Der Standard Moduliertes Gelände für modernes

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Bezirkshauptmannschaft
Murau
Bahnhofviertel 7
8850 Murau, Österreich
© Werner Feiersinger
Moduliertes Gelände für modernes Bürgerservice
SAMMLUNG
Die Bezirkshauptmann- schaft in Murau von Wolfgang Tschapeller und Friedrich W.
Schöffauer ist ein architektonisches Unikat, in dem künstlerische Idee, funktionelle
Notwendigkeiten und örtliche Gegebenheiten zu einer fesselnden Einheit
verschmelzen.
ARCHITEKTIN
Der Standard
Wolfgang Tschapeller
Friedrich W. Schöffauer
BAUHERRIN
Land Steiermark
von Franziska Leeb
Mittelalterliche Baudenkmäler und die Lage an der Mur, eingebettet in die waldreiche
Berglandschaft der Tauern und Nockberge, machen die steirische Bezirkshauptstadt
Murau zu einem beliebten Ferienziel. Seit der Landesausstellung 1995 mit dem Titel
"Holzzeit" positioniert sich die Gegend erfolgreich als Holzregion und hat sich mit einigen
interessanten Holzbauten auch einen Platz in der jüngeren Architekturgeschichte erobert.
Gern wird in Gegenden wie diesen das landschaftsgerechte Bauen thematisiert, und zwar
so gut wie immer aus einem Blickpunkt, der den Dualismus von (intakter) Landschaft und
(künstlichem) Gebäude fokussiert. Malerische Landschaften können aber trügerisch sein,
die ideale Landschaft ist Fiktion, betont Wolfgang Tschapeller. Seit ihrem leider unrealisiert
gebliebenen Entwurf für das Trigon-Museum in Graz beschäftigen sich Tschapeller und
Friedrich W. Schöffauer damit, die Polarität zwischen Gelände und Gebäude aufzuheben
und die Architektur als Modulation der Landschaft zu verstehen.
Der Bauplatz für die neue Bezirkshauptmannschaft liegt auf einem zur Mur steil
abfallenden Hang auf dem der Stadt gegenüberliegenden Flussufer. Seit 1995 mündet hier
der von den Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter sowie dem
Tragwerksplaner Jürg Conzett geplante Mursteg als direkte Verbindung zwischen den
östlichen Stadtteilen mit dem Bahnhof Murau-Stolzalpe. Auch wenn er heute ganz natürlich
anmutet, der gesamte Uferrücken des Bauplatzes wird von Aufschüttungen gebildet, ist
also künstlich konstruiertes Gelände. Neben dem Grund selbst und dem Mursteg
determiniert noch ein drittes konstruiertes Element den Bauplatz, die Betonkonstruktion der
so genannten "Straßenhanghalbbrücke" der Bundesstraße, die an der Hangkante das
Areal säumt. In diese Gegebenheiten mit der Errichtung einer neuen Funktionseinheit
einzugreifen bedeutet daher im "weitesten Sinn einen Umbau", sagt Tschapeller, da ja
bereits ein konstruierter Untergrund vorhanden ist. Die Architekten entwickelten die
Gebäudefigur anhand eines Geländemodells aus Kartons, das durch vier auf den Mursteg
ausgerichteten Schnitten zerteilt wurde. Aus den entstehenden Spalten herausgelöstes
Material wird über Niveau entlang der Grabenkanten als bauliches Volumen wieder
aufgeschichtet. Die Masse am Grundstück wird somit nur umgelagert, bleibt also konstant.
