copyright Helbing Lichtenhahn 2008

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Bibliothek zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht
Beiheft 47
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Elektronische Wahlhilfen in der
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Beurteilung im Lichte der Wahl- und Abstimmungsfreiheit,
Spannungsverhältnis zu den politischen Parteien,
Fragen staatlicher Regulierung
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek
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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar:
http://dnb.ddb.de.
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übertragen oder zu speichern, liegt ausschliesslich beim Verlag. Jede Verwertung in
den genannten oder in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb
der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags.
ISBN 978-3-7190-2779-7
© 2007 Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel
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Die vorliegende Studie ist Ergebnis eines Forschungsprojekts, das im Rahmen
des NCCR-Projekts «Challenges to Democracy in the 21st Century» vom
Institut für öffentliches Recht der Universität Bern unter der Leitung von Prof.
Dr. Pierre Tschannen und Prof. Dr. Andreas Lienhard im Jahr 2007 durchgeführt worden ist. Neben den Projektleitern haben Prof. Dr. Andreas Ladner,
IDHEAP Lausanne, und Jan Fivaz, KPM Universität Bern, mit weiterführenden Hinweisen und Anregungen massgeblich zu dieser Studie beigetragen.
Ihnen allen sei dafür gedankt.
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Inhaltsverzeichnis
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I. Verbindung von Stimmabgabe und politischer Willensbildung .
II. Elektronische Wahlhilfen und ihr Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Gegenwärtiges Angebot von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Begriff der «Wahlhilfe» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Potenzial von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Rechtliche Fragestellungen und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Wahl- und Abstimmungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien . . . . . . . . . . . . .
3. Bedarf nach staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Wahl des StudentInnenrats der Universität Bern von 2005 .
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I. Prozessgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Beschwerdeentscheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Frage der fehlenden gesetzlichen Grundlage . . . . . . . . . . . . .
2. Frage der Verletzung des Rechts auf freie Willensbildung . .
3. Frage der Verletzung der Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . .
4. Frage der Vereinbarkeit mit dem Proporz . . . . . . . . . . . . . . .
III. Quintessenzen aus dem Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Schutz vor unzulässiger Einflussnahme durch Private . . . . . . . .
1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Kriterien des Bundesgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Präzisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gezielte Verfälschung der Willensbildung? . . . . . . . . . . . . . .
a. Manipulationsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Einseitige Beeinflussung der Willensbildung . . . . . . . . .
c. Transparenz von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Systembedingte Verfälschung der Willensbildung? . . . . . . . .
a. Gestaltungsspielräume bei der Konzeption einer
Wahlhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Vergleich mit der Willensbildung im Normalfall . . . . . . .
c. Verfälschung der Willensbildung bei mangelhafter
Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Beurteilung im Lichte der Wahl- und Abstimmungsfreiheit . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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II. Schutz vor unzulässiger Einflussnahme durch den Staat . . . . . .
1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Staatliche Einflussnahme vor Abstimmungen . . . . . . . . .
b. Staatliche Einflussnahme vor Wahlen . . . . . . . . . . . . . . .
2. Zurechenbarkeit von Wahlhilfen zum Staat . . . . . . . . . . . . . .
a. Mittelbare Eingriffe in die Wahl- und
Abstimmungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Verknüpfung mit dem Vote électronique und
andere Förderungsmassnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c. Staatliche Bewilligung von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . .
3. Politische Neutralität und hohe Qualität von Wahlhilfen . . . .
a. Unabhängigkeit der Wahlhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Gleichbehandlung von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c. Chancengleichheit der Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d. Hohe Anforderungen an die Qualität . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Funktion der Parteien im Wahlverfahren (Proporz) . . . . . . . . . .
1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Mitwirkung an der Meinungs- und Willensbildung
des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Proporz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Vereinbarkeit von Wahlhilfen mit dem Proporz? . . . . . . . . . .
a. Zulässigkeit von freien Wahllisten und Panaschieren . . .
b. Faktische Aushebelung des Proporzes . . . . . . . . . . . . . . .
3. Rechtliche Konsequenzen für Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . .
a. Prohibitive Massnahmen gegen Wahlhilfen? . . . . . . . . . .
b. Verzicht auf Förderungsmassnahmen . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Funktion der Parteien im Parlament (Fraktionen) . . . . . . . . . . .
1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Verfassung und politische Repräsentation . . . . . . . . . . . .
2. Gefährdung des Parlamentsbetriebs durch Wahlhilfen? . . . . .
a. Bedeutungsverlust von Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Auswirkungen auf die Qualität der Abgeordneten . . . . . .
3. Auswirkungen von Wahlhilfen auf die politische
Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Verschiebung zum republikanischen Repräsentationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Auswirkungen auf die Responsivität der Institutionen . .
c. Wahlhilfen und politisches Monitoring . . . . . . . . . . . . . .
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D. Spannungsverhältnis zwischen Wahlhilfen und Parteien . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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I. Bekämpfung von Missbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Varianten staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Bestehende Interventionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Mögliche Interventionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c. Intervention ohne gesetzliche Grundlage? . . . . . . . . . . . .
2. Verhältnismässigkeit staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . .
a. Betroffene Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Eignung einzelner Interventionsmittel . . . . . . . . . . . . . . .
c. Notwendigkeit einzelner Interventionsmittel . . . . . . . . . .
d. Zumutbarkeit einzelner Interventionsmittel . . . . . . . . . . .
II. Förderung von Wahlhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Varianten staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a. Mögliche Förderungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Förderung ohne gesetzliche Grundlage? . . . . . . . . . . . . .
2. Verhältnismässigkeit staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . .
a. Betroffene Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b. Eignung einzelner Förderungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . .
c. Notwendigkeit einzelner Förderungsmittel . . . . . . . . . . .
d. Zumutbarkeit einzelner Förderungsmittel . . . . . . . . . . . .
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F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Beurteilung im Lichte der Wahl- und Abstimmungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Spannungsverhältnis zwischen Wahlhilfen und Parteien . . . .
3. Fragen staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Fragen staatlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Verbindung von Stimmabgabe und politischer
Willensbildung
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I.
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A. Einleitung
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Das Stimmvolk in Bund und Kantonen wählt praktisch noch dieselben politischen Institutionen wie in den Anfängen des Bundesstaates. Der Akt des Wählens ist heute jedoch ein ganz anderer als früher. Das idyllische Bild gelebter
Demokratie von einst – der sonntägliche Gang der Stimmbürgerinnen und
Stimmbürger an die Urne, verbunden mit dem Besuch des Gottesdienstes und
geselligem Zusammensein – ist der anonymen Stimmabgabe durch Briefeinwurf gewichen.1 Und seit ein paar Jahren bahnt sich eine weitere Funktionalisierung der Stimmabgabe an, das E-Voting bzw. der Vote électronique, der
die Ausübung politischer Rechte per Internet ermöglichen soll.2 Die Geschichte der Demokratie lässt sich beschreiben als Prozess der Entritualisierung und
Entzauberung, bedingt durch die schrittweise eingeführten Erleichterungen
der Stimmabgabe: vorzeitige Stimmabgabe, Wanderurne, Stimmabgabe durch
Stellvertretung, briefliche und elektronische Stimmabgabe.
In bestimmter Hinsicht führt die Einführung des Vote électronique indessen zu einer Situation, die mit dem traditionellen Gang an die Urne vergleichbar ist. Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die sich zwecks elektronischer
Stimmabgabe ins Internet einloggen, begeben sich gewissermassen in ein virtuelles Stimmlokal. Wer das virtuelle Stimmlokal besucht, muss damit rechnen, mit politischen Informationen, Propaganda und Diskussionsangeboten
konfrontiert zu werden.3 Auf diese Weise kann sich wie damals der Akt der
Stimmabgabe mit politischer Meinungs- und Willensbildung verbinden.
Zwischen der Willensbildung anlässlich des realen und des virtuellen
Urnengangs bestehen jedoch wesentliche strukturelle Unterschiede: Die Verhältnisse im Internet, das grundsätzlich für jedermann zugänglich ist, sind im
Gegensatz zu jenen auf dem Dorfplatz und in den Gaststätten unüberschaubar.
Im Internet können politische Informationen mit ungleich grösserer Breitenwirkung und Zielschärfe eingesetzt werden. Dadurch bietet das Internet
ungeahnte Möglichkeiten, auf die Willensbildung des Stimmvolks Einfluss zu
nehmen.
1
2
3
Zur Geschichte der Stimmabgabe im schweizerischen Bundesstaat BRAUN (2006), S. 146 ff.
Grundlegend zum Vote électronique: Bericht über den Vote électronique. Chancen, Risiken
und Machbarkeit elektronischer Ausübung der politischen Rechte, in: BBl 2002 645 ff.; zum
aktuellen Stand: Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique, in: BBl 2006 5459 ff.
Dazu auch KLEY/RÜTSCHE (2002), S. 274.
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Die Möglichkeiten politischer Information im Vorfeld der elektronischen
Stimmabgabe und generell im Internet bergen die Gefahr, dass die demokratische Willensbildung manipuliert und verfälscht wird. Sie bieten aber auch
grosse Chancen: die Chance, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wohlinformierte Entscheide treffen; dass bei der Stimmabgabe inhaltliche Positionen anstelle von äusserlichen Attributen und Schlagworten den Ausschlag
geben; dass Wahlkämpfe von Argumenten und nicht von Emotionen dominiert
werden; dass das politische Verhalten der Kandidatinnen und Kandidaten besser eingeschätzt werden kann; kurz: die Chance, die politische Mündigkeit des
Stimmvolkes zu erhöhen und bessere Bedingungen für eine anspruchsvolle
Ausübung der politischen Rechte zu schaffen.4
II. Elektronische Wahlhilfen und ihr Potenzial
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Ein Instrument, die angesprochenen Chancen politischer Information im Internet zu nutzen, sind elektronische Wahlhilfen. Elektronische Wahlhilfen unterstützen, allgemein gesagt, die Wähler darin, ihren Willen auf der Basis von
politischen Überzeugungen zu bilden. Nicht Sonderinteressen, Stimmtraditionen oder emotionale Affinitäten sollen für den Wahlentscheid ausschlaggebend sein, sondern reflektierte Vorstellungen über die eigene politische Haltung sowie diejenige der Parteien und Kandidaten.
Gegenwärtiges Angebot von Wahlhilfen
Zu den Chancen informierter und deliberativer Stimmabgabe im Internet auch AUER/TRECHSEL
(2001), S. 67 ff., die ein 6-stufiges Modell einer «demokratischen» Einführung des e-Voting
vorschlagen: Vote à partir de tout ordinateur connecté à Internet – Vote avec informations
officielles – Vote avec informations officielles et informations approfondies – Vote avec possibilité d’interaction avec les responsables publics et administratifs – Vote avec forums de
discussion ouverts à tout le monde – possibilité de signer des référendums et des initiatives
populaires.
www.stemwijzer.nl.
www.wahl-o-mat.de.
www.wahlkabine.at.
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In der Schweiz ist eine derartige Wahlhilfe in Gestalt der Internet-Seite
politarena.ch aufgebaut worden. In ihrer Konzeption entspricht politarena.ch
dem holländischen StemWijzer 5, dem deutschen Wahl-O-Mat 6 sowie der österreichischen Wahlkabine 7. Politarena.ch wurde erstmals für die eidgenössischen Wahlen 2003 aufgeschaltet und seither auch als Hilfe für Sachabstimmungen eingesetzt. Als Wahlhilfe unterstützt politarena.ch die Stimmberech-
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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tigten in der Auswahl der politischen Parteien. Im Hinblick auf bestimmte
Wahlen erstellt politarena.ch jeweils einen Katalog von politischen Fragen,
die vorgängig von den Parteileitungen beantwortet werden. Der Wähler kann
dann online dieselben Fragen beantworten. Aufgrund eines Vergleichs der
Antworten errechnet politarena.ch eine individuelle Wahlempfehlung. Diese
listet die Parteien in der Reihenfolge auf, in der die Antworten der Parteileitungen mit denjenigen des Wählers übereinstimmen.
Neben politarena.ch gibt es die elektronische Wahlhilfe smartvote.ch, die
ebenfalls zum ersten Mal im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2003
angeboten wurde und seither in zahlreichen Legislativ- und Exekutivwahlen
auf kantonaler wie kommunaler Ebene Verwendung gefunden hat. Die Brisanz von smartvote.ch besteht darin, dass diese Seite im Unterschied zu
politarena.ch den Benutzern nicht nur politischen Parteien, sondern auch unmittelbar einzelne Kandidaten empfiehlt. Die Kandidaten füllen den Fragebogen persönlich aus und liefern mit ihren Antworten die Grundlage für die
individuellen Wahlempfehlungen. Es sind somit die persönlichen politischen
Haltungen der Kandidaten, die für die Wahlempfehlung den Ausschlag geben.
Neben smartvote.ch bietet neuerdings auch die Seite wahlen.ch dem Stimmbürger an, sich einzelne Kandidaten empfehlen zu lassen.8
Auf smartvote.ch findet der Wähler neben dem Angebot von Wahlempfehlungen weitere politische Informationen über die Kandidaten. So sind die
politischen Profile der Kandidaten, wie sie sich aus der Beantwortung des
Fragekatalogs ergeben, im sog. «smartspider» veranschaulicht, ein graphisches Spinnennetz, aus dem die Nähe der Kandidaten zu bestimmten politischen Zielen ersichtlich wird. Zudem bietet smartvote.ch eine Datenbank mit
Informationen über die einzelnen Kandidaten («KandiDatenbank») an. Eine
weitere Kategorie politischer Kandidateninformation im Internet bilden politische Ratings. Im Unterschied zu den zukunftsbezogenen politischen Profilen
von smartvote.ch bewerten politische Ratings das Stimmverhalten der Abgeordneten in der Vergangenheit. Das traditionsreichste Rating in der Schweiz
ist das seit rund 10 Jahren von BRUNO JEITZINER und Mitautoren angebotene
«ParlaRating», das die Nationalräte aufgrund der veröffentlichten Namensabstimmungen auf einer Links-Rechts-Skala von -10 bis +10 einordnet.9 Zu
erwähnen sind ferner die Parlamentarier-Ratings des geographischen Departements der Universität Zürich in Form von politischen Karten, Tabellen und
Spinnenprofilen10 sowie das Rating der Umweltverbände11.
8
9
10
11
www.wahlen.ch.
www.parlarating.ch. Die Ratings werden jeweils auch in der NZZ und anderen Tageszeitungen publiziert.
www.sotomo.geo.unizh.ch sowie www.parlamentsspiegel.ch.
www.umweltrating.ch.
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2.
Begriff der «Wahlhilfe»
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Als «Wahlhilfen» im eigentlichen Sinn werden in der vorliegenden Studie nur
jene Instrumente bezeichnet, die individuelle Wahlempfehlungen anbieten.
Individuelle Wahlempfehlungen «helfen» dem Stimmbürger unmittelbar beim
Ausfüllen des Wahlzettels. Sie sind mit dem Anspruch verbunden, das Ergebnis der Willensbildung des einzelnen Stimmbürgers zu repräsentieren, während politische Profile und Ratings lediglich eine Quelle der Willensbildung
darstellen und sich als solche nicht grundlegend von anderer politischer Information in den Medien unterscheiden.
Eine solche enge Auffassung des Begriffs «Wahlhilfe» im Sinne eines
Instruments, das auf den einzelnen Stimmbürger abgestimmte Wahlempfehlungen abgibt, empfiehlt sich auch aus rechtlicher Sicht. Individuelle Wahlempfehlungen können das Stimmverhalten auf neue Art beeinflussen, da sie
der Stimmbürger tel quel befolgen kann, indem er die empfohlene Parteiliste
einwirft bzw. die empfohlenen Kandidaten auf den amtlichen Wahlzettel überträgt. Wahlhilfen werfen deshalb besondere, noch weitgehend ungeklärte
Rechtsfragen auf, während politische Profile und Ratings kaum juristische
Probleme bereiten, die nicht mit jeder politischen Information verbunden sind.
Potenzial von Wahlhilfen
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Individuelle Wahlempfehlungen wie diejenigen von politarena.ch und smartvote.ch haben das Potenzial, die demokratische Praxis in eine neue Richtung
zu bewegen. Im Fall von smartvote.ch existieren Benutzerstatistiken.
Beim ersten Einsatz von smartvote.ch anlässlich der nationalen Wahlen
2003 wurden insgesamt 255 000 Wahlempfehlungen erstellt, anlässlich der
nationalen Wahlen 2007 bereits 963 000 Wahlempfehlungen. Die Zahl der
Personen, die smartvote.ch benutzt haben, liegt jedoch um Einiges tiefer, weil
davon auszugehen ist, dass sich die meisten Benutzer mehrere Wahlempfehlungen anfertigen liessen. Auf Grund von ersten Auswertungen dürften – vorsichtig gerechnet – bei den Wahlen 2007 bis zu 350 000 Personen smartvote.ch
benutzt haben, was einem Anteil von rund 15% aller Wählenden entspricht.
Bei kantonalen und kommunalen Wahlen in den Jahren 2004 bis 2007 lag
dieser Anteil zum Teil noch höher. Die stärkste Nutzung von smartvote.ch
wurde 2004 bei den Wahlen in der Stadt Bern erreicht, als sich bis zu 29% der
Wählenden eine Wahlempfehlung erstellen liessen.12 Solche Quoten sind in-
12
4
Quelle: www.smartvote.ch.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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soweit aussagekräftig, als die elektronischen Wahlempfehlungen bei der Wahlentscheidung tatsächlich berücksichtigt werden. Eine Wählerbefragung nach
den Berner Grossratswahlen vom April 2006 ergab, dass die Wahlempfehlung
von smartvote.ch für 74.1% einen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatte.13
Diese statistischen Zahlen deuten an, dass elektronische Wahlhilfen auf
dem Weg sind, sich zu einem bedeutenden Faktor in Wahlkämpfen zu entwickeln.14 Ihr ganzes Potenzial werden Wahlhilfen voraussichtlich aber erst dann
ausschöpfen können, wenn sie mit dem offiziellen Wahlverfahren in Verbindung treten, namentlich wenn sie mit dem Vote électronique verknüpft werden.15 Der Stimmbürger kann sich dann eine Wahlempfehlung erstellen lassen,
diese in den elektronischen Wahlzettel importieren und per Mausklick abschicken. Virtuelle Willensbildung und virtuelle Stimmabgabe gehen so eine
Verbindung ein, die das Gesicht der Demokratie verändern könnte.
III. Rechtliche Fragestellungen und Vorgehen
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Wahlen und Abstimmungen zehren in hohem Masse vom Vertrauen des
Stimmvolkes. Ohne Vertrauen in die Korrektheit der demokratischen Entscheidungsprozesse erhalten Wahl- und Abstimmungsergebnisse keine Legitimität. Wahlhilfen wie politarena.ch und smartvote.ch, die einen zunehmenden
Einfluss auf den demokratischen Entscheidungsprozess erlangen, müssen deshalb vom stabilen Vertrauen der Stimmbürger getragen sein. Die frühzeitige
rechtswissenschaftliche Untersuchung elektronischer Wahlhilfen kann zu dieser Vertrauensbildung beitragen.
Wahl- und Abstimmungsfreiheit
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Für die Rechtswissenschaft sind elektronische Wahlhilfen zunächst im Hinblick auf die in Art. 34 Abs. 2 BV garantierte Wahl- und Abstimmungsfreiheit
ein Thema. Aus dieser grundrechtlichen Sicht interessiert vor allem, ob von
Wahlhilfen die Gefahr ausgeht, dass die demokratische Meinungs- und Willensbildung verfälscht wird. Im schlimmsten Fall könnten Wahlhilfen als politische Manipulationsinstrumente für Sonderinteressen missbraucht werden.
Missbräuche sind vor allem dann zu befürchten, wenn die Betreiber einer
13
14
15
Quelle: www.nccr-democracy.unizh.ch, Projekt «smart-voting». Befragung der WählerInnen
der Berner Grossratswahlen, Zürich 2006.
So auch die Prognose von BALSIGER/ROTH (2007), S. 54.
Vgl. LADNER/FIVAZ (2006), S. 9.
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Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien
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Wahlhilfe ohne Wissen der Benutzer einer bestimmten Interessengruppe angehören oder nahe stehen.
Auch wenn keine eigentlichen Manipulationen zu befürchten sind, könnten Wahlhilfen den Wählerwillen verfälschen, und zwar allein aufgrund ihrer
inhaltlichen Ausgestaltung. Es stellt sich die Frage, ob sich Wahlhilfen überhaupt so konzipieren lassen, dass sie die politischen Vorstellungen der Wähler
ohne Verzerrungen in den Wahlentscheid übersetzen. Diese Fragen akzentuieren sich, wenn der Staat auf irgendeine Weise mit elektronischen Wahlhilfen
in Verbindung tritt, etwa indem er eine Verknüpfung mit dem Vote électronique
bereitstellt oder Unterstützungsbeiträge ausrichtet.
Bedarf nach staatlicher Regulierung
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Ein weiterer Fragenkomplex betrifft die Vereinbarkeit elektronischer Wahlhilfen mit der verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien. Eine
Wahlhilfe wie politarena.ch, welche die Wähler in der Auswahl politischer
Parteien unterstützt, ist diesbezüglich zwar unbedenklich. Anders steht es dagegen mit Wahlhilfen vom Typ smartvote.ch, die den Wählern einzelne Kandidaten empfehlen. Derartige Wahlhilfen sind auf eine Personalisierung des
Wahlentscheids angelegt. Je mehr ihnen das Stimmvolk vertraut, desto mehr
könnten Parteizugehörigkeit und Parteiprogramme als Kriterien des Wahlentscheids in den Hintergrund treten.
Im Zuge einer solchen Entwicklung geraten Wahlhilfen in ein Spannungsverhältnis zu verfassungsrechtlichen Garantien, die den politischen Parteien
im Wahlverfahren und in der parlamentarischen Arbeit eine besondere Stellung einräumen. Dazu gehört Art. 137 BV, der in allgemeiner Weise garantiert,
dass die politischen Parteien an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes
mitwirken. Eine spezifische Funktion erhalten die Parteien im Rahmen der
verfassungsrechtlich vorgesehenen Verhältniswahl (Proporz). Sodann rechnet
die Verfassung damit, dass der Parlamentsbetrieb von Parteien geprägt wird,
indem sie die Bildung von Fraktionen anerkennt.
Schliesslich werfen elektronische Wahlhilfen regulatorische Fragen auf. Der
Gesetzgeber wird sich in absehbarer Zeit fragen müssen, ob er das Angebot
elektronischer Wahlhilfen regulieren soll. Ein Regulierungsbedarf liesse sich
damit begründen, dass der Staat das Vertrauen des Stimmvolkes in das demokratische Verfahren sicherzustellen hat. Falls zu befürchten ist, dass Wahlhilfen missbraucht werden und es dadurch zu Verfälschungen der politischen
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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Willensbildung kommt, wäre dies für den Gesetzgeber ein Anlass, im Namen
der Wahl- und Abstimmungsfreiheit zu intervenieren.
Ein anderer Grund für ein Tätigwerden des Gesetzgebers könnte das Anliegen sein, die Qualität politischer Willensbildung zu verbessern. Die Wahl- und
Abstimmungsfreiheit sowie das öffentliche Interesse an einer substanziellen
Demokratie könnten es allenfalls rechtfertigen, die Verbreitung von Wahlhilfen staatlich zu fördern. Als Förderungsmassnahme steht die Verknüpfung
von Wahlhilfen mit dem Vote électronique im Vordergrund. Aber auch staatliche Information über das Angebot von Wahlhilfen und finanzielle Unterstützung sind in Betracht zu ziehen.
Vorgehen
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Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich an den skizzierten rechtlichen Fragestellungen. Zur Veranschaulichung der verfassungsrechtlichen Probleme, die elektronische Wahlhilfen mit sich bringen können, wird vorweg
ein Praxisbeispiel dargestellt. Es handelt sich um den Beschwerdefall anlässlich der StudentInnenratswahlen an der Universität Bern von 2005, in denen
erstmals in der Schweiz die elektronische Stimmabgabe mit einer Wahlhilfe
verknüpft wurde (Kap. B.). Anschliessend wird gefragt, welche Schranken
sich für Wahlhilfen aufgrund der Wahl- und Abstimmungsfreiheit ergeben
(Kap. C.). Danach ist das Spannungsfeld zwischen Wahlhilfen und der verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien zu beleuchten (Kap. D.). Es
folgt eine Diskussion des Regulierungsbedarfs, den Wahlhilfen unter Umständen verursachen (Kap. E.). In einer Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf die künftige Entwicklung von Wahlhilfen vorgenommen (Kap. F.).
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B. Die Wahl des StudentInnenrats der Universität Bern
von 2005
Prozessgeschichte
Sachverhalt
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Im Zusammenhang mit der Wahl des StudentInnenrats der Universität Bern im
Januar 2005 ist es zum bisher einzigen Beschwerdeverfahren gegen eine elektronische Wahlhilfe gekommen.16 Das Besondere an diesem Fall besteht darin,
dass Wahlhilfe und Stimmabgabe via Internet miteinander verknüpft waren.
Zwar erfuhren die Beschwerden gegen diese Verknüpfung lediglich durch
zwei untere verwaltungsinterne Instanzen eine materielle Beurteilung. Ein
unabhängiges Gericht konnte sich nicht mit der Sache befassen. Um die rechtliche Tragweite von elektronischen Wahlhilfen abzuschätzen, ist das Verfahren vor den beiden verwaltungsinternen Instanzen dennoch aufschlussreich.
Die Prozessgeschichte ist den erhobenen Beschwerden sowie den Entscheiden der Beschwerdeinstanzen entnommen (vgl. Entscheid der Rekurskommission der StudentInnenschaft der
Universität Bern vom 30. März 2005; Entscheid der Erziehungsdirektion des Kantons Bern
vom 12. August 2005; Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 25. Januar
2006).
Die SUB ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie
besteht aus den immatrikulierten Studierenden der Universität Bern; vgl. Art. 31 Abs. 1 und 2
Gesetz über die Universität (UniG; BSG 436.11); Art. 37 Abs. 1 Statut der Universität Bern
(Universitätsstatut; UniSt; BSG 436.111.2).
Art. 18 Statuten der SUB vom 1. März 1990.
