VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung Pädagogische Hochschule der Diözese Linz Sommersemester 2009 Dr. Christian ROHR Das neue Bild des Menschen – Humanismus und Renaissance Humanismus und Renaissance Seit dem 14. Jh. begann man in Italien, sich wieder verstärkt mit der antiken Literatur, Kunst, Wissenschaft und Geschichte zu beschäftigen. Diese Strömung nennt man Renaissance (= Wiedergeburt). In allen künstlerischen und wissenschaftlichen Studien stand der Mensch im Mittelpunkt des Interesses und nicht mehr Gott. An die Stelle der Theologie, der sich bisher alle anderen Wissenschaften unterordnen mussten, traten viele Einzelwissenschaften. Sie beschäftigten sich mit dem Menschen selbst, seiner Umwelt und seinen schöpferischen Leistungen. Eine Wiederentdeckung der klassisch-antiken Literatur? Im Mittelalter hatte man die wichtigsten klassisch-römischen Schriftsteller sehr wohl gelesen; Autoren wie Vergil und Cicero gehörten das ganze Mittelalter hindurch zu den wichtigsten Autoren, die man im klösterlichen Schulbetrieb las. Auch hatte man im Zeitalter Karls des Großen und erneut im 12. Jh. versucht, sich die klassisch-antiken Autoren zum Vorbild zu nehmen. Eine „Wiederentdeckung“ der antiken Literatur in lateinischer Sprache war daher nicht wirklich gegeben. Die Humanisten studierten penibel das Latein ihrer antiken Vorbilder und begannen selbst in diesem Stil zu schreiben, ja ihr Stil wurde noch „klassischer“ als ein Cicero ihn verwendet hätte. Man nennt diese nicht mehr wirklich gesprochene Sprache „Neulatein“. Sie blieb bis ins 17. Jh. die Sprache der Wissenschaft. Viele wissenschaftliche Werke, ob von Johannes Kepler oder Sir Isaac Newton, erschienen zunächst in lateinischer Sprache und wurden erst dann in die modernen Sprachen übersetzt. Daneben verwendeten die Humanisten aber auch Italienisch als Schriftsprache. Da man sich an den adeligen Höfen in Europa an der italienischen Renaissance orientierte, wurde dort Italienisch im 16. Jh. zur Modesprache. Im Gegensatz zur klassisch-lateinischen Literatur wurde die der antiken Griechen tatsächlich auf weite Strecken wiederentdeckt. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei der Umstand, dass nach der Eroberung der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel durch die Osmanen (1453) viele Gelehrte in den Westen flohen und dabei ihre Bücher mitnahmen. Rasch verbreitete sich die Kenntnis der griechischen Sprache unter den Humanisten. Die Werke zahlreicher klassisch-griechischer Autoren, die als verloren gegolten hatten, fanden Eingang in die gelehrten Humanistenkreise. Die Rückbesinnung auf die römische Sprache und Literatur diente den italienischen Humanisten auch dazu, sich von den bis dahin dominierenden Strömungen in Wissenschaft und Kunst deutlich abzusetzen: So lehnten sieden gotischen Baustil und die gelehrten philosophisch-theologischen Diskussionen an den Universitäten, die Scholastik, vehement ab; aus der Sicht der Italiener zeigte sich darin der „schlechte Einfluss“ der Deutschen und Franzosen auf die Kunst. Die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung antiken Wissens – das Beispiel der anatomischen Studien Zahlreiche Erkenntnisse der Antike waren im Laufe des Mittelalters verloren gegangen oder waren von der Kirche als „heidnisch“ unterdrückt worden. Nur in einigen Klöstern und seit dem Spätmittelalter auch auf den Universitäten bewahrte man die antiken Wissenschaften. Zudem brachte der Kontakt mit den Muslimen in Spanien und Süditalien naturwissenschaftliche Kenntnisse nach Mittel- und Westeuropa. 