STATIK
Arnulf Ibler
Adolf Verderber
FUNKTION
Büro und Verwaltung
PLANUNG
1998 - 2000
AUSFÜHRUNG
1999 - 2002
MITARBEIT PLANUNG
Thomas Stepany, Rüdiger Ingartner,
Günter Unterfrauner, Bettina Bauer,
Constance Weiser, Jörn Aram Bihain,
Wladimir Wlado, Elaina Ganim, Markus
Lentsch
WEITERE KONSULENTiNNEN
Geotechnik: Peter Lechner, Graz
Bauphysik und Wärmehaushalt: Peter
Kautsch, Wibke Tritthart, Christian
Gummerer, Wolfgang Streicher, IFZ
Graz
Projektleitung: Thomas Baumgartner,
Günter Koch, Günter Koberg (Amt der
Stmk. Landesregierung)
Bauleitung: Gerhard Steiger,
Judenburg
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Diese Herangehensweise mutet höchst theoretisch und kopflastig an. Besucht man heute
das fertig gestellte Bauwerk, erstaunt sowohl die Schlüssigkeit dieser Methode als auch
© Werner Feiersinger
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Bezirkshauptmannschaft Murau
das durch und durch praxistaugliche Resultat. Das umfangreiche Raumprogramm wurde
auf drei Häuser aufgeteilt, die sich um den Mursteg gruppieren und an diesen mittels einer
Brücke angebunden sind. Von den sieben Geschoßen des Haupthauses liegen drei unter
dem Straßenniveau entlang der Flanken des ausgehobenen Grabens und ankern als
abgetreppter Sockelbau fest im Gelände. Vier erheben sich darüber in einem kompakten,
kubisch-kristallinen Körper. Schon von der Eingangsebene aus ist das gesamte Volumen
des aus einem Beton-Stahl-Skelett konstruierten Gebäudes erfassbar. Denn zwischen
Haupttrakt und Gelände schmiegt sich ein 22 Meter hoher verglaster Luftraum, in den die
Treppen, Gänge und der Lift in einer Stahlkonstruktion angeordnet sind.
Das erleichtert zusammen mit einem übersichtlichen Leitsystem nicht nur die Orientierung
im Haus, sondern ermöglicht dem Besucher auch die Verortung im größeren
Zusammenhang, da die Landschaft, der Stadtraum und die unmittelbar umgebende
Geländeformation stets wahrnehmbar sind. Weiters dient der geschoßübergreifende Spalt
auch der Klimaregulierung zwischen den kühleren Untergeschoßen und den zur Gänze
oberirdisch gelegenen Ebenen.
Im Zusammenspiel von filigran wirkendem Gefüge der Stahlkonstruktion, Licht, Schatten
und hier agierenden Personen entsteht ein vielschichtig bewegtes Konglomerat an sich
überlagernden Eindrücken. Eine Videoinstallation der britischen Künstlerin Imogen
Stidworthy zeichnet mittels sensorgesteuerter Kamera diese Bewegungen auf und zeigt
Extrakte daraus an Monitoren nächst dem Eingang, wo auch sämtliche "amtlichen"
Informationen konzentriert zu erfassen sind.
Die zwei kleineren Bauteile, die mittels Mursteg und einer diesen verlängernden
zweigeschoßigen Brücke in einem komplexen, die interne und externe Erschließung
bündelnden Wegesystem an das Haupthaus angebunden sind, bergen das Forstreferat
bzw. das Anlagenreferat und den Sitzungssaal. Der Materialmix aus Beton, Glas,
Kunststoff, Stahl, Holz und Aluminium wirkt hier nicht wie die Zurschaustellung von
Musterkollektionen aus dem Baumarkt.
Jede Komponente ist so eingesetzt, wie sie ihre Funktion am besten erfüllt. Und auch die
Farbpalette ist reichhaltig. Das Haupthaus akzentuiert eine Acrylglasfassade in Blauviolett,
die zwei kleineren Bauten sind in Orange und Grün gehüllt. In den Büros dienen farbige
Rollos zur Beschattung und Böden und Wände im Bereich der Sanitäts- und Sozialräume
sind in Blassgrün gehalten. Es handelt sich dabei um kein inhaltsschweres Farbkonzept,
sondern um leichter Hand sicher gesetzte Akzente, die zu einem guten Teil mit der
Farbwelt eines Baumenschen zu tun haben. Das Hellgrün ist von der
Polystyrol-Trittschalldämmung hergeleitet, das Grün des Forstreferates nicht vom Wald,
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sondern ebenso wie das Orange nebenan von der Farbe der Zeichenlineale, und das
Stahlskelett erhielt eine Deckschicht in gleicher Farbe wie die Grundierung.
Das ambitionierte baukünstlerische Konzept ließ dennoch viel Platz für die Vorlieben der
Nutzer, die vom Engagement und der Kooperation der Architekten sehr angetan sind.
Geschoßweise durften sie sich die Art der verwendeten Hölzer aussuchen, und auch
innerhalb der einzelnen Büros blieb Raum für individuelle Gestaltung und die Integration
vorhandener Möbel. Nettigkeiten wie eine Spielecke und das große Aquarium im untersten
Geschoß wirken nicht wie nachträgliche Bemühungen um einen Hauch Wärme, sondern
sind selbstverständliche Teile eines facettenreichen Ganzen. Natürlich sind es die
Architekten, die die Strukturen vorgaben. Wolfgang Tschapeller erachtete es allerdings
ganz richtig als wesentlich, nicht gegen die Nutzer, sondern mit ihnen zu arbeiten. Er hätte
sogar noch mehr Freiraum gelassen, wenn dies gewünscht gewesen wäre.
Die Murauer können sich mit dem extravaganten Stück neuer Architektur voll identifizieren.
Das beweist die Tatsache, dass die neue Bezirkshauptmannschaft in die Bildergalerie auf
der Homepage der Stadt gleichwertig neben historischen Ansichten der Stadt präsentiert
wird. In anderen Ferienregionen entscheidet man sich hingegen gern dafür, das Neue
vorsichtshalber zu verbergen, hier wird stolz darauf hingewiesen. Die Schöpfer des
anfangs erwähnten Murstegs sahen einst ihr Werk durch den Bau der neuen
Bezirkshauptmannschaft bedroht und starteten eine europaweite Protestaktion. Das
Projekt von Tschapeller und Schöffauer wurde zum Glück dennoch wie geplant umgesetzt.
Sie nutzten das Programm der Brücke und integrierten sie genauso wie alle anderen
vorgefundenen Bedingungen. Und umgekehrt betrachtet, hat es der Steg nicht nur
ausgehalten, sondern er wurde in seinem Stellenwert sogar aufgewertet. Die BH Murau ist
nicht nur als singuläres Objekt betrachtet ein starkes Stück Architektur. Mit einem
baukünstlerischen Akt, der wohl ein Kraftakt gewesen sein muss, wurde ein Ort neu
interpretiert und inhaltlich angereichert. Markante Bauten der Stadt wie das Schloss oder
die Kirche erhielten ein zeitgenössisches Gegenüber am anderen Murufer, das in der Art,
wie es vielschichtig den Hang bezwingt, durchaus Parallelen zur Struktur des alten
Stadtkerns erkennen lässt.
Der siegreiche Wettbewerbsbeitrag wurde konsequent umgesetzt. Bauherr (das Land
Steiermark), Nutzer und Planer wussten, was sie wollten, und konnten dies auch
kommunizieren. Ein mutmachendes Beispiel für die zahlreichen Gemeinden, in denen aus
Angst vor neuer Architektur öffentliche Bauvorhaben leider nur allzu oft auf ein scheinbar
konsensfähiges Mittelmaß zurechtgestutzt werden.
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Bezirkshauptmannschaft Murau
Der Standard, 22.02.2003
WEITERE TEXTE
Verwaltungsgebäude der Bezirkshauptmannschaft Murau, Az W, 14.09.2003
Ein facettenreich moduliertes Gebäude , Aluminium-Fenster-Institut, 21.06.2005
An der Rotglut der Idee, Walter Chramosta, Spectrum, 23.06.2001
Architektur für Demokratie, Der Standard, 06.06.2003
© Werner Feiersinger
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