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Der StudentInnenrat ist ein Organ der Vereinigung der Studierenden der Universität Bern (SUB).17 Er besteht aus 40 Mitgliedern, die von den Studierenden aufgrund von Wahllisten nach dem Grundsatz des Proporzes gewählt
werden. Die Universität bildet einen einzigen Wahlkreis.18 Im Jahr 2005 wurde die Wahl des StudentInnenrats erstmals im Internet unter subvote.unibe.ch
durchgeführt. Den stimmberechtigten Studenten stand dabei die elektronische
Wahlhilfe smartvote.ch zur Verfügung.
Auf smartvote.ch konnte jeder Wähler einen standardisierten Fragebogen
zu konkreten universitätspolitischen Themen ausfüllen und so nach individuellen Präferenzen das Idealprofil für einen Kandidaten erstellen. Smartvote.ch
präsentierte dann eine Wahlempfehlung mit jenen 40 Kandidaten, die am meisten mit den Vorgaben des Wählers übereinstimmten. Diese individuelle Wahl-
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empfehlung von smartvote.ch konnte in den persönlichen Wahlzettel auf der
offiziellen Wahlseite subvote.unibe.ch importiert und vor der elektronischen
Stimmabgabe noch beliebig verändert werden. So war es möglich, einzelne
Kandidaten von der importierten Wahlempfehlung zu streichen, mehrmals
aufzuführen (kumulieren), durch andere zu ersetzen sowie eine Listenbezeichnung anzufügen. Die offizielle Wahlanleitung, die den Stimmberechtigten versandt wurde, enthielt einen Hinweis auf die Wahlhilfe von smartvote.ch sowie
eine Anleitung zum Import der Wahlempfehlung in die persönliche Wahlliste
auf subvote.ch.
Mit Erwahrungsbeschluss vom 28. Januar 2005 gab das Wahlbüro der
SUB die Resultate der Wahl des StudentInnenrats bekannt. Im Vergleich zu
den Wahlen von 2003 verlor das aus drei Gruppierungen bestehende linke
Lager seine absolute Mehrheit von 25 Sitzen und kam nur noch auf 19 Sitze.
Das bürgerliche Lager gewann drei Sitze und erhielt neu 17 Sitze. Die übrigen
Sitze gingen an Jux-Parteien. Die Stimmbeteiligung erhöhte sich gegenüber
den Wahlen von 2003 markant von 12% auf 22%.
Beschwerden
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Gegen den Erwahrungsbeschluss führten am 7. Februar 2005 zwei Studenten
und eine Studentin Wahlbeschwerde bei der Rekurskommission der SUB. Die
Beschwerdeführer stellten in der Hauptsache den Antrag, dass die Wahl wegen unzulässiger Beeinflussung des freien Wählerwillens zu kassieren sei. Zur
Begründung erhoben sie eine Reihe von Rügen, die auch in anderen Rechtsstreitigkeiten betreffend elektronische Wahlhilfen eine Rolle spielen könnten.
Es handelt sich, systematisch geordnet, um folgende Rügen:
– Für den Einsatz von smartvote.ch bei der Wahl des StudentInnenrats
2005 habe es in verschiedener Hinsicht an einer gesetzlichen Grundlage
gefehlt. So sei die Verknüpfung der elektronischen Stimmabgabe auf
subvote.unibe.ch mit der Wahlhilfe smartvote.ch im einschlägigen Wahlreglement der SUB19 nicht vorgesehen gewesen. Darüber hinaus gäbe es
im Wahlreglement der SUB keine Grundlage, die von smartvote.ch vorgefertigten Wahlzettel neben den amtlichen Wahlzetteln zu verwenden. Im
Übrigen sei das Wahlbüro nicht befugt gewesen, in der offiziellen Wahlanleitung auf smartvote.ch hinzuweisen.
– Durch den Einsatz von smartvote.ch sei das Grundrecht auf freie Willensbildung verletzt worden. Das Wahlbüro der SUB habe in unzulässiger Wei-
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Reglement über die Wahl des StudentInnenrats vom 12. Dezember 1991.
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se in den Wahlkampf interveniert. Für die Intervention habe kein öffentliches
Interesse bestanden. Insbesondere sei die Verknüpfung mit smartvote.ch
für ein unverfälschtes Wahlergebnis nicht unerlässlich gewesen. Im Gegenteil sei die freie Willensbildung beeinträchtigt worden. Mit smartvote.ch
habe ein Dritter, der nicht als politische Gruppierung in der Wahl zugelassen war, systematisch die Wahlzettel «ausgefüllt» und damit die Stimmberechtigten unzulässig beeinflusst.
– Der Einsatz von smartvote.ch habe die Chancengleichheit der Kandidaten
verletzt. Erstens hätten nicht alle Kandidaten gleichermassen Zugang zum
Ausfüllen des Fragebogens von smartvote.ch gehabt. Zweitens würden
politische Parteien und andere Gruppierungen, die weniger Kandidaten zur
Wahl vorschlagen, durch die Wahlempfehlungen von smartvote.ch systematisch benachteiligt. Die Wahllisten von Parteien mit wenig Kandidaten
würden mehr Leerzeilen aufweisen als die Listen mit vielen Kandidaten.
Wird die Liste einer Partei mit wenig Kandidaten unverändert abgeschickt,
kommen die Leerzeilen dieser Partei als Zusatzstimmen zugute. Der Einsatz von smartvote.ch würde nun dazu führen, dass der Anteil an Leerzeilen und damit an Zusatzstimmen abnimmt. Denn die Wahlempfehlungen
von smartvote.ch füllten stets alle vorhandenen Listenplätze und enthielten
niemals Leerzeilen, die einer Partei als Zusatzstimmen zugute kommen
könnten. In der Tat habe im Fall der Wahl des StudentInnenrats der Anteil
an Zusatzstimmen signifikant abgenommen, nämlich von 31% (2003) auf
19% (2005) der gezählten Stimmen. Entsprechend hätten Parteien mit wenig Kandidaten einen Nachteil gehabt.
– Schliesslich habe der Einsatz von smartvote.ch gegen die reglementarisch
vorgesehene Proporzwahl verstossen. Die Proporzwahl lege das Gewicht
des Wahlentscheids auf die Auswahl der politischen Partei. Die Tatsache,
dass sich der Wahlberechtigte an Parteien, deren Profile und Versprechungen orientieren könne, ermögliche erst eine sinnvolle Verwendung des
Stimmrechts. Die Wahlhilfe smartvote.ch setze dagegen allein auf die Auswahl der Personen gemäss einem individuellen politischen Profil. Zwar
war es den Stimmberechtigten möglich gewesen, die Wahlempfehlungen
von smartvote.ch vor der Stimmabgabe noch so zu verändern, dass einer
bestimmten Partei mehr Stimmen zukommen. Allerdings musste dafür eine
längere und kompliziertere Wahlprozedur in Kauf genommen werden. Es
sei sehr wahrscheinlich, dass vielen Wählern gar nicht bewusst war, dass
sie durch unverändertes Einlegen der Wahlempfehlung von smartvote.ch
die Chancen «ihrer» Partei schmälern könnten. Smartvote.ch habe deshalb
dazu geführt, dass übermässig panaschiert wurde und dadurch Parteistimmen verloren gingen. Dies erkläre auch die massiven Verschiebungen der
Parteistärken gegenüber der Wahl im Jahr 2003.
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II. Beschwerdeentscheide
Frage der fehlenden gesetzlichen Grundlage
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Die Beschwerdeführer hatten keinen Erfolg. Die Rekurskommission der SUB
lehnte am 30. März 2005 den Antrag auf Kassierung der Wahl ab.20 Die dagegen erhobene Verwaltungsbeschwerde an die Erziehungsdirektion des Kantons Bern wurde mit Entscheid vom 12. August 2005 ebenfalls abgewiesen.21
Der Entscheid der Erziehungsdirektion wurde daraufhin an den Regierungsrat
des Kantons Bern weitergezogen. Der Regierungsrat trat am 25. Januar 2006
auf die Beschwerde nicht ein und hob den Entscheid der Erziehungsdirektion
von Amtes wegen auf, weil diese für die Beurteilung der Beschwerde gegen
die Rekurskommission der SUB gar nicht zuständig gewesen sei.22 Eine materielle Beurteilung der Beschwerde erfolgte demnach nur durch die Rekurskommission der SUB und die Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Deren
Erwägungen lassen sich wie folgt zusammenfassen.
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Die Rekurskommission stellte fest, dass das Wahlbüro mit der Verknüpfung der Internet-Seiten subvote.unibe.ch (elektronische Stimmabgabe) und
smartvote.ch seine Kompetenzen überschritten hatte. Gemäss anwendbarem
Wahlreglement hätte nicht das Wahlbüro, sondern der StudentInnenrat in
dieser Frage entscheiden müssen. Die Frage, ob die Verwendung von
smartvote.ch und der offizielle Hinweis darauf im Wahlmaterial durch das
Wahlreglement der SUB oder einen anderen Rechtsatz abgedeckt waren, beantwortete die Rekurskommission nicht.23
Die Erziehungsdirektion erachtete die Rüge der fehlenden gesetzlichen
Grundlage als unbegründet. Der Entscheid, eine elektronische Wahlhilfe einzusetzen und mit der Stimmabgabe zu verknüpfen, bedürfe keiner reglementarischen Grundlage, da es sich nicht um ein wichtiges Staatshandeln handle.24
20
21
22
23
24
Entscheid der Rekurskommission (Fn. 16), Dispositiv Ziff. 3.
Entscheid der Erziehungsdirektion (Fn. 16), Dispositiv Ziff. 1.
Entscheid des Regierungsrates (Fn. 16), Dispositiv Ziff. 1 und 2.
Entscheid der Rekurskommission (Fn. 16), Erwägung 3.2.
Entscheid der Erziehungsdirektion (Fn. 16), Erwägung 2.b.
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2.
Frage der Verletzung des Rechts auf freie Willensbildung
Frage der Verletzung der Chancengleichheit
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Die Rekurskommission hielt fest, dass das Wahlbüro mit seinem Entscheid,
die Wahlhilfe smartvote.ch anzubieten, nicht direkt in die Wahl intervenierte,
weil damit keine offiziellen Wahlempfehlungen abgegeben wurden. Vielmehr
liege eine zulässige indirekte Intervention vor, und zwar im Sinne einer Hilfeleistung im Interesse einer lebendigen Demokratie und zwecks Förderung
der freien und unverfälschten Willensbildung. Eine Wahl mit Hilfe von
smartvote.ch verwirkliche die freie und unverfälschte Willensbildung besser
als eine Wahl, die lediglich auf der Parteizugehörigkeit, dem Namen und
vielleicht noch der Photographie eines Kandidaten basiere.25
Die Erziehungsdirektion bestätigte die Auffassung der Rekurskommission,
dass die Verwendung von smartvote.ch ein zulässiges indirektes Eingreifen in
Form einer Hilfeleistung darstellte.26
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Die Rekurskommission kam zum Schluss, dass weder Kandidaten noch Parteien durch die Verwendung von smartvote.ch benachteiligt wurden. Jeder
Kandidat habe dieselbe Möglichkeit gehabt, den Fragebogen von smartvote.ch
nach seiner politischen Einstellung auszufüllen. Eine Ungleichbehandlung
von Parteien mit wenig Kandidaten sei nicht ersichtlich. Zwar erhielten Parteien mit vielen Kandidaten tendenziell mehr Stimmen, falls die Wahlempfehlung von smartvote.ch unverändert übernommen werde. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Wähler die Wahlempfehlung nach ihrem Import noch
beliebig verändern konnte. Dem Wähler stand es frei, Kandidaten zu streichen, zu kumulieren und zu ersetzen. Auch konnte er sich nach dem Import
noch entscheiden, die für ihn generierte Wahlempfehlung mit einer Listenbezeichnung zu versehen oder gar nicht zu verwenden.27
Die Erziehungsdirektion verneinte ebenfalls eine Verletzung der Chancengleichheit. Sie fügte hinzu, dass es sich bei den Wahlberechtigten um Studierende handelte, die in der Lage gewesen sein sollten, das elektronische Wahlverfahren zu verstehen und ihrem politischen Willen mittels Stimmabgabe
adäquat Ausdruck zu verleihen.28
25
26
27
28
12
Entscheid der Rekurskommission (Fn. 16), Erwägungen 4.6 und 4.7.
Entscheid der Erziehungsdirektion (Fn. 16), Erwägung 2.f.
Entscheid der Rekurskommission (Fn. 16), Erwägung 4.8.
Entscheid der Erziehungsdirektion (Fn. 16), Erwägung 2.f.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
4.
Frage der Vereinbarkeit mit dem Proporz
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Auf den behaupteten Einfluss der Wahlhilfe smartvote.ch auf die Proporzwahl
gingen die Beschwerdeinstanzen nicht gesondert ein. Im Rahmen der Frage,
ob die Chancengleichheit verletzt sei, wurde jedoch von der Rekurskommission bemerkt, dass die massiven Verschiebungen der Parteistärken genauso
auf den markanten Anstieg der Stimmbeteiligung von 12% auf 22% sowie auf
die absolut noch immer geringe Stimmbeteiligung zurückgeführt werden könne.29 Die Erziehungsdirektion stufte die Bedeutung von smartvote.ch im Rahmen der gesamten Wahl als gering ein.30
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III. Quintessenzen aus dem Beschwerdeverfahren
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Das Beschwerdeverfahren im Zusammenhang mit der Wahl des StudentInnenrats der Universität Bern von 2005 zeigt mögliche juristische Schwierigkeiten
auf, die sich durch den Einsatz elektronischer Wahlhilfen ergeben können.
Das Besondere an dieser Wahl bestand darin, dass die Wahlhilfe mit dem Vote
électronique verknüpft wurde und Eingang in die offizielle Wahlanleitung
fand. Dadurch wurde die Wahlhilfe – als solche ein privates Angebot – zum
integrierenden Bestandteil des Wahlverfahrens.
In der Frage der gesetzlichen Grundlage waren die Beschwerdeinstanzen
erstaunlich grosszügig. Die Rekurskommission der SUB fragte nur danach, ob
gemäss Wahlreglement der SUB das Wahlbüro oder der StudentInnenrat über
den Einsatz der elektronischen Wahlhilfe zu entscheiden hatte. Offen blieb
dagegen die Frage, ob für den Einbezug der Wahlhilfe in das Wahlverfahren
überhaupt eine hinreichende gesetzliche Grundlage bestand. Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern stellte sich zwar diese Frage, kam aber zum
Schluss, dass für die elektronische Verknüpfung von Stimmabgabe und Wahlhilfen eine spezifische rechtliche Grundlage nicht erforderlich sei. Diese Auffassung wird zu hinterfragen sein.31
Im Hinblick auf die Wahl- und Abstimmungsfreiheit sahen beide Beschwerdeinstanzen kein verfassungsrechtliches Problem. Die Einbindung der elektronischen Wahlhilfe in das Wahlverfahren wurde als Hilfeleistung zur besseren Verwirklichung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit interpretiert. In keiner Weise zur Sprache kam dagegen die Frage, ob die verwendete Wahlhilfe
die Willensbildung verfälschte. Ob die Wahlhilfe genügend unabhängig war
29
30
31
Entscheid der Rekurskommission (Fn. 16), Erwägung 4.8.
Entscheid der Erziehungsdirektion (Fn. 16), Erwägung 2.f.
Dazu unten Kap. E.II.1.b.
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und in ihrer inhaltlichen Konzeption keine bestimmte politische Richtung
förderte, war kein Prozessthema. Die Frage nach möglichen Verzerrungen der
Willensbildung durch Wahlhilfen ist im Lichte der Wahl- und Abstimmungsfreiheit indessen von zentraler Bedeutung. Nachfolgend wird genauer darauf
einzugehen sein.32
Ausführlich zur Sprache kamen in den Beschwerdeentscheiden die Auswirkungen der elektronischen Wahlhilfe auf die Chancengleichheit der Kandidaten. Ein Verstoss gegen den Gleichbehandlungsanspruch wurde verneint,
weil die Wahlberechtigten die Möglichkeit hatten, die elektronische Wahlempfehlung noch beliebig zu verändern, und weil sie als genügend mündig
erachtet wurden, die Wahlhilfe zu verstehen und damit umzugehen.33
Unbeantwortet blieb dagegen die Frage, ob die Verwendung der elektronischen Wahlhilfe mit dem reglementarisch vorgesehenen Verfahren des Proporzes vereinbar war. Die Ausführungen zur Frage der Chancengleichheit der
Kandidaten lassen zwar vermuten, dass die Beschwerdeinstanzen im Einsatz
der Wahlhilfe keine Gefährdung für das Proporzsystem erblickten. Angesichts
der Möglichkeit, die individuelle Wahlempfehlung noch beliebig zu verändern, und im Vertrauen auf die Mündigkeit der Stimmberechtigten könnte man
sich in der Tat auf den Standpunkt stellen, dass Wahlhilfen das Proporzsystem
nicht tangieren. Dagegen liesse sich aber auch vorbringen, dass durch Wahlhilfen faktisch eben nicht Parteien mit ihren politischen Programmen, sondern
individuelle politische Präferenzen von Kandidaten für die Stimmabgabe entscheidend werden. Auch diese Problematik wird zu vertiefen sein.34
32
33
34
14
Dazu unten Kap. C.
Dazu unten Kap. C.II.3.d.
Dazu unten Kap. D.I.2.
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C. Beurteilung im Lichte der Wahl- und
Abstimmungsfreiheit
I.
Schutz vor unzulässiger Einflussnahme durch Private
1.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
Kriterien des Bundesgerichts
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Das in Art. 34 Abs. 2 BV garantierte politische Grundrecht der Wahl- und
Abstimmungsfreiheit verlangt grundsätzlich, «dass kein Abstimmungs- oder
Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger
zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt»35. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit schützt eine Vielzahl von Teilansprüchen, welche die bundesgerichtliche Rechtssprechung in Fortbildung der Verfassung entwickelt
hat. Im Hinblick auf das Angebot elektronischer Wahlhilfen im Vorfeld von
politischen Wahlen sind die Ansprüche auf Schutz vor unzulässiger Einflussnahme durch Private und Behörden von Bedeutung. Solange elektronische
Wahlhilfen wie politarena.ch oder smartvote.ch nicht mit dem Vote électronique verknüpft sind und auch sonst nicht mit dem Staat in Verbindung gebracht werden, ist lediglich der verfassungsrechtliche Schutz vor unzulässiger
Einflussnahme durch Private relevant.
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Die politische Meinungs- und Willensbildung ist primär Sache der gesellschaftlichen Akteure und steht unter dem Schutz ihrer Kommunikationsgrundrechte.36 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung steht es Privaten deshalb
frei, zu anstehenden Urnengängen Informationen zu verbreiten und in laufende Wahl- und Abstimmungskämpfe zu intervenieren. Selbst die Verbreitung
von falschen und irreführenden Angaben lässt sich, so verwerflich dies auch
immer sein mag, nicht völlig ausschliessen und ist daher in gewissem Ausmass in Kauf zu nehmen.37 Das Bundesgericht vertraut auf die Fähigkeit der
Stimmbürger, «Übertreibungen als solche zu erkennen und vernunftgemäss zu
entscheiden»38.
35
36
37
38
Statt vieler BGE 129 I 232 E. 4.2 S. 244.
BGE 98 Ia 73 E. 3b S. 79 f. BGE 125 II 497 E. 3b/bb S. 503. Aus der Lehre TSCHANNEN (1995),
Rz. 88; J.P. MÜLLER (1999), S. 361.
BGE 117 Ia 452 E. 3b S. 457.
BGE 98 Ia 73 E. 3b S. 80.
15
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Präzisierungen
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Auch für privates Verhalten in Wahl- und Abstimmungskämpfen gibt es
indessen verfassungsrechtliche Grenzen. Eine unzulässige Beeinflussung der
Willensbildung durch Private liegt gemäss Bundesgericht vor, «wenn mittels
privater Publikation in einem so späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren
und irreführenden Angaben in den Abstimmungskampf eingegriffen wird, dass
es dem Bürger nach den Umständen unmöglich ist, sich aus andern Quellen
ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen»39. In
diesen Fällen sind die Behörden zur Intervention aufgerufen, um dem
Grundrecht auf freie und unverfälschte Willensbildung Nachachtung zu verschaffen.
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Private wirken also in unzulässiger Weise auf die Willensbildung ein, wenn
sie im letzten Moment vor einer Wahl oder Abstimmung offensichtlich falsche
oder irreführende Informationen verbreiten. Dabei ist zu präzisieren, dass «offensichtlich falsch» nicht im Sinne von «erkennbar falsch» zu verstehen ist.
Wenn eine Falschinformation für jedermann erkennbar ist, kann sie die Stimmbürger auch nicht beeinflussen. «Offensichtlich» falsch muss demnach «eindeutig falsch» oder «klar falsch» heissen.
Auch hinsichtlich des zeitlichen Elements – der Beeinflussung kurz vor
dem Wahl- oder Abstimmungstermin – ist eine Präzisierung anzubringen: Mit
Blick auf eine freie und unverfälschte Willensbildung kann für eine unzulässige Einflussnahme seitens Privater nicht primär entscheidend sein, dass die
Falschinformation kurz vor dem Urnengang verbreitet wird. Entscheidend
muss vielmehr sein, dass die Falschinformation die Stimmberechtigten einseitig beeinflusst. Dies zeigt sich in der bundesgerichtlichen Aussage, wonach
eine Einwirkung unzulässig ist, wenn es «dem Bürger nach den Umständen
unmöglich ist, sich aus andern Quellen ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen»40.
39
40
16
BGE 119 Ia 271 E. 3c S. 274 mit Hinweisen (Hervorhebungen durch den Autor).
Im Übrigen kann das zeitliche Kriterium, wonach nur Einflussnahmen kurz vor dem Urnengang unzulässig sind, auch deshalb nicht entscheidend sein, weil viele Bürger kurz vor dem
Urnengang ihre Stimme bereits brieflich abgegeben haben (so BESSON [2003], S. 362).
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
2.
Gezielte Verfälschung der Willensbildung?
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Manipulationsgefahren
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Nach ihrer Konzeption sind elektronische Wahlhilfen darauf angelegt, die
Stimmbürger über die politische Haltung der Kandidaten zu informieren. Diese Information hat gerade zum Zweck, die Stimmbürger in ihrer Willensbildung zu beeinflussen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine solche Beeinflussung der Willensbildung durch sachliche politische Information grundsätzlich nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht 41. Die Macht, mittels
Informationen Meinungen zu machen, kann jedoch immer auch missbraucht
werden. Betreiber von elektronischen Wahlhilfen haben solche Macht, die mit
zunehmender Benutzerzahl grösser wird und für bestimmte politische Zwecke
gezielt missbraucht werden könnte.
Für den Verfassungsrechtler stellt sich die Frage, ob Missbräuche zu befürchten sind, welche die Verfassung verletzen und damit eine Intervention
des Staates rechtfertigen. Verfassungswidrige Missbräuche liegen wie gesehen
dann vor, wenn die Wählerschaft mittels eindeutigen Falschinformationen
einseitig beeinflusst wird.
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Die von einer elektronischen Wahlhilfe angebotenen Wahlempfehlungen werden aufgrund eines standardisierten Fragekatalogs generiert. Theoretisch ist
denkbar, diesen Fragekatalog so zusammenzustellen, dass bestimmte politische Richtungen und Parteien tendenziell bevorzugt oder benachteiligt werden. So könnte etwa eine nationalistisch gesinnte Partei voraussichtlich mehr
Stimmen erreichen, wenn im Bereich ihrer Extrempositionen, namentlich in
der Ausländerpolitik, keine oder nur wenig Fragen gestellt werden. Oder eine
kommunistische Partei würde unter Umständen breitere Wählerschichten gewinnen, wenn der Fragekatalog keine oder nur wenige wirtschaftspolitischen
Themen anspricht.
Neben solchen subtileren Methoden der Einflussnahme fallen aber auch
krude Fälschungen in Betracht. Einzelne Kandidaten könnten ausgetauscht
oder gestrichen werden, bevor die Wahlempfehlung dem Benutzer auf dem
Bildschirm angezeigt wird.
Eine weitere Manipulationsgefahr ist darin zu erblicken, dass eine Wahlhilfe einzelne Kandidaten oder Parteien diskriminiert, indem sie ihnen nicht
den gleichen Zugang gewährt.42 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn nicht
41
42
Dazu eingehender unten Kap. E.2.a.
Zum politischen Diskriminierungsverbot aufgrund von Art. 34 Abs. 2 BV HANGARTNER/KLEY
(2000), Rz. 2607.
17
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b.
Einseitige Beeinflussung der Willensbildung
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alle Kandidaten in gleicher Weise über die Benutzung einer Wahlhilfe informiert oder die ausgefüllten Fragebogen einzelner Kandidaten nicht berücksichtigt werden.
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Es ist nicht auszuschliessen, dass Betreiber von elektronischen Wahlhilfen
dereinst den Versuch unternehmen, mit den erwähnten Methoden den Wählerwillen zu verfälschen. Allerdings ist fraglich, ob solche Manipulationsversuche ihr Ziel, den Wählerwillen einseitig zu beeinflussen, auch tatsächlich
erreichen könnten. Was die tendenziöse Zusammenstellung von Fragebogen
betrifft, ist die Gefahr, dass der Wählerwille tatsächlich verzerrt wird, nicht
allzu hoch einzuschätzen. Eine Ausblendung oder allzu einseitige Gewichtung
von politischen Themen müsste von den Kandidaten und Wählern, die den
Fragebogen ausfüllen, in der Regel bemerkt werden. Auch den grossen Akteuren in einem Wahlkampf, den Medien und politischen Parteien, würden solche
Manipulationsversuche wohl kaum je entgehen.
Anders zu beurteilen ist die Gefahr, dass der Wählerwille mittels Fälschung von individuellen Wahlempfehlungen verzerrt wird. Abgesehen von
stümperhaften Fälschungen ist für den Wähler kaum erkennbar, ob seine Wahlempfehlung korrekt erstellt worden ist. Eine Überprüfung der Wahlempfehlung mit Hilfe von anderen Informationsquellen ist solange nicht möglich, als
nicht mehrere Wahlhilfen mit vergleichbaren Methoden auf dem Markt sind.
Erst wenn zwischen Wahlhilfen ein wirksamer Wettbewerb entsteht – wie
zwischen anderen Gefässen politischer Information – wird die kritische Öffentlichkeit in die Lage versetzt, ihre Wächterfunktion auch in Bezug auf
Wahlhilfen auszuüben. Zurzeit ist dies noch nicht der Fall, sind doch die
existierenden Wahlhilfen politarena.ch, smartvote.ch und wahlen.ch in ihren
unterschiedlichen Konzeptionen kaum vergleichbar. Solange diese Angebotssituation fortbesteht, lässt sich die Befürchtung, dass der Wählerwille durch
Fälschung von Wahlempfehlungen einseitig und mithin in unzulässiger Weise
beeinflusst wird, nicht von der Hand weisen.
