0534153 Hyperkinetische Störungen im Kindergartenalter Bakkalaureatsarbeit Medizinische Universität, Graz Vorgelegt von: Sura- Maria Dreier LV: Präventive und rehabilitative Aspekte der Gesundheitsversorgung von Menschen in Kindes- und Jugendlichen- und mittleren Alters Am Institut für Sportwissenschaften Begutachterin: Univ. Prof. Mag. Dr. Andrea Paletta Graz, 2009 Ehrenwörtliche Erklärung: Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bakkalaureatsarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Graz, am 15. Februar 2010 Unterschrift: 1 Inhalt 1. Einleitung .......................................................................................................................... 4 Fragestellung .......................................................................................................................... 6 2. Definition........................................................................................................................... 6 3. Klassifikationssysteme ..................................................................................................... 9 4. Ursachen von ADHS ...................................................................................................... 13 4.1 Genetische Ursachen ...................................................................................................... 13 4.2 Minimale Cerebrale Dysfunktion................................................................................... 14 4.3 Neurochemische Ursachen............................................................................................. 14 4.4 Toxische Ursachen ......................................................................................................... 14 4.5 Ernährungsverhalten als Ursache ................................................................................... 15 4.5.1 Nahrungsphosphat/Phosphatarme Diät ................................................................... 15 4.5.2 Konservierungsstoffe, Salyzilate, Farbstoffe/Feingold- Diät.................................. 16 4.5.3 Die Allergie- Hypothese/Oligoantigene Diät.......................................................... 17 4.6 Veränderte Kindheit als Ursache.................................................................................... 18 4.7 Kulturelle Einflüsse........................................................................................................ 20 4.8 Veränderte Bewegungsräume als Ursache..................................................................... 21 5. Therapien ........................................................................................................................ 22 5.1 Medikamentöse Therapie ............................................................................................... 23 5.2 Verhaltenstherapeutisches Arbeiten ............................................................................... 25 5.3 Mototherapeutische Therapien....................................................................................... 25 6. Das Setting Kindergarten .............................................................................................. 26 7. Kindliche Bewegungsentwicklung ................................................................................ 28 8. Praktische Bewegungsmöglichkeiten in der Mototherapie ........................................ 29 8.1 Die Bewegungsbaustelle ................................................................................................ 29 8.2 Die Bewegungslandschaft .............................................................................................. 29 8.3 Schwimmen als mototherapeutische Therapie ............................................................... 30 8.4 Klettern als mototherapeutische Therapie...................................................................... 32 8.5 Eltern- Kind Bewegungspiele ........................................................................................ 35 8.6 Entspannung ................................................................................................................... 37 2 8.6.1 Entspannungsspiele ................................................................................................. 37 8.6.2 Yoga ........................................................................................................................ 38 8.6.3 Autogenes Training ................................................................................................. 40 9. 10. Diskussion ....................................................................................................................... 42 Literaturverzeichnis.................................................................................................... 44 3 1. Einleitung Was steht wirklich hinter der Bezeichnung ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung), ein multidimensionales Krankheitsbild, die Umschreibung für besonders zappelige, anstrengende Kinder, eine Modeerscheinung, oder ist es ein Marketinggag der Pharmafirmen? Betrachtet man die historische Bedeutung des Zappelphilipps aus dem Kinderbuch von H. Hoffmann aus dem Jahre 1844 so ist die Problematik von Kindern mit ADHS schon lange bekannt. Wieso sie in den letzten Jahren aber derart im Steigen begriffen ist, daran scheiden sich die Geister. Es scheint jedoch der richtige Weg zu sein, sich nicht nur in der jeweils bekannten eigenen Disziplin zu bewegen, sonder auch über den Tellerrand zu blicken, welche Theorien andere Fachbereiche zu diesem Thema zu bieten zu haben. So sehen Mediziner sich in der Annahme bestätigt, dass die hyperkinetische Störung eine Krankheit ist, die mit Medikamenten behandelt gehört. Auf der anderen Seite kämpfen Sozialwissenschaftler/Pädagogen u. a. um die Einbeziehung der psychodynamischen und soziokulturellen Beziehungen. Andere Vertreter vermuten wiederum unerledigte Entwicklungsstörungen oder eine Zivilisationsstörung (vgl. Roggensack 2006, S.9). Renate Zimmer führt Konzentrationsschwierigkeiten, Hyperaktivität, Aggressivität und Verhaltensauffälligkeiten als Symptome einer Bewegungsmangelkrankheit an (vgl. Zimmer 2000, S. 53). Obwohl ADHS zu den bestuntersuchten Krankheitsbildern in der Jugendheilkunde zählt, können die Ursachen größtenteils noch nicht klar benannt werden. Und genau diese Ungewissheit führt zu den vielen Theoriegebilden, die jede Fachdisziplin für sich als die einzig Wahre aufstellt. Die Häufigkeit, mit der der Ausdruck Hyperaktivität in den Medien verwendet wird, lässt erkennen, dass ADHS in unserer Gesellschaft längst keine Randposition mehr hat. Gerade vor Schulbeginn ist eine Häufung von Werbung für diverse Säfte und Mittelchen zu beobachten, die dem unkonzentrierten Kind auf die Sprünge helfen sollen. Auch hier überwiegt wohl der Wunsch, dem nicht “richtig“ funktionierenden Kind könne durch die alleinige Gabe von Medikamenten geholfen werden. Die medikamentöse Therapie wird gerne als Mittel erster Wahl eingesetzt, da sie der Weg des geringsten Widerstandes ist. Den Kindern wird vermittelt, eine einfache Pille führe als einziges zum Erfolg. So haben Eltern und Kinder ein schnelles Erfolgserlebnis. Das subjektive Wohlempfinden der Kinder wird nicht als Vergleichsmaß hinzugezogen. Kinder, die sonst laufend darauf hingewiesen werden etwas erbringen zu müssen, was sie einfach nicht leisten können, werden nun für ihr angepasstes 4 Verhalten gelobt. Auch den Eltern, denen sonst ein falsches Erziehungsverhalten vorgeworfen wird, wird plötzlich zugesprochen, endlich das Richtige getan zu haben. Wenn die Diagnose ADHS bei einem Kind gestellt wird, sind viele Angehörige erleichtert. Endlich hat sich eine Erklärung für das zappelige, unruhige, lebhafte, unkonzentrierte Kind gefunden. Die Zuordnung zu einem Krankheitsbild ist somit schnell geschehen, das Kind kann nun eingeschätzt, kategorisiert und therapiert werden. Vielleicht kann ADHS aber nicht nur als Krankheit gesehen werden, sondern ist als Reaktion der Kinder auf die Reizüberflutung unserer hektischen Welt zu verstehen. Vielleicht scheuen wir die Auseinandersetzung mit diesen “schwierigen“ Kindern, weil es einfacher ist, sie als krank zu definieren, als sie in einem anderen Kontext zu betrachten und ihrer Kreativität Raum zu geben. Daher auch meist die Wahl der medikamentösen Therapie, sie verlangt wenig von uns und auch keine intensive Beschäftigung mit den Kindern. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich auf alternative Methoden hinweisen, die den Kindern Raum geben mit ihren überschießenden Energien umgehen zu lernen. Da gerade Kinder im Kindergartenalter noch sehr unbeschwert sind, gehen sie mit viel Freude an Bewegung heran. Sie sind noch nicht mit der Einstellung belastet, Bewegung müsse gemacht werden weil sie ja so gesund ist, sondern sie folgen einem inneren Bewegungsdrang und machen in diesem Alter auch noch viele neue Erfahrungen durch das Bewegen und Begreifen. Kinder bewegen sich nicht wie Erwachsene aus einem funktionsorientiertem Denken heraus, sondern weil es ihnen Freude bereitet (vgl. Zimmer 2000, S. 50). Aus diesem Grund habe ich mich bei meiner Literaturrecherche auf die Bewegungserziehung im Kindergarten spezialisiert. Der erste Teil dieser Arbeit behandelt die Definition von ADHS, anschließend werden mögliche Ursachen diskutiert. Im zweiten Teil wird auf verschiedene Therapieformen eingegangen. Als Schwerpunkt werden hierbei die mototherapeutischen Therapieformen erläutert. Da diese Arbeit das Kindergartenalter behandelt wird das Setting Kindergarten erklärt und auf die kindliche Bewegungsentwicklung eingegangen um mit der Mototherapie abzuschließen. Dieses Kapitel enthält auch Übungen für die Praxis, so dass die Bewegungstherapie zum Teil auch angewendet werden könnte. 5 Fragestellung Bei der Beschäftigung mit dem Thema ADHS zeigt sich, dass das “Krankheitsbild“ in der breiten Masse sehr bekannt ist, auch bei den Therapiemöglichkeiten ist der Bekanntheitsgrad von Medikamenten sehr groß. Gerade Ärzte sind bei der Verschreibung von Medikamenten schnell bei der Hand, um den kleinen PatientInnen eine Therapie anbieten zu können. Bei anderen Therapiemöglichkeiten benötigen die Therapeuten längerfristige Ausbildungen oder ein umfassendes Training. Die korrekte Anwendung und der richtigen Umgang muss erst erlernt werden. Vom Kind wird eigener Handlungsbedarf gefordert. Diese alternativen Therapiemöglichkeiten sind somit weder für die Kinder noch für die Therapeuten einfach zu erlangen. Es ergibt sich ein großer Bedarf an geschulten Personen, die zusätzlich zur medikamentösen Therapie Hilfestellungen anbieten können. Sie sollen die Kinder dabei unterstützen, diesen schwierigeren Weg zu gehen. Vielleicht können in Zukunft auch Gesundheits- und PflegewissenschaftlerInnen Hilfestellungen für hyperkinetische Kinder anbieten. Somit stellt sich die Frage was ADHS eigentlich genau ist und wie Gesundheitsund PflegewissenschaftlerInnen damit arbeiten können? Da gerade im Gesundheitsbereich der präventive Charakter eine wichtige Rolle spielt, sollte so früh wie möglich mit Unterstützung begonnen werden. Somit ist das Kindergartenalter ein sehr geeigneter Zeitpunkt um mit den ersten Interventionen zu beginnen. Deshalb beziehe ich mich in dieser Arbeit auf diese Altersgruppe und ihr spezielles Bewegungsbedürfnis. 2. Definition Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Hyperkinetische Störung „Als hyperkinetisch wird ein Kind bezeichnet, das eine für sein Alter inadäquate Aufmerksamkeit, ausgeprägte motorische Hyperaktivität, erhöhte Impulsivität sowie emotional und sozial störende Verhaltensweisen wie erhöhte Erregbarkeit oder Irritierbarkeit aufweist.“(Möller/Laux 2005, S.432) Der Begriff „hyperkinetisch“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „sich übermäßig bewegen“ (hyper = über, kinesis = Bewegung) und spricht somit die gleichen Merkmale an wie der Begriff „hyperaktiv“ (vgl. Klammrodt 1999, S.24). Genauer genommen bedeutet Hyperkinetik ein Zuviel an Bewegung bzw. Bewegungsenergie, während Hyperaktivität die 6 Handlungsenergie, also eine Tätigkeit beschreibt (vgl. Schweizer/Prekop 1991, zit. nach Passolt 1996, S. 153). Die hyperkinetische Störung ist geprägt durch charakteristische Kernmerkmale wie: x Hyperaktivität x Impulsivität und eine x Störung der Aufmerksamkeit Unter den Begriff Hyperaktivität fallen laut Döpfner Zuschreibungen wie: x „Zappelt häufig mit Händen und Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum. x Steht in der Klasse oder in anderen Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird. x Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben). x Hat häufig Schwierigkeiten ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen. x Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er getrieben.