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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung
Pädagogische Akademie der Diözese Linz
Wintersemester 2004/05
Dr. Christian ROHR
Die Vorgeschichte: Von der katholischen Erneuerung zum Dreißigjährigen Krieg
Das Konzil von Trient
Viel zu spät erkannte die Führung der katholischen Kirche die weit reichenden Folgen der Reformation Martin Luthers und anderer Reformatoren. In
vielen Teilen Europas waren 90 % der Bevölkerung zum Protestantismus
übergetreten. Schließlich kamen die katholischen Bischöfe zum Konzil von
Trient (1545-1563) zusammen. Immer wieder wurden die Beratungen für
längere Zeit ausgesetzt, ohne dass Ergebnisse erzielt wurden. Außerdem
dominierten auf dem Konzil vor allem die italienischen und spanischen Bischöfe, wo die Reformation am wenigsten Verbreitung gefunden hatte.
Die Schlussdokumente des Konzils brachten keine grundlegenden Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche: Der Ablauf der Messe wurde neu
gestaltet, blieb jedoch weiterhin in lateinischer Sprache; er behielt bis zum 2.
Vatikanischen Konzil (1962-1965) Gültigkeit. Weiters wurde ein Verzeichnis
(Index) erstellt, welche Bücher in der katholischen Kirche verboten seien;
darunter befanden sich auch zahlreiche, damals aktuelle Werke aus den
Naturwissenschaften. Für die katholische Erneuerung und die Gegenreformation hatte die Gründung des Jesuitenordens eine wesentliche Bedeutung.
Verschärfte Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten
Am Ende des 16. Jh. stritten sich zwei Brüder, die beiden Habsburger Rudolf II. (1576-1612) und Matthias (1612-1619), um die Herrschaft im Reich
und in den habsburgischen Erblanden. In dieser Situation gelang es dem
meist protestantischen Adel, sich immer wieder religiöse Zugeständnisse zu
erkämpfen, weil sie die beiden Kontrahenten um die Kaiserkrone gegeneinander ausspielten. Aufgrund der starken Position des protestantischen Adels begann die vom Jesuitenorden getragene Gegenreformation in den
katholisch verbliebenen Ländern erst gegen Ende des 16. Jh. zu greifen. In
den habsburgischen Ländern nahmen 1579 eigene Reformationskommissionen die Rückführung der Bevölkerung zum katholischen Glauben in Angriff. Die Protestanten, die in diesen Ländern nach wie vor die Mehrheit
stellten, wurden nach den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens
zum Übertritt zum katholischen Glauben oder zur Auswanderung gezwungen.
Allgemein verschärfte sich nach 1600 der Konflikt zwischen Katholiken und
Protestanten: Die protestantischen Länder im Heiligen Römischen Reich
verbanden sich schließlich 1608 zur Protestantischen Union, die katholisch
verbliebenen Länder 1609 zur Katholischen Liga. Besonders in Böhmen, wo
der Anteil der Protestanten und anderer reformierter Gruppen groß war,
wurden die Spannungen immer größer, denn die Habsburger schrieben als
böhmische Könige die katholische Religion vor. Schließlich wurden in einem
Streit auf der Prager Burg drei kaiserliche Beamte aus dem Fenster geworfen (Prager Fenstersturz). Die böhmischen Adeligen erkoren den protestantischen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz zum böhmischen König, nachdem sie den Habsburger Matthias in diesem Amt abgesetzt hatten. Der
Dreißigjährige Krieg begann (1618-1648).
Dreißig Jahre Krieg
Die Heere der Habsburger gingen rasch gegen die böhmischen Protestanten vor. Der (Gegen-)König Friedrich von der Pfalz wurde schon 1620 in der
Schlacht am Weißen Berg (westlich von Prag) besiegt. Die Habsburger
errangen somit gewaltsam die böhmische Königskrone wieder und nahmen
in der Folge den protestantischen böhmischen Adeligen viele Rechte. Mit
1
Katholische Erneuerung:
Reformbestrebungen
innerhalb der Kirche
parallel zur Reformation
Gegenreformation:
zum Teil gewaltsame
Wiedereinführung des
katholischen Glaubens
nach dem Augsburger
Religionsfrieden in den
Ländern, in denen ein
katholischer Fürst regierte.
Jesuitenorden
Dieser Gemeinschaft,
wurde nur wenige Jahre
vor dem Konzil von
Trient vom spanischen
Offizier Ignatius von
Loyola
(1491-1556)
gegründet. Die Jesuiten
wurden mit der Durchführung der Gegenreformation betraut. Sie
legten großen Wert auf
hohe rhetorische Bildung, um ihre Gegner
zu überzeugen. Ihr Wirkungsbereich lag besonders in den Schulen.
Prager Fenstersturz
Die drei kaiserlichen
Beamten
überlebten
den Sturz, weil sie auf
einen Misthaufen fielen.
Der Schreiber Fabricius
wurde um seiner „Verdienste“ sogar geadelt
erhielt den Namenszusatz „von Hohenfall“.
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
brutaler Unterdrückung führten die habsburgischen Reformationskommissionen die Gegenreformation auch in Böhmen durch. Dabei wurde etwa versucht, die Verehrung des „katholischen böhmischen Heiligen“ Johannes
von Nepomuk unter der Bevölkerung zu verbreiten; er sollte als „Ersatz“ für
den böhmischen Reformator Jan Hus sowie Martin Luther dienen.
Der Krieg war mit dem Sieg der Habsburger über die aufständischen Böhmen noch lange nicht vorbei. Die Katholische Liga kämpfte gegen die Protestantische Union. Aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen griffen auch mehrere europäischen Großmächte auf der einen oder anderen
Seite in den Krieg ein. Vor allem das protestantische Schweden unterstützte
seine Glaubensgefährten. Auch Frankreich unterstützte die Protestanten,
obwohl es katholisch war, doch erhofften sich König Ludwig XIII. (16101643) und der junge Ludwig XIV. (1643-1715) davon Landgewinne.
Um die Söldnerheere zu bezahlen, verpachtete der Habsburgerkaiser Ferdinand II. (1619-1637) Oberösterreich während des Krieges an Bayern. Die
bayerischen Besatzer übten in dieser Zeit eine Schreckensherrschaft aus.
Sie beraubten die Bauern, um sich selbst genug Nahrung zu verschaffen.
Zusätzlich ließen sie die protestantischen Bauern nach einem Aufstand um
ihr Leben würfeln (Frankenburger Würfelspiel). Im Jahr 1626 erhoben sich
daher die oberösterreichischen Bauern unter Stefan Fadinger gegen die
Bayern. Nach Anfangserfolgen wurde ihr Aufstand aber blutig niedergeschlagen.
Karte: Mitteleuropa im Jahr 1648
Der Westfälische Friede
Viele Teile Europas, besonders aber Deutschland, wurden durch die dreißig
Jahre Krieg völlig verwüstet. Als alle Seiten nicht mehr die geringste Motivation zum Kriegführen besaßen, einigte man sich schließlich 1648 in einem
großen Vertragswerk, dem so genannten Westfälischen Frieden – benannt
nach den Städten Münster und Osnabrück in Westfalen, wo die Verträge
unterzeichnet wurden – auf eine Neugestaltung Europas. Die wichtigsten
Bestimmungen:
• Die Schweiz und das Königreich der Niederlande wurden endgültig
selbstständige Staaten. Bisher hatten sie dem Heiligen Römischen
Reich angehört.
• Alle Länder und Städte des Heiligen Römischen Reiches, deren Herrscher direkt dem Kaiser unterstanden (= die Reichsstände), wurden
weitgehend unabhängig. Sie erhielten beispielsweise das Recht, eigenständig mit ausländischen Mächten Verträge abzuschließen, sofern die2
Johannes von Nepomuk
Dieser Heilige war unter
dem böhmischen König
Wenzel im 14. Jh. von
der Prager Karlsbrücke
gestoßen worden, weil
er das Beichtgeheimnis
nicht preisgab. Man
findet daher seine Statue noch heute auf vielen Brücken im böhmisch-österreichischen
Bereich.
Söldnerheere
Beide Seiten setzten
alles daran, um ihre
Söldnerheere finanzieren zu können. Die
wichtigsten Söldnerführer erreichten mit der
Zeit nicht nur militärische, sondern auch
politische
Bedeutung,
etwa der böhmische,
katholische Graf von
Wallenstein (Waldstein).
Als er immer mächtiger
wurde, verfolgte er offensichtlich eigene Pläne: die Vermutungen
gehen von einem Pakt
mit den Protestanten bis
hin zum Streben nach
der Kaiserkrone. 1634
wurde er unter mysteriösen Umständen ermordet.
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
•
•
se nicht gegen das Reich gerichtet waren. Der Kaiser besaß somit keinerlei übergeordnete Macht mehr, es war nur noch ein Ehrentitel.
Die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurden
bestätigt. Der Landesfürst bestimmte also weiterhin, welche Religion
seine Untertanen zu befolgen hatten.
Frankreich und Schweden erreichten Gebietsgewinne.
Arbeitsfragen zum Text:
• Was versteht man unter „katholischer Erneuerung“ und „Gegenreformation“?
• Welche Konflikte führten zum Dreißigjährigen Krieg? Ging es während des Krieges tatsächlich
rein um den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten?
• Versuche, die Bestimmungen des Westfälischen Friedens anhand der Karte nachzuvollziehen!
Materialien
Die Rekatholisierung in Österreich
Seit die drei katholischen Landesfürsten von Bayern, Tirol und Innerösterreich (Steiermark, Kärnten,
Krain) sich 1579 in München zu einer Geheimkonferenz getroffen hatten – bezeichnender Weise unter
Ausschluss Kaiser Rudolfs II. (1576-1612), war die Durchsetzung der katholischen Gegenreformation
nur noch eine Sache der Zeit geworden. Erzherzog Karl II. von Innerösterreich beauftragte schließlich
1587 die ersten „Religionsreformationskommissionen“ mit der Wiederherstellung des katholischen
Kirchen- und Schulwesens und der Einleitung der Rekatholisierung der Bevölkerung. Karl konzentrierte sich dabei zunächst auf die Städte, während sein Sohn Ferdinand II. eine landesweite Gegenreformation in Angriff nahm. Ferdinand war in Ingolstadt (Bayern) von Jesuiten erzogen worden. Schon
1596 bei seinem Regierungsantritt zog er die Religionszusagen von 1572/78 an den steirischen Adel
zurück; noch 1596 huldigten ihm die steirischen Stände, 1597 die Stände von Kärnten und Krain und
mussten dabei versprechen, sich im Sinne des Katholizismus zu verhalten.
Unter der Leitung des Seckauer Bischofs Martin Brenner zogen von 1599 bis 1601 die „Religionsreformationskommissionen“ in Begleitung von hunderten Soldaten durch das Land und führten regelrechte Feldzüge gegen protestantische Bürger und Bauern durch. Evangelische Predigerhäuser, Kirchen und Friedhöfe wurden zerstört, lutherisches Schrifttum in großer Zahl verbrannt. Auf dem geschilderten Zug der Religionsreformationskommission im Herbst 1599 durch die Obersteiermark dürfte
Bischof Martin Brenner von Seckau noch nicht persönlich anwesend gewesen sein, sodass es zu
großen Übergriffen der Soldaten gekommen sein dürfte; selbst von Leichenschändungen wird berichtet. Durch die Verfolgung der Protestanten dürften zwischen 1598 und 1605 etwa 11000 Menschen
aus Innerösterreich in andere Teile des Heiligen Römischen Reiches emigriert sein.
„Berichte hiermit, dass wir mit den elfhundert Soldaten, die wir bei uns hatten, nicht nur die treulosen
und meineidigen Eisenerzer (welche sich anfangs zwar nur durch ihr Gesinde zur Wehr gesetzt, als
hätten sie keine Schuld daran), sondern auch die rebellischen Ausseer, dann die Gröbminger,
1
Schladminger, … ja das ganze Ennstal auf einen Schlag reformiert, alle Prädikanten verjagt, katholi2
sche Priester eingesetzt …, die Bücher der Sektierer von Haus zu Haus gesucht und überall unter
den Galgen (von denen wir 14 haben neu aufstellen lassen) öffentlich verbrannt haben. Allein in
Schladming wurden sektiererische Bücher für über 3000 Taler gefunden und in den Rauch geschickt.
… Von allen reformierten Orten sind die vornehmsten Rädelsführer in Ketten nach Graz gebracht
worden. … Schließlich haben wir den Eisenerzern 150, den Ausseern 50 Soldaten auf ihre Unkosten
als Stadtwache einquartiert. …
Zur Sicherung dieser Reformation haben wir drei Kirchen der Sektierer … nach Wegnahme des Besitzes bis auf den Grund verbrannt, niedergerissen und gesprengt: welches alles nun eine heilsame und
der katholischen Kirche nützliche Verrichtung und eines ewigen lobwürdigen Gedächtnisses wohl wert
ist.“
1
2
Prediger in den reformierten Kirchen
Anhänger einer Sekte, hier: Protestanten
3
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
(Bericht der Kommissäre der Religionsreformationskommission über ihre Arbeit in der Obersteiermark,
Herbst 1599; zitiert nach Hofacker, Europa und die Welt um 1500, S. 147)
Arbeitsaufgaben:
• Welches Bild ergibt sich nach dem Bericht von der Durchführung der Gegenreformation in der
Steiermark? Vergleiche auch das allegorische Bild zu Ferdinand II. von Innerösterreich im Haupttext!
• Was geschieht mit den Schriften der Protestanten, was mit den Rädelsführern?
Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges im Bild
Der Franzose Jacques Callot stellte in insgesamt 18 Radierungen die Schrecken des Dreißigjährigen
Krieges dar. Die Bauern waren die Hauptleidtragenden des Krieges, da sich die Söldnerheere durch
Plünderungen ihre Nahrungsversorgung sicherten. Immer wieder kam es daher zu Racheaktionen der
Bauern.
Jacques Callot, Die Rache der Bauern, Radierung 1633. Die Bildunterschriften Callots lauten (in deutscher Übersetzung):
„Es rotten sich die Bauern wider die Soldaten,
von denen sie zu oft erlitten größten Schaden,
sie lauern ihnen auf und schlagen jählings los,
da liegen schon die Feinde ganz entseelt und bloß,
so schrecklich rächen sie sich an den armen Toten
fürs Hab und Gut, das sie durch deren Hand verloren.“
(Text zitiert nach Harm Mögenburg, „… wo wir hin nur schaun, ist Feuer, Pest und Tod“. Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden, in: Geschichte lernen, Themenheft 65: 1648 (September 1998),
Velber 1998, S. 10-18, hier S. 13)
Arbeitsaufgaben:
• Versuche die Details des Bildes genau zu erfassen
• Welche Ziele könnte der Künstler mit dieser Darstellung verfolgt haben?
Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg
Die sozialen und demographischen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges sind vermutlich größer
gewesen als nach allen anderen großen Kriegen der Neuzeit. Nur durch die Pestepidemie in der Mitte
des 14. Jh. wurde die Bevölkerung Europas noch stärker dezimiert. Aus dem Massensterben schlugen
in der Folge vor allem die katholische und die protestantische Kirche Kapital, die die Situation geschickt nutzten, um alte Feindbilder zu prolongieren und einen „Ausweg“ in Wallfahrten und anderen
religiösen Handlungen „anboten“.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Karte: Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg (erstellt von Thekla Fomiczenko-Beyer nach
Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, S. 178)
Arbeitsaufgaben:
• Welche Gebiete des Heiligen Römischen Reiches waren in besonderem Maße von den Kriegshandlungen betroffen, welche (fast) gar nicht?
