichkeit (Kernberg) Strukturelle Merkmale der Persönlichkeit (Kernberg) Bei normaler Persönlichkeit: Bei normaler Persönlichkeit: 1. Ich-Identität = Integriertes Konzept des Selbst und wichtigen Bezugspersonen („self“ + „significant others“) 2. Ich- Stärke = ein breites Spektrum affektiver Dispositionen = Fähigkeit zu Affekt- und Impulskontrolle = Fähigkeit zu Sublimierung in Arbeit und Werten Gut integrierte Ich-Identität = • Konsistenz, Persistenz und Kreativität in Arbeit und zwischenmenschlichen Beziehungen • Fähigkeit zu reifen, tiefen Beziehungen, wechselseitigem Vertrauen und Verbindlichkeit Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 286) Strukturelle Merkmale der Persönlichkeit (Kernberg) Bei normaler Persönlichkeit: • Strukturelle Merkmale der Persönlichkeit (Kernberg) Bei normaler Persönlichkeit: 4a. Libidinöse Impulse (Vgl. Freud:„Es“) 3. Über-Ich • Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 286) Integriertes und reifes Über-Ich = internalisiertes, individuelles Wertesystem, nicht übermäßig abhängig von ubw. infantilen Verboten Fähigkeit zu persönlicher Verantwortung, realistischer Selbstkritik, Verpflichtung gegenüber Regeln, Werten und Idealen, integriert und flexibel im Umgang mit ethischen Aspekten bei der Entscheidungsfindung Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 288) • • • Angemessene und zufriedenstellende Kontrolle über diese Impulse Fähigkeit, sinnliche und sexuelle Bedürfnisse zu äußern Fähigkeit zu Zärtlichkeit, emotionaler Hingabe und einem normalen Grad der Idealisierung der geliebten anderen Person (Fähigkeit zu intimen, dauerhaften Beziehungen) Vgl. Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 288) 31 SFU M3 Borderline 2016 Strukturelle Merkmale der Persönlichkeit (Kernberg) Persönlichkeitsstruktur: Ebenen (n. Kernberg) Bei normaler Persönlichkeit: 4b. Aggressive Impulse (Vgl. Freud:„Es“) •Fähigkeit zur Sublimierung, adäquaten Selbstbehauptung, Selbstschutz, Vermeidung von autoaggressivem Verhalten 1. Normale Flexibilität und Fähigkeit zur Anpassung 2. Neurotische Persönlichkeitsorganisation 3. Borderline- Persönlichkeitsorganisation High level Borderline Low level Borderline 4. Psychotische Persönlichkeitsorganisation → Verbindung zwischen libidinösen u. aggressiven Impulsen zu Ich-Funktionen und Über-Ich schafft Gleichgewicht innerhalb der Persönlichkeit Vgl. Kernberg & Levy in: Dulz et al (2011: S. 288) Diagnose des Borderline-Syndroms Erschwerung der Diagnose, da „Borderline“ in 3 Weisen in der Literatur vorkommt: 1.„Borderline- Persönlichkeitsstörung“ im engeren Sinne (BPS) Deskriptives Konzept (ICD, DSM): Liste von Symptomen (5 von 9 für Diagnose notwendig). Klinische Beschreibung einer Hauptgruppe innerhalb der gesamten Borderline- Problematik 2.„Borderline- Persönlichkeitsorganisation“ im weiteren Sinne (BPO) Kernberg Diagnose der Persönlichkeitsorganisation Vorteile: •erleichtert Differenzialdiagnose zwischen leichteren und schwereren Störungen •Beschreibung der Hauptmerkmale der Pat, sodaß man durch die Diagnose sofort auf wichtige Aspekte der Behandlung kommen kann Strukturelles Konzept, weite Gruppe schwerer Persönlichkeitsstörungen Hilft, die schweren Persönlichkeitsstörungen von den leichteren (neurotische PO) zu unterscheiden 3.Der „Borderline-Patient“ in der psychotherapeutischen