Wie Fälschungen können auch diskriminierende Ausschlüsse von Kandidaten oder Parteien dazu führen, dass der Wählerwille einseitig beeinflusst
und damit verfälscht wird. Diese Gefahr besteht dann, wenn die Diskriminierung versteckt erfolgt. Verfassungsrechtlich inakzeptabel sind Wahlhilfen, die
politische Neutralität vorgeben, gleichzeitig aber nicht für alle Kandidaten
und Parteien gleich zugänglich sind. Dagegen kann es einer Wahlhilfe nicht
verwehrt sein, nur bestimmte Parteien zu berücksichtigen, wenn sie dies offen
deklariert. So wäre etwa eine erklärtermassen bürgerliche Wahlhilfe, die lediglich Wahlempfehlungen für Mitte-Wähler anbietet, verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Solche parteiischen Wahlhilfen rücken in die Nähe
18
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Transparenz von Wahlhilfen
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politischer Werbung, die als solche fester Bestandteil demokratischer Auseinandersetzung ist.43
3.
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Das Gesagte macht deutlich, dass die Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme auf die Willensbildung entscheidend von der Transparenz einer Wahlhilfe
abhängt. Die Stimmbürger sind leichter in die Irre zu führen, wenn sie im
Unklaren sind, welche Personen oder Gruppierungen hinter einer Wahlhilfe
stehen, wie eine Wahlhilfe finanziert wird und nach welchen Methoden die
Wahlempfehlungen erstellt werden.
Weiss dagegen der Stimmbürger in diesen Punkten Bescheid, kann er sich
entsprechend darauf einstellen. So wird er mit einer Wahlhilfe, die erkennbar
von einer politischen Partei oder einem Interessenverband angeboten oder
finanziert ist, anders umgehen als mit einer Wahlhilfe, die von einem politikwissenschaftlichen Verein ohne politische Sonderinteressen getragen ist. Gerade jene Stimmbürger, die eng mit einer Partei oder einer Interessenorganisation verbunden sind, haben unter Umständen ein Interesse an einer parteiischen Bewertung der Kandidaten.44 Solange die Parteilichkeit offen gelegt
ist, bestehen aus grundrechtlicher Sicht keine Einwände. Transparenz in Sachen Trägerschaft, Finanzierung und Methodik ist demnach das entscheidende Mittel, um Manipulationsgefahren vorzubeugen.45
Systembedingte Verfälschung der Willensbildung?
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Die Befürchtung, dass Betreiber von elektronischen Wahlhilfen gezielt auf die
Wahlentscheidungen der Stimmbürger Einfluss nehmen, mag unbegründet
sein. Auch abgesehen von Manipulationen im eigentlichen Sinn könnten sich
aber Bedenken ergeben, dass der Wählerwille durch Wahlhilfen verfälscht
wird. So liesse sich vorbringen, dass es keine objektive Methode gibt, eine
Wahlhilfe zu erstellen. Vielmehr ziehe die Wahl der Methode – gewollt oder
43
44
45
Politische Werbung durch Private geniesst den Schutz der Meinungsfreiheit. Vgl. EGMRE
VgT Verein gegen Tierfabriken c. Suisse vom 28. Juni 2001, Rec. 2001-VI, Ziff. 48 f. (zu
Art. 10 EMRK). Sodann BGE 127 I 84 E. 4b S. 88.
Beispiel einer Kandidatenbewertung im Internet, die von Interessenorganisationen angeboten
wird, ist das Parlamentarier-Rating der Umweltverbände auf www.umweltrating.ch.
Die Wahlhilfe smartvote.ch legt im Internet ihre Trägerschaft, Finanzierung und Methodik
offen. Die Wahlhilfe politarena.ch grundsätzlich ebenfalls, wobei allerdings die Methodik
nicht im Detail einsehbar ist. Noch weniger transparent ist die Wahlhilfe wahlen.ch, welche
die Methodik nicht offen legt.
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ungewollt – stets bestimmte politische Wertentscheidungen nach sich. Wahlhilfen würden demnach den Wählerwillen so oder so, also systembedingt,
verfälschen.
Gestaltungsspielräume bei der Konzeption einer Wahlhilfe
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Es ist einzuräumen, dass die Konzeption einer Wahlhilfe notwendig mit Gestaltungsspielräumen verbunden ist. Gestaltungsspielräume bestehen in erster
Linie im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des standardisierten Fragekatalogs, auf dessen Basis die Wahlempfehlungen erstellt werden. Die Herausforderung besteht einmal darin, das gesamte Spektrum politischer Angelegenheiten abzudecken, die während der kommenden Amtszeit voraussichtlich auf
die Agenda kommen. Dabei stellt sich die schwierige Frage, wie stark bestimmte Politikbereiche, beispielsweise die Sicherheitspolitik oder die Sozialpolitik, zu gewichten sind, d.h. wie viele Fragen in einem Politikbereich zu
stellen sind. Mit der Zuteilung von Fragen zu verschiedenen Politikbereichen
werden unvermeidlich Annahmen darüber getroffen, welche politischen Themen dem Stimmvolk wichtig sind.
Gestaltungsspielräume eröffnen sich sodann bei der Formulierung der einzelnen Fragen. Die Betreiber einer Wahlhilfe müssen nicht nur entscheiden,
welche Fragen sie stellen, sondern auch, wie konkret sie die Fragen stellen. So
bestehen etwa bedeutende Unterschiede zwischen folgenden Fragen, die womöglich stark unterschiedliche Zustimmungsraten erhalten, obwohl sie dasselbe energiepolitische Thema ansprechen:
– «Sind Sie für eine langfristig sichere und saubere Energieversorgung?»
– «Sind Sie für den Bau neuer Atomkraftwerke?»
– «Sind Sie für den Bau eines neuen Atomkraftwerkes in der Gemeinde X?»
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Damit wird deutlich, dass die Ausarbeitung eines standardisierten Fragekatalogs – sowohl hinsichtlich der Auswahl der politischen Themen als auch der
Formulierung der einzelnen Fragen – kein exakter Vorgang ist, sondern eine
Frage politikwissenschaftlicher Gestaltung.
Eine Frage der Gestaltung ist aber auch die Auswahl der Antworten, die
einerseits den Parteien bzw. Kandidaten, anderseits den Wählern vorgelegt
wird. Die Wahlhilfe politarena.ch bietet beispielsweise drei Antwortoptionen
an, nämlich «stimme zu» – «neutral» – «stimme nicht zu». Der Wähler kann
auch auf die Beantwortung einer Frage verzichten, indem er «keine Meinung»
anklickt. Zudem hat der Wähler die Möglichkeit, nach dem Ausfüllen des
Fragekatalogs einzelnen Fragen das doppelte Gewicht zu verleihen. Die Wahlhilfe smartvote.ch stellt dagegen vier Antwortoptionen zur Verfügung («ja» –
«eher ja» – «eher nein» – «nein»). Der Wähler kann mit der Option «egal»
ebenfalls von der Beantwortung einer Frage absehen. Auch eine Gewichtung
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der Fragen ist möglich, wobei drei Wichtigkeitsgrade unterschieden werden
(«sehr wichtig» – «normal» – «weniger wichtig»).
Diese Divergenzen von politarena.ch und smartvote.ch machen deutlich,
dass auch bei der Ausgestaltung der Antwortoptionen kreative Möglichkeiten
bestehen. Denkbar sind weitere Alternativen, etwa noch differenziertere Abstufungen der Antworten und Gewichtungen oder auch sog. «Killerantworten». Dabei könnte der Benutzer angeben, dass er Parteien oder Kandidaten,
die bestimmte Antworten geben, etwa die Antwort, Befürworter bzw. Gegner
eines EU-Beitritts der Schweiz zu sein, auf keinen Fall wählen will.
Im Unterschied zur Erstellung von Fragekatalogen mit Antwortoptionen
ist die Berechnung der individuellen Wahlempfehlungen primär Sache der
Mathematik. Die von smartvote.ch verwendete Berechnungsmethode soll dies
verdeutlichen:
1. Vorgängig werden den Antwortoptionen numerische Werte zugeteilt. Die
Antwort «ja» erhält den Wert 100, «eher ja» den Wert 75, «eher nein» den
Wert 25 und «nein» den Wert 0.
2. Auf der Basis der zugeteilten Werte wird für jede einzelne Frage die Übereinstimmung zwischen der Antwort des Wählers mit den Antworten der
Kandidaten berechnet. Antwortet der Wähler zum Beispiel mit «eher ja»,
ergibt sich in Bezug auf die Kandidaten, die ebenfalls mit «eher ja» geantwortet haben, eine Übereinstimmung von 100, in Bezug auf die Antwort
«ja» eine Übereinstimmung von 75, in Bezug auf die Antwort «eher nein»
eine Übereinstimmung von 50 und in Bezug auf die Antwort «nein» eine
Übereinstimmung von 25. Antwortet der Wähler mit «ja», ergibt sich in
Bezug auf die Kandidaten, die mit «nein» geantwortet haben, eine Übereinstimmung von 0, in Bezug auf die Kandidaten, die ebenfalls mit «ja»
geantwortet haben, dagegen eine Übereinstimmung von 100 + 50. Der Bonus von 50 ist notwendig um zu verhindern, dass es für einen Kandidaten
nicht vorteilhafter ist, keine klaren Positionen («ja» oder «nein») einzunehmen.46
3. Die für jede Frage ermittelten Übereinstimmungswerte werden zusammengezählt. Die Summe ergibt für jeden Kandidaten eine Gesamtpunktzahl.
Diese wird in Prozent der maximal möglichen Punktzahl ausgedrückt. Anhand dieser Prozentwerte wird dann die individuelle Wahlempfehlung erstellt.
46
Ohne Bonus wäre die durchschnittlich zu erwartende Übereinstimmung bei der Antwort «ja»
(wie auch bei der Antwort «nein») 50% (200/4), bei den «eher»-Antworten dagegen 62.5%
(250/4). Mit dem Bonus beträgt die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung in beiden Fällen
62.5%.
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Zu dieser Berechnungsmethode sind keine Alternativen ersichtlich, welche
die Übereinstimmung der Kandidaten- und Wählerantworten noch genauer
berechnen könnte. Dies ändert indessen nichts daran, dass die Konzeption
einer Wahlhilfe in bedeutendem Masse gestalterische Anteile enthält, vor allem, was die Ausarbeitung des standardisierten Fragekatalogs betrifft. Insofern trifft der Einwand zu, dass es für die Konzeption einer Wahlhilfe keine
einzig richtige, objektive Methode gibt.
Daraus folgt jedoch nicht tel quel, dass Wahlhilfen den Wählerwillen
systembedingt verfälschen. Denn für die Aufgabe, die Wahlhilfen erfüllen,
gibt es generell keine objektiven Methoden. Es handelt sich um die Aufgabe,
die politischen Präferenzen der Wähler in einen konkreten Wahlentscheid zu
übersetzen. Diese Übersetzungsarbeit – die eigentliche Willensbildung – erfolgt im Normalfall, d.h. in Wahlkämpfen, wie sie traditionell geführt werden,
keineswegs präziser als mittels Wahlhilfen im Internet.
Vergleich mit der Willensbildung im Normalfall
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Ein Vergleich mit der Willensbildung im Normalfall hat sich an jenen Wählern
zu orientieren, die – wie grundsätzlich die Benutzer von Wahlhilfen – gewillt
sind, ihren Wahlentscheid soweit möglich an politischen Präferenzen auszurichten und von traditioneller Verbundenheit oder erworbener Sympathie zu
Parteien und Kandidaten zu abstrahieren. Die Willensbildung solcher Wähler
ist in der realen Demokratie häufig unausgewogen und Zufälligkeiten ausgesetzt.47
Zum einen werden nicht wenige dieser Wähler eine nicht besonders konkrete Vorstellung von ihren Präferenzen haben, eine Vorstellung, die auf ein
paar, als wichtig empfundene politische Fragen bezogen ist. Gestützt auf solche allgemeinen und unvollständigen Vorstellungen treffen sie ihre Wahlentscheide. Zum anderen sind die Wähler, um die politischen Präferenzen der
Kandidaten in Erfahrung zu bringen, auf die Darstellungen und Empfehlungen von Medien, Parteien, Interessenverbänden und anderen intermediären
Institutionen angewiesen. Diese Informationen sind bereits vorselektioniert.
Eine weitere Selektion nehmen die Wähler selber vor, indem sie bestimmte
Zeitungen lesen, bestimmte Parteiveranstaltungen besuchen oder auf die Ratschläge bestimmter Verbände hören. Die Wähler kommen nicht darum herum,
47
22
Zu den Motiven des Wahlentscheids LINDER (2005), S. 70 ff., insbesondere S. 71: Für den
Wahlentscheid der schweizerischen Wählerschaft erweisen sich sozialpsychologische Faktoren, die sich im frühen Erwachsenenalter herausbilden, als die einflussreichsten. Sodann zum
Wahlverhalten bei nationalen Wahlen in der Schweiz LUTZ/SELB (2006), S. 441 ff. Zu den
Erfolgsfaktoren für eine Wahl BALSIGER/ROTH (2007), S. 76 ff.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Verfälschung der Willensbildung bei mangelhafter Qualität
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aus dem unüberschaubaren Angebot politischer Information eine Auswahl zu
treffen. Diese Auswahl ist tendenziell umso beschränkter und einseitiger, je
weniger sich jemand für die Willensbildung Zeit nehmen kann. Das Bild der
Kandidaten, das die Wähler ihren Wahlentscheiden zugrunde legen, ist also im
Normalfall kein Selbstbild der Kandidaten, sondern ein Bild, das mehrfach
vermittelt ist, und zwar durch intermediäre Institutionen wie auch durch die
Wähler selber.
Somit ist davon auszugehen, dass viele Wähler, die ihren Wahlentscheid
nach politischen Präferenzen ausrichten wollen, im Normalfall Entscheide
treffen, ohne genau über das eigene politische Profil und dasjenige der Kandidaten im Bild zu sein. Niemandem käme es deswegen in den Sinn, von einer
Verfälschung der Willensbildung zu sprechen. Umso weniger kann von einer
verfälschten Willensbildung die Rede sein, wenn elektronische Wahlhilfen
benutzt werden, die darauf angelegt sind, die politischen Präferenzen von
Wählern und Kandidaten möglichst präzis zu ermitteln und miteinander zu
vergleichen.
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Das Gesagte gilt jedenfalls für Wahlhilfen, die wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen genügen. Ist demgegenüber eine Wahlhilfe schlecht gemacht,
ist eine unzulässige Beeinflussung des Wählerwillens keineswegs ausgeschlossen.
So ist eine Verzerrung der Willensbildung zu befürchten, wenn der standardisierte Fragebogen gewisse politische Themen ausblendet oder unangemessen gewichtet. Verzerrungen sind auch dann absehbar, wenn nicht genügend
Fragen gestellt werden.48 Sodann wird die Willensbildung verfälscht aufgrund
von suggestiven Fragen wie beispielsweise: «Sind Sie für den Bau eines neuen Atomkraftwerkes in der Gemeinde X im Interesse einer langfristig sicheren
und sauberen Energieversorgung?»49. Eine Verfälschung der Willensbildung
ist ferner möglich, wenn die Methode zur Berechnung der Übereinstimmung
von Wähler- und Kandidatenantworten ungenau ist. Im Übrigen können sich
beim Betrieb einer Wahlhilfe aufgrund von Nachlässigkeit, Unvermögen oder
48
49
Die Wahlhilfe politarena.ch stellt für die eidgenössischen Wahlen 2007 27 Fragen. Die Wahlhilfe smartvote.ch stellt 73 Fragen und bietet eine Kurzversion von 36 Fragen an. Zudem
macht smartvote.ch darauf aufmerksam, dass die Wahlempfehlung umso repräsentativer ist,
je mehr Fragen der Benutzer beantwortet.
Vgl. BGE 106 Ia 20 E. 3 S. 27: Das Bundesgericht erachtete folgende Abstimmungsfrage als
suggestiv und damit als unzulässig: «Wollen Sie den zuständigen Behörden empfehlen, im
Interesse der Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung, die Errichtung des Kernkraftwerks
Kaiseraugst zu bewilligen?»
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informationstechnischen Pannen ganz einfach Fehler einschleichen: der Fragebogen wird nicht allen Kandidaten zugestellt, die Antworten werden falsch
übertragen, die Übereinstimmungswerte werden unsauber ermittelt, usw.
Solange allfällige Qualitätsmängel einer Wahlhilfe nicht ein signifikantes
Ausmass annehmen, verlangt die Verfassung kein Einschreiten der Behörden.
Selbst wenn eine Wahlhilfe grobe Qualitätsmängel aufweist, sind die Behörden nicht ohne weiteres zur Intervention aufgerufen. Erst wenn die groben
Mängel für die Wahlhilfebenutzer und die Öffentlichkeit nicht ohne weiteres
erkennbar sind, ist staatliches Handeln gefragt. Erst in diesen Fällen besteht
die Gefahr, dass die Benutzer ihre Willensbildung einseitig auf eine mangelhafte Wahlhilfe ausrichten. Vor allem Fehler im Zusammenhang mit der Auswertung der Fragebogen und der Berechnung der individuellen Wahlempfehlung können von Aussenstehenden selbst dann nicht leicht bemerkt werden,
wenn sie grober Natur sind. Auch in diesem Zusammenhang ist aber festzuhalten, dass es kaum noch zu verfassungswidrigen Verfälschungen der
Willensbildung kommen wird, wenn mehrere Wahlhilfen mit vergleichbaren
Angeboten in Konkurrenz zueinander stehen, so dass die Öffentlichkeit eine
effektive Qualitätskontrolle ausüben kann.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist demzufolge entscheidend, dass privat
betriebene elektronische Wahlhilfen minimale Qualitätskriterien erfüllen. Erst
wenn eine Wahlhilfe grobe Qualitätsmängel aufweist, die überdies nicht leicht
erkennbar sind, muss mit Verfälschungen der politischen Willensbildung gerechnet werden. Ansonsten ist die Einflussnahme von Wahlhilfen auf die
Willensbildung unter dem Gesichtspunkt der Wahl- und Abstimmungsfreiheit
unbedenklich. Die Behauptung, dass Wahlhilfen den Wählerwillen systembedingt verzerren, ist somit nicht haltbar.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
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II. Schutz vor unzulässiger Einflussnahme durch den Staat
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Elektronische Wahlhilfen sind private Angebote mit dem Zweck, die Willensbildung der Stimmbürger qualitativ zu verbessern oder ganz einfach politische
und kommerzielle Werbung zu betreiben. Angesichts von Nutzen und Gefahren für die Wahl- und Abstimmungsfreiheit und andere Rechtsgüter könnte
sich der Staat veranlasst sehen, elektronische Wahlhilfen in irgendeiner Weise
zu regulieren. Als Förderungsmassnahme steht in erster Linie zur Diskussion,
Wahlhilfen mit dem offiziellen Wahlverfahren, namentlich mit dem Vote électronique zu verbinden. Sodann ist vorstellbar, dass Bund und Kantone Wahlhilfen finanziell unterstützen. Um Manipulationsgefahren zu bekämpfen und
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Staatliche Einflussnahme vor Abstimmungen
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die Qualität von Wahlhilfen sicherzustellen, bietet sich eine staatliche Aufsicht über private Wahlhilfen an, zum Beispiel in Form einer Bewilligungspflicht.
Welche Regulierungsmassnahmen sich empfehlen, wird in Kap. E. zu diskutieren sein. An dieser Stelle ist zu fragen, inwieweit die Wahl- und Abstimmungsfreiheit einer staatlichen Regulierung von Wahlhilfen Schranken
setzt. Zunächst sei in Erinnerung gerufen, unter welchen Voraussetzungen die
Verfassung eine staatliche Einflussnahme auf die politische Willensbildung
zulässt. Dabei ist zwischen Interventionen im Hinblick auf Abstimmungen
und Interventionen im Hinblick auf Wahlen zu differenzieren.
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Das Bundesgericht geht im Grundsatz von einem Verbot staatlicher Intervention vor Abstimmungen aus. Die Behörden sollen sich prinzipiell aus Abstimmungskämpfen heraushalten. Nur ausnahmsweise, wenn «triftige Gründe»
vorliegen, dürfen Behörden im Vorfeld eines Urnengangs intervenieren.50 Triftige Gründe ergeben sich allgemein aus der Notwendigkeit, Verzerrungen der
Willensbildung entgegenzutreten.51 Konkret hat das Bundesgericht triftige
Gründe vor allem bejaht, wenn irreführende private oder behördliche Informationen im Abstimmungskampf eine Richtigstellung erfordern 52 oder wenn die
Komplexität des Abstimmungsgegenstandes Zusatzinformationen notwendig
macht.53 In all diesen Fällen sind die Behörden zur Information nicht nur
berechtigt, sondern auch verpflichtet.54
In der Lehre ist die «Grundsatz-Ausnahme-Formel» des Bundesgerichts
auf Kritik gestossen. Zu Recht wird ins Feld geführt, dass Information in
erster Linie eine wesentliche Voraussetzung und nicht eine Einschränkung des
politischen Diskurses ist. Entsprechend könne nicht die Frage im Vordergrund
stehen, ob Behörden an Abstimmungskämpfen teilnehmen dürfen. Vielmehr
sei der Fokus auf die Frage zu legen, in welcher Art und Weise die Behörden
teilnehmen sollen, um den Stimmbürgern eine möglichst freie und kompetente
Wahrnehmung ihrer politischen Rechte zu ermöglichen.55 Die Bundesgerichtspraxis hält dagegen nach wie vor am grundsätzlichen Interventionsverbot fest,
50
51
52
53
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55
Statt vieler BGE 119 Ia 271 E. 3b S. 273.
Vgl. PIERRE TSCHANNEN (2007), S. 660.
BGE 116 Ia 466 E. 4a S. 469, E. 6a S. 472.
BGE 114 Ia 427 E. 4c S. 433 f.
BGE 129 I 232 E. 4.2.1 S. 244.
Zum Ganzen DECURTINS (1992), S. 272 ff.; TSCHANNEN (1995), Rz. 634 ff.; STEINMANN (1996),
S. 268; G. MÜLLER (1996), S. 258 ff.; J.P. MÜLLER (1999), S. 370 f.; SCHWAB (2001), S. 169 ff.;
BESSON (2003), S. 141 ff.
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Staatliche Einflussnahme vor Wahlen
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attestiert den Behörden vor Abstimmungen aber immerhin eine «gewisse Beratungsfunktion»56. So hält das Bundesgericht Abstimmungserläuterungen generell für zulässig, wenn sie objektiv und hinreichend vollständig sind.57 Weiter geht ein kürzlich erschienenes Gutachten des Bundesamtes für Justiz, das
eine verfassungsrechtliche Pflicht des Bundesrats annimmt, die Stimmbürger
über die Abstimmungsvorlagen hinreichend zu informieren und den Standpunkt der Bundesversammlung darzulegen.58
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58
BGE 129 I 244 E. 4.2.1 S. 244.
BGE 105 Ia 151 E. 3a S. 153 mit Hinweisen. Sodann BGE 119 Ia 271 E. 3b S. 273 und E. 4a
S. 275 f.; 129 I 244 E. 4.2.1 S. 244.
Bundesamt für Justiz, Gutachten vom 4. Dezember 2006, in: VPB 2007.1, insbesondere
S. 4 f., 8.
Statt mehrerer BGE 118 Ia 259 E. 3 S. 262 (Hervorhebung durch den Autor).
BGE 113 Ia 291 E. 3b S. 296; 117 Ia 452 E. 3c S. 457; 118 Ia 259 E. 3 S. 262; 124 I 55 E. 2a
S. 57 f.; BGE vom 31. August 2000, in: ZBl 2001 188 E. 3b S. 190.
Statt vieler BGE 124 I 55 E. 2a S. 57 f.
TSCHANNEN (1995), Rz. 195; HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 2604, 2607; BESSON (2003),
S. 122.
BGE 118 Ia 259 E. 3 S. 262 f.; BGE vom 5. Mai 2000, in: ZBl 2001 148 E. 2b S. 150.
BGE 113 Ia 291 E. 3c S. 297.
BGE 97 I 893 E. 4 und 5 S. 896 ff.; 105 Ia 91 E. 4a S. 95; 113 Ia 291 E. 3c S. 297.
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In Bezug auf Wahlen geht das Bundesgericht ebenfalls von einem grundsätzlichen Interventionsverbot aus. Eine Intervention des Staates kommt ausnahmsweise in Frage, «wenn sie im Interesse der freien und unverfälschten
Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als unerlässlich erscheint»59.
Gleichzeitig spricht das Gericht den Behörden vor Wahlen – anders als vor
Abstimmungen – jede Beratungsfunktion ab.60 Den amtierenden Behörden
fehlt die Legitimation, die Stimmberechtigten im Hinblick auf die Wahl der
nachfolgenden Amtsträger politisch zu beraten. Es sei «zu verhindern, dass
sich der Staat im Wahlkampf auch nur indirekt in den Dienst parteiischer
Interessen stellt»61. Dies findet darin Ausdruck, dass amtliche Wahlempfehlungen generell verboten sind.62
In seiner Entscheidpraxis erachtet das Bundesgericht folgende behördlichen Interventionen als unerlässlich, um die freie und unverfälschte Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler sicherzustellen: die Richtigstellung irreführender privater Wahlpropaganda, sofern sie die Willensbildung
verfälscht 63, die Veröffentlichung von Wahlvorschlägen sowie der Druck und
die Verteilung von Wahlzetteln64, die Bereitstellung öffentlichen Grundes für
Unterschriftensammlungen und politische Kundgebungen 65 sowie Informatio-
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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BGE vom 15. Oktober 1997, in: ZBl 1998 415 E. 2b S. 417 f. und 3b S. 418 f.; BGE vom
5. Mai 2000, in: Pra 2000 755 E. 2b S. 758 f.
BGE 113 Ia 291 E. 3f/aa S. 299; 124 I 55 E. 5 S. 62 ff. Zur staatlichen Parteifinanzierung
anlässlich von Wahlen (2000), Rz. 2611 ff.
BGE 117 Ia 452 E. 4 f. S. 458 ff.; BGE vom 5. Juli 1995, in: ZBl 1996 222 E. 2a S. 222; BGE
vom 31. August 2000, in: ZBl 2001 188 E. 3c S. 191.
BGE vom 31. August 2000, in: ZBl 2001 188 E. 4i S. 197.
Vgl. Bericht über die Unterstützung der politischen Parteien, in: BBl 1989 I 125 S. 208 f.
BGE 113 Ia 291 E. 3c S. 297.
In diese Richtung auch STEINMANN (1996), S. 266 f.: In der Entscheidpraxis «kommt zum
Ausdruck, dass bei Wahlen ein Informationsbedürfnis bestehen und den (Fach-)Behörden eine
gewisse Beratungsfunktion zukommen kann». – Man kann die bundesgerichtliche Praxis auch
dahingehend interpretieren, dass mit dem Beratungsverbot lediglich ein Verbot von Politikberatung im engen Sinn gemeint ist.
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nen über das Wahlverfahren in ungewöhnlichen Konstellationen66. Daneben
hat das Bundesgericht aber in einer Reihe von Entscheiden staatliche Informationen und Unterstützungsmassnahmen im Hinblick auf Wahlen als verfassungskonform beurteilt, obwohl sie für die Willensbildung und Willensbetätigung keineswegs notwendig waren. So erlaubt das Gericht unter strengen
Voraussetzungen die indirekte Unterstützung von politischen Parteien, insbesondere staatliche Beiträge an Wahlkampfinserate und Wahlkampagnen sowie
an die Druckkosten der Wahllisten.67 Sodann betrachtet das Gericht unter
besonderen Umständen gewisse Auskünfte über die Qualifikation einzelner
Kandidaten als zulässig.68 Ferner hielt das Gericht die Abgabe einer amtlichen
Wahlanleitung für die Wahl eines kantonalen Verfassungsrats zwar nicht als
unerlässlich, jedoch als wünschbar.69
Namentlich Beiträge an Wahlkampfinserate und Wahlkampagnen von politischen Parteien sind keineswegs eine conditio sine qua non demokratischer
Willensbildung. Im Bund wie auch in den allermeisten Kantonen werden keine solchen Beiträge ausgerichtet 70, ohne dass deshalb die freie und unverfälschte Willensbildung vor Wahlen gefährdet wäre. Hingegen sind staatliche
Wahlkampfbeiträge allenfalls geeignet, die Qualität der Willensbildung zu
stärken, indem sie zu einer ausgewogeneren Informationslage führen. Das
Bundesgericht spricht vom «Interesse einer lebendigen Demokratie»71. Dies
zeigt deutlich, dass staatliche Interventionen im Hinblick auf Wahlen auch
dann gerechtfertigt sein können, wenn sie für die politische Willensbildung
einen Nutzen bringen.
Damit ist auch mit Blick auf Wahlen nicht das «Ob», sondern vielmehr das
«Wie» einer staatlichen Intervention ausschlaggebend.72 Für behördliche Interventionen im Zusammenhang mit Wahlen gilt ein strenges Gleichbehandlungsgebot: Die Intervention muss mit Bezug auf die politische Willensbildung neutral sein, d.h. sie darf nicht einzelne Kandidaten oder Parteien und
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Zurechenbarkeit von Wahlhilfen zum Staat
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Gruppierungen bevorzugen oder benachteiligen.73 Soweit die Intervention in
Form staatlicher Information erfolgt, verlangt das Bundesgericht zudem, dass
diese so objektiv wie möglich ist sowie von der Aufmachung und vom Ton her
sachlich erscheint.74 Die Gebote der Neutralität sowie der Objektivität und
Sachlichkeit werden die massgebenden Kriterien sein, um staatliche Regulierungen elektronischer Wahlhilfen auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu
beurteilen.
Mittelbare Eingriffe in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit
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Die Frage, ob der Staat in zulässiger Weise auf die politische Willensbildung
Einfluss nimmt, stellt sich erst dann, wenn die Tätigkeit elektronischer Wahlhilfen dem Staat zugerechnet werden kann. Grundrechtsdogmatisch gesprochen muss ein staatlicher Eingriff in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit vorliegen.
BGE 124 I 55 E. 2a S. 58; BGE vom 31. August 2000, in: ZBl 2001 188 E. 3b S. 190. Sodann
bereits BGE 113 Ia 291 E. 3b S. 297; 118 Ia 259 E. 3 S. 262. Aus der Lehre WIDMER (1989),
S. 220 ff.; RAMSEYER (1992), S. 57 ff.
BGE vom 5. Juli 1995, in: ZBl 1996 222 E. 3 S. 223 ff. Zudem verlangt das Gericht, dass eine
staatliche Intervention in Bezug auf den Einsatz öffentlicher Mittel verhältnismässig bleibt
(ZBl 1996 222 E. 4 S. 225 f.).
Zur Figur des mittelbaren Grundrechtseingriffs M. MÜLLER/MÜLLER GRAF (1995), S. 389 ff.;
WEBER-DÜRLER (1998), S. 71. Sodann TSCHANNEN (1999), S. 409 f., der indes die Qualifikation
«mittelbar» für unnötig hält.
TSCHANNEN (2007), S. 136 f.; KIENER/KÄLIN (2007), S. 83.
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Für den Fall, dass die Staatsverwaltung selber, etwa ein Forschungsinstitut
einer öffentlichen Universität, eine elektronische Wahlhilfe betreibt, liegt offensichtlich ein Eingriff in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit vor. Schwieriger zu beantworten ist die Eingriffsfrage, wenn der Staat privat angebotene
Wahlhilfen in irgendeiner Weise reguliert. In solchen Fällen hat sich der Staat
unter Umständen für privates Handeln grundrechtlich zu verantworten. Mit
anderen Worten könnte ein mittelbarer Eingriff in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit gegeben sein.75
Im Folgenden ist zu prüfen, ob der Staat in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit eingreift, wenn er elektronische Wahlhilfen reguliert. Allgemein ist
ein Grundrechtseingriff zu bejahen, wenn staatliches Handeln grundrechtlich
vermittelte Ansprüche verkürzt.76 Zwischen der staatlichen Handlung und der
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Verknüpfung mit dem Vote électronique und andere
Förderungsmassnahmen
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Auswirkung auf grundrechtliche Ansprüche muss ein hinreichender Kausalzusammenhang gegeben sein, d.h. die staatliche Handlung muss in vorhersehbarer Weise Grundrechtspositionen schmälern.77 Bezogen auf die vorliegende
Konstellation bedeutet dies: Der Staat greift in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit ein, wenn sein Handeln vorhersehbar dazu führt, dass von Wahlhilfen
ein (zusätzlicher) Einfluss auf die politische Willensbildung ausgeht.
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Als staatliches Handeln, das in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit eingreifen
könnte, steht zuvorderst eine Verknüpfung elektronischer Wahlhilfen mit dem
Vote électronique zur Diskussion. Gemeint ist nicht einfach ein Link von der
Wahlhilfeseite auf die offizielle Wahlseite im Internet. Vielmehr soll mit der
Verknüpfung die Möglichkeit geschaffen werden, die individuelle Wahlempfehlung direkt in den amtlichen Wahlzettel zu importieren, wie dies für die
Wahlen des StudentInnenrats der Universität Bern im Jahr 2005 angeboten
wurde.78 Eine solche Verknüpfung von Wahlhilfe und Vote électronique erfordert technische Anpassungen der offiziellen Wahlseite und damit staatliches
Handeln.
Eine Wahlhilfe, die auf die beschriebene Weise mit der elektronischen
Stimmabgabe verknüpft wird, vermag voraussichtlich mehr Wirkung zu entfalten. Die Stimmberechtigten werden von der Mühe entlastet, die von der
Wahlhilfe empfohlenen Namen der Kandidaten selber auf den amtlichen Wahlzettel zu übertragen. Auch wenn diese Erleichterung als geringfügig erscheint,
ist sie geeignet, die Benutzung einer Wahlhilfe attraktiver zu machen. Viele
Stimmbürger sind angesichts von Zeitknappheit und im Bewusstsein des geringen Einflusses ihrer einzelnen Stimme bestrebt, ihre politischen Rechte
möglichst effizient wahrzunehmen. Entsprechend könnte die Möglichkeit, die
Empfehlung einer Wahlhilfe automatisch in den amtlichen Wahlzettel übertragen zu lassen, in vielen Fällen für die Stimmabgabe ausschlaggebend sein.
Die Verknüpfung einer Wahlhilfe mit dem Vote électronique ist daher nicht
bloss eine technische Massnahme, sondern eine Massnahme mit Förderungscharakter.
Demzufolge sind alle Voraussetzungen für einen Eingriff in die Wahl- und
Abstimmungsfreiheit erfüllt: Staatliches Handeln (Verknüpfung einer Wahl-
77
78
Gemeint ist objektive Vorhersehbarkeit im Sinne adäquater Kausalität. Zum Kriterium der
Vorhersehbarkeit M. MÜLLER/MÜLLER GRAF (1995), S. 391 f.; WEBER-DÜRLER (1998), S. 88 f.,
91; TSCHANNEN (1999), S. 418 f.
Dazu oben Kap. B.I.1.
29
Bernhard Rütsche
Staatliche Bewilligung von Wahlhilfen
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hilfe mit dem Vote électronique) trägt dazu bei (Förderungscharakter der Verknüpfung), dass die politische Willensbildung beeinflusst wird (Berücksichtigung der Wahlempfehlungen durch die Stimmberechtigten). Der Einfluss, den
eine Wahlhilfe auf die politische Willensbildung hat, ist also dem Staat zuzurechnen, wenn er diese Wahlhilfe mit dem Vote électronique verknüpft.79
Diese Zurechenbarkeit gilt für alle staatlichen Massnahmen, die auf eine
Förderung elektronischer Wahlhilfen abzielen. Als alternatives Förderungsmittel ist etwa denkbar, dass die Wähler individuelle Wahlempfehlungen aus
dem Internet ausdrucken und als gültige Wahlzettel abschicken können. Dies
würde eine Revision jener Gesetzesbestimmungen erfordern, die nur das handschriftliche Ausfüllen bzw. Ändern von amtlichen Wahlzetteln als gültig anerkennen.80 In Frage kommen sodann Hinweise auf Wahlhilfen in offiziellen
Wahlanleitungen oder direkte Links von offiziellen Wahlseiten im Internet auf
Wahlhilfen.81 In Betracht zu ziehen sind ferner finanzielle Beiträge an Entwicklung und Betrieb von Wahlhilfen.82
Vgl. BGE 113 Ia 291 E. 3e S. 298: Das Bundesgericht beurteilte die staatliche Finanzierung
von Wahlinseraten politischer Parteien als indirekte Intervention einer Behörde in den Wahlkampf. Die Inserate waren nur von den Parteien unterzeichnet und aus den Inseraten selbst
war nicht ersichtlich, dass die Gemeinde ihre Bezahlung übernommen hatte. Entscheidend
war indessen, dass die staatliche Finanzierung geeignet war, die freie Meinungsbildung zu
beeinflussen.
Etwa Art. 5 Abs. 1 und 2 BPR (Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen
Rechte; SR 161.1).
Keine Förderung von Wahlhilfen wären dagegen Links von offiziellen Wahlseiten auf
Internet-Seiten von politischen Parteien, die ihrerseits wiederum auf Wahlhilfen verweisen.
Keine Förderung von Wahlhilfen wären dagegen staatliche Beiträge an die Erforschung von
Wahlhilfen als Phänomen der elektronischen Demokratie.
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Als staatliche Regulierungsinstrumente fallen nicht nur Förderungsmassnahmen in Betracht, sondern auch Kontrollmittel, die den mit elektronischen
Wahlhilfen verbundenen Manipulationsgefahren Rechnung tragen sollen. Als
Kontrollmittel ist unter anderem eine Bewilligungspflicht für den Betrieb einer
Wahlhilfe ins Auge zu fassen. Mit Hilfe einer Bewilligungspflicht liesse sich
insbesondere überprüfen, ob eine Wahlhilfe gesetzlich festgelegten Transparenz- und Qualitätsanforderungen genügt. Die Frage ist, ob die Bewilligung
einer Wahlhilfe bedeutet, dass die Auswirkungen dieser Wahlhilfe auf die
Wahl- und Abstimmungsfreiheit dem Staat zuzurechnen sind.
Man könnte argumentieren, dass der Staat einer bewilligten Wahlhilfe gewissermassen sein Gütesiegel verleiht und deshalb für deren Tätigkeit Verant-
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Politische Neutralität und hohe Qualität von Wahlhilfen
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wortung zu übernehmen hat.83 Eine derartige Argumentation ist jedoch im
Ansatz verfehlt. Mit der Bewilligung einer privaten Tätigkeit bestätigt der
Staat, dass dieser Tätigkeit keine öffentlichen Interessen oder Drittinteressen
entgegenstehen. Der Staat setzt gegenüber demjenigen, der eine Bewilligung
beantragt, den Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder Dritter durch.
Wenn schon greift der Staat dadurch in Grundrechte des Gesuchstellers ein,
und wenn schon schützt er Grundrechte von Dritten.
Der Staat, der eine private Tätigkeit bewilligt, übernimmt folglich keine
Verantwortung für diese Tätigkeit, sondern Verantwortung für jene Rechtsgüter, deren Schutz die Bewilligungspflicht bezweckt. Die bewilligte Tätigkeit kann dem Staat somit nicht zugerechnet werden.84 Das bedeutet, dass die
Auswirkungen einer Wahlhilfe auf die politische Willensbildung dem Staat
nicht zurechenbar sind, wenn er diese Wahlhilfe bewilligt. Es liegt in solchen
Fällen kein mittelbarer Eingriff in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit vor.
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Wir sind von der Frage ausgegangen, ob der Staat in unzulässiger Weise in die
Wahl- und Abstimmungsfreiheit eingreift, wenn er elektronische Wahlhilfen
reguliert. Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, dass der Staat im Hinblick auf Wahlen grundsätzlich intervenieren darf, um die Qualität der politischen Willensbildung zu verbessern. Dabei gilt ein strenges Gleichbehandlungsgebot. Die staatliche Intervention muss politisch neutral sein, d.h. sie
darf nicht einzelne Kandidaten und Parteien bevorzugen oder benachteiligen.
Darüber hinaus muss die Intervention den Geboten der Objektivität und Sachlichkeit entsprechen.
Wenn der Staat in irgendeiner Weise elektronische Wahlhilfen fördert, insbesondere indem er sie mit der elektronischen Stimmabgabe verknüpft, interveniert er in den Wahlkampf. Es liegt ein Eingriff in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit vor. Dies hat zur Folge, dass staatlich geförderte Wahlhilfen den Geboten der politischen Neutralität sowie der Objektivität und
Sachlichkeit entsprechen müssen. Anders gesagt: Der Staat darf nur Wahl-
83
84
In diese Richtung geht der Bericht des EJPD vom 24. April 2006 «Sterbehilfe und Palliativmedizin – Handlungsbedarf für den Bund?», auf www.bj.admin.ch, S. 46: Der Staat legitimiert die Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen, indem er ein Aufsichtsgesetz mit Bewilligungspflichten erlässt.
In diese Richtung auch WEBER-DÜRLER (1998), S. 73: «Offensichtlich an die Grenze der
Zurechnung gehen Drittbeeinträchtigungen, bei denen der Staat das Verhalten des Dritten
bloss ermöglicht.» Als Beispiele werden Bewilligungen zu gesteigertem Gemeingebrauch
sowie bau- oder umweltrechtliche Genehmigungen bzw. Erlaubnisse genannt.
31
Bernhard Rütsche
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hilfen unterstützen, die politisch neutral sind, so objektiv wie möglich ausgestaltet sind und sachlich erscheinen. Ansonsten greift er verfassungswidrig in
Wahlkämpfe ein.
Unabhängigkeit der Wahlhilfe
Vgl. oben Kap. C.II.1.b.
Die Wahlhilfe politarena.ch wird von der «Coop-Zeitung» getragen. Coop vertritt als Detailhandelsunternehmen besondere Interessen und ist deshalb als «Interessengruppe» zu qualifizieren. Die Wahlhilfe wahlen.ch wird von der privaten Beratungsfirma «BfK (Büro für Kommunikation) Mediendienste» in Wohlen (Aargau) angeboten und als online-Werbeplattform
genutzt. Eine solche Wahlhilfe, deren Betrieb primär durch kommerzielle Interessen motiviert
ist, dürfte vor dem Gebot politischer Neutralität ebenso wenig standhalten. Anders steht es im
Fall der Wahlhilfe smartvote.ch, die von einem Verein mit politikwissenschaftlichen Zielsetzungen («Politools – Political Research Network» mit Sitz in Bern) getragen wird.
Die Wahlhilfe smartvote.ch wird neben Medienpartnern von den teilnehmenden Parteien und
Kandidaten finanziert. Dabei wird pro gewähltem Kandidat ein bestimmter Betrag bezahlt.
Eine solche Finanzierungsmethode wäre wohl mit dem Gebot der politischen Neutralität
vereinbar.
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Das Kriterium der politischen Neutralität ist bedeutend restriktiver als das
Kriterium, wonach Private nicht mit eindeutig falschen Informationen die
Willensbildung einseitig beeinflussen dürfen. Politische Neutralität setzt voraus, dass eine elektronische Wahlhilfe von politischen Parteien und Interessengruppen unabhängig ist, und zwar in organisatorischer, personeller und
finanzieller Hinsicht.
Zunächst wäre das Erfordernis der Unabhängigkeit offensichtlich verletzt,
wenn staatliche Institutionen selber eine Wahlhilfe anbieten würden. Der Staat
würde damit Politikberatung vor Wahlen betreiben, was gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung in keinem Fall vor der Wahl- und Abstimmungsfreiheit standhält 85. Aber auch Wahlhilfen mit privater Trägerschaft genügen
nur dann dem Gebot politischer Neutralität, wenn weder politische Parteien
noch Gruppen oder Personen, die bestimmte politische Interessen repräsentieren, an ihnen beteiligt sind.86 Sodann ist zu fordern, dass zumindest die Entscheidungsträger einer privaten Wahlhilfe nicht Mitglieder von politischen
Parteien oder Interessengruppen sind. Ferner muss gewährleistet sein, dass
eine private Wahlhilfe nicht einseitig finanziert wird durch Gruppen oder
Personen mit politischen Interessen. Falls jedoch eine Wahlhilfe von allen
politischen Parteien oder von allen Kandidaten, die an einer Wahl teilnehmen,
in gleicher Weise finanziert wird, ist unter dem Gesichtspunkt der politischen
Neutralität nichts einzuwenden.87
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32
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
b.
Gleichbehandlung von Wahlhilfen
Chancengleichheit der Kandidaten
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Das Erfordernis politischer Neutralität verlangt sodann die Gleichbehandlung
aller Wahlhilfen, welche die beschriebenen Unabhängigkeitskriterien erfüllen.
Der Grund liegt darin, dass es für die Erstellung einer Wahlhilfe keine objektiven Methoden gibt, sondern unterschiedliche Modelle vorstellbar sind, um
den Stimmbürgern zu einer an politischen Inhalten orientierten Wahl zu verhelfen.88
Mit der Privilegierung einer Wahlhilfe würde der Staat zugunsten eines
bestimmten Wahlhilfemodells Stellung beziehen. Dadurch könnte bei der
Stimmbürgerschaft der falsche Eindruck entstehen, die privilegierte Wahlhilfe
ermögliche eine exakt ermittelte, objektiv richtige Stimmabgabe. Die Folge
wäre eine unrealistische Einschätzung dessen, was eine Wahlhilfe leisten kann,
und damit verbunden die Gefahr, dass sich Wähler nur noch auf die Wahlhilfe
verlassen und andere Quellen politischer Willensbildung ausser Acht lassen.
Auch dies kann die Willensbildung verfälschen. Zudem könnten die Weiterentwicklung der privilegierten Wahlhilfe und die Entwicklung alternativer
Wahlhilfemodelle gebremst werden.
Aus diesen Gründen stünde jegliche Privilegierung einer Wahlhilfe mit
dem Gebot politischer Neutralität und folglich mit der Wahl- und Abstimmungsfreiheit in Widerspruch. Verfassungswidrig wären nicht nur einseitige
Förderungsmassnahmen, sondern insbesondere auch die staatliche Beteiligung
an einer Wahlhilfe, ganz zu schweigen vom staatlichen Betrieb einer Wahlhilfe.
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Ferner fragt sich, ob elektronische Wahlhilfen nicht die Chancengleichheit der
Kandidaten beeinträchtigen. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit schützt nicht
nur das aktive Wahlrecht der Stimmbürger, sondern auch das passive Wahlrecht der Kandidaten einer politischen Wahl. Ein Aspekt davon ist der Anspruch der Kandidaten auf Gleichbehandlung. Dieser Anspruch wurde in den
Beschwerden gegen die Wahl des StudentInnenrats der Universität Bern von
2005 eingeklagt. Danach habe die Wahlhilfe smartvote.ch Parteien mit wenig
Kandidaten benachteiligt. Die Beschwerdeinstanzen hielten dagegen die Rüge
für unbegründet, weil es möglich war, die Wahlempfehlung nach dem Import
in die offizielle Wahlseite noch beliebig zu verändern, namentlich einzelne
Kandidaten zu streichen, zu kumulieren, zu ersetzen sowie eine Listenbezeichnung anzubringen.89
88
89
Dazu oben Kap. C.I.3.a.
Dazu oben Kap. B.II.3.
33
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Hohe Anforderungen an die Qualität
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Diesem Argument ist zuzustimmen. Die Wähler sind für mündig genug zu
halten, eine individuelle Wahlempfehlung im Lichte ihrer politischen Präferenzen zu würdigen und gegebenenfalls anzupassen. Das bedeutet umgekehrt,
dass die Verknüpfung von Wahlhilfe und Vote électronique mit dem Gleichbehandlungsgebot in Konflikt geraten würde, wenn die individuelle Wahlempfehlung vom Benutzer nicht mehr veränderbar wäre. Dasselbe gilt mutatis
mutandis, wenn der Benutzer die ausgedruckte Wahlempfehlung als gültigen
Wahlzettel abschicken kann. Die Wahlempfehlung muss in diesem Fall vor
dem Ausdruck noch beliebig modifiziert werden können.
Zu bemerken ist, dass Wahlhilfen im Gegenteil die Chancengleichheit der
Kandidaten auch steigern können. Wahlhilfen, die wie smartvote.ch auf die
Selektion von Kandidaten ausgerichtet sind, verbessern tendenziell die Wahlchancen von Kandidaten auf den hinteren Plätzen der Parteilisten. Innerhalb
einer Wahlhilfe werden alle Kandidaten gleich behandelt, unabhängig von
Bekanntheitsgrad, finanziellen Ressourcen und Medienpräsenz.90
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Neben dem Erfordernis der politischen Neutralität hat eine vom Staat geförderte Wahlhilfe wie erwähnt den Erfordernissen der Objektivität und Sachlichkeit zu genügen. Daraus ergeben sich hohe Massstäbe in Bezug auf die
Qualität einer geförderten Wahlhilfe. Zwar existiert für die Konzeption einer
Wahlhilfe keine objektive im Sinne einer einzig richtigen Methode. Vielmehr
ist die Konzeption einer Wahlhilfe eine kreative Aufgabe.91 Dem Erfordernis
der Objektivität ist indessen Genüge getan, wenn eine Wahlhilfe mit grosser
wissenschaftlicher Sorgfalt erstellt und betrieben wird.
Das Erfordernis der Sachlichkeit verlangt eine nüchterne Gestaltung der
Wahlhilfe. Die Wahlhilfeseite sollte insbesondere nicht mit Werbung, Wettbewerben, Spielen und anderen Marketing-Instrumenten versehen sein. Beispiel
für eine Wahlhilfe, die dem Gebot der Sachlichkeit nicht genügen würde, ist
wahlen.ch. Diese Seite enthält politische und kommerzielle Werbung, präsentiert jeweils einen «Kandidaten des Tages» und bietet Live-Chats mit Kandidaten, ein Polit-Quiz sowie eine Umfrage zur Parteienkompetenz an.
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91
34
LADNER/FIVAZ (2006), S. 9.
Dazu oben Kap. C.I.3.a.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Funktion der Parteien im Wahlverfahren (Proporz)
1.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
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I.
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D. Spannungsverhältnis zwischen Wahlhilfen und Parteien
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Elektronische Wahlhilfen geraten nicht nur unter dem Aspekt der Wahl- und
Abstimmungsfreiheit ins Blickfeld der Verfassung. Auch in institutioneller
Hinsicht sind Wahlhilfen ein verfassungsrechtliches Thema. Die Bundesverfassung wie auch kantonale Verfassungen kennen eine Reihe von Garantien,
die den politischen Parteien sowohl im Wahlverfahren als auch in der parlamentarischen Arbeit eine besondere Funktion zuweisen.
Als erstes gilt es zu untersuchen, ob Wahlhilfen mit der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien im Wahlverfahren vereinbar sind. Falls die Benutzung von Wahlhilfen bei einem Grossteil der Stimmbürger zu einer spürbaren
Personalisierung des Wahlentscheids führt, werden unter Umständen die Parteien in ihrer Rolle bei der politischen Willensbildung zurückgedrängt. Eine
solche Tendenz könnte mit Blick auf verfassungsrechtliche Garantien des Parteiensystems problematisch sein. Im Folgenden werden diese Garantien zunächst in Kürze rekapituliert. Danach wird gefragt, welche Auswirkungen der
Einsatz von Wahlhilfen voraussichtlich auf das verfassungsrechtlich vorgesehene Wahlverfahren hat. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Auswirkungen auf den Proporz. Im Wissen um diese Auswirkungen lässt sich dann
diskutieren, welche rechtlichen Konsequenzen sich für die Ausgestaltung von
Wahlhilfen ergeben.
Mitwirkung an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes
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Die Bundesverfassung von 1999 enthält, anders als ihre Vorgängerinnen, einen allgemeinen Artikel über die politischen Parteien.92 Art. 137 BV hält lapidar fest, dass die politischen Parteien an der Meinungs- und Willensbildung
des Volkes mitwirken. Eine Reihe von Kantonsverfassungen kennen ähnliche
Bestimmungen zugunsten der politischen Parteien und schaffen darüber hinaus Grundlagen für die staatliche Unterstützung von Parteien.93
92
93
Der Parteienartikel war im bundesrätlichen Vorschlag über die Reform der Volksrechte als
Art. 127a enthalten (Botschaft über eine neue Bundesverfassung, in: BBl 1997 I 635). Die
vorberatende Kommission des Nationalrats beantragte die Aufnahme des Artikels in die
Bundesverfassung (vgl. AB 1998 N 45 [Votum Fritschi, Berichterstatter]).
Z.B. Art. 65 KV/BE (Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993; SR 131.212) oder
Art. 54 KV/SG (Verfassung des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2001; SR 131.225).
35
Bernhard Rütsche
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Die Mitwirkung an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes sowohl
in Bezug auf Sachentscheide als auch auf Wahlen gehört zu den zentralen
Aufgaben der politischen Parteien.94 Indem die Verfassung diese staatsbezogene Aufgabe ausdrücklich verankert, anerkennt sie die Parteien selber als
tragende Institutionen der Demokratie und als Bestandteil der verfassungsmässigen Ordnung.95
Proporz
Dazu eingehend GRUNER (1977), S. 11 f., 215 ff.; SCHMID (1981), insbesondere S. 23 ff., 143.
SCHMID/SCHOTT (2002), Rz. 13.
Vgl. Bericht über die Unterstützung der politischen Parteien, in: BBl 1989 I 131, 145, 147,
154; Botschaft über eine neue Bundesverfassung, in: BBl 1997 382. Aus der Literatur
KUPPER (1995), S. 2; AUBERT (2003), N 4, insbesondere Fn. 4.
BGE 118 Ia 415 E. 6c S. 420 mit Hinweisen. Aus der Literatur TSCHANNEN (1995), Rz. 208;
HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 650.
Vgl. Art. 40 ff. BPG.
Zum Zusammenhang zwischen der Forderung, dass die Parteien an der Willensbildung
des Volkes mitwirken, und dem Proporz auch das deutsche Bundesverfassungsgericht in
BVerfGE 95, 335 (349 f.) – Überhangsmandate II.
Dazu die Übersicht bei HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 1419 f.
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Die Aufgabe der politischen Parteien, an der Meinungs- und Willensbildung
des Volkes mitzuwirken, ist insbesondere bei Verhältniswahlen, dem Proporz,
gefragt. Der Proporz läuft ins Leere ohne Parteien im Sinne politischer Organisationen mit dem Ziel, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen.96
Ziel des Proporzes ist gerade, dass die verschiedenen politischen Kräfte
eines Gemeinwesens entsprechend ihrem Wähleranteil im Parlament vertreten sind.97
Dieses Ziel politischer Konkordanz wird verfahrenstechnisch erreicht, indem die in einer Wahl zu vergebenden Mandate in einem ersten Schritt auf die
Listen der politischen Parteien und erst in einem zweiten Schritt auf die Kandidaten verteilt werden.98 Das System des Proporzes erscheint damit als prozedurale Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes, dass die Parteien an
der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitwirken.99 Auf Bundesebene
gilt der Proporz gemäss Art. 149 Abs. 2 BV für die Nationalratswahl. Auch die
meisten kantonalen Parlamente werden mittels Proporz bestellt.100
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
2.
Vereinbarkeit von Wahlhilfen mit dem Proporz?
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Elektronische Wahlhilfen können primär oder ausschliesslich darauf angelegt
sein, dem Benutzer politische Parteien oder Listen zu empfehlen. Dies ist der
Fall für die schweizerische Wahlhilfe politarena.ch sowie für die ausländischen Wahlhilfen stemwijzer.nl, wahl-o-mat.de und wahlkabine.at. Wahlhilfen dieses Typs stehen im Einklang mit dem Proporzsystem. Sie kommen dem
Wähler beim ersten Schritt der Proporzwahl zu Hilfe, d.h. bei der Auswahl der
Liste. Im Unterschied dazu überspringen Wahlhilfen, die auf die Auswahl von
Kandidaten fokussiert sind, mit ihren Wahlempfehlungen den ersten Schritt
der Listenauswahl. Damit stellt sich die Frage, ob solche Wahlhilfen mit dem
Proporz vereinbar sind.
Zulässigkeit von freien Wahllisten und Panaschieren
Faktische Aushebelung des Proporzes
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Der Proporz ist ein verfassungsrechtlicher Grundsatz und bedarf der Konkretisierung auf Gesetzesstufe. Die einschlägigen Gesetze über die politischen
Rechte auf eidgenössischer und kantonaler Ebene sehen vor, dass die Stimmberechtigten nicht an die vorgedruckten Wahllisten gebunden sind und dadurch völlige Freiheit in der Kandidatenauswahl geniessen.101 So lässt Art. 35
BPR zu, dass die Stimmberechtigten Wahlzettel ohne Listenbezeichnung
(«freie Wahllisten») benutzen und auf Wahlzetteln mit Listenbezeichnung beliebig Kandidatennamen aus anderen Listen eintragen («panaschieren»).
Damit eröffnet der Gesetzgeber den Wählern die Möglichkeit, auf die Auswahl einer bestimmten Liste zu verzichten und sich auf die Selektion von
Kandidaten zu konzentrieren. Genau diese Möglichkeit nutzen jene Wahlhilfen, die Kandidaten und nicht Listen empfehlen. Solche Wahlhilfen stehen
daher in Einklang mit dem Gesetzesrecht. Die Frage ist aber, ob sie auch mit
dem Proporz als Verfassungsgarantie vereinbar sind.
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Als Verfassungsgarantie verlangt der Proporz, dass die Mandate primär nach
Listen verteilt werden. Die Mandatsverteilung nach Listen wird durch Wahlhilfen, die Kandidaten empfehlen, nicht in Frage gestellt. Auch wenn die
Stimmberechtigten von der Listenzugehörigkeit abstrahieren und direkt Kandidaten wählen, werden die Mandate nach wie vor im Sinne des Proporzes
101
Die Auswahlfreiheit bildet seit Anbeginn des Proporzes in der Schweiz einen festen Bestandteil des Wahlsystems (vgl. GEORG MEYER, Das parlamentarische Wahlrecht, hrsg. von
Georg Jellinek, Verlag O. Haering, Berlin 1901, S. 636).
37
Bernhard Rütsche
Dies gilt allerdings nur für das in der Schweiz weitgehend praktizierte System der «Einzelstimmenkonkurrenz» (vgl. auf Bundesebene Art. 39 Bst. e BPR). Dagegen steht in einem
System der «Listenstimmenkonkurrenz» dem Wähler nur eine Listenstimme zur Verfügung.
Das Panaschieren hat in diesem Fall keinen Einfluss auf die Listenstimmenzahlen und damit
auf die Mandate der Parteien. Näheres zu den beiden Systemen POLEDNA (1988), S. 277 ff.;
HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 655, 1440 f.
Ein einfaches Rechenbeispiel soll dies verdeutlichen: In einem Wahlkreis sind 4 Sitze zu
vergeben. Die Wähler benutzen alle die freie Wahlliste. Kandidat A erhält 10 Stimmen,
B 9 Stimmen, C 8 Stimmen, D 7 Stimmen, E 6 Stimmen und die Kandidaten F, G und H je
5 Stimmen. A, B und C gehören zur Liste X, D bis H zur Liste Y. Nach der Berechnungsmethode Hagenbach-Bischoff (vgl. Art. 40 f. BPR) erhalten Liste X und Liste Y je zwei Sitze.
Gewählt sind damit die Kandidaten D und E, obwohl sie weniger Stimmen bekommen haben
als Kandidat C.
HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 650.
Zum Majorz als Persönlichkeitswahl im Unterschied zum Proporz als Partei- oder Programmwahl KÖLZ (1987), S. 14, 49; TSCHANNEN (1995), Rz. 286; HANGARTNER/KLEY (2000),
Rz. 651.
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nach Listen verteilt, d.h. auch die Stimmen für Kandidaten auf freien Wahllisten sowie für panaschierte Kandidaten werden in einem ersten Schritt als
Listenstimmen gezählt und erst in einem zweiten Schritt den betreffenden
Kandidaten zugeschlagen.102
Indem der Proporz eine Mandatsverteilung nach Listen verlangt, setzt er
voraus, dass auch die Stimmen nach Listen abgegeben werden. Die Stimmbürger sollen in erster Linie zwischen Listen und nicht zwischen einzelnen Kandidaten auswählen. Ein Gedankenexperiment mag dies verdeutlichen: Angenommen, sämtliche Wähler eines Gemeinwesens würden die freie Wahlliste
verwenden. Ein solches Stimmverhalten würde zum Ausdruck bringen, dass
die Listenzugehörigkeit der Kandidaten im Kalkül der Wähler keine Rolle
spielt. Das Wahlverfahren des Proporzes würde damit dem tatsächlichen Wählerverhalten nicht mehr gerecht. Es würde den Wählern eine Orientierung an
Parteien und ihren Programmen unterstellen, die in Realität gar nicht vorhanden ist. Vor dem Hintergrund, dass die Stimmbürger Personen und nicht Listen
wählen, käme die Mandatsverteilung nach Listen einer eigentlichen Verfälschung der Stimmabgabe gleich. Denn die Mandatsverteilung nach Listen
kann zur Folge haben, dass bestimmte Kandidaten trotz höherem Stimmenanteil als gewählte Kandidaten keinen Sitz bekommen;103 dieser Effekt ist
umso stärker, je mehr Sitze in einem Wahlkreis zu vergeben sind.104 Konsequenterweise müsste auf ein Wahlsystem umgestellt werden, das die Wählerstimmen unmittelbar den Kandidaten zuweist, sprich: auf die Mehrheitswahl
(Majorz).105
Aus dieser Sicht erscheinen die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten,
freie Wahllisten zu verwenden und zu panaschieren, als Abweichungen vom
Grundgedanken des Proporzes. Denn dadurch nimmt der Gesetzgeber in Kauf,
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Rechtliche Konsequenzen für Wahlhilfen
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dass eine Kategorie von Wählern entsteht, die ihren Wahlentscheid an Personen und nicht an Parteilisten ausrichten. Solche Abweichungen vom Proporzgedanken stehen zwar im Dienst der Auswahlfreiheit der Wähler und lassen
sich insofern als Ausnahmen rechtfertigen.106 Wird jedoch in der demokratischen Praxis die Ausnahme zur Regel, ist der Proporz nicht mehr das adäquate
Wahlsystem. Der Proporz widerspiegelt dann nicht mehr die Stimmgewohnheiten der Wähler, was Verzerrungen der Stimmabgabe mit sich bringt. Der
Gesetzgeber bereitet demnach mit der Erlaubnis, freie Wahllisten zu verwenden und zu panaschieren, selber den Boden, dass das Proporzsystem faktisch
ausgehebelt wird.
Damit wird ersichtlich, dass die ratio des Proporzes nur solange trägt, als
das Stimmvolk mindestens in seiner Mehrheit primär Parteien und nicht Persönlichkeiten wählt. Davon kann ausgegangen werden, solange die Wähler
nur ausnahmsweise freie Wahllisten einwerfen und nur ausnahmsweise panaschieren.107 Werden indessen die Verwendung freier Wahllisten und das Panaschieren zur Regel, wird der Proporz faktisch unterlaufen. Elektronische
Wahlhilfen, die Kandidaten und nicht Listen empfehlen, könnten einer solchen Entwicklung Vorschub leisten. Denn die Empfehlungen solcher Wahlhilfen werden nur selten Kandidaten einer einzigen Liste enthalten. Gewöhnlich kommt der Wähler deshalb nicht umhin, die freie Wahlliste zu verwenden
oder zumindest zu panaschieren, wenn er die Wahlempfehlung befolgen
will.108 Wahlhilfen sind damit geeignet, das Wählerverhalten in eine Richtung
zu verändern, die dem Proporz die realen Voraussetzungen entzieht.
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Mit der Feststellung, dass elektronische Wahlhilfen, die Kandidaten empfehlen, in ihrer Tendenz das Proporzsystem untergraben, ist noch nichts über die
rechtlichen Konsequenzen gesagt. Die verfassungsrechtliche Garantie des
Proporzes wie auch der Grundsatz, dass die politischen Parteien an der
Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitwirken, richten sich an die
staatlichen Aufgabenträger und begründen zulasten der Privaten keine direk-
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POLEDNA (1988), S. 254 erachtet den Grundsatz der Auswahlfreiheit im Sinne der Freiheit
der Kandidatenauswahl als Ausfluss der Wahl- und Abstimmungsfreiheit. – Dagegen ist
einzuwenden, dass die Auswahlfreiheit eine Frage des Wahlsystems ist und die Wahl- und
Abstimmungsfreiheit kein bestimmtes Wahlsystem vorgeben kann.
Gemäss Bundesamt für Statistik betrug der Anteil echter Panaschierstimmen bei den Nationalratswahlen 2003 13.9% (Bundesamt für Statistik, Nationalratswahlen 2003, Übersicht
und Analyse, Neuenburg 2007, S. 54).
Zur Steigerung von Panaschierstimmen durch smartvote.ch BALSIGER/ROTH (2007), S. 54.
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Bernhard Rütsche
Prohibitive Massnahmen gegen Wahlhilfen?
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ten Pflichten. Die Verfassung schreibt den privaten Akteuren in Wahl- und
Abstimmungskämpfen, zu denen private Betreiber von Wahlhilfen gehören, in
keiner Weise vor, nach welchen Kriterien sie ihren Willen zu bilden haben.
Die Frage ist indessen, ob die Verfassung den Staat, d.h. in erster Linie den
Gesetzgeber, verpflichtet oder zumindest berechtigt, dafür zu sorgen, dass die
politischen Parteien in Wahlverfahren eine effektive Rolle spielen können.
Falls dem so ist, müsste der Gesetzgeber prohibitive Massnahmen in Betracht
ziehen gegen Wahlhilfen, welche auf die Auswahl von Kandidaten gerichtet
sind und dadurch die Funktion der politischen Parteien in Wahlverfahren gefährden.
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Ein Einschreiten des Gesetzgebers gegen Wahlhilfen, welche die Funktion der
politischen Parteien in Wahlverfahren gefährden, wäre eine Form der Parteienunterstützung. Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 137 BV ergibt
sich, dass diese Bestimmung keine Grundlage für die Finanzierung von politischen Parteien abgeben sollte.109 Damit kann Art. 137 BV auch nicht für
andere staatlichen Massnahmen zur Unterstützung der Parteien herangezogen
werden. Die Bundesverfassung erlaubt dem Gesetzgeber nur Förderungsmassnahmen, die sich auf eine spezifische Kompetenzgrundlage abstützen, etwa
auf Kompetenzen im Steuerrecht oder in der Parlamentsorganisation (indirekte Parteienförderung).110
In Frage kommt vorliegend die Kompetenz des Bundes gemäss Art. 39
Abs. 1 BV, die Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten, unter anderem das Verfahren für die Wahl des Nationalrats, zu
regeln. Gestützt darauf wäre es dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen,
die Verwendung freier Wahllisten nicht mehr zuzulassen, das Panaschieren
einzuschränken bzw. zu verbieten oder mittels anderen prozeduralen Vorkehrungen einer Schwächung der Parteien im Wahlverfahren vorzubeugen. Zwar
würde dadurch die Freiheit der Stimmberechtigten in der Kandidatenauswahl
beschnitten oder sogar aufgehoben. Solche Einschränkungen der Auswahl-
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Vgl. AB 1998 S 120 (Votum Frick, Berichterstatter). Dagegen noch Art. 127a Abs. 2 des
bundesrätlichen Vorschlags über die Reform der Volksrechte (Botschaft über eine neue
Bundesverfassung, in: BBl 1997 I 635).
Ebenso SCHMID/SCHOTT (2002), Art. 137 BV, Rz. 14 f. Anders AUBERT (2003), N 3 ff.: Danach bietet Art. 137 BV zwar keine Grundlage für die Parteienfinanzierung. Eine solche
ergebe sich jedoch aus Art. 149 BV, der den Proporz vorsieht und damit die Notwendigkeit
von Parteien anerkennt.
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freiheit wären indessen durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Proporzes abgedeckt.111
Im Unterschied zum Bund brauchen Kantone keine verfassungsmässige
Kompetenzgrundlage, um Unterstützungsmassnahmen zugunsten der politischen Parteien zu ergreifen. Insofern wäre es dem kantonalen Gesetzgeber
nicht verwehrt, an die Adresse von elektronischen Wahlhilfen Regelungen zu
erlassen, welche die politischen Parteien in ihrer Rolle im Wahlverfahren
schützen. Allerdings wären solche Regelungen zulasten von Wahlhilfen aus
grundrechtlicher Sicht nicht haltbar. Die Tätigkeit von Wahlhilfen fällt in den
Schutzbereich der Meinungsfreiheit.112 Mit einem Verbot oder einer sonstigen
Einschränkung der Tätigkeit von Wahlhilfen, welche die Rolle der politischen
Parteien im Wahlverfahren gefährden, würde der Staat Meinungen bestimmten Inhalts unterdrücken. Solche Präventiveingriffe in die Meinungsfreiheit
sind nur zum Schutz fundamentaler Rechtsgüter zulässig, etwa zum Schutz
des Lebens, der Persönlichkeit oder der militärischen Sicherheit.113 Dagegen
kann der Schutz politischer Parteien mit Bestimmtheit kein zulässiges Eingriffsmotiv sein.
Verzicht auf Förderungsmassnahmen
Anders POLEDNA (1988), S. 254, wonach sich ein Abrücken vom System des Panaschierens
und Kumulierens zu starren Listen hin verfassungsrechtlich nur dann rechtfertigen liesse,
wenn als Ausgleich das Wahlvorschlagsverfahren demokratisiert würde. Das würde konkret
bedeuten, dass die Parteien ihre Kandidaten in demokratischen Verfahren, d.h. in Urabstimmungen oder Mitgliederversammlungen, nominieren (dazu SCHMID [1981], S. 156 ff.). –
Erstens hat jedoch diese Forderung nach innerparteilicher Demokratie sowohl in einem
Proporzsystem mit freier als auch mit starrer Liste ihre volle Berechtigung (vgl. Art. 21
Abs. 1 Satz 3 GG; Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland). Zweitens steht der
Grundsatz des Proporzes als solcher der Auswahlfreiheit entgegen. Denn auch in einem
System mit freier Liste sind die Wähler nicht wirklich frei in der Kandidatenauswahl. Um
die Wahlchancen für einen bevorzugten Kandidaten zu maximieren, sind die Wähler
nämlich faktisch gezwungen, ihre Stimmen möglichst bei der Liste dieses Kandidaten zu
bündeln. – Das deutsche Bundesverfassungsgericht erachtet den Entscheid für ein System
mit starrer Liste zu Recht nicht als Verstoss gegen die Wahlfreiheit, sondern als Frage
der näheren Ausgestaltung der Wahlrechtsausübung (BVerfGE 7, 63 [69 f.] – Listenwahl;
49, 253 [283] – Gemeindeparlamente).
Dazu eingehender unten Kap. E.I.2.a.
Vgl. J.P. MÜLLER (1999), S. 194 f.
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Die Verfassung verbietet somit Bund und Kantonen, gegen elektronische
Wahlhilfen prohibitive Massnahmen zu ergreifen, um politische Parteien im
Wahlverfahren zu schützen. Das Anliegen des Parteienschutzes kann für den
Gesetzgeber jedoch ein Grund sein, auf Förderungsmassnahmen zugunsten
von Wahlhilfen zu verzichten, insbesondere von einer Verknüpfung mit dem
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Vote électronique abzusehen. Eine staatliche Förderung von Wahlhilfen, die
Kandidaten und nicht Listen empfehlen, würde in der Tat mit dem Grundgedanken des verfassungsrechtlich verankerten Proporzes in Konflikt geraten.
Demgegenüber wäre eine Förderung von Wahlhilfen, die auf das Proporzsystem Rücksicht nehmen, mit der verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien kompatibel. In Betracht fällt daher eine Förderung von Wahlhilfen, die den Proporz simulieren, indem sie die Benutzer sowohl in der
Listenauswahl als auch in der Kandidatenauswahl unterstützen.
An den Berner StudentInnenratswahlen von 2005 wurde insofern auf den
Proporz Rücksicht genommen, als nach dem Import der Wahlempfehlung in
die offizielle Wahlseite angegeben wurde, welcher Liste wie viel Stimmen
zukommen. Auch wenn solche Transparenz begrüssenswert ist, reicht sie alleine kaum aus, um alle Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Proporz auszuräumen. Die Wahlhilfe smartvote.ch geht indessen weiter, indem
sie den Benutzern neben der Kandidatenauswahl anbietet, sich eine Liste
empfehlen zu lassen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch ist allerdings, dass die Listenempfehlung nicht die Standardeinstellung ist, sondern
eine Option, die der Benutzer nach der Beantwortung der Fragen anklicken
muss. Zudem wird die Listenempfehlung nicht auf der Basis der offiziellen
Parteilinie, sondern des durchschnittlichen Antwortverhaltens aller Kandidaten einer Liste erstellt. Es käme dem Proporzgedanken näher, wenn die Partei
oder politische Gruppierung, die eine Liste aufgestellt hat, in Übereinstimmung mit ihrem Parteiprogramm selber beschliesst, wie auf die Fragen der
Wahlhilfe zu antworten ist.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
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II. Funktion der Parteien im Parlament (Fraktionen)
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Wie im Wahlverfahren spielen die politischen Parteien in der parlamentarischen Arbeit eine Schlüsselrolle. Diese Rolle wird im Verfassungsrecht
entsprechend anerkannt. Auf Bundesebene sieht Art. 154 BV vor, dass die
Mitglieder der Bundesversammlung Fraktionen bilden können. Einzelne kantonale Verfassungen kennen analoge Bestimmungen.114
114
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Etwa Art. 84 Abs. 2 KV/GL (Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 1988; SR 131.217);
Art. 81 Abs. 4 KV/BE.
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Fraktionen
Verfassung und politische Repräsentation
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Fraktionen sind die organisatorischen Plattformen der politischen Parteien im
Parlamentsbetrieb115 und damit gewissermassen das Spiegelbild der Parteilisten im Wahlverfahren. Die Bildung von Fraktionen ist insofern konsequent,
als sich die Wähler im Proporz an politischen Parteien orientieren. Vor diesem
Hintergrund lässt sich sagen, dass Fraktionen durch den Proporz vorgegeben
sind.116
Stellung, Organisation und Aufgaben der Fraktionen sind in Gesetzen näher geregelt, auf Bundesebene im Parlamentsgesetz.117 Art. 31 Bst. h ParlG
bezeichnet die Fraktionen als Organe des Parlaments. Eine Fraktion setzt sich
zusammen aus den Ratsmitgliedern gleicher Parteizugehörigkeit bzw. aus Mitgliedern ähnlicher politischer Ausrichtung118 und kann gebildet werden, wenn
ihr aus einem der beiden Räte mindestens fünf Mitglieder beitreten.119 Die
Stärke der einzelnen Fraktionen ist ausschlaggebend für die Zusammensetzung der parlamentarischen Kommissionen und die Zuteilung der Kommissionspräsidien.120 Den Fraktionen kommt die Aufgabe zu, die Ratsgeschäfte
vorzubereiten,121 sowie das Recht, parlamentarische Initiativen, Vorstösse, Anträge und Wahlvorschläge einzureichen und zu vertreten.122 In der parlamentarischen Praxis dienen Fraktionen zudem als politische Aktionsbasis der Ratsmitglieder, die als Einzelne nur wenig Wirkung zu entfalten vermöchten.123
Insgesamt leisten damit die Fraktionen einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren des Parlamentsbetriebs und insbesondere zur Strukturierung des parlamentarischen Diskurses.
Dazu SCHMID (1981), S. 50 ff.
So bereits Initiative der Fraktionspräsidentenkonferenz des Nationalrates betreffend Finanzierung der Fraktionssekretariate, in: BBl 1970 II 1499. Sodann Botschaft über eine neue
Bundesverfassung, in: BBl 1997 I 382.
Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10).
Art. 61 Abs. 1 und 2 ParlG.
Art. 61 Abs. 3 ParlG.
Art. 43 Abs. 3 ParlG.
Art. 62 Abs. 1 ParlG.
Art. 160 Abs. 1 BV; Art. 62 Abs. 2 ParlG.
GRAF (2002), Rz. 2.
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In einem weiteren Zusammenhang ist die verfassungsrechtlich gewährleistete
Funktion der politischen Parteien im Wahlverfahren (Proporz) und im Parlamentsbetrieb (Fraktionen) als Ausdruck einer bestimmten Vorstellung politischer Repräsentation zu sehen: Die Verfassung geht davon aus, dass die
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Kantonsverfassungen enthalten analoge Garantien, etwa Art. 82 Abs. 1 KV/BE.
VON WYSS (2002), Rz. 7.
Aus politikwissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass im Nationalrat eine mittlere bis hohe Fraktionsdisziplin herrscht (vgl. LINDER [2005], S. 214 ff., insbesondere S. 216).
Vgl. aber NEIDHART (2002), S. 312: Der schweizerische Parlamentsbetrieb ist durch den
Vorrang der Personen gegenüber den Organisationen geprägt.
Vgl. VON WYSS (2002), Art. 161, Rz. 6.
Insbesondere EDMUND BURKE, Speech to the Electors of Bristol (1774), in: The Works of the
Right Honourable Edmund Burke, 6 Bände, Henry G. Bohn, London 1854–56, Band 1,
S. 446–448.
Insbesondere JAMES MADISON, The Federalist No. 10, in: Die Federalist Papers, Alexander
Hamilton/James Madison/John Jay, Verlag C.H. Beck, München 2007.
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Volksvertreter in erster Linie die in Parteiprogrammen gebündelten politischen Ideen und Interessen repräsentieren.
Gewiss sind Volksvertreter nicht einfach nur Parteienvertreter. Das in
Art. 161 Abs. 1 BV statuierte Instruktionsverbot, wonach die Parlamentarier
ohne Weisungen stimmen, relativiert die Bindung an die Parteilinie.124 Das
Instruktionsverbot verleiht insofern ein «freies Mandat», als Verpflichtungen
und Versprechungen von Parlamentariern bzw. Weisungen von Parteien und
Interessengruppen rechtlich nicht durchsetzbar sind.125 Die Parlamentarier
können nach Bedarf von der Parteilinie abweichen, ohne rechtliche Sanktionen in Kauf nehmen zu müssen. Nicht zu verhindern sind allerdings politische
Sanktionen. Ein Ratsmitglied kann die Unterstützung seiner Partei für die
Wiederwahl verlieren, wenn es sich zu oft und zu weit von der Fraktionsmeinung entfernt.126 Aber nicht nur aus solchen faktischen Gründen erscheint
ein Abweichen von der Fraktionsmeinung als Ausnahme, sondern auch in
normativer Hinsicht, und zwar mit Blick auf die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien im Wahlverfahren und im Parlament.127
Um das der Verfassung zugrunde liegende Repräsentationsmodell besser
zu verstehen, ist es anderen Repräsentationsmodellen gegenüberzustellen.