1 Renaissance: franz. Wiedergeburt; bezeichnet das Neuaufleben vor allem von kulturellen Strömungen aus der Antike. Humanismus: eigentlich Menschlichkeit, konkret die Beschäftigung mit der antiken Literatur, in der mehr der Mensch als Gott im Mittelpunkt des Interesses steht. Die Begriffe Humanismus und Renaissance werden seit dem 19. Jh. praktisch deckungsgleich für die Kultur am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit verwendet. Scholastik: an den spätmittelalterlichen Universitäten verbreitete Strömung in der Philosophie und Theologie, die mit logischem Denken die Existenz Gottes und die Wahrheit der katholischen Glaubenslehren zu begründen versuchte. Man besann sich dabei vor allem auch auf die Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles, den man zu einem „Vorläufer des Christentums“ hochstilisierte. VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Besonders die Chirurgie erlebte im späten 15. und im 16. Jh. einen Aufschwung. Im Mittelalter wurden operative Eingriffe von rein handwerklich ausgebildeten Chirurgen durchgeführt, die im Volk nicht immer einen guten Ruf genossen. Erst mit dem Beginn exakter anatomischer Ausbildung auf den Universitäten verbesserte sich das Wissen der Chirurgen. Sie mussten sich bei ihren Operationen immer mehr mit den Verletzungen infolge des Einsatzes von Schießpulver auseinandersetzen und entwickelten in diesem Zusammenhang auch erste Prothesen. Wie viele andere Wissenschaften geht auch die Anatomie auf die alten Griechen zurück. Bereits Aristoteles sezierte, allerdings nur Tiere. Anatomie im heutigen Sinne wurde seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert im ptolemäischen Alexandrien betrieben. Diese frühe Blüte der Anatomie war allerdings nur von kurzer Dauer. Ab etwa 150 v. Chr. wurden kaum mehr menschliche Leichen seziert, doch erwähnt etwa Kaiser Mark Aurel noch in seiner kurz vor 180 entstandenen Selbstbiografie, dass im Rahmen der Markomannenkriege auch die Leichname von getöteten Germanen für medizinische Zwecke aufgeschlitzt wurden. Wenn von römischer Medizin die Rede ist, dann ist damit vor allem der Arzt Galen (ca. 129 n. Chr. – ca. 199 n. Chr.) gemeint. Durch das Sezieren von Tieren wie Ziegen, Schweinen und Affen erhielt Galen für die damalige Zeit erstaunliche Einblicke in die Organe und Funktionsabläufe der Lebewesen und verband seine Erkenntnisse mit denen des Menschen. Die Frage, warum die Sektionen an Menschen im 2. Jh. n. Chr. aufhörten, sind nicht klar zu definieren. Zum einen setzte sich offensichtlich die Meinung durch, dass man an Verwundeten Körpern für die praktische chirurgische Arbeit mehr lernen könne als an Leichen. Dies wird einerseits aus der Biografie des Galen als Gladiatorenarzt deutlich, andererseits auch aus den Schriften des griechischen Arztes Celsus (2. Jh. n. Chr.), der sich an einigen Stellen explizit in diesem Sinne äußerst. Moralisch-ethische Gründe spielten offensichtlich keine oder nur eine – nicht belegbare – untergeordnete Rolle. Zudem finden sich im christlichen Schrifttum schon aus der Zeit der Verfolgungen (etwa bei Tertullian, Anfang 3. Jh.) immer wieder Belegstellen, dass man dort die Sektion von Leichen vehement ablehnte. Mit dem Sieg des Christentums stützte man sich daher auf die Erkenntnisse des Galen, und nahm vorerst keinerlei weitere Sektionen vor. Leichenöffnungen waren im christlichen Mittelalter aber nicht grundsätzlich verboten: 1215 beschloss das 4. Laterankonzil nur, dass Geistliche (und diese stellten bis dahin den Großteil der Mediziner) keinerlei chirurgische Eingriffe und auch keine Leichenöffnungen durchführen durften; doch etwa von der bedeutenden Universität von Montpellier gibt es Belege, dass durchaus auch Geistliche Sektionen durchführten. Im arabischen Bereich waren Sektionen verboten, doch im christlichen Byzanz (v.a. seit dem 9. Jh.) und im Abendland seit etwa 1250 kamen sie durchaus vor. Eine