Literatur Der „schwere Patient“: zuerst vermeintlich neurotisch, dann Verschlechterung (z.B. maligne Regression) Kernberg 32 SFU M3 Borderline 2016 Diagnostische Herangehensweise (n. Kernberg) •Doppelter Ansatz: Gleichzeitige Diagnose einer Störung in einem engeren (deskriptiven, phänomenologischen) und einem weiteren (strukturellen) Sinn → d.h.: Welche Konstellation pathologischer Charakterzüge auf welchem Niveau der Persönlichkeitsorganisation? (z.B. paranoide Persönlichkeit mit Borderline- PO) Kernberg Weitere Formen Modell der Persönlichkeitsorganisation nach O. Kernberg Klinische Implikationen für eine Borderline-PO (Kernberg) • Unspezifische Ich-Schwäche – Mangelnde Impulskontrolle – Mangelnde Affekttoleranz (z.B. Angst, Aggression) • Störungen in den Objektbeziehungen • Schwierigkeiten in der Arbeit und Liebe • Sexuelle Pathologien – Hemmung aller sexueller Funktionen – Chaotische Sexualität • Über-Ich-Pathologie (Moral, Werte) Kernberg 33 SFU M3 Borderline 2016 Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsorganisation Umfasst Bestimmung von drei hauptsächlichen Elementen: 1. Syndrom der Identitätsdiffusion 2. Vorherrschen primitiver Abwehrmechanismen 3. Gut erhaltene Realitätsprüfung Kernberg Ad 1. Prüfung des Konzeptes der Identität Ad 1. Identitätsdiffusion = wichtigstes Symptom, das Borderline- PO von neurotischer PO unterscheidet = Verlust der normalen Integrität des Konzeptes des Selbst und des Konzeptes von wichtigen anderen Personen •normale Integrität= innere Kontinuität des Erlebens von sich und anderen in verschiedenen Rollen, Interaktionen und Umständen über den Verlauf der Zeit •Je intimer die untersuchte Beziehung, desto mehr kann man Identitätsdiffusion prüfen Kernberg Ad 1. Prüfung des Konzeptes der Identität 1. Symptome 4. Prüfung der Identitätsdiffusion: Andere 2. Persönlichkeit und Interaktion → Auswählen der Personen, die z.B schon in Punkt 2 erwähnt wurden Fragen, welche Symptome, Beschwerden, Probleme vorhanden sind Den Pat. bitten, uns aus seinem Leben zu erzählen, so dass wir uns ein möglichst lebendiges und realistisches Bild von seinem jetzigen Leben machen können: Familie, Arbeit, intime Beziehungen, Freizeit, Interessen ...→ aus der Verbindung der erzählten Inhalte mit der Interaktion ergeben sich Hinweise auf Persönlichkeitsstruktur 3. Prüfung der Identitätsdiffusion: Selbst „... daß Sie versuchen mir zu sagen, wie sie sich selbst als Persönlichkeit sehen. Was unterscheidet Sie von allen anderen Menschen? Könnten Sie mir sagen, wie sie sich sehen / gesehen werden, eine zusammenfassende Übersicht geben, die mir das Gefühl gibt, das sind Sie als Person- im Unterschied von allen anderen?“ Bsp.: „Sie erzählten mir von ihrem Partner/ Ihrer Partnerin etc.. Können Sie mir die Persönlichkeit dieser Person beschreiben, so dass ich ein klares lebhaftes Bild von ihr bekomme, was sie von allen Menschen unterscheidet? → wenn Patient das beschreiben kann, dann gut integriertes Selbstkonzept bei Borderline- Persönlichkeitsorganisation: chaotisches Bild → wenn Patient das beschreiben kann, dann gut integriertes Selbstkonzept bei Borderline- Persönlichkeitsorganisation: chaotisches Bild Kernberg Kernberg 34 SFU M3 Borderline 2016 Ad 2. Primitive Abwehrmechanismen •BPO: primitive Abwehrmechanismen stechen hervor und beeinflussen Interaktion