In der Theorie politischer Repräsentation wird unterschieden zwischen Repräsentation im republikanischen Sinn, welche sich an den allgemeinen Interessen von Staat und Gesellschaft orientiert, und Repräsentation im liberalen Sinn, welche die besonderen Interessen von Personen und Gruppen im
Blick hat. Ideengeschichtlich steht für das republikanische Modell der Name
EDMUND BURKE128, für das liberale Modell der Name JAMES MADISON 129.
Den beiden Repräsentationsmodellen liegt ein unterschiedliches Bild von
der Rolle der Abgeordneten und von der Politik zugrunde. Aus republikanischer Sicht sind die Abgeordneten herausragende Personen, die über Könnerschaft, Einsicht und Erfahrung verfügen, um im Interesse des Gemeinwohls
langfristig vernünftige Lösungen zu finden. Als politische Experten stehen die
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Zum Ganzen PITKIN (1972), S. 168 ff. (Representing Unattached Interests), 190 ff. (Representing People Who Have Interests). Sodann HABERMAS (1992), S. 324 ff., insbesondere
S. 331 f. Dagegen wird unter «politischer Repräsentation» zum Teil nur die Repräsentation
im republikanischen Sinn verstanden (so LEIBHOLZ [1966], S. 53 f. Sodann auch J.P. MÜLLER
[1993], S. 155 ff.).
Diese Einschätzung wird geteilt von einem erheblichen Teil der Politikforschung, die dem
ökonomischen Rational-Choice Ansatz verpflichtet ist (dazu LINDER [2005], S. 221 f.).
Dazu eingehend GRUNER (1977), S. 167 ff.; KRIESI (1980), S. 46 ff., 58; LINDER (2005),
S. 111 ff.; HÖPFLINGER (1984), S. 171 ff. – Seit den 1990er-Jahren nimmt im Zuge der Liberalisierung und Globalisierung der Wirtschaft der Einfluss von Wirtschaftsverbänden und
Gewerkschaften auf die Willensbildung ab, der Einfluss von Nichtregierungsorganisationen
dagegen zu (vgl. MACH [2006], S. 385 ff.; sodann AB 1998 S 120 [Votum Schmid]).
SCHMID (1981), S. 62 ff.; NEIDHART (2002), S. 309.
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Abgeordneten über den gesellschaftlichen Interessenkonflikten. Sie entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Politische Lösungen resultieren aus
einem Prozess der Reflexion und Verständigung über das richtige Handeln des
Staates. Dagegen sind aus liberaler Sicht die besonderen Interessen der einzelnen Abgeordneten, ihre sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten entscheidend. Die Abgeordneten verkörpern die partikularen Interessen einer Region,
eines Wirtschafts- oder Berufszweigs, einer Altersgeneration, eines Geschlechts
oder einer Gesellschaftsschicht und tragen diese Interessen in die politische
Arena hinein. Sie entscheiden rational und nutzenorientiert. Politische Lösungen ergeben sich entsprechend aus der Konkurrenz der Interessen, die in politischer Verhandlung immer wieder neu zu einem kompromisshaften Ausgleich
zu bringen sind.130
Welches Repräsentationsmodell favorisiert nun das schweizerische Verfassungsrecht, indem es den politischen Parteien im Wahlverfahren und im Parlamentsbetrieb einen privilegierten Status einräumt? – Die Parteien sind zwar
auch bestrebt, im Interesse des Gemeinwohls politische Konzepte zu erarbeiten und diese der Wählerschaft in ihren Programmen anzubieten. Insofern
haben Parteien einen republikanischen Einschlag, der je nachdem mehr oder
weniger ausgeprägt ist. Im Vordergrund steht aber doch wohl die Vertretung
von Sonderinteressen.131 Zurückzuführen ist dies auf die relativ grosse Abhängigkeit der Parteien von gesellschaftlichen Interessengruppen wie Wirtschafts- und Berufsverbänden, Gewerkschaften, Kirchen oder international
ausgerichteten Nichtregierungsorganisationen.132 Diese Abhängigkeit hat ihre
Gründe einerseits in der geringen Ausprägung der Parteienfinanzierung in der
Schweiz, anderseits in der traditionell grossen Bedeutung der Interessenverbände, die in der Regel finanzkräftig und gut vernetzt sind.133 Aber nicht nur
die Parteien, sondern auch die einzelnen Politiker haben häufig nur Wahlchancen, wenn sie auf die Unterstützung von Verbänden zählen können. Ent-
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sprechend werden sie sich in der politischen Arbeit den Verbänden gegenüber
als loyal erweisen.134
Angesichts der realen Verhältnisse im politischen System ist somit davon
auszugehen, dass die Abgeordneten in der Bundesversammlung und in kantonalen Parlamenten im Sinne des liberalen Repräsentationsmodells primär
Sonderinteressen vertreten. Diese Art politischer Repräsentation ist zwar im
Verfassungsrecht nicht explizit verankert, entspricht aber weitgehend der
schweizerischen Verfassungswirklichkeit. Auch das Bundesgericht geht von
der liberalen Repräsentationsidee aus, indem es festhält: «Es entspricht dem
Wesen der repräsentativen Demokratie, dass Parlamentarier in der einen oder
anderen Form Interessenvertreter sind; sie haben häufig wichtige Funktionen
in Berufs- und Wirtschaftsverbänden oder anderen Interessengruppen.»135
Gefährdung des Parlamentsbetriebs durch Wahlhilfen?
Bedeutungsverlust von Fraktionen
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Die Verfassung räumt also den politischen Parteien nicht nur im Wahlverfahren, sondern auch in der parlamentarischen Arbeit selber eine Sonderstellung ein. Dies zeigt sich darin, dass die Verfassung, in konsequenter Fortführung des Proporzgedankens, Parteifraktionen als Organisationseinheiten für
den Parlamentsbetrieb anerkennt. Die politischen Parteien spielen damit in der
repräsentativen Demokratie von Verfassungs wegen eine konstitutive Rolle.
Wie gesehen führt diese in der demokratischen Praxis zur Vorherrschaft des
liberalen Repräsentationsmodells.
Im Folgenden ist nunmehr zu untersuchen, welche Auswirkungen die Verwendung elektronischer Wahlhilfen auf den Parlamentsbetrieb sowie auf das
Repräsentationsprinzip voraussichtlich haben. Um mögliche Tendenzen klar
zu erkennen, ist hypothetisch davon auszugehen, dass ein Grossteil der Stimmberechtigten auf die Empfehlungen von Wahlhilfen vertraut.
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Zunächst stellt sich die Frage, ob elektronische Wahlhilfen in irgendeiner
Weise nachteilige Folgen für den Parlamentsbetrieb haben könnten. Im Fokus
stehen jene Wahlhilfen, welche auf die Empfehlung von Kandidaten ausgerichtet sind und möglicherweise dazu führen, dass die Parteizugehörigkeit für
die Wähler generell in den Hintergrund rückt.
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Zu den Verbandsvertretern in den Parlamentsfraktionen KRIESI (1980), S. 59; SCHMID (1981),
S. 64.
BGE 123 I 97 E. 5c S. 108, in Anlehnung an SEILER (1994), S. 752 f. Sodann BGE 125 I
289 E. 3a S. 292.
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Parlamentarier, die primär nicht wegen ihrer Parteizugehörigkeit, sondern
wegen ihren persönlichen politischen Einstellungen gewählt sind, lassen sich
unter Umständen weniger leicht in eine Parteifraktion einbinden. Parteifraktionen könnten weniger Druck ausüben auf Mitglieder, die ihre Wahl nicht in
erster Linie ihrer Parteifarbe zu verdanken haben und die auch für ihre Wiederwahl nicht besonders auf die Unterstützung der Partei angewiesen sein
werden. Parteifraktionen würden folglich als parlamentarische Aktionseinheiten an Bedeutung verlieren, und die Tätigkeit der Parlamentarier liesse sich
weniger leicht an Parteiprogrammen orientieren. Daraus entstünde die Gefahr,
dass die politische Arbeit der Volksvertreter an Kohärenz und strategischer
Ausrichtung einbüsst.
Diese Gefahr ist allerdings zu relativieren. Ein Bedeutungsverlust von Parteifraktionen würde keineswegs per se den Parlamentsbetrieb gefährden. So
wichtig Parteifraktionen für ein funktionierendes Parlament sind, es gibt andere Möglichkeiten für die Parlamentarier, sich in Gruppen zu organisieren, um
die Ratsgeschäfte effizient zu erledigen und den politischen Diskurs zu strukturieren. So sieht ja bereits das geltende Recht vor, dass Mitglieder ähnlicher
politischer Ausrichtung eine Fraktion bilden können.136 Nicht auszuschliessen
sind sodann themenbezogene Organisationseinheiten, die nicht wie Parteifraktionen das gesamte politische Feld erfassen, sondern sich auf bestimmte
Politikbereiche wie öffentliche Sicherheit, Umweltschutz oder Bildung konzentrieren. Ein Parlamentarier würde entsprechend verschiedenen Organisationseinheiten angehören, und die Einheiten würden ihre Zusammensetzung
wechseln, je nachdem, was für ein Geschäft beraten wird. Die Bundesverfassung stünde solchen alternativen Organisationsformen nicht entgegen, erachtet sie doch in Art. 154 BV die Bildung von Fraktionen als fakultativ.
Auswirkungen auf die Qualität der Abgeordneten
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Ein Bedeutungsverlust von Parteifraktionen führt also nicht notwendig zu
einer Beeinträchtigung des Parlamentsbetriebs. Elektronische Wahlhilfen
könnten aber in anderer Hinsicht ungünstige Folgen für die parlamentarische
Arbeit haben. In einem Milizsystem wie dem schweizerischen kommt den
politischen Parteien die wichtige Aufgabe zu, politisches Personal zu rekrutieren sowie aus- und weiterzubilden.137 Parteien stellen ihren Mitgliedern politische Information und Fachwissen zur Verfügung, bieten ihnen Plattformen für
politische Diskurse und ein Beziehungsnetz zu Entscheidungsträgern in Poli-
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Art. 61 Abs. 1 und 2 ParlG.
Zu dieser Funktion namentlich SCHMID (1981), S. 22; LINDER (2005), S. 81.
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tik und Gesellschaft. Damit garantieren die Parteien zu einem gewissen Grad,
dass ihre Exponenten kompetent sind, politische und berufliche Erfahrung
mitbringen sowie über die notwendigen Kontakte verfügen.
Diese von den politischen Parteien geleistete Qualitätsgarantie mag man
zwar als relativ bescheiden einschätzen. Sie nimmt aber zusätzlich ab, wenn
die Spitzenkandidaten der Parteien auf den obersten Listenplätzen an Wahlchancen einbüssen.138 Wahlhilfen, welche die Benutzung der freien Wahlliste
und das Panaschieren zum Standard befördern, verringern tendenziell die
Wahlchancen der Spitzenkandidaten. Handkerum könnten vermehrt weniger
profilierte Kandidaten ein politisches Mandat erringen, und zwar einfach deshalb, weil genügend Wähler ihre persönliche politische Haltung teilen. Als
Folge davon könnte die politische Arbeit an Qualität einbüssen.
Die Frage ist, wie sich verhindern lässt, dass durch den Einsatz von Wahlhilfen unqualifizierte Kandidaten begünstigt werden. Staatliche Präventivmassnahmen gegen Wahlhilfen kommen kaum in Frage, weil die aufgezeigte
Gefahr, dass der Parlamentsbetrieb beeinträchtigt wird, zu wenig konkret ist.
Denkbar ist jedoch, staatliche Förderungsmassnahmen daran zu knüpfen, dass
eine Wahlhilfe ihre Benutzer auf die Qualifikationen der Kandidaten hinweist.
In Betracht fallen Links zu Steckbriefen der einzelnen Kandidaten, aus denen
Lebenslauf, Beruf, Ausbildung und andere relevante Angaben ersichtlich werden.139 Auf diese Weise liesse sich nachteiligen Folgen für die Qualität der
politischen Arbeit in den Parlamenten ein Stück weit vorbeugen.
Auswirkungen von Wahlhilfen auf die politische Repräsentation
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In der schweizerischen Verfassungswirklichkeit dominiert, wie oben dargelegt, das liberale Modell politischer Repräsentation. Danach bringen die politischen Parteien organisierte Interessen aus der Gesellschaft und Wirtschaft in
die staatlichen Institutionen ein, um im Spiel der politischen Kräfte Kompromisslösungen auszuhandeln. Um das Phänomen der elektronischen Wahlhilfen
in seiner ganzen staatstheoretischen Tragweite zu erfassen, sind mögliche
Auswirkungen von Wahlhilfen auf die politische Repräsentation in den Blick
zu rücken.
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Zur Bedeutung des Listenplatzes für die Wahlchancen GRUNER (1977), S. 193; BALSIGER/
ROTH (2007), S. 31, 119 f.
Vgl. die KandiDatenbank von smartvote.ch.
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Verschiebung zum republikanischen Repräsentationsmodell
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Die These lautet: Mit der zunehmenden Benutzung elektronischer Wahlhilfen
findet eine Verschiebung vom liberalen zum republikanischen Repräsentationsmodell statt. Diese These lässt sich wie folgt plausibel machen: Wahlhilfen
führen tendenziell dazu, dass für eine Wahl politische Überzeugungen und
nicht Sonderinteressen den Ausschlag geben. Dies gilt nota bene nicht nur für
Wahlhilfen, welche die Stimmbürger in der Auswahl von Kandidaten unterstützen, sondern auch für Wahlhilfen, die politische Parteien empfehlen. Je mehr
im Zuge der Verbreitung von Wahlhilfen die politischen Einstellungen der Kandidaten bzw. die politischen Programme der Parteien wahlbestimmend werden,
desto mehr lockert sich die finanzielle und logistische Abhängigkeit von gesellschaftlichen Interessengruppen. Wahlhilfen haben damit das Potenzial, die
politische Eigenständigkeit der Repräsentanten und der Parteien zu stärken.
Die grössere Eigenständigkeit versetzt die Repräsentanten und die Parteien
mit ihren Fraktionen in die Lage, in der parlamentarischen Entscheidfindung
weniger organisierten Interessen gehorchen zu müssen. Den gesellschaftlichen Pressure Groups fällt es entsprechend weniger leicht, über Politiker,
Parteien und Fraktionen auf die Willensbildung in den Institutionen «durchzugreifen». An Stelle von Partikularinteressen werden politische Konzepte zu
den bestimmenden Faktoren der parlamentarischen Auseinandersetzung. Das
Gemeinwohl ergibt sich auf diese Weise weniger aus dem Wettbewerb der
politischen Kräfte, sondern mehr aus dem Wettbewerb der politischen Argumente, aus der unbefangenen Suche nach den besten Lösungen für Staat und
Gesellschaft. So wie man sich politische Repräsentation im republikanischen
Sinn vorzustellen hat.
Auswirkungen auf die Responsivität der Institutionen
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Gewiss wird mit der Vorstellung eines Wettbewerbs der politischen Argumente ein Idealzustand skizziert, der in der politischen Realität nie in reiner Form
zu erreichen sein wird. Dieser Idealzustand zeigt aber die Richtung an, in die
sich die repräsentative Demokratie entwickeln könnte, falls sich Wahlhilfen in
der staatsbürgerlichen Praxis etablieren. Wie ist eine solche Entwicklung aus
staatstheoretischer Sicht zu beurteilen?
Auf den ersten Blick scheint dem Gemeinwohl besser gedient, wenn die
Politik nicht von Sonderinteressen, sondern vom unvoreingenommenen Interesse an politisch vernünftigen Lösungen dominiert wird. Allerdings ist der
republikanischen Repräsentationsidee eine elitäre Tendenz eigen.140 Volksver-
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tretungen geraten in die Nähe von Expertengremien, welche – abgelöst von
der demokratischen Basis – einen politischen Fachdiskurs führen. Die Kehrseite der politischen Eigenständigkeit der Parlamentarier und der Parteien ist
die Gefahr, sich von den realen Bedürfnissen der Wählerschaft zu entfremden
und die anvertraute Macht nicht mehr im Sinne ihrer Auftraggeber einzusetzen.141 Die Volksvertretungen könnten die Fähigkeit verlieren, auf die Anliegen und Bedürfnisse ihrer Wähler angemessene Antworten zu finden, kurz:
Die politischen Institutionen könnten an Responsivität einbüssen.142
Dagegen lässt sich vorbringen, dass die Responsivität der Volksvertretungen im Gegenteil zunehmen muss, wenn Parlamentarier und Parteien von
Verbänden und anderen Interessengruppen unabhängiger sind. Interessengruppen, die kraft ihrer finanziellen und organisatorischen Macht auf die Politik
Einfluss ausüben, nehmen nur sehr selektiv Anliegen und Bedürfnisse aus der
Bevölkerung auf. Eine grössere Unabhängigkeit von Interessengruppen ermöglicht den Volksvertretern, stärker auf jene Anliegen Rücksicht zu nehmen,
die sich nicht oder nur schwer in politische Aktion umsetzen lassen. Wahlhilfen, welche die politische Willensbildung an Überzeugungen und Programmen ausrichten, bieten insofern die Chance, dass Volksvertretungen vermehrt
das Volk in seiner ganzen Breite repräsentieren.
Um diese Chance zu erhöhter Responsivität zu nutzen, genügt es allerdings nicht, durch den Einsatz elektronischer Wahlhilfen im Moment der Wahl
zwischen Stimmbürgern und Kandidaten engere politische Verbindungen herzustellen. Der Stimmbürger muss die Gewissheit haben, dass die vor den
Wahlen deklarierten politischen Ziele und Interessen auch während der Amtszeit verfolgt werden. Ein Instrument für eine gewisse Rückbindung der Abgeordneten an den Wählerwillen, wie er sich im Wahlakt manifestiert hat, sind
die Fraktionen. Die Fraktionen sorgen dafür, dass ihre Mitglieder die parteipolitische Haltung in die parlamentarische Arbeit einbringen. Die Fraktionen
verlieren jedoch an disziplinierender Kraft in Bezug auf Abgeordnete, die
nicht in erster Linie wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Partei mit ihrem
politischen Programm, sondern wegen ihren persönlichen politischen Einstellungen gewählt worden sind. Dadurch wird ein Kontrollmechanismus zurückgedrängt, der über die Einhaltung der im Wahlkampf eingenommenen Positionen wacht.
Mit diesem Problem sind Wahlhilfen konfrontiert, die auf die Auswahl von
Kandidaten fokussiert sind. Wie schon bemerkt lassen sich jene Kandidaten,
denen Wahlhilfen dieser Art zu einem Mandat verhelfen, voraussichtlich weniger gut in Parteifraktionen einbinden. Dem politischen Profil, das die Kandi-
141
142
50
J.P. MÜLLER (1995), S. 15.
Zur «Responsiveness» als Grundelement demokratischer Politik J.P. MÜLLER (1995), S. 4 ff.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Wahlhilfen und politisches Monitoring
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daten gegenüber den Wahlhilfebenutzern manifestieren, mangelt es entsprechend an Verbindlichkeit. Dies schafft für die Kandidaten Anreize, mit der
Wahlhilfe strategisch umzugehen. Sie werden verleitet, die Beantwortung des
Fragekatalogs nicht an ihren persönlichen Überzeugungen, sondern an der
Maximierung der Stimmenzahl auszurichten. Parteien könnten ihrerseits versucht sein, die Profile ihrer Kandidaten möglichst breit zu streuen, um mehr
Listenstimmen einzufangen.143 Durch solche Instrumentalisierung einer Wahlhilfe wird das Anliegen, den Wählerwillen möglichst authentisch in die Institutionen zu transferieren, in sein Gegenteil verkehrt. Die Responsivität der
Volksvertreter nimmt eher ab als zu.
Vgl. LADNER/FIVAZ (2006), S. 9.
Zum aktuellen Stand betreffend Veröffentlichung des Stimmverhaltens in der Bundesversammlung die Abstimmungs-Datenbank auf www.parlament.ch: Im Nationalrat wird das
Stimmverhalten in den folgenden Fällen publiziert: bei Gesamtabstimmungen; bei Schlussabstimmungen; bei Abstimmungen über Bestimmungen, für deren Annahme die Mehrheit
der Ratsmitglieder gemäss Art. 159 Abs. 3 BV erforderlich ist; wenn mindestens 30 Ratsmitglieder dies schriftlich verlangen. Die übrigen Abstimmungen sind in Form einer Namensliste öffentlich einsehbar. Im Ständerat kann eine Abstimmung mit Namensaufruf
erfolgen, wenn mindestens zehn Ratsmitglieder dies verlangen. Zum Ganzen Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3. Oktober 2003 (GRN; SR 171.13), Art. 56 ff. sowie
Geschäftsreglement des Ständerates vom 20. Juni 2003 (GRS; SR 171.14), Art. 46.
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Der aufgezeigten Gefahr einer Instrumentalisierung von Wahlhilfen lässt sich
entgegenwirken, indem der Betrieb einer Wahlhilfe mit einem politischen
Monitoring kombiniert wird. Das würde verlangen, dass das Stimmverhalten
der Abgeordneten auf seine Übereinstimmung mit den angekündigten politischen Positionen überprüft wird. Deutlich feststellbare Divergenzen zwischen
der versprochenen und der tatsächlich eingenommenen Haltung während der
vergangenen Amtsperiode wären zuhanden der Wahlhilfebenutzer zu kommunizieren.
Ein solches Monitoring unterscheidet sich von den bereits angebotenen
Parlamentarier-Ratings dadurch, dass es nicht allgemeine politische Kriterien,
sondern die konkrete politische Selbstbeurteilung der Kandidaten zum Massstab nimmt. Wie im Fall von Ratings setzt ein repräsentatives Monitoring
voraus, dass das Stimmverhalten der Parlamentarier möglichst transparent ist.
Die zunehmende Nutzung elektronischer Wahlhilfen durch das Stimmvolk
erhöht deshalb den Bedarf nach Offenlegung des Stimmverhaltens. Sollten
sich Wahlhilfen in der demokratischen Praxis als feste Grösse etablieren, wäre
es konsequent, sämtliche Abstimmungen offenzulegen, und zwar nicht nur
Eintretens-, Gesamt- und Schlussabstimmungen, sondern auch Abstimmungen über einzelne Gesetzesartikel und Anträge.144
51
Bernhard Rütsche
Bekämpfung von Missbräuchen
1.
Varianten staatlicher Regulierung
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I.
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E. Fragen staatlicher Regulierung
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Nach der Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Tragweite und
Problematik elektronischer Wahlhilfen bleiben regulatorische Fragen zu diskutieren. Gesetzgeber auf Bundes- und Kantonsebene werden sich überlegen
müssen, ob sie angesichts der steigenden Bedeutung von Wahlhilfen tätig
werden sollen. Ein mögliches Anliegen, Wahlhilfen zu regulieren, besteht in
der Bekämpfung von Missbräuchen. Missbräuche liegen dann vor, wenn
Wahlhilfen die politische Willensbildung verfälschen. Wie wir gesehen haben,
lässt sich nicht ausschliessen, dass private Betreiber einer Wahlhilfe versuchen könnten, die Wähler gezielt in eine bestimmte politische Richtung zu
lenken. Wahlhilfebetreiber könnten insbesondere mittels Fälschung individueller Wahlempfehlungen oder Benachteilung bestimmter Kandidaten oder Parteien in unzulässiger Weise auf die Willensbildung Einfluss nehmen.145 Aber
auch das Angebot von Wahlhilfen, die hinter minimalen Qualitätsanforderungen zurückbleiben, stellt eine Form von Missbrauch dar.146
Bestehende Interventionsmittel
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Den Behörden stehen bereits eine Reihe von Interventionsmitteln zur Verfügung, um gegen Verfälschungen der Willensbildung vor Wahlen und Abstimmungen einzuschreiten. Im Vordergrund steht die Befugnis zur Richtigstellung falscher oder irreführender Informationen.147 Eine Richtigstellung wird
darin bestehen, die Stimmbürgerschaft über Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit einer elektronischen Wahlhilfe öffentlich zu informieren. Falls
die Unregelmässigkeiten schwerwiegend sind und nicht mehr rechtzeitig behoben werden können, ist eine Verschiebung der Wahlen in Betracht zu
ziehen.148
Sind die Wahlen bereits durchgeführt worden, kann jeder Stimmberechtigte deren Aufhebung verlangen, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten nach
145
146
147
148
52
Dazu oben Kap. C.I.2.b.
Dazu oben Kap. C.I.3.c.
BGE 118 Ia 259 E. 3 S. 262 f.; BGE vom 5. Mai 2000, in: ZBl 2001 148 E. 2b S. 150.
Vgl. BGE 113 Ia 46 Sachverhalt S. 49 (Verschiebung der Abstimmung als vorsorgliche
Massnahme abgelehnt). Aus der Lehre BESSON (2003), S. 388 ff.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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den gesamten Umständen das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten.149 Zu
den Umständen, die eine Aufhebung der Wahl bewirken können, gehören
insbesondere die Schwere des Mangels sowie die Grösse der Stimmenunterschiede. Falls die Umstände eine Aufhebung der Wahl nicht rechtfertigen,
bleibt als Sanktion die präjudizielle Feststellung durch den Richter, dass die
Willensbildung in unzulässiger Weise beeinflusst worden ist.150
Mögliche Interventionsmittel
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Die genannten Interventionsmittel ermöglichen den Behörden, nach der Aufdeckung von Missbräuchen einzuschreiten. Der Staat schöpft damit aber nicht
das ganze Spektrum nachträglicher Kontrollmittel aus.151 So bietet das geltende Recht keine Handhabe, eine fehlbare Wahlhilfe zu schliessen und vom
Netz zu nehmen, wenn sie nachweislich zu Verfälschungen der politischen
Willensbildung geführt hat. Sodann fehlt es an einem Straftatbestand, der
vorsätzliche Fälschungen von Wahlempfehlungen sanktionieren würde.152
Des Weiteren erlauben die vorhandenen Instrumente generell keine präventive Kontrolle von elektronischen Wahlhilfen mit dem Zweck, Verfälschungen der politischen Willensbildung rechtzeitig zu verhindern. Die Gefahr, dass
die Willensbildung verfälscht wird, geht wie gesehen von intransparenten und
qualitativ schlechten Wahlhilfen aus.153 Der Gesetzgeber hätte entsprechend
minimale Transparenz- und Qualitätsvorschriften zu definieren. Für den Fall,
dass eine Wahlhilfe diese Vorschriften nicht erfüllt, wäre deren Schliessung
vorzusehen. Es handelte sich um eine präventive Schliessung, da sie einer
Verfälschung der politischen Willensbildung zuvorkommt.
Zudem müsste der Gesetzgeber einen Überwachungsmechanismus einrichten. Am einfachsten wäre eine von Amtes wegen ausgeübte Aufsicht über
Wahlhilfen, beispielsweise durch die Bundeskanzlei bzw. kantonale Staatskanzleien. In Betracht fällt auch die Einführung einer Meldepflicht. Danach
würden Wahlhilfen verpflichtet, vor der Betriebsaufnahme im Hinblick auf
eine bestimmte Wahl den Behörden über Fragen betreffend Transparenz und
Qualität Auskunft zu geben. Die Behörden würden auf der Basis der gemeldeten Angaben eine Überprüfung vornehmen und im Fall einer Gesetzeswidrig-
149
150
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152
153
Statt vieler BGE 119 Ia 271 E. 3b S. 273 f.
BGE 129 I 185 E. 8 und 9 S. 204 ff. Dazu RÜTSCHE (2003), S. 160 ff.
Zu den Regulierungskategorien der präventiven und nachträglichen Kontrolle MADER
(2004), S. 75 ff.
Die in Art. 279 ff. StGB normierten Vergehen gegen den Volkswillen erfassen die Fälschung
von Wahlempfehlungen nicht. Insbesondere bezieht sich Art. 282 Ziff. 1 StGB nur auf die
Fälschung von Wahlergebnissen.
Dazu oben Kap. C.I.2.c und Kap. C.I.3.c.
53
Bernhard Rütsche
Intervention ohne gesetzliche Grundlage?
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keit intervenieren. Eine weitere Alternative wäre eine Bewilligungspflicht. In
diesem Fall dürften Wahlhilfen den Betrieb erst dann aufnehmen, wenn die
Behörden geprüft und bejaht haben, dass sie gesetzeskonform sind.
Eine präventive Kontrolle von elektronischen Wahlhilfen liesse sich auch
mehr oder weniger in Form privater Selbstregulierung bewerkstelligen.154 So
müssten materielle Transparenz- und Qualitätsvorschriften nicht unbedingt
vom staatlichen Gesetzgeber festgelegt werden. Denkbar sind Richtlinien,
welche sich die privaten Betreiber von Wahlhilfen selber geben und staatlicher Prüfung und Anerkennung unterliegen. Die Wahlhilfebetreiber hätten in
diesem Fall eine Organisation zu gründen, welche unter anderem für den
Erlass und die Weiterentwicklung von Wahlhilferichtlinien zuständig wäre.
Der Staat könnte sich auch noch weiter zurückziehen und eine solche Selbstregulierungsorganisation damit beauftragen, die Einhaltung der Richtlinien zu
überwachen. Er würde sich in diesem Fall auf eine Aufsicht über die Selbstregulierungsorganisation beschränken.155
Zur Selbstregulierung allgemein MADER (2004), S. 43 ff.
So etwa die aufsichtsrechtliche Konstruktion im Bereich der Geldwäschereibekämpfung;
vgl. Art. 17 ff. und 24 ff. GwG (Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 zur Bekämpfung der
Geldwäscherei im Finanzsektor, Geldwäschereigesetz; SR 955.0).
BGE vom 5. Mai 2000, in: Pra 2000 755 E. 2b S. 758. Aus der Lehre WIDMER (1989), S. 216;
DECURTINS (1992), S. 298 ff.; TSCHANNEN (1995), Rz. 179; G. MÜLLER (1996), S. 264;
HANGARTNER/KLEY (2000), Rz. 2596; BESSON (2003), S. 375 f.
So auch TSCHANNEN (1995), Rz. 180; G. MÜLLER (1996), S. 264; SCHWAB (2001), S. 164 f. –
BESSON (2003), S. 382 ff. erachtet eine gesetzliche Grundlage für weitergehende staatliche
Informationen als wünschbar.
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Im vorliegenden Kontext der politischen Rechte stellt sich die Frage, ob die
staatlichen Behörden überhaupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, um
zum Schutz der politischen Willensbildung zu intervenieren. Bekanntlich erachten Bundesgericht und Lehre den Staat auch ohne gesetzliche Grundlage
für befugt, in Form von Richtigstellungen gegen unzulässige private Propaganda vorzugehen.156
Diese Ausnahme vom Gesetzmässigkeitsprinzip ist indessen strikt auf die
Richtigstellung zu beschränken.157 Die Richtigstellung ist eine Form staatlicher Information mit dem Ziel, verfälschte Wahl- und Abstimmungsergebnisse zu verhindern. Es handelt sich um das mildeste denkbare Mittel, auf eine
irreführende Privatpropaganda vor Wahlen und Abstimmungen zu reagieren.
Das Bundesgericht entbindet die Behörden lediglich in Bezug auf dieses Mittel von einer gesetzlichen Grundlage. Alle anderen Mittel zur Bekämpfung
156
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
2.
Verhältnismässigkeit staatlicher Regulierung
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von Missbräuchen bedürfen dagegen kraft Art. 5 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 BV
einer spezifischen gesetzlichen Grundlage.158
Betroffene Rechtsgüter
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Die Befürchtung, dass elektronische Wahlhilfen missbraucht werden, vermag
als solche noch kein staatliches Handeln zu rechtfertigen. Jedes staatliche
Handeln ist an den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gebunden.159 Die Prüfung der Verhältnismässigkeit verlangt eine Gegenüberstellung der rechtlich
geschützten Interessen, d.h. der Rechtsgüter, die durch eine Massnahme gefördert bzw. geschmälert werden. Der Gesetzgeber muss sich deshalb zuerst
klarmachen, welche Rechtsgüter durch Massnahmen gegen Missbräuche von
Wahlhilfen betroffen sind. Auf dieser Grundlage ist dann zu fragen, welche
der möglichen Regulierungsinstrumente die gesetzten Ziele am besten erreichen (Eignung) und am wenigsten in die entgegenstehenden Rechtsgüter eingreifen (Notwendigkeit). Dabei kann der Gesetzgeber zum Schluss kommen,
dass auch die mildesten Instrumente unzumutbar sind, weil sie ein Rechtsgut
übermässig opfern würden.160
Auf die polizeiliche Generalklausel werden die Behörden nicht vertrauen können, um gegen
fehlbare Wahlhilfen einzuschreiten. Der Anwendungsbereich der polizeilichen Generalklausel ist «auf echte und unvorhersehbare sowie gravierende Notfälle ausgerichtet» und
kann nicht angerufen werden, «wenn typische und erkennbare Gefährdungslagen trotz
Kenntnis der Problematik nicht normiert werden» (BGE 130 I 369 E. 7.3 S. 381). Diese
Voraussetzungen sind in Bezug auf die Gefahren, die elektronische Wahlhilfen für die
politische Willensbildung darstellen können, nicht erfüllt.
Art. 5 Abs. 2 BV.
Zur Verhältnismässigkeit verwaltungsrechtlicher Sanktionen allgemein HÄFELIN/MÜLLER/
UHLMANN (2006), Rz. 1148 ff. Zur Verhältnismässigkeit behördlicher Interventionen in
Wahl- und Abstimmungskämpfe etwa BGE 117 Ia 452 E. 3b S. 456 (die Behörde darf sich
nicht «verwerflicher Mittel» bedienen). Aus der Lehre eingehend BESSON (2003), S. 208 ff.
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Auf der einen Seite steht eine staatliche Bekämpfung von Missbräuchen im
Zusammenhang mit elektronischen Wahlhilfen im Dienst des Grundrechts der
Wahl- und Abstimmungsfreiheit. Art. 35 Abs. 3 BV verlangt vom Staat dafür
zu sorgen, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter
Privaten wirksam werden. Der Gesetzgeber ist daher prima facie aufgerufen,
Instrumente zum bestmöglichen Schutz der Wahl- und Abstimmungsfreiheit
vor Verletzungen von privater Seite bereitzustellen. Dazu gehören Instrumen-
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te, die den Verwaltungsbehörden ein Einschreiten gegen Missbräuche von
privaten Wahlhilfen ermöglichen.161
Auf der anderen Seite greifen staatliche Interventionen gegen private Akteure in Wahl- und Abstimmungskämpfen unter Umständen in schwerwiegender Weise in Kommunikationsgrundrechte ein. Massnahmen zulasten von
elektronischen Wahlhilfen tangieren die Meinungsfreiheit sowohl der Betreiber als auch der Benutzer von Wahlhilfen. Im Fall der Betreiber geht es um die
Freiheit, eine Meinung zu äussern, im Fall der Benutzer um die Freiheit, sich
eine Meinung zu bilden.162 Ferner kann auch die Wirtschaftsfreiheit von Wahlhilfebetreibern berührt sein, nämlich dann, wenn der Betrieb einer Wahlhilfe
für die Beteiligten Erwerbseinkommen oder Gewinne generiert.163
Eignung einzelner Interventionsmittel
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Als erstes stellt sich die Frage, welche der möglichen Massnahmen an die
Adresse elektronischer Wahlhilfen am geeignetsten sind, die Wahl- und Abstimmungsfreiheit zu schützen. Von den nachträglichen Kontrollmitteln steht
eine Schliessung von fehlbaren Wahlhilfen im Vordergrund. Dadurch kann
einer noch grösseren Verfälschung der politischen Willensbildung vorgebeugt
werden. Geringer erscheint hingegen die Wirksamkeit von strafrechtlichen
Massnahmen, da sie erst im Nachgang von Wahlen greifen und lediglich
mittels Abschreckung einen Präventiveffekt entfalten können. Falls jedoch
künftig Fälle bekannt werden, in denen Wahlempfehlungen absichtlich gefälscht worden sind, müsste die Einführung eines entsprechenden Straftatbestandes in Betracht gezogen werden.
Von den vorgängigen Kontrollmitteln gewährleistet auf den ersten Blick
eine staatliche Bewilligungspflicht die Wahl- und Abstimmungsfreiheit am
effektivsten. Denn eine Bewilligungspflicht kann verhindern, dass gesetzeswidrige Wahlhilfen aufgeschaltet und von Stimmbürgern benutzt werden. Eine
Meldepflicht lässt demgegenüber zu, dass Wahlhilfen vorerst ohne staatliche
Kontrolle ihren Betrieb aufnehmen. Wenn jedoch die Meldung genügend früh
vor dem Wahltermin verlangt wird, d.h. bevor die Stimmabgabe gültig erfolgen kann, ist eine staatliche Intervention möglich, bevor ein einziger Wähler
161
162
163
56
Grundrechtsdogmatisch geht es um die Wahrnehmung einer Schutzpflicht zur Wahrung der
Wahl- und Abstimmungsfreiheit. Das Bundesgericht geht denn auch von einer staatlichen
Pflicht aus, zum Schutz der Wahl- und Abstimmungsfreiheit zu intervenieren (BGE 129 I
232 E. 4.2.1 S. 244 mit Hinweisen).
Diese beiden Aspekte der Meinungsfreiheit sind in Art. 16 Abs. 2 BV explizit erwähnt.
Vgl. etwa BGE 117 Ia 440 E. 2 S. 445: «Unter dem Schutz des Art. 31 BV (und Art. 27 nBV)
steht jede gewerbsmässig ausgeübte privatwirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung eines
Gewinnes oder Erwerbseinkommens dient.»
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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auf Empfehlung einer gesetzeswidrigen Wahlhilfe seine Stimme abgegeben
hat. Eine Meldepflicht, die in dieser Weise ausgestaltet ist, steht damit in ihrer
Effektivität einer Bewilligungspflicht nicht nach. Im Unterschied dazu ist
mittels einer einfachen Aufsicht unter Umständen nicht zu verhindern, dass bis
zur staatlichen Intervention bereits einige Wähler einer gesetzeswidrigen
Wahlhilfe folgen. Insofern vermögen Bewilligungs- und Meldepflichten die
Wahl- und Abstimmungsfreiheit besser zu schützen als eine einfache Aufsicht.
Im Übrigen wäre es zurzeit nicht opportun, auf Selbstregulierungsmassnahmen von Wahlhilfen zu zählen. Erst wenn ein breiteres Angebot von Wahlhilfen auf dem Markt ist und sich die «Wahlhilfebranche» selber organisiert,
könnte eine staatlich gesteuerte Selbstregulierung in Frage kommen.
Notwendigkeit einzelner Interventionsmittel
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Das Kriterium der Notwendigkeit verlangt, dass der Staat von mehreren Mitteln, die sich als Alternativen anbieten und voraussichtlich gleich wirksam
sind, dasjenige Mittel wählt, das am wenigsten stark in Grundrechte und andere Rechtsgüter eingreift.
Im Bereich der nachträglichen Kontrolle fragt sich, ob neben den bereits
vorhandenen Interventionsinstrumenten – der Richtigstellung, Verschiebung
von Wahlen, Aufhebung von Wahlen und Feststellung einer Verfassungsverletzung – noch zusätzliche Instrumente erforderlich sind. Die Schliessung von
fehlbaren Wahlhilfen vermag indessen einen Zusatznutzen zum Schutz der
Wahl- und Abstimmungsfreiheit zu bringen. Denn im Unterschied zu einer
Richtigstellung führt sie dazu, dass sich mit Sicherheit kein Stimmbürger
mehr von der sanktionierten Wahlhilfe beeinflussen lässt. Dagegen ist zu bezweifeln, ob ein neuer Straftatbestand über die bestehenden Instrumente hinaus eine signifikante Wirkung entfalten kann.
Auch wenn den Behörden effektive Massnahmen zur Verfügung stehen,
um auf einen festgestellten Missbrauch zu reagieren, kann sich eine vorgängige Kontrolle als nützlich erweisen. Denn es wird für die Behörden in der
Regel schwierig sein, allfällige Missbräuche einer Wahlhilfe rechtzeitig aufzudecken. Zu Verfälschungen der politischen Willensbildung kommt es ja erst
dann, wenn die Wahlhilfebenutzer und die Öffentlichkeit die Irreführungen
nicht ohne weiteres erkennen können.164 Die eigentliche Gefahr für die Wahlund Abstimmungsfreiheit liegt daher in versteckten Manipulationen. Um dieser Gefahr zu begegnen und das Vertrauen der Stimmbürgerschaft in den
demokratischen Prozess zu bewahren, ist deshalb präventives Staatshandeln
angezeigt.
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Dazu oben Kap. C.I.1.b.
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Die geeignetsten Präventivmassnahmen sind Bewilligungs- und Meldepflichten. Wie gesagt vermag eine Meldepflicht, die zum richtigen Zeitpunkt
angesetzt ist, die Wahl- und Abstimmungsfreiheit in gleichem Masse zu schützen wie eine Bewilligungspflicht. Demgegenüber unterscheiden sich die beiden Instrumente in ihrer Eingriffsschwere. Eine Bewilligungspflicht tangiert
die Meinungsfreiheit stärker. Sie führt dazu, dass Wahlhilfen vor Inbetriebnahme auf ihre Gesetzmässigkeit überprüft werden, und greift daher präventiv
in die Meinungsfreiheit ein. Im Unterschied dazu nimmt eine Meldepflicht in
Kauf, dass vorerst jede Wahlhilfe im Internet erscheint. Demzufolge ist von
der Einführung einer Bewilligungspflicht abzusehen und, wenn schon, eine
Meldepflicht vorzuziehen.
Zumutbarkeit einzelner Interventionsmittel
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Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit hat der Gesetzgeber die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. In vorliegendem Kontext ist zu
fragen, welchen Beitrag einerseits ein Regulierungsinstrument zum Schutz
der Wahl- und Abstimmungsfreiheit leistet und wie schwer anderseits dieses
Instrument in die Meinungs- und Wirtschaftsfreiheit eingreift.
Als unzumutbar erscheint die Einführung eines neuen Straftatbestandes.
Eine Bestrafung wegen irreführender Privatpropaganda, die zu Verfälschungen der politischen Willensbildung führt, würde in die Meinungsfreiheit eingreifen165, ohne von einem gewichtigen Regulierungsbedarf getragen zu sein.
Das Anliegen, die Wahl- und Abstimmungsfreiheit zu schützen, könnte sich
gar in sein Gegenteil verkehren, wenn Meinungsäusserungen in Wahl- und
Abstimmungskämpfen von einer Pönalisierung bedroht sind.
Anders zu beurteilen ist die Frage, ob die nachträgliche Schliessung von
Wahlhilfen zumutbar ist. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit wäre schwer
beeinträchtigt, wenn Wahlhilfen, die nachweislich die politische Willensbildung verfälschen, noch weiter im Internet verblieben. Der Gesetzgeber sollte
deshalb Grundlagen für die Schliessung solcher Wahlhilfen schaffen. Eine
solche Massnahme ist aus Sicht der Meinungsfreiheit hinzunehmen. Denn sie
greift erst, nachdem sich eine Meinungsäusserung als grundrechtswidrig herausgestellt hat.
Weiter ist zu prüfen, ob auch die präventive Schliessung von Wahlhilfen,
die gesetzlichen Transparenz- und Qualitätsanforderungen nicht genügen, zumutbar wäre. Auf der einen Seite würde ein solches Instrument den Behörden
ermöglichen, rechtzeitig einzuschreiten, wenn eine Verfälschung der politi-
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Zur Einschränkung von Kommunikationsgrundrechten durch repressive Massnahmen
namentlich J.P. MÜLLER (1999), S. 256 f.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Vgl. J.P. MÜLLER (1999), S. 194 betreffend Präventiveingriffe in Kommunikationsgrundrechte. Formal gesehen liegt kein Präventiveingriff in die Meinungsfreiheit vor, sofern die
Aufschaltung von Wahlhilfen vorerst nicht verhindert wird. Dennoch ist von einem schweren Eingriff auszugehen, weil mit der präventiven Schliessung von Wahlhilfen nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch grundrechtskonforme Meinungen unterdrückt werden.
Dazu oben Kap. C.I.2.b. und Kap. C.I.3.c.
Zu diesen Erfordernissen der Normstufe und Normdichte bei schweren Grundrechtseingriffen statt vieler KIENER/KÄLIN (2007), S. 88.
Vgl. nur die Blankodelegation der Qualitätskontrolle an die Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen gemäss Art. 35 Abs. 2 Bst. a GUMG (Bundesgesetz
vom 8. Oktober 2004 über genetische Untersuchungen beim Menschen; SR 810.12).
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schen Willensbildung droht. Auf der anderen Seite würden mit der präventiven Schliessung von Wahlhilfen Meinungen unterdrückt, von denen nicht
sicher feststeht, dass sie grundrechtswidrig sind. Damit ist von einem schweren Eingriff in die Meinungsfreiheit auszugehen, welcher nur gerechtfertigt
werden kann, wenn für das geschützte Rechtsgut eine konkrete Gefahr
droht.166
Intransparente und qualitativ schlechte Wahlhilfen begründen nicht per se
eine konkrete Gefahr für die politische Willensbildung. Ob Verfälschungen
der Willensbildung konkret drohen, hängt vielmehr von einem weiteren Faktor ab, nämlich davon, ob ein wirksamer Wettbewerb zwischen Wahlhilfen
besteht.167 Nur wenn eine Wahlhilfe mit ihrem Angebot eine monopolähnliche
oder zumindest beherrschende Stellung einnimmt, kann von einer konkreten
Gefahr für die Wahl- und Abstimmungsfreiheit die Rede sein. Aus diesem
Grund sind fehlende Transparenz oder Qualität allein nicht hinreichend, um
die präventive Schliessung von Wahlhilfen zu rechtfertigen. Zusätzlich ist zu
verlangen, dass infolge der Angebotssituation die konkrete Gefahr besteht,
dass die intransparente oder qualitativ schlechte Wahlhilfe zu Verzerrungen
der Willensbildung führt.
In Anbetracht der Tatsache, dass ein schwerer Eingriff in die Meinungsfreiheit vorliegt, muss die präventive Schliessung von Wahlhilfen ferner auf
einem präzis formulierten Gesetz im formellen Sinn beruhen.168 Der Gesetzgeber ist daher gehalten, die Voraussetzungen einer präventiven Schliessung
genau festzulegen. Was die Anforderungen an die Transparenz von Wahlhilfen betrifft, ist eine genaue Umschreibung durchaus möglich. So könnte der
Gesetzgeber vorsehen, dass die Behörden eine Wahlhilfe vom Netz nehmen
können, wenn sie ihre Trägerschaft, Finanzierung und Methoden nicht offen
legt. Im Unterschied dazu lassen sich Anforderungen an die Qualität elektronischer Wahlhilfen auf Gesetzesstufe kaum genügend präzis erfassen. Was
«Qualität» bedeutet, liesse sich nur mit Hilfe unbestimmter Rechtsbegriffe
umschreiben.169 Die Behörden hätten entsprechend einen weiten Beurteilungsspielraum, um über die präventive Schliessung von Wahlhilfen zu entschei-
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den. Dies könnte zu Interventionen führen, die ohne zureichenden Grund
schwer in die Meinungsfreiheit eingreifen. Der Gesetzgeber hat sich deshalb
darauf zu beschränken, die präventive Schliessung von Wahlhilfen an exakt
definierte Transparenzkriterien anzuknüpfen.
Bleibt die Frage, welchen Mechanismus der Gesetzgeber einführen soll,
um die Einhaltung der Transparenzvorschriften kontrollieren zu lassen. Auf
eine Bewilligungspflicht ist mangels Notwendigkeit zu verzichten. Eine Meldepflicht ist wie gesagt wirksamer als eine einfache Aufsicht, sofern die Meldung genügend früh vor einem Wahltermin verlangt wird. Allerdings ist dieser
Vorteil nicht allzu hoch einzuschätzen, weil der Staat eine gesetzeswidrige
Wahlhilfe im Internet rasch entdecken wird und ebenso rasch – in Gestalt
einer vorsorglichen Massnahme – deren Schliessung anordnen kann. Zudem
hat eine Meldepflicht Nachteile. So werden infolge einer Meldepflicht sämtliche Wahlhilfebetreiber mit dem Staat konfrontiert, während eine einfache
Aufsicht nur dann nach aussen tritt, wenn eine Wahlhilfe die Transparenzkriterien nicht einhält und aufgrund der Angebotssituation die konkrete Gefahr besteht, dass die Willensbildung verfälscht wird. Da der Staat vor Wahlen
und Abstimmungen prinzipiell eine zurückhaltende Rolle spielen sollte, erscheint es aus heutiger Sicht ratsamer, für eine einfache Aufsicht als diskretere
Überwachungsform zu optieren.
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II. Förderung von Wahlhilfen
Varianten staatlicher Regulierung
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Neben der Bekämpfung von Missbräuchen kann die Förderung elektronischer
Wahlhilfen für den Staat ein weiterer Grund für eine Regulierung sein. Der
Staat könnte sich veranlasst sehen, einzelne Wahlhilfen oder das Instrument
der Wahlhilfe generell zu unterstützen, um einer zunehmenden Emotionalisierung und Banalisierung von Wahlkämpfen entgegenzuwirken und die Qualität der Willensbildung zu stärken.
Im Unterschied zur Missbrauchsbekämpfung existieren im geltenden Recht
keine Grundlagen, die eine Förderung von Wahlhilfen erlauben würden. Um
die Varianten staatlicher Regulierung auszuleuchten, braucht deshalb nachfolgend nur aufgezeigt zu werden, welche Förderungsmittel sich dem Staat de
lege ferenda anbieten. Zudem ist zu klären, inwieweit Förderungsmassnahmen eine gesetzliche Grundlage verlangen.
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Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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Mögliche Förderungsmittel
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Im Zusammenhang mit der Frage, ob eine staatliche Förderung von Wahlhilfen mit der Wahl- und Abstimmungsfreiheit vereinbar ist, wurde bereits
eine Auslegeordnung möglicher Förderungsinstrumente gemacht.170 In Betracht fallen folgende Instrumente:
– Der Staat sorgt dafür, dass elektronische Wahlhilfen mit dem Vote électronique verknüpft werden können.
– Der Staat anerkennt ausgedruckte Wahlempfehlungen von elektronischen
Wahlhilfen als gültige Wahlzettel.
– Der Staat macht Hinweise auf elektronische Wahlhilfen im Zusammenhang mit offizieller Wahlinformation, insbesondere in Wahlanleitungen
oder auf Wahlseiten im Internet.
– Der Staat entrichtet finanzielle Beiträge an Entwicklung und Betrieb von
Wahlhilfen.
Förderung ohne gesetzliche Grundlage?
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Im Fall der Wahl des StundentInnenrats der Universität Bern stand die Frage
zur Beurteilung, ob die Verknüpfung von smartvote.ch mit dem Vote électronique einer spezifischen gesetzlichen Grundlage bedurfte. Die zweite Beschwerdeinstanz kam zum Schluss, dass die Verknüpfung kein wichtiges
Staatshandeln darstelle und deshalb eine eigene Grundlage im Wahlreglement
nicht nötig gewesen war.171
Diese Ansicht ist verfehlt. Die Verknüpfung von elektronischer Wahlhilfe
und Vote électronique ist nicht einfach eine untergeordnete Modalität des
Wahlverfahrens. Vielmehr handelt es sich um einen Entscheid, der bedeutende
Auswirkungen auf die Willensbildung des Stimmvolks haben kann und deshalb eine Legitimation durch den demokratischen Gesetzgeber erfordert.172
Der Gesetzgeber kommt deshalb nicht umhin, eine Verknüpfung von elektronischen Wahlhilfen mit dem Vote électronique ausdrücklich zu normieren.
Aus denselben Gründen sind auch die anderen Massnahmen zur Förderung
von Wahlhilfen auf eine gesetzliche Grundlage angewiesen. Im Fall von finanziellen Beiträgen an Wahlhilfen ist eine gesetzliche Grundlage darüber
hinaus erforderlich, weil damit eine Subvention ausgerichtet wird.173
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Dazu oben Kap. C.II.2.b.
Dazu oben Kap. B.II.1.
Vgl. Art. 164 Abs. 1 Bst. a BV. Zum Erfordernis der gesetzlichen Grundlage für den Vote
électronique AUER/TRECHSEL (2001), S. 80 ff.
Vgl. Art. 164 Abs. 1 Bst. e BV. Vgl. auch Art. 17 Abs. 1 SuG (Bundesgesetz vom 5. Oktober
1990 über Finanzhilfen und Abgeltungen, Subventionsgesetz; SR 616.1).
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2.
Verhältnismässigkeit staatlicher Regulierung
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Wie jegliches staatliche Handeln müssen auch Förderungsmassnahmen vor
dem Gebot der Verhältnismässigkeit standhalten. Um die Verhältnismässigkeit von Massnahmen zur Förderung von Wahlhilfen zu untersuchen, sind
vorerst wiederum die betroffenen Rechtsgüter zu benennen. Dabei wird sich
die Frage stellen, ob Förderungsmassnahmen einen Beitrag zur Verwirklichung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit leisten können und insofern
grundrechtlich gefordert sind oder ob sie über das grundrechtlich Geforderte
hinausgehen. Nach der Klärung der betroffenen Rechtsgüter können dann
Eignung, Notwendigkeit und Zumutbarkeit einzelner Förderungsmittel beurteilt werden.
Betroffene Rechtsgüter
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Mit einer Förderung elektronischer Wahlhilfen könnte der Staat einen Beitrag
zu einer qualitativ hochstehenden, substanziellen Demokratie leisten. Zum
einen haben Wahlhilfen das Potenzial, den Willensbildungsprozess vor Wahlen zu versachlichen. Sie bieten die Chance, dass sich die politische Willensbildung zunehmend an politischen Inhalten orientiert und emotionale
Faktoren wie Charisma und Aussehen der Kandidaten oder unhinterfragte
Stimmgewohnheiten in den Hintergrund treten. Die politische Autonomie des
Stimmvolkes kann dadurch gestärkt werden.174 Zum anderen vermögen Wahlhilfen unter Umständen die Responsivität der staatlichen Institutionen zu verstärken, indem sie zwischen Wählern und Volksvertretern engere politische
Bindungen herstellen.175
Um die Verhältnismässigkeit von Förderungsmassnahmen zu beurteilen,
ist zu fragen, welche Rechtsgüter mit einer solchen Entwicklung verwirklicht
werden. Auf den ersten Blick stehen eine Versachlichung der Willensbildung
und eine erhöhte Responsivität der Institutionen im Dienste der Wahl- und
Abstimmungsfreiheit, d.h. des Grundrechts auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe. Falls dem so ist, greift Art. 35 Abs. 2 BV, wonach
die staatlichen Aufgabenträger verpflichtet sind, zur Verwirklichung der
Grundrechte beizutragen. Allerdings lassen sich eine freie Willensbildung und
unverfälschte Stimmabgabe auch ohne elektronische Wahlhilfen verwirklichen. Wahlhilfen führen nicht dazu, dass die Willensbildung «freier» und die
Stimmabgabe «unverfälschter» wird. Vielmehr sind sie bestrebt, das Niveau
174
175
62
Zum Vergleich der Willensbildung aufgrund von Wahlhilfen mit der Willensbildung im
Normalfall oben Kap. C.I.3.b.
Dazu oben Kap. D.II.3.b.
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der Willensbildung und die Responsivität der Institutionen zu verbessern.
Diese Interessen fallen aber nicht in den sachlichen Schutzbereich der Wahlund Abstimmungsfreiheit. Demzufolge kann sich eine staatliche Förderung
von Wahlhilfen nicht auf die Wahl- und Abstimmungsfreiheit berufen.
Worauf kann sich dann das Interesse an einer Förderung von Wahlhilfen
rechtlich abstützen? – In Frage kommt ein öffentliches Interesse an einer
substanziellen Demokratie. Die Bundesverfassung erwähnt ein solches Interesse nicht explizit, spricht aber immerhin in der Präambel von einer Stärkung
der Demokratie. Zudem lässt sich in der Bezeichnung der Nationalräte als
Abgeordnete des Volkes (Art. 149 Abs. 1 BV) und der Ständeräte als Abgeordnete der Kantone (Art. 150 Abs. 1 BV) das Ideal einer möglichst unmittelbaren, authentischen Vertretung der Bundesbevölkerung bzw. der Kantonsbevölkerungen erkennen.176 Darüber hinaus kann das Interesse an einer
substanziellen Demokratie auch als Ausfluss des verfassungsrechtlichen
Strukturprinzips der Demokratie verstanden werden.177 Das Bundesgericht
spricht im Zusammenhang mit der Unterstützung von Parteien und Fraktionen
vom «Interesse einer lebendigen Demokratie»178. Wie dem auch sei, die
Verfassung statuiert keinen Auftrag an den Gesetzgeber, in einem derartigen
öffentlichen Interesse tätig zu werden. Damit steht es im Belieben des Gesetzgebers, zwecks Förderung von Wahlhilfen tätig zu werden.
Falls aber der Gesetzgeber Förderungsmassnahmen ergreift, muss er entgegenstehende Rechtsgüter beachten. Dazu gehört zunächst die Wahl- und
Abstimmungsfreiheit. Danach ist eine staatliche Intervention im Vorfeld von
Wahlen nur dann zulässig, wenn sie den Geboten der politischen Neutralität
sowie der Objektivität und Sachlichkeit entsprechen. Die Tätigkeit einer elektronischen Wahlhilfe wird dem Staat zugerechnet, wenn er diese Wahlhilfe
fördert. Daraus ergibt sich die Bedingung, dass geförderte Wahlhilfen selber
politisch neutral sind, so objektiv wie möglich konzipiert sind und sachlich
erscheinen.179 Sodann setzt der verfassungsrechtliche Wahlgrundsatz des Proporzes der staatlichen Förderung von Wahlhilfen Schranken. Hinter dem
Grundsatz des Proporzes steht wiederum das öffentliche Interesse, dass politische Parteien an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitwirken.180
176
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Vgl. LANZ (2002), Rz. 2.
Zum Strukturprinzip der Demokratie TSCHANNEN (2007), S. 83 ff.
BGE 113 Ia 291 E. 3c S. 297. Dazu auch oben Kap. C.II.1.b.
Dazu oben Kap. C.II.2.b.
Dazu oben Kap. D.I.1.b.
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b.
Eignung einzelner Förderungsmittel
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Um elektronische Wahlhilfen zu fördern, sind die Verknüpfung mit dem Vote
électronique sowie die Zulassung ausgedruckter Wahlempfehlungen die Massnahmen mit der grössten Zielschärfe. Sie erhöhen die Attraktivität von Wahlhilfen, indem sie deren Benutzer davon entbinden, die empfohlenen Kandidatennamen mittels Abtippen bzw. Abschreiben in den amtlichen Wahlzettel
zu übertragen. Solange die elektronische Stimmabgabe in Bund und Kantonen
noch nicht etabliert ist 181, kommt von den beiden Massnahmen vorderhand nur
in Frage, Ausdrucke individueller Wahlempfehlungen als gültige Wahlzettel
zuzulassen.
Eine spezifische Förderungswirkung entwickeln vermutlich auch Hinweise
auf elektronische Wahlhilfen im Zusammenhang mit staatlicher Wahlinformation, insbesondere in offiziellen Wahlanleitungen. Dagegen sind finanzielle
Zuwendungen an Wahlhilfen weniger geeignet, deren Verbreitung zu fördern.
Die Fälle von politarena.ch und smartvote.ch zeigen, dass Private auch ohne
Staatsbeiträge die Initiative ergreifen und eine Wahlhilfe aufbauen. Zudem
wird eine Wahlhilfe von den Stimmbürgern nicht häufiger benutzt, nur weil
sie Staatsbeiträge erhält. Ein Grund für Staatsbeiträge an Wahlhilfen könnte
höchstens darin bestehen, deren politische Unabhängigkeit sicherzustellen.
Allerdings gibt es andere Finanzierungsmethoden, die politisch neutral sind,
etwa die gleichmässige Finanzierung einer Wahlhilfe durch die politischen
Parteien bzw. die Kandidaten selbst.182
Notwendigkeit einzelner Förderungsmittel
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Unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit ist nach dem Förderungsmittel
zu suchen, das am wenigsten andere Rechtsgüter tangiert und trotzdem geeignet ist, das Förderungsziel zu erreichen. Die fraglichen Förderungsmittel greifen indessen alle gleich stark in die entgegenstehenden Rechtsgüter ein. Denn
es ist die Verbindung zwischen Staat und Wahlhilfen als solche, die zur Kollision mit der Wahl- und Abstimmungsfreiheit und der verfassungsrechtlichen
Stellung der politischen Parteien führt. Aufgrund dieser Verbindung muss der
Staat die Gebote der politischen Neutralität, der Objektivität und Sachlichkeit
181
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Vgl. den neuen Art. 8 Abs. 1bis BPR: «(Der Bundesrat) kann Kantone, die Versuche zur
elektronischen Stimmabgabe über längere Zeit erfolgreich und pannenfrei durchgeführt
haben, auf Gesuch hin ermächtigen, diese Versuche für eine von ihm festgelegte Dauer
weiterzuführen. Er kann die Ermächtigung mit Auflagen oder Bedingungen versehen oder
die elektronische Stimmabgabe in Abwägung der gesamten Umstände jederzeit örtlich,
sachlich oder zeitlich ausschliessen.» (Änderung vom 23. März 2007, in: BBl 2007 2293).
Dazu oben Kap. C.II.3.a.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
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sowie den Grundsatz des Proporzes beachten. Die Intensität und Wirksamkeit
staatlicher Förderung ändern nichts an diesen Verpflichtungen.
Allerdings sind alternative Regulierungsinstrumente denkbar, die eine annähernd gleiche Wirkung wie Förderungsmassnahmen erzielen können, ohne
dass dadurch die Tätigkeit von Wahlhilfen dem Staat zuzurechnen ist. Es
handelt sich um Massnahmen, die nicht spezifisch an Wahlhilfen adressiert
sind, von denen aber Wahlhilfen nebenbei profitieren. Eine solche Massnahme wäre die allgemeine Liberalisierung der Vorschriften über die amtlichen
Wahlzettel. Danach wäre jedes lesbare Schriftstück mit Kandidatennamen zuzulassen, unter anderem auch ausgedruckte Empfehlungen von Wahlhilfen.183
Eine andere Massnahme, von der Wahlhilfen nebenbei profitierten, würde
darin bestehen, im Rahmen des Vote électronique das Kopieren von Kandidatennamen in den elektronischen Wahlzettel (copy-paste) generell zu akzeptieren.
Derartige allgemein gefasste Regelungen liessen sich nicht mehr als Massnahmen zur Förderung von elektronischen Wahlhilfen qualifizieren. Denn sie
sind nicht eigens auf die Förderung von Wahlhilfen ausgerichtet. Sie ziehen
keine Verfügungen nach sich, die bestimmten Wahlhilfen eine privilegierte
Stellung einräumen. Zwischen der staatlichen Handlung und den Auswirkungen von Wahlhilfen auf die Wahl- und Abstimmungsfreiheit sowie den Grundsatz des Proporzes besteht kein spezifischer Kausalzusammenhang. Entsprechend wäre die Tätigkeit von Wahlhilfen, die von der staatlichen Handlung
nebenbei profitierten, dem Staat nicht zurechenbar. Der Staat würde deshalb
mit den fraglichen Massnahmen weder in die Wahl- und Abstimmungsfreiheit
eingreifen noch den Grundsatz des Proporzes tangieren.
Zumutbarkeit einzelner Förderungsmittel
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Auf der einen Seite ist der Verfassung – im Unterschied zur Missbrauchsbekämpfung – wie gesagt keine grundrechtliche Verpflichtung zu entnehmen,
elektronische Wahlhilfen zu fördern. Das Gewicht des öffentlichen Interesses
an einer substanziellen Demokratie, auf das sich Förderungsmassnahmen berufen könnten, ist als relativ gering einzustufen. Auf der anderen Seite müssen
die aus der Wahl- und Abstimmungsfreiheit fliessenden Erfordernisse der politischen Neutralität sowie der Objektivität und Sachlichkeit ohne Einschränkung beachtet werden. Auch der Grundsatz des Proporzes, der politischen
Parteien im Wahlverfahren eine dominante Rolle zuweist, verträgt kaum eine
Relativierung durch das Interesse an einer substanziellen Demokratie.
183
Damit ginge allerdings die Möglichkeit verloren, die Auszählung der Stimmen mittels
Wägen nachzuprüfen (vgl. BGE 131 I 442 E. 2.2 S. 445 f.).
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Die staatliche Förderung von Wahlhilfen ist demnach nur zumutbar, wenn
die geförderten Wahlhilfen politisch neutral sind, den Erfordernissen der Objektivität und Sachlichkeit genügen und überdies mit dem Proporzsystem im
Einklang stehen. Das hat zur Konsequenz, dass Förderungsmassnahmen zumindest von folgenden Voraussetzungen abhängig zu machen wären:
– Geförderte Wahlhilfen sind in organisatorischer, personeller und finanzieller Hinsicht unabhängig;184
– geförderte Wahlhilfen bieten den Benutzern die Möglichkeit, die individuelle Wahlempfehlung vor der Stimmabgabe noch beliebig zu modifizieren;185
– geförderte Wahlhilfen genügen hohen Qualitätsanforderungen;186
– geförderte Wahlhilfen unterstützen die Benutzer in Proporzwahlen (auch)
in der Listenauswahl;187
– geförderte Wahlhilfen weisen die Benutzer auf die Qualifikationen der
Kandidaten hin.188
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Damit wird deutlich, dass die Förderung elektronischer Wahlhilfen mit einem
relativ grossen Regulierungsaufwand verbunden wäre. Gesetz- und Verordnungsgeber müssten die erwähnten Voraussetzungen, insbesondere die Anforderungen an die Unabhängigkeit und Qualität geförderter Wahlhilfen, konkretisieren. Zudem müssten die geförderten Wahlhilfen auf die Einhaltung der
Vorgaben kontrolliert werden. Angesichts dieses Aufwands drängt sich die
Frage auf, ob es nicht sinnvoller wäre, als Alternative die Vorschriften über die
amtlichen Wahlzettel zu liberalisieren und, im Fall einer Einführung des Vote
électronique, das copy-paste zu ermöglichen.
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Dazu oben Kap. C.II.3.a.
Dazu oben Kap. C.II.3.c.
Dazu oben Kap. C.II.3.d.
Dazu oben Kap. D.I.3.b.
Dazu oben Kap. D.II.2.b.
Elektronische Wahlhilfen in der Demokratie
Zusammenfassung der Ergebnisse
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I.
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F. Schlussbetrachtung
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In der vorliegenden rechtswissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens
der elektronischen Wahlhilfen wurde drei Schwerpunkte gesetzt: die Überprüfung von Wahlhilfen auf ihre Vereinbarkeit mit der Wahl- und Abstimmungsfreiheit, die Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen Wahlhilfen
und politischen Parteien sowie die Behandlung von Regulierungsfragen. Nun
gilt es die Ergebnisse zu diesen Punkten zusammenzufassen.
Beurteilung im Lichte der Wahl- und Abstimmungsfreiheit
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– Elektronische Wahlhilfen dürfen wie andere private Akteure nicht in unzulässiger Weise auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen. Eine
unzulässige Einflussnahme liegt allgemein dann vor, wenn Private mit
eindeutig falschen oder irreführenden Informationen die Willensbildung
der Wähler einseitig beeinflussen. (Kap. C.I.1.)
– Betreiber von Wahlhilfen könnten vor allem durch Fälschungen individueller Wahlempfehlungen versuchen, die Willensbildung gezielt zu manipulieren. Transparenz in Bezug auf Trägerschaft, Finanzierung und Methodik von Wahlhilfen ist geeignet, solchen Manipulationen vorzubeugen.
(Kap. C.I.2.)
– Für die Konzeption einer Wahlhilfe besteht ein grosser Gestaltungsspielraum, insbesondere was die Ausgestaltung des Fragekatalogs betrifft.
Das bedeutet aber keineswegs, dass Wahlhilfen die politische Willensbildung systembedingt verfälschen. Unbeabsichtigte Verfälschungen könnten sich höchstens dann ergeben, wenn eine Wahlhilfe grobe Qualitätsmängel aufweist. (Kap. C.I.3.)
– Staatliche Interventionen im Hinblick auf Wahlen sind nur ausnahmsweise
erlaubt und müssen mit Bezug auf die politische Willensbildung und Willensbetätigung neutral sein, d.h. sie dürfen nicht einzelne Kandidaten oder
Parteien bevorzugen oder benachteiligen. Soweit die Intervention in Form
staatlicher Information erfolgt, muss diese zudem so objektiv wie möglich
sein und sachlich erscheinen. (Kap. C.II.1.)
– Der Staat, der durch eine Verknüpfung mit dem Vote électronique oder auf
andere Weise elektronische Wahlhilfen fördert, interveniert mittelbar in
Wahlkämpfe. Die Einflussnahme auf die politische Willensbildung durch
eine geförderte Wahlhilfe ist dem Staat zurechenbar. Geförderte Wahl-
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Spannungsverhältnis zwischen Wahlhilfen und Parteien
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hilfen müssen daher den Geboten der politischen Neutralität sowie der
Objektivität und Sachlichkeit genügen. (Kap. C.II.2.)
– Das Erfordernis der politischen Neutralität bedeutet, dass eine Wahlhilfe in
organisatorischer, personeller und finanzieller Hinsicht unabhängig sein
muss. Zudem ist der Staat gehalten, alle Wahlhilfen, welche die Anforderungen an die politische Neutralität erfüllen, in gleicher Weise zu fördern.
Das Gebot der Objektivität verlangt, dass eine Wahlhilfe hohen Qualitätsanforderungen genügt. (Kap. C.II.3.)
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– Die Verfassung garantiert den politischen Parteien im Wahlverfahren eine
privilegierte Stellung. Ausdruck davon ist das Wahlsystem des Proporzes,
wonach die Mandate in einem ersten Schritt auf die Listen der politischen
Parteien und erst in einem zweiten Schritt auf die Kandidaten verteilt werden. (Kap. D.I.1.)
– Der Proporz wird faktisch ausgehebelt, wenn das Stimmvolk primär Persönlichkeiten und nicht Parteien wählt, indem es mehrheitlich freie Wahllisten benutzt und panaschiert. Elektronische Wahlhilfen, die einzelne Kandidaten und nicht Listen empfehlen, könnten einer solchen Entwicklung
Vorschub leisten. (Kap. D.I.2.)
– Der Schutz des Proporzsystems und damit der Funktion der politischen
Parteien im Wahlverfahren würde es nicht rechtfertigen, prohibitive Massnahmen gegen Wahlhilfen zu treffen. Demgegenüber würde eine staatliche
Förderung von Wahlhilfen, die Kandidaten und nicht Listen empfehlen,
mit dem Grundgedanken des Proporzes in Konflikt geraten. (Kap. D.I.3.)
– Die Verfassung anerkennt die Funktion der politischen Parteien auch in
Bezug auf die parlamentarische Arbeit, indem sie die Bildung von Fraktionen vorsieht. Durch die Verankerung von Proporz und Fraktionen gibt die
Verfassung ein Repräsentationsmodell zu erkennen, wonach die Parlamentarier in erster Linie die in Parteiprogrammen gebündelten Ideen und Interessen vertreten. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Vertretung
von Sonderinteressen im Sinne des liberalen Repräsentationsmodells.
(Kap. D.II.1.)
– Eine Verbreitung von Wahlhilfen, die Kandidaten und nicht Parteien empfehlen, könnte einen Bedeutungsverlust der Parteifraktionen mit sich bringen. Allerdings würde dadurch nicht per se auch der Parlamentsbetrieb
gefährdet, da sich die Parlamentarier in anderer Weise organisieren können, um die Ratsgeschäfte effizient zu erledigen und den politischen Diskurs zu strukturieren. Eine zunehmende Benutzung von Wahlhilfen, die
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3.
Fragen staatlicher Regulierung
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auf die Auswahl von Kandidaten fokussiert sind, könnte indessen dazu
führen, dass unqualifizierte Kandidaten begünstigt werden. (Kap. D.II.2.)
– Mit der Verbreitung von Wahlhilfen erhöht sich möglicherweise die politische Eigenständigkeit der Parlamentarier gegenüber Interessengruppen.
Dadurch ergibt sich eine Verschiebung vom liberalen zum republikanischen Repräsentationsmodell und mit ihr die Chance, dass Parlamente
vermehrt das Volk in seiner ganzen Breite repräsentieren. Dies setzt allerdings voraus, dass die Parlamentarier ihre politischen Positionen, die sie
den Wahlhilfebenutzern gegenüber deklariert haben, auch während der
Amtszeit einnehmen. Ein politisches Monitoring wäre ein Mittel, um das
Stimmverhalten der Parlamentarier auf seine Übereinstimmung mit den
angekündigten politischen Positionen zu überprüfen. (Kap. D.II.3.)
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– Ein Motiv für den Gesetzgeber, elektronische Wahlhilfen zu regulieren,
besteht darin, allfällige Missbräuche zu bekämpfen. De lege lata existieren
bereits Interventionsmittel, vor allem die Richtigstellung irreführender
Privatpropaganda. De lege ferenda sind insbesondere folgende Mittel in
Betracht zu ziehen: nachträgliche Schliessung einer Wahlhilfe, die nachweislich zu Verfälschungen der Willensbildung geführt hat; präventive
Schliessung einer Wahlhilfe, die gesetzlich definierten Transparenz- und
Qualitätsanforderungen nicht genügt (Kap. E.I.1.).
– Staatliche Massnahmen zur Bekämpfung von Missbräuchen stehen einerseits im Dienste der Wahl- und Abstimmungsfreiheit und greifen anderseits
in die Meinungsfreiheit der Betreiber und Benutzer von Wahlhilfen ein. Die
nachträgliche Schliessung von fehlbaren Wahlhilfen erscheint als verhältnismässige Massnahme zum Schutz der Wahl- und Abstimmungsfreiheit.
Demgegenüber ist die präventive Schliessung an die restriktiven Voraussetzungen zu knüpfen, dass eine Wahlhilfe exakt definierte Transparenzkriterien nicht erfüllt und zudem die konkrete Gefahr einer Verfälschung
der politischen Willensbildung begründet. (Kap. E.I.2.)
– Ein weiteres Regulierungsmotiv ist die Förderung von Wahlhilfen. Als
Förderungsinstrumente stehen die Verknüpfung von Wahlhilfen mit dem
Vote électronique und die Zulassung ausgedruckter Wahlempfehlungen als
gültige Wahlzettel im Vordergrund. (Kap. E.II.1.)
– Eine staatliche Förderung von Wahlhilfen kann sich auf das öffentliche
Interesse an einer qualitativ hochstehenden, substanziellen Demokratie berufen. Dagegen setzen das Gebot politischer Neutralität sowie der Grundsatz des Proporzes einer Förderung von Wahlhilfen enge Schranken. Als
Alternative zu Förderungsmassnahmen wäre denkbar, die Vorschriften über
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die amtlichen Wahlzettel allgemein zu liberalisieren und, im Fall einer
Einführung des Vote électronique, das Kopieren von Kandidatennamen in
den elektronischen Wahlzettel zu ermöglichen. (Kap. E.II.2.)
II. Ausblick
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Elektronische Wahlhilfen, welche gemeinsame politische Überzeugungen von
Wählern und Kandidaten oder Parteien zum Massstab der Stimmabgabe erheben, sind ein neues Phänomen in der Demokratie. Sowohl das Angebot als
auch die Benutzung solcher Wahlhilfen sind im Zunehmen begriffen. Ob dieser Trend weiter anhält und in welche Richtung er sich entwickelt, lässt sich
indessen nicht vorhersehen. So kann es sein, dass Wahlhilfen in Zukunft als
einer von vielen Faktoren politischer Willensbildung – neben Radio, Fernsehen, Zeitungen, Parteien, Verbänden und anderen Informationsträgern – eine
untergeordnete Rolle spielen. Es kann aber auch sein, dass Wahlhilfen für die
Stimmbürgerschaft derart attraktiv werden, dass sie zu tief greifenden Veränderungen der demokratischen Prozesse führen.
Welchen Platz elektronische Wahlhilfen in der Demokratie einnehmen werden, hängt im Wesentlichen von den Bedürfnissen der Stimmbürger und der
Bereitschaft der politischen Akteure ab. Der Staat hat dagegen in erster Linie
die Aufgabe, die Entwicklung zu beobachten und dafür zu sorgen, dass sie in
verfassungsrechtlich geordneten Bahnen verläuft. Zu diesem Zweck sollte der
Gesetzgeber rechtliche Grundlagen ins Auge fassen, welche den Behörden
eine angemessene Bekämpfung möglicher Missbräuche erlauben. Bis zu einem gewissen Grad hat es der Staat aber auch in der Hand, die Verbreitung
von Wahlhilfen zu beschleunigen. Zur Diskussion stehen technische Massnahmen, die private Wahlhilfen und öffentliches Wahlverfahren so verbinden,
dass den Wahlhilfebenutzern die Stimmabgabe erleichtert wird. Eine solche
Massnahme wäre die Verknüpfung von Wahlhilfen mit der elektronischen
Stimmabgabe. Die Aussicht auf eine solche Verknüpfung könnte für den Staat
geradezu ein zusätzliches Motiv sein, den Vote électronique einzuführen.189
Welches die Zukunft elektronischer Wahlhilfen auch sein mag, das Phänomen als solches gibt Anlass zur visionären Vorstellung einer Demokratie, die
das Ideal politischer Selbstbestimmung auf nie dagewesene Weise verwirklicht. Eine Demokratie, in der zwischen Regierenden und Regierten weitgehend politische Identität herrscht. Eine Demokratie, in der das Gemeinwohl
189
70
In diesem Sinn auch LADNER/FIVAZ (2006), S. 9: «E-Voting als Katalysator für eine
E-Democracy». Vgl. dagegen die Warnungen vor möglichen Komplikationen eines
E-Voting bei Wahlen KLEY/FELLER (2003), S. 102.
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nicht von privaten Teilgesellschaften mit ihren Sonderinteressen definiert
wird, sondern aus der freien Verständigung von aufgeklärten Staatsbürgern
hervorgeht. JEAN-JACQUES ROUSSEAU skizzierte eine solche Vision vor bald
250 Jahren in seiner Schrift über den Gesellschaftsvertrag.190 Das mit dem
Internet möglich gewordene Instrument der Wahlhilfe verfügt zumindest über
die Anlage, die politische Praxis ein kleines Stück weit diesem alten Demokratieideal anzunähern.
190
JEAN-JACQUES ROUSSEAU, Vom Gesellschaftsvertrag (Übersetzung von Du Contrat Social
von 1762), Reclam, Stuttgart 2001, insbesondere S. 31 (Buch 2, Kap. 3): «Um wirklich die
Aussage des Gemeinwillens zu bekommen, ist es deshalb wichtig, dass es im Staat keine
Teilgesellschaften gibt und dass jeder Bürger nur seine eigene Meinung vertritt.»
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