polit:zeit 17 Ein virtueller Kompass für die politische Landkarte In einem Jahr wird in Liechtenstein der neue Landtag gewählt. Doch welcher Kandidat vertritt Sie am besten, wenn Sie für eine Verschärfung der Asylpolitik und eine Privatisierung öffentlicher Unternehmen sind? Oder für einen Ausbau staatlich finanzierter Krippenplätze und einen längeren Vaterschaftsurlaub? Das Online-Tool «wahlhilfe.li» soll die Qual der Wahl etwas lindern. Text: Michael Benvenuti Wer ein neues Auto, Mountainbike oder TV-Gerät kaufen will, klappert heute nicht mehr stundenlang die Region ab, fährt von einem Händler zum nächsten, sammelt Prospekte und vergleicht diese dann zu Hause. Heute reicht ein Blick ins Internet: Ohne grössere Anstrengung können die einzelnen Modelle gemütlich vom Wohnzimmer aus auf einer der unzähligen Konsumenteninfo-Websites verglichen werden. Mit wenigen Mausklicks ist für den Kunden ersichtlich, was er beim jeweiligen Anbieter für sein Geld bekommt. Der unbekannte Kandidat So einfach es ist, Konsumgüter ohne grossen Aufwand zu vergleichen und das geeignete Produkt zu finden, so schwierig gestaltet sich dieses Vorhaben in Liechtenstein bei Landtags- oder Gemeinderatswahlen. Zwar haben die Parteien mittlerweile die elektronischen Medien für sich entdeckt und ihren Internetauftritt in den vergangenen Jahren professionalisiert – ein detaillierter Vergleich zwischen VU, FBP, FL und DU und vor allem deren Kandidaten ist wegen fehlender unabhängiger Informationsquellen nur sehr schwer möglich – wenn überhaupt. Wissen Sie, wie die einzelnen Landtagsabgeordneten zur geplanten AHV-Reform stehen, die Notwendigkeit der S-Bahn einschätzen, Zuwanderungsbeschränkungen beurteilen, das Ende November soll das Online-Tool «wahlhilfe.li» starten. Kooperationspartner ist smartvote aus der Schweiz. Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren werten oder ob sie striktere Datenschutzmassnahmen fordern? Um das zu erfahren, müssten Sie die einzelnen Volksvertreter persönlich kontaktieren und befragen – ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei basieren demokratische Wahlen auf dem Ideal, dass Wähler ihre Stimme jenen Kandidaten geben, die den eigenen politischen Positionen und Werten am ehesten entsprechen. So soll sichergestellt werden, dass der Wählerwille auch tatsächlich zum Tragen kommt. Das Fehlen eines objektiven, transparenten und neutralen Vergleichsinstruments für Parteien und Kandidaten beschäftigt Robin Schädler schon länger. Während des Wahlkampfs zu den Landtagswahlen 2013 kam dem Balzner die Idee, in Liechtenstein eine entsprechende Online-Plattform zu schaffen. Auf dieser bewerten Wähler Haltungen zu Sachfragen, denen sich zuvor schon die Kandidaten gestellt haben: Mit «Ja», «Eher ja», «Eher nein», «Nein» oder «Keine Antwort». Am Ende kann der Nutzer vergleichen, mit welchen Kandidaten er die grösste Übereinstimmung hat. 2015 reichte Robin Schädler das Projekt beim Ideenkanal ein und wurde prompt prämiert. Seither treibt er es gemeinsam mit einem engagierten Mentorenteam voran. Testlauf erfolgreich absolviert Ein erster Testlauf mit aktuellen Landtagsabgeordneten wurde im September 2015 erfolgreich absolviert. 18 der 25 amtierenden Abgeordneten nahmen daran teil, daneben auch 5 stellvertretende Abgeordnete. Die dabei gesammelten Anregungen polit:zeit Smartspider Landtag Spektrum der im Landtag vertretenen Positionen neutral 100 Du de Offene Aussenpolitik Liberale Gesellschaft Liberale Wirtschaftspolitik 75 50 Durchschnittswert der Abgeordneten 25 Ausgebauter Maximaler Wert der Abgeordneten Restriktive Finanzpolitik Sozialstaat Minimaler Wert der Abgeordneten 0 Datenreihen1 Law & Order Ausgebauter Umweltschutz Ablehnung mung Durchschnittswert der Abgeordneten Maximaler Wert der Abgeordneten Minimaler Wert der Abgeordneten und Vorschläge werden in den Fragebogen für die Landtagswahlen 2017 einfliessen. Zuvor wurde Schädler persönlich mit seinem Projekt «wahlhilfe.li» bei Abgeordneten und Fraktionen vorstellig. Er erhielt dabei grossmehrheitlich ein erfreulich positives Feedback: «Nicht nur Wähler, auch