• Versuche – auch unter Berücksichtigung des Bildes von Jacques Callot – zu ergründen, welche
sozialen Folgen die Kriegshandlungen und Plünderungen des Dreißigjährigen Krieges für die Gesamtbevölkerung mit sich brachten?
Die Karte zeigt sehr eindringlich, welche Gebiete des Heiligen Römischen Reiches besonders
schlimm von den Kriegshandlungen betroffen waren. Zum einen fällt auf, dass der österreichische
Raum von den Schlachten und Plünderungen weitgehend verschont blieb; allein das heutige Innviertel
(damals noch zu Bayern gehörig) und die angrenzenden Gebiete in Oberösterreich wiesen erhebliche
Verluste an Menschenleben auf. Ganz besonders aber waren der Südwesten Deutschlands (Württemberg, Pfalz), wo vor allem die Kriege zwischen kaiserlich-katholischen Heeren und Franzosen
wüteten, und der Nordosten Deutschlands betroffen. In Mecklenburg und Pommern fielen große Einheiten der Schweden ein und plünderten in großem Ausmaß. „Ich bet’ zur heiligen Jungfrau, dass der
Schwed’ nicht kommt“, wurde zu einem häufigen Stoßgebet in Deutschland. Die völlige Verwüstung
Pommerns fand selbst in Kinderliedern Eingang: „Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg. Die Mutter ist
in Pommerland. Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg.“
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Grundprobleme des Zeitalters des Absolutismus und der Aufklärung
Der Gesellschaftsvertrag
Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes erzählt in seinem Hauptwerk „Leviathan“ wie es in
grauer Vorzeit in der Gesellschaft zur Übergabe der Macht an einen einzigen Herrscher gekommen
sei: Früher seien alle Menschen gleichberechtigt gewesen; jeder konnte bestimmen, was er wollte.
Aus dieser Gleichberechtigung sei aber nur Chaos entstanden. Die Menschen hätten daher einen aus
ihrer Mitte bestimmt, der in ihrem Namen das Gemeinwesen leitete. Die Nachfahren dieser Führer
seien die Könige der Neuzeit, die von Gottes Gnaden dazu berufen seien, diese Ordnung weiter aufrecht zu erhalten und allein alle Gewalten im Staat innezuhaben.
Die einstige Abmachung zwischen Volk und Herrscher wird Gesellschaftsvertrag genannt. Thomas
Hobbes wurde mit seiner Erzählung vom Gesellschaftsvertrag zu einem der wichtigsten „Ideologen“
des Absolutismus: Der Herrscher sei durch die einstige Übergabe der Macht an ihn dazu berechtigt,
ohne irgendeine Einschränkung zu regieren.
Doch schon bald wurde dieser Gesellschaftsvertrag vom Engländer John Locke im Sinne der Aufklärung neu gedeutet: Der Herrscher habe durch den Vertrag den Auftrag erhalten, im Sinne des Volkes
zu regieren. Tue er das nicht, so habe das Volk das Recht, sich einen besseren Regenten zu suchen.
Absolutismus
In Frankreich und in anderen Staaten konnte
der Herrscher seine Macht gegenüber dem
Adel immer mehr ausbauen. War er bei der
Steuereintreibung bisher auf den guten Willen
der Adeligen angewiesen, die bisher auf ihren
Gütern die Steuern einhoben, so übten jetzt
Beamte diese Aufgabe im Namen des Herrschers aus. Die Adeligen verloren damit ihr
wichtigstes Druckmittel gegenüber dem Herrscher. Der Herrscher regierte schließlich absolut, d.h. losgelöst von allen Einschränkungen.
Parlamentarismus
In England konnten die Könige keine absolutistische Regierung durchsetzen. Nach jahrelangen Bürgerkriegen und der kurzfristigen
Einführung der Republik mussten die Könige
schließlich das Parlament als wichtige Kontrollinstanz akzeptieren. Gesetze regelten die
Aufteilung der Macht zwischen König und Parlament.
Barock
Die absolutistischen Herrscher entwickelten
gemeinsam mit der Kirche eine Kultur, die
zum Inbegriff des weltlichen und geistlichen
Prunkes wurde: das Barock. Darunter fiel aber
nicht nur die Baukunst oder die Malerei, sondern auch die Kunst, unwiederholbare Feste
zu inszenieren.
Aufklärung
Zu Beginn des 18. Jh. begann sich im gebildeten Bürgertum eine Gegenbewegung zum Absolutismus zu formieren. Der Mensch sollte
das Recht haben sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Damit verbanden die
Bürger auch die Forderung nach politischer
Mitsprache und persönlichen Freiheiten.
Aufgeklärter Absolutismus
Die Ideen der Aufklärung beeinflussten seit
der Mitte des 18. Jh. auch die Regierungspraxis in Österreich, Preußen und Russland: Die
Herrscher strebten nach Reformen im Sinne
des Staates und des Volkes, gaben aber dabei von ihrer absolutistischen Macht nur wenig
ab. „Alles für das Volk, aber nichts durch das
Volk!“ lautete die Devise.
Thomas Hobbes (1588-1679) studierte zunächst in Oxford und war dann mit Unterbrechungen zeit
seines Lebens Hauslehrer der Grafen von Devonshire. Er floh 1640 vor dem englischen Bürgerkrieg
nach Frankreich und wurde dort zum Lehrer des im Exil aufwachsenden späteren Königs Karl II. von
England. 1651 kehrte er, von Oliver Cromwell geholt nach England zurück, ein Umstand, der ihm später nach der erneuten Machtübernahme der Royalisten (1660) häufig angekreidet wurde. Auf seinen
Reisen durch Frankreich und Italien schloss er zahlreiche wissenschaftliche Kontakte, unter anderem
mit Galileo Galilei und René Descartes. Beeinflusst von der Naturwissenschaft suchte er in all seinen
Werken eine Herleitung aus der Vernunft und aus wissenschaftlich erzielten Erfahrungswerten. Diese
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Übertragung der naturwissenschaftlich-exakten Methode auf die Staatstheorie ist wohl die Hauptleistung von Thomas Hobbes.
In seinem Hauptwerk „Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates“, das erstmals 1651 erschien, beschreibt er ausführlich den einstigen Urzustand der menschlichen
Gesellschaft, in der alle Menschen gleich sind, aber nach Krieg, Eigennutz und Macht streben: „Homo
homini lupus“ (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf). Erst der Gesellschaftsvertrag bringe Ordnung
in das Gesellschaftssystem. Es entstehe dadurch ein Staat als übergeordnetes System, als „Leviathan“, d.h. als „sterblicher Gott“. Die Menschen würden in der Folge die Ideen ihres Herrschers (als
Repräsentanten des Staates) als ihre eigenen Ideen ansehen, auch was die Religion betrifft. Die Breitenwirkung von Thomas Hobbes in seiner Zeit sollte zwar nicht überschätzt werden, doch wurden
seine staatstheoretischen Werke zum Ausgangspunkt einer naturwissenschaftlich-rationalen Staatstheorie.
John Locke (1632-1704) entstammte einem puritanischen Elternhaus und genoss zunächst eine humanistische Ausbildung an der Westminster School in London; später studierte er in Oxford Philosophie und Medizin. Seine Interessen galten vor allem chemischen Versuchen; mit seinen Experimentierreihen begründete er den so genannten Empirismus, wonach Erkenntnis in erster Linie durch naturwissenschaftlich exakte Versuche erlangt werden könne. neben seiner Tätigkeit als Naturwissenschafter und Arzt bekleidete Locke auch zahlreiche Ämter in Politik und Verwaltung, bis er nach Verwicklungen in zahlreiche Intrigen nach Frankreich und später in die Niederlande fliehen musste. 1689
kehrte er schließlich auf Geheiß des neuen Königs Wilhelm von Oranien nach England zurück.
In seinem 1689 erschienenen Hauptwerk „Über den menschlichen Verstand“ sowie im zweiten seiner
„Two treatises of government“ (1690, dt. „Über die Regierung“) wandte sich Locke vehement gegen
das göttliche Recht des Herrschers. Hingegen würden die Freiheit, Gleichheit sowie die Unverletzlichkeit von Person und Eigentum zu den unverrückbaren Grundrechten eines jeden Menschen gehören.
Der Monarch, Oligarch oder eine demokratische Volksvertretung habe die Aufgabe eines obersten
Schiedsrichters in der Gesellschaft; daher sei auch eine Trennung zwischen Exekutive (ausführende,
regierende Gewalt) und Legislative (gesetzgebende Gewalt) anzustreben – die Ideen Montesquieus
wären ohne John Locke wohl undenkbar gewesen. Das Volk habe zudem das Recht, einen gegen das
Volk regierenden Tyrannen zu beseitigen, allerdings nur im Vertrauen darauf, dass Gott dieses Vorgehen rechtfertige. Locke wurde damit zum wichtigsten Wegbereiter der aufklärerischen Staatstheorie.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Das System von Absolutismus und Merkantilismus in Frankreich
Auf dem Weg zur unumschränkten Macht
Im Spätmittelalter hatte sich der Konflikt zwischen dem Herrscher und den
Adeligen zunehmend verstärkt. Wer dabei die Oberhand behielt, hing von
zahlreichen Faktoren ab. Die vorläufige „Entscheidung“ darüber fiel im 16.
oder 17. Jh.: In Frankreich und in Spanien setzten sich die jeweiligen Könige
durch und konnten ihre Macht immer weiter ausbauen. Im Heiligen Römischen Reich behielten nach dem Westfälischen Frieden von 1648 endgültig
die Reichsfürsten gegenüber dem Kaiser die Oberhand; sie wiederum konnten zumeist die Ansprüche der ihnen untergebenen Adeligen abwehren. In
England hingegen misslang der Versuch, eine unumschränkte Herrschaft
der Könige zu etablieren.
Unter Absolutismus versteht man ein System von Herrschaft, bei dem der
Herrscher losgelöst (= lateinisch absolutus) von Gesetzen und anderen
Verpflichtungen uneingeschränkt regiert. Der Herrscher vereinigt in sich alle
drei Staatsgewalten, die gesetzgebende Gewalt (Legislative), die ausführende Gewalt (Exekutive, d. h. Regierung und Verwaltung) und die Recht
sprechende Gewalt (Jurisdiktion).
Die theoretische Untermauerung des Absolutismus
Die unumschränkte Herrschaft der Fürsten wurde auch durch staatstheoretische Schriften untermauert. Schon im frühen 16. Jh. riet der Florentiner
Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469-1527) in seinem Hauptwerk „Der
Fürst“ (1513), dass der Herrscher jedes Mittel anwenden könne, um seine
Macht zu sichern und auszubauen. Das rechtfertige beispielsweise auch
Vertragsbrüche. Berühmt wurde die Devise divide et impera! (Teile und
herrsche!) – der Fürst solle danach trachten, seine Gegner untereinander zu
entzweien. Der französische Staatstheoretiker Jean Bodin (1530-1596) entwarf in seinem Hauptwerk „Über den Staat“ das Modell eines Staates mit
einem uneingeschränkt herrschenden König. Bodin sah in einem gestärkten
Herrscher den einzigen Weg aus den chaotischen Zuständen der Hugenottenkriege. Der Engländer Thomas Hobbes (1588-1679) entwickelte in seinem Hauptwerk „Leviathan“ (1651) die Theorie vom Gesellschaftsvertrag.
Die Machtstellung des Königs wurde zusätzlich nach mittelalterlicher Tradition „von Gottes Gnaden“ hergeleitet. Damit war er – zumindest aus seiner
Sicht – von der Pflicht befreit, über seine Regierung Rechenschaft vor seinen Untertanen ablegen zu müssen. Aus der Betonung des Gottesgnadentums erklärt sich auch die enge Verbindung von absolutistischem Herrscher
und der Kirche. Besonders in Frankreich, aber auch in anderen Staaten,
hatten hohe Geistliche Schlüsselstellungen im Staat inne.
Beamte, Kriege, Prachtentfaltung
In Frankreich war die Dynastie der Bourbonen aus den Hugenottenkriegen
als Siegerin hervorgegangen. Zahlreiche Konkurrenten um den Thron und
viele hohe Adelige hatten während der Kriege ihr Leben oder einen Teil
ihres Besitzes verloren. Verstärkt wurden königliche Beamte für die Einhebung der Steuern eingesetzt, eine Aufgabe, die bis dahin dem landbesitzenden Adel zugefallen war. In den Generalständen, der Versammlung des
Königs mit den Ständen in Frankreich, hatte der König stets die Adeligen zur
Bewilligung und Einhebung von Steuern überreden müssen und ihnen dafür
Zugeständnisse gemacht. Ab 1614 musste König Ludwig XIII. (1610-1643)
die Generalstände nicht mehr zur Steuerbewilligung einberufen, die Adeligen hatten ihr wichtigstes Druckmittel gegenüber dem König verloren.
Die enge Verbindung zwischen absolutistischem Herrscher und den Spitzen
der Kirche war allgegenwärtig: wichtigster Berater Ludwigs XIII. war Kardinal Richelieu. Nach dem Tod Ludwigs XIII. leitete ein hoher Vertreter der
katholischen Kirche, Kardinal Mazarin, die Regierungsgeschäfte für Ludwig
XIV. (1643/61-1715), der als vierjähriges Kind auf den Königsthron kam.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg entflammten zwar weniger Kriege aus reli8
Hugenottenkriege
Zwischen den Anhängern des Reformators
Calvin in Frankreich,
den Hugenotten, und
den Katholiken tobte
zwischen 1562 und
1598 ein erbitterter Bürgerkrieg. Den Höhepunkt bildete dabei die
„Bartholomäusnacht“
(24. August 1572), als
etwa 30000 Hugenotten
in einer Nacht ermordet
wurden. 1598 wurden
die Hugenotten schließlich geduldet.
Kardinal Mazarin
Der aus Italien stammende Mazarin (16021661, eigentlich Giulio
Mazzarini) wurde nach
dem Tod Kardinal Richelieus (1642) leitender Minister der Bourbonen. Kardinal Mazarin
war es auch, der als
Vormund Ludwigs XIV.
den letzten Adelsaufstand in den Jahren
1648-1653 zum Teil
blutig
niederschlagen
ließ. Die Bewegung der
so genannten Fronde,
bestehend aus hohen
Adeligen und Vertretern
der Gerichtshöfe, hatte
vergeblich
versucht,
dem Absolutismus Einhalt zu bieten
Kabinettskriege
Im Kabinett, dem engsten Beraterstab des
Königs wurde versucht,
Eroberungskriege durch
Erbansprüche
oder
sonstige Gründe zu
rechtfertigen.
Dabei
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
giösen oder sozialen Gründen, doch traten an deren Stelle die so genannten
Kabinettskriege. Gestärkt durch die Gebietsgewinne nach dem Dreißigjährigen Krieg strebte Frankreich danach, die „natürlichen Grenzen Galliens“
wiederherzustellen; man spricht dabei von der Réunionspolitik (von französisch réunion = Wiedervereinigung). Damit waren insbesondere die nichtfranzösischen Gebiete westlich des Rheins gemeint. So geriet etwa 1681
die Stadt Straßburg unter französische Herrschaft. Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714), der nach dem Aussterben der spanischen Habsburger
zwischen Frankreich und Österreich ausgebrochen war, erreichte Ludwig
XIV. lediglich, dass eine Nebenlinie der Bourbonen in Spanien den Thron
bestieg. Das Streben Ludwigs XIV. nach einer Vorherrschaft (Hegemonie) in
Europa scheiterte letztlich am Widerstand der übrigen Mächte, die an einem
Gleichgewicht der Kräfte interessiert waren.