fortschrittliche Entwicklung bahnte sich in Sizilien an. Kaiser Friedrich II. etwa ordnete 1238 an, es müsse in der Universität Salerno alle fünf Jahre eine öffentliche Sektion abgehalten werden. Ein Chirurg müsse mindestens ein Jahr Anatomie studiert haben, ehe er praktisch arbeite. Auch an der Universität Bologna wurde die Sektion menschlicher Leichen betrieben; sie sollte zunächst vor allem gerichtsmedizinischen Zwecken dienen. Dass man hingerichtete Schwerverbrecher der Anatomie zur Verfügung stellte, geschah auch nicht, um die medizinische Wissenschaft zu unterstützen, vielmehr handelte es sich um eine zusätzliche Strafe für den Delinquenten. Da Schwerverbrecher meist eher männlich waren, da außerdem die Justiz mit Frauen in der Regel eher milde verfuhr, kam es zu einem beklagenswerten Engpass an weiblichen Leichen. Man steuerte diesem Mangel, indem man bei der Sektion männlicher Leichen zwanzig Studenten zuließ, bei der von weiblichen Leichen aber dreißig. 1442 erließ die Stadt Bologna die Verordnung, dass der Universität jährlich zwei Leichen zu liefern seien, nach Möglichkeit eine männliche und eine weibliche. Die katholische Kirche hatte keine theologischen Vorbehalte gegen die Anatomie. Die Päpste Sixtus IV. und Clemens VII. erlaubten die Leichensektion in Bologna bzw. Padua aus2 Galen Der aus Pergamon stammende Arzt hinterließ ein umfangreiches Schrifttum in griechischer Sprache, das auch für das Mittelalter von großer Bedeutung war, nicht zuletzt, weil Galen immer neutral von einem „Schöpfer“ und einem „Gott“ spricht, was für das Christentum einigermaßen kompatibel erschien. Galen unternahm seine umfangreichen anatomischen Studien zum einen an verletzten Gladiatoren, die er behandelte (also keine Sektion im eigentlichen Sinne), und zum anderen an Tieren. Der anatomische Teil von Galens Werk beruht somit zum Großteil auf der Anatomie von Tieren. Auch noch in Drucken zu Galen aus dem 16. Jh. gibt es Abbildungen, die Galen beim Sezieren eines Schweins zeigen. Galen galt mit seinem umfassenden System der Medizin und Anatomie über einem Jahrtausend als der unumstrittene Herrscher der Heilkunde. Selbst wenn bei gelegentlichen Sektionen am Menschen Unterschiede zwischen Befund und galenischer Lehrmeinung auftraten, war man eher geneigt, an eine Veränderung der menschlichen Körpers als an einen Fehler des großen Gelehrten zu glauben. VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) drücklich. Mondino de Luzzi (1275-1326), Professor der Medizin in Bologna, führte dort 1315 die Sektion menschlicher Leichen ein. 1316 schrieb er seine Anathomia, ein Lehrbuch der Sektion von gerade 40 Seiten (erste Druckausgabe Padua 1476). Mondinos Werk besaß 200 Jahre lang unumschränkte Geltung. Anfang des 15. Jh. gehörten Leichenöffnungen zum fixen Bestandteil der Ausbildung auf den Universitäten, wenn auch die Studenten nur zuschauen durften. Im 16. Jh. brachte vor allem das bahnbrechende Werk „De humani corporis fabrica“ (1543) von André Vesal (1514-1564) den Durchbruch zu einem „modernen“ Studium der Anatomie. Auf Friedhöfen und Hinrichtungsstätten organisierte er sich Material zur eigenen Präparation, deren Resultate oft gar nicht mit den in den Anatomiebüchern übereinstimmten. Er publizierte dabei eine Vielzahl von Kupferstichen mit sezierten menschlichen Körpern, die den Studenten zum anatomischen Studium dienen sollten. Bei seinen Forschungen bestätigte sich, dass Galen offenbar keine Menschen, sondern Rhesusaffen und Hunde präpariert hatte. Vesal stellte jedoch Galen niemals in Frage, sondern beabsichtigte nur eine Korrektur und Ergänzung. Drei Jahre später, 1546 wurde in der niederrheinischen Stadt Wesel sogar im Auftrag der Stadt der Leichnam einer Frau für anatomische Studien