Abgeordnete schätzen diese Transparenz und die Möglichkeit, ihre Ansichten klarer darlegen zu können.» Schweiz bietet die Online-Wahl- Minimaler Wert hilfe Smartvote ihre Dienste seit 2003 an. Smartvote wird auch der Abgeordneten das technische Know-how der liechtensteinischen Version liefern, wie Robin Schädler im GeLiberale spräch mit der «lie:zeit» erklärt: Gesellschaft «Smartvote wird als Kooperationspartner die IT-Infrastruktur zur Verfügung stellen.» Die Homepage selbst wird jedoch von einer heimischen Firma gestaltet. Ausgebauter Minimaler Wert aller Abgeordneter Um alle Altersgruppen anzuIdee wurde 1989 geboren Sozialstaat sprechen und auch weniger Neu ist die Idee einer Onlineinternetaffi ne Personen nicht Wahlhilfe freilich nicht. Erfunzu überfordern, soll die Maske den wurde das simple Prinzip möglichst einfach und intuitiv 1989 in den Niederlanden, damals erschien der Fragebogen bedienbar sein, betont Schädler. noch auf Papier. Die erste InEntscheidend ist jedoch die Austernet-Version des StemWijzer wahl der Fragen. Diese werden Ausgebauter unter stammt aus dem Jahr 1998. In vom Liechtenstein-Institut Umweltschutz Deutschland wurde der Wahlder Federführung von Wilfried O-Mat erstmals zur BundestagsMarxer und Christian Frommelt wahl 2002 aufgeschaltet, in der erstellt und decken insgesamt Restriktive Migrationspolitik über zehn Bereiche ab – unter anderem Offene den Sozialstaat, BilAussenpolitikUmwelt, Justiz dung, Wirtschaft, und Ethik. Die einzelnen Fragen sind dabei speziell auf Liechten- «Die Politiker sollen erklären, in welche Richtung sie das Land führen wollen.» Robin Schädler, Initiator wahlhilfe.li stein zugeschnitten und bieten – als Entscheidungshilfe – jeweils kurze Erläuterungen sowie ein Pro und Contra. Angeboten werden im Vorfeld der Landtagswahlen 2017 zwei Fragebogen: Eine Kurzversion mit ca. 30 Fragen Restriktive Migrationspolitik und eine ausführliche Variante mit ca. 75 Fragen. Am Schluss wird dem Wähler eine Liste der Kandidaten präsentiert, auf der diese in absteigender Reihenfolge gemäss Übereinstimmung Liberale mit dem Profil des Wählers aufWirtschaftspolitik geführt werden. Start Ende November 2016 Als offiziellen Start der neuen Online-Plattform «wahlhilfe. li» hat Robin Schädler Ende November 2016 im Visier: «Ziel ist Restriktive es, dass Finanzpolitik möglichst alle Kandidierenden ein Profi l erstellen und somit einen vollständigen Vergleich ermöglichen.» Der Vorteil für den interessierten Wähler liegt auf der Hand, doch was nützt dieses Instrument den Parteien und vor allem den Law & Order «Jeder Kandidat Kandidaten? hat objektiv dieselben Chancen, sich einem breiten Publikum zu präsentieren. Er kann seine M de 19 liche politische Arbeit mit den vorher getätigten Aussagen im Wahlkampf vergleichen», glaubt Schädler. Im Herbst 2015 absolvierte wahlhilfe.li mit den aktuellen Landtagsabgeordneten einen erfolgreichen Testlauf. 18 der 25 amtierenden Abgeordneten nahmen daran teil, daneben auch 5 stellvertretende Abgeordnete. Das Ergebnis zeigt, dass im Landtag ein breites Spektrum an Positionen abgedeckt wird. Darüber hinaus konzentrieren sich die Positionen der meisten Abgeordneten um den Mittelwert herum. eigenen Ansichten anschaulich darstellen. Gleichzeitig können sich die Parteien profi lieren. Ausserdem steigert dieses Tool die Partizipation der Bürger an der Politik, was wiederum den Parteien zugutekommt», ist Schädler überzeugt. Aufgrund detaillierter Erläuterungen zu den einzelnen Fragen handelt es sich denn auch um ein Instrument der politischen Bildung. Merkzettel für die Wähler Und was erhofft sich Schädler von der neuen Online-Wahlhilfe? «Die Politiker sollen erklären, in welche Richtung sie das Land führen wollen. Unser Tool gibt ihnen die Möglichkeit, ganz präzise ihre Haltung darzulegen.» Dadurch, dass die Antworten transparent sind, eignet sich «wahlhilfe.li» auch sehr gut als eine Art «Merkzettel» für die Wähler. «Sie können die tatsäch- Ganz umsonst ist das Ganze natürlich nicht zu haben. Schädler freut sich deshalb umso mehr über die erfolgreiche Spendenkampagne, die der Ideenkanal initiiert hat. Überhaupt sei «wahlhilfe.li» durch das Feilen an der Idee im Rahmen des Ideenkanals und durch die kontinuierliche Unterstützung der Mentoren richtig ins Rollen gekommen. Noch aber braucht Schädler für das Projekt «Zustupf». Weitere Finanzierungszusagen, und auch insbesondere inhaltliche Rückmeldungen, seien immer willkommen. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.wahlhilfe.li und auf www.facebook.com/wahlhilfe.li Robin Schädler Nach der Matura am Liechtensteinischen Gymnasium in Vaduz schloss Robin Schädler 2010 den Bachelor in Recht und Wirtschaft ab, 2012 am University College London, dann den Master in Menschenrechten. Soeben absolvierte er ein sechsmonatiges Praktikum beim Landgericht in Vaduz. Aktuell schreibt der 27-jährige Balzner an einer Doktorarbeit über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Ziel der Arbeit ist es, dass jeder relativ einfach abschätzen kann, ob sich ein Gang zum Gerichtshof nach Strassburg lohnt. CHRISTIAN FROMMELT Forschungsbeauftragter Politik am Liechtenstein-Institut IM INTERVIEW lie:zeit Die Aussagekraft von Online-Wählerhilfen steigt und fällt mit der Auswahl der Fragen. Nach welchen Gesichtspunkten wird der Fragenkatalog bei «wahlhilfe.li» erstellt? Christian Frommelt: Der Fragekatalog für die Landtagswahlen wird dieselben Themenbereiche abdecken wie bei den von smartvote Schweiz im Vorfeld von kantonalen oder eidgenössischen Wahlen durchgeführten Befragungen. Folglich sind auch die Fragen meist sehr ähnlich wie in der Schweiz. Selbstverständlich wird der Fragebogen aber auch Fragen enthalten, die sich nur auf Liechtenstein beziehen und sich dabei an aktuellen politischen Herausforderungen orientieren. Was ist bei der Erstellung des Fragebogens besonders zu berücksichtigen? Die Fragen sind so zu stellen, dass die Ansicht des einzelnen Kandidaten möglichst deutlich wird. Beantwortet ein Kandidat z. B. die Frage, ob es richtig wäre, den Staatsbeitrag für die AHV auf 30 Millionen zu senken, mit «eher Nein», bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass er gegen eine Senkung des Staatsbeitrages ist. Entsprechend ist es wichtig, dass sich aus den Antworten der Kandidaten immer eine möglichst klare Einteilung in ein Pro- und Contra-Lager ergibt. Obwohl die Fragen zweifelsohne sehr sorgfältig ausgewählt werden, hat ein solcher Fragenkatalog immer etwas Willkürliches. So wird beispielsweise nicht nach Begründungen oder alternativen Lösungen gefragt. Sehen Sie das als Problem? Nein. Eine hohe Übereinstimmung in politischen Fragen soll- te nie das alleinige Wahlmotiv sein. In der Politik geht es ja auch nicht nur darum, Ansichten zu haben, sondern diese in den politischen Prozess einzubringen, zu präsentieren und letztlich auch erfolgreich durchzusetzen. Entsprechend sehen wir das Tool lediglich als einen ersten Filter für den Wahlentscheid und der Wähler ist dazu aufgerufen, sich weiter über die einzelnen Kandidaten zu informieren. Kann sich eine Wahlhilfe auf den Wahlentscheid auswirken? Die bisherigen Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Online-Wahlhilfen besonders von jungen Wählern und dabei vor allem von Wechselwählern genutzt werden. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das liechtensteinische Wahlrecht besonders geeignet für eine Wahlhilfe, da Liechtenstein keine starren Listen kennt. Studien in der Schweiz zeigen, dass die Nutzer von Online-Wahlhilfe eher dazu neigen, einzelne Kandidaten zu streichen bzw. Kandidaten von anderen Listen dazu zu schreiben – also zu panaschieren. Mit Blick auf Online-Wahlhilfen wird oft kritisiert, dass die Kandidaten strategisch antworten, um so das von ihnen angestrebte Profil zu erlangen. Kann das verhindert werden? Um einem solchen Antwortverhalten gegenzusteuern, ist es wichtig, auch die konkreten Positionen im Parlament zu dokumentieren und gegebenenfalls den Antworten bei Online-Wahlhilfen gegenüber zu stellen. Das Liechtenstein-Institut analysiert seit 2010 das Abstimmungsverhalten der Landtagsabgeordneten. Entsprechend wäre ein solcher Abgleich möglich.