Der neue Herrschaftsstil zeigte sich auch in einer gewaltigen Prunkentfaltung, was die königlichen Residenzen und die Hofhaltung betraf. Zunächst
residierten die französischen Könige in Fontainebleau südlich von Paris.
Ludwig XIV. ließ schließlich mit enormem Aufwand das Schloss Versailles
westlich von Paris erbauen. Es blieb unerreicht an Größe und Prunk. Der
Adel, der politisch entmachtet worden war, hatte entweder repräsentative
Aufgaben am Hof inne (Hofadel) oder zog sich auf seine eigenen Besitzungen zurück, um sich dort ebenfalls höfischem Prunk sowie seinen grundherrschaftlichen Aufgaben zu widmen.
Das Wirtschaftssystem des Merkantilismus
Die große Prachtentfaltung des absolutistischen Hofstaates, aber auch die
zahlreichen Kriege und der Beamtenapparat verschlangen gewaltige Summen an Geld. Um die Staatskassen zu füllen, entwarf der königliche Finanzberater Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) das Wirtschaftssystem des Merkantilismus, auch Colbertismus genannt. Hauptziel des Staates müsse es
sein, seine Finanznot durch neue Einnahmequellen sowie eine effizientere
Steuereintreibung abzuwenden. Der Staat solle zur Erreichung dieser Ziele
massiv in die Wirtschaft des Landes eingreifen.
Der Reichtum eines Landes wurde in dessen Besitz an Geld und Edelmetall
gemessen; eine bessere Nutzung der eigenen Rohstoffreserven wurde angestrebt. Um eine aktive Handelsbilanz, d. h. mehr Exporte als Importe, zu
erreichen, wurden zunächst die Importe durch hohe Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen eingedämmt. Innerhalb Frankreichs wurden hingegen
alle Zollschranken beseitigt und gute Verkehrswege (Kanäle, Straßen) für
den Handel errichtet. Rohstoffe, die in Frankreich nicht verfügbar waren,
wurden aus den eigenen Kolonien billig beschafft. Im Mutterland selbst wurden vor allem teure Luxusgüter für den eigenen Bedarf, aber auch für den
Export erzeugt. Um die Produktion so billig wie möglich zu halten, errichtete
man Manufakturen.
Um die Transportkosten zur und von der Manufaktur zu senken, wurde das
Straßen- und Kanalnetz ausgebaut. Weitere Maßnahmen zur Verringerung
der Produktionskosten waren die Heranziehung von billigen Arbeitskräften
aus Waisen- und Arbeitshäusern, die Verringerung der Feiertage sowie das
Niedrighalten der Preise für landwirtschaftliche Produkte.
Bald jedoch zeigten sich die Grenzen des Merkantilismus: Als auch andere
Staaten Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen erließen, um ihre eigene
Wirtschaft vor zu vielen Importen zu schützen, konnte auch Frankreich keine
größeren Exportumsätze mehr verzeichnen. Nur für kurze Zeit konnte der
Export in die eigenen Kolonien über dieses Absatzproblem hinweghelfen.
Im System des Merkantilismus hatte man zudem eine wichtige, nämlich die
zahlenmäßig noch immer größte gesellschaftliche Gruppe vernachlässigt:
die Bauern. Durch niedrige Agrarpreise profitierten sie nicht vom allgemeinen Wirtschaftsaufschwung. Viele Bauern zogen in die Städte, sodass die
verbliebenen Bauern die wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren
konnten: Hungersnöte unter den ärmeren Schichten waren die Folge. Als
Ludwig XIV. starb, hinterließ er seinen Nachfolgern einen Staat, der praktisch bankrott war.
9
wurden diese oft weit
hergeholten
„Kriegsgründe“ von Hofhistorikern aufgestöbert; im
Kabinett wurden die
Kriege geplant. Hauptziel war, das teure stehende Heer möglichst
effizient zu nützen.
Fontainebleau
Seit dem frühen 16. Jh.
residierten die französischen
Könige
in
Schloss Fontainebleau
südlich von Paris, bis
Ludwig XIV. seine Residenz nach Versailles
verlegte. Später nutzte
Napoleon als Kaiser der
Franzosen
Fontainebleau erneut als Residenz.
Manufakturen
Ludwig XIV. gründete
zahlreiche
staatliche
Gewerbebetriebe,
in
denen in Handarbeit
(lateinisch manu facere
= händisch verrichten),
aber in Arbeitsteilung
Luxusgüter wie Porzellan, Seide und Teppiche
hergestellt wurden. Im
Gegensatz zu den Fabriken des 19. und 20.
Jh. wurden aber noch
keine Maschinen eingesetzt.
Canal du Midi
Der französische Architekt Riquet errichtete
zwischen 1666 und
1681 einen etwa 241
km langen Kanal, der
quer durch Südwestfrankreich das Mittelmeer mit dem Atlantik
verband.
Steigungen
wurden mit insgesamt
64 Schleusen, Hügel
durch
Tunnels
und
Flüsse mit 55 Wasserbrücken
überwunden.
Entlang des Kanals
wurden etwa 100000
Platanen gepflanzt.
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Arbeitsfragen zum Text:
• Welche Faktoren führten dazu, dass die französischen Könige den Einfluss des Adels immer mehr
zurückdrängen konnten?
• Fasse die wichtigsten Charakteristika des absolutistischen Herrschaftssystems zusammen!
• Erkläre, wie im Wirtschaftssystem des Merkantilismus die Importe verringert und die Konkurrenzfähigkeit von Exportartikeln gesteigert werden sollten!
Materialien
Das Schloss Versailles – Inbegriff absolutistischer Prachtentfaltung
Bis 1661 bestand im Sumpfgebiet von Versailles gerade ein kleines Jagdschloss König Ludwigs XIII.,
das zum Ausgangspunkt für den größten Palastbau Europas werden sollte. Ab 1661 beauftragte der
junge König Ludwig XIV. zunächst den Baumeister Louis Le Vau, seit 1678 Jules Hardouin-Mansart,
ein unerreichbares Schloss samt riesigem Garten zu errichten. 1678-1684 wurden die Prunk- und
Wohnräume mitsamt dem berühmten Spiegelsaal fertiggestellt, 1710 die Hofkapelle. Die Bauarbeiten
zogen sich auch noch durch das gesamte 18. Jh. hin und trieben Frankreich 1788 schließlich (mit) in
den Staatsbankrott. Während der Französischen Revolution verfiel das unvollendete Schloss rasch,
bis es der „Bürgerkönig“ Louis Philippe 1833/1837 zum Nationalmuseum machte. Schloss und Gartenanlagen sind heute als Weltkulturerbe durch die UNESCO geschützt.
Besonderes Augenmerk verdienen auch die Gartenanlagen, die mitten im Sumpfgebiet errichtet wurden. Schon 1661 begann der Gartenarchitekt Le Nôtre mit der Planung und dem Bau von Entwässerungskanälen. Die Anlage sollte gleichsam den Absolutismus nicht nur gegenüber den Untertanen,
sondern auch gegenüber der Natur demonstrieren, ähnlich wie die französische Gartenarchitektur als
Ganzes.
Die Dimension der Gärten von Versailles wird ein wenig durch das zeitgenössische Gemälde von
Pierre Patel (1668) sichtbar. Ebenso zeigt das Gemälde Details aus dem täglichen Hofzeremoniell: Im
Vordergrund kommen zahlreiche Kutschen an bzw. verlassen das Schloss.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Bild: Schloss Versailles bei Paris aus der Vogelperspektive (Gemälde von Pierre Patel, 1668, Museum
des Schlosses Versailles)
Arbeitsaufgaben:
• Beschreibe das Gemälde von Versailles möglichst exakt und detailgetreu!
• Welche Details des Bildes weisen auf das Repräsentationsbedürfnis des Absolutismus hin?
• Welchen Eindruck vermitteln die Gärten im Hintergrund? Wie sah deiner Meinung nach das Verhältnis des Absolutismus zur Natur aus?
Die Reglementierung des königlichen Privatlebens in Versailles
Louis de Rouvroy Saint-Simon (1675-1755) gehört wohl zu den schonungslosesten Kritikern unter den
am Hof zu Versailles angesiedelten Adeligen. Zwischen 1694 und 1752, also über einen Zeitraum von
mehr als 50 Jahren, verfasste er Memoiren (wörtlich „Andenken“), die vor allem durch seine Augenzeugenschaft einen hohen Quellenwert besitzen. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf das Hofzeremoniell am Ende der Regierung Ludwigs XIV. Ein Teil der Memoiren wurde schließlich 1788, am
Vorabend der Französischen Revolution, veröffentlicht, die Gesamtausgabe von 1829/1830 umfasst
nicht weniger als 21 Bände. In seinen Erinnerungen berichtet er durchaus kritisch über das Hofzeremoniell, das mit dem Aufstehen („Lever“) begann.
„Des Morgens weckt ihn [den König] der erste Kammerdiener zu der von ihm bestimmten Stunde und
der Reihe nach treten fünf Gruppen von Leuten ein, um ihre Aufwartung zu machen. Zuweilen sind die
geräumigen Wartesäle nicht genügend, die Menge der Höflinge zu fassen. Zuerst kommt die ‚vertrauliche Gruppe’, bestehend aus den königlichen Kindern, den Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt,
dem ersten Arzt, dem ersten Chirurgen und anderen nützlichen Personen. Dann folgt die ‚große
Gruppe’; dabei befinden sich der Großkämmerer, die Kammer-Edelleute ... und verschiedene Diener.
Man gießt dem König aus einer vergoldeten Schale Franzbranntwein auf die Hände und reicht ihm
den Weihwasserkessel; er bekreuzigt sich und betet. Dann erhebt er sich vor der ganzen Gesellschaft
aus dem Bette, zieht die Pantoffeln und den ihm vom Großkämmerer und vom ersten KammerEdelmann gereichten Schlafrock an und setzt sich auf den Ankleidesessel. In diesem Augenblick wird
die dritte Gruppe hereingelassen, die teils aus Günstlingen, teils aus einer Menge von Dienstleuten ...
zusammengesetzt ist. Auch die Nachtstuhlinspektoren fehlen nicht. ... Im Moment, da man den König
anzukleiden beginnt, nähert sich diesem ... der erste Kammer-Edelmann und nennt ihm die Namen
der vor der Tür wartenden Edlen. Diese treten als vierte Gruppe ein, die zahlreicher ist als die vorhergehenden ... Der König wäscht sich die Hände und entkleidet sich allmählich. Zwei Pagen ziehen ihm
die Pantoffeln aus; das Hemd wird vom rechten Ärmel vom Großmeister der Garderobe, beim linken
vom Diener der Garderobe entfernt und einem anderen Garderobe-Beamten übergeben, während
noch ein anderer Garderobe-Diener das frische Hemd ... herbeibringt, In diesem feierlichen Augenblick, dem Gipfelpunkt der Handlung, wird die fünfte Gruppe eingelassen, die alles umfasst, was bisher fehlte. ... Nach alldem erteilt jener [der König] Tagesbefehle.“
(aus den Memoiren von Louis Rouvroy de Saint-Simon, gekürzt; zitiert nach Rohlfes/Völker, Der frühmoderne Staat, S. 136)
Arbeitsaufgaben:
• Fasse das beschriebene Zeremoniell in seinen zahlreichen Schritten nochmals zusammen! Wie
viele Bedienstete sind zum Ankleiden des Königs nötig?
• Kannst du Anhaltspunkte finden, dass der Autor mit einer gewissen Kritik und Ironie auf dieses
Zeremoniell blickte?
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Kunst und Religion im Dienste der Macht: Das Zeitalter des Barock in den habsburgischen
Ländern
Neuorientierung der Habsburger
Durch den Westfälischen Frieden von 1648 änderte sich die Stellung der
Habsburger: Die Kaiserwürde war nur noch ein Ehrentitel, denn seit 1648
durften alle Länder im Heiligen Römischen Reich Verträge aller Art mit ausländischen Mächten schließen, sofern sie sich nicht gegen das Reich richteten. Das Reich bestand somit aus etwa 360 weitgehend unabhängigen
Staaten. Die Habsburger blieben aber durch ihre vielen Erblande dennoch
sehr mächtig. Es gelang ihnen aber nie, in ihrem Herrschaftsgebiet eine
derart absolutistische Macht zu entfalten wie die Bourbonen in Frankreich.
Habsburger gegen Osmanen
Die Kriege zwischen Habsburgern und Osmanen lassen sich nicht auf die
beiden Belagerungen Wiens (1529 und 1683) sowie die Eroberungen der
Habsburger in Ungarn nach der zweiten Belagerung beschränken. Seit sich
das Osmanenreich nach der Schlacht von Mohács (1526) bis nach Ungarn
ausgedehnt hatte und diese Gebietsgewinne ab 1541 durch die Eroberung
Ofens (eines Teiles von Budapest) zusätzlich abgesichert hatten, war es
zwischen den beiden Nachbarn immer wieder zu kriegerischen Handlungen
gekommen: Nach einem Waffenstillstand im Jahr 1547 konnten die Habsburger die Osmanen nur durch hohe Tributzahlungen in Schach halten. Das
Geld für diese „Türkensteuer“ holten sich die Habsburger durch Sonderbesteuerungen der eigenen Bevölkerung, doch erkauften sie die Steuereintreibung durch zahlreiche Zugeständnisse an der meist protestantischen Adel –
einer der Gründe, warum die katholische Gegenreformation erst relativ spät
in den Habsburgischen Ländern einsetzte.
Zwischen 1593 und 1606 brach der Konflikt zwischen Habsburgern und
Osmanen neuerlich im so genannten „Langen Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs
II, (1576-1612) aus. Er konnte zwar die Vorherrschaft der Osmanen am
Balkan und in Ungarn nicht schmälern, doch gelang es den Habsburgern im
Frieden von Zsitvatorok (1606), die Tributzahlungen abzuschütteln. Die
Habsburger kämpften in Ungarn aber nicht nur gegen die Osmanen, sondern auch gegen einen protestantischen Adelsaufstand unter dem Siebenbürger Fürsten Stefan Bocskai. Daraus leitet sich der in Österreich weit
verbreitete Fluch „Kruzi Türken“ ab – von „Kuruzzen (die calvinistischprotestantischen Ungarn) und Türken (= Osmanen)“.
Mitte des 17. Jh. kam es erneut zu Zusammenstößen im westungarischen
Gebiet, etwa 1664 bei Mogersdorf und St. Gotthard an der Raab, wo die
Habsburger unter ihrem Feldherrn Raimund Montecuccoli siegreich blieben;
dennoch konnte dieser Sieg die erneute Offensive der Osmanen und zahlreiche Einfälle im Südosten des habsburgischen Herrschaftsgebietes (u.a.
in der Steiermark) nicht zum Stoppen bringen.
Im Jahr 1683 stießen sie erneut bis Wien vor und schlossen die Stadt ein.