geöffnet; die Frau war eindeutig keine Verbrecherin. Das Buch von Vesal fand sofort zahlreiche Nachahmer. Während Vesals neue Anatomie bei Studenten und fortschrittlichen Professoren begeisterte Zustimmung fand, regte sich – wie immer in solchen Fällen – in den Kreisen der dogmatischen Galenisten Widerstand. Dies schadete seiner Reputation allerdings kaum, zumal Vesal in dem Buch eine Widmung an den römischdeutschen Kaiser Karl V. (1500-1558) gerichtet hatte. Vielleicht wirkte sich dies auch für seine Berufung als Hofarzt beim Kaiser aus. Vesal lebte jetzt in Spanien und begleitete den Monarchen auf seinen zahlreichen Reisen und Heereszügen und widmete sich dabei besonders der Chirurgie. Später folgte er Karls Sohn Philipp II. von Spanien (1527-1598) als Leibarzt nach Madrid. 1555 gab Vesal noch einmal ein aktualisiertes anatomisches Werk heraus. Ein neues Bild von der Welt? Schon in der Antike war man davon ausgegangen, dass die Erde eine Kugel sein müsse. Dieses Wissen ging auch im Mittelalter nicht ganz verloren: Man verglich die Erde mit einem Apfel oder mit dem Dotter eines Eies. Zudem war den Seefahrern schon im Mittelalter aufgefallen, dass man bei einem Schiff, das auf das Meer hinausfährt, nach einiger Zeit nur mehr den Mast des Schiffes sehen könne; die Erde müsse also gekrümmt sein. Weitere Verbreitung fand die Lehre von der Kugelgestalt aber erst, als die Werke des antiken Geographen Ptolemaios wieder im Westen bekannt wurden. Auf dieser Basis baute der aus Florenz stammende Geograph Paolo dal Pozzo Toscanelli 1474 einen Erdglobus; dieser Globus wurde zum Ausgangspunkt für die Suche des Seeweges nach Indien. Die Astronomen des 15. und 16. Jh. widersetzten sich der kirchlichen Lehre, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums stehe. Als Erster vertrat der polnische Astronom Nikolaus Kopernikus (1473-1543) die Theorie, dass die Sonne im Mittelpunkt stehe und dass um sie alles kreise. Dieses heliozentrische (= sonnenzentrierte) Weltbild wurde um 1600 von Johannes Kepler (1571-1630) weiterentwickelt, der zahlreiche Jahre in Linz wirkte. Allerdings sträubte sich vor allem die Kirche gegen diese neuen Lehren. Anfang des 17. Jh. musste Galileo Galilei (1564-1642) seine Lehre, dass die Erde um die Sonne kreise und nicht umgekehrt, vor einem päpstlichen Gericht widerrufen. Die katholische Kirche gab Galilei übrigens erst 1992 offiziell Recht. Baukunst, Malerei und Plastik In der Baukunst wandte man sich von den zum Himmel strebenden gotischen Bauformen ab. Man beschränkte sich auf die klassischen Grundformen Kreis bzw. Halbkreis, Linie, Dreieck und Quadrat. Die bekanntesten Beispiele für Renaissancebauten findet man in Italien, beispielsweise den 3 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Dom von Florenz oder den Petersdom in Rom. Nördlich der Alpen setzte sich dieser Baustil erst im 16. Jh. durch. In der Malerei und in der Plastik stand erstmals der Mensch und nicht mehr Gott im Zentrum. Künstler wie Leonardo da Vinci (1452-1519), Michelangelo Buonarroti (1475-1564) oder Raffaello Santi (1483-1520) gelang es, den menschlichen Körper naturgetreu und in seiner ganzen Lebhaftigkeit darzustellen. Ihre Freskenmalereien, Tafelbilder und Skulpturen gehören bis heute zu den Hauptattraktionen der Vatikanischen Museen in Rom und anderer wichtiger Museen. Buchdruck Die vielleicht wichtigste Erfindung für die Geschichte der Frühen Neuzeit stammte aus Deutschland: Um 1445 perfektionierte Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern. Er griff dabei auf schon bestehende Techniken zurück, verfeinerte und beschleunigte aber die Herstellung der Lettern. Durch den Buchdruck wurde es möglich, Schriftstücke in großer Anzahl herzustellen. Die frühen Drucke wurