Hyperkinetische Störungen im Kindergartenalter

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0534153
Hyperkinetische
Störungen im
Kindergartenalter
Bakkalaureatsarbeit
Medizinische Universität, Graz
Vorgelegt von:
Sura- Maria Dreier
LV: Präventive und rehabilitative Aspekte der Gesundheitsversorgung
von Menschen in Kindes- und Jugendlichen- und mittleren Alters
Am Institut für Sportwissenschaften
Begutachterin: Univ. Prof. Mag. Dr. Andrea Paletta
Graz, 2009
Ehrenwörtliche Erklärung:
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bakkalaureatsarbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die
den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch
keiner Prüfungsbehörde vorgelegt habe.
Graz, am 15. Februar 2010
Unterschrift:
1
Inhalt
1.
Einleitung .......................................................................................................................... 4
Fragestellung .......................................................................................................................... 6
2.
Definition........................................................................................................................... 6
3.
Klassifikationssysteme ..................................................................................................... 9
4.
Ursachen von ADHS ...................................................................................................... 13
4.1 Genetische Ursachen ...................................................................................................... 13
4.2 Minimale Cerebrale Dysfunktion................................................................................... 14
4.3 Neurochemische Ursachen............................................................................................. 14
4.4 Toxische Ursachen ......................................................................................................... 14
4.5 Ernährungsverhalten als Ursache ................................................................................... 15
4.5.1 Nahrungsphosphat/Phosphatarme Diät ................................................................... 15
4.5.2 Konservierungsstoffe, Salyzilate, Farbstoffe/Feingold- Diät.................................. 16
4.5.3 Die Allergie- Hypothese/Oligoantigene Diät.......................................................... 17
4.6 Veränderte Kindheit als Ursache.................................................................................... 18
4.7 Kulturelle Einflüsse........................................................................................................ 20
4.8 Veränderte Bewegungsräume als Ursache..................................................................... 21
5.
Therapien ........................................................................................................................ 22
5.1 Medikamentöse Therapie ............................................................................................... 23
5.2 Verhaltenstherapeutisches Arbeiten ............................................................................... 25
5.3 Mototherapeutische Therapien....................................................................................... 25
6.
Das Setting Kindergarten .............................................................................................. 26
7.
Kindliche Bewegungsentwicklung ................................................................................ 28
8.
Praktische Bewegungsmöglichkeiten in der Mototherapie ........................................ 29
8.1 Die Bewegungsbaustelle ................................................................................................ 29
8.2 Die Bewegungslandschaft .............................................................................................. 29
8.3 Schwimmen als mototherapeutische Therapie ............................................................... 30
8.4 Klettern als mototherapeutische Therapie...................................................................... 32
8.5 Eltern- Kind Bewegungspiele ........................................................................................ 35
8.6 Entspannung ................................................................................................................... 37
2
8.6.1 Entspannungsspiele ................................................................................................. 37
8.6.2 Yoga ........................................................................................................................ 38
8.6.3 Autogenes Training ................................................................................................. 40
9.
10.
Diskussion ....................................................................................................................... 42
Literaturverzeichnis.................................................................................................... 44
3
1. Einleitung
Was
steht
wirklich
hinter
der
Bezeichnung
ADHS
(Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätsstörung), ein multidimensionales Krankheitsbild, die Umschreibung für
besonders zappelige, anstrengende Kinder, eine Modeerscheinung, oder ist es ein
Marketinggag der Pharmafirmen? Betrachtet man die historische Bedeutung des
Zappelphilipps aus dem Kinderbuch von H. Hoffmann aus dem Jahre 1844 so ist die
Problematik von Kindern mit ADHS schon lange bekannt. Wieso sie in den letzten Jahren
aber derart im Steigen begriffen ist, daran scheiden sich die Geister. Es scheint jedoch der
richtige Weg zu sein, sich nicht nur in der jeweils bekannten eigenen Disziplin zu bewegen,
sonder auch über den Tellerrand zu blicken, welche Theorien andere Fachbereiche zu diesem
Thema zu bieten zu haben. So sehen Mediziner sich in der Annahme bestätigt, dass die
hyperkinetische Störung eine Krankheit ist, die mit Medikamenten behandelt gehört. Auf der
anderen Seite kämpfen Sozialwissenschaftler/Pädagogen u. a. um die Einbeziehung der
psychodynamischen und soziokulturellen Beziehungen. Andere Vertreter vermuten wiederum
unerledigte Entwicklungsstörungen oder eine Zivilisationsstörung (vgl. Roggensack 2006,
S.9). Renate Zimmer führt Konzentrationsschwierigkeiten, Hyperaktivität, Aggressivität und
Verhaltensauffälligkeiten als Symptome einer Bewegungsmangelkrankheit an (vgl. Zimmer
2000, S. 53). Obwohl ADHS zu den bestuntersuchten Krankheitsbildern in der
Jugendheilkunde zählt, können die Ursachen größtenteils noch nicht klar benannt werden.
Und genau diese Ungewissheit führt zu den vielen Theoriegebilden, die jede Fachdisziplin für
sich als die einzig Wahre aufstellt.
Die Häufigkeit, mit der der Ausdruck Hyperaktivität in den Medien verwendet wird, lässt
erkennen, dass ADHS in unserer Gesellschaft längst keine Randposition mehr hat. Gerade vor
Schulbeginn ist eine Häufung von Werbung für diverse Säfte und Mittelchen zu beobachten,
die dem unkonzentrierten Kind auf die Sprünge helfen sollen. Auch hier überwiegt wohl der
Wunsch, dem nicht “richtig“ funktionierenden Kind könne durch die alleinige Gabe von
Medikamenten geholfen werden. Die medikamentöse Therapie wird gerne als Mittel erster
Wahl eingesetzt, da sie der Weg des geringsten Widerstandes ist. Den Kindern wird
vermittelt, eine einfache Pille führe als einziges zum Erfolg. So haben Eltern und Kinder ein
schnelles Erfolgserlebnis. Das subjektive Wohlempfinden der Kinder wird nicht als
Vergleichsmaß hinzugezogen. Kinder, die sonst laufend darauf hingewiesen werden etwas
erbringen zu müssen, was sie einfach nicht leisten können, werden nun für ihr angepasstes
4
Verhalten gelobt. Auch den Eltern, denen sonst ein falsches Erziehungsverhalten vorgeworfen
wird, wird plötzlich zugesprochen, endlich das Richtige getan zu haben.
Wenn die Diagnose ADHS bei einem Kind gestellt wird, sind viele Angehörige erleichtert.
Endlich hat sich eine Erklärung für das zappelige, unruhige, lebhafte, unkonzentrierte Kind
gefunden. Die Zuordnung zu einem Krankheitsbild ist somit schnell geschehen, das Kind
kann nun eingeschätzt, kategorisiert und therapiert werden. Vielleicht kann ADHS aber nicht
nur als Krankheit gesehen werden, sondern ist als Reaktion der Kinder auf die
Reizüberflutung unserer hektischen Welt zu verstehen. Vielleicht scheuen wir die
Auseinandersetzung mit diesen “schwierigen“ Kindern, weil es einfacher ist, sie als krank zu
definieren, als sie in einem anderen Kontext zu betrachten und ihrer Kreativität Raum zu
geben. Daher auch meist die Wahl der medikamentösen Therapie, sie verlangt wenig von uns
und auch keine intensive Beschäftigung mit den Kindern. Im Rahmen dieser Arbeit möchte
ich auf alternative Methoden hinweisen, die den Kindern Raum geben mit ihren
überschießenden Energien umgehen zu lernen. Da gerade Kinder im Kindergartenalter noch
sehr unbeschwert sind, gehen sie mit viel Freude an Bewegung heran. Sie sind noch nicht mit
der Einstellung belastet, Bewegung müsse gemacht werden weil sie ja so gesund ist, sondern
sie folgen einem inneren Bewegungsdrang und machen in diesem Alter auch noch viele neue
Erfahrungen durch das Bewegen und Begreifen. Kinder bewegen sich nicht wie Erwachsene
aus einem funktionsorientiertem Denken heraus, sondern weil es ihnen Freude bereitet (vgl.
Zimmer 2000, S. 50). Aus diesem Grund habe ich mich bei meiner Literaturrecherche auf die
Bewegungserziehung im Kindergarten spezialisiert.
Der erste Teil dieser Arbeit behandelt die Definition von ADHS, anschließend werden
mögliche Ursachen diskutiert. Im zweiten Teil wird auf verschiedene Therapieformen
eingegangen. Als Schwerpunkt werden hierbei die mototherapeutischen Therapieformen
erläutert. Da diese Arbeit das Kindergartenalter behandelt wird das Setting Kindergarten
erklärt und auf die kindliche Bewegungsentwicklung eingegangen um mit der Mototherapie
abzuschließen. Dieses Kapitel enthält auch Übungen für die Praxis, so dass die
Bewegungstherapie zum Teil auch angewendet werden könnte.
5
Fragestellung
Bei der Beschäftigung mit dem Thema ADHS zeigt sich, dass das “Krankheitsbild“ in der
breiten Masse sehr bekannt ist, auch bei den Therapiemöglichkeiten ist der Bekanntheitsgrad
von Medikamenten sehr groß. Gerade Ärzte sind bei der Verschreibung von Medikamenten
schnell bei der Hand, um den kleinen PatientInnen eine Therapie anbieten zu können. Bei
anderen Therapiemöglichkeiten benötigen die Therapeuten längerfristige Ausbildungen oder
ein umfassendes Training. Die korrekte Anwendung und der richtigen Umgang muss erst
erlernt werden. Vom Kind wird eigener Handlungsbedarf gefordert. Diese alternativen
Therapiemöglichkeiten sind somit weder für die Kinder noch für die Therapeuten einfach zu
erlangen. Es ergibt sich ein großer Bedarf an geschulten Personen, die zusätzlich zur
medikamentösen Therapie Hilfestellungen anbieten können. Sie sollen die Kinder dabei
unterstützen, diesen schwierigeren Weg zu gehen. Vielleicht können in Zukunft auch
Gesundheits- und PflegewissenschaftlerInnen Hilfestellungen für hyperkinetische Kinder
anbieten. Somit stellt sich die Frage was ADHS eigentlich genau ist und wie Gesundheitsund PflegewissenschaftlerInnen damit arbeiten können? Da gerade im Gesundheitsbereich der
präventive Charakter eine wichtige Rolle spielt, sollte so früh wie möglich mit Unterstützung
begonnen werden. Somit ist das Kindergartenalter ein sehr geeigneter Zeitpunkt um mit den
ersten Interventionen zu beginnen. Deshalb beziehe ich mich in dieser Arbeit auf diese
Altersgruppe und ihr spezielles Bewegungsbedürfnis.
2. Definition
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Hyperkinetische Störung
„Als hyperkinetisch wird ein Kind bezeichnet, das eine für sein Alter inadäquate
Aufmerksamkeit, ausgeprägte motorische Hyperaktivität, erhöhte Impulsivität sowie
emotional und sozial störende Verhaltensweisen wie erhöhte Erregbarkeit oder Irritierbarkeit
aufweist.“(Möller/Laux 2005, S.432)
Der Begriff „hyperkinetisch“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „sich übermäßig
bewegen“ (hyper = über, kinesis = Bewegung) und spricht somit die gleichen Merkmale an
wie der Begriff „hyperaktiv“ (vgl. Klammrodt 1999, S.24). Genauer genommen bedeutet
Hyperkinetik ein Zuviel an Bewegung bzw. Bewegungsenergie, während Hyperaktivität die
6
Handlungsenergie, also eine Tätigkeit beschreibt (vgl. Schweizer/Prekop 1991, zit. nach
Passolt 1996, S. 153).
Die hyperkinetische Störung ist geprägt durch charakteristische Kernmerkmale wie:
x Hyperaktivität
x Impulsivität und eine
x Störung der Aufmerksamkeit
Unter den Begriff Hyperaktivität fallen laut Döpfner Zuschreibungen wie:
x „Zappelt häufig mit Händen und Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum.
x Steht in der Klasse oder in anderen Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet
wird.
x Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen in denen dies unpassend ist
(bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl
beschränkt bleiben).
x Hat häufig Schwierigkeiten ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu
beschäftigen.
x Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er getrieben.“
(Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.43)
Die Hyperaktivität bleibt auch im Erwachsenenalter bestehen, nimmt jedoch andere
Ausdrucksformen an. Laut Steinhausen haben diese Personen Schwierigkeiten bei der
Erfüllung ihrer Pflichten am Arbeitsplatz und in Beziehungen. Auch die Gefühlsregulation
macht Probleme, häufig sind Wut- und Affektausbrüche. Da die Hyperaktivität im
Erwachsenenalter andere Dimensionen annimmt, wird sie bei Erwachsenen häufig übersehen
(vgl. Albrecht zit. nach Steinhausen, Dimensionen, 2009).
Hyper- oder Hypoaktivität ist die Beschreibung eines Aktivitätsgrades, dafür muss dieser
Aktivitätsgrad erst einmal in einen Normbereich gebracht werden. Diese Beschreibung hängt
jedoch meist von einer subjektiven Betrachtung beziehungsweise von einem Kontext ab. So
ist beispielsweise im schulischen Rahmen, im Sportunterricht Aktivität in Form von
Bewegung erwünscht, im Mathematikunterricht aber weniger angebracht. Somit muss auch
immer der Kontext und Bezugsrahmen in die Betrachtung mit einfließen.
7
Der Begriff Impulsivität umfasst folgende Beschreibungen:
x „Platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
x Kann häufig nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist (bei Spielen oder in
Gruppensituationen).
x Unterbricht und stört häufig (platzt z. B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein).
x Redet häufig übermäßig viel (ohne auf soziale Beschränkung zu reagieren).“
(Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.44)
Impulsivität ist die Bezeichnung für Spontanität und Unvermitteltheit, beides geschieht
aufgrund eines plötzlichen Antriebs. Im Zusammenhang mit ADHS hat Impulsivität aber
einen negativen Charakter, da das Verhalten als vorschnell und nicht adäquat empfunden
wird.
Der Begriff Unaufmerksamkeit beschreibt neun Punkte:
x „Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den
Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten.
x Hat häufig Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben
oder Spielen aufrechtzuerhalten.
x Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn ansprechen.
x Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann
Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende
bringen
(nicht
aufgrund
von
oppositionellem
Verhalten
oder
Verständnisschwierigkeiten).
x Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren.
x Vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur
widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengung
erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben).
x Verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt
(z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug).
x Lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken.
x Ist bei Alltagsaktivitäten häufig vergesslich.“
(Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.41)
8
Der Begriff Aufmerksamkeit bedeutet zum einen den Zustand der Aufmerksamkeit, das
Dasein, zum anderen das gezielte Achtgeben. Auch beim Begriff Aufmerksamkeit
(Unaufmerksamkeit) ist es notwendig, sich auf einen Normbereich zu beziehen. Jedoch stellt
sich in diesem Fall eine ähnliche Schwierigkeit durch die Diskrepanz der Beobachtung. Ist ein
Kind, das zum Fenster hinausblickt weniger aufmerksam als das Kind, das das Geschehen an
der Tafel verfolgt? In den Augen des Lehrers wahrscheinlich. Dass Aufmerksamkeit immer
zielgerichtet ist und eine Belastungsgrenze hat, darf man bei einer subjektiven Betrachtung
nicht außer Acht lassen (vgl. Roggensack 2006, S. 202-207).
Zusätzlich zu den Kernsymptomen kommen häufig Stimmungsschwankungen, Unruhe,
Rastlosigkeit und Aggressivität vor. Außerdem können zu diesen Merkmalen Störungen des
Sozialverhaltens auftreten. Hinterhuber spricht von der Begünstigung einer sekundären
Neurotisierung (vgl. Hinterhuber 1997, S. 170).
Auffällig sind hyperkinetische Kinder schon als Säuglinge, bzw. ab dem frühen Kindesalter,
jedoch gewinnen die Störungen meist erst mit dem Schuleintritt an Bedeutung. Die Probleme
manifestieren sich meist erst ab dem Zeitpunkt, wenn von den Kindern ein vermehrtes
Stillsitzen erbracht und Konzentration an den Tag gelegt werden muss.
3. Klassifikationssysteme
Die Diagnosestellung nach dem DSM IV (Diagnostic and Statistical Manuel of Mental
Disorders) unterscheidet drei Typen:
x Typ 1: Mischtyp: Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität/Impulsivität.
x Typ 2: Vorwiegend unaufmerksamer Typ: Aufmerksamkeitsdefizitsstörung ohne
Hyperaktivität/Impulsivität.
x Typ 3: Vorwiegend hyperaktiv- impulsiver Typ: Hyperaktivität/Impulsivität ohne
Aufmerksamkeitsstörung.
(vgl. Roggensack 2006, S. 54)
Eine weitere Einteilung geschieht durch die psychiatrische Klassifikation ICD- 10
(International Classifikation of Diseases) welche folgende Merkmale als charakteristisch bei
hyperkinetischen Störungen definiert (Code F90):
9
Forschungskriterien für hyperkinetische Störungen gemäß ICD- 10
1. „Für das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes abnorme nachweisbare
Störungen der Aufmerksamkeit und des Verhaltens zu Hause, ersichtlich aus
mindestens drei der folgenden Aufmerksamkeitsprobleme:
1.kurze Dauer spontaner Aktivitäten;
2.spielerische Aktivitäten bleiben oft unbeendet;
3.allzu häufiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten;
4.vermindertes Durchhaltevermögen für Aufgaben die von Erwachsenen gestellt
wurden;
5. übermäßig hohe Ablenkbarkeit beim Lernen, z.B. bei den Hausaufgaben oder beim
Lesen;
Und durch mindestens drei der folgenden Störungen der Aktivitäten:
6. anhaltende motorische Unruhe (laufen, springen, etc.)
7.deutlich exzessives Wackeln und Zappeln bei spontanen Aktivitäten;
8.deutlich exzessive Aktivität in Situationen in denen Ruhe erwartet wird(z. B. bei
Mahlzeiten, beim Reisen, bei Besuchen oder in der Kirche)
9. Schwierigkeiten, sitzen zu bleiben, wenn es gefordert wird.
2. Für das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes abnorme Störungen der
Aufmerksamkeit und der Aktivität in der Schule oder im Kindergarten, ersichtlich aus
mindestens zwei der folgenden Aufmerksamkeitsprobleme:
1.herabgesetztes Durchhaltevermögen bei Aufgaben;
2.übermäßig hohe Ablenkbarkeit, d. h. häufiges Orientieren an äußeren Stimuli;
3.übermäßiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten, wenn eine Wahl erlaubt
ist;
4.außergewöhnlich kurze spielerische Aktivitäten;
Und durch mindestens zwei der folgenden Aktivitätsprobleme:
5.anhaltende und exzessive motorische Unruhe (laufen, springen etc.) in Situationen,
in denen freie Aktivität erlaubt ist;
6.deutlich exzessives Wackeln und Zappeln in strukturierten Situationen;
7.hohes Maß an Pausenzeiten während gestellter Aufgaben;
10
8.übermäßig hohes Aufstehen, wenn Sitzenbleiben erforderlich ist.
3. Direkt beobachtbare Störung der Aufmerksamkeit und Aktivität, in einem für das Alter
und den Entwicklungsstand des Kindes übermäßigen Ausmaß. Der Nachweis kann in
einer der folgenden Möglichkeiten bestehen:
1.direkte Beobachtung der Kriterien 1 oder 2 (oben), d. h. nicht nur Bericht der Eltern
und/oder des Lehrers;
2.Beobachtung eines hohen Maßes an motorischer Aktivität oder ziellosen Verhaltens
oder Mangel an Durchhaltevermögen bei Aktivitäten in einer Umgebung außerhalb
von zu Hause oder der Schule (z. B. in der Klinik oder im Labor);
3.deutliche Leistungsbeeinträchtigung in psychomotorischen Aufmerksamkeitstests.
4. Die Kriterien für eine Entwicklungsstörung, eine manische, eine depressive oder eine
Angststörung sind nicht erfüllt.
5. Beginn vor dem 6. Lebensjahr
6. Dauer mindestens sechs Monate
7. IQ über 50“
(Steinhausen 1995, S.15)
Um keine irrtümliche Zuschreibung zur Diagnose ADHS zu treffen, ist es wichtig darauf zu
achten, dass die Erkrankung einen frühen Beginn hat, das Kind ein durchgängiges
Verhaltensmuster über einen längeren Zeitraum aufweist und die Überaktivität gemeinsam
mit einer Unaufmerksamkeit und einem Mangel an Ausdauer einhergeht.
Die oben erwähnten Kernsymptome werden meist von zwei Standpunkten beobachtet, im
Elternhaus und in der Schule/Kindergarten. Dadurch schleichen sich selbstverständlich leicht
Beobachtungsfehler
und
subjektive
Betrachtungsweisen
ein.
Um
eine
fälschliche
Zuschreibung zu einem Krankheitsbild zu vermeiden, betont Steinhausen die Wichtigkeit von
objektiven Einschätzungsinstrumenten wie Fragebögen und Schätzskalen (vgl. Steinhausen
1995, S.18). Auch Roggensack warnt vor einer raschen Zuordnung zu diesem Krankheitsbild,
11
da es sonst zu einer Vorverurteilung des Kindes mit ADHS kommen könne (vgl. Roggensack
2006, S. 11). Wichtig ist auch im Vorfeld abzuklären, inwieweit es sich bei der Symptomatik
des Kindes um einen noch normalen Reifungsprozess handelt (vgl. Hinterhuber 1997, S. 170).
Da sich die Absicherung dieser Diagnose nicht einfach gestaltet, sollten rechtzeitig auch die
Differentialdiagnosen abgeklärt werden. So kann es beispielsweise bei Depressionen zu einer
falschen Zuschreibung zum Krankheitsbild ADHS kommen, obwohl es sich um Anomalien
der Depression handelt, die mit ADHS Symptomen einhergehen (vgl. Albrecht zit. nach
Romanus, Dimensionen, 2009).
Weitere
Differenzialdiagnosen
und/oder
Begleiterkrankungen
können
tiefgreifende
Entwicklungsstörungen, Angsterkrankungen, emotionale und effektive Störungen sein. Denn
auch bei diesen Krankheitsbildern spielen Unruhezustände und Aufmerksamkeitsstörungen
eine große Rolle. Außerdem müssen auch organische Ursachen, Intelligenzminderung,
Denkstörungen und Suchterkrankungen ausgeschlossen werden (vgl. Möller/Laux 2005, S.
434).
Das hyperkinetische Syndrom zählt zu den bestuntersuchten Krankheitsbildern in der
Kinderheilkunde und macht mit 5,3% weltweit betroffenen Kindern den wesentlichen Teil der
psychischen Anomalien im Kindesalter aus (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009). Jungen sind
jedoch dreimal so häufig von ADHS betroffen wie Mädchen (vgl. Möller/Laux 2005, S.433).
Die Symptome setzen meist schon sehr früh ein, manche Mütter berichten rückblickend über
motorische Unruhe in der Schwangerschaft, und bei diesen Säuglingen fällt meist auch leichte
Erregbarkeit auf. Beim Kleinkind fallen eher die grobmotorischen Aktivitäten auf (Rennen,
Klettern). Laut Tölle sind diese Kinder im Kindergarten sehr draufgängerisch, ecken in ihrer
sozialen Umgebung an und erkennen gefährliche Situationen nicht. Dies wirkt sich auf das
Sozialverhalten aus, da hyperkinetische Kinder häufig die Grenzen anderer Kinder nicht
erkennen. Die sich daraus ergebende Kommunikationsstörung ist auch darauf zurückzuführen,
dass hyperkinetischen Kindern häufig die nötige Empathie fehlt um sich in andere Kinder
hineinzuversetzen. Diese Probleme sind im Kleinkindalter gut ersichtlich, später jedoch
verlieren sie durch soziale Lern- und Anpassungsprozesse ihre Bedeutung (vgl. Tölle 2009, S.
274).
Neueste Erkenntnisse wurden auf dem “2nd International Congress on ADHD“, vom 21- 24
Mai 2009 in Wien präsentiert, auf dem mehr als 1000 Vertreter aus 70 Ländern anwesend
waren.
Auf
diesem
Symposium
wurde
die
Meinung
vertreten,
dass
es
keine
12
geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Symptomatik gibt. Es bestehen jedoch sehr wohl
Unterschiede bei den Begleiterkrankungen. Bei den weiblichen Betroffenen dominieren
Angststörungen und Depressionen, bei den männlichen Betroffenen Störungen des
Sozialverhaltens und Aggressionen (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009).
4. Ursachen von ADHS
Über die Ursachen der hyperkinetischen Störung wird seid langem diskutiert, Fakt ist, dass
die Ursachen mannigfaltig sind und in Wechselwirkung zueinander stehen. Diese
multifaktoriellen Auslöser setzen sich aus genetischen, neurobiologischen, umweltbedingten
und psychosozialen Auslösern zusammen. Laut Steinhausen „besteht jedoch kein Zweifel,
dass hyperkinetische Störungen letztendlich neurobiologisch bedingt sind“, (Steinhausen
1995, S. 21) dies gilt jedoch nur für einen Teil der betroffenen Kinder.
4.1 Genetische Ursachen
Zwillingsstudien und Familienstudien zeigen, welchen wichtigen Einfluss genetische
Faktoren auf die Entstehung von hyperkinetischen Störungen haben. Das genetische Risiko an
einer hyperkinetischen Störung zu erkranken beträgt 80% (vgl. Albrecht, Dimensionen,
2009). So zeigt sich in Adoptionsstudien, dass das hyperkinetische Syndrom bei biologischen
Verwandten weitaus häufiger auftrat, das Halbgeschwister seltener hyperkinetisch sind als
Vollgeschwistern. Und in Zwillingsstudien zeigt sich, dass das Aktivitätsniveau von eineiigen
Zwillingen stärker übereinstimmt als das von zweieiigen Zwillingen. Andere Studien zeigen,
dass ADHS in manchen Familien über Generationen in hoher Dichte auftritt. Somit scheint es
sehr wahrscheinlich, dass die Gene für eine Erkrankung an ADHS eine große Rolle spielen.
Interessant erscheint auch, dass in Familien, in denen die hyperkinetische Störung gehäuft
auftritt, die Väter anfälliger für Alkoholismus und sogenannte soziopathische Störungen zu
sein scheinen, während bei den Müttern hysterische Störungen überwiegen (vgl. Angerer
2005, S. 22 u. Steinhausen 1995, S.22). Die genetische Ursachendiskussion wird auch gestützt
durch molekulargenetische Untersuchungen in denen der Einfluss der Gene auf die DopaminRegulation beobachtet wird. So wird beispielsweise der Einfluss eines Dopamin- D2- Gens
auf sensationssuchende Persönlichkeitseigenschaften diskutiert. Diese Diskusionen haben
aktuell aber noch einen hypothetischen Charakter (vgl. Roggensack 2006, S.79).
13
4.2 Minimale Cerebrale Dysfunktion
Die Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) ist eine geringradige, frühkindliche
Hirnfunktionsstörung, einhergehend mit Teilleistungsstörungen aber nicht mit einer
Intelligenzminderung. Die Lernfähigkeit ist gestört und die Kinder sind sehr unruhig. Diese
Ursache wird inzwischen als veraltet betrachtet, aber immer noch stark diskutiert, obwohl die
Mehrzahl der hyperkinetischen Kinder nicht an MCD erkrankt sind (vgl. Haring 2004, S.
360).
4.3 Neurochemische Ursachen
Bei den neurobiologischen Ursachen wird eine Störung in der Verstoffwechselung von
Neurotransmittern wie Noradrenalin, Serotonin und Dopamin diskutiert. Das Zusammenspiel
der Botenstoffe ist gestört, da sie in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. Betroffen
sind die Gehirnregionen Frontallappen, Hirnstamm und Areale des Kleinhirns. Gerade diese
Bereiche im Gehirn sind zuständig für Koordination, Aufmerksamkeit, Motivation,
ermöglichen planerisches Denken und Organisationsleistungen. Außerdem verhindern sie
überschießende Reaktionen auf Umweltreize. Diese These wird auch durch den oftmals
erfolgreichen Einsatz von Methylphenidat und Amphetaminen gestützt. Diese verhindern die
Wiederaufnahme der Neurotransmitter in der präsynaptischen Zelle, weshalb die
Konzentration im Intersynaptenspalt ansteigt. Es scheint jedoch eine Störung des
Noradrenalinstoffwechsels vorzuliegen, während das serotoninerge System nicht für die
hyperkinetische Störung verantwortlich zu sein scheint (vgl. Steinhausen 1995, S. 22).
4.4 Toxische Ursachen
Toxine, aus der Umwelt stammende Gifte, insbesondere auch Allergene scheinen ebenfalls
eine große Rolle bei der Entstehung von hyperkinetischen Störungen zu spielen. Großen
Einfluss hat die Auswirkung von Alkohol in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.
Studien zu den Langzeitfolgen von Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft zeigen
dass hyperkinetische Störungen bei diesen Kindern häufig vorkommen. Andererseits werden
genau jene Nervengifte (Alkohol, Nikotin), die in der Frühphase des Lebens Schäden bewirkt
haben, später von den betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen zur Selbsttherapie
verwendet.
Denn
am
Beispiel
Nikotinmissbrauch
ist
erkennbar,
dass
die
14
Katecholaminausschüttung (Neurotransmitter: Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Serotonin)
die Symptome des ADH Syndroms reduziert. (vgl. Steinhausen 1995, S.23)
Auch ein erhöhter Bleispiegel im Blut zeigt Auswirkungen, wenn auch dieser Effekt bei
relativ wenigen Kindern für das hyperkinetische Syndrom verantwortlich zu sein scheint
(ebenda S.113).
Der Einfluss von Nahrungsmittelzusätzen wie Salizylate, Phosphate, künstliche Farbstoffe,
Zuckerzusätze wird diskutiert und scheint durchaus eine mögliche Ursache zu sein (vgl.
Albrecht, Dimensionen, 2009).
4.5 Ernährungsverhalten als Ursache
Welch wichtige Rolle die Ernährung spielt, um dem Menschen ein ausgeglichenes
körperliches und seelisches Wohlbefinden zu ermöglichen, ist wohl unbestritten. Der Körper
muss (möglichst qualitätvoll) ernährt werden um richtig zu funktionieren. Alleine am Beispiel
Frühstück zeigt sich, wie wichtig dieses ist. Bei
Kindern, die ein Frühstück zu sich
genommen hatten war die Aufmerksamkeit ungleich besser als bei Kindern, die kein
Frühstück gegessen hatten (vgl. Steinhausen 1995, S.113). Welche Bedeutung das
Ernährungsverhalten auf hyperkinetische Kinder hat, soll im Folgenden diskutiert und
Therapieansätze erläutert werden.
4.5.1 Nahrungsphosphat/Phosphatarme Diät
Herta Hafer führte Anfang der 80er Jahre im deutschsprachigen Raum die Diskussion darüber
ein, ob das in der Nahrung enthaltene Phosphat für die Verhaltensauffälligkeiten von Kindern
zuständig sein könnte. Hafer war der Meinung, dass vor allem Kinder die an MCD litten, auf
Phosphatgaben mit einer metabolischen Alkalose (Überschuss an Alkalien in Geweben und
Körperflüssigkeiten) reagieren würden. Ihrer Meinung nach reagieren anfällige Kinder 20- 30
Minuten nach Phosphataufnahme mit entsprechend expansiven Symptomen, die dann
gesetzmäßig drei Tage andauern würden. Die Elterninitiativen, die nach der phosphatarmen
Diät nach Hafer gegründet wurden, berichteten teilweise von erfolgreichen Einzelfällen. Einer
wissenschaftlichen Überprüfung hielt die Diät jedoch nicht stand. In einer Doppelblindstudie
konnte nach dem Weglassen von Phosphat kein Unterschied im Verhalten- oder in der
Leistung festgestellt werden (vgl. Steinhausen, 1995, S.114).
15
Klammrodt spricht aus eigener Erfahrung in den höchsten Tönen von der phosphatfreien Diät,
jedoch kann auch er nur auf Einzelfallberichte ohne wissenschaftliche Grundlage
zurückgreifen. Laut Klammrodt sind die Phosphatanteile in unseren Lebensmitteln in den
letzten 30 Jahren um 300% gestiegen. Da der Mensch nicht in der Lage ist, sich innerhalb
dieser kurzen Zeit auf die ernährungstechnischen Veränderungen einzustellen, führen diese zu
unabsehbaren Folgen für die Gesundheit. Die unterschiedliche Empfindlichkeit jedes
einzelnen Menschen erschwert es, die Ursache rechtzeitig zu erkennen und Reizquellen
auszuschalten. Die Therapie bei einer Phosphatunverträglichkeit besteht in einer
phosphatarmen Diät. In dieser Diät werden natürliche und künstliche Phosphate wie
Vollgetreide, Nüsse, Hülsenfrüchte, Eier, Milch, Käse u. a. sowie phosphathaltige
Zusatzstoffe vermieden. Es sollte zu einer natürlichen Ernährung zurückgekehrt werden die
möglichst wenig “Fertigprodukte“ enthält (vgl. Klammrodt 1999, S. 89-91). Um die
Phosphate aus dem Körper aus zu schleusen verwendet die „Phosphatliga“ magnesium- und
aluminiumhaltige Substanzen. Über die Nieren wird auf diesem Weg mehr Phosphat
ausgeschieden. Dadurch sind jedoch gerade bei Flüssigkeitsverlusten Nierenschäden nicht
auszuschließen. Fest steht auch, dass Aluminium auf Neuronen toxisch wirkt und
beispielsweise bei Dialysepatienten Enzephalopathie (Teilnahmslosigkeit, Gedächtnislücken,
Tremor bis hin zum Leberkoma) hervorruft. Steinhausen stellt weiters fest, dass es fast nicht
möglich ist eine Senkung der Serumkonzentration von Phosphat durch die Diät
hervorzurufen. Die Phosphatarme Diät hat in der Langzeitbehandlung erhebliche
Nebenwirkungen die mit Anorexie (Fehlernährung), Knochenschmerzen, Muskelschwäche
und Unwohlsein einhergehen. Als Dauerernährung sollte die Phosphatarme Diät für Kinder
nicht empfohlen werden. (vgl. Steinhausen 1995, S. 115f)
4.5.2 Konservierungsstoffe, Salyzilate, Farbstoffe/Feingold- Diät
Konservierungsstoffe, Farbstoffe und artefizielle Zusätze (Salizylate) sollen laut Feingold
auch für ADHS Symptome zuständig sein. Salizylate sind natürlicherweise in Äpfeln,
Tomaten und Orangen enthalten. Auch bei dieser Diätform gab es einige überzeugende
Einzelerfolge, einer wissenschaftlichen Überprüfung hielt diese Hypothese jedoch auch nicht
stand. Die erzielten Erfolge gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Placeboeffekt
zurück, der durch eine Hinwendung und Betrachtung des Kindes in Form dieser Diät erfolgt.
Somit tritt allein schon durch die Veränderung der Eltern- Kind- Beziehung ein
therapeutischer Aspekt auf (vgl. Greiner 2002, S. 21-24 und Roggensack 2006, S. 87). Auch
16
Steinhausen zweifelt die Objektivität dieser Studien an, er führt die positiven Effekte darauf
zurück, dass nur die Sofortreaktionen, nicht die Langzeiteffekte getestet wurden, obwohl
diese bei weitem überwiegen (vgl. Steinhausen 1995, S. 128). Die positive Wirkung in
Einzelfällen wird jedoch bestätigt, da einige PatientInnen tatsächlich auf synthetische
Nahrungsmittelzusätze und Salicylate ansprechen (ebenda S. 131).
Auch Zucker kam immer wieder in den Verdacht, die hyperkinetischen Symptome zu
verstärken. Auch in diesem Fall zeigte sich die Hypothese nicht haltbar, da sich bei einer
Überprüfung nur bei sehr wenigen Kindern eine Verbesserung des Verhaltens einstellte (vgl.
Roggensack 2006, S. 88).
4.5.3 Die Allergie- Hypothese/Oligoantigene Diät
Diese Hypothese geht davon aus, dass Nahrungsmittelallergien Verhaltensstörungen auslösen
können. Bei der Oligoantigenen Diät werden in einem Zeitraum von 3- 4 Wochen nur wenige,
erfahrungsgemäß nicht allergieauslösende Nahrungsmittel erlaubt. Wenn eine Besserung
eintritt, werden die zuvor vermiedenen Lebensmittel wieder zugeführt. Dabei wird immer ein
Abstand von einigen Tagen gelassen, um die Reaktionen des Kindes direkt auf ein eventuelles
Allergen zu erkennen. Bei den neutralen Lebensmitteln handelt es sich meistens um zwei
Sorten Fleisch (z. B. Lamm und Pute), Reis, Kartoffeln, Gemüse wie Karotten, Gurken, Kohl,
Zwiebel und Spargel. Erlaubt ist auch Obst; beispielsweise Äpfel, Birnen, Bananen und
milchfreie Margarine oder Oliven- und Sonnenblumenöl. Als Getränke sind die Säfte aus den
oben genannten Früchten, Wasser und Mineralwasser erlaubt. Streng vermieden werden
Zitrusfrüchte, Kuhmilch (diese wird durch Ziegen-, Schafs- oder Sojamilch ersetzt),
Schokolade und Getreide. Durch die langsame Wiedereinführung der vermiedenen
Nahrungsmittel kann eine Unverträglichkeit getestet werden.
Studien zeigen einen positiven Effekt auf die Schlafphasen bei hyperkinetischen Kindern, die
REM- Schlafphasen waren deutlich tiefer und die Kinder wachten nachts nicht mehr so häufig
auf.
Dieser
Umstand
Konzentrationsleistung
kann
führen.
ebenfalls
Generell
zu
einer
wurde
verbesserten
bei
einigen
Gedächtnis-
und
Kindern
eine
Verhaltensverbesserung erzielt, eine Normalisierung wurde aber auch erst mit Hilfe von
anderen Therapien erreicht (vgl. Steinhausen 1995, S. 130- 133).
Anzumerken bleibt natürlich auch, dass diese Diätformen alle sehr stark in die psychosoziale
Situation des Kindes eingreifen. Sie erfordern Konsequenz von Seiten der Kinder und Eltern,
17
sind aufwändig und kostspielig (vgl. Greiner 2002, S. 24). Auf der anderen Seite zeigt sich,
dass sehr wohl ein gewisser Einfluss von dem, was wir essen auf unser Wohlbefinden besteht,
und Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze einen Einfluss auf hyperkinetisches Verhalten
haben. Eine Studie, die in amerikanischen Gefängnissen zu diesem Thema durchgeführt
wurde, zeigte, „dass die Aggressivität jugendlicher Krimineller abnahm, wenn die
Inhaftierten anstatt “Junk Food“ eine gesunde, gemischte Kost erhielten“ (Steinhausen 1995,
S. 134).
4.6 Veränderte Kindheit als Ursache
In den letzten Jahren hat sich für die heranwachsenden Kinder vieles verändert, diese
Veränderungen umfassen individuelle Erfahrungen und Entwicklungen und ziehen sich weiter
bis hin zu globalen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Zusammengefasst betreffen
die Veränderungen folgende Punkte: Fernsehen, Körperliche Bewegung, Familie, Erziehung,
Umweltgifte und Ernährung (vgl. Klammrodt 1999, S. 63). Auf dem Symposium des ADHD
Congresses 2009 in Wien wurden die Umwelt- und Sozialeinflüsse heftig diskutiert. Die
Informationsflut, die auf die Kinder heutzutage einstürzt, kann durchaus eine Belastung sein
und eine Desorientierung auslösen. Die Aufmerksamkeitsstörung ist ein Symptom der ADHS
und genau dies ist es, was von den multiplen Medien gefordert wird. Die Aufmerksamkeit
wird durch den Informationsdruck immer stärker beansprucht. Neue mediale Welten haben
uns zu einer Informationsgesellschaft gemacht, während digitale Welten uns eine virtuelle
Realität voller veränderter Kommunikationsmöglichkeiten verschaffen. Das psychosoziale
Umfeld ist also bestens dazu geeignet, seelischen Erkrankungen den idealen Nährboden zu
liefern.
Die technologische und gesellschaftliche Beschleunigung bereitet Probleme bei der
Verarbeitung der auf das Individuum einstürzenden Reize. Vor allem weil der menschlichen
Aufmerksamkeit Grenzen gesetzt sind, die sich nicht beliebig steigern lassen. Das führt nun
dazu, dass sich der Wissensstand des Menschen durch die Informationsflut eigentlich nicht
erhöhen lässt. Auf der anderen Seite ist sehr wohl eine Gewöhnung an die Beschleunigung
festzustellen. So führte beispielsweise die Eisenbahn als neues Verkehrsmittel zu einer
veränderten Raum- Zeitwahrnehmung. Der Mensch hat sich auf diese neue Dimension
eingestellt, sich ihr angepasst und somit hat eine Gewöhnung stattgefunden. DeGrandpre
vergleicht diesen Gewöhnungseffekt „mit der körperlichen Toleranz für Drogen: Nachdem
18
sich die letzte Geschwindigkeit als neuer Standard unserer normativen Erfahrung (und
Erwartung) durchgesetzt hat, verlieren wir den Spaß an diesem Tempo und bleiben
stattdessen nur mit gesteigerten Erwartungen zurück, die uns nach noch mehr
Geschwindigkeit verlangen lassen.“ (DeGrandpre 2002, S.34 in Roggensack 2006, S. 29).
Früher waren Lebens- und Tagesrhythmus vorgegeben durch natürlich gewachsene Strukturen
die heute immer mehr an Bedeutung verlieren. Heute leben vor allem Familien unter dem
Zeitdiktat der Beschleunigung, die zu einer Zeitersparnis führen sollte. Die Menschen
verwenden diese Zeitersparnis jedoch nicht um die gewonnene Freiheit als Freizeit zu
genießen, sondern stopfen noch mehr Aktivitäten in die gewonnene Zeit. In den Familien
äußert sich dieser Zeitdruck dadurch, dass die Kinder von ihrem straff organisierten
Schulalltag in perfekt durchgeplanten Freizeitaktivitäten entlassen werden. Die Mütter sind
neben eigenen beruflichen Verpflichtungen in ihren Rollen als Familienmanagerinnen auch
als Taxifahrerinnen, Nachhilfelehrerinnen und Ehe- Lebenspartnerin eingeteilt, um ihren
Kindern auch ein möglichst vielfältiges Angebot bieten zu können. Die Kinder sind also von
klein auf in dieses Zeitdiktat eingespannt und gewöhnen sich somit an die Steigerung des
Tempos.
Da sich zusätzlich auch ein Wertewandel in den Familien vollzieht und neue Formen des
Zusammenlebens in den Familien zelebriert werden, ist es nötig sich neue Handlungsmuster
zu überlegen und mit traditionellen Wertevorstellungen zu brechen. Die neuen Lebensformen
im Sinne von Scheidungs-, Patchworkfamilien, AlleinerzieherInnen, Singlehaushalten, etc.
zeigen allgemeine gesellschaftliche Veränderungen auf und sind nicht negativ zu betrachten.
Ebenfalls eingreifend in das soziale Gefüge Familie ist der Fernseher; meist schon als eigenes
Familienmitglied gesehen, bestimmt er den Tagesablauf und die Freizeitgestaltung. Die
mediale Reizüberflutung birgt die Gefahr einer Überforderung der Kinder im Bereich der
geistigen und emotionalen Entwicklung. Das Problem ist, dass die Kinder auf diese Art mit
Informationen in Berührung kommen, die eigentlich für Erwachsene gedacht sind, bei den
Kindern jedoch Unverständnis hervorrufen. Weiters ist eine gewisse Vereinsamung vor dem
Fernseher zu beobachten, da die Individuen vereinzelt vor dem Fernseher sitzen. Diese
Vereinzelungsfunktion hat in Familien, in denen häufig Spannungen herrschen eine
Entlastungsfunktion und hilft Konflikte zu vermeiden, die durch die mangelnde
Kommunikation gar nicht erst entstehen können.
Kinder machen durch den Fernseher die Erfahrung, dass die Welt beliebig an- und abstellbar
ist, in Computerspielen ergibt sich eine Erwartungssicherheit mit der sie gewohnt sind
19
umgehen zu können. Die Kinder sammeln ihre Erfahrungen nicht mehr aktiv durch eigenes
Handeln im täglichen Leben, sondern erleben den Alltag aus zweiter Hand, entworfen von
einem Programmierer von Computerspielen oder dem Regisseur von Filmen. Die Erfahrungen
im realen Leben zusammen mit Spielkameraden nehmen ab und werden durch
vorprogrammierte erwartbare Situationen ausgetauscht. Dadurch erhalten die Kinder sowohl
im sozialen als auch im emotionalen Verhalten zu wenig Förderung, wenn dieses nicht
anderweitig gefördert wird. Generell ist es jedoch von Kind zu Kind anders, wie weit es von
den neuen Medien beeinflusst wird, ob ein Verlust der Wirklichkeit auftritt oder andere
Probleme durch zu häufigen Medienkonsum auftreten (vgl. Roggensack 2006, S.22- 39).
4.7 Kulturelle Einflüsse
Auf dem Symposium des ADHD Congresses 2009 in Wien wurden die Forschungsergebnisse
der Psychiaterin O. Omigbodun präsentiert. Omigbodun spricht davon, dass in
einkommensschwachen Ländern das ADH- Syndrom nicht die am häufigsten diagnostizierte
psychische Störung bei Kindern ist. Generell ist das Syndrom bei Eltern und Lehrern nicht
bekannt und deshalb werden Kinder mit solchen Störungen meist nicht als „erkrankt“
wahrgenommen. Diese Überlegung führte zu einer Erhebung unter VolksschullehrerInnen in
Städten und am Land, wobei herauskam, dass in Nigeria den Symptomen von ADHS nicht
dieselbe Bedeutung beigemessen wird wie in westlichen Ländern. Die Kinder werden als
lästig, trotzig, extrovertiert oder schlimm bezeichnet, aber diese Symptome werden nicht
gleich als Zeichen einer psychischen Erkrankung gedeutet. Laut Omigbodun wird in den
westlichen Ländern in den meisten Fällen nur nach den Symptomen gefragt. Wenn diese
erfüllt sind, wird ein Kind schnell als ADHS Kind abgestempelt. Es sollte aber nach der
sozialen Anpassung in Schule, Familie, Gesellschaft, also dem sozialen Umfeld gefragt
werden. Denn wenn weder das Kind selber, noch sein soziales Umfeld das Kind als eine
Störung der sozialen Gemeinschaft beschreiben, kann man dem Kind nicht einfach ein
Krankheitsbild zuschreiben, nur weil Symptome vorhanden sind. Studien in Afrika, Indien
und kleineren europäischen Volksgruppen haben ergeben, dass in diesen Ländern eine
niedrigere Anzahl an tatsächlichen Erkrankungen vorliegt. Somit stellt sich die Frage, ob das
Vorhandensein von Symptomen wirklich bedeutet, dass ein Kind ADHS hat? Laut
Omigbodun gehört mehr dazu. Ob das hyperkinetische Syndrom als Krankheit und als
Problem bewertet wird, hängt vom jeweiligen Verhalten und der Struktur einer Gesellschaft
20
ab. Denn es muss auch beachtet werden, ob die Symptome von ADHS in einer Gemeinschaft
als Störung oder als Krankheit angesehen wird. Generell zeigt sich, dass je mehr Kinder in die
Gemeinschaft eingebunden sind und in dieser Gemeinschaft ihre Position haben, und
Aufgaben übernehmen müssen, desto weniger wird eine Krankheit diagnostiziert, auch wenn
es Symptome dafür gibt. Diese Gesellschaftsaufteilung ist meist in agrarischen Gesellschaften
noch der Fall. Werden die Kinder auf der anderen Seite mit einer eng strukturierten und
reglementierten Gemeinschaft konfrontiert, wie dass in den meisten westlichen Gesellschaften
der Fall ist, werden die Anzeichen für ADHS deutlicher. Denn so werden mehr psychische
und physische Vorgaben und Erwartungen an die Kinder herangetragen, die die Kinder
einengen und irritieren. (vgl. Albrecht zit. nach Omigbodun, Dimensionen, 2009)
4.8 Veränderte Bewegungsräume als Ursache
Ein anderer Aspekt, der durch die viele Zeit, die die Kinder mit den neuen Medien verbringen
auftritt ist, dass die Zeit, die mit freien Spielen, Bewegung oder herum tobend verbracht
wurde, weniger wird. In den Städten nimmt der Raum, in dem Bewegung „erlaubt“ ist, immer
einen begrenzten Platz ein. Den Kindern stehen zwar Unmengen an Spielzeug zur Verfügung,
sie haben aber kaum noch die Möglichkeit sich ihre Umwelt durch eigene Erfahrungen zu
erforschen (vgl. Zimmer 2000, S. 17). Bewegung wird in einen Stundenplan gepresst, in der
Schule, und in der Freizeit, z. B. muss das Fußball- oder Hockeytraining meist extra mit AnAbreise geplant und in die Hausaufgabenfreie Zeit integriert werden. Oder die Kinder finden
einfach nur begrenzte, vorgefertigte Bewegungsräumen vor, in denen sie ihren Spieltrieb nur
bedingt austoben können. Die Spielplätze geben genaue Anweisung, wie an welchen
Spielgeräten gespielt werden soll. Die Wohnbau und Stadtplanung berücksichtigt kein freies
kreatives Spiel oder spontane, natürliche Bewegungserlebnisse. Somit werden auch hier den
Kindern von Erwachsenen vorgedachte Verhaltens-, Handlungs- und Bewegungsmuster
aufgedrängt, die kaum eigene Erfahrungen ermöglichen (vgl. Greiner 2002, S. 26f).
Auch Passolt sieht in der Bewegungsumwelt der Kinder eine mögliche Ursache. Die
Diskussion der veränderten Kindheit zeigt, dass die Kinder mit einer immer hektischeren
Umwelt konfrontiert sind. Sind die Reaktionen die ein hyperkinetisches Kind zeigt somit
nicht einfach eine „gesunde Reaktion auf eine krankmachende Lebenswelt“ (Passolt 1996, S.
11). Und somit „[ist] die Bewegungsunruhe des hyperkinetischen Kindes keine Krankheit,
sondern
kann
eine
Reaktion
auf
Interaktionsstörungen,
der
Versuch
einer
21
Konfliktbewältigung durch gesteigerte Selbstwahrnehmung sein“ (Von Lüpke 1990, S. 68 zit.
nach Passolt (Hrsg.) 1996, S. 11). Als Beispiel führt Passolt auch die Erfahrungen an, die ein
Kind bei der Bewegungsentwicklung durchmacht. Der Säugling sucht innere Sicherheit und
Balance im Kampf gegen die Schwerkraft. Er übt gewisse feine Bewegungsveränderungen,
um sein Gleichgewicht zu testen und Stabilität herzustellen. Dieses Austesten und
Wiederholen von anfangs feinen Bewegungen, führt zu einem Gewinn an Sicherheit und
einem Vertrauen in das eigene Können. Auch Zimmer beschreibt das Austesten und
immerwährende Wiederholen von Spielen die dem Finden des Gleichgewichts dienen (vgl.
Zimmer 2000, S. 63). Erst wenn der Säugling sich in diesen Übergangsbewegungen sicher
fühlt, spielt er mit diesen Positionen. Durch das Üben und wiederholen werden die
Bewegungen geschmeidiger und fließender. „Das Beste, was wir dem Kind in solchen
Situationen antun können, ist das Kind gewähren zu lassen, ihm Zeit zu geben“ (Passolt 1996,
S. 16). Genau dieser Punkt ist es aber, der heutzutage nicht berücksichtigt wird. Den Kindern
wird in den wenigsten Situationen die Zeit gegeben die sie für ihren eigenen Rhythmus
benötigen würden. Die Säuglinge werden hingesetzt und an den Händen geführt damit sie
gehen lernen. Sie sollen beim Essen, Stehen, Schlafen und der Sauberkeit mit unserem
gewünschten Tagesablauf übereinstimmen. Somit werden sie möglichst schnell in den nach
unseren Vorstellungen geprägten Alltag eingeführt. Durch eine möglichst schnelle
Selbstständigkeit des Kindes lässt sich das Kind leichter sozial integrieren. „Fördern wir
damit nicht die möglichst schnelle Abwicklung der Phase Kindheit, weil wir in dieser Zeit
besonders gefordert, allzuoft überfordert sind.“ (Haug-Schnabel 1994, S. 98 zit. nach Passolt
(Hrsg.) 1996, S. 17) Diese Überforderung lässt sich vermeiden wenn man die Säuglinge und
Kinder beobachtet wie sie sich ihre Bewegungen voll Freude selber aneignen. Die Kinder
sollen nicht bedrängt werden, sondern die Möglichkeit haben, aktiv ihren eigenen Rhythmus
zu finden. Aus dem eigenen Antrieb heraus und in sicherer Umgebung können die Kinder so
auch Selbstvertrauen entwickeln (vgl. Passolt (Hrsg.) 1996, S. 11- 18).
5. Therapien
Das folgende Kapitel zeigt mögliche Therapieformen auf. Als erstes soll auf die
medikamentöse Therapie eingegangen werden, da sie zu den häufigsten Therapieformen
zählt. Dann folgt ein kurzer Einblick in die Verhaltenstherapie. Danach kommt der
Schwerpunkt mototherapeutisches Arbeiten, dieses Kapitel enthält auch Vorschläge für die
22
Praxis. Die praktischen Übungen können beispielsweise bei der Bewegungserziehung im
Kindergarten verwendet werden. Auch Gesundheits- und PflegewissenschafterInnen könnten
die praktischen Bewegungsvorschläge der Mototherapie als Teil einer präventiven
Gesundheitserziehung im Kindergarten einbauen. In diesem Sinne kann der Kindergarten als
Setting für ein neues Berufsfeld gesehen werden. Denn gerade das Kindergartenalter ist sehr
prägend, wenn es darum geht Gesundheitsförderung nachhaltig zu betreiben. Nach dem
Kapitel „das Setting Kindergarten“ folgt noch ein kurzer Einblick in „die kindliche
Bewegungsentwicklung“, um dann mit dem Schwerpunkt Mototherapeutische Therapien
abzuschließen.
5.1 Medikamentöse Therapie
Methylphenidat ist ein Wirkstoff der Amphetaminderivate und wird wegen seiner
sympatomimetischen (Verstärkung des Sympathikus) Wirkung als anregend für das
Zentralnervensystem beschrieben. Methylphenidat ist unter dem Handelsnamen Ritalin,
Medikinet und Concerta erhältlich. 1944 wurde Methylphenidat als Psychostimulanzium in
den Markt eingeführt. Im Jahre 1964 wurde erstmals der therapeutische Effekt auf
hyperkinetische Kinder ab 6 Jahren beschrieben. Inzwischen wird Ritalin bei ADHS als
„Mittel erster Wahl eingesetzt. Die Verbrauchsentwicklung stieg von 1993 bis 2001 auf das
Zwanzigfache und ist von 34 kg auf 639 kg angestiegen. Der Verbrauch hat sich in den
Jahren 2000 und 2001 jeweils verdoppelt“ (Deutsches Ärzteblatt 2002, zit. nach Roggensack
2006, S. 115).
Methylphenidat ist von seiner Wirkung ein Stimulanzium. Von der WHO wurde die Gruppe
der Stimulanzien nicht in die Liste der notwendigen Psychopharmaka aufgenommen, mit der
Begründung, dass die Wirkstoffe sich langfristig nicht positiv auf die Gesundung auswirken
würden. Psychostimulanzien steigern Aktivität, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, rufen
leichte Euphorie hervor und steigern das Selbstvertrauen (vgl. Roggensack 2006, S. 117).
Bei Kindern mit ADHS herrscht im Zentralnervensystem ein herabgesetztes Erregungsniveau
obwohl man aufgrund der meisten Symptome auf eine gesteigerte Erregungsleitung tippen
würde. Dieses Paradoxon erklärt, warum ein Stimulantium bei hyperkinetischen Kindern als
Beruhigungsmittel verwendet wird (vgl. Greiner 2002, S.38).
Der Evidenzgrad bei 6- 10 jährigen liegt bei 70- 90%, vorausgesetzt wird eine richtige
Diagnose. Bei Kindern unter 5 Jahren liegen die Prozentzahlen jedoch unter 50%. Ab dem
23
13./14. Lebensjahr nimmt die Zahl der Verordnungen von Methylphenidat wieder ab. Durch
die Gabe von Ritalin soll ein ausgeglicheneres Verhalten erzielt werden, das aggressive
Verhalten nimmt ab und es kommt zu einer Steigerung der Konzentration. Durch diese
positiven Veränderungen verbessert es die Mutter- Kind- und die Lehrer- SchülerInteraktion. Die Wirkung von Ritalin hält jedoch nur während der Dauer der Einnahme.
Beobachtbar wird die Wirkung ca. 20 Minuten nach Einnahme und ist dann etwa 3- 4 Stunden
bemerkbar. Als Nebenwirkungen werden von der Herstellerfirma Novartis Schlaflosigkeit,
Inappetenz, Magenbeschwerden, Übererregbarkeit, Müdigkeit, Traurigkeit, Ängstlichkeit und
Weinerlichkeit angeführt. Als Kontrainduziert werden Depressionen, Schizophrenie,
Magersucht und Probleme mit Suchtmittelmissbrauch angegeben (vgl. Roggensack 2006, S.
119f).
Auf dem ADHD Symposium wurde die Meinung vertreten, dass die medikamentöse Therapie
die Kinder nicht einfach nur ruhig stellt, sondern einen Zugang zu anderen Therapien
überhaupt erst ermöglicht. Denn die Wirkung von Methylphenidat beschränkt sich auf den
Zeitraum der Einnahme und stellt somit keine dauerhafte Verhaltensänderung dar. Die Gefahr
der Entwicklung von Abhängigkeiten schätzten die Teilnehmer des Symposiums als gering
ein. Auch Döpfner findet keinen Hinweis auf eine körperliche Abhängigkeit und weist darauf
hin, dass somit das Risiko für späteren Medikamentenmissbrauch und Drogenkonsum gesenkt
wird (vgl. Döpfner u. a. 2002, S. 30, zit. nach Roggensack 2006, S. 121).
Durch die Medikamenteneinnahme besteht aber die Gefahr, dass die Kinder an einen
einfachen Problemlösungsmechanismus glauben. Das Vertrauen, eigenständig ihr Verhalten
beeinflussen zu können oder selbstständig Problemlösungsstrategien zu finden, geht verloren.
Die Kinder sehen die Medikamente als Krücke und können auf diese Art psychisch abhängig
werden (vgl. Greiner 2002, S. 41).
Interessant erscheint auch die Betrachtung der engen Verknüpfung von Wissenschaft und
Pharmaindustrie. In einer Pressemitteilung des UNO- Informationsdienstes wird vor der
aggressiven
Werbung
einiger
pharmazeutischer
Firmen
gewarnt,
sie
würde
das
Verschreibungsverhalten der Ärzte stark beeinflussen ebenso das Konsumverhalten der
Konsumenten. In der Tat hat die Firma CIBA in den 50er Jahren mit der Produktinformation
einen Gutschein für eine Packung Ritalin versandt, um die Ärzte im Selbstversuch von der
guten Verträglichkeit von Ritalin zu überzeugen (vgl. Roggensack 2006, S. 114). Auf der
anderen Seite finanziert Novartis heute in den USA eine Elternselbsthilfeorganisation
(Children and Adults with ADHD). Welche Auswirkungen diese Werbemaßnahmen haben
24
kann man auch in Deutschland feststellen, wo eine Untersuchung gezeigt hat, dass die Eltern
bewusst jene Ärzte aufzusuchen scheinen, die vermehrt Methylphenidat verschreiben. Dies
führt auch dazu, dass Kinder unter 6 Jahren Methylphenidat verordnet bekommen, was jedoch
nicht zugelassen ist (ebenda. S. 221f). Unter diesem Aspekt erscheint auch die Befürwortung
einer medikamentösen Therapie der Teilnehmer am ADHD- Congress im Mai 2009 in Wien
in einem anderen Licht, da sich am Ende des Programmheftes eine Werbung für Medikinet
befindet. Bedenklich erscheint auch, dass der Hauptsponsor des Kongresses eine
Pharmazeutische Firma ist, die ein Methylphenidatprodukt namens Concerta vertreibt (vgl.
http//:www.adhd-congress.org, Zugriff am 16. 09. 2009 um 11. 00 Uhr).
5.2 Verhaltenstherapeutisches Arbeiten
Bei dieser therapeutischen Arbeit geht es darum, Strategie- und Selbstinduktinstraining zu
lernen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass bei dem Kind ein Defizit vorliegt,
welches korrigiert werden muss. Die beim ADHS Kind vorliegenden Defizite betreffen einen
Mangel an adäquater Wahrnehmung, effektivem Arbeitsstil und impulsivem Verhalten. Die
Kinder sollen die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen. Störende Variablen
sollen durch Selbstinstruktion verändert werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die
Kinder lernen gewohnheitsmäßige Verhaltensmuster zu unterbrechen und neue Wege zu
beschreiten. Durch verbale Selbstkontrolle und Modellernen soll das unerwünschte Verhalten
beseitigt und durch gezielte Interventionen beeinflusst werden. Dabei spielt eine Verstärkung
des erwünschten Verhaltens eine wichtige Rolle. Beim Training des Sozialverhaltens werden
Rollen- und Gruppenspiele gemacht und die Selbstakzeptanz geübt. In der Verhaltenstherapie
geht es darum, dass die Fähigkeit zur Eigensteuerung gestärkt wird. Jedoch zeigte sich in
Studien das dass in den Trainingseinheiten erlernte Verhalten nicht unbedingt von den
Kindern in Alltagssituationen übertragen wird. Als Kritik an den Verhaltenstherapeutischen
Therapien wird geäußert, dass bei Kindern mit ADHS immer von einem Defizit ausgegangen
wird (vgl. Roggensack 2006, S. 105f).
5.3 Mototherapeutische Therapien
Die Bewegungsmöglichkeiten der heutigen Kinder nehmen immer mehr ab. Das führt dazu
dass bei vielen Kindern kompensatorischer Handlungsbedarf besteht. Dazu müssen schon im
Vorschulalter Bewegungs- und Erfahrungsräume neu erlernt oder wiederholt werden um den
25
Kindern sensomotorische Erlebnisse zu ermöglichen. Die Kinder sollten ihren natürlichen
Bewegungsdrang möglichst frei ausleben zu können. Gerade für hyperkinetische Kinder ist es
wichtig, sich einfach einmal ausleben zu können, ungeachtet der vielen Verbote denen sie
sonst ausgesetzt sind. Sie versuchen durch die Bewegungen wie Drehen, Wippen und
Schaukeln nur „ihrem unzureichend funktionierenden und reagierenden vestibulären System
entsprechend starke Reize zuzuführen“ (Kiphard 1988, S. 5 zit. nach Passolt (Hrsg.) 1996, S.
143).
Durch
die
ständigen
Maßregelungen
kommt
es
zu
Schuld
und
Minderwertigkeitsgefühlen, wenn die Kinder aber nun selber entscheiden können und
Einfluss auf die Gestaltung der Bewegungsmöglichkeiten haben, können sie lernen ihre
Bewegungen zu kontrollieren. Dadurch stärkt sich auch das Selbstbewusstsein, denn die
bessere Selbstbeherrschung führt auch zu einer besseren Bewegungsqualität. Auch Renate
Zimmer beschreibt die Umwelt von Kindern als Bewegungswelt und Kindheit als bewegte
Zeit. In keinem anderen Lebensabschnitt spielt Bewegung eine so große Rolle wie in der
Kindheit. Prägend ist hier vor allem das Alter zwischen 2 und 6 Jahren. „Das Kind entdeckt
sich und die Welt durch Bewegung, es eignet sich seine Umwelt über seinen Körper und seine
Sinne an“ (Zimmer 2000, S. 12). Aus diesem Grund ist es wichtig, die Bewegungserziehung
im Kindergarten nicht als frühzeitige Vorbereitung auf sportliche Aktivitäten zu sehen.
Vielmehr sollte sie der Gesamtentwicklung des Kindes dienen und Bestandteil einer
frühkindlichen Erziehung neben den geistigen und kreativen Kräften gefördert werden (vgl.
Zimmer 2000, S.147).
6. Das Setting Kindergarten
Die meisten Kinder sind ab dem dritten Lebensjahr in der Entwicklung weit genug
vorangeschritten, um mehrere Stunden außerhalb des Familienverbandes in einer Gruppe mit
Gleichaltrigen
zu
verbringen.
Beschäftigungsmöglichkeiten
bieten,
Der
beim
Kindergarten
selbstständig
sollte
werden
vielfältige
helfen,
und
die
Kommunikationsfähigkeit verstärken. Die Kinder sollen lernen sich in die Gemeinschaft
einzuordnen, auf andere Rücksicht zu nehmen und ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten.
Für Kindergartenkinder im Alter von drei bis vier Jahren ist das freie Spiel mit seinen
vielfachen
Lernmöglichkeiten
ideal.
Es
steigert
die
selbstständigen
Problemlösungskapazitäten, verstärkt funktionales Üben und aktives exploratives Verhalten.
Bei Einzel- und Gruppenaktivitäten werden im Kindergarten Sprachförderung, rhythmische,
26
musikalische und bewegungs- Erziehung angeboten. Die KindergartenpädagogInnen haben
die Aufgabe, den Erfahrungskreis der Kinder zu vergrößern und für eine spannungsfreie
Atmosphäre zu sorgen (vgl. Schenk- Danzinger 1994, S. 269).
Im Alter von fünf bis sechs Jahren nimmt die Vorschulerziehung einen größeren Stellenwert
ein. Neben dem freien Spiel sollten gezielte und planmäßig organisierte Lernangebote
durchgeführt werden. Ab diesem Zeitpunkt werden hyperkinetische Kinder im Kindergarten
meist als Problemkinder erkannt. Die Symptome, wie hohe Ablenkbarkeit, Reizhunger und
ein hin und her Springen der Aufmerksamkeit, machen sich im freien Spiel noch nicht so
stark bemerkbar. Erst wenn das Kind gefordert wird an straffer organisierten Aktivitäten
teilzunehmen und sich in eine Gruppe einzufügen, werden diese Eigenschaften als wirklich
störend empfunden. Auch Steinhausen beschreibt, dass die Verhaltensauffälligkeiten
wesentlich stärker in Beschäftigungs- und Leistungssituationen auftreten und meist nicht im
freien Spiel (vgl. Steinhausen 1995, S. 183). Zusätzlich zu den planmäßigen Lernangeboten
soll auch die Entwicklung der Selbstständigkeit, Entscheidungsfreiheit, Hilfsbereitschaft und
die Gruppenfähigkeit gefördert werden. Wichtig ist dass die Kinder die Möglichkeit haben
unter mehreren Angeboten auszuwählen und auch Angebotenes ablehnen können. Auf diese
Weise sollen die Kinder spielerisch eine Arbeitshaltung und Motivation zur Bewältigung von
Aufgaben entwickeln (Schenk- Danzinger 1994, S. 272).
Da die Bewegungserziehung im Kindergarten ihren Platz im “Stundenplan“ einnimmt, kann
hier gut mit Mototherapie gearbeitet werden. Die Entwicklung motorischer Fähigkeiten wird
bei allen Kindern gefördert und bei ADHS kann durch mototherapeutische Übungen eine
wesentliche Verbesserung des Verhaltens erzielt werden. Wie hilfreich die Motopädagogik
bei hyperkinetischen Kindern angewandt werden kann beschreibt Kiphard. Er „geht davon
aus, dass stark strukturierte Außenreize, die vorwiegend über die taktil- kinästhetischen
Analysatoren aufgenommen werden, eine ähnliche Wirkung wie Psychostimulanzien erzielen.
Der primitiv grob- motorische Überschwang von Hyperaktivität ist demnach als durchaus
sinnvolle Eigenstimulation anzusehen“ (Kiphard zit. nach Greiner 2002, S. 43). Die
Mototherapeutischen Übungen machen allen Kindern Spaß und lassen sich recht einfach in
die Bewegungserziehung im Kindergarten einbauen. Generell kann bereits im Kindergarten
eine gezielte Gesundheitserziehung beginnen. Angefangen bei gesunder Ernährung,
Aufenthalte an frische Luft bis hin zu einem kindgemäßen Bewegungsangebot, auf diese
Weise können Kinder an eine gesunde Lebensweise herangeführt werden (vgl. Zimmer 2000,
S. 50).
27
7. Kindliche Bewegungsentwicklung
Die Bewegungsentwicklung beginnt bereits im Mutterleib. Der Säugling fängt mit
ungesteuerten, ruckartigen Zappelbewegungen an sich zu bewegen. Anfangs sind die
Bewegungen auf Finger und Hände beschränkt, später erweitern sie sich auf den ganzen
Körper. Die Bewegungen werden präziser, welches auf die neuromuskuläre Reifung
zurückzuführen ist. Die Kinder erproben spielerisch, was mit ihrem Körper alles möglich ist,
dieses explorative Verhalten erfolgt im Zusammenwirken mit den Sinnesorganen. So kann
man etwa ab dem vierten Lebensmonat beobachten, wie Kinder die Finger in Augenhöhe
heben und diese Bewegung mit den Augen verfolgen. Dies sind die Ansätze der
sensomotorischen Koordination. Durch das Üben der Bewegungen entwickelt sich das
Greifen. Weiters machen Kinder ihre Erfahrungen mit Größe, Form, Geräuschen, Farben und
Schwere von Objekten, die zu ersten sensomotorischen Intelligenzleistungen führen. In den
ersten beiden Lebensjahren erlernen Kinder die Grundbewegungen, die mit dem Beherrschen
von Gehen und Laufen abgeschlossen werden. Durch Wiederholungen perfektionieren sie die
Bewegungsabläufe, und gewinnen immer mehr an Sicherheit. Die Kinder führen diese
Bewegungen aus Freude an der Bewegung durch und entdecken dabei auch elementare
Raumbeziehungen, die sie benötigen, um sich in ihrem Nahraum zurechtzufinden. Diese
Bewegungsspiele haben einen funktionalen Charakter und sind bis zum achten Lebensjahr frei
von Leistungsstreben und Aufgabenstellung. Außerdem fördern Bewegung und Spiele die
kognitive, motorische und emotionale Entwicklung der Kinder. So sind die Kinder in der
Lage, die Erfahrungen die sie in ihrer Umwelt sammeln, zu bewältigen (vgl. SchenkDanzinger 1994, S. 194- 206). Welch wichtige Funktion Spiele bei der kindlichen
Entwicklung einnehmen, betont auch Zimmer. Sie betont dass ein Kind beim Spielen lernt.
„Es spielt jedoch nie, um zu lernen, sondern weil es Freude an seiner Tätigkeit hat.“ (Zimmer
2000, S. 85). Vom dritten bis siebenten Lebensjahr bewältigt das Gehirn des Kindes jede
Menge Wahrnehmungserfahrungen, die es aufzunehmen und zu gliedern gilt. Diese neuen
Eindrücke erfordern Anpassungsreaktionen der Kinder. Die Anpassung führt dazu, dass die
Kinder sich leichter an neue Erfahrungen herantrauen, diese leichter aufnehmen, und
abschließend verarbeiten können. Mit dem achten Lebensjahr ist die sensomotorische
Sinnesentwicklung abgeschlossen. Die Kinder sind nun in der Lage Handlungsabläufe zu
planen und können sich im Gleichgewicht halten (vgl. Brandstätter 2004, S. 23). Auch
Zimmer betont wie wichtig die Bewegungsentwicklung bereits in den ersten Lebensjahren ist,
da sie die Gesamtentwicklung in entscheidendem Ausmaß fördert (vgl. Zimmer 2000, S. 109).
28
8. Praktische Bewegungsmöglichkeiten in der
Mototherapie
Die Körper- und Bewegungserfahrungen der Mototherapie fördert beim Kind die Autonomie,
Selbstakzeptanz und das bewusste Erleben. Aus Sicht der Psychomotorik entwickelt sich die
Identität durch die Stabilisierung der Persönlichkeit. Durch den Ausgleich und die
Bewältigung motorischer Schwächen und Störungen sollen die Selbstheilungskräfte angeregt
werden. Das unterscheidet die Mototherapie auch von anderen Therapien beispielsweise der
Verhaltenstherapie, bei der mit Fremdsteuerung gearbeitet. Das Kind lernt als handelndes
Subjekt Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu entscheiden. Durch die eigene
Handlungsbasis erkennt das Kind die Fähigkeit zur Selbstregulation (vgl. Zimmer 1996, S.
35f in: Passolt (Hrsg.) 1996).
Nun folgt der Schwerpunkt dieser Arbeit, es werden verschiedene mototherapeutische
Bewegungsarten mit praktischen Anwendungsbeispielen angeführt.
8.1 Die Bewegungsbaustelle
Die Bewegungsbaustelle greift die Grundidee vom Bauen und Bewegen auf. Durch die
großräumigen Möglichkeiten werden die Kinder in ihren schöpferischen Handlungen
angeregt. Dazu werden Alltagsmaterialien wie Bretter, Tücher, LKW- Schläuche und Kisten
mit Schaukel und Hängemöglichkeiten kombiniert. Die Kinder können frei kombinieren und
bauen, somit können behutsame oder überschießende Bewegungen mit gezieltem Krafteinsatz
abgebaut werden. Zusätzlich findet zwischen den Kindern sozialer Kontakt statt, da sie beim
Bauen in Interaktion treten müssen. Die pädagogische Hilfestellung der Erwachsenen
beschränkt sich auf eine Strukturierung der Bedürfnisse oder Hilfe bei der Materialauswahl.
Die
Bewegungsbaustelle
leistet
eher
einen
abwechslungsreichen
Beitrag
zum
bewegungsarmen Alltag vieler Kinder und versteht sich nicht als therapeutische Förderung
(vgl. Groschyk 1996, S.143- 151 in: Passolt (Hrsg.) 1996).
8.2 Die Bewegungslandschaft
In einer Turnhalle wird aus Sprossenwänden, Kästen Turnbänken, Matten etc. eine
Bewegungslandschaft aufgebaut. Gewisser Maßen handelt es sich hierbei um eine
Laborsituation, der Hintergedanke ist jedoch ähnlich wie bei der Bewegungsbaustelle, den
29
Kindern eine Bewegungserfahrung zu ermöglichen, die sich in ihrem Wohnumfeld nicht
umsetzen lässt. Außerdem bietet eine Turnhalle auch Schutz, ist gut überschaubar, ruhig und
nicht von Außenreizen gestört. Es ist wichtig, die Bewegungslandschaft, gerade für kleinere
Kinder, durch Geschichten und Phantasiereisen interessant zu machen. Zuallererst sollte den
Kindern aber die Möglichkeit geboten werden, die Bewegungslandschaft im freien Spiel
kennen zu lernen und sich so mit ihr vertraut zu machen um die Unfallgefahr zu senken.
Dazu folgendes Beispiel aus der Praxis: „Kolumbus“
Kolumbus und seine Männer fahren mit ihrem Boot (Trampolin) um die Welt, plötzlich
erreichen sie Land. Diese Insel ist unbekannt und birgt mit ihren Bergen und tiefen Sümpfen
(grüner Hallenboden) viele Gefahren. Die Mannschaft rückt aus um das Land zu erkunden. Es
muss darauf geachtet werden, nicht im Sumpf zu versinken, falls doch jemand in den Sumpf
tritt, muss er warten, dass ihm jemand wieder hinaus hilft. Die Insel ist riesig und es braucht
viel Mut um sie zu erforschen, deshalb bekommt jeder einen Partner, der Führende wird dabei
unmittelbar verfolgt und seine Bewegungen imitiert damit ja kein Fehltritt geschieht. Dann
wird es Nacht, die Mannschaft muss den Weg zurück zum Boot finden. Es ist jedoch so
dunkel, dass sie nur dem Geräusch der Schiffssirene folgen können. Am nächsten Tag wird
die Mannschaft von einer Gruppe Ureinwohner angegriffen. Diese versuchen die
Eindringlinge festzusetzen. Wer von einem Ureinwohner erwischt wurde, ist sofort versteinert
und kann nur durch ein anderes Mitglied aus der Mannschaft befreit werden.
Wieder zu Hause in Spanien erzählen alle von ihren Erlebnissen, jeder beschreibt und malt
seine Abenteuer auf. Anschließend wird gemeinsam eine Landkarte angefertigt. Die Spiele
lassen sich beliebig ausweiten und verändern. Generell werden viele Sinne angesprochen und
die Kinder in den unterschiedlichsten Bereichen gefordert. Die Kinder müssen
zusammenarbeiten, eigene Bedürfnisse müssen kurzzeitig unterdrückt und angepasst, die
Aufmerksamkeit auf den Partner gelenkt werden. Es muss anderen Sinnen vertraut werden,
die Raumwahrnehmung, Gedächtnis, Verbalisierung und Konzentration wird gefestigt (vgl.
Göbel u. a. 1996, S.153- 165 in: Passolt (Hrsg.) 1996).
8.3 Schwimmen als mototherapeutische Therapie
Das Element Wasser bietet gute Erfahrungsmöglichkeiten für Kinder mit ADHS. Der
Wasserwiderstand wirkt ermüdend, der Körper mit seinen Grenzen wird gezielter
wahrgenommen,
Hautreize
bewusster
gespürt.
Dies
führt
zu
einer
positiveren
30
Körperwahrnehmung der Kinder. Da sich der Wasserwiderstand bei Bewegung ändert,
verbessert sich auch die Tiefensensibilität, das vorbeiströmende Wasser führt zu einer
muskulären Entspannung. Durch die Bewegungen im Wasser werden „viscerale Reize
angesprochen, was zu einer verbesserten sensorischen Integration führt“ (Cherek 1996, S.
169 in: Passolt (Hrsg.) 1996). Diese Basalstimulation ist zuständig für eine Strukturierung des
ZNS und kann somit zu einer Senkung der Übererregbarkeit führen. „Diese Tatsache ist um
so einsichtiger wenn man bedenkt, dass der Mensch im Mutterleib seine Entwicklung im
Fruchtwasser schwimmend erlebt und dabei sukzessiv anfangs über sich selbst (körpernahe
Reize) und später auch über die Umwelt (körperferne Reize) Informationen sammelt und über
diese Reize seine sensomotorisch- neurologische Organisation im ZNS aufbaut“ (ebenda).
Wichtig ist es, die Übungen für hyperkinetische Kinder in warmem Wasser durchzuführen, da
es so auch zu Entspannungsphasen kommen kann. In kaltem Wasser müssten die Kinder sich
ständig bewegen um sich warm zu halten, was bei hyperkinetischen Kindern kontraproduktiv
wäre. Die Kinder werden von speziellen Oberarmauftriebshilfen unterstützt, diese können mit
zunehmendem Schwimmvermögen reduziert werden. Gerade in den Anfängergruppen ist es
wichtig, zu Beginn Regeln aufzustellen um den Kindern Sicherheit zu bieten und die
Unfallgefahr zu senken. Begonnen wird mit freier Bewegung damit die Kinder sich schon mal
austoben können und somit anschließend bereits aufmerksamer sind. Die Kinder lernen mit
der Tiefwassersituation umzugehen und trainieren ihren Gleichgewichtssinn. Beim Erlernen
der Schwimmbewegungen sollen die Kinder die Bewegungen gemeinsam mit dem Lehrer
mitsprechen. Dabei soll der Wortrhythmus dem Bewegungsrhythmus entsprechen. Für den
Armzug wäre dies Beispielsweise: „Schö- ne gro- ße Krei- se“ Durch das Mitsprechen
machen die Kinder im Grunde genommen eine kognitive Selbstanweisung. Dieses innere
Sprechen ist ein gutes Mittel zur Selbstkontrolle gerade bei hyperkinetischen Kindern.
Die Kinder lernen im Wasser ihre Bewegungen zu kontrollieren und ihren Körper besser zu
beherrschen. Vor dem losschwimmen müssen sich die Kinder kurz sammeln, inne halten, und
konzentrieren das ist gut gegen die Impulsivität und verstärkt auch die Körperkontrolle.
Schwimmunterricht kann nicht nur als Therapie verstanden werden, sondern ist natürlich auch
eine Fertigkeit, die Kinder stolz zu erlernen sind. Die zu bewältigenden Lernschritte und
deren erfolgreiche Absolvierung bringt Anerkennung und Erfolg, wodurch gerade
hyperkinetische Kinder Selbstbewusstsein aufbauen können. Ein Beispiel für die positive
Wirkung des Schwimmens auf Kinder mit ADHS ist der amerikanische Schwimmer Michael
Phelps. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gewann Phelps 8 Goldmedaillen. In der
31
Dankesrede nach seinem Sieg bedankte sich Michael Phelps bei seiner Mutter, dass sie trotz
der Diagnose ADHS immer an ihn geglaubt hatte. Phelps hatte nach der Diagnose ADHS im
Alter von 7 Jahren mit dem Schwimmen begonnen um überschüssige Energien loszuwerden
(vgl. http://www.wikipedia.org/wiki/Michael_Phelps (05. 10. 2009)).
8.4 Klettern als mototherapeutische Therapie
Klettern ist eine Bewegung, die sich in der frühesten Kindheit entwickelt. Der Säugling der
sich selber an Haltepunkten aus dem Stand aufrichtet, beginnt seine Umwelt zu erkunden.
Weil der Säugling anfangs ständig gegen die Schwerkraft kämpft, befindet er sich im
Ungleichgewicht. Dies versucht er auszugleichen um Stabilität und Sicherheit zu gewinnen.
Kinder klettern somit aus eigenem Antrieb heraus. Treppenstufen, Einrichtungsgegenstände,
Spielgeräte werden von den Kindern erklettert, um den Gleichgewichtssinn zu fördern und
neue Perspektiven zu erlangen. So lernen sie mit ihrer Kraft besser umzugehen, Arm- und
Beinbewegungen können besser koordiniert werden und auch die Lauf – und Gehbewegungen
des Kindes werden gefördert. Auch die Basissinne (Gleichgewichtssinn, Taktiles System,
Tiefenwahrnehmung) werden gefördert. Durch die Bewegung mit allen vier Extremitäten
werden die Bewegungsempfindungen besonders gut wahrgenommen. Die visuelle
Wahrnehmung wird geschärft und stellt die Beziehung des Körpers im Raum her, was auch
der Orientierung dient. Das Klettern dient jedoch nicht nur dem Halte- und
Bewegungsapparat, sondern fördert auch die kognitive Entwicklung durch das Finden und
Lösen von Bewegungsaufgaben (vgl. Brandstätter 2004, S. 67).
Beim Sportklettern, bzw. wenn Klettern als mototherapeutische Bewegungsübung eingesetzt
wird, bleibt der Trainer oder Therapeut im Hintergrund, sichert und bietet Hilfestellung. Die
Route wird vom Kind selber gewählt und somit führt sich das Kind selbstständig zum Ziel.
Die erfolgreiche Absolvierung einer Strecke führt somit zu einer direkt positiven
Rückmeldung. Bei nicht erfolgreicher Absolvierung kann das Kind einen neuen Lösungsweg
suchen und auf diesem Weg zum Erfolg gelangen. Beim Wiederholen werden Fähigkeiten
und Fertigkeiten geübt und gefestigt. Für Kinder mit ADHS eignet sich Klettern sehr gut, weil
es typische Merkmale und Verhaltensweisen reguliert. Beispielsweise sind beim Klettern die
Reize, denen die Kinder ausgesetzt sind, sehr reduziert. Das kommt dem Problem, das
hyperkinetische Kinder mit der Reizfilterung haben, sehr entgegen. Da hyperkinetische
Kinder oft nicht zielgerichtet sind, wird die Aufmerksamkeit beim Klettern auf das Ziel, bzw.
32
immer auf den nächsten Schritt/Handgriff gerichtet. Die Kinder lernen ihre Körperkräfte
passend einzusetzen, da sie erkennen, dass Schnelligkeit nicht oder selten zum Erfolg führt.
Die Körperwahrnehmung wird gesteigert und der hohe Anforderungscharakter verstärkt die
intrinsische Motivation. Durch das selbstständige Erreichen des Ziels steigt die
Selbstsicherheit und Zufriedenheit. (vgl. Brandstätter 2004, S. 66- 74)
Wichtig ist es Absprachen und Regeln aufzustellen und die Sicherheitsaspekte des Kletterns
zu beachten und immer wieder zu überprüfen. Beispielsweise muss immer darauf geachtet
werden, dass die Kinder einen passenden (Komplett-) Gurt verwenden, mittels Seil gesichert,
und die Karabiner überprüft sind. Auch die Einhaltung gewisser Regeln muss befolgt werden,
da es sonst zu gefährlichen Situationen kommen kann. So sollen sich alle Kinder, die sich an
der Wand befinden in Sichtweite des Therapeuten aufhalten. Niemals dürfen zwei Kinder
übereinander klettern oder Finger beim Klettern in Sicherungspunkte (Laschen, Haken…)
gesteckt werden. (vgl. Brandstätter 2004, S. 77)
Da sich Klettern auch für sehr kleine Kinder eignet, kann man bereits im Alter von 4 Jahren
mit spielerischen Übungen beginnen. Begonnen wird jede Übungseinheit mit dem
Aufwärmen. Dazu eignen sich einfache Lauf und Fangspiele oder es wird mit Materialien wie
Matten, Luftballons, Zeitungspapier oder Sandsäcken aufgewärmt, zwischen denen gelaufen,
gehüpft wird oder die geworfen werden. Geklettert wird, wie schon eingangs erwähnt, von
Kindern in vielen Situationen, auch das Klettern im Hindernisparcours oder in der auch schon
erwähnten Bewegungslandschaft (vgl. Kap. 7.2, S. 27) zählt natürlich dazu.