mit Therapeuten: –Spaltung –Projektive Identifizierung –Verleugnung –Primitive Idealisierung/ Entwertung –Omnipotente Kontrolle Ad 3: Realitätsprüfung Bereiche: • • • Differenzierung Selbst und Andere Interne und externe Realität Beziehung zu sozialen Kriterien der Realität ( Affekt, Gedankeninhalte, Redeweise) • Fähigkeit zur Realitätsprüfung unterscheidet die Grenze zwischen BPO und Psychosen – – Selten: höhere Abwehrmechanismen (Verdrängung, Verneinung, Intellektualisierung, Rationalisierung etc.) Borderline- PO: Realitätsprüfung intakt Psychotische PO: Realitätsprüfung nicht intakt (z.B. atypische Psychosen, psychotische Regressionen) Kernberg Kernberg Ad 3: Realitätsprüfung Ad 3: Realitätsprüfung • Fähigkeit zur Realitätsprüfung unterscheidet die Grenze zwischen Borderline und Psychosen – – Borderline- PO: Realitätsprüfung intakt Psychotische PO: Realitätsprüfung nicht intakt (z.B. atypische Psychosen, psychotische Regressionen) Kernberg • Untersuchung der Realitätsprüfung: Wenn bei den ersten drei Stufen der Diagnosestellung (1. Symptomatik, 2. Persönlichkeit, 3. Identitätsdiffusion) seltsame, komische, bizarre Eindrücke auftreten, dann: 1. taktvoll herausfinden, ob der Patient an Halluzinationen /und/oder Wahnideen leidet/ gelitten hat 2. Falls nicht, und es bleibt weiterhin der Eindruck bestehen, dass „irgendetwas nicht stimmt“, dann beobachten, was am merkwürdigsten am Verhalten, im Affekt oder in den Gedanken (Inhalt, formale Organisation) des Patienten erscheint und dies taktvoll ansprechen. Kernberg 35 SFU M3 Borderline 2016 Typisch für alle schweren PS (n. Kernberg) Ad 3: Realitätsprüfung 1. Ich- Schwäche z.B.: „Ich habe gemerkt, dass sie so oder so reagieren, oder dass sie das sagen etc. und das erscheint mir merkwürdig; ich kann es mir nicht erklären- können Sie das verstehen“? → Wenn Pat. fähig ist, sich mit unserem Erstaunen, unserer Verwirrung zu identifizieren, und uns eine Erklärung geben kann, die das, was uns so bizarr erschien, klarer macht, dann: gute Realitätsprüfung, → Patient fähig, sich mit gewöhnlichen sozialen Realitätssinn zu identifizieren → Wenn nicht (z.B. fühlt sich angegriffen, oder wird noch bizarrer/ konfuser), dann: Realitätsprüfung nicht vorhanden Merkmale: 1. Impulsivität 2. Intoleranz gegenüber Angst, Schwierigkeit der Affektregulation 3. Fehlen von Sublimation (Fähigkeit zur Arbeit; zu Tätigkeiten, die nicht nur einfache narzisstische Bedürfnisse befriedigen) 2. Störungen des Über-Ich Wertesystem, Normen, Moral (besonders bei narzisstischen,antisozialen PS) 3. Chaotische Objektbeziehungen Unfähigkeit, mit anderen zu empathisieren Chronische Konflikte mit Partnern Je schwerer Pathologie → je höher ist Aggression, je schwerer sind Störungen der Sexualität Kernberg Persönlichkeitsstörungen mit BPO Kernberg Borderline: Neurobiologische Konzepte •Borderline- PS im engeren Sinne •Schizoide Persönlichkeiten •Schizotypische P. •Hypochondrische PS •Paranoide PS •Hypomanische PS •Narzisstische PS •Antisoziale PS (Extreme Über-Ich-Pathologie!) •Maligner Narzissmus •Sadomasochistische PS •Infantile/ histrionische PS Kernberg Mentalisieren = Aktivität im orbitofrontalen Cortex 36 SFU M3 Borderline 2016 Psychoanalytische und neurobiologische Hypothesen BPS: Neuronale Verbindungen • Hyperaktivität der Amygdala (insbes.linke