Nach zwei Monaten Belagerung brach in Wien eine Hungersnot aus. Doch
rechtzeitig für die Wiener kamen zwei Heere zur Unterstützung: eine Armee
aus dem Heiligen Römischen Reich und eine unter dem polnischen König
Jan Sobieski. Vom Kahlenberg bei Wien aus wurden die osmanischen
Truppen besiegt und in die Flucht geschlagen. Der Sieg der beiden Entsatzheere aus dem Reich und aus Polen bei Wien am 12. September 1683
war zwar in jedem Fall ein Wendepunkt, mit Sicherheit aber noch nicht eine
militärische Vorentscheidung zugunsten der Habsburger. Bis zur endgültigen Eroberung des historischen Königreichs Ungarn (inkl. der heutigen
Slowakei, des westlichen Rumänien und Kroatiens) dauerte es noch mehr
als 15 Jahre, bis schließlich im Frieden von Karlowitz (1699) der militärische
Status quo besiegelt wurde. Durch die Eroberung Ungarns gelangte Wien
ins Zentrum des Habsburgerreichs und wurde in der Folge groß ausgebaut.
1716-1718 kam es erneut zu einem Krieg zwischen Habsburgern und Osmanen. Nach der Eroberung der stark befestigten Stadt Belgrad im Jahr
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Eine Seeschlacht gegen die Osmanen
1571 konnte eine katholisch orientierte „Heilige
Liga“ unter dem Kommando
Don
Juans
d’Austria einen entscheidenden
Seesieg
über die Osmanen bei
Lepanto (vor der Westküste
Griechenlands
erringen); dadurch wurde die osmanische Vorherrschaft zur See im
östlichen
Mittelmeer
gebrochen. Dieser Krieg
zeigt aber auch auf,
dass es nicht nur die
Habsburger waren, die
in Opposition zu den
Osmanen
standen,
sondern vor allem auch
die Venezianer, die ihre
Stützpunkte im östlichen Mittelmeer absichern und ausbauen
wollten.
Friedliche Kontakte
Das Verhältnis zwischen Habsburgern und
Osmanen war durchaus
nicht nur von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt, sondern auch von einem
kulturellen Austausch,
der bei aller habsburgischer Propaganda gegen „das Vorrücken der
Muslime ins Abendland“
häufig übersehen wird.
Von den Osmanen übernahmen die mitteleuropäischen Länder beispielsweise die Militärmusik. Einzelpersonen
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
1717 durch Prinz Eugen fielen damals auch die Gebiete südlich von Belgrad
an die Habsburger, sodass das Habsburgerreich damals seine größte Ausdehnung am Balkan erreichte; die Gebiete südlich von Belgrad gingen aber
bald wieder verloren. An der Grenze des Habsburgerreiches wurde ein militärisch organisierter Bereich geschaffen, den bewaffnete Bauern (Wehrbauern) verteidigten. Dazu wurde nicht nur die ansässige kroatische Bevölkerung herangezogen, sondern auch Serben, die aus dem Osmanenreich
flohen. Dadurch vermischten sich kroatisch-katholische und serbischorthodoxe Bevölkerung.
Die Kriege Prinz Eugens zwischen 1716 und 1718 wurden aufgrund der
militärisch spektakulären Einnahme der Festung Belgrad im Jahr 1717 bald
zum Mythos, doch konnten die in diesem Krieg erworbenen Gebietsgewinne
(Banat, Nordserbien und die Walachei) nur bis zum nächsten Krieg der Jahre 1737-1739 gehalten werden. Die Habsburger hatten dabei weitgehend
erfolglos in einen russisch-osmanischen Krieg auf der Seite Russlands eingegriffen; allein das Banat (die Gegend um Temesvár-Timi oara im heutigen Rumänien) konnte gehalten werden.
Der Streit um das spanische Erbe
Seit der Teilung der habsburgischen Erblande im Jahr 1522 existierten sowohl eine österreichische als auch eine spanische Linie der Habsburger. Die
spanische Linie starb im Jahr 1700 im Mannesstamm aus. Ihr letzter Vertreter, Karl II., galt als völlig unzurechnungsfähig, wohl eine Folge der zahlreichen Verwandtschaftsehen zwischen den beiden Habsburgerlinien.
Um das Erbe brach zwischen Frankreich und den österreichischen Habsburgern der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) aus. Es ging dabei
gleichzeitig auch um die Vorherrschaft in Europa. Auf der Seite der Habsburger führte erneut Prinz Eugen die Truppen an, unterstützt von England,
Portugal, Preußen und den Niederlanden. Kaiser Leopold I. (1656/57-1705)
plante, seinen älteren Sohn Joseph I. in den österreichischen Ländern und
im Reich nachfolgen zu lassen. Der zweite Sohn, Karl, sollte in Spanien
eine neue habsburgische Dynastie begründen. Nach dem Tod Leopolds
1705 wurden diese Pläne auch umgesetzt. Die Lage veränderte sich aber,
als der noch junge Römisch-Deutsche Kaiser Joseph I. im Jahr 1711 unerwartet starb. Sein Bruder und Nachfolger Karl VI. (1711-1740) vereinigte
damit nicht nur die Herrschaft im Reich und in den österreichischen Ländern, sondern auch die in Spanien und damit auch in den Spanischen Niederlanden (= Belgien) und in den Kolonien. England, das sich immer um ein
Gleichgewicht der Kräfte in Europa bemüht war, zog sich folglich aus den
Kampfhandlungen heraus.
In den Friedensschlüssen von Utrecht (Niederlande, 1713) und Rastatt
(Deutschland, 1714) wurde das Königreich Spanien mitsamt den Kolonien in
Übersee einer Nebenlinie der Bourbonen zugesprochen, doch durften sich
die Bourbonen in Frankreich und in Spanien nicht gegenseitig beerben.
Österreich erhielt die Spanischen Niederlande (das heutige Belgien) und die
Lombardei (das Gebiet um Mailand).
Kameralismus – die österreichische Variante des Merkantilismus
Karl VI. war noch ein typischer Vertreter des Absolutismus. Er benötigte
dafür größere Einnahmequellen und versuchte deshalb den französischen
Merkantilismus an die österreichischen Verhältnisse anzupassen. Dieses
Wirtschaftssystem wurde Kameralismus genannt; es wurde dabei vor allem
versucht, die Wirtschaft durch staatliche Förderungen zu stärken. Karl VI.
unterstützte die Gründung von Handelskompanien, die für den Überseehandel zuständig waren. Diese Handelsgesellschaften mussten aber auf Druck
der westlichen Seemächte (England, Frankreich, Königreich Niederlande)
bald wieder geschlossen werden. Zudem wurden in Österreich von staatlicher Seite Seiden-, Porzellan- und Textilmanufakturen gegründet, in denen
besonders Luxuswaren produziert wurden, um teure Importe zu vermeiden.
Auch die berühmte Augarten-Porzellan-Manufaktur in Wien geht auf diese
Zeit zurück. In Vorarlberg versuchte man sogar Seidenraupen zu züchten.
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wie der aus den spanischen
Niederlanden
stammende habsburgische Gesandte in Konstantinopel,
Oghier
Ghislain de Busbecq
(1522-1592),
trugen
maßgeblich zum Kulturtransfer bei: Der leidenschaftliche
Botaniker
brachte etwa die Tulpe,
den Flieder und den
Jasmin nach Europa;
das „Nationalsymbol der
Niederlande“
stammt
somit eigentlich aus
dem Osmanenreich. Ob
auch die Wiedereinführung der in Europa damals schon ausgestorbenen Rosskastanie auf
ihn oder seinen Nachfolger in Konstantinopel,
Baron Ungnad, zurückgeht, ist zwar nicht restlos geklärt, doch zeigt
sich auch daran die
Transferfunktion dieser
Gesandten am Hof des
Sultans in Konstantinopel.
Spanischer Erbfolgekrieg
Die Kämpfe fanden vor
allem in Norditalien, in
Deutschland und in den
Niederlanden statt. Zumeist war die Koalition
um Österreich siegreich.
Spanische Bourbonen
Bis heute regiert die
spanische Linie der
Bourbonen als Könige
das Land. Eine Unterbrechung der Herrschaft
gab es nur zwischen
1931 und 1975: zunächst wurde die Republik ausgerufen, nach
einem blutigen Bürgerkrieg (1936-1939) führte
General Franco eine
rechtsgerichtete Diktatur
ein. Nach seinem Tod
sollte der Bourbonenprinz Juan Carlos die
Diktatur
weiterführen,
doch dieser kehrte zur
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Pietas Austriaca – „Österreichische Frömmigkeit“ im Dienste der
Macht
Neben den zahlreichen Kriegen gingen im 17. und 18. Jh. in den habsburgischen Ländern auch viele Seuchen um; mehrmals brach die Pest aus, bei
der bis zu einem Drittel der Bevölkerung umkam. Die Kirche schlug aus der
Angst vor dem Tod das meiste Kapital: Zahlreiche Menschen, allen voran
das Kaiserhaus, gelobten den Bau von Pestsäulen und Kirchen; Wallfahrten, etwa nach Mariazell, hatten Hochkonjunktur.
In der Barockkultur kam die überschwängliche Freude über die Besiegung
der Osmanen und die Überwindung der Pest zum Ausdruck. Ganz besonders aber ging es auch um die eigene Repräsentation, egal ob das Kaiserhaus, Adelige oder die katholische Kirche die Auftraggeber waren: Kirchen
und Klöster wurden unter oft gewaltigem Aufwand neu erbaut, ebenso herrschaftliche Schlösser. Führender Baumeister und Architekt des österreichischen Barock war Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723), auf
den die Karlskirche in Wien, mehrere Adelspalais sowie der Prunksaal der
Nationalbibliothek zurückgehen. Weitere wichtige Barockbaumeister in Österreich waren Johann Lukas von Hildebrandt (Schloss Belvedere in Wien),
Jakob Prandtauer (Stift Melk/NÖ) und Johann Michael Prunner (Dreifaltigkeitskirche Stadl-Paura).
Königsherrschaft
und
Demokratie zurück.
Barock:
von portugiesisch barroco = unregelmäßige
Perle. Kunststil des 17.
und frühen 18. Jh., der
sich vor allem durch
Farbenpracht und Verspieltheit in der Form
auszeichnet.
Pestsäulen
Kaiser Leopold I. gelobte die Errichtung der
Wiener Pestsäule und
ließ keine Gelegenheit
ungenützt, sich als Vorbild für die katholischösterreichische Volksfrömmigkeit darstellen
Die Sorge um den Fortbestand der Dynastie
zu lassen, so auch beKarl VI. hatte die große Angst, dass sein Geschlecht wie in Spanien aus- tend vor der Wiener
sterben könnte. Er versuchte daher, durch die so genannte „Pragmatische Pestsäule am Graben.
Sanktion“ (1713) durchzusetzen, dass die österreichischen Erbländer unteilbar und auch weibliche Erben voll erbberechtigt seien. Er musste allerdings Karlskirche in Wien
die Anerkennung durch Zugeständnisse an die anderen Mächte in Europa Die Karlskirche wurde
teuer erkaufen. Tatsächlich hatte Karl keinen männlichen Erben: Die älteste an 1714 von Johann
Tochter, Maria Theresia, sollte ihm in den habsburgischen Erbländern nach- Bernhard Fischer von
Erlach erbaut. Sie ist
folgen.
Maria Theresia heiratete im Jahr 1736 Franz Stephan von Lothringen. Ge- Sinnbild des Triumphes
gen seinen Anspruch auf das habsburgische Erbe und gegen seine geplan- der katholischen Frömte Wahl zum römisch-deutschen Kaiser erhob sich besonders Karl Albert migkeit der Habsburger
(Albrecht) von Bayern, der mit einer Tochter Kaiser Josefs I. – und somit über die muslimischen
einer Cousine Maria Theresias – verheiratet war. Mit Unterstützung Frank- Osmanen. Auf den beireichs und Preußens begann Bayern einen Erbfolgekrieg um die habsburgi- den Säulen sind die
schen Länder. Maria Theresia bemühte sich zunächst erfolgreich, die Herr- Kriege Karls auf einem
schaft als Königin von Ungarn und Böhmen zu sichern. Nach einer kaiserlo- gewundenen Band darsen Zeit (1740-1742) wählten die Kurfürsten Karl Albert zum Kaiser (1742- gestellt, ähnlich wie auf
1745). Damit wurde die rund 300 Jahre ununterbrochene Herrschaft der antiken Säulen für die
Habsburger als Kaiser im Heiligen Römischen Reich für kurze Zeit unterbro- römischen Kaiser Trajan
chen. Die Herrschaft Karl Alberts war jedoch nur von kurzer Dauer, weil er und Mark Aurel in Rom.
zulassen musste, dass die österreichischen Truppen große Teile Bayerns
besetzten. Allerdings verloren die Habsburger die im Norden gelegene Provinz Schlesien an Preußen. Sie war wegen der großen Kohlevorkommen
wirtschaftlich sehr wichtig. Im Jahr 1745 wurde Franz Stephan von Lothringen schließlich doch von den Kurfürsten zum römisch-deutschen Kaiser
gewählt.
Arbeitsfragen zum Text:
• Fasse die wichtigsten Auseinandersetzungen der Habsburger mit Osmanen und Franzosen zusammen!
• Was versteht man unter der „Pietas Austriaca“ („Österreichischen Frömmigkeit“)?
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Materialien
Habsburgische Gebietserweiterungen im 17. und frühen 18. Jh.
Europa um 1740
Arbeitsaufgaben:
Versuche anhand der Karte den habsburgischen Besitz um 1740 herauszuarbeiten:
• Welche Gebiete kamen durch die Kriege gegen die Osmanen hinzu, welche durch den Spanischen Erbfolgekrieg?
• Welche Gebiete gingen zwischen 1739 und 1742 verloren?
Der Absolutismus in Brandenburg-Preußen und Russland
Im 17. und 18. Jh. bildeten sich immer klarer fünf Großmächte in Europa heraus, die um die Vorherrschaft stritten, aber auch Interesse hatten, dass es bei einem Gleichgewicht der Kräfte blieb: Neben
Frankreich, England und dem habsburgischen Imperium gewannen um 1700 vor allem BrandenburgPreußen und Russland an Macht:
a) Brandenburg-Preußen
Im 17. Jh. stiegen die Hohenzollern zur wichtigsten Dynastie neben den Habsburgern im Heiligen
Römischen Reich auf. 1618 hatten die Hohenzollern zu ihrer Herrschaft im Kurfürstentum Brandenburg auch Ostpreußen durch Erbschaft erhalten, weiters Gebiete am Rhein. Der „Große Kurfürst“
Friedrich Wilhelm (1640-1688) baute gegen den Widerstand der Stände einen fürstlichen Beamtenapparat auf. Somit war vor allem die Finanzverwaltung den Ständen entzogen. In religionspolitischen
Fragen nahm Friedrich Wilhelm eine tolerante Rolle ein: „In meinem Reich soll jeder nach seiner
Façon glücklich werden!“, lautete seine Überzeugung. Mit Hilfe von niederländischen Einwanderern
und von 20000 Hugenotten, die er in Brandenburg-Preußen nach ihrer Vertreibung aus Frankreich
aufgenommen hatte (1685), verbesserte er die Landwirtschaft und erschloss neues Ackerland. Die
eigene Wirtschaft wurde durch Einfuhrverbote geschützt. Mit dem gestiegenen Steueraufkommen
wurde vor allem ein stehendes Heer aufgebaut.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Der Nachfolger Friedrich Wilhelms, Friedrich III. (1688-1713), förderte die Künste und erbaute zahlreiche Schlösser, sodass der Staatshaushalt arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. 1701 krönte er sich
selbst mit Zustimmung des Kaisers zum „König in Preußen“. Sein Sohn, König Friedrich Wilhelm I.