“ (Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.43) Die Hyperaktivität bleibt auch im Erwachsenenalter bestehen, nimmt jedoch andere Ausdrucksformen an. Laut Steinhausen haben diese Personen Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer Pflichten am Arbeitsplatz und in Beziehungen. Auch die Gefühlsregulation macht Probleme, häufig sind Wut- und Affektausbrüche. Da die Hyperaktivität im Erwachsenenalter andere Dimensionen annimmt, wird sie bei Erwachsenen häufig übersehen (vgl. Albrecht zit. nach Steinhausen, Dimensionen, 2009). Hyper- oder Hypoaktivität ist die Beschreibung eines Aktivitätsgrades, dafür muss dieser Aktivitätsgrad erst einmal in einen Normbereich gebracht werden. Diese Beschreibung hängt jedoch meist von einer subjektiven Betrachtung beziehungsweise von einem Kontext ab. So ist beispielsweise im schulischen Rahmen, im Sportunterricht Aktivität in Form von Bewegung erwünscht, im Mathematikunterricht aber weniger angebracht. Somit muss auch immer der Kontext und Bezugsrahmen in die Betrachtung mit einfließen. 7 Der Begriff Impulsivität umfasst folgende Beschreibungen: x „Platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist. x Kann häufig nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist (bei Spielen oder in Gruppensituationen). x Unterbricht und stört häufig (platzt z. B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein). x Redet häufig übermäßig viel (ohne auf soziale Beschränkung zu reagieren).“ (Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.44) Impulsivität ist die Bezeichnung für Spontanität und Unvermitteltheit, beides geschieht aufgrund eines plötzlichen Antriebs. Im Zusammenhang mit ADHS hat Impulsivität aber einen negativen Charakter, da das Verhalten als vorschnell und nicht adäquat empfunden wird. Der Begriff Unaufmerksamkeit beschreibt neun Punkte: x „Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten. x Hat häufig Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielen aufrechtzuerhalten. x Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn ansprechen. x Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund von oppositionellem Verhalten oder Verständnisschwierigkeiten). x Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren. x Vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengung erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben). x Verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug). x Lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken. x Ist bei Alltagsaktivitäten häufig vergesslich.“ (Döpfner 2002 zit. nach Roggensack 2006, S.41) 8 Der Begriff Aufmerksamkeit bedeutet zum einen den Zustand der Aufmerksamkeit, das Dasein, zum anderen das gezielte Achtgeben. Auch beim Begriff Aufmerksamkeit (Unaufmerksamkeit) ist es notwendig, sich auf einen Normbereich zu beziehen. Jedoch stellt sich in diesem Fall eine ähnliche Schwierigkeit durch die Diskrepanz der Beobachtung. Ist ein Kind, das zum Fenster hinausblickt weniger aufmerksam als das Kind, das das Geschehen an der Tafel verfolgt? In den Augen des Lehrers wahrscheinlich. Dass Aufmerksamkeit immer zielgerichtet ist und eine Belastungsgrenze hat, darf man bei einer subjektiven Betrachtung nicht außer Acht lassen (vgl. Roggensack 2006, S. 202-207). Zusätzlich zu den Kernsymptomen kommen häufig Stimmungsschwankungen, Unruhe, Rastlosigkeit und Aggressivität vor. Außerdem können zu diesen Merkmalen Störungen des Sozialverhaltens auftreten. Hinterhuber spricht von der Begünstigung einer sekundären Neurotisierung (vgl. Hinterhuber 1997, S. 170). Auffällig sind hyperkinetische Kinder schon als Säuglinge, bzw. ab dem frühen Kindesalter, jedoch gewinnen die Störungen meist erst mit dem Schuleintritt an Bedeutung. Die Probleme manifestieren sich meist erst ab dem Zeitpunkt, wenn von den Kindern ein vermehrtes Stillsitzen erbracht und Konzentration an den Tag gelegt werden muss. 3. Klassifikationssysteme Die Diagnosestellung nach dem DSM IV (Diagnostic and Statistical Manuel of Mental Disorders) unterscheidet drei Typen: x Typ 1: Mischtyp: Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität/Impulsivität. x Typ 2: Vorwiegend unaufmerksamer Typ: Aufmerksamkeitsdefizitsstörung ohne Hyperaktivität/Impulsivität. x Typ 3: Vorwiegend hyperaktiv- impulsiver Typ: Hyperaktivität/Impulsivität ohne Aufmerksamkeitsstörung. (vgl. Roggensack 2006, S. 54) Eine weitere Einteilung geschieht durch die psychiatrische Klassifikation ICD- 10 (International Classifikation of Diseases) welche folgende Merkmale als charakteristisch bei hyperkinetischen Störungen definiert (Code F90): 9 Forschungskriterien für hyperkinetische Störungen gemäß ICD- 10 1. „Für das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes abnorme nachweisbare Störungen der Aufmerksamkeit und des Verhaltens zu Hause, ersichtlich aus mindestens drei der folgenden Aufmerksamkeitsprobleme: 1.kurze Dauer spontaner Aktivitäten; 2.spielerische Aktivitäten bleiben oft unbeendet; 3.allzu häufiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten; 4.vermindertes Durchhaltevermögen für Aufgaben die von Erwachsenen gestellt wurden; 5. übermäßig hohe Ablenkbarkeit beim Lernen, z.B. bei den Hausaufgaben oder beim Lesen; Und durch mindestens drei der folgenden Störungen der Aktivitäten: 6. anhaltende motorische Unruhe (laufen, springen, etc.) 7.deutlich exzessives Wackeln und Zappeln bei spontanen Aktivitäten; 8.deutlich exzessive Aktivität in Situationen in denen Ruhe erwartet wird(z. B. bei Mahlzeiten, beim Reisen, bei Besuchen oder in der Kirche) 9. Schwierigkeiten, sitzen zu bleiben, wenn es gefordert wird. 2. Für das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes abnorme Störungen der Aufmerksamkeit und der Aktivität in der Schule oder im Kindergarten, ersichtlich aus mindestens zwei der folgenden Aufmerksamkeitsprobleme: 1.herabgesetztes Durchhaltevermögen bei Aufgaben; 2.übermäßig hohe Ablenkbarkeit, d. h. häufiges Orientieren an äußeren Stimuli; 3.übermäßiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten, wenn eine Wahl erlaubt ist; 4.außergewöhnlich kurze spielerische Aktivitäten; Und durch mindestens zwei der folgenden Aktivitätsprobleme: 5.anhaltende und exzessive motorische Unruhe (laufen, springen etc.) in Situationen, in denen freie Aktivität erlaubt ist; 6.deutlich exzessives Wackeln und Zappeln in strukturierten Situationen; 7.hohes Maß an Pausenzeiten während gestellter Aufgaben; 10 8.übermäßig hohes Aufstehen, wenn Sitzenbleiben erforderlich ist. 3. Direkt beobachtbare Störung der Aufmerksamkeit und Aktivität, in einem für das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes übermäßigen Ausmaß. Der Nachweis kann in einer der folgenden Möglichkeiten bestehen: 1.direkte Beobachtung der Kriterien 1 oder 2 (oben), d. h. nicht nur Bericht der Eltern und/oder des Lehrers; 2.Beobachtung eines hohen Maßes an motorischer Aktivität oder ziellosen Verhaltens oder Mangel an Durchhaltevermögen bei Aktivitäten in einer Umgebung außerhalb von zu Hause oder der Schule (z. B. in der Klinik oder im Labor); 3.deutliche Leistungsbeeinträchtigung in psychomotorischen Aufmerksamkeitstests. 4. Die Kriterien für eine Entwicklungsstörung, eine manische, eine depressive oder eine Angststörung sind nicht erfüllt. 5. Beginn vor dem 6. Lebensjahr 6. Dauer mindestens sechs Monate 7. IQ über 50“ (Steinhausen 1995, S.15) Um keine irrtümliche Zuschreibung zur Diagnose ADHS zu treffen, ist es wichtig darauf zu achten, dass die Erkrankung einen frühen Beginn hat, das Kind ein durchgängiges Verhaltensmuster über einen längeren Zeitraum aufweist und die Überaktivität gemeinsam mit einer Unaufmerksamkeit und einem Mangel an Ausdauer einhergeht. Die oben erwähnten Kernsymptome werden meist von zwei Standpunkten beobachtet, im Elternhaus und in der Schule/Kindergarten. Dadurch schleichen sich selbstverständlich leicht Beobachtungsfehler und subjektive Betrachtungsweisen ein. Um eine fälschliche Zuschreibung zu einem Krankheitsbild zu vermeiden, betont Steinhausen die Wichtigkeit von objektiven Einschätzungsinstrumenten wie Fragebögen und Schätzskalen (vgl. Steinhausen 1995, S.18). Auch Roggensack warnt vor einer raschen Zuordnung zu diesem Krankheitsbild, 11 da es sonst zu einer Vorverurteilung des Kindes mit ADHS kommen könne (vgl. Roggensack 2006, S. 11). Wichtig ist auch im Vorfeld abzuklären, inwieweit es sich bei der Symptomatik des Kindes um einen noch normalen Reifungsprozess handelt (vgl. Hinterhuber 1997, S. 170). Da sich die Absicherung dieser Diagnose nicht einfach gestaltet, sollten rechtzeitig auch die Differentialdiagnosen abgeklärt werden. So kann es beispielsweise bei Depressionen zu einer falschen Zuschreibung zum Krankheitsbild ADHS kommen, obwohl es sich um Anomalien der Depression handelt, die mit ADHS Symptomen einhergehen (vgl. Albrecht zit. nach Romanus, Dimensionen, 2009). Weitere Differenzialdiagnosen und/oder Begleiterkrankungen können tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Angsterkrankungen, emotionale und effektive Störungen sein. Denn auch bei diesen Krankheitsbildern spielen Unruhezustände und Aufmerksamkeitsstörungen eine große Rolle. Außerdem müssen auch organische Ursachen, Intelligenzminderung, Denkstörungen und Suchterkrankungen ausgeschlossen werden (vgl. Möller/Laux 2005, S. 434). Das hyperkinetische Syndrom zählt zu den bestuntersuchten Krankheitsbildern in der Kinderheilkunde und macht mit 5,3% weltweit betroffenen Kindern den wesentlichen Teil der psychischen Anomalien im Kindesalter aus (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009). Jungen sind jedoch dreimal so häufig von ADHS betroffen wie Mädchen (vgl. Möller/Laux 2005, S.433). Die Symptome setzen meist schon sehr früh ein, manche Mütter berichten rückblickend über motorische Unruhe in der Schwangerschaft, und bei diesen Säuglingen fällt meist auch leichte Erregbarkeit auf. Beim Kleinkind fallen eher die grobmotorischen Aktivitäten auf (Rennen, Klettern). Laut Tölle sind diese Kinder im Kindergarten sehr draufgängerisch, ecken in ihrer sozialen Umgebung an und erkennen gefährliche Situationen nicht. Dies wirkt sich auf das Sozialverhalten aus, da hyperkinetische Kinder häufig die Grenzen anderer Kinder nicht erkennen. Die sich daraus ergebende Kommunikationsstörung ist auch darauf zurückzuführen, dass hyperkinetischen Kindern häufig die nötige Empathie fehlt um sich in andere Kinder hineinzuversetzen. Diese Probleme sind im Kleinkindalter gut ersichtlich, später jedoch verlieren sie durch soziale Lern- und Anpassungsprozesse ihre Bedeutung (vgl. Tölle 2009, S. 274). Neueste Erkenntnisse wurden auf dem “2nd International Congress on ADHD“, vom 21- 24 Mai 2009 in Wien präsentiert, auf dem mehr als 1000 Vertreter aus 70 Ländern anwesend waren. Auf diesem Symposium wurde die Meinung vertreten, dass es keine 12 geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Symptomatik gibt. Es bestehen jedoch sehr wohl Unterschiede bei den Begleiterkrankungen. Bei den weiblichen Betroffenen dominieren Angststörungen und Depressionen, bei den männlichen Betroffenen Störungen des Sozialverhaltens und Aggressionen (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009). 4. Ursachen von ADHS Über die Ursachen der hyperkinetischen Störung wird seid langem diskutiert, Fakt ist, dass die Ursachen mannigfaltig sind und in Wechselwirkung zueinander stehen. Diese multifaktoriellen Auslöser setzen sich aus genetischen, neurobiologischen, umweltbedingten und psychosozialen Auslösern zusammen. Laut Steinhausen „besteht jedoch kein Zweifel, dass hyperkinetische Störungen letztendlich neurobiologisch bedingt sind“, (Steinhausen 1995, S. 21) dies gilt jedoch nur für einen Teil der betroffenen Kinder. 4.1 Genetische Ursachen Zwillingsstudien und Familienstudien zeigen, welchen wichtigen Einfluss genetische Faktoren auf die Entstehung von hyperkinetischen Störungen haben. Das genetische Risiko an einer hyperkinetischen Störung zu erkranken beträgt 80% (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009). So zeigt sich in Adoptionsstudien, dass das hyperkinetische Syndrom bei biologischen Verwandten weitaus häufiger auftrat, das Halbgeschwister seltener hyperkinetisch sind als Vollgeschwistern. Und in Zwillingsstudien zeigt sich, dass das Aktivitätsniveau von eineiigen Zwillingen stärker übereinstimmt als das von zweieiigen Zwillingen. Andere Studien zeigen, dass ADHS in manchen Familien über Generationen in hoher Dichte auftritt. Somit scheint es sehr wahrscheinlich, dass die Gene für eine Erkrankung an ADHS eine große Rolle spielen. Interessant erscheint auch, dass in Familien, in denen die hyperkinetische Störung gehäuft auftritt, die Väter anfälliger für Alkoholismus und sogenannte soziopathische Störungen zu sein scheinen, während bei den Müttern hysterische Störungen überwiegen (vgl. Angerer 2005, S. 22 u. Steinhausen 1995, S.22). Die genetische Ursachendiskussion wird auch gestützt durch molekulargenetische Untersuchungen in denen der Einfluss der Gene auf die DopaminRegulation beobachtet wird. So wird beispielsweise der Einfluss eines Dopamin- D2- Gens auf sensationssuchende Persönlichkeitseigenschaften diskutiert. Diese Diskusionen haben aktuell aber noch einen hypothetischen Charakter (vgl. Roggensack 2006, S.79). 13 4.2 Minimale Cerebrale Dysfunktion Die Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) ist eine geringradige, frühkindliche Hirnfunktionsstörung, einhergehend mit Teilleistungsstörungen aber nicht mit einer Intelligenzminderung. Die Lernfähigkeit ist gestört und die Kinder sind sehr unruhig. Diese Ursache wird inzwischen als veraltet betrachtet, aber immer noch stark diskutiert, obwohl die Mehrzahl der hyperkinetischen Kinder nicht an MCD erkrankt sind (vgl. Haring 2004, S. 360). 4.3 Neurochemische Ursachen Bei den neurobiologischen Ursachen wird eine Störung in der Verstoffwechselung von Neurotransmittern wie Noradrenalin, Serotonin und Dopamin diskutiert. Das Zusammenspiel der Botenstoffe ist gestört, da sie in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. Betroffen sind die Gehirnregionen Frontallappen, Hirnstamm und Areale des Kleinhirns. Gerade diese Bereiche im Gehirn sind zuständig für Koordination, Aufmerksamkeit, Motivation, ermöglichen planerisches Denken und Organisationsleistungen. Außerdem verhindern sie überschießende Reaktionen auf Umweltreize. Diese These wird auch durch den oftmals erfolgreichen Einsatz von Methylphenidat und Amphetaminen gestützt. Diese verhindern die Wiederaufnahme der Neurotransmitter in der präsynaptischen Zelle, weshalb die Konzentration im Intersynaptenspalt ansteigt. Es scheint jedoch eine Störung des Noradrenalinstoffwechsels vorzuliegen, während das serotoninerge System nicht für die hyperkinetische Störung verantwortlich zu sein scheint (vgl. Steinhausen 1995, S. 22). 4.4 Toxische Ursachen Toxine, aus der Umwelt stammende Gifte, insbesondere auch Allergene scheinen ebenfalls eine große Rolle bei der Entstehung von hyperkinetischen Störungen zu spielen. Großen Einfluss hat die Auswirkung von Alkohol in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten. Studien zu den Langzeitfolgen von Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft zeigen dass hyperkinetische Störungen bei diesen Kindern häufig vorkommen. Andererseits werden genau jene Nervengifte (Alkohol, Nikotin), die in der Frühphase des Lebens Schäden bewirkt haben, später von den betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen zur Selbsttherapie verwendet. Denn am Beispiel Nikotinmissbrauch ist erkennbar, dass die 14 Katecholaminausschüttung (Neurotransmitter: Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Serotonin) die Symptome des ADH Syndroms reduziert. (vgl. Steinhausen 1995, S.23) Auch ein erhöhter Bleispiegel im Blut zeigt Auswirkungen, wenn auch dieser Effekt bei relativ wenigen Kindern für das hyperkinetische Syndrom verantwortlich zu sein scheint (ebenda S.113). Der Einfluss von Nahrungsmittelzusätzen wie Salizylate, Phosphate, künstliche Farbstoffe, Zuckerzusätze wird diskutiert und scheint durchaus eine mögliche Ursache zu sein (vgl. Albrecht, Dimensionen, 2009). 4.5 Ernährungsverhalten als Ursache Welch wichtige Rolle die Ernährung spielt, um dem Menschen ein ausgeglichenes körperliches und seelisches Wohlbefinden zu ermöglichen, ist wohl unbestritten. Der Körper muss (möglichst qualitätvoll) ernährt werden um richtig zu funktionieren. Alleine am Beispiel Frühstück zeigt sich, wie wichtig dieses ist. Bei Kindern, die ein Frühstück zu sich genommen hatten war die Aufmerksamkeit ungleich besser als bei Kindern, die kein Frühstück gegessen hatten (vgl. Steinhausen 1995, S.113). Welche Bedeutung das Ernährungsverhalten auf hyperkinetische Kinder hat, soll im Folgenden diskutiert und Therapieansätze erläutert werden. 4.5.1 Nahrungsphosphat/Phosphatarme Diät Herta Hafer führte Anfang der 80er Jahre im deutschsprachigen Raum die Diskussion darüber ein, ob das in der Nahrung enthaltene Phosphat für die Verhaltensauffälligkeiten von Kindern zuständig sein könnte. Hafer war der Meinung, dass vor allem Kinder die an MCD litten, auf Phosphatgaben mit einer metabolischen Alkalose (Überschuss an Alkalien in Geweben und Körperflüssigkeiten) reagieren würden. Ihrer Meinung nach reagieren anfällige Kinder 20- 30 Minuten nach Phosphataufnahme mit entsprechend expansiven Symptomen, die dann gesetzmäßig drei Tage andauern würden. Die Elterninitiativen, die nach der phosphatarmen Diät nach Hafer gegründet wurden, berichteten teilweise von erfolgreichen Einzelfällen. Einer wissenschaftlichen Überprüfung hielt die Diät jedoch nicht stand. In einer Doppelblindstudie konnte nach dem Weglassen von Phosphat kein Unterschied im Verhalten- oder in der Leistung festgestellt werden (vgl. Steinhausen, 1995, S.114). 15 Klammrodt spricht aus eigener Erfahrung in den höchsten Tönen von der phosphatfreien Diät, jedoch kann auch er nur auf Einzelfallberichte ohne wissenschaftliche Grundlage zurückgreifen. Laut Klammrodt sind die Phosphatanteile in unseren Lebensmitteln in den letzten 30 Jahren um 300% gestiegen. Da der Mensch nicht in der Lage ist, sich innerhalb dieser kurzen Zeit auf die ernährungstechnischen Veränderungen einzustellen, führen diese zu unabsehbaren Folgen für die Gesundheit. Die unterschiedliche Empfindlichkeit jedes einzelnen Menschen erschwert es, die Ursache rechtzeitig zu erkennen und Reizquellen auszuschalten. Die Therapie bei einer Phosphatunverträglichkeit besteht in einer phosphatarmen Diät. In dieser Diät werden natürliche und künstliche Phosphate wie Vollgetreide, Nüsse, Hülsenfrüchte, Eier, Milch, Käse u. a. sowie phosphathaltige Zusatzstoffe vermieden. Es sollte zu einer natürlichen Ernährung zurückgekehrt werden die möglichst wenig “Fertigprodukte“ enthält (vgl. Klammrodt 1999, S. 89-91). Um die Phosphate aus dem Körper aus zu schleusen verwendet die „Phosphatliga“ magnesium- und aluminiumhaltige Substanzen. Über die Nieren wird auf diesem Weg mehr Phosphat ausgeschieden. Dadurch sind jedoch gerade bei Flüssigkeitsverlusten Nierenschäden nicht auszuschließen. Fest steht auch, dass Aluminium auf Neuronen toxisch wirkt und beispielsweise bei Dialysepatienten Enzephalopathie (Teilnahmslosigkeit, Gedächtnislücken, Tremor bis hin zum Leberkoma) hervorruft. Steinhausen stellt weiters fest, dass es fast nicht möglich ist eine Senkung der Serumkonzentration von Phosphat durch die Diät hervorzurufen. Die Phosphatarme Diät hat in der Langzeitbehandlung erhebliche Nebenwirkungen die mit Anorexie (Fehlernährung), Knochenschmerzen, Muskelschwäche und Unwohlsein einhergehen. Als Dauerernährung sollte die Phosphatarme Diät für Kinder nicht empfohlen werden. (vgl. Steinhausen 1995, S. 115f) 4.5.2 Konservierungsstoffe, Salyzilate, Farbstoffe/Feingold- Diät Konservierungsstoffe, Farbstoffe und artefizielle Zusätze (Salizylate) sollen laut Feingold auch für ADHS Symptome zuständig sein. Salizylate sind natürlicherweise in Äpfeln, Tomaten und Orangen enthalten. Auch bei dieser Diätform gab es einige überzeugende Einzelerfolge, einer wissenschaftlichen Überprüfung hielt diese Hypothese jedoch auch nicht stand. Die erzielten Erfolge gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Placeboeffekt zurück, der durch eine Hinwendung und Betrachtung des Kindes in Form dieser Diät erfolgt. Somit tritt allein schon durch die Veränderung der Eltern- Kind- Beziehung ein therapeutischer Aspekt auf (vgl. Greiner 2002, S. 21-24 und Roggensack 2006, S. 87). Auch 16 Steinhausen zweifelt die Objektivität dieser Studien an, er führt die positiven Effekte darauf zurück, dass nur die Sofortreaktionen, nicht die Langzeiteffekte getestet wurden, obwohl diese bei weitem überwiegen (vgl. Steinhausen 1995, S. 128). Die positive Wirkung in Einzelfällen wird jedoch bestätigt, da einige PatientInnen tatsächlich auf synthetische Nahrungsmittelzusätze und Salicylate ansprechen (ebenda S. 131). Auch Zucker kam immer wieder in den Verdacht, die hyperkinetischen Symptome zu verstärken. Auch in diesem Fall zeigte sich die Hypothese nicht haltbar, da sich bei einer Überprüfung nur bei sehr wenigen Kindern eine Verbesserung des Verhaltens einstellte (vgl. Roggensack 2006, S. 88). 4.5.3 Die Allergie- Hypothese/Oligoantigene Diät Diese Hypothese geht davon aus, dass Nahrungsmittelallergien Verhaltensstörungen auslösen können. Bei der Oligoantigenen Diät werden in einem Zeitraum von 3- 4 Wochen nur wenige, erfahrungsgemäß nicht allergieauslösende Nahrungsmittel erlaubt. Wenn eine Besserung eintritt, werden die zuvor vermiedenen Lebensmittel wieder zugeführt. Dabei wird immer ein Abstand von einigen Tagen gelassen, um die Reaktionen des Kindes direkt auf ein eventuelles Allergen zu erkennen. Bei den neutralen Lebensmitteln handelt es sich meistens um zwei Sorten Fleisch (z. B. Lamm und Pute), Reis, Kartoffeln, Gemüse wie Karotten, Gurken, Kohl, Zwiebel und Spargel. Erlaubt ist auch Obst; beispielsweise Äpfel, Birnen, Bananen und milchfreie Margarine oder Oliven- und Sonnenblumenöl. Als Getränke sind die Säfte aus den oben genannten Früchten, Wasser und Mineralwasser erlaubt. Streng vermieden werden Zitrusfrüchte, Kuhmilch (diese wird durch Ziegen-, Schafs- oder Sojamilch ersetzt), Schokolade und Getreide. Durch die langsame Wiedereinführung der vermiedenen Nahrungsmittel kann eine Unverträglichkeit getestet werden. Studien zeigen einen positiven Effekt auf die Schlafphasen bei hyperkinetischen Kindern, die REM- Schlafphasen waren deutlich tiefer und die Kinder wachten nachts nicht mehr so häufig auf. Dieser Umstand Konzentrationsleistung kann führen. ebenfalls Generell zu einer wurde verbesserten bei einigen Gedächtnis- und Kindern eine Verhaltensverbesserung erzielt, eine Normalisierung wurde aber auch erst mit Hilfe von anderen Therapien erreicht (vgl. Steinhausen 1995, S. 130- 133). Anzumerken bleibt natürlich auch, dass diese Diätformen alle sehr stark in die psychosoziale Situation des Kindes eingreifen. Sie erfordern Konsequenz von Seiten der Kinder und Eltern, 17 sind aufwändig und kostspielig (vgl. Greiner 2002, S. 24). Auf der anderen Seite zeigt sich, dass sehr wohl ein gewisser Einfluss von dem, was wir essen auf unser Wohlbefinden besteht, und Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze einen Einfluss auf hyperkinetisches Verhalten haben. Eine Studie, die in amerikanischen Gefängnissen zu diesem Thema durchgeführt wurde, zeigte, „dass die Aggressivität jugendlicher Krimineller abnahm, wenn die Inhaftierten anstatt “Junk Food“ eine gesunde, gemischte Kost erhielten“ (Steinhausen 1995, S. 134). 4.6 Veränderte Kindheit als Ursache In den letzten Jahren hat sich für die heranwachsenden Kinder vieles verändert, diese Veränderungen umfassen individuelle Erfahrungen und Entwicklungen und ziehen sich weiter bis hin zu globalen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Zusammengefasst betreffen die Veränderungen folgende Punkte: Fernsehen, Körperliche Bewegung, Familie, Erziehung, Umweltgifte und Ernährung (vgl. Klammrodt 1999, S. 63). Auf dem Symposium des ADHD Congresses 2009 in Wien wurden die Umwelt- und Sozialeinflüsse heftig diskutiert. Die Informationsflut, die auf die Kinder heutzutage einstürzt, kann durchaus eine Belastung sein und eine Desorientierung auslösen. Die Aufmerksamkeitsstörung ist ein Symptom der ADHS und genau dies ist es, was von den multiplen Medien gefordert wird. Die Aufmerksamkeit wird durch den Informationsdruck immer stärker beansprucht. Neue mediale Welten haben uns zu einer Informationsgesellschaft gemacht, während digitale Welten uns eine virtuelle Realität voller veränderter Kommunikationsmöglichkeiten verschaffen. Das psychosoziale Umfeld ist also bestens dazu geeignet, seelischen Erkrankungen den idealen Nährboden zu liefern. Die technologische und gesellschaftliche Beschleunigung bereitet Probleme bei der Verarbeitung der auf das Individuum einstürzenden Reize. Vor allem weil der menschlichen Aufmerksamkeit Grenzen gesetzt sind, die sich nicht beliebig steigern lassen. Das führt nun dazu, dass sich der Wissensstand des Menschen durch die Informationsflut eigentlich nicht erhöhen lässt. Auf der anderen Seite ist sehr wohl eine Gewöhnung an die Beschleunigung festzustellen. So führte beispielsweise die Eisenbahn als neues Verkehrsmittel zu einer veränderten Raum- Zeitwahrnehmung. Der Mensch hat sich auf diese neue Dimension eingestellt, sich ihr angepasst und somit hat eine Gewöhnung stattgefunden. DeGrandpre vergleicht diesen Gewöhnungseffekt „mit der körperlichen Toleranz für Drogen: Nachdem 18 sich die letzte Geschwindigkeit als neuer Standard unserer normativen Erfahrung (und Erwartung) durchgesetzt hat, verlieren wir den Spaß an diesem Tempo und bleiben stattdessen nur mit gesteigerten Erwartungen zurück, die uns nach noch mehr Geschwindigkeit verlangen lassen.“ (DeGrandpre 2002, S.34 in Roggensack 2006, S. 29). Früher waren Lebens- und Tagesrhythmus vorgegeben durch natürlich gewachsene Strukturen die heute immer mehr an Bedeutung verlieren. Heute leben vor allem Familien unter dem Zeitdiktat der Beschleunigung, die zu einer Zeitersparnis führen sollte. Die Menschen verwenden diese Zeitersparnis jedoch nicht um die gewonnene Freiheit als Freizeit zu genießen, sondern stopfen noch mehr Aktivitäten in die gewonnene Zeit. In den Familien äußert sich dieser Zeitdruck dadurch, dass die Kinder von ihrem straff organisierten Schulalltag in perfekt durchgeplanten Freizeitaktivitäten entlassen werden. Die Mütter sind neben eigenen beruflichen Verpflichtungen in ihren Rollen als Familienmanagerinnen auch als Taxifahrerinnen, Nachhilfelehrerinnen und Ehe- Lebenspartnerin eingeteilt, um ihren Kindern auch ein möglichst vielfältiges Angebot bieten zu können. Die Kinder sind also von klein auf in dieses Zeitdiktat eingespannt und gewöhnen sich somit an die Steigerung des Tempos. Da sich zusätzlich auch ein Wertewandel in den Familien vollzieht und neue Formen des Zusammenlebens in den Familien zelebriert werden, ist es nötig sich neue Handlungsmuster zu überlegen und mit traditionellen Wertevorstellungen zu brechen. Die neuen Lebensformen im Sinne von Scheidungs-, Patchworkfamilien, AlleinerzieherInnen, Singlehaushalten, etc. zeigen allgemeine gesellschaftliche Veränderungen auf und sind nicht negativ zu betrachten. Ebenfalls eingreifend in das soziale Gefüge Familie ist der Fernseher; meist schon als eigenes Familienmitglied gesehen, bestimmt er den Tagesablauf und die Freizeitgestaltung. Die mediale Reizüberflutung birgt die Gefahr einer Überforderung der Kinder im Bereich der geistigen und emotionalen Entwicklung. Das Problem ist, dass die Kinder auf diese Art mit Informationen in Berührung kommen, die eigentlich für Erwachsene gedacht sind, bei den Kindern jedoch Unverständnis hervorrufen. Weiters ist eine gewisse Vereinsamung vor dem Fernseher zu beobachten, da die Individuen vereinzelt vor dem Fernseher sitzen. Diese Vereinzelungsfunktion hat in Familien, in denen häufig Spannungen herrschen eine Entlastungsfunktion und hilft Konflikte zu vermeiden, die durch die mangelnde Kommunikation gar nicht erst entstehen können. Kinder machen durch den Fernseher die Erfahrung, dass die Welt beliebig an- und abstellbar ist, in Computerspielen ergibt sich eine Erwartungssicherheit mit der sie gewohnt sind 19 umgehen zu können. Die Kinder sammeln ihre Erfahrungen nicht mehr aktiv durch eigenes Handeln im täglichen Leben, sondern erleben den Alltag aus zweiter Hand, entworfen von einem Programmierer von Computerspielen oder dem Regisseur von Filmen. Die Erfahrungen im realen Leben zusammen mit Spielkameraden nehmen ab und werden durch vorprogrammierte erwartbare Situationen ausgetauscht. Dadurch erhalten die Kinder sowohl im sozialen als auch im emotionalen Verhalten zu wenig Förderung, wenn dieses nicht anderweitig gefördert wird. Generell ist es jedoch von Kind zu Kind anders, wie weit es von den neuen Medien beeinflusst wird, ob ein Verlust der Wirklichkeit auftritt oder andere Probleme durch zu häufigen Medienkonsum auftreten (vgl. Roggensack 2006, S.22- 39). 4.7 Kulturelle Einflüsse Auf dem Symposium des ADHD Congresses 2009 in Wien wurden die Forschungsergebnisse der Psychiaterin O. Omigbodun präsentiert. Omigbodun spricht davon, dass in einkommensschwachen Ländern das ADH- Syndrom nicht die am häufigsten diagnostizierte psychische Störung bei Kindern ist. Generell ist das Syndrom bei Eltern und Lehrern nicht bekannt und deshalb werden Kinder mit solchen Störungen meist nicht als „erkrankt“ wahrgenommen. Diese Überlegung führte zu einer Erhebung unter VolksschullehrerInnen in Städten und am Land, wobei herauskam, dass in Nigeria den Symptomen von ADHS nicht dieselbe Bedeutung beigemessen wird wie in westlichen Ländern. Die Kinder werden als lästig, trotzig, extrovertiert oder schlimm bezeichnet, aber diese Symptome werden nicht gleich als Zeichen einer psychischen Erkrankung gedeutet. Laut Omigbodun wird in den westlichen Ländern in den meisten Fällen nur nach den Symptomen gefragt. Wenn diese erfüllt sind, wird ein Kind schnell als ADHS Kind abgestempelt. Es sollte aber nach der sozialen Anpassung in Schule, Familie, Gesellschaft, also dem sozialen Umfeld gefragt werden. Denn wenn weder das Kind selber, noch sein soziales Umfeld das Kind als eine Störung der sozialen Gemeinschaft beschreiben, kann man dem Kind nicht einfach ein Krankheitsbild zuschreiben, nur weil Symptome vorhanden sind. Studien in Afrika, Indien und kleineren europäischen Volksgruppen haben ergeben, dass in diesen Ländern eine niedrigere Anzahl an tatsächlichen Erkrankungen vorliegt. Somit stellt sich die Frage, ob das Vorhandensein von Symptomen wirklich bedeutet, dass ein Kind ADHS hat? Laut Omigbodun gehört mehr dazu. Ob das hyperkinetische Syndrom als Krankheit und als Problem bewertet wird, hängt vom jeweiligen Verhalten und der Struktur einer Gesellschaft 20 ab. Denn es muss auch beachtet werden, ob die Symptome von ADHS in einer Gemeinschaft als Störung oder als Krankheit angesehen wird. Generell zeigt sich, dass je mehr Kinder in die Gemeinschaft eingebunden sind und in dieser Gemeinschaft ihre Position haben, und Aufgaben übernehmen müssen, desto weniger wird eine Krankheit diagnostiziert, auch wenn es Symptome dafür gibt. Diese Gesellschaftsaufteilung ist meist in agrarischen Gesellschaften noch der Fall. Werden die Kinder auf der anderen Seite mit einer eng strukturierten und reglementierten Gemeinschaft konfrontiert, wie dass in den meisten westlichen Gesellschaften der Fall ist, werden die Anzeichen für ADHS deutlicher. Denn so werden mehr psychische und physische Vorgaben und Erwartungen an die Kinder herangetragen, die die Kinder einengen und irritieren. (vgl. Albrecht zit. nach Omigbodun, Dimensionen, 2009) 4.8 Veränderte Bewegungsräume als Ursache Ein anderer Aspekt, der durch die viele Zeit, die die Kinder mit den neuen Medien verbringen auftritt ist, dass die Zeit, die mit freien Spielen, Bewegung oder herum tobend verbracht wurde, weniger wird. In den Städten nimmt der Raum, in dem Bewegung „erlaubt“ ist, immer einen begrenzten Platz ein. Den Kindern stehen zwar Unmengen an Spielzeug zur Verfügung, sie haben aber kaum noch die Möglichkeit sich ihre Umwelt durch eigene Erfahrungen zu erforschen (vgl. Zimmer 2000, S. 17). Bewegung wird in einen Stundenplan gepresst, in der Schule, und in der Freizeit, z. B. muss das Fußball- oder Hockeytraining meist extra mit AnAbreise geplant und in die Hausaufgabenfreie Zeit integriert werden. Oder die Kinder finden einfach nur begrenzte, vorgefertigte Bewegungsräumen vor, in denen sie ihren Spieltrieb nur bedingt austoben können. Die Spielplätze geben genaue Anweisung, wie an welchen Spielgeräten gespielt werden soll. Die Wohnbau und Stadtplanung berücksichtigt kein freies kreatives Spiel oder spontane, natürliche Bewegungserlebnisse. Somit werden auch hier den Kindern von Erwachsenen vorgedachte Verhaltens-, Handlungs- und Bewegungsmuster aufgedrängt, die kaum eigene Erfahrungen ermöglichen (vgl. Greiner 2002, S. 26f). Auch Passolt sieht in der Bewegungsumwelt der Kinder eine mögliche Ursache. Die Diskussion der veränderten Kindheit zeigt, dass die Kinder mit einer immer hektischeren Umwelt konfrontiert sind. Sind die Reaktionen die ein hyperkinetisches Kind zeigt somit nicht einfach eine „gesunde Reaktion auf eine krankmachende Lebenswelt“ (Passolt 1996, S. 11). Und somit „[ist] die Bewegungsunruhe des hyperkinetischen Kindes keine Krankheit, sondern kann eine Reaktion auf Interaktionsstörungen, der Versuch einer 21 Konfliktbewältigung durch gesteigerte Selbstwahrnehmung sein“ (Von Lüpke 1990, S. 68 zit. nach Passolt (Hrsg.) 1996, S. 11). Als Beispiel führt Passolt auch die Erfahrungen an, die ein Kind bei der Bewegungsentwicklung durchmacht. Der Säugling sucht innere Sicherheit und Balance im Kampf gegen die Schwerkraft. Er übt gewisse feine Bewegungsveränderungen, um sein Gleichgewicht zu testen und Stabilität herzustellen. Dieses Austesten und Wiederholen von anfangs feinen Bewegungen, führt zu einem Gewinn an Sicherheit und einem Vertrauen in das eigene Können. Auch Zimmer beschreibt das Austesten und immerwährende Wiederholen von Spielen die dem Finden des Gleichgewichts dienen (vgl. Zimmer 2000, S. 63). Erst wenn der Säugling sich in diesen Übergangsbewegungen sicher fühlt, spielt er mit diesen Positionen. Durch das Üben und wiederholen werden die Bewegungen geschmeidiger und fließender. „Das Beste, was wir dem Kind in solchen Situationen antun können, ist das Kind gewähren zu lassen, ihm Zeit zu geben“ (Passolt 1996, S. 16). Genau dieser Punkt ist es aber, der heutzutage nicht berücksichtigt wird. Den Kindern wird in den wenigsten Situationen die Zeit gegeben die sie für ihren eigenen Rhythmus benötigen würden. Die Säuglinge werden hingesetzt und an den Händen geführt damit sie gehen lernen. Sie sollen beim Essen, Stehen, Schlafen und der Sauberkeit mit unserem gewünschten Tagesablauf übereinstimmen. Somit werden sie möglichst schnell in den nach unseren Vorstellungen geprägten Alltag eingeführt. Durch eine möglichst schnelle Selbstständigkeit des Kindes lässt sich das Kind leichter sozial integrieren. „Fördern wir damit nicht die möglichst schnelle Abwicklung der Phase Kindheit, weil wir in dieser Zeit besonders gefordert, allzuoft überfordert sind.“ (Haug-Schnabel 1994, S. 98 zit. nach Passolt (Hrsg.) 1996, S. 17) Diese Überforderung lässt sich vermeiden wenn man die Säuglinge und Kinder beobachtet wie sie sich ihre Bewegungen voll Freude selber aneignen. Die Kinder sollen nicht bedrängt werden, sondern die Möglichkeit haben, aktiv ihren eigenen Rhythmus zu finden. Aus dem eigenen Antrieb heraus und in sicherer Umgebung können die Kinder so auch Selbstvertrauen entwickeln (vgl. Passolt (Hrsg.) 1996, S. 11- 18). 5. Therapien Das folgende Kapitel zeigt mögliche Therapieformen auf. Als erstes soll auf die medikamentöse Therapie eingegangen werden, da sie zu den häufigsten Therapieformen zählt. Dann folgt ein kurzer Einblick in die Verhaltenstherapie. Danach kommt der Schwerpunkt mototherapeutisches Arbeiten, dieses Kapitel enthält auch Vorschläge für die 22 Praxis. Die praktischen Übungen können beispielsweise bei der Bewegungserziehung im Kindergarten verwendet werden. Auch Gesundheits- und PflegewissenschafterInnen könnten die praktischen Bewegungsvorschläge der Mototherapie als Teil einer präventiven Gesundheitserziehung im Kindergarten einbauen. In diesem Sinne kann der Kindergarten als Setting für ein neues Berufsfeld gesehen werden. Denn gerade das Kindergartenalter ist sehr prägend, wenn es darum geht Gesundheitsförderung nachhaltig zu betreiben. Nach dem Kapitel „das Setting Kindergarten“ folgt noch ein kurzer Einblick in „die kindliche Bewegungsentwicklung“, um dann mit dem Schwerpunkt Mototherapeutische Therapien abzuschließen. 5.1 Medikamentöse Therapie Methylphenidat ist ein Wirkstoff der Amphetaminderivate und wird wegen seiner sympatomimetischen (Verstärkung des Sympathikus) Wirkung als anregend für das Zentralnervensystem beschrieben. Methylphenidat ist unter dem Handelsnamen Ritalin, Medikinet und Concerta erhältlich. 1944 wurde Methylphenidat als Psychostimulanzium in den Markt eingeführt. Im Jahre 1964 wurde erstmals der therapeutische Effekt auf hyperkinetische Kinder ab 6 Jahren beschrieben. Inzwischen wird Ritalin bei ADHS als „Mittel erster Wahl eingesetzt. Die Verbrauchsentwicklung stieg von 1993 bis 2001 auf das Zwanzigfache und ist von 34 kg auf 639 kg angestiegen. Der Verbrauch hat sich in den Jahren 2000 und 2001 jeweils verdoppelt“ (Deutsches Ärzteblatt 2002, zit. nach Roggensack 2006, S. 115). Methylphenidat ist von seiner Wirkung ein Stimulanzium. Von der WHO wurde die Gruppe der Stimulanzien nicht in die Liste der notwendigen Psychopharmaka aufgenommen, mit der Begründung, dass die Wirkstoffe sich langfristig nicht positiv auf die Gesundung auswirken würden. Psychostimulanzien steigern Aktivität, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, rufen leichte Euphorie hervor und steigern das Selbstvertrauen (vgl. Roggensack 2006, S. 117). Bei Kindern mit ADHS herrscht im Zentralnervensystem ein herabgesetztes Erregungsniveau obwohl man aufgrund der meisten Symptome auf eine gesteigerte Erregungsleitung tippen würde. Dieses Paradoxon erklärt, warum ein Stimulantium bei hyperkinetischen Kindern als Beruhigungsmittel verwendet wird (vgl. Greiner 2002, S.38). Der Evidenzgrad bei 6- 10 jährigen liegt bei 70- 90%, vorausgesetzt wird eine richtige Diagnose. Bei Kindern unter 5 Jahren liegen die Prozentzahlen jedoch unter 50%. Ab dem 23 13./14. Lebensjahr nimmt die Zahl der Verordnungen von Methylphenidat wieder ab. Durch die Gabe von Ritalin soll ein ausgeglicheneres Verhalten erzielt werden, das aggressive Verhalten nimmt ab und es kommt zu einer Steigerung der Konzentration. Durch diese positiven Veränderungen verbessert es die Mutter- Kind- und die Lehrer- SchülerInteraktion. Die Wirkung von Ritalin hält jedoch nur während der Dauer der Einnahme. Beobachtbar wird die Wirkung ca. 20 Minuten nach Einnahme und ist dann etwa 3- 4 Stunden bemerkbar. Als Nebenwirkungen werden von der Herstellerfirma Novartis Schlaflosigkeit, Inappetenz, Magenbeschwerden, Übererregbarkeit, Müdigkeit, Traurigkeit, Ängstlichkeit und Weinerlichkeit angeführt. Als Kontrainduziert werden Depressionen, Schizophrenie, Magersucht und Probleme mit Suchtmittelmissbrauch angegeben (vgl. Roggensack 2006, S. 119f). Auf dem ADHD Symposium wurde die Meinung vertreten, dass die medikamentöse Therapie die Kinder nicht einfach nur ruhig stellt, sondern einen Zugang zu anderen Therapien überhaupt erst ermöglicht. Denn die Wirkung von Methylphenidat beschränkt sich auf den Zeitraum der Einnahme und stellt somit keine dauerhafte Verhaltensänderung dar. Die Gefahr der Entwicklung von Abhängigkeiten schätzten die Teilnehmer des Symposiums als gering ein. Auch Döpfner findet keinen Hinweis auf eine körperliche Abhängigkeit und weist darauf hin, dass somit das Risiko für späteren Medikamentenmissbrauch und Drogenkonsum gesenkt wird (vgl. Döpfner u. a. 2002, S. 30, zit. nach Roggensack 2006, S. 121). Durch die Medikamenteneinnahme besteht aber die Gefahr, dass die Kinder an einen einfachen Problemlösungsmechanismus glauben. Das Vertrauen, eigenständig ihr Verhalten beeinflussen zu können oder selbstständig Problemlösungsstrategien zu finden, geht verloren. Die Kinder sehen die Medikamente als Krücke und können auf diese Art psychisch abhängig werden (vgl. Greiner 2002, S. 41). Interessant erscheint auch die Betrachtung der engen Verknüpfung von Wissenschaft und Pharmaindustrie. In einer Pressemitteilung des UNO- Informationsdienstes wird vor der aggressiven Werbung einiger pharmazeutischer Firmen gewarnt, sie würde das Verschreibungsverhalten der Ärzte stark beeinflussen ebenso das Konsumverhalten der Konsumenten. In der Tat hat die Firma CIBA in den 50er Jahren mit der Produktinformation einen Gutschein für eine Packung Ritalin versandt, um die Ärzte im Selbstversuch von der guten Verträglichkeit von Ritalin zu überzeugen (vgl. Roggensack 2006, S. 114). Auf der anderen Seite finanziert Novartis heute in den USA eine Elternselbsthilfeorganisation (Children and Adults with ADHD). Welche Auswirkungen diese Werbemaßnahmen haben 24 kann man auch in Deutschland feststellen, wo eine Untersuchung gezeigt hat, dass die Eltern bewusst jene Ärzte aufzusuchen scheinen, die vermehrt Methylphenidat verschreiben. Dies führt auch dazu, dass Kinder unter 6 Jahren Methylphenidat verordnet bekommen, was jedoch nicht zugelassen ist (ebenda. S. 221f). Unter diesem Aspekt erscheint auch die Befürwortung einer medikamentösen Therapie der Teilnehmer am ADHD- Congress im Mai 2009 in Wien in einem anderen Licht, da sich am Ende des Programmheftes eine Werbung für Medikinet befindet. Bedenklich erscheint auch, dass der Hauptsponsor des Kongresses eine Pharmazeutische Firma ist, die ein Methylphenidatprodukt namens Concerta vertreibt (vgl. http//:www.adhd-congress.org, Zugriff am 16. 09. 2009 um 11. 00 Uhr). 5.2 Verhaltenstherapeutisches Arbeiten Bei dieser therapeutischen Arbeit geht es darum, Strategie- und Selbstinduktinstraining zu lernen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass bei dem Kind ein Defizit vorliegt, welches korrigiert werden muss. Die beim ADHS Kind vorliegenden Defizite betreffen einen Mangel an adäquater Wahrnehmung, effektivem Arbeitsstil und impulsivem Verhalten. Die Kinder sollen die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen. Störende Variablen sollen durch Selbstinstruktion verändert werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Kinder lernen gewohnheitsmäßige Verhaltensmuster zu unterbrechen und neue Wege zu beschreiten. Durch verbale Selbstkontrolle und Modellernen soll das unerwünschte Verhalten beseitigt und durch gezielte Interventionen beeinflusst werden. Dabei spielt eine Verstärkung des erwünschten Verhaltens eine wichtige Rolle. Beim Training des Sozialverhaltens werden Rollen- und Gruppenspiele gemacht und die Selbstakzeptanz geübt. In der Verhaltenstherapie geht es darum, dass die Fähigkeit zur Eigensteuerung gestärkt wird. Jedoch zeigte sich in Studien das dass in den Trainingseinheiten erlernte Verhalten nicht unbedingt von den Kindern in Alltagssituationen übertragen wird. Als Kritik an den Verhaltenstherapeutischen Therapien wird geäußert, dass bei Kindern mit ADHS immer von einem Defizit ausgegangen wird (vgl. Roggensack 2006, S. 105f). 5.3 Mototherapeutische Therapien Die Bewegungsmöglichkeiten der heutigen Kinder nehmen immer mehr ab. Das führt dazu dass bei vielen Kindern kompensatorischer Handlungsbedarf besteht. Dazu müssen schon im Vorschulalter Bewegungs- und Erfahrungsräume neu erlernt oder wiederholt werden um den 25 Kindern sensomotorische Erlebnisse zu ermöglichen. Die Kinder sollten ihren natürlichen Bewegungsdrang möglichst frei ausleben zu können. Gerade für hyperkinetische Kinder ist es wichtig, sich einfach einmal ausleben zu können, ungeachtet der vielen Verbote denen sie sonst ausgesetzt sind. Sie versuchen durch die Bewegungen wie Drehen, Wippen und Schaukeln nur „ihrem unzureichend funktionierenden und reagierenden vestibulären System entsprechend starke Reize zuzuführen“ (Kiphard 1988, S. 5 zit. nach Passolt (Hrsg.) 1996, S. 143). Durch die ständigen Maßregelungen kommt es zu Schuld und Minderwertigkeitsgefühlen, wenn die Kinder aber nun selber entscheiden können und Einfluss auf die Gestaltung der Bewegungsmöglichkeiten haben, können sie lernen ihre Bewegungen zu kontrollieren. Dadurch stärkt sich auch das Selbstbewusstsein, denn die bessere Selbstbeherrschung führt auch zu einer besseren Bewegungsqualität. Auch Renate Zimmer beschreibt die Umwelt von Kindern als Bewegungswelt und Kindheit als bewegte Zeit. In keinem anderen Lebensabschnitt spielt Bewegung eine so große Rolle wie in der Kindheit. Prägend ist hier vor allem das Alter zwischen 2 und 6 Jahren. „Das Kind entdeckt sich und die Welt durch Bewegung, es eignet sich seine Umwelt über seinen Körper und seine Sinne an“ (Zimmer 2000, S. 12). Aus diesem Grund ist es wichtig, die Bewegungserziehung im Kindergarten nicht als frühzeitige Vorbereitung auf sportliche Aktivitäten zu sehen. Vielmehr sollte sie der Gesamtentwicklung des Kindes dienen und Bestandteil einer frühkindlichen Erziehung neben den geistigen und kreativen Kräften gefördert werden (vgl. Zimmer 2000, S.147). 6. Das Setting Kindergarten Die meisten Kinder sind ab dem dritten Lebensjahr in der Entwicklung weit genug vorangeschritten, um mehrere Stunden außerhalb des Familienverbandes in einer Gruppe mit Gleichaltrigen zu verbringen. Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, Der beim Kindergarten selbstständig sollte werden vielfältige helfen, und die Kommunikationsfähigkeit verstärken. Die Kinder sollen lernen sich in die Gemeinschaft einzuordnen, auf andere Rücksicht zu nehmen und ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten. Für Kindergartenkinder im Alter von drei bis vier Jahren ist das freie Spiel mit seinen vielfachen Lernmöglichkeiten ideal. Es steigert die selbstständigen Problemlösungskapazitäten, verstärkt funktionales Üben und aktives exploratives Verhalten. Bei Einzel- und Gruppenaktivitäten werden im Kindergarten Sprachförderung, rhythmische, 26 musikalische und bewegungs- Erziehung angeboten. Die KindergartenpädagogInnen haben die Aufgabe, den Erfahrungskreis der Kinder zu vergrößern und für eine spannungsfreie Atmosphäre zu sorgen (vgl. Schenk- Danzinger 1994, S. 269). Im Alter von fünf bis sechs Jahren nimmt die Vorschulerziehung einen größeren Stellenwert ein. Neben dem freien Spiel sollten gezielte und planmäßig organisierte Lernangebote durchgeführt werden. Ab diesem Zeitpunkt werden hyperkinetische Kinder im Kindergarten meist als Problemkinder erkannt. Die Symptome, wie hohe Ablenkbarkeit, Reizhunger und ein hin und her Springen der Aufmerksamkeit, machen sich im freien Spiel noch nicht so stark bemerkbar. Erst wenn das Kind gefordert wird an straffer organisierten Aktivitäten teilzunehmen und sich in eine Gruppe einzufügen, werden diese Eigenschaften als wirklich störend empfunden. Auch Steinhausen beschreibt, dass die Verhaltensauffälligkeiten wesentlich stärker in Beschäftigungs- und Leistungssituationen auftreten und meist nicht im freien Spiel (vgl. Steinhausen 1995, S. 183). Zusätzlich zu den planmäßigen Lernangeboten soll auch die Entwicklung der Selbstständigkeit, Entscheidungsfreiheit, Hilfsbereitschaft und die Gruppenfähigkeit gefördert werden. Wichtig ist dass die Kinder die Möglichkeit haben unter mehreren Angeboten auszuwählen und auch Angebotenes ablehnen können. Auf diese Weise sollen die Kinder spielerisch eine Arbeitshaltung und Motivation zur Bewältigung von Aufgaben entwickeln (Schenk- Danzinger 1994, S. 272). Da die Bewegungserziehung im Kindergarten ihren Platz im “Stundenplan“ einnimmt, kann hier gut mit Mototherapie gearbeitet werden. Die Entwicklung motorischer Fähigkeiten wird bei allen Kindern gefördert und bei ADHS kann durch mototherapeutische Übungen eine wesentliche Verbesserung des Verhaltens erzielt werden. Wie hilfreich die Motopädagogik bei hyperkinetischen Kindern angewandt werden kann beschreibt Kiphard. Er „geht davon aus, dass stark strukturierte Außenreize, die vorwiegend über die taktil- kinästhetischen Analysatoren aufgenommen werden, eine ähnliche Wirkung wie Psychostimulanzien erzielen. Der primitiv grob- motorische Überschwang von Hyperaktivität ist demnach als durchaus sinnvolle Eigenstimulation anzusehen“ (Kiphard zit. nach Greiner 2002, S. 43). Die Mototherapeutischen Übungen machen allen Kindern Spaß und lassen sich recht einfach in die Bewegungserziehung im Kindergarten einbauen. Generell kann bereits im Kindergarten eine gezielte Gesundheitserziehung beginnen. Angefangen bei gesunder Ernährung, Aufenthalte an frische Luft bis hin zu einem kindgemäßen Bewegungsangebot, auf diese Weise können Kinder an eine gesunde Lebensweise herangeführt werden (vgl. Zimmer 2000, S. 50). 27 7. Kindliche Bewegungsentwicklung Die Bewegungsentwicklung beginnt bereits im Mutterleib. Der Säugling fängt mit ungesteuerten, ruckartigen Zappelbewegungen an sich zu bewegen. Anfangs sind die Bewegungen auf Finger und Hände beschränkt, später erweitern sie sich auf den ganzen Körper. Die Bewegungen werden präziser, welches auf die neuromuskuläre Reifung zurückzuführen ist. Die Kinder erproben spielerisch, was mit ihrem Körper alles möglich ist, dieses explorative Verhalten erfolgt im Zusammenwirken mit den Sinnesorganen. So kann man etwa ab dem vierten Lebensmonat beobachten, wie Kinder die Finger in Augenhöhe heben und diese Bewegung mit den Augen verfolgen. Dies sind die Ansätze der sensomotorischen Koordination. Durch das Üben der Bewegungen entwickelt sich das Greifen. Weiters machen Kinder ihre Erfahrungen mit Größe, Form, Geräuschen, Farben und Schwere von Objekten, die zu ersten sensomotorischen Intelligenzleistungen führen. In den ersten beiden Lebensjahren erlernen Kinder die Grundbewegungen, die mit dem Beherrschen von Gehen und Laufen abgeschlossen werden. Durch Wiederholungen perfektionieren sie die Bewegungsabläufe, und gewinnen immer mehr an Sicherheit. Die Kinder führen diese Bewegungen aus Freude an der Bewegung durch und entdecken dabei auch elementare Raumbeziehungen, die sie benötigen, um sich in ihrem Nahraum zurechtzufinden. Diese Bewegungsspiele haben einen funktionalen Charakter und sind bis zum achten Lebensjahr frei von Leistungsstreben und Aufgabenstellung. Außerdem fördern Bewegung und Spiele die kognitive, motorische und emotionale Entwicklung der Kinder. So sind die Kinder in der Lage, die Erfahrungen die sie in ihrer Umwelt sammeln, zu bewältigen (vgl. SchenkDanzinger 1994, S. 194- 206). Welch wichtige Funktion Spiele bei der kindlichen Entwicklung einnehmen, betont auch Zimmer. Sie betont dass ein Kind beim Spielen lernt. „Es spielt jedoch nie, um zu lernen, sondern weil es Freude an seiner Tätigkeit hat.“ (Zimmer 2000, S. 85). Vom dritten bis siebenten Lebensjahr bewältigt das Gehirn des Kindes jede Menge Wahrnehmungserfahrungen, die es aufzunehmen und zu gliedern gilt. Diese neuen Eindrücke erfordern Anpassungsreaktionen der Kinder. Die Anpassung führt dazu, dass die Kinder sich leichter an neue Erfahrungen herantrauen, diese leichter aufnehmen, und abschließend verarbeiten können. Mit dem achten Lebensjahr ist die sensomotorische Sinnesentwicklung abgeschlossen. Die Kinder sind nun in der Lage Handlungsabläufe zu planen und können sich im Gleichgewicht halten (vgl. Brandstätter 2004, S. 23). Auch Zimmer betont wie wichtig die Bewegungsentwicklung bereits in den ersten Lebensjahren ist, da sie die Gesamtentwicklung in entscheidendem Ausmaß fördert (vgl. Zimmer 2000, S. 109). 28 8. Praktische Bewegungsmöglichkeiten in der Mototherapie Die Körper- und Bewegungserfahrungen der Mototherapie fördert beim Kind die Autonomie, Selbstakzeptanz und das bewusste Erleben. Aus Sicht der Psychomotorik entwickelt sich die Identität durch die Stabilisierung der Persönlichkeit. Durch den Ausgleich und die Bewältigung motorischer Schwächen und Störungen sollen die Selbstheilungskräfte angeregt werden. Das unterscheidet die Mototherapie auch von anderen Therapien beispielsweise der Verhaltenstherapie, bei der mit Fremdsteuerung gearbeitet. Das Kind lernt als handelndes Subjekt Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu entscheiden. Durch die eigene Handlungsbasis erkennt das Kind die Fähigkeit zur Selbstregulation (vgl. Zimmer 1996, S. 35f in: Passolt (Hrsg.) 1996). Nun folgt der Schwerpunkt dieser Arbeit, es werden verschiedene mototherapeutische Bewegungsarten mit praktischen Anwendungsbeispielen angeführt. 8.1 Die Bewegungsbaustelle Die Bewegungsbaustelle greift die Grundidee vom Bauen und Bewegen auf. Durch die großräumigen Möglichkeiten werden die Kinder in ihren schöpferischen Handlungen angeregt. Dazu werden Alltagsmaterialien wie Bretter, Tücher, LKW- Schläuche und Kisten mit Schaukel und Hängemöglichkeiten kombiniert. Die Kinder können frei kombinieren und bauen, somit können behutsame oder überschießende Bewegungen mit gezieltem Krafteinsatz abgebaut werden. Zusätzlich findet zwischen den Kindern sozialer Kontakt statt, da sie beim Bauen in Interaktion treten müssen. Die pädagogische Hilfestellung der Erwachsenen beschränkt sich auf eine Strukturierung der Bedürfnisse oder Hilfe bei der Materialauswahl. Die Bewegungsbaustelle leistet eher einen abwechslungsreichen Beitrag zum bewegungsarmen Alltag vieler Kinder und versteht sich nicht als therapeutische Förderung (vgl. Groschyk 1996, S.143- 151 in: Passolt (Hrsg.) 1996). 8.2 Die Bewegungslandschaft In einer Turnhalle wird aus Sprossenwänden, Kästen Turnbänken, Matten etc. eine Bewegungslandschaft aufgebaut. Gewisser Maßen handelt es sich hierbei um eine Laborsituation, der Hintergedanke ist jedoch ähnlich wie bei der Bewegungsbaustelle, den 29 Kindern eine Bewegungserfahrung zu ermöglichen, die sich in ihrem Wohnumfeld nicht umsetzen lässt. Außerdem bietet eine Turnhalle auch Schutz, ist gut überschaubar, ruhig und nicht von Außenreizen gestört. Es ist wichtig, die Bewegungslandschaft, gerade für kleinere Kinder, durch Geschichten und Phantasiereisen interessant zu machen. Zuallererst sollte den Kindern aber die Möglichkeit geboten werden, die Bewegungslandschaft im freien Spiel kennen zu lernen und sich so mit ihr vertraut zu machen um die Unfallgefahr zu senken. Dazu folgendes Beispiel aus der Praxis: „Kolumbus“ Kolumbus und seine Männer fahren mit ihrem Boot (Trampolin) um die Welt, plötzlich erreichen sie Land. Diese Insel ist unbekannt und birgt mit ihren Bergen und tiefen Sümpfen (grüner Hallenboden) viele Gefahren. Die Mannschaft rückt aus um das Land zu erkunden. Es muss darauf geachtet werden, nicht im Sumpf zu versinken, falls doch jemand in den Sumpf tritt, muss er warten, dass ihm jemand wieder hinaus hilft. Die Insel ist riesig und es braucht viel Mut um sie zu erforschen, deshalb bekommt jeder einen Partner, der Führende wird dabei unmittelbar verfolgt und seine Bewegungen imitiert damit ja kein Fehltritt geschieht. Dann wird es Nacht, die Mannschaft muss den Weg zurück zum Boot finden. Es ist jedoch so dunkel, dass sie nur dem Geräusch der Schiffssirene folgen können. Am nächsten Tag wird die Mannschaft von einer Gruppe Ureinwohner angegriffen. Diese versuchen die Eindringlinge festzusetzen. Wer von einem Ureinwohner erwischt wurde, ist sofort versteinert und kann nur durch ein anderes Mitglied aus der Mannschaft befreit werden. Wieder zu Hause in Spanien erzählen alle von ihren Erlebnissen, jeder beschreibt und malt seine Abenteuer auf. Anschließend wird gemeinsam eine Landkarte angefertigt. Die Spiele lassen sich beliebig ausweiten und verändern. Generell werden viele Sinne angesprochen und die Kinder in den unterschiedlichsten Bereichen gefordert. Die Kinder müssen zusammenarbeiten, eigene Bedürfnisse müssen kurzzeitig unterdrückt und angepasst, die Aufmerksamkeit auf den Partner gelenkt werden. Es muss anderen Sinnen vertraut werden, die Raumwahrnehmung, Gedächtnis, Verbalisierung und Konzentration wird gefestigt (vgl. Göbel u. a. 1996, S.153- 165 in: Passolt (Hrsg.) 1996). 8.3 Schwimmen als mototherapeutische Therapie Das Element Wasser bietet gute Erfahrungsmöglichkeiten für Kinder mit ADHS. Der Wasserwiderstand wirkt ermüdend, der Körper mit seinen Grenzen wird gezielter wahrgenommen, Hautreize bewusster gespürt. Dies führt zu einer positiveren 30 Körperwahrnehmung der Kinder. Da sich der Wasserwiderstand bei Bewegung ändert, verbessert sich auch die Tiefensensibilität, das vorbeiströmende Wasser führt zu einer muskulären Entspannung. Durch die Bewegungen im Wasser werden „viscerale Reize angesprochen, was zu einer verbesserten sensorischen Integration führt“ (Cherek 1996, S. 169 in: Passolt (Hrsg.) 1996). Diese Basalstimulation ist zuständig für eine Strukturierung des ZNS und kann somit zu einer Senkung der Übererregbarkeit führen. „Diese Tatsache ist um so einsichtiger wenn man bedenkt, dass der Mensch im Mutterleib seine Entwicklung im Fruchtwasser schwimmend erlebt und dabei sukzessiv anfangs über sich selbst (körpernahe Reize) und später auch über die Umwelt (körperferne Reize) Informationen sammelt und über diese Reize seine sensomotorisch- neurologische Organisation im ZNS aufbaut“ (ebenda). Wichtig ist es, die Übungen für hyperkinetische Kinder in warmem Wasser durchzuführen, da es so auch zu Entspannungsphasen kommen kann. In kaltem Wasser müssten die Kinder sich ständig bewegen um sich warm zu halten, was bei hyperkinetischen Kindern kontraproduktiv wäre. Die Kinder werden von speziellen Oberarmauftriebshilfen unterstützt, diese können mit zunehmendem Schwimmvermögen reduziert werden. Gerade in den Anfängergruppen ist es wichtig, zu Beginn Regeln aufzustellen um den Kindern Sicherheit zu bieten und die Unfallgefahr zu senken. Begonnen wird mit freier Bewegung damit die Kinder sich schon mal austoben können und somit anschließend bereits aufmerksamer sind. Die Kinder lernen mit der Tiefwassersituation umzugehen und trainieren ihren Gleichgewichtssinn. Beim Erlernen der Schwimmbewegungen sollen die Kinder die Bewegungen gemeinsam mit dem Lehrer mitsprechen. Dabei soll der Wortrhythmus dem Bewegungsrhythmus entsprechen. Für den Armzug wäre dies Beispielsweise: „Schö- ne gro- ße Krei- se“ Durch das Mitsprechen machen die Kinder im Grunde genommen eine kognitive Selbstanweisung. Dieses innere Sprechen ist ein gutes Mittel zur Selbstkontrolle gerade bei hyperkinetischen Kindern. Die Kinder lernen im Wasser ihre Bewegungen zu kontrollieren und ihren Körper besser zu beherrschen. Vor dem losschwimmen müssen sich die Kinder kurz sammeln, inne halten, und konzentrieren das ist gut gegen die Impulsivität und verstärkt auch die Körperkontrolle. Schwimmunterricht kann nicht nur als Therapie verstanden werden, sondern ist natürlich auch eine Fertigkeit, die Kinder stolz zu erlernen sind. Die zu bewältigenden Lernschritte und deren erfolgreiche Absolvierung bringt Anerkennung und Erfolg, wodurch gerade hyperkinetische Kinder Selbstbewusstsein aufbauen können. Ein Beispiel für die positive Wirkung des Schwimmens auf Kinder mit ADHS ist der amerikanische Schwimmer Michael Phelps. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gewann Phelps 8 Goldmedaillen. In der 31 Dankesrede nach seinem Sieg bedankte sich Michael Phelps bei seiner Mutter, dass sie trotz der Diagnose ADHS immer an ihn geglaubt hatte. Phelps hatte nach der Diagnose ADHS im Alter von 7 Jahren mit dem Schwimmen begonnen um überschüssige Energien loszuwerden (vgl. http://www.wikipedia.org/wiki/Michael_Phelps (05. 10. 2009)). 8.4 Klettern als mototherapeutische Therapie Klettern ist eine Bewegung, die sich in der frühesten Kindheit entwickelt. Der Säugling der sich selber an Haltepunkten aus dem Stand aufrichtet, beginnt seine Umwelt zu erkunden. Weil der Säugling anfangs ständig gegen die Schwerkraft kämpft, befindet er sich im Ungleichgewicht. Dies versucht er auszugleichen um Stabilität und Sicherheit zu gewinnen. Kinder klettern somit aus eigenem Antrieb heraus. Treppenstufen, Einrichtungsgegenstände, Spielgeräte werden von den Kindern erklettert, um den Gleichgewichtssinn zu fördern und neue Perspektiven zu erlangen. So lernen sie mit ihrer Kraft besser umzugehen, Arm- und Beinbewegungen können besser koordiniert werden und auch die Lauf – und Gehbewegungen des Kindes werden gefördert. Auch die Basissinne (Gleichgewichtssinn, Taktiles System, Tiefenwahrnehmung) werden gefördert. Durch die Bewegung mit allen vier Extremitäten werden die Bewegungsempfindungen besonders gut wahrgenommen. Die visuelle Wahrnehmung wird geschärft und stellt die Beziehung des Körpers im Raum her, was auch der Orientierung dient. Das Klettern dient jedoch nicht nur dem Halte- und Bewegungsapparat, sondern fördert auch die kognitive Entwicklung durch das Finden und Lösen von Bewegungsaufgaben (vgl. Brandstätter 2004, S. 67). Beim Sportklettern, bzw. wenn Klettern als mototherapeutische Bewegungsübung eingesetzt wird, bleibt der Trainer oder Therapeut im Hintergrund, sichert und bietet Hilfestellung. Die Route wird vom Kind selber gewählt und somit führt sich das Kind selbstständig zum Ziel. Die erfolgreiche Absolvierung einer Strecke führt somit zu einer direkt positiven Rückmeldung. Bei nicht erfolgreicher Absolvierung kann das Kind einen neuen Lösungsweg suchen und auf diesem Weg zum Erfolg gelangen. Beim Wiederholen werden Fähigkeiten und Fertigkeiten geübt und gefestigt. Für Kinder mit ADHS eignet sich Klettern sehr gut, weil es typische Merkmale und Verhaltensweisen reguliert. Beispielsweise sind beim Klettern die Reize, denen die Kinder ausgesetzt sind, sehr reduziert. Das kommt dem Problem, das hyperkinetische Kinder mit der Reizfilterung haben, sehr entgegen. Da hyperkinetische Kinder oft nicht zielgerichtet sind, wird die Aufmerksamkeit beim Klettern auf das Ziel, bzw. 32 immer auf den nächsten Schritt/Handgriff gerichtet. Die Kinder lernen ihre Körperkräfte passend einzusetzen, da sie erkennen, dass Schnelligkeit nicht oder selten zum Erfolg führt. Die Körperwahrnehmung wird gesteigert und der hohe Anforderungscharakter verstärkt die intrinsische Motivation. Durch das selbstständige Erreichen des Ziels steigt die Selbstsicherheit und Zufriedenheit. (vgl. Brandstätter 2004, S. 66- 74) Wichtig ist es Absprachen und Regeln aufzustellen und die Sicherheitsaspekte des Kletterns zu beachten und immer wieder zu überprüfen. Beispielsweise muss immer darauf geachtet werden, dass die Kinder einen passenden (Komplett-) Gurt verwenden, mittels Seil gesichert, und die Karabiner überprüft sind. Auch die Einhaltung gewisser Regeln muss befolgt werden, da es sonst zu gefährlichen Situationen kommen kann. So sollen sich alle Kinder, die sich an der Wand befinden in Sichtweite des Therapeuten aufhalten. Niemals dürfen zwei Kinder übereinander klettern oder Finger beim Klettern in Sicherungspunkte (Laschen, Haken…) gesteckt werden. (vgl. Brandstätter 2004, S. 77) Da sich Klettern auch für sehr kleine Kinder eignet, kann man bereits im Alter von 4 Jahren mit spielerischen Übungen beginnen. Begonnen wird jede Übungseinheit mit dem Aufwärmen. Dazu eignen sich einfache Lauf und Fangspiele oder es wird mit Materialien wie Matten, Luftballons, Zeitungspapier oder Sandsäcken aufgewärmt, zwischen denen gelaufen, gehüpft wird oder die geworfen werden. Geklettert wird, wie schon eingangs erwähnt, von Kindern in vielen Situationen, auch das Klettern im Hindernisparcours oder in der auch schon erwähnten Bewegungslandschaft (vgl. Kap. 7.2, S. 27) zählt natürlich dazu. Im Folgenden wird auf Übungen an der Kletterwand eingegangen. Alternativ dazu kann in der Turnhalle an der Sprossenwand oder mit verschiedenen Geräten geklettert werden. Diese Übungen können in der Praxis, z. B. in Bewegungseinheiten im Kindergarten angewandt werden. Die folgenden Übungen dienen der Gleichgewichtsschulung, Bewegungsvorplanung und es werden die laterale Beugung und Drehung gefördert. Zusätzlich wird die Augen- HandKoordination verbessert, die Rechts/Links- sowie die visuelle Wahrnehmung gefördert. Die Straße: An der Kletterwand werden zwei Linien mit Klebeband aufgeklebt, im Abstand von etwa 1,50m. Die Kinder bekommen nun die Aufgabe durch die Straße zu klettern, der Straßenrand darf dabei jedoch nicht übertreten werden oder darüber hinaus gegriffen werden. 