Hemisphäre= Prädisposition, einen neutralen Gesichtsausdruck anderer Menschen als feindselig zu interpretieren) Psychoanalyse Neurobiologie Schwierigkeiten, andere als vertrauenswürdig wahrzunehmen Aktivität in der anterioren Insula (vorderer Insellappen) • Präfrontale Regionen: vermindertes Funktionsniveau, Volumen Frühe Kindheitstraumata: Innere Objektbeziehungen (Opfer-Selbst/ verfolgendes Objekt), überwachsame Angst Hyperreaktivität in HypothalamusHypophysen-NebennierenrindenAchse (HHN-Achse) und Amygdala • Nebennieren-Achse (HHN-Achse): Hyperresponsivität → Erhöhte Sensibilität für subtile Veränderungen der Mimik (→ Beeinträchtigte Fähigkeit zur Affektregulierung, Affektmodulierung und Mentalisierung) (Überstarke Antwort) des Stresshormonsystems (=Achse zwischen Hypophyse-HypothalamusNebennieren) → Chronische Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit) und affektive Erregung • Hippocampus: vermindertes Volumen (Beeinträchtigung der Ausbildung eines autobiografischen Narrativs, basierend auf impliziten (ubw) und expliziten (bw) Erinnerungen) → bzw. auch Wahrnehmung von Feindseligkeit in neutralem Ausdruck Erhöhte Reflexivität durch Psychotherapie Aktivierung im frontalen Cortex Gedächtnisprobleme, Spaltung, Wahrnehmungsverzerrungen Anatomische Veränderungen im Hippocampus Vgl. Glen O. Gabbard in: Dulz et al (2011: S. 123-133) Raschere, steilere, schnellere neuronale Erregung • Dopamin-gesteuerter Belohnungsschaltkreis, verbunden mit dem Nucleus accumbens (Belohnungszentrum): Stärkung der Belohnung maladaptiver Beziehungsmuster → Bestrebung, diese zu wiederholen In allen Bereichen: vermehrtes Auftreten v.a. bei Pat. mit Mißbrauch in Kindheit Nach O. Kernberg cf Frank Yeomans & Diana Diamond in: Dulz et al 2011: 545 BPS- diagnostische Werkzeuge Diagnostische Interviews BPS (Auswahl) • Diagnostic Interview for Borderline (DIB) • Borderline Personality Disorder Severity Index (BPDSI) • Zanarini Rating Scale for Borderline Personality Disorder (ZAN-BPD) Diagnostik der Persönlichkeitsstruktur (Auswahl) • Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-2) • Strukturiertes Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO) Reaktionen auf aversive Reize: Erregungskurve schießt rascher hoch, der Anstieg ist steil, das Maximum schnell erreicht. Das Abfluten der Erregung ist deutlich langsamer, sodass der Zustand hoher Spannung oft sehr lange, über das auslösende Ereignis hinaus, erhalten bleibt Vgl. Sendera & Sendera (2010: S. 32) Selbstbeurteilungsinstrumente (Auswahl) •Borderline-Symptomliste, Kurzversion (BSL-23) •Borderline Symptom Liste 95 (BSL-95) Vgl. Stephan Döring in: Dulz et al. (2011: S. 303- 327) 37 SFU M3 Borderline 2016 Borderline- Behandlung Zahlen zu Borderline in Deutschland (n. Martin Bohus): • • • • 15% aller stationär behandelten Pat ca. 20% aller in psychotherapeutischer Praxis behandelten Pat. 1,8% weltweit (damit häufiger als schizophrene Erkrankungen) Geschlechterverhältnis: 60% Frauen:40% Männer (Feldstudien) • 70-80% Frauen (unter Behandlung suchenden Bedingungen) • Männer häufiger in Forensik oder Justizanstalten • häufig sehr lange in stationärer Behandlung (Ø bis zu 60 T.) → Behandlung unter nicht störungsspezifischen Bedingungen oft nicht ausreichend Borderline Therapie- Methoden • • • • • • • • • • • • Gesprächspsychotherapie Psychoanalytische Psychotherapie Psychodynamische Gruppentherapie Ego-State-Therapie Psychoedukation für Pat. und ihre Angehörige Therapie bei BPS bei Kindern und Jugendlichen Paartherapie bei Borderline-Persönlichkeiten Familientherapie Körpertherapie und Körperpsychotherapie Kunsttherapie Pharmakotherapie STEPPS (Systematic Training for Emotional Predictability and Problem Solving) • Borderliners Anonymous (BA) Selbsthilfegruppe Borderline Therapie- Methoden • Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) (Marsha Linehan) • Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) (Otto Kernberg, John F. Clarkin, Frank E. Yeomans) • Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) (Anthony Bateman, Peter Fonagy) • Good Psychiatric Management (GPM) (John Gunderson, Paul Links, Lois Choi-Kain) • Schematherapie (Jeffrey Young et al.) • Allgemeine Psychotherpie • Stationäre Therapie • Pharmakotherapie Mechanismen für Veränderung Therapiemethode Veränderung DBT (Linehan) durch Erlernen von Skills zur Affektregulierung im Kontext einer validierenden Umgebung MBT (Bateman & Fonagy) durch verbesserte Fähigkeit zu mentalisieren TFP (Kernberg , Clarkin, Yeomans) durch gelungene Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen Clarkin & Levy 2006 38 SFU M3 Borderline 2016 Pharmakotherapie •Kein spezifisches „Borderline-Medikament“ ist zur Behandlung zugelassen Allgemeine Empfehlungen: •Kein Vorrang einer Pharmakotherapie vor einer störungsspezifischen Psychotherapiemethode •Wenn Pharmakotherapie, dann begleitend und aus den Gruppen der SSRI‘s, Stimmungsstabilisierer und (niedrig dosierten) Neuroleptika •Zielgerecht Symptome behandeln (z.B.: Angst, Impulskontrolle, depressive Stimmung, psychotische Symptome, ...) •Verständnis für die Dynamik der medikamentösen Therapie •Übermäßigen Einsatz (Polypharmazie) vermeiden nach Kernberg, bzw. Empfehlung der dt. Gesellschaft zur Erforschung und Therapie von PS Warum traditionelle psa. Technik nicht funktioniert • Neutralität: regt Projektionen, Verlassenheitsängste an • Deutungen negativer Motivationen des Pat: werden als Schuldzuweisungen interpretiert • Passivität: Löst Angst aus, dass TherapeutIn nicht am Pat. Interessiert ist, ihn/ sie vernachlässigt Gunderson & Palmer: Good psychiatric management of BPD, Skriptum Aus: Gunderson & Palmer: Good psychiatric management of BPD, Skriptum Wann ist stationäre Therapie bei schweren PS indiziert? • Bei: Dekompensation (= Verlust der Fähigkeit, im täglichen Leben effektiv zu funktionieren) • • • • • • psychotischen Schüben unter Einfluß von Drogen, Alkohol schweren psychosoziale Traumatisierungen schweren negativen therapeutischen Reaktionen schweren suizidalen Tendenzen Selbst- und Fremdgefährdung sekundären komplizierenden Entwicklungen (schwere lebensbedrohende Anorexie, antisoziale Entwicklungen, schwere Depression) Kernberg, VO 39 SFU M3 Borderline 2016 Stationäre Behandlung von Borderline-Patienten- Dauer Kurzfristige Behandlung • Indikation: Dekompensation • Ziel: Vorbehandlung, danach ambulante Weiterbehandlung Langfristige Behandlung • Indikation: wenn nicht ambulant behandelbar • Ziel: ambulante Weiterbehandlung Einzel- und Gruppentherapie, Teambesprechungen, Supervision Stationäre Behandlung von Borderline-Patienten 5 Gruppen von Patienten: 1. Ambulant psychotherapierbare Pat. bei ausreichender Objektrepräsentanz und Beziehungsfähigkeit, geringem Impulskontrollverlust (Krisenintervention auf offener oder geschlossenen Station) 2. Ich-strukturell therapierbare, aber beziehungsgestörte/ Impulsdurchbruch-gefährdete Pat. (geschlossene/ offene Station mit Übergang zu ambulanter Therapie) 3. Besonders Ich-schwache Pat. (primär strukturierende Therapie ohne Deuten) 4. Schwer delinquente Pat. (Einrichtungen mit speziellem Setting) 5. (noch) nicht therapierbare Pat. (z.B. ohne Motivation bzw. Introspektionsfähigkeit) Vgl. Dulz in: Dulz et al (2011: 589) Wichtige pth. Prinzipien für die Behandlung von BPS- Pat. (n. Christa Rohde Dachser) Wichtige pth. Prinzipien für die Behandlung von BPS- Pat. 1. Kategorie: Stationäres Setting 1. Kategorie: Stationäres Setting: •Oberstes Prinzip: Variables Setting, angepasst an die jeweiligen Bedürnisse, Fähigkeiten und Grenzen des Pat. •Unterscheiden zwischen flexiblen Handeln und (unreflektierten) Mitagieren •Sympathie bei zumindest einigen Teammitgliedern •Technische Neutralität bei allen Teammitgliedern •Haltende Funktion (Winnicott) durch das gesamte Team •Agieren des Pat. muß kontrolliert und gesteuert werdendeutliche und eindeutige Grenzsetzungen •Umfassende Aufklärung des Pat. (Art der Erkrankung, Setting, psychodynamische Zusammenhänge, Medikation) •Alle relevanten Inhalte aus Einzeltherapie-Sitzungen müssen dem Team mitgeteilt, in ihm diskutiert und in ihrer psychodynamischen Bedeutung verstanden werden •Behandlungspriorität: Ich-Struktur + Verhalten (besonders in Beziehungen), danach Symptome (die ohnehin oft wechseln) Dulz in Dulz et al. (2011: 589) 1/4 Dulz in Dulz et al (2011: 589) 2/4 40 SFU M3 Borderline 2016 Wichtige pth. Prinzipien für die Behandlung von BPS- Pat. Wichtige pth. Prinzipien für die Behandlung von BPS- Pat. 2. Kategorie: Psychotherapeutisches Setting 2. Kategorie: Psychotherapeutisches Setting: 1. Eruieren der am wenigsten konflikthaften Bereiche des Pat. (um Selbstentwertung entgegenzuwirken) 2. Erst nach Ausbildung einer tragfähigen Beziehung und bereits fortgeschrittener Ich-Strukturierung die stärker angstbesetzten Themen bearbeiten: Beziehung Eltern, Mißbrauch, ... 3. Ziel der Therapie: Überflüssig werden des Therapeuten 4. Zu Beginn der Therapie Schweigepausen unterbrechen (da Angst zunimmt und Fähigkeit zur Introspektion abnimmt) 5. Kein Auffordern zur freien Assoziation, aber Fördern des Realitätsbezuges, insbes. Verhalten in Beziehungen zu anderen 6. Keine genetischen Deutungen, aber Deutungen im Hier und Jetzt, insbesondere frühe Abwehrmechanismen (Ziel: besserer Realitätsbezug) 7. Gegebenenfalls nachdrücklich Konfrontieren mit verleugneten Inhalten 8. Fördern einer positiven Übertragung (Stabilisierung der Beziehung) 9. Bilder der frühen Bezugspersonen müssen entzerrt werden. Ziel: Menschen mit Vorzügen und Schwächen, Entdämonisierung, Entidealisierung 10. Pat. bestätigen, dass er liebesfähig ist 11. Versichern, dass techn. Neutralität kein Zeichen von Ablehnung ist 12. Bei Trauma: Investigieren vermeiden u. subjektives Erleben des Pat. validieren Dulz in Dulz et al (2011: S. 589) 3/4 Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) • Marsha Linehan (seit 1980er Jahren) • Störungsspezifische ambulante Therapie für chronisch suizidale Patienten mit