(1713-1740), herrschte zwar ebenso im Sinne des Absolutismus, doch kehrte er zu einer äußerst
sparsamen Hofhaltung zurück. Unter großem Aufwand sorgte er sich um eine Stärkung des Heeres
und führte den „preußischen Drill“ ein. Er begründete damit das Bild vom preußischen Militarismus.
Die Ausprägung des Absolutismus in Brandenburg-Preußen weist einige markante Parallelen, aber
auch gravierende Unterschiede zum Absolutismus in den habsburgischen Ländern auf. Wie die Habsburger konnten die Hohenzollern vom Kurfürstentum Brandenburg aus ihre Machtposition sowohl
innerhalb (Besitztümer am Niederrhein) als auch außerhalb (Preußen) nach 1648 deutlich vergrößern.
Mit der Königskrönung Friedrichs im Jahr 1701 rückten die Hohenzollern auch rangmäßig nahe an die
Habsburger heran. Die wichtigsten Unterschiede betreffen vor allem den militärischen Bereich, wo der
„preußische Drill und Militarismus“ für Jahrhunderte sprichwörtlich wurde, aber auch die Religionspolitik. Als erster Reichsfürst gewährte Kurfürst Friedrich Wilhelm weitgehende Religionsfreiheit und nahm
Religionsflüchtlinge wie die Hugenotten aus Frankreich bereitwillig auf, um sie im Rahmen des Landesaufbaus gezielt einzusetzen. Bis heute sind diese französischen Einwanderer im Osten Deutschlands auch namentlich fassbar, man denke nur an den letzten Staatskanzler der DDR, Lothar de Mezière. Die Habsburger verfolgten in den innerhalb des Reiches liegenden Erblanden eine konsequent
katholische Politik, in der Toleranz das System der „Pietas Austriaca“ unterlaufen hätte. Hingegen war
man bei der Ansiedelung von Protestanten in den neu eroberten Gebieten im Südosten durchaus
toleranter. Aus den diversen (erzwungenen) Aussiedelungen von Protestanten aus den habsburgischen Ländern rühren die deutschsprachigen Sprachinseln in der heutigen Slowakei (Region um Zips)
als auch in Siebenbürgen her.
b) Russland
In Russland regierte die Dynastie der Romanow als Zaren (1614-1762). Wirtschaftlich hinkte Russland
weit hinter Europa nach. Erst unter der Herrschaft Peters I. des Großen (1689-1725) erfolgte eine
militärische Ausdehnung und gleichzeitige Öffnung nach Westen. Durch einen klaren Sieg im Nordischen Krieg (1700-1721) gegen Schweden übernahmen die Russen die Vormachtstellung im Ostseeraum. Peter bewunderte besonders den straff organisierten absolutistischen Staat Preußen. Er holte
zahlreiche deutsche und andere westliche Berater ins Land und versuchte nicht ohne Gewalt, Russland zu europäisieren. Als neue Hauptstadt und als Tor zum Westen wurde 1703 St. Petersburg gegründet; das sumpfige Küstenland musste für die Errichtung der Stadt und die zahlreichen Paläste in
der Umgebung erst kunstvoll trocken gelegt werden. Schrittweise erfolgte auch die Erschließung und
Eroberung Sibiriens.
Der Absolutismus in Russland hat andere Wurzeln als in Europa. Dennoch umgab die Öffnung nach
Westen unter Zar Peter I. („dem Großen“) diesen russischen Absolutismus mit barock-europäischem
Gewand: Die Idee für eine neue Hauptstadt St. Petersburg wurde von preußischen Beratern mitgetragen. Zunächst dominierte bei den frühen Barockbauten der deutsche bzw. niederländische Einfluss,
bis man zwischen 1725 und 1760 unter dem Architekten Bartolomeo Francesco Rastrelli die Stadt im
Stil des italienischen Spätbarock ausbaute. Die Schlösser in der Peripherie der Stadt (Peterhof,
Puschkin, Pawlowsk) kommen wohl Versailles von allen europäischen Fürstenresidenzen am nächsten. Der deutsche Einfluss im neuen Russland manifestiert sich bis heute auch in einer Vielzahl deutscher Fremdwörter im Russischen, von denen zahlreiche mit der barocken Kultur in Zusammenhang
stehen: Landschaft oder Maßstab wurden deckungsgleich ins Russische übernommen – Spiegelbilder
der damals aufkommenden Landvermessung; Friseur heißt bis heute auf Russisch „Parikmacher“,
also Perückenmacher, ganz im Sinne der barocken Mode.
Arbeitsaufgaben:
• Vergleiche die Informationen des Kurztextes über Preußen mit der Karte: Welche Parallelen zwischen Österreich und Brandenburg-Preußen ergeben sich, was die Ausdehnung ihrer Territorien
betrifft?
• Welche Parallelen und welche Unterschiede kannst du zwischen den absolutistischen Regimes in
Frankreich. Österreich, Preußen und Russland erkennen?
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Der englische Sonderweg: Die Entwicklung des Parlamentarismus
Der Kampf in England zwischen König und Parlament
In England war die enge Verbindung von Staat und Kirche seit der Gründung der anglikanischen Kirche vorgegeben, weil der König bzw. die Königin ihr Oberhaupt war. Unter Königin Elisabeth I. (1558-1603) setzte sich
schließlich der Anglikanismus endgültig durch, nachdem Elisabeth ihre härteste Widersacherin, die katholische Königin Maria Stuart von Schottland,
hatte hinrichten lassen. Die Nachkommen Maria Stuarts, die nach dem Tod
Elisabeths als Könige von England und Schottland an die Macht kamen,
waren bereits zum Anglikanismus übergetreten. Die Stuart-Könige versuchten zwar, eine absolutistische Herrschaft nach dem Vorbild Frankreichs zu
errichten, scheiterten aber am Widerstand des englischen Parlaments, das
schon seit 1215 durch die „Magna Charta libertatum“ (Große Urkunde der
Freiheiten) mit schriftlich festgelegten Rechten ausgestattet war.
Die Gesellschaft in England war mehrfach zerrissen: Königstreue standen
Parlamentstreuen gegenüber; zwischen Anhängern der anglikanischen
Staatskirche, calvinistischen Puritanern und Katholiken kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Eine Republik von religiösen Fanatikern
Nach einem Bürgerkrieg zwischen Königstreuen und Parlamentstreuen
(1642-1648) setzte sich schließlich das Parlamentsheer unter der Führung
von Oliver Cromwell durch. 1649 schaffte Cromwell die Monarchie ab, ließ
König Karl I. hinrichten und errichtete eine Republik, den so genannten
Commonwealth (= Gemeinwohl). Beeinflusst von puritanischen Fanatikern
ging Cromwell vor allem gegen die Katholiken im englisch beherrschten
Irland vor. Er ließ zwar anfangs noch ein Rumpfparlament zu, errichtete
jedoch 1653 unter dem Titel eines Lordprotektors eine blutige Militärdiktatur.
Nach dem Tod Cromwells (1658) fand sich kein geeigneter Nachfolger, sodass schließlich wieder die Monarchie eingeführt wurde.
Die Wiedereinführung der Monarchie
König Karl II. (1660-1685), der am Hofe Ludwigs XIV. von Frankreich im
Sinne des Absolutismus erzogen worden war, verhalf der anglikanischen
Kirche wieder zur Vorherrschaft; die Puritaner wurden verfolgt. Seine Versuche, absolutistisch zu regieren und auch den Katholizismus wieder öffentlich
zuzulassen, scheiterten am Widerstand des Parlaments. Im Jahr 1679
musste er der Habeas-Corpus-Akte zustimmen, in der die persönliche Freiheit jedes Einzelnen gesichert und Schutz vor willkürlicher Verhaftung zugestanden wurde. Als Karls Nachfolger Jakob II. (1685-1688) den katholischen
Glauben und den Absolutismus in England wieder durchsetzen wollte, holte
das Parlament den niederländischen König Wilhelm III. von Oranien ins
Land. Jakob II. wurde 1688 in der so genannten „Glorreichen Revolution“
unblutig gestürzt und ins französische Exil geschickt. 1689 gestand Wilhelm
in der Declaration of Rights dem Parlament Redefreiheit und das Recht auf
Steuerbewilligung zu. England war damit zu einer konstitutionellen Monarchie geworden: Der Absolutismus war dem Parlamentarismus unterlegen.
Das Schicksal Irlands
Irland stand seit 1170 unter englischer Herrschaft. Im 16. Jh. waren die
meisten Bewohner Irlands katholisch geblieben. Da die Katholiken die Einführung der anglikanischen Staatskirche nicht anerkennen wollten, ging
König Heinrich VIII. hart gegen sie vor. Seine Tochter Elisabeth I. intensivierte die Politik der „Plantations“ (Ansiedelungen): Anglikanische Siedler
aus England und calvinistisch-presbyterianische aus Schottland wurden vor
allem im Nordosten Irlands (dem heutigen Nordirland) angesiedelt und erhielten Land auf Kosten der katholischen Bevölkerungsmehrheit.
Unter dem Puritaner Oliver Cromwell kam es erneut zu zahlreichen Zerstö17
Parlament
Seit dem 13. Jh. wurde
in England der erweiterte Rat des Königs als
Parliament (von französisch parler = sprechen)
bezeichnet. Das englische Parlament besteht
seitdem
aus
zwei
Kammern, dem House
of Lords, in dem Adelige
kraft ihres Erbrechts
vertreten sind, und dem
House of Commons, in
dem sich neben (gewählten) Adeligen auch
Abgeordnete der Städte
und Grafschaften befinden. Im Spätmittelalter
wurde das Parliament
immer mehr zum Kontrollorgan
gegenüber
dem König.
König gegen Parlament
Die Diskussion um Lord
Stafford, der als „rechte
Hand des Königs“ versucht hatte, die Kompetenzen des Parlaments
zu
beschneiden
(1640/41), ist symptomatisch für die Gräben
zwischen Königstreuen
und Parlamentstreuen,
die ab den 1630erJahren in England vorherrschten.
Da
zunächst eine Anklage
gegen Lord Stafford auf
Hochverrat nach den
geltenden
Gesetzen
ohne Erfolg blieb, schuf
man ein eigenes neues
Gesetz, das eine Verurteilung ohne Beweiserhebung möglich machen sollte. Die radikalen Parlamentarier mobilisierten die Londoner
Unterschichten zu Massendemonstrationen,
damit der König dem
Gesetz
zustimme.
Schließlich wurde Lord
Stafford zum Tod verur-
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
rungen gegen katholische Kirche und Klöster, doch auch dadurch wandte
sich die Bevölkerung nicht vom katholischen Glauben ab. Als der letzte König aus dem Hause der Stuarts, Jakob II., nach der „Glorreichen Revolution“
zunächst Zuflucht bei seinen katholischen Getreuen in Irland suchte, kam es
dort zu einem Bürgerkrieg, den die Truppen Wilhelms von Oranien schließlich gewannen.
teilt.
Materialien
Konstitutionelle
Monarchie:
Eine Verfassung (Konstitution) regelt die Aufteilung der Macht zwischen König und Parlament.
Arbeitsfragen zum Text:
• Fasse die wichtigsten Stationen der Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament zusammen!
• In welchen Auseinandersetzungen spielten dabei religiöse Konflikte eine Rolle?
Materialien
Absolutismus gegen Parlamentarismus
Nach dem Tod seiner Mutter Maria Stuart in englischer Gefangenschaft (1587) bestieg Jakob I. zunächst den schottischen Königsthron. 1603 folgte er der englischen Königin Elisabeth nach und vereinigte damit die beiden Königreiche von England und Schottland, eine Personalunion, die bis heute
besteht.
Während seine Erziehung durch den schottischen Humanisten George Buchanan (1506-1582) noch
calvinistisch geprägt war, wandte er sich von dessen Ideen vom Herrschaftsvertrag und vom Widerstandsrecht rasch ab und entwarf in der anonym erschienenen Abhandlung „True Law of Free Monarchies“ (Das wahre Recht der freien Monarchien) einen frühabsolutistischen Herrschaftsanspruch. Die
Rechte des seit dem 13. Jh. bestehenden englischen Parlaments sollten auf ein Bitt- und Vorschlagsrecht bei Gesetzen eingeschränkt werden. Er selbst als König habe hingegen die Macht und das
Recht, Statuten nach seinem eigenen Gutdünken zu erlassen. Interessant ist auch der Hinweis, dass
es zuerst den König gegeben habe und dann erst die Stände der Gesellschaft mitsamt ihren Vertretern.
„ ... Die Könige von Schottland waren schon da, bevor es Stände oder Rangabstufungen innerhalb
derselben gab, bevor Parlamente gehalten oder Gesetze gemacht wurden. Sie verteilten das Land,
das ursprünglich in seiner Gesamtheit ihnen gehörte, sie riefen Ständeversammlungen durch ihren
Befehl ins Leben, sie entwarfen Regierungsformen und richteten sie ein.
Daraus folgt mit Notwendigkeit, dass die Könige Urheber und Schöpfer der Gesetze waren und nicht
umgekehrt. ... Es entspricht diesen Fundamentalgesetzen, wenn wir Tag für Tag vor Augen sehen,
wie im Parlament (das nichts anderes ist als der höchste Gerichtshof des Königs und seiner Vasallen)
die Gesetze von den Untertanen lediglich beantragt, aber vom König allein, wenn auch auf ihre Bitte
und mit ihrem Rat, gemacht werden. Der König erlässt auch täglich Statuten und Verordnungen mit
Strafandrohungen ganz nach seinem Ermessen, ohne Beirat des Parlaments oder der Stände, aber
kein Parlament hat die Macht, irgendein Gesetz oder Statut zu erlassen, ohne dass sein Szepter dabei
mitwirkt und ihnen die bindende Kraft eines Gesetzes gibt. ... Und wie der König ganz offensichtlich
oberster Herr des ganzen Landes ist, so ist er auch Herr über jede Person, die darin wohnt, und hat
Gewalt über Leben und Tod einer jeden von ihnen. Zwar wird ein gerechter Herrscher keinem seiner
Untertanen das Leben nehmen ohne eine klare Gesetzesbestimmung, aber dieselben Gesetze, kraft
derer er es ihnen nimmt, hat er selbst oder haben seine Vorgänger erlassen, und so geht alle Gewalt
jederzeit von ihm selber aus.“
(True Law of Free Monarchies, 1598, gekürzt; zitiert nach Dickmann, Geschichte in Quellen 3, S. 352)
Aus der Declaration of Rights bzw. Bill of Rights
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Gut neunzig Jahre später und nach dem vielleicht turbulentesten Jahrhundert der englischen Geschichte stellte sich die rechtliche Basis für den König ganz anders dar. Nachdem der letzte StuartKönig Jakob II. 1688 vertrieben wurde (und sich für einige Zeit nur mehr im katholischen Irland behaupten konnte), holte man das niederländische Prinzenpaar Wilhelm III. und Maria II. von Oranien ins
Land, allerdings unter der Bedingung, allein den Anglikanismus zu befolgen und die Rechte des Parlaments anzuerkennen. Die vom Parlament entworfene Declaration of Rights (13. Februar 1689, Erklärung der Rechte), die alle Grundrechte der englischen Bürger zusammenfasste, musste von Wilhelm und Maria vor der Wahl bestätigt werden und wurde als Bill of Rights zu einem der Grundgesetze der englischen Monarchie, das bis heute Gültigkeit besitzt. Die Bestimmungen der Declaration bzw.
Bill of Rights richteten sich zum einen gegen den Absolutismus, andererseits auch gegen den Katholizismus (vgl. die Bestimmung, dass es allein Protestanten erlaubt ist, Waffen zu ihrer Verteidigung zu
führen). Die Bill of Rights schuf somit die Grundlage für den Parlamentarismus in Großbritannien.
„Die in Westminster versammelten geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, die gesetzmäßige,
vollständige und freie Vertretung aller Stände des Volkes in diesem Königreich, legten am 13. Tag im
Februar im Jahr unseres Herrn 1689 Ihren Majestäten ... Wilhelm und Maria, Prinz und Prinzessin von
Oranien, eine geschriebene Erklärung vor, welche von oben angeführten Lords und Gemeinen in folgenden Worten ausgestellt wurde ...:
Die angemaßte Befugnis, Gesetze oder die Ausführung von Gesetzen durch königliche Autorität ohne
Zustimmung des Parlaments aufzuheben, ist gesetzwidrig. ...
Steuern für die Krone oder zum Gebrauch der Krone ... ohne Erlaubnis des Parlaments für längere
Zeit oder in anderer Weise, als erlaubt oder bewilligt wurde, zu erheben, ist gesetzwidrig.
Es ist das Recht des Untertans dem König Bittschriften einzureichen und jede Untersuchungshaft
sowie Verfolgung wegen solch einer Petition ist gesetzwidrig.
Es ist gegen das Gesetz, es sei denn mit Zustimmung des Parlaments, eine stehende Armee im Königreich in Friedenszeiten aufzustellen oder zu halten.
Den protestantischen Untertanen ist es erlaubt, Waffen zu ihrer Verteidigung gemäß ihrer Stellung und
wie es das Gesetz gestattet zu führen.
Die Wahl von Parlamentsmitgliedern soll frei sein.
Die Freiheit der Rede und der Debatten und Verhandlungen im Parlament darf von keinem Gerichtshof oder sonstwie außerhalb des Parlaments angefochten oder in Frage gestellt werden. ...
In vollem Vertrauen, dass seine Hoheit der Prinz von Oranien seine diesbezügliche Erklärung erfüllen
und sie gegen Verletzung ihrer hiermit zugesicherten Rechte sowie gegen alle sonstigen Angriffe auf
ihre Religion, Rechte und Freiheiten schützen wird, beschließen die in Westminster versammelten
geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, dass Wilhelm und Maria ... König und Königin von
England sein und als solche erklärt werden sollen ...“
(Declaration of Rights bzw. Bill of Rights, 13. Februar 1689, gekürzt; zitiert nach Dickmann, Geschichte in Quellen 3, S. 494 f.)
Arbeitsfragen:
• Fasse die Hauptinhalte der Positionen Jakobs I. zusammen!
• Fasse die Bestimmungen zusammen, die als Bedingungen für den Herrschaftsantritt Wilhelms III.
von Oranien vom englischen Parlament vorgelegt wurden!
• Vergleiche beide Positionen: Was hat sich am Verhältnis zwischen König und Parlament im Laufe
des 17. Jh. verändert?
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Die Aufklärung: Staatstheorie, Wissenschaft und Kultur
Die Aufklärung
Schon bald nach der Durchsetzung des Absolutismus entstand als Gegenbewegung die so genannte Aufklärung. Die Menschen sollten der Allgewalt
von Staat und Kirche entzogen und bezüglich ihrer Rechte auf Gleichheit
und Selbstbestimmung „aufgeklärt“ werden. Viele Wurzeln der Aufklärung
gehen schon auf die Antike und den Humanismus zurück. Träger der Aufklärung waren zumeist gebildete Bürger.
Staatstheorie
Angelpunkt der Kritik am absolutistischen System war der Gesellschaftsvertrag, den Thomas Hobbes zur Rechtfertigung der fürstlichen Allmacht herangezogen hatte. Der Engländer John Locke (1632-1704) interpretierte den
Gesellschaftsvertrag dahingehend, dass er im Falle von groben Fehlleistungen des Monarchen auch durch das Volk aufgekündigt werden könne. Der
Herrscher müsse sich somit andauernd um das Wohl des Volkes kümmern,
da er ansonsten seiner Funktion als „oberster Schiedsrichter“ der politischen
Gemeinschaft (= des Volkes) nicht mehr nachkomme. Es sei zudem für die
Kontrolle der Macht des Herrschers sinnvoll, Legislative und Exekutive zu
trennen. Weiters betonte Locke die Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit
von Person und Eigentum.
Im 18. Jh. mehrten sich besonders in Frankreich die Vertreter der Aufklärung. Montesquieu (1689-1755) entwickelte in seinem Hauptwerk „Vom
Geist der Gesetze“ (1748) die Lehre von der Gewaltenteilung, wonach Legislative, Exekutive und Jurisdiktion getrennt und voneinander unabhängig sein müssten, um Machtmissbrauch zu verhindern. Jean-Jacques
Rousseau leitete aus dem Gesellschaftsvertrag ab, dass im Zweifelsfalle
das letzte Wort, die Souveränität im Staat, beim Volk und nicht beim König
liege.
Die drei Gewalten im
Staat:
Legislative: gesetzgebende Gewalt
Exekutive: ausführende
Gewalt (Regierung und
Verwaltung)
Jurisdiktion: richterliche Gewalt
Jean-Jacques Rousseau
Rousseau (1712-1778)
stammte aus Genf aus
einer
calvinistischen
Familie und lebte seit
1742 zumeist in Paris.
Neben
seinen
staatstheoretischen
Schriften verfasste er
auch Werke zur Musik.
Kritik an der Religion
Unter den Vertretern der Aufklärung finden sich auch mehrere, die massive
Kritik nicht nur an der Kirche, sondern auch am christlichen Glauben übten.
In Frankreich reichte das Spektrum der Gotteskritik von harscher Kritik an
der Kirche und an der Glaubenspraxis bis hin zur völligen Leugnung eines
Gottes: Julien Offray de Lamettrie (1709-1751) ging sogar so weit, im Menschen eine „Maschine“ zu sehen; alles geistige Leben des Menschen sei
vom körperlichen abhängig und daher sei auch Gott eine Erfindung. Seine
radikalen Positionen zwangen ihn, Frankreich zu verlassen und nach Preußen zu fliehen.
Weiters forderten die Aufklärer religiöse Toleranz gegenüber Andersgläubigen und die Respektierung menschlicher Grundrechte, wie beispielsweise
der Meinungsfreiheit. Der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire
(1694-1778) trat gegen jede Form von religiösem Fanatismus ein. Das
brachte ihn in Kontakt mit König Friedrich II. von Preußen, der um die Mitte
des 18. Jh. der mit Abstand aufgeschlossenste Herrscher war, was die Gedanken der Aufklärung betraf. Die Forderung Voltaires nach religiöser Toleranz fand schließlich ihre Wirkung in den Toleranzpatenten von 1781/1782,
durch die in Österreich die Protestanten, Griechisch-Orthodoxen und Juden
ihre Religion frei ausüben durften.
Johann
Jakob
Scheuchzer
Das Interesse an der Natur
Im 18. Jh. war es selbst
Auch die Natur rückte während der Aufklärung immer mehr ins Zentrum des für aufgeklärte Gelehrte
Interesses. Während im Zeitalter der Glaubensspaltung Naturkatastrophen wie Scheuchzer (1672zumeist als Strafe Gottes gedeutet wurden, begann man die Welt nun ratio- 1733) nicht denkbar, an
nal, d. h. vernunftbezogen zu deuten: Privatpersonen beobachteten das der Rolle Gottes als
Wetter und führten darüber Aufzeichnungen. Als im Jahr 1755 ein verhee- Schöpfer zu zweifeln.
rendes Erdbeben die portugiesische Hauptstadt Lissabon völlig zerstörte, Ebenso konnte man
bot dieses Ereignis gelehrten Kreisen für mehrere Jahre Stoff für Diskussio- sich Funde von ausge20
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
nen. Die ausführliche Berichterstattung in Zeitungen und Flugblättern machte das Erdbeben außerdem zum ersten gesamteuropäischen Medienereignis. Auch Naturwunder aller Art erregten damals großes Interesse und man
suchte nach Erklärungen: So führte der Schweizer Gelehrte Johann Jakob
Scheuchzer Fossilienfunde im Gestein und urgeschichtliche Knochenfunde
auf die biblische Sintflut zurück. Zoologen und Botaniker versuchten die
Natur bis ins letzte Detail in Klassen einzuteilen: das System des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (1707-1778) hat bis heute weitgehende Gültigkeit.
storbenen Tierarten nur
so erklären, dass diese
bei der Sintflut umgekommen seien.
Aufklärung und Pädagogik
Die Aufklärung sah eine ihrer wesentlichen Aufgaben in der Belehrung des
Volkes. Damit rückte auch die Pädagogik als eigene Wissenschaft in den
Blickpunkt. Jean Jacques Rousseau und andere forderten vor allem eine
bessere Schulbildung; die Forderung nach der Einführung der allgemeinen
Schulpflicht wurde bald auch von den Regierenden aufgegriffen.
Der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) versuchte die theoretischen Ansätze der Pädagogik in die Praxis umzusetzen: praktische „Anschauung“ sei höher einzuschätzen als das „Buchwissen“. Er
gründete zu diesem Zweck ein Waisenhaus und eine Versuchsschule. Er
ging wie andere Aufklärer davon aus, dass eine gute Erziehung die positiven Seiten in einem Menschen besser entfalten lasse.
Pädagogik:
griechisch
„Anleitung
der Knaben“; die Lehre
von Bildung, Erziehung
und Unterricht
Wissenschaft im Dienste des Staates
Gefördert von den Regierungen ihrer Zeit dehnten sich die Forschungen der
Gelehrten auf immer neue Bereiche aus. So beschäftigte sich der deutsche
Statistiker Johann Peter Süßmilch (1707-1767) erstmals mit Fragen des
Bevölkerungswachstums. Der aus Udine stammende Mathematiker, Astronom und Landvermesser Johann Jakob von Marinoni gab in Wien den
Anstoß zu einer flächendeckenden Kartierung der habsburgischen Länder.
Er entwickelte dafür auch Methoden zur Landaufnahme in schwer zugänglichem Gelände. Es dauerte bis in die 1820er-Jahre, bis diese genauen Karten, der so genannte Kataster, für die gesamte Habsburgermonarchie fertiggestellt war. Blatt für Blatt wurde jeder Acker, jedes Haus mitsamt der
Anzahl an Bewohnern und jede unbebaute Fläche eingetragen. Mit dieser
Landaufnahme sollte ermittelt werden, wie viele Menschen in der Habsburgermonarchie lebten, wie hohe Steuern sie aufgrund ihres Besitzes leisten
mussten und wie viele junge Männer im Falle eines Krieges zum Wehrdienst rekrutiert werden könnten.
Auch in der Ökonomie (= Wirtschaftswissenschaft) kam es zu neues Ansätzen: Nachdem das System des Merkantilismus bald an seine Grenzen gestoßen war, entwickelte der Franzose François Quesnay das Wirtschaftssystem des Physiokratismus. Demnach gebe es einen natürlichen Wirtschaftskreislauf, der aus einer Kette von Tauschhandlungen zwischen den
sozialen Klassen besteht. Die in der Landwirtschaft tätigen Menschen, die
„produktive Klasse“, erwirtschaftet Güter, die von der „Klasse der Grundeigentümer“ in Umlauf gesetzt werden. Eine dritte Gruppe, die „unproduktive
Klasse“ (Handwerker und Händler), konsumiert die Agrargüter. Die Produktion und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten solle daher durch
staatliche Wirtschaftsreformen gefördert werden. Im Gegensatz zum Merkantilismus wurde im Physiokratismus somit vor allem die Rolle der Landwirtschaft für den Wohlstand eines Landes betont.
Johann Jakob Marinoni
Durch die Pionierleistungen Marinonis (16761755) wurde die österreichische Landvermesserkunst
(Geodäsie)
international
führend.
Für die Kartierung der
habsburgischen Lande
wählte man eine markante Linde unweit von
Kremsmünster
(OÖ);
der Baum trug seitdem
den Namen „Baum mitten in der Welt“.
Die Encyclopédie
Die beiden französischen Gelehrten Jean
Le Rond d’Alembert und
Denis Diderot gaben
1751-1772 gemeinsam
die „Encyclopédie“ heraus, ein umfangreiches
Lexikon, in dem alle
naturwissenschaftlichen
und
philosophischen
Errungenschaften
der
Aufklärung gesammelt
Wissenschaft für das Volk
Während die Naturwissenschafter des 16. und 17. Jh. ihre Kenntnisse nur waren.
einer kleinen wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich machten, strebten
die Forscher des 18. Jh. nach einer möglichst großen Breitenwirkung. Zum
einen wurden die Bürger ermuntert, selbst zu forschen. Zum anderen verfassten zahlreiche Gelehrte auch allgemein verständliche Fassungen ihrer
Abhandlungen; Voltaire und andere ließen wissenschaftliche und philosophische Inhalte in vereinfachter Form in ihre Briefe an Adelige und Bürger
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
einfließen. Auch gebildete Frauen gehörten zu den Empfängern solcher
Briefe. Öffentliche Vorführungen von physikalischen und chemischen Versuchen wurden zu gern gesehenen Attraktionen im bürgerlichen Milieu.
Auch wenn die Verbreitung von wissenschaftlichen Ergebnissen immer
noch nur eine kleine gebildete Schicht von Bürgerinnen und Bürgern erreichte, so war dennoch der Anfang zu einer „Volksbildung“ gemacht.
Arbeitsfragen zum Text:
• Welche Ideen verfolgten die aufgeklärten Staatstheoretiker? Vergleiche diese mit den Theoretikern des Absolutismus!
• In welchen Bereichen der Wissenschaft machte sich der Geist der Aufklärung ganz besonders
bemerkbar?
• Auf welche Weise waren die Gelehrten der Aufklärung im Dienste der damaligen Staaten tätig?
Materialien
Die Neugier an den naturwissenschaftlichen Entdeckungen
Ein Gelehrter demonstriert einer interessierten bürgerlichen Zuseherschaft, dass ein Vogel im luftleeren Raum nicht fliegen kann.
Bild: Das Experiment (Ölgemälde von Joseph Wright, 1768, London, National Gallery)
Arbeitsaufgaben:
• Versuche das Bild so genau wie möglich zu beschreiben! Achte dabei auch auf Details und das
Licht!
• Wie reagieren die einzelnen Zuseher auf das Experiment?
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
•
Welche Funktion haben Licht und Dunkelheit in der dargestellten Szene? Begründe deine Meinung!
Neue Ansätze in der Pädagogik
Der deutsche Gelehrte August Ludwig Schlözer (1735-1809) richtete seine historischen Studien nicht
nur an ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern er wollte damit „die Geschichtskunde unter den
großen Haufen bringen“. Besonders die Erziehung und Bildung von Kindern spielt in seinen Werken
eine große Rolle. Sein Ziel war es, die Kinder durch hohe Bildung zu selbstbewussten BürgerInnen zu
erziehen. Erstes „Versuchsobjekt“ war dabei seine 1770 geborene Tochter Dorothea, die schon als
Kind zahlreiche Fremdsprachen erlernte und mit 17 Jahren an der Universität Göttingen das Doktorat
der Philosophie erwarb. Die Prüfung musste sie als Frau allerdings in einem Privathaus ablegen und
auch ihre eigene Ernennung zur Doktorin (der ersten des deutschsprachigen Raumes) durfte sie nur
durch ein Fenster von außen verfolgen. Die „Vorbereitung zu Weltgeschichte für Kinder“ verfasste
August Ludwig Schlözer 1779 für Kinder ab zehn Jahren; sie sollten durch dieses Buch mit der Geschichte und den Gedanken der Aufklärung vertraut gemacht werden.
„Es ist ein sonderbares Ding um den Menschen. Sein ganzer Unterschied vom Tiere besteht nicht
darin, dass er Vernunft hat, sondern dass er Vernunft kriegen kann. Vernunft bringt kein Mensch mit
auf die Welt. Ein neugeborenes Kind hat so wenig Vernunft als ein neu ausgekrochenes Hühnchen.
Der Unterschied ist nur, dass das Hühnchen schlechterdings nie Vernunft kriegen kann; das Kind aber
kann es, je nachdem mit ihm verfahren wird.
Keine Nachtigall wird Philomelenmäßig3 singen, wenn sie es nicht von andern Nachtigallen hört und
lernt. … Ebenso wird kein Mensch sprechen, weder Deutsch noch Französisch sprechen, wenn er es
nicht von anderen hört und lernt; sonst gibt er keine anderen als tierische Töne von sich. Kein Kind
wird auf zwei Beinen gehen, wird drei zählen können, wird vernünftig werden, wenn es nicht unter
anderen bereits vernünftigen und also reden könnenden Geschöpfen aufwächst. …
Erwachsene Leute also kultivieren die jungen, menschliche Eltern machen ihre Kinder menschlich. Die
Kultur ist (in gutem Verstande) ansteckend, wie Pest und Pocken (in schlimmem). Sind die Alten klug,
so werden es die Jungen; sind jene dumm, so bleiben es auch diese. Kann dann ein Kind stricken und
spinnen lernen, wenn im ganzen Lande niemand ist, der stricken und spinnen kann? – Aber auch,
sind die Alten Diebe und Räuber, so stehlen auch die Kinder und haben nichts Arges daraus. Und
fressen jene gar Menschen, nun so werden die Kinder auch kleine Menschenfresser und haben nichts
Arges daraus.“
(August Ludwig, Schlözer, Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, Teil 1, § 32, Göttingen 1779,
gekürzt; zitiert nach Heese/Schoo, „Er heißt Adam und nicht Herr von Adam“, S. 63)
Arbeitsaufgaben:
• Welche Fähigkeit unterscheidet aus der Sicht des Autors die Menschen von den Tieren?
• Welchen Sinn hat aus der Sicht des Autors eine gute Erziehung und Vorbildwirkung seitens der
Eltern für deren Kinder? Teilst du seine Meinung?
Die Encyclopédie
Kaum ein anderes Werk versinnbildlicht den Geist der Aufklärung mehr als die unter der Leitung der
französischen Schriftsteller und Philosophen Jean Le Rond d’Alembert (1717-1783) und Denis Diderot
(1713-1784) herausgegebene „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des
métiers“ („Enzyklopädie oder wohlbegründetes Lexikon der Wissenschaften, der Künste und des
Handwerks), das 1751-1772 in Paris erschien. Schon 1777/78 wurde die dritte Auflage des Monumentalwerks verlegt. Rasch wurde die „Encyclopédie“ als autoritative Sammlung all dessen angesehen,
was unter Aufklärung zu verstehen sei: Zu den 22 Lexikonbänden erschienen in den Jahren 1762 bis
1777 insgesamt 13 Tafelbände mit Kupferstichen. Einen besonderen Stellenwert nehmen bei den in
der Encyclopédie enthaltenen Abbildungen die technisch-mechanischen Errungenschaften der dama3
Philomele, die Tochter des athenischen Königs Pandion, wurde Zeugin einer Schandtat ihres Gatten Tereus,
der ihr deswegen die Zunge herausschnitt, damit sie über das Gesehene nicht reden könne. Philomele wurde
schließlich von den Göttern in eine Nachtigall verwandelt. Diese Verwandlungssage aus der griechischen Mythologie ist in den „Metamorphosen“ des Ovid überliefert, einem der wichtigsten Werke im Lateinunterricht.
23
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
ligen Zeit ein. Zudem sind in der Encyclopédie zahlreiche Artikel zu den Grundsätzen der Aufklärung
publiziert.Neben naturwissenschaftlich-technischen Abschnitten (mit hervorragenden Kupferstichen zu
alten Handwerken und damals moderner Technologie) sind auch die philosophischen und politischstaatstheoretischen Beiträge von großer Bedeutung, nicht zuletzt, wenn sie aus der Feder Diderots,
Voltaires oder Rousseaus selbst stammten.
Die „Encyclopédie“ wurde nicht nur für eine ganze Gattung an Nachschlagewerken namengebend,
sondern fand auch zahlreiche Nachahmer in der Spätzeit der Aufklärung sowie im 19. Jh.: Parallel
bzw. sogar etwas früher erschien im deutschsprachigen Raum Johann Heinrich Zedlers „Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste“ (1731-1754) in 64 Bänden; die „Ökonomisch-technische Enzyklopädie“ (1773-1858) von Johann Georg Krünitz umfasste gar 242 Bände
und die „Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste“ (1818-1889) von Johann Samuel
Ersch und Johann Gottfried Gruber brachte es immerhin auf 167 Bände. In der Anlage von Enzyklopädien spiegelt sich auch das in der Aufklärung populäre Streben nach universaler Gelehrtheit wider,
wie es in Deutschland um 1800 Johann Wolfgang von Goethe oder Alexander von Humboldt verkörperten.
Denis Diderot über das Verhältnis des Staates zu Religion und Aberglauben
„Soll der Gesetzgeber die Religion als Haupttriebfeder in der Regierungsmaschine benutzen?
... Macht der Gesetzgeber aus der Religion eine Haupttriebfeder des Staates, so gibt er notwendiger
Weise den Priestern ein allzu großes Ansehen und dadurch werden sie bald ehrgeizig. In den Ländern, in denen der Gesetzgeber sozusagen die Religion mit der Regierung verschmolzen hatte, hat
4
man gesehen, wie die Priester, nachdem sie Einfluss gewonnen hatten, den Despotismus förderten,
um ihre eigene Autorität zu vermehren. Sobald diese Autorität fest begründet war, haben die Priester
den Despotismus bedroht und ihm die Knechtung der Völker streitig gemacht.
Schließlich wäre die Religion eine Triebfeder, deren Wirkungen der Gesetzgeber nicht immer voraussehen könnte und deren Beherrschung ihm nichts gewährleisten kann. Dies genügt wohl als Begründung dafür, dass er die hauptsächlichen Verfassungs- und Zivilgesetze und ihre Vollziehung unabhängig vom Kult und von den religiösen Dogmen5 macht; doch soll er die Religion achten und lieben
und dafür sorgen, dass sie geliebt und geachtet wird.
Nie darf der Gesetzgeber die Neigung der menschlichen Natur zum Aberglauben vergessen; er kann
damit rechnen, dass es Aberglauben zu allen Zeiten und bei allen Völkern geben wird. Der Aberglaube wird sich sogar der wahren Religion immer beimischen. Die Kenntnisse und die Fortschritte der
Vernunft sind die besten Mittel gegen die se Krankheit unserer Gattung; aber da sie bis zu einem gewissen Punkt unheilbar ist, verdient sie viel Nachsicht.“
(Denis Diderot, Encyclopédie, Bd. 9, Paris 1765; zitiert nach Diderot, Philosophische und politische
Texte in der „Encyclopédie“, S. 218 f.).
Arbeitsfragen:
• Welche Gefahren ergeben sich nach Ansicht des Autors beim Zusammenspiel von Staat (Gesetzgeber) und Kirche? Wie steht der Autor allgemein zur Religion?
• Welches Mittel schlägt der Autor zur Überwindung des Aberglaubens in der Bevölkerung vor?
• Die „Encyclopédie“ betont vor allem die Technik und ihre Bedeutung. Suche Hinweise, dass auch
in dieser staatstheoretischen Passage eine „technisierte“ Sichtweise der Welt durchklingt!
Der ausgewählte Text von Diderot gibt eine der „Hauptpositionen“ der französischen Aufklärung zum
Verhältnis von Staat und Religion wieder: Beide hätten zur Sicherung der Macht ein enges Bündnis
eingegangen, wobei manchmal nicht ganz deutlich werde, ob der Staat die Kirche oder die Kirche den
Staat mehr zum eigenen Vorteil ausnutze. Diderot spricht sich daher für eine Trennung von Kirche und
Staat aus, gesteht aber der „wahren Religion“ durchaus ihren Nutzen und ihre Existenzberechtigung
zu.
Interessant ist auch seine Position zum „Aberglauben“, worunter neben dem Aberglauben im heutigen
Sinn auch ganz allgemein die barocke Volksfrömmigkeit zu verstehen ist: Der Aberglaube sei wie eine
Volkskrankheit, der man nur mit der Vernunft wirkungsvoll begegnen könne. Dies gilt etwa auch für die
damals häufigen Diskussionen über Naturkatastrophen und Wetteranomalien: Waren dies einfach
Launen der Natur, die man naturwissenschaftlich erklären, wenn auch manchmal nicht vorhersagen
4
5
Herrschaft eines Despoten (Gewaltherrschers).
Feste Lehrmeinungen.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
konnte – oder war es die Strafe Gottes für irgendein Vergehen? Bei diesen Auseinandersetzungen
darf nicht vergessen werden, dass die Aufklärung im 18. Jh. nur eine gebildete Bürgerschicht, also
eine kleine Minderheit der Bevölkerung erreichte, während der Großteil der Bevölkerung weiterhin
dem „Aberglauben“ (im Sinne der aufgeklärten Gelehrten) verhaftet war.
Schließlich kommt in der Textstelle auch die „technisierte“ Weltsicht der Aufklärung sprachlich zum
Tragen. Der Staat (Diderot spricht immer neutral vom „Gesetzgeber“) sei eine Maschine, deren Haupttriebfeder in vielen Ländern die Kirche darstelle. Die ganze Natur, der ganze Kosmos laufe wie ein
Uhrwerk nach einem inneren Plan. Bei radikalen Materialisten wie Lamettrie (La Mettrie) führte dies
bis zu der Ansicht, dass der Mensch nichts anderes als eine Maschine sei („l’homme machine“), dessen geistige Fähigkeiten allein von den körperlichen ausgingen.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
„Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk!“ – Der aufgeklärte Absolutismus in Preußen
und Österreich
Aufgeklärter Absolutismus in Brandenburg-Preußen
Das Königreich Preußen wurde in der ersten Hälfte des 18. Jh. weiterhin
absolutistisch regiert; militärische Disziplin herrschte nicht nur in den Kasernen, sondern auch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Auch der
neue König Friedrich II. (1740-1786) änderte daran nicht viel: Bei seiner
Herrschaft schloss er jede Mitsprache des Adels oder der Bürger aus; seine
Residenz Sanssouci („Ohne Sorge“) in Potsdam bei Berlin baute er ganz im
Stil absolutistischer Fürsten zu einem Prunkschloss aus.
Andererseits herrschte in Brandenburg-Preußen seit dem ausgehenden 17.
Jh. eine weitgehende Religionsfreiheit. Damit war ein erster Anknüpfungspunkt an die Ideen der Aufklärung gefunden. Friedrich interessierte sich
persönlich für die Aufklärung und stand sogar in einem regen Briefkontakt
mit dem französischen Philosophen Voltaire. Unter dessen Einfluss führte
Friedrich in Brandenburg-Preußen die allgemeine Schulpflicht ein, sorgte
sich um Krankenhäuser und die tolerante Aufnahme Fremder. Bei aller absolutistischer Machtfülle wollte er der „erste Diener seines Staates“ sein.
Somit verbanden sich in Friedrichs Herrschaft absolutistische und aufklärerische Züge. Diese Art der Regierung, bei der nur von oben gelenkte aufklärerische Maßnahmen geduldet wurden, bezeichnet man als „aufgeklärten
Absolutismus“. Auch die Regierungsweise Maria Theresias (1740-1780)
sowie ihrer Söhne Josef II. (1765/80-1790) und Leopold II. (1790-1792) war
zugleich aufgeklärt und absolutistisch; ebenso folgte die russische Zarin
Katharina II. (1762-1796) dem Beispiel Friedrichs.
Der österreichisch-preußische Gegensatz
Nach den Kriegen um die Nachfolge Kaiser Karls VI. im Heiligen Römischen
Reich und in den habsburgischen Erbländern herrschte zwischen Österreich
unter Maria Theresia und Brandenburg-Preußen unter Friedrich II. ein
Spannungsverhältnis. Beide waren 1740 an die Macht gekommen und waren ursprünglich auch für eine gemeinsame Ehe bestimmt gewesen. Friedrich II. war für Maria Theresia in vielen innen- und außenpolitischen Bereichen sowohl Konkurrent als auch Vorbild: zum einen wollte die Habsburgerin die wichtige Provinz Schlesien zurückgewinnen, zum anderen ahmte sie
immer mehr die Reformen Friedrichs nach.
Nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges 1748 verbündete
sich Österreich mit Frankreich. Auf der anderen Seite rückten BrandenburgPreußen und England näher zusammen; somit entstanden zwei große
Machtblöcke in Europa. Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) versuchte
Maria Theresia nochmals, Schlesien zurückzugewinnen. Friedrich II. konnte
sich mit Mühe gegen die österreichischen Armeen behaupten, sodass
schließlich Schlesien bei Brandenburg-Preußen blieb. England und Frankreich bekämpften sich auch in den Kolonien in Nordamerika; daher könnte
man erstmals von einem „Weltkrieg“ sprechen. Frankreich verlor dabei alle
seine Kolonien in Nordamerika (Louisiana, Québec) an England.
Maria Theresias Reformen im Inneren
Nach den Niederlagen im Österreichischen Erbfolgekrieg wurde das habsburgische Heer von Grund auf modernisiert. Zur Ausbildung der Offiziere
schuf Maria Theresia die Militärakademie in Wiener Neustadt. Während des
Siebenjährigen Krieges war die österreichische Armee der preußischen
immerhin schon ebenbürtig.
Zur besseren Verwaltung der habsburgischen Erbländer wurden unter Maria
Theresia mehrere Reformen durchgeführt. Bisher hatten alle Länder des
Habsburgerreiches Verwaltungsstrukturen gehabt, die historisch gewachsen
waren. Jetzt wurden diese vereinheitlicht: an die Stelle der einzelnen Länder
trat ein einheitlicher, zentralistischer Staat. Im Steuerwesen wurde eine jeweils für zehn Jahre gültige Vorschreibung der Steuer eingeführt. Maria
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Königin Maria Theresia
Häufig wird Maria Theresia als „Kaiserin“ bezeichnet, doch ist dies
nicht korrekt. Kaiser des
Heiligen
Römischen
Reiches konnte nur ein
Mann werden; die Gattin führte nicht den Kaisertitel – im Gegensatz
zu dem seit 1804 bestehenden
Kaisertum
Österreich.
Hingegen
war Maria Theresia in
den
habsburgischen
Erbländern Königin von
Ungarn, Böhmen, etc.
Der „stille“ Kaiser
Im Jahr 1745 übernahm
Maria Theresias Gatte
Franz Stephan als Kaiser Franz I. die Herrschaft im Heiligen Römischen Reich. Er stand
damit zwar rangmäßig
über seiner Gattin, doch
hatte Maria Theresia als
Herrscherin
in
den
habsburgischen Erbländern viel mehr reale
Macht. An der Seite der
stets aktiven Maria Theresia blieben seine Tätigkeiten eher unauffällig: Mit der Einführung
des
Maria-TheresienTalers schuf er eine
Silbermünze, die in
manchen Gegenden der
Erde bis ins 20. Jh. als
Zahlungsmittel diente.
Als Förderer der Wissenschaften und der
Künste rief er mehrere
Sammlungen ins Leben:
ein Naturalienkabinett
(der Kern des Naturhistorischen Museums in
Wien), ein physikalischastronomisches
Kabinett und ein Münzkabinett. Einige Sammlun-
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Theresia führte auch die allgemeine Steuerpflicht ein; bisher hatten Adelige
und Geistliche keine Steuern zu bezahlen.
Auch das Strafrecht änderte sich: So schaffte Maria Theresia unter dem
Einfluss von Josef Freiherr von Sonnenfels 1776 die Folter ab; das Strafgesetz wurde vereinheitlicht. Nach preußischem Vorbild führte Maria Theresia die allgemeine Schulpflicht ein und sorgte sich um Sozial- und Gesundheitseinrichtungen: staatliche Spitäler, Armenhäuser und Gebärhäuser wurden errichtet.
Im wirtschaftlichen Bereich unterschied sich Österreich wenig von den übrigen Staaten: Schutzzölle wurden zur Förderung der eigenen Wirtschaft eingeführt, das Verkehrsnetz ausgebaut. Die Zünfte, die seit dem Mittelalter
darüber wachten, dass nicht zu viel Konkurrenz innerhalb eines Handwerks
aufkomme, verloren durch Verordnungen zahlreiche Kompetenzen. 1781,
kurz nach dem Tod Maria Theresias, wurde im Sinne des Physiokratismus
die Leibeigenschaft der Bauern abgeschafft, doch blieben die Bauern weiterhin von ihrem Grundherrn abhängig.
Gebietserwerbungen
Maria Theresia umgab sich mit mehreren einflussreichen Beratern, allen
voran Kanzler Wenzel Graf Kaunitz, der für eine aktive Außenpolitik sorgte.
Er war es auch, der das Bündnis mit Frankreich schloss. Bei der Teilung
Polens im Jahr 1772 „erbeutete“ er Galizien und Lodomerien (das heutige
Südpolen) für die Habsburger. Am Ende der Regierungszeit Maria Theresias brach schließlich 1779 der Erbfolgekrieg um Bayern aus, der aber nach
einigen Scharmützeln auf diplomatischem Weg beendet wurde. Österreich
erwarb dabei das Innviertel.
Joseph II. – Reformen der Kirche durch den Staat
Nach Franz Stephans Tod folgte dessen ältester Sohn, Joseph II., als Kaiser nach (1765-1790). Zwischen 1765 und 1780 regierten Maria Theresia
als Herrscherin in den österreichischen Ländern und Joseph II. als Kaiser
bzw. Mitregent nebeneinander – oder manchmal auch gegeneinander. Joseph II. war in einem deutlich größeren Ausmaß von den Ideen der Aufklärung beeinflusst und suchte nach radikalen Reformen. Dieser Gegensatz
wurde vor allem im religiösen Bereich spürbar. Noch ganz im Sinne ihrer
Vorgänger gestattete Maria Theresia der Kirche großen Einfluss auf die
Politik und auf das Alltagsleben der Menschen, aber sie wollte die Kirche
ganz in den Dienst des Staates stellen: Alles was die Kirche tat, musste
dem Staat nützlich sein.
Den Juden gegenüber war Maria Theresia aus religiösen Gründen sehr
intolerant. So wies sie im Jahr 1745 alle Juden aus Böhmen aus. Erst nach
dem Tod seiner Mutter konnte Joseph II. radikale Reformen im religiösen
Bereich durchführen. 1781 gestattete er im Toleranzpatent die freie Religionsausübung für Protestanten und Griechisch-Orthodoxe, ein Jahr später
auch für die Juden.
Unter Joseph II. musste sich die katholische Kirche dem Staat völlig unterordnen, kirchliche Reformen blieben dem Herrscher vorbehalten; man nennt
diese Art der Kirchenpolitik Josephinismus. Von oben verordnete er eine
Pfarreform: Überall sollte das Pfarrnetz verdichtet werden, jeder sollte nicht
mehr als eine Wegstunde zu Fuß in die Kirche haben. Die Ausbildung der
Priester sollte durch die Schaffung von Priesterseminaren verbessert werden. Auch die Diözesen, die Tätigkeitsbereiche eines Bischofs, wurden verkleinert, um sie besser verwalten zu können: Es entstanden die neuen Diözesen St. Pölten, Linz und Innsbruck.
Andererseits hob Josef auch zahlreiche Klöster und Orden auf, die keine für
den Staat nützlichen Arbeiten verrichteten; darunter fielen alle „beschaulichen“ Orden, die nicht im Sozialbereich tätig waren, und Klöster mit nur
wenigen Mönchen. Wallfahrten, kirchlicher Pomp und aufwändige Begräbnisse wurden eingeschränkt. Dadurch geriet Joseph II. sowohl mit Papst
Pius VI. als auch mit großen Teilen der Gläubigen in Konflikt. Viele der
kirchlichen Reformen wurden daher unmittelbar nach Josefs Tod zurückge27
gen machte er auch der
Öffentlichkeit zugänglich: die Hofbibliothek
(heute
Nationalbibliothek) steht seit seiner
Regierungszeit
allen
Gelehrten offen. Auch
der 1752 gegründete
Tiergarten Schönbrunn,
der älteste öffentliche
Tiergarten der Welt,
geht auf Franz Stephan
zurück.
Joseph Freiherr von
Sonnenfels
Der zum Christentum
übergetretene
Jude
Sonnenfels (1733-1817)
wurde zu einem der
wichtigsten
Berater
Maria Theresias und
ihres Sohnes Joseph II.
Durch das strenge Hofzeremoniell durfte er
allerdings als Jude der
Königin Maria Theresia
nie persönlich begegnen. Jede Kommunikation fand schriftlich oder
über Boten statt.
Kaiser Joseph II.
Joseph II. strebte vor
allem am Beginn seiner
Regierungszeit
nach
Volksnähe. So reiste er
inkognito durchs Land
und half einmal einem
Bauern sogar beim
Pflügen Die Begebenheit, dass Joseph 1769
beim Dorf Slavikovice in
Mähren einem Bauern
den Pflug aus der Hand
nahm, trug ihm schnell
den Ruf eines „Volkskaisers“ ein.
VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
nommen.
Arbeitsfragen zum Text:
• In welchen Bereichen regierte Friedrich II. von Preußen als absolutistischer Herrscher, in welchen
ließ er die Ideen der Aufklärung einfließen?
• Welche innen- und außenpolitischen Herausforderungen hatte Maria Theresia zu meistern?
Materialien
Die Teilung Polens
Seit dem Aussterben der Jagiellonen in Polen (1572) regierten in Polen Könige aus den verschiedensten europäischen Adelshäusern, die sich eher nach ihren eigenen dynastischen Interessen orientierten als sich um die Probleme Polens zu kümmern. Sie mussten jeweils dem Adel umfassende Privilegien zugestehen und versäumten dadurch, die notwendigen Reformen im Inneren durchzuführen. Die
Lage Polens als Pufferstaat zwischen Russland, Brandenburg-Preußen und den habsburgischen Ländern leitete Adelige auch dazu an, nach Interventionen von außen zu suchen.
Mit Unterstützung der russischen Zarin Katharina II. (1762-1796) hatte sich 1764 deren ehemaliger
Geliebter Stanislaus II. August Poniatowsky als König in Polen durchgesetzt. Im Gegensatz zu den
Erwartungen Katharinas wurde er aber nicht ein Werkzeug der Zarin zur Ausdehnung ihres Machtbereichs, sondern er betrieb eine weitgehend unabhängige Außenpolitik und setzte einige Reformen im
Inneren durch. Unter anderem versuchte er, gegen den Willen des Adels dessen Vetorecht im polnischen Reichstag, dem Sejm, abzuschaffen. Als sich daraufhin in Polen bürgerkriegsähnliche Zustände
entwickelten, griffen Brandenburg-Preußen und Russland ein – unter dem Vorwand, die protestantische bzw. orthodoxe Bevölkerung schützen zu müssen. Die Habsburger wiederum besetzten im Auftrag Poniatowskys 1769 das Gebiet um Zips in Südpolen (heute in der Slowakei).
Am 5. August 1772 unterzeichneten schließlich die drei Großmächte Preußen, Russland und Österreich den Teilungsvertrag, der Friedrich II. die wichtige Landbrücke zwischen Brandenburg und Preußen sicherte, Russland das gesamte Ostpolen (heute in Weißrussland und in der Ukraine gelegen)
und den Habsburgern Südpolen (Galizien und Lodomerien). Auf österreichischer Seite führten Joseph
II. und Kanzler Kaunitz die Verhandlungen, während Maria Theresia in einer Denkschrift gegen die
Aufteilung Polens moralische Bedenken äußerte: „Mit welchem Recht kann man einen Unschuldigen
berauben, den verteidigen und unterstützen zu wollen wir uns immer gerühmt haben?“ Sie wehrte sich
aber dennoch nicht gegen die Teilung, sodass Friedrich II. von Preußen zynisch darüber bemerkte:
„Sie weinte, doch sie nahm.“
1793 bzw. 1795 teilten sich die drei Mächte auch den Rest Polens auf, wobei die zweite Teilung rein
zwischen Preußen und Russland vollzogen wurde (siehe Karte). Die habsburgischen Gebietsgewinne
bei der dritten Teilung (Zentralpolen) gingen im Zuge der napoleonischen Kriege wieder verloren, während Galizien und Lodomerien bis 1918 Teil der Habsburgermonarchie blieben. Die beiden Provinzen
gehörten freilich zu den ärmsten und rückständigsten Gebieten der Monarchie; allein der Großraum
Krakau wies Anfang des 20. Jh. eine dichtere Infrastruktur und Industrialisierung auf. Das Zentrum
Polens („Kongresspolen“) wurde 1815 durch den Wiener Kongress zu einem Vasallenstaat Russlands.
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
Karte: Die drei Polnischen Teilungen (1772-1795)
Bild: Allegorie (symbolhafte Darstellung) auf
die Teilung Polens (zeitgenössische Lithographie von Simon d. J.)
Katharina II. von Russland, Kaiser Joseph II.
und König Friedrich II. von Preußen teilen sich
Polen auf der Landkarte auf, während sich der
polnische König Stanislaus August Poniatowsky seine wackelnde Krone hält.
Arbeitsaufgaben:
• Versuche anhand der Karte die Gebietsaufteilungen der ersten Polnischen Teilung von 1772
nachzuvollziehen! Versuche zu begründen, welches Interesse die drei Großmächte an dieser Aufteilung gehabt haben könnten!
• Welchen Eindruck vermittelt der zeitgenössische Kupferstich von dieser Teilung? Begründe deine
Meinung!
Die allegorische Darstellung entbehrt nicht einer gewissen Kritik, ja ist fast schon als Karikatur auf die
Machtpolitik der drei Großmächte Russland, Brandenburg-Preußen und Österreich zu lesen, noch
dazu, weil über der Szenerie ein „Friedensengel“ mit Posaunen schwebt. Die Darstellung ist auch in
leicht abgewandelter Form erhalten: An der Stelle von König Stanislaus II. August Poniatowsky steht
der österreichische Kanzler Kaunitz; an der Posaune des Engels hängen Urkunden, die die „Interventionsrechte“ der drei Großmächte „begründen“.
Die Aufhebung von Klöstern durch Joseph II.
Im Jahr 1782 begann Kaiser Joseph II. mit der Aufhebung all jener Klöster, die nicht in der Land- und
Forstwirtschaft oder im sozialen Bereich tätig waren und damit dem Staat dienlich waren. Die durch
die Aufhebung frei werdenden Vermögenswerte wurden dem so genannten Religionsfonds zugeteilt,
der zur Finanzierung einer besseren Priesterausbildung und zur Gründung neuer Pfarrkirchen angelegt wurde. Die Maßnahmen stießen auf derart großen Protest des Papstes, dass dieser 1783 nach
Österreich reiste; dieser „erste Papstbesuch“ in Österreich verlief für den Papst freilich erfolglos.
„Seine … Majestät haben aus erheblichen Ursachen für gut befunden, alle Klöster nachstehender
Orden in den Erbländern aufzuheben und mit den Personen und dem Vermögen dieser Personen
Nachfolgendes zu verfügen:
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VO Europa III: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004)
1. befehlen Seine Majestät, dass von nun an alle Ordenshäuser … von männlichem Geschlecht der
Karthäuser6, Kamaldulenser-Orden7 und die Eremiten [= Einsiedler] …, dann von weiblichem Ge8
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schlechte die Karmeliterinnen , Kapuzinerinnen und Franziskanerinnen aufgehoben werden und das
gemeinschaftliche Leben der darin befindlichen Personen in denselben aufhören solle.
2. … wird der Commissarius [= kaiserliche Beauftragte] die Schlüssel von allen Kassen, Kirchenschätzen, Archiven und Vorratshäusern verlangen, all jenes was nicht zum täglichen Gebrauch in der Kirche und dem Hause … notwendig ist, versiegeln, über das aber, was zur täglichen Notdurft unversiegelt gelassen wird, auf der Stelle ein Inventarium [= Verzeichnis] verfertigen. …
6. Ferner ist allen wohl verständlich zu eröffnen …:
a) dass diejenigen, welche die Profession [= Ordensgelübde] noch nicht abgelegt haben, … binnen
vier Wochen das Kloster verlassen sollen, wobei sie aber ihr … Eigentum und was sie in das Kloster
mitgebracht haben, mitnehmen können …
b) bleibt es allen Priestern oder in höheren Würden stehenden Geistlichen sowohl als Klosterfrauen
frei, sich außer den k. k. Staaten [=Erbländern der Habsburgermonarchie] in fremde Klöster ihres Ordens zu begeben und zu emigrieren. …
d) Eben also würde man derjenigen Absicht behilflich sein, welche den Weltpriesterstand … erwählen
wollten …
e) Jenen Ordensgeistlichen männlichen Geschlechts, welche nach ihren Ordensregeln Gott in stiller
Ruhe und von allen Weltlichen abgesondert dienen wollen, steht zwar frei, ferner nach diesen ihren
Ordensregeln ungestört fortzuleben, jedoch haben sie sich ein Kloster eines anderen Ordens zum
zukünftigen Aufenthalt wählen. …“
(Aufhebungsdekret Kaiser Josephs II. vom 12. Jänner 1782, gekürzt; zitiert nach Gerhard Winner, Die
Klosteraufhebungen in Niederösterreich und Wien, Wien/München 1967, S. 82-87)
Arbeitsaufgabe:
• Was sollte mit den Mönchen und Nonnen geschehen, die in den aufgehobenen Klöstern lebten?
6
Einsiedlerorden aus dem 11. Jh., bei dem die Mönche in Einzelhäusern (Kartausen) leben und einer strengen
Schweigepflicht unterliegen.
7
kirchliche Reformbewegung aus dem 11. Jh., bei der die Mönche (und Nonnen) nach der Benediktregel, aber
abgeschieden als Einsiedler lebten; benannt nach dem ersten Kloster in Camaldoli (Italien).
8
ursprünglich von Kreuzrittern im Hl. Land gegründeter Einsiedlerorden, benannt nach dem ersten Kloster am
Berg Karmel.
9
Reformzweig des Franziskanerordens.
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