33 Das Versteck: Kreidekreise werden an die Wand gemalt, oder Reifen befestigt, in diese Kreise müssen die Kinder nun hineinklettern, es darf kein Körperteil über den Rand des Versteckes hinausragen. Bergwanderung: Die Berge werden durch vor der Kletterwand aufgestellte Schachteln, simuliert. Oder es werden an der Kletterwand durch Seile Berge aufgezeichnet. Die Kinder sollen nun über die Berge (Schachteln) drüber klettern oder die Berggipfel (Seile) erklimmen, die Aussicht genießen, ins Tal zurückkehren und anschließend den nächsten Gipfel erklettern. Die Kreuzung: Zwei Kinder befinden sich auf der Kletterwand und klettern aufeinander zu. An der Stelle, an der sie sich treffen, müssen sie ausweichen und aneinander vorbei klettern. Indianer auf bunten Schuhen: Die Kletterschuhe erhalten farbige Markierungen, z. B. rechter Schuh blaues Klebeband, linker Schuh rotes Klebeband. Auch die Tritte sind passend farblich markiert. Jetzt darf nur der farblich passende Schuh auf den farblich passenden Tritt gesetzt werden. (vgl. Brandstätter 2004, S. 87-91) Die Übungen können beispielsweise auch mit verbundenen Augen durchgeführt werden, um das taktile System durch Spüren und Tasten anzuregen. Oder es können Gegenstände weitergereicht werden für eine bessere Koordination und zur Verbindung der beiden Gehirnhälften. Diese Spiele sind als Anregungen zu verstehen, es gibt noch unzählige weitere Übungen für Kinder, um sie spielerisch an das Klettern heranzuführen. Im Kindergarten bietet es sich an, die Übungen in den Turnsaal zu verlegen und die Spiele abgewandelt an der Sprossenwand durchzuführen. Da Klettern dem natürlichen Bewegungsmuster kleiner Kinder entspricht, kommt es als Alternative in den Bewegungseinheiten im Kindergarten durchaus in Frage, diese Übungen auch schon mit kleinen Kindern ab vier Jahren durchzuführen. 34 8.5 Eltern- Kind Bewegungspiele Da bei hyperkinetischen Kindern und ihren Eltern häufig eine gestörte Beziehung vorliegt sollte auch in diesem Bereich interveniert werden. Steinhausen beschreibt ein Elterntraining, dass als ein Bestandteil in der multimodalen Behandlung eingebaut sein sollte. Dieses Elterntraining baut auf einer Verhaltenstherapeutischen Sichtweise auf, da ADHS seiner Meinung nach auf einer gestörten Verhaltensregulation beruhen (vgl. Steinhausen 1995, S. 181- 183). Dieses Elterntraining ist jedoch sehr aufwendig und bedarf einer genauen Einschulung und fachlicher Unterstützung. Ein einfaches Mittel um auch im Kindergarten allgemein die Eltern- Kind Beziehung zu verbessern bieten auch gemeinsame Bewegungsspiele an. Diese können beispielsweise die Eingewöhnungszeit in den Kindergarten erleichtern. Oder es werden gemeinsame Spielenachmittage für Eltern und Kinder angeboten (vgl. Zimmer 2000, S. 117). Außerdem bietet die gemeinsame Bewegung von Eltern und Kindern die Gelegenheit zu neuen Erfahrungen, da die Eltern bzw. Kinder in einem veränderten Kontext wahrgenommen werden. Das Spiel- und Bewegungsbedürfnis der Kinder steht zwar im Vordergrund, jedoch sollen die Eltern zur aktiven Teilnahme angeregt werden. Bestmöglich entdecken Eltern durch interessante Spielarrangements sogar ihren eigenen Spieltrieb wieder. Wichtig bei den Bewegungsspielen ist die entsprechende Altersgruppe der Kinder zu beachten. Und natürlich wird kein Elternteil im Umgang mit dem eigenen Kind gerne belehrt, deshalb kann auch die Vorbildwirkung anderer Eltern eine Hilfestellung sein um eigene Ängste zu überwinden. Als Angebot können Gerätekombinationen zum Rutschen, Klettern, Springen etc. verwendet werden. Oder es werden Bewegungsspiele zum Laufen, Hüpfen, Werfen u. ä. angeboten. Ein Beispiel zu den Gerätekombinationen wäre die Bewegungslandschaft (vgl. Kap. 7.2, S. 27). Hier können Kinder und Eltern auswählen welche Bewegungsideen sie ausprobieren wollen (vgl. Zimmer 2000, S. 120) Bewegungsspiele ohne Geräte: „Die Riesen wachkitzeln“: Die Eltern symbolisieren die Riesen. Sie liegen verteilt im Raum und stellen sich schlafend. Die Zwerge werden von den Kindern dargestellt, sie wollen die Riesen wachkitzeln. Die Riesen werden langsam munter und erheben sich sobald sie richtig wach sind. Nun wollen sie den Zwerg der sie wachgekitzelt hat fangen. Wenn sie ihren Zwerg erwischt haben wird dieser nun im Gegenzug durchgekitzelt. Der nächste Spieldurchgang erfolgt mit vertauschten Rollen. 35 Karussell: Die Eltern erwarten ihre Kinder mit ausgebreiteten Armen, in die die Kinder hineinlaufen. Dann halten die Eltern ihre Kinder am Oberkörper und drehen sich mit ihnen im Kreis herum. Die Kinder fliegen dabei einem Karussell ähnlich immer höher hinauf. Dazu kann beispielsweise eine rhythmische Untermalung erfolgen, die folgendermaßen aussehen kann: „Das Karussell fährt …. (bei diesem Satz laufen die Kinder in die Arme der Eltern) ……loooossss“ (die Drehung endet mit dem Ausklingen des lang gezogenen Wortes). Verzaubern: Es werden Spielpaare bestehend aus Eltern und Kindern gebildet. Die/der BewegungsleiterIn verzaubert mit ihrem/seinem Zauberstab einzelne TeilnehmerInnen. Die Berührung mit dem Zauberstab löst bei den Berührten Erstarrung aus. Der dazugehörige Spielpartner muss nun seinen erstarrten Partner aus der Erstarrung erlösen (vgl. Zimmer 2000, S. 121f) Die meisten Kinder kennen ihre Eltern nicht in der Rolle des Partners und Mitspielers, aus diesem Grund kann es sehr interessant sein sie einmal in dieser Position zu erleben. Die Eltern haben nun die Möglichkeit sich in die Perspektive des Kindes hineinzuversetzen. Sie sollten ihren Erfahrungsvorsprung hinten anstellen und sich auf das Erleben mit ihrem Kind einlassen. Durch diesen Perspektivenwechsel verändert sich die Eltern- Kind Beziehung. Das Selbstbewusstsein des Kindes wird gestärkt, es erkennt dass die Eltern Vertrauen in das Verhalten des Kindes haben und nicht wie gewohnt die Regeln vorgeben. Auf diese Art erweitern die Kinder ihren Handlungsspielraum und bekommen Anerkennung von den Eltern dafür (vgl. Zimmer 2000, S.118). Die Beziehung von hyperkinetischen Kindern und ihren Eltern ist häufig sehr angespannt. Die Eltern fühlen sich mit ihrem “schlimmen“ Kind überfordert und geraten oft in den Verdacht von falschem Erziehungsverhalten. Die Kinder stehen unter Stress, weil ständig etwas von ihnen gefordert wird was sie nicht erbringen können. Im Zuge der gemeinsamen Bewegung können die Kinder nun ihre Stärken zeigen, und die Eltern einmal von einer anderen Seite beobachten. Die gemeinsame Bewegung kann das angespannte Verhältnis auflockern und zu einer neuen Eltern- Kind Erfahrung werden. 36 8.6 Entspannung Gerade Kinder mit ADHS brauchen Anregung um Entspannungstechniken zu lernen, da sie selber Schwierigkeiten haben um in einen Entspannungszustand zu kommen. Kinder mit ADHS haben eine andere Körperwahrnehmung, für sie ist die Spannung die sie aufgebaut haben ein Selbstschutz. Rauscher verdeutlicht dies folgendermaßen: „Verschiedene Spannungsmuster in unserem Körper und die verschiedenen Ausdrucksmuster unserer Bewegungen stehen in einem Sinnzusammenhang. Spannungsmuster und Bewegungsausdruck sind lebensgeschichtlich erworbener leiblicher Ausdruck: sie repräsentieren die besondere Art und Weise, wie wir in der Welt sind, wie wir uns wahrnehmen und wie wir auf die Welt reagieren; sie sind also sinnhaft. Entspannung kann für manche Kinder ein “Anders in der Welt sein“ bedeuten und durchaus als Bedrohung wahrgenommen werden“ (Rauscher in Hölter 1992, S. 207 zit. nach Greiner 2002, S. 108). Es gibt unterschiedliche Entspannungstechniken: Phantasiereisen, Tiefenmuskelentspannung, Spiele zum Entspannen und dem Abbau von Aggressionen und mit besonderem Bezug zur Körperspannung und Rhythmus. Teilweise werden also in den Entspannungstechniken reale Bewegungen eingebaut, teilweise geht es nur um die vorgestellte Wahrnehmung. Zur Entspannung eignen sich weiters Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Qi Gong und Yoga. Einige Entspannungstechniken werden im Verlauf dieser Arbeit vorgestellt. 8.6.1 Entspannungsspiele Pferderennen: Die Kinder sitzen im Kreis auf den Fersen, mit den Händen klopfen sie auf ihre Oberschenkel. Auf diese Weise werden die unterschiedlichen Gangarten des Pferdes nachgeahmt. Der/die ErzählerIn beginnt nun von einem Pferderennen zu berichten. Die Kinder imitieren während der Erzählung Schritt, Trab, Galopp und Passgang. Die Bewegungen sollten immer mit dem Rhythmus der Hufe kombiniert werden und unterstützen so die Geschichte. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und die Kinder können den Verlauf des Rennens mitbestimmen. Auf diese Art können gerade hyperkinetische Kinder sich aktiv und kreativ mit ihren Ideen einbringen. Diese Übung beinhaltet sehr schön den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung und die Muskelgruppen werden tiefenentspannt, während die Koordination gefördert wird (vgl. Greiner 2002, S. 111). 37 Luftballons: Diese Übung ist eine Partnerübung, ein Kind ist ein Luftballon, ein anderes Kind pustet den Luftballon auf. Der Luftballon liegt schlaff am Boden und wird durch das Aufblasen immer voller und dicker. Die Ballons können verschiedene Formen annehmen, z. B. rund, dick, dünn oder lang. Zwischendurch kann auch immer wieder Luft aus dem Ballon gelassen werden. Anschließend werden alle Kinder zu Luftballons und es wird eine Bewegungsgeschichte erzählt, in der die Luftballons z. B. durch die Halle hüpfen, vom Wind hin und her geblasen werden, hoch in die Luft fliegen und schließlich müde auf der grünen Wiese landen (vgl. Greiner 2002, S. 112f). Fußgängerzone: Die Kinder bewegen sich z. B. zur Musik frei im Raum. Sie sollen sich vorstellen sie gehen durch eine Fußgängerzone, dabei treffen sie unterschiedliche Leute. Je nach Aufgabe sollen die Kinder unterschiedliche Spannungs- oder Gefühlszustände annehmen. Die Kinder bewegen sich Beispielsweise wie Roboter, Gummimenschen, Karatekämpfer, Nebelfeen oder nehmen die Gefühlszustände von freudig/beschwingt, schlapp/spannungslos, bis hin zu wütend/aggressiv, aufrecht/mutig ein. Nun wird beispielsweise die Musik gestoppt, beziehungsweise die Kinder unterbrochen, und die Kinder sollen sich die Körperspannung in der sie sich befinden, bewusst machen. Anschließend sollen sie die soeben gemachte Bewegung nochmal verstärkt wiederholen. Zum Abschluss dürfen sich die Kinder in der Gemüts- Spannungslage bewegen, die sie gerade empfinden (vgl. Greiner 2002, S. 112). Diese Übungen sind beispielhafte Aufzählungen die beliebig erweitert und ausgebaut werden können. Sie eignen sich sehr gut für die Arbeit im Kindergarten, da sie einfach und ohne großen Aufwand durchgeführt werden können. Bei den Kindern kommen die in Geschichten verpackten Übungen gut an, vor allem da sie hier auch ihre eigene Kreativität einfließen lassen können. 8.6.2 Yoga Yoga kommt von yui, welches anspannen, zügeln bedeutet. Yoga war ursprünglich sakraler Art und wurde als heilige Übungen angesehen. Erst später entwickelten sich die uns heute bekannten Techniken und Disziplinen. Früher verwendeten Angehörige der Kriegerkaste Yoga, um in rücksichtslosem persönlichem Einsatz Körper und Geist anzuspannen und somit 38 die vergängliche Persönlichkeit zu überwinden.“Yoga ist einmalig in der Geschichte der Menschheit; er ist der westlichen Tiefenpsychologie und ihren Therapieformen überlegen. Allerdings nicht für jeden. Er setzt viel voraus an intellektuellen und charakterlichen Fähigkeiten, an Härte gegen sich selbst. Er ist aber- entgegen vielen Ansichtenreligionsneutral, geeignet für Menschen jeder Rasse, Religion und Kultur. Er ist die toleranteste Menschenschulung die wir kennen“(Kupfer 1979, S. 164). Gerade durch die Körperschulung eignet sich Yoga besonders gut für Kinder mit ADHS, die bessere Körperkontrolle fördert das Selbstbewusstsein und die Impulsivität nimmt ab. Die Übungen können für Kinder leicht verständlich in Geschichten verpackt werden. So zum Beispiel die Geschichte von der kleinen Maus: Die kleine Yogamaus kommt nach Hause. Sie hatte viel zu tun, denn sie musste Vorräte für den Winter anlegen. Und so hat sie den ganzen Tag Grassamen und Weizenkörner gesammelt. (Eltern und Kinder krabbeln über den Boden und drehen schnuppernd den Kopf hin und her.) Nun kommt die kleine Maus zu Hause an. Sie schüttelt ihre müden Glieder aus und gähnt entspannt. [Dehnung aus dem Stand: (Aus der Hocke heraus Wirbel für Wirbel aufrichten, Arme und Beine ausschütteln, sich nach oben recken und genüsslich gähnen.)] Tagsüber hat die kleine Maus viel erlebt. Sie ist einem großen Hund begegnet, der hat sie zum Glück aber nicht gesehen, denn er hat mit dem Schwanz gewedelt. [Der große Hund: (Aus dem Stand heraus mit weit gegrätschten Beinen nach vorne beugen, bis die Hände den Boden erreichen. Das Gewicht etwas mehr auf die Hände verschieben. Der Rücken ist gerade, der Blick geht nach vorne. Die Kinder wackeln für das Schwanzwedeln leicht mit dem Po.)] Die kleine Maus hat auch eine Katze getroffen. Aber auch die Katze hat das Mäuschen nicht entdeckt. [Die Katze: (In den Vierfüßlerstand gehen. Gerader Rücken. Einatmen. Ausatmen und einen runden Katzenbuckel machen. Beim Einatmen zu einem geraden Rücken zurückkommen, beim nächsten Ausatmen den Rücken durchhängen lassen und den Kopf in den Nacken legen. Mehrmals fließend wiederholen.)] Nachdem die Kleine Maus nun von ihren Erlebnissen erzählt hat, wird sie in den Schlaf gewiegt. [Der halbe Schmetterling: (Die Kinder sitzen mit ausgestreckten Beinen am Boden. Der rechte Fuß wird herangezogen, wie ein Baby im Arm gehalten und hin und her gewiegt. Mit dem anderen Fuß wiederholen.)] Jetzt ist das Mäuschen wirklich müde, es kuschelt sich ins Bett und beginnt zu träumen. [Das zusammengerollte Blatt: (Auf die Unterschenkel setzen und nach vorne beugen. Die Stirn 39 berührt den Boden, die Arme werden seitlich am Körper nach hinten gelegt, sodass die Hände an den Füßen liegen. Ruhig und tief atmen.) ] (vgl. Christiansen 2006, S. 40f). Die Übungen vitalisieren die Wirbelsäule, die Nervensubstanz, Bänder, Sehnen und Bandscheiben der Wirbelsäule werden angeregt. Die endokrinen Drüsen werden besser durchblutet und zur Sekretion angeregt. Die inneren Organe werden harmonisiert, während die Muskeln gedehnt, gestrafft und gefestigt werden. Wichtig ist beim Yoga die richtige Atmung, und dass die Übungen ohne Überanstrengung durchgeführt werden. Jedoch sollen die vorhandenen körperlichen Möglichkeiten ausgenutzt werden (vgl. Kupfer 1979, S. 22). Für hyperkinetische Kinder eignet sich Yoga besonders durch die Erlangung einer besseren Körperkontrolle. Diese führt zu einer Abnahme der Impulsivität und einer Steigerung der Motivation. Durch das differenziertere Körperbild spüren die Kinder ihren Körper viel genauer und nehmen die eigenen Grenzen besser wahr. Viele Übungen helfen den eigenen Schwerpunkt zu finden, was zu einer Beruhigung der Kinder führt. Die innere Zentrierung hilft auch die Konzentration besser zu fokussieren. Dadurch dass im Yoga auf jede Anspannung eine Entspannung folgt wirkt es sich harmonisierend auf das vegetative Nervensystem aus. Bei hyperkinetischen Kindern kann Yoga somit einen wertvollen Ausgleich schaffen. Durch die Entspannung fällt auch die Konzentration leichter (vgl. Angerer 2005, S. 69f) 8.6.3 Autogenes Training Autogenes Training eignet sich sehr gut für Entspannungsübungen im Kindergartenalter. Im Grunde genommen ist es eine Autohypnose oder Selbstbeeinflussung im körperlichen und seelischen Bereich. Es verbessert die Lernfähigkeit durch das Bündeln der Aufmerksamkeit. Die Durchblutung wird durch die Wärme-Übungen des autogenen Trainings verbessert und auch die Schlafqualität steigert sich durch den Entspannungseffekt. (vgl. Angerer 2005, S. 56) Die Übungen des autogenen Trainings teilen sich in sechs Stufen. Die erste Stufe hat eine neuromuskuläre Entspannung der Willkürmotorik zum Ziel und ist eine “Schwere- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Mein rechter Arm ist schwer! (Dies widerholt sich mit allen 4 Extremitäten) Die zweite Stufe hat eine Wäremesensation in den Extremitäten durch Gefäßerweiterung zum Ziel und ist eine “Wärme- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Mein rechter Arm ist warm! (Wiederholung mit allen 4 Extremitäten) 40 Die dritte Stufe dient zur Verstärkung der physiologischen Effekte der Schwere- und WärmeÜbungen und ist eine “Herz- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Herz schlägt ruhig und gleichmäßig! Die vierte Stufe hat das Ziel sich dem spontanen Ein- und Ausatemrhythmus zu überlassen und verstärkt die Schwere- und Wärme- Empfindungen. Es ist eine “Atem- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Atem ruhig und gleichmäßig! Die fünfte Stufe soll ein Wärmegefühl im Oberbauch erzeugen und ist eine “SonnengeflechtÜbung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Sonnengeflecht strömend warm! Die sechste Stufe dient der Empfindung einer angenehm kühlen Stirn- und Gesichtsregion zum Entgegenwirken einer vasodilatatorischen Überreaktion. Es ist eine “Stirnkühle- Übung“: Als Übungsformel wird gesprochen: x Stirn angenehm kühl! Oder: Kopf leicht und klar! Die Anwendung der Standard- Formeln erfolgt schrittweise eine Stufe nach der anderen. Die Übungsformeln sollen von den Kindern im Geist widerholt werden. Der Zeitabstand sollte etwa 15- 30 Sekunden betragen. Mit zunehmendem Übungserfolg steigern sich die Intervalle auf mehrere Minuten. Für hyperkinetische Kinder wird gerade am Anfang empfohlen sich auf die Grundübungen, wie “Schwere“ oder “Wärme“ zu reduzieren. Diese Verkürzung kommt der Symptomatik der Kinder sehr entgegen, sie können aber trotzdem die Selbstberuhigung erlangen(vgl. Angerer 2005, S. 58f). Bei hyperkinetischen Kindern dient das autogene Training der Verminderung des Bewegungsdranges. Sie sollen ein altersgemäßes motorisches Verhalten erlangen. Außerdem werden die Konzentrationsfähigkeit und das Selbstbewusstsein gestärkt. Vor allem die “Schwere- Übung“ ist sehr gut für hyperkinetische Kinder geeignet, da sie zu einer Entspannung der Skelettmuskulatur führt. Diese Grundübungen könne auch in Geschichten verpackt, ausgebaut und somit für die jüngeren Kinder interessanter gestaltet werden. Das autogene Training kann gut in die Gesundheitserziehung im Kindergarten eingebaut werden, da die Kinder auf diese Art und Weise selbstständig Wege der Entspannung kennen und anwenden lernen (vgl. Angerer 2005, S.59) 41 9. Diskussion Kinder sind heutzutage vielfältigen Eindrücken ausgesetzt, angefangen von schädigenden Einflüssen während der Schwangerschaft bis hin zu den veränderten Zeitwahrnehmungen unserer Zeit. Einige Probleme wie schädliche Umwelteinflüsse gab es schon immer, jedoch ist das Zeitdiktat unserer Gesellschaft beispiellos und hat es in dieser Form auch noch nie gegeben. Gerade die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte (Fernsehen, Computer Internet…) haben unser Gesellschaftsleben stark verändert. Und das in einem Tempo, in dem es dem Menschen schwerfällt mit der Geschwindigkeit mithalten zu können. In unserer schnelllebigen Welt wird von den Kindern sehr früh verlangt sich anzupassen und unser Tempo mit zu leben. Außerdem werden sie heute schon von klein auf gefordert, sie gehen zum Fußball- oder Balletunterricht, lernen Fremdsprachen und besuchen Kreativwochen. Für Eltern ist es schon fast eine Pflicht, ihren Kindern die bestmögliche Förderung zu bieten. Für Kinder ist es fast nicht mehr möglich sich einmal alleine zu beschäftigen oder sich hin und wieder zu langweilen. Ist diese Förderung nicht zum Teil schon eine Über- (forder) förderung? Wenn man die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Omigbodun vergegenwärtigt, (vgl. Kap. 3.7, S. 18) sind Kinder in einer agrarisch geprägten Gesellschaft seltener von ADHS betroffen als Kinder aus westlichen Ländern. Sie stehen nicht so stark unter Zeitdruck, sie müssen nicht so früh funktionieren, angepasst und pflegeleicht sein. Die Kinder können ihre Fähigkeiten in ihrem eigenen Tempo entwickeln und müssen nicht den Plänen eines Systems folgen, das zu einem gewissen Zeitpunkt gewisse Fähigkeiten vorschreibt. Aufgrund der Gewissheit eine Funktion und Aufgabe in der Gesellschaft zu haben, ist ihr Selbstvertrauen gestärkt. Sie verbringen viel Zeit im Freien und können in ihren Spielen die natürlichen Gegebenheiten der Natur einfließen lassen. Bei diesen Gelegenheiten wenden sie instinktive Verhaltensmuster an, um Spannungen und Aggressionen abzubauen und auszugleichen. Gleichzeitig testen sie selbstständig ihre Grenzen aus und lernen sich im Sozialgefüge zurechtzufinden. Wenn es für Kinder allerdings keine Möglichkeit gibt, diese Bewegungsmöglichkeiten zu nutzen und sie nur vorgefertigte Handlungsräume aus Computerspielen etc. kennen, ist es auch verständlich, dass sie andere Möglichkeiten finden müssen um ihre angestauten Gefühle auszuleben. Durch die Reizüberflutung werden die Kinder mit Informationen überhäuft die sie (noch) nicht verarbeiten können. Eine überschießende Reaktion erfolgt als Antwort auf diese Informationsflut. Dass man nicht gerade ruhig dabei bleibt, wenn man durch die Fernsehsender zappt, kennt jeder. Ebenso fördert es nicht gerade die Konzentration. 42 Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, im Kindesalter ist dieser noch weitgehends unverfälscht. Aus diesem Grund kann bei Kindern in diesem Alter mit mototherapeutischen Therapien noch viel erreicht werden. Generell ist der positive Effekt von Bewegung an allen Kindern zu bemerken, jedoch können gerade hyperkinetische Kinder in diesem Bereich gut integriert werden und auch ihre speziellen Fähig- und Fertigkeiten zeigen. Hier können sie ihre Stärken vorführen. Ihre Sprunghaftigkeit erscheint als Flexibilität, ihre Kreativität führt zu ungewöhnlichen Lösungswegen, ihre Risikobereitschaft lässt andere staunen und sie sind nicht so schnell gelangweilt, wodurch ihre Frustrationstoleranz steigt. Sie können ihre innere Balance finden und werden ausgeglichener, was zu einer positiveren Körperresonanz führt. In dieser Arbeit habe ich nur einen Bruchteil dessen aufgeführt, was durch, und mit körperlicher Betätigung alles möglich ist. Ob die Bewegung in Form von Mototherapie betrieben wird, oder einfach nur aus Spaß an der Freude ist nebensächlich. Für Kinder ist die tägliche Bewegung wichtig für ihre Entwicklung. Und gerade hyperkinetische Kinder profitieren durch Bewegung im großen Ausmaß. Ihr Selbstvertrauen steigt mit zunehmendem Können, sie erhalten Ermutigung und Bestätigung durch ihre Erfolge. Sie lernen mit Misserfolgen umzugehen und neue Lösungsmechanismen auszuprobieren. Das Selbstwertgefühl steigt durch die (Selbst-) Erfahrung, die sie mit ihrem eigenen Körper machen. Sie entwickeln einen besseren Bezug zum eigenen Körper und lernen die Beziehung des eigenen Körpers im Raum kennen, zusätzlich zu ihren eigenen Grenzen. Weiters ergibt sich ein besseres soziales Verhalten und die Kommunikation mit anderen Kindern. Die Aufmerksamkeit wird gebündelt um die Bewegungen gezielt einsetzen zu können, was zu einer Steigerung der Konzentration führt. Die Impulsivität nimmt ab, weil sie lernen ihren Körper besser zu spüren und somit überschießende Reaktionen kontrollieren können. Aufgrund all dieser positiven Effekte, die Bewegung bzw. mototherapeutisches Arbeiten auf Kinder mit ADHS hat und da keine Nebenwirkungen wie bei der medikamentösen Therapie bestehen, sollte die Bewegungstherapie im breiten Ausmaß gefördert werden. Als Kritikpunkt bleibt jedoch anzumerken, dass es über die Wirkung der Mototherapie bei hyperkinetischen Kindern zwar viele Erfahrungsberichte gibt, jedoch nur wenige wissenschaftliche Studien. Diese wenigen Studien können jedoch gemeinsam mit anderen Studien, die den positiven Effekt von Bewegung und Bewegungstherapie klar darlegen, als Grundlage für das Mototherapeutische Arbeiten mit hyperkinetischen Kindern herangezogen werden. 43 10. Literaturverzeichnis Angerer, Lydia Sophie (2005): „Mentales Training bei hyperaktiven Kindern“, Dipl.-Arb. Universität Graz, Graz, 2005 Brandstätter, Sonja (2004): „Klettern als Fördermaßnahme bei sensorischen Intergrationsstörungen“, Dipl.- Arb. Universität Graz, Graz 2004 Christiansen, Andrea (2006): „Noch mehr Blitz- Yoga“, Urania Verlag, Stuttgart Greiner, Eva Claudia (2002): „Verhaltensoriginelle Kinder im Sportunterricht“, Dipl.- Arb. Universität Graz, Graz 2002 Haring, Claus (2004): „Reihe Medizin Psychiatrie“, 3. neu bearbeitete Auflage, Radzun Verlag, Wiesbaden Hinterhuber, Hartmann/Fleischhacker, W. Wolfgang (1997): „Lehrbuch der Psychiatrie“, Thieme Verlag, Stuttgart http://www.adhd-congress.org/, Zugriff am 16. 09. 2009 um 11. 00 Uhr http://www.oe1.ORF.at, „Dimensionen- Die Welt der Wissenschaft“, am 06. 06. 2009 um 19. 05 Uhr, Download der Sendung: „ Er gaukelt und schaukelt, er trappelt und zappelt…“, Neue Studien zum ADH- Syndrom vom 2.Congress on ADHD vom 21.- 24. 05. 2009 in Wien, Sprecherin: Sabrina Albrecht, Wien http://www.wikipedia.org/wiki/Michael_Phelps, Zugriff am: 05. 10. 2009 um 16. 45 Uhr Klammrodt, Friedrich (1999):“Unkonzentriert Aggressiv Überaktiv Ein Problem der Erziehung oder der Ernährung?“, 2. Auflage, Verlag Grundlagen und Praxis, Wissenschaftlicher Autorenverlag, Leer Kupfer, Karl- Heinz (1979): „Yoga von A-Z“, Econ Verlag, Düsseldorf Möller, Hans- Jürgen/Laux, Gerd/Deister, Arno (2005): „Duale Reihe Psychiatrie und Psychotherapie“, 3. überarbeitete Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart Roggensack, Claudia (2006): „Mythos ADHS Konstruktion einer Krankheit durch die monodisziplinäre Gesundheitsforschung“, Verlag für systemische Forschung im Carl Auer Verlag, Heidelberg Schenk- Danzinger, Lotte (1994): „Entwicklung Sozialisation Erziehung“, 2. Auflage, ÖBV Verlag, Wien Steinhausen, Hans Christoph (1995): „Hyperkinetische Störungen im Kindes- und Jugendalter“, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 44 Tölle, Rainer/Windgassen Klaus, (2009): „Psychiatrie“, 15 Auflage, Springer Verlag, Heidelberg Zimmer, Renate (2000): „Handbuch der Bewegungserziehung, Didaktisch- methodische Grundlagen und Ideen für die Praxis“, 10 Auflage, Herder Verlag, Freiburg 45