Im Folgenden wird auf Übungen an der Kletterwand eingegangen. Alternativ dazu kann in der
Turnhalle an der Sprossenwand oder mit verschiedenen Geräten geklettert werden. Diese
Übungen können in der Praxis, z. B. in Bewegungseinheiten im Kindergarten angewandt
werden.
Die folgenden Übungen dienen der Gleichgewichtsschulung, Bewegungsvorplanung und es
werden die laterale Beugung und Drehung gefördert. Zusätzlich wird die Augen- HandKoordination verbessert, die Rechts/Links- sowie die visuelle Wahrnehmung gefördert.
Die Straße:
An der Kletterwand werden zwei Linien mit Klebeband aufgeklebt, im Abstand von etwa
1,50m. Die Kinder bekommen nun die Aufgabe durch die Straße zu klettern, der Straßenrand
darf dabei jedoch nicht übertreten werden oder darüber hinaus gegriffen werden.
33
Das Versteck:
Kreidekreise werden an die Wand gemalt, oder Reifen befestigt, in diese Kreise müssen die
Kinder nun hineinklettern, es darf kein Körperteil über den Rand des Versteckes hinausragen.
Bergwanderung:
Die Berge werden durch vor der Kletterwand aufgestellte Schachteln, simuliert. Oder es
werden an der Kletterwand durch Seile Berge aufgezeichnet. Die Kinder sollen nun über die
Berge (Schachteln) drüber klettern oder die Berggipfel (Seile) erklimmen, die Aussicht
genießen, ins Tal zurückkehren und anschließend den nächsten Gipfel erklettern.
Die Kreuzung:
Zwei Kinder befinden sich auf der Kletterwand und klettern aufeinander zu. An der Stelle, an
der sie sich treffen, müssen sie ausweichen und aneinander vorbei klettern.
Indianer auf bunten Schuhen:
Die Kletterschuhe erhalten farbige Markierungen, z. B. rechter Schuh blaues Klebeband,
linker Schuh rotes Klebeband. Auch die Tritte sind passend farblich markiert. Jetzt darf nur
der farblich passende Schuh auf den farblich passenden Tritt gesetzt werden. (vgl.
Brandstätter 2004, S. 87-91)
Die Übungen können beispielsweise auch mit verbundenen Augen durchgeführt werden, um
das taktile System durch Spüren und Tasten anzuregen. Oder es können Gegenstände
weitergereicht werden für eine bessere Koordination und zur Verbindung der beiden
Gehirnhälften.
Diese Spiele sind als Anregungen zu verstehen, es gibt noch unzählige weitere Übungen für
Kinder, um sie spielerisch an das Klettern heranzuführen. Im Kindergarten bietet es sich an,
die Übungen in den Turnsaal zu verlegen und die Spiele abgewandelt an der Sprossenwand
durchzuführen. Da Klettern dem natürlichen Bewegungsmuster kleiner Kinder entspricht,
kommt es als Alternative in den Bewegungseinheiten im Kindergarten durchaus in Frage,
diese Übungen auch schon mit kleinen Kindern ab vier Jahren durchzuführen.
34
8.5 Eltern- Kind Bewegungspiele
Da bei hyperkinetischen Kindern und ihren Eltern häufig eine gestörte Beziehung vorliegt
sollte auch in diesem Bereich interveniert werden. Steinhausen beschreibt ein Elterntraining,
dass als ein Bestandteil in der multimodalen Behandlung eingebaut sein sollte. Dieses
Elterntraining baut auf einer Verhaltenstherapeutischen Sichtweise auf, da ADHS seiner
Meinung nach auf einer gestörten Verhaltensregulation beruhen (vgl. Steinhausen 1995, S.
181- 183). Dieses Elterntraining ist jedoch sehr aufwendig und bedarf einer genauen
Einschulung und fachlicher Unterstützung. Ein einfaches Mittel um auch im Kindergarten
allgemein die Eltern- Kind Beziehung zu verbessern bieten auch gemeinsame
Bewegungsspiele an. Diese können beispielsweise die Eingewöhnungszeit in den
Kindergarten erleichtern. Oder es werden gemeinsame Spielenachmittage für Eltern und
Kinder angeboten (vgl. Zimmer 2000, S. 117). Außerdem bietet die gemeinsame Bewegung
von Eltern und Kindern die Gelegenheit zu neuen Erfahrungen, da die Eltern bzw. Kinder in
einem veränderten Kontext wahrgenommen werden. Das Spiel- und Bewegungsbedürfnis der
Kinder steht zwar im Vordergrund, jedoch sollen die Eltern zur aktiven Teilnahme angeregt
werden. Bestmöglich entdecken Eltern durch interessante Spielarrangements sogar ihren
eigenen Spieltrieb wieder. Wichtig bei den Bewegungsspielen ist die entsprechende
Altersgruppe der Kinder zu beachten. Und natürlich wird kein Elternteil im Umgang mit dem
eigenen Kind gerne belehrt, deshalb kann auch die Vorbildwirkung anderer Eltern eine
Hilfestellung sein um eigene Ängste zu überwinden.
Als Angebot können Gerätekombinationen zum Rutschen, Klettern, Springen etc. verwendet
werden. Oder es werden Bewegungsspiele zum Laufen, Hüpfen, Werfen u. ä. angeboten. Ein
Beispiel zu den Gerätekombinationen wäre die Bewegungslandschaft (vgl. Kap. 7.2, S. 27).
Hier können Kinder und Eltern auswählen welche Bewegungsideen sie ausprobieren wollen
(vgl. Zimmer 2000, S. 120)
Bewegungsspiele ohne Geräte:
„Die Riesen wachkitzeln“: Die Eltern symbolisieren die Riesen. Sie liegen verteilt im Raum
und stellen sich schlafend. Die Zwerge werden von den Kindern dargestellt, sie wollen die
Riesen wachkitzeln. Die Riesen werden langsam munter und erheben sich sobald sie richtig
wach sind. Nun wollen sie den Zwerg der sie wachgekitzelt hat fangen. Wenn sie ihren Zwerg
erwischt haben wird dieser nun im Gegenzug durchgekitzelt. Der nächste Spieldurchgang
erfolgt mit vertauschten Rollen.
35
Karussell:
Die Eltern erwarten ihre Kinder mit ausgebreiteten Armen, in die die Kinder hineinlaufen.
Dann halten die Eltern ihre Kinder am Oberkörper und drehen sich mit ihnen im Kreis herum.
Die Kinder fliegen dabei einem Karussell ähnlich immer höher hinauf. Dazu kann
beispielsweise eine rhythmische Untermalung erfolgen, die folgendermaßen aussehen kann:
„Das Karussell fährt …. (bei diesem Satz laufen die Kinder in die Arme der Eltern)
……loooossss“ (die Drehung endet mit dem Ausklingen des lang gezogenen Wortes).
Verzaubern:
Es werden Spielpaare bestehend aus Eltern und Kindern gebildet. Die/der BewegungsleiterIn
verzaubert mit ihrem/seinem Zauberstab einzelne TeilnehmerInnen. Die Berührung mit dem
Zauberstab löst bei den Berührten Erstarrung aus. Der dazugehörige Spielpartner muss nun
seinen erstarrten Partner aus der Erstarrung erlösen (vgl. Zimmer 2000, S. 121f)
Die meisten Kinder kennen ihre Eltern nicht in der Rolle des Partners und Mitspielers, aus
diesem Grund kann es sehr interessant sein sie einmal in dieser Position zu erleben. Die Eltern
haben nun die Möglichkeit sich in die Perspektive des Kindes hineinzuversetzen. Sie sollten
ihren Erfahrungsvorsprung hinten anstellen und sich auf das Erleben mit ihrem Kind
einlassen. Durch diesen Perspektivenwechsel verändert sich die Eltern- Kind Beziehung. Das
Selbstbewusstsein des Kindes wird gestärkt, es erkennt dass die Eltern Vertrauen in das
Verhalten des Kindes haben und nicht wie gewohnt die Regeln vorgeben. Auf diese Art
erweitern die Kinder ihren Handlungsspielraum und bekommen Anerkennung von den Eltern
dafür (vgl. Zimmer 2000, S.118).
Die Beziehung von hyperkinetischen Kindern und ihren Eltern ist häufig sehr angespannt. Die
Eltern fühlen sich mit ihrem “schlimmen“ Kind überfordert und geraten oft in den Verdacht
von falschem Erziehungsverhalten. Die Kinder stehen unter Stress, weil ständig etwas von
ihnen gefordert wird was sie nicht erbringen können. Im Zuge der gemeinsamen Bewegung
können die Kinder nun ihre Stärken zeigen, und die Eltern einmal von einer anderen Seite
beobachten. Die gemeinsame Bewegung kann das angespannte Verhältnis auflockern und zu
einer neuen Eltern- Kind Erfahrung werden.
36
8.6 Entspannung
Gerade Kinder mit ADHS brauchen Anregung um Entspannungstechniken zu lernen, da sie
selber Schwierigkeiten haben um in einen Entspannungszustand zu kommen. Kinder mit
ADHS haben eine andere Körperwahrnehmung, für sie ist die Spannung die sie aufgebaut
haben ein Selbstschutz. Rauscher verdeutlicht dies folgendermaßen: „Verschiedene
Spannungsmuster in unserem Körper und die verschiedenen Ausdrucksmuster unserer
Bewegungen stehen in einem Sinnzusammenhang. Spannungsmuster und Bewegungsausdruck
sind lebensgeschichtlich erworbener leiblicher Ausdruck: sie repräsentieren die besondere
Art und Weise, wie wir in der Welt sind, wie wir uns wahrnehmen und wie wir auf die Welt
reagieren; sie sind also sinnhaft. Entspannung kann für manche Kinder ein “Anders in der
Welt sein“ bedeuten und durchaus als Bedrohung wahrgenommen werden“ (Rauscher in
Hölter 1992, S. 207 zit. nach Greiner 2002, S. 108).
Es gibt unterschiedliche Entspannungstechniken: Phantasiereisen, Tiefenmuskelentspannung,
Spiele zum Entspannen und dem Abbau von Aggressionen und mit besonderem Bezug zur
Körperspannung und Rhythmus. Teilweise werden also in den Entspannungstechniken reale
Bewegungen eingebaut, teilweise geht es nur um die vorgestellte Wahrnehmung. Zur
Entspannung eignen sich weiters Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Qi Gong
und Yoga. Einige Entspannungstechniken werden im Verlauf dieser Arbeit vorgestellt.
8.6.1 Entspannungsspiele
Pferderennen:
Die Kinder sitzen im Kreis auf den Fersen, mit den Händen klopfen sie auf ihre Oberschenkel.
Auf diese Weise werden die unterschiedlichen Gangarten des Pferdes nachgeahmt. Der/die
ErzählerIn beginnt nun von einem Pferderennen zu berichten. Die Kinder imitieren während
der Erzählung Schritt, Trab, Galopp und Passgang. Die Bewegungen sollten immer mit dem
Rhythmus der Hufe kombiniert werden und unterstützen so die Geschichte. Der Phantasie
sind keine Grenzen gesetzt und die Kinder können den Verlauf des Rennens mitbestimmen.
Auf diese Art können gerade hyperkinetische Kinder sich aktiv und kreativ mit ihren Ideen
einbringen. Diese Übung beinhaltet sehr schön den Wechsel zwischen Anspannung und
Entspannung und die Muskelgruppen werden tiefenentspannt, während die Koordination
gefördert wird (vgl. Greiner 2002, S. 111).
37
Luftballons:
Diese Übung ist eine Partnerübung, ein Kind ist ein Luftballon, ein anderes Kind pustet den
Luftballon auf. Der Luftballon liegt schlaff am Boden und wird durch das Aufblasen immer
voller und dicker. Die Ballons können verschiedene Formen annehmen, z. B. rund, dick, dünn
oder lang. Zwischendurch kann auch immer wieder Luft aus dem Ballon gelassen werden.
Anschließend werden alle Kinder zu Luftballons und es wird eine Bewegungsgeschichte
erzählt, in der die Luftballons z. B. durch die Halle hüpfen, vom Wind hin und her geblasen
werden, hoch in die Luft fliegen und schließlich müde auf der grünen Wiese landen (vgl.
Greiner 2002, S. 112f).
Fußgängerzone:
Die Kinder bewegen sich z. B. zur Musik frei im Raum. Sie sollen sich vorstellen sie gehen
durch eine Fußgängerzone, dabei treffen sie unterschiedliche Leute. Je nach Aufgabe sollen
die Kinder unterschiedliche Spannungs- oder Gefühlszustände annehmen. Die Kinder
bewegen sich Beispielsweise wie Roboter, Gummimenschen, Karatekämpfer, Nebelfeen oder
nehmen die Gefühlszustände von freudig/beschwingt, schlapp/spannungslos, bis hin zu
wütend/aggressiv, aufrecht/mutig ein. Nun wird beispielsweise die Musik gestoppt,
beziehungsweise die Kinder unterbrochen, und die Kinder sollen sich die Körperspannung in
der sie sich befinden, bewusst machen. Anschließend sollen sie die soeben gemachte
Bewegung nochmal verstärkt wiederholen. Zum Abschluss dürfen sich die Kinder in der
Gemüts- Spannungslage bewegen, die sie gerade empfinden (vgl. Greiner 2002, S. 112).
Diese Übungen sind beispielhafte Aufzählungen die beliebig erweitert und ausgebaut werden
können. Sie eignen sich sehr gut für die Arbeit im Kindergarten, da sie einfach und ohne
großen Aufwand durchgeführt werden können. Bei den Kindern kommen die in Geschichten
verpackten Übungen gut an, vor allem da sie hier auch ihre eigene Kreativität einfließen
lassen können.
8.6.2 Yoga
Yoga kommt von yui, welches anspannen, zügeln bedeutet. Yoga war ursprünglich sakraler
Art und wurde als heilige Übungen angesehen. Erst später entwickelten sich die uns heute
bekannten Techniken und Disziplinen. Früher verwendeten Angehörige der Kriegerkaste
Yoga, um in rücksichtslosem persönlichem Einsatz Körper und Geist anzuspannen und somit
38
die vergängliche Persönlichkeit zu überwinden.“Yoga ist einmalig in der Geschichte der
Menschheit; er ist der westlichen Tiefenpsychologie und ihren Therapieformen überlegen.
Allerdings nicht für jeden. Er setzt viel voraus an intellektuellen und charakterlichen
Fähigkeiten, an Härte gegen sich selbst. Er ist aber- entgegen vielen Ansichtenreligionsneutral, geeignet für Menschen jeder Rasse, Religion und Kultur. Er ist die
toleranteste Menschenschulung die wir kennen“(Kupfer 1979, S. 164).
Gerade durch die Körperschulung eignet sich Yoga besonders gut für Kinder mit ADHS, die
bessere Körperkontrolle fördert das Selbstbewusstsein und die Impulsivität nimmt ab. Die
Übungen können für Kinder leicht verständlich in Geschichten verpackt werden.
So zum Beispiel die Geschichte von der kleinen Maus:
Die kleine Yogamaus kommt nach Hause. Sie hatte viel zu tun, denn sie musste Vorräte für
den Winter anlegen. Und so hat sie den ganzen Tag Grassamen und Weizenkörner gesammelt.
(Eltern und Kinder krabbeln über den Boden und drehen schnuppernd den Kopf hin und her.)
Nun kommt die kleine Maus zu Hause an. Sie schüttelt ihre müden Glieder aus und gähnt
entspannt. [Dehnung aus dem Stand: (Aus der Hocke heraus Wirbel für Wirbel aufrichten,
Arme und Beine ausschütteln, sich nach oben recken und genüsslich gähnen.)]
Tagsüber hat die kleine Maus viel erlebt. Sie ist einem großen Hund begegnet, der hat sie zum
Glück aber nicht gesehen, denn er hat mit dem Schwanz gewedelt. [Der große Hund: (Aus
dem Stand heraus mit weit gegrätschten Beinen nach vorne beugen, bis die Hände den Boden
erreichen. Das Gewicht etwas mehr auf die Hände verschieben. Der Rücken ist gerade, der
Blick geht nach vorne. Die Kinder wackeln für das Schwanzwedeln leicht mit dem Po.)]
Die kleine Maus hat auch eine Katze getroffen. Aber auch die Katze hat das Mäuschen nicht
entdeckt. [Die Katze: (In den Vierfüßlerstand gehen. Gerader Rücken. Einatmen. Ausatmen
und einen runden Katzenbuckel machen. Beim Einatmen zu einem geraden Rücken
zurückkommen, beim nächsten Ausatmen den Rücken durchhängen lassen und den Kopf in
den Nacken legen. Mehrmals fließend wiederholen.)]
Nachdem die Kleine Maus nun von ihren Erlebnissen erzählt hat, wird sie in den Schlaf
gewiegt. [Der halbe Schmetterling: (Die Kinder sitzen mit ausgestreckten Beinen am Boden.
Der rechte Fuß wird herangezogen, wie ein Baby im Arm gehalten und hin und her gewiegt.
Mit dem anderen Fuß wiederholen.)]
Jetzt ist das Mäuschen wirklich müde, es kuschelt sich ins Bett und beginnt zu träumen. [Das
zusammengerollte Blatt: (Auf die Unterschenkel setzen und nach vorne beugen. Die Stirn
39
berührt den Boden, die Arme werden seitlich am Körper nach hinten gelegt, sodass die Hände
an den Füßen liegen. Ruhig und tief atmen.) ] (vgl. Christiansen 2006, S. 40f).
Die Übungen vitalisieren die Wirbelsäule, die Nervensubstanz, Bänder, Sehnen und
Bandscheiben der Wirbelsäule werden angeregt. Die endokrinen Drüsen werden besser
durchblutet und zur Sekretion angeregt. Die inneren Organe werden harmonisiert, während
die Muskeln gedehnt, gestrafft und gefestigt werden. Wichtig ist beim Yoga die richtige
Atmung, und dass die Übungen ohne Überanstrengung durchgeführt werden. Jedoch sollen
die vorhandenen körperlichen Möglichkeiten ausgenutzt werden (vgl. Kupfer 1979, S. 22).
Für hyperkinetische Kinder eignet sich Yoga besonders durch die Erlangung einer besseren
Körperkontrolle. Diese führt zu einer Abnahme der Impulsivität und einer Steigerung der
Motivation. Durch das differenziertere Körperbild spüren die Kinder ihren Körper viel
genauer und nehmen die eigenen Grenzen besser wahr. Viele Übungen helfen den eigenen
Schwerpunkt zu finden, was zu einer Beruhigung der Kinder führt. Die innere Zentrierung
hilft auch die Konzentration besser zu fokussieren. Dadurch dass im Yoga auf jede
Anspannung eine Entspannung folgt wirkt es sich harmonisierend auf das vegetative
Nervensystem aus. Bei hyperkinetischen Kindern kann Yoga somit einen wertvollen
Ausgleich schaffen. Durch die Entspannung fällt auch die Konzentration leichter (vgl.
Angerer 2005, S. 69f)
8.6.3 Autogenes Training
Autogenes Training eignet sich sehr gut für Entspannungsübungen im Kindergartenalter. Im
Grunde genommen ist es eine Autohypnose oder Selbstbeeinflussung im körperlichen und
seelischen Bereich. Es verbessert die Lernfähigkeit durch das Bündeln der Aufmerksamkeit.
Die Durchblutung wird durch die Wärme-Übungen des autogenen Trainings verbessert und
auch die Schlafqualität steigert sich durch den Entspannungseffekt. (vgl. Angerer 2005, S. 56)
Die Übungen des autogenen Trainings teilen sich in sechs Stufen.
Die erste Stufe hat eine neuromuskuläre Entspannung der Willkürmotorik zum Ziel und ist
eine “Schwere- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen:
x Mein rechter Arm ist schwer! (Dies widerholt sich mit allen 4 Extremitäten)
Die zweite Stufe hat eine Wäremesensation in den Extremitäten durch Gefäßerweiterung zum
Ziel und ist eine “Wärme- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen:
x Mein rechter Arm ist warm! (Wiederholung mit allen 4 Extremitäten)
40
Die dritte Stufe dient zur Verstärkung der physiologischen Effekte der Schwere- und WärmeÜbungen und ist eine “Herz- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen:
x Herz schlägt ruhig und gleichmäßig!
Die vierte Stufe hat das Ziel sich dem spontanen Ein- und Ausatemrhythmus zu überlassen
und verstärkt die Schwere- und Wärme- Empfindungen. Es ist eine “Atem- Übung“: Als
Übungsformel wird gesprochen:
x Atem ruhig und gleichmäßig!
Die fünfte Stufe soll ein Wärmegefühl im Oberbauch erzeugen und ist eine “SonnengeflechtÜbung“: Als Übungsformel wird gesprochen:
x Sonnengeflecht strömend warm!
Die sechste Stufe dient der Empfindung einer angenehm kühlen Stirn- und Gesichtsregion
zum Entgegenwirken einer vasodilatatorischen Überreaktion. Es ist eine “Stirnkühle- Übung“:
Als Übungsformel wird gesprochen:
x Stirn angenehm kühl! Oder: Kopf leicht und klar!
Die Anwendung der Standard- Formeln erfolgt schrittweise eine Stufe nach der anderen. Die
Übungsformeln sollen von den Kindern im Geist widerholt werden. Der Zeitabstand sollte
etwa 15- 30 Sekunden betragen. Mit zunehmendem Übungserfolg steigern sich die Intervalle
auf mehrere Minuten. Für hyperkinetische Kinder wird gerade am Anfang empfohlen sich auf
die Grundübungen, wie “Schwere“ oder “Wärme“ zu reduzieren. Diese Verkürzung kommt
der Symptomatik der Kinder sehr entgegen, sie können aber trotzdem die Selbstberuhigung
erlangen(vgl. Angerer 2005, S. 58f). Bei hyperkinetischen Kindern dient das autogene
Training der Verminderung des Bewegungsdranges. Sie sollen ein altersgemäßes motorisches
Verhalten erlangen. Außerdem werden die Konzentrationsfähigkeit und das Selbstbewusstsein
gestärkt. Vor allem die “Schwere- Übung“ ist sehr gut für hyperkinetische Kinder geeignet, da
sie zu einer Entspannung der Skelettmuskulatur führt.
Diese Grundübungen könne auch in Geschichten verpackt, ausgebaut und somit für die
jüngeren Kinder interessanter gestaltet werden. Das autogene Training kann gut in die
Gesundheitserziehung im Kindergarten eingebaut werden, da die Kinder auf diese Art und
Weise selbstständig Wege der Entspannung kennen und anwenden lernen (vgl. Angerer 2005,
S.59)
41
9. Diskussion
Kinder sind heutzutage vielfältigen Eindrücken ausgesetzt, angefangen von schädigenden
Einflüssen während der Schwangerschaft bis hin zu den veränderten Zeitwahrnehmungen
unserer Zeit. Einige Probleme wie schädliche Umwelteinflüsse gab es schon immer, jedoch ist
das Zeitdiktat unserer Gesellschaft beispiellos und hat es in dieser Form auch noch nie
gegeben. Gerade die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte (Fernsehen, Computer Internet…)
haben unser Gesellschaftsleben stark verändert. Und das in einem Tempo, in dem es dem
Menschen schwerfällt mit der Geschwindigkeit mithalten zu können. In unserer
schnelllebigen Welt wird von den Kindern sehr früh verlangt sich anzupassen und unser
Tempo mit zu leben. Außerdem werden sie heute schon von klein auf gefordert, sie gehen
zum Fußball- oder Balletunterricht, lernen Fremdsprachen und besuchen Kreativwochen. Für
Eltern ist es schon fast eine Pflicht, ihren Kindern die bestmögliche Förderung zu bieten. Für
Kinder ist es fast nicht mehr möglich sich einmal alleine zu beschäftigen oder sich hin und
wieder zu langweilen. Ist diese Förderung nicht zum Teil schon eine Über- (forder)
förderung? Wenn man die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Omigbodun vergegenwärtigt,
(vgl. Kap. 3.7, S. 18) sind Kinder in einer agrarisch geprägten Gesellschaft seltener von
ADHS betroffen als Kinder aus westlichen Ländern. Sie stehen nicht so stark unter Zeitdruck,
sie müssen nicht so früh funktionieren, angepasst und pflegeleicht sein. Die Kinder können
ihre Fähigkeiten in ihrem eigenen Tempo entwickeln und müssen nicht den Plänen eines
Systems folgen, das zu einem gewissen Zeitpunkt gewisse Fähigkeiten vorschreibt. Aufgrund
der Gewissheit eine Funktion und Aufgabe in der Gesellschaft zu haben, ist ihr
Selbstvertrauen gestärkt. Sie verbringen viel Zeit im Freien und können in ihren Spielen die
natürlichen Gegebenheiten der Natur einfließen lassen. Bei diesen Gelegenheiten wenden sie
instinktive Verhaltensmuster an, um Spannungen und Aggressionen abzubauen und
auszugleichen. Gleichzeitig testen sie selbstständig ihre Grenzen aus und lernen sich im
Sozialgefüge zurechtzufinden.
Wenn es für Kinder allerdings keine Möglichkeit gibt, diese Bewegungsmöglichkeiten zu
nutzen und sie nur vorgefertigte Handlungsräume aus Computerspielen etc. kennen, ist es
auch verständlich, dass sie andere Möglichkeiten finden müssen um ihre angestauten Gefühle
auszuleben. Durch die Reizüberflutung werden die Kinder mit Informationen überhäuft die
sie (noch) nicht verarbeiten können. Eine überschießende Reaktion erfolgt als Antwort auf
diese Informationsflut. Dass man nicht gerade ruhig dabei bleibt, wenn man durch die
Fernsehsender zappt, kennt jeder. Ebenso fördert es nicht gerade die Konzentration.
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Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, im Kindesalter ist dieser noch weitgehends
unverfälscht. Aus diesem Grund kann bei Kindern in diesem Alter mit mototherapeutischen
Therapien noch viel erreicht werden. Generell ist der positive Effekt von Bewegung an allen
Kindern zu bemerken, jedoch können gerade hyperkinetische Kinder in diesem Bereich gut
integriert werden und auch ihre speziellen Fähig- und Fertigkeiten zeigen. Hier können sie
ihre Stärken vorführen. Ihre Sprunghaftigkeit erscheint als Flexibilität, ihre Kreativität führt
zu ungewöhnlichen Lösungswegen, ihre Risikobereitschaft lässt andere staunen und sie sind
nicht so schnell gelangweilt, wodurch ihre Frustrationstoleranz steigt. Sie können ihre innere
Balance finden und werden ausgeglichener, was zu einer positiveren Körperresonanz führt.
In dieser Arbeit habe ich nur einen Bruchteil dessen aufgeführt, was durch, und mit
körperlicher Betätigung alles möglich ist. Ob die Bewegung in Form von Mototherapie
betrieben wird, oder einfach nur aus Spaß an der Freude ist nebensächlich. Für Kinder ist die
tägliche Bewegung wichtig für ihre Entwicklung. Und gerade hyperkinetische Kinder
profitieren durch Bewegung im großen Ausmaß. Ihr Selbstvertrauen steigt mit zunehmendem
Können, sie erhalten Ermutigung und Bestätigung durch ihre Erfolge. Sie lernen mit
Misserfolgen
umzugehen
und
neue
Lösungsmechanismen
auszuprobieren.
Das
Selbstwertgefühl steigt durch die (Selbst-) Erfahrung, die sie mit ihrem eigenen Körper
machen. Sie entwickeln einen besseren Bezug zum eigenen Körper und lernen die Beziehung
des eigenen Körpers im Raum kennen, zusätzlich zu ihren eigenen Grenzen. Weiters ergibt
sich ein besseres soziales Verhalten und die Kommunikation mit anderen Kindern. Die
Aufmerksamkeit wird gebündelt um die Bewegungen gezielt einsetzen zu können, was zu
einer Steigerung der Konzentration führt. Die Impulsivität nimmt ab, weil sie lernen ihren
Körper besser zu spüren und somit überschießende Reaktionen kontrollieren können.
Aufgrund all dieser positiven Effekte, die Bewegung bzw. mototherapeutisches Arbeiten auf
Kinder mit ADHS hat und da keine Nebenwirkungen wie bei der medikamentösen Therapie
bestehen, sollte die Bewegungstherapie im breiten Ausmaß gefördert werden.
Als Kritikpunkt bleibt jedoch anzumerken, dass es über die Wirkung der Mototherapie bei
hyperkinetischen Kindern zwar viele Erfahrungsberichte gibt, jedoch nur wenige
wissenschaftliche Studien. Diese wenigen Studien können jedoch gemeinsam mit anderen
Studien, die den positiven Effekt von Bewegung und Bewegungstherapie klar darlegen, als
Grundlage für das Mototherapeutische Arbeiten mit hyperkinetischen Kindern herangezogen
werden.
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