BPS • Integration von Elementen aus einem weiten Spektrum: – Verhaltenstherapie – Kognitive Verhaltenstherapie – Gestalttherapie – Hypnotherapie – Meditation (Zen) • Wissenschaftlich am besten abgesicherte Therapie für Borderline Vgl. Martin Bohus in: Dulz et al (2011: S. 619) Dulz in Dulz et al (2011: 589) Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) Anpassung an verschiedene – Settings (stationäre Bedingungen, Forensik, Betreutes Wohnen) – Komorbiditäten (Essstörungen, Suchterkrankungen, PTBS) – Patientengruppen (Adoleszente, Angehörige, Peer-Gruppen) – Probleme von Therapeuten 4 Module (ambulant): 1. Einzeltherapie (1x/w für 1-3 Jahre) 2. Telefonberatung (z.B. in Krisensituationen) 3. Skills-Training in der Gruppe (1x 2-3h/ w für 6 Monate, manualisiert) 4. Supervisionsgruppe (Kommunikation zwischen Einzeltherapeuten und Gruppentherapeuten, 1x/w; Implementierung der erlernten Skills in Einzeltherapie) Vgl. Bohus in: Dulz et al (2011: S. 620) 41 SFU M3 Borderline 2016 DBT: Therapeutische Grundannahmen PatientInnen 1. versuchen das Beste aus ihrer gegenwärtig verheerenden Situation zu machen 2. wollen sich verbessern 3. müssen sich stärker anstrengen, härter arbeiten, stärker motiviert sein, um sich zu verändern, dies ist ungerecht 4. haben ihre Probleme in der Regel nicht alle selbst verursacht, aber müssen sie selbst lösen 5. Das Leben suizidaler Pat. ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird, in der Regel unerträglich 6. Pat. müssen neues Verhalten im relevanten Kontext erlernen 7. Pat. können in der DBT nicht versagen 8. Therapeuten, die mit DBT arbeiten, brauchen Unterstützung 9. Ziel: dysfunktionales Verhalten löschen, funktionales Verhalten verstärken Vgl. Bohus in: Dulz et al (2011: S. 620) • • •Keine Verschanzung hinter der Therapeutenrolle (Rückzug aus der Beziehung wird meist durch den Pat. erkannt und führt zu einer Verstärkung des Bindung suchenden Verhaltens) •Motto:„Wer sich für Borderline PatientInnen auf die Flucht begibt, der wird auch verfolgt werden“ •Therapeut sollte authentisch als ganz normaler Mensch (nicht in einer Rolle) auftreten •Mitteilung der wichtigsten Fakten aus dem privaten Leben (Ehestand, Kinder, Wohnung usw.) •Je weniger Geheimnisse desto besser Vgl. Bohus in: Dulz et al 2011: S. 622 DBT: Wise Mind-Konzept DBT: Dialektik • • DBT: hilfreiche Aspekte Geistige Grundhaltung (vgl. Zen) Kraft für Veränderungen stammt aus dem inneren Prinzip von Widersprüchen Spannung zwischen Dualismus und Einheit Logik der Antithese- wann immer der Therapeut ein BeziehungsAngebot spürt, sollte dieses ebenso aktiv aufgreifen wie relativieren Vgl. Bohus in: Dulz et al (2011: S. 622) 42 SFU M3 Borderline 2016 DBT: hierarchischer Fokus 1. Suizidales Verhalten (inklusive Vorstellungen, Drohungen) 2. Therapiezerstörende Verhaltensweisen 3. Krisengenerierendes Verhalten (SVV, Hochrisikoverhalten, unbehandelte medizinische Probleme, aggressive Durchbrüche, ungeplante stationäre Notmaßnahmen, schwerwiegende soziale Probleme) 4. Therapiestörendes Verhalten (z.B. Non-Compliance) 5. Verhaltens-und Lebensmuster, welche die Lebensqualität erheblich einschränken (z.B. Drogen, Essstörungen) Vgl. Bohus in: Dulz et al 2011: S. 622 DBT: Konzept der Radikalen Akzeptanz = Das Akzeptieren der Realität, so wie sie ist →„ohne wenn und aber“, ohne impulsiv zu handeln „Radikale Akzeptanz ist der einzige Weg, der aus der Hölle führt – sie bedeutet, den Kampf gegen die Realität sein zu lassen. Akzeptanz ist der Weg, der unerträgliches Leiden in einen erträglichen Schmerz verwandelt.“ (Linehan) „Erst durch die Akzeptanz dessen, was ist, wird der Weg frei für eine möglicherweise notwendige Veränderung“ (Bohus & Wolf, 2009, S. 83) DBT: Skills Training 5 Module: 1.Achtsamkeit (mindfulness) 2.Stresstoleranz 3.Umgang mit Gefühlen 4.Zwischenmenschliche Fertigkeiten 5.Selbstwert Lernen/ Üben in vier Schritten- von Theorie zur Praxis unter steigenden äußeren Stressbedingungen Vgl. Bohus in: Dulz et al (2011: S. 632) Transference-focused Psychotherapy (TFP) Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Kernberg et al.) • Voraussetzung für Setting: u.a. Behandlungsvertrag, technische Neutralität des Therapeuten, Hierarchie thematischer Priorität • Grundannahme: Aktivierung krankheitsbewirkender unbewusster Beziehungen der Vergangenheit des Pat. im Hierund-Jetzt der Beziehung mit dem Therapeuten (=Übertragung) • Ausgangslage: Diese internalisierten Objekbeziehungen sind durch Fantasien und Abwehrmechanismen des Pat. verzerrt (Spaltung in idealisierte und verfolgende Objekte) • Sie entfalten sich dyadisch in der therapeutischen Situation (1) • werden vom Therapeuten identifiziert und benannt (2) • durch die spezielle therapeutische Technik aus Klärung, Konfrontation und Deutung wird es dem Pat. schrittweise ermöglicht, diese Spaltungen aus idealisierenden und verfolgenden Objekten im Sinne einer Integration neu zu strukturieren (3) 43 SFU M3 Borderline 2016 Transference-focused Psychotherapy (TFP) Transference-focused Psychotherapy (TFP) Gegenübertragung: Emotionale Reaktion des Therapeuten in Bezug auf den Pat. Alle Gefühle, die der Pat. im Therapeuten z.B. durch die Reinszenierung von Rollenpaaren auslöst: Gegenübertragung: Konkordante Identifizierung: Therapeut identifiziert sich mit dem Erleben des Patienten (dem Selbst) Komplementäre Identifizierung: Therapeut identifiziert sich mit den inneren und äußeren Objekten des Pat. (den anderen) Rollenpaare können blitzartig wechseln (z.B. Täter-Opfer-Umkehr) Transference-focused Psychotherapy (TFP) Komplikationen der Behandlung Regel: Zuerst deuten, dann Grenzen setzen (Behandlungsrahmen/ -vertrag= containende Funktion) •Selbstmorddrohungen •Essstörungen, Substanzmißbrauch, antisoziales Verhalten/ psychopathische Übertragungen •Drohungen, die Therapie abzubrechen •Affektstürme •Paranoide Regression/ mikro-psychotische Episoden •Dissoziative Reaktionen (eine Form der Spaltung) •Erotisieren •Haß in der Übertragung: Ausdruck von Arroganz •Spitalsaufenthalte Transference-focused Psychotherapy (TFP) Hierarchie thematischer Priorität 1. Selbstmord- oder Todesdrohungen 2. Offenkundige Gefahren für die Fortsetzung der Therapie (finanzielle Schwierigkeiten, Pläne die Stadt zu verlassen, Wünsche nach Verringerung der Frequenz) 3. Unehrlichkeit bzw. absichtliche Zurückhaltung in den Sitzungen (Lügen, Weigerung über bestimmte Themen zu sprechen, Schweigen während der meisten Zeit) 4. Brüche des Therapiekontrakts 5. Ausagieren in den Stunden (Missbrauch der Praxiseinrichtung, Weigerung am Ende der Stunde zu gehen, Schreien ...) 6. Ausagieren zwischen den Stunden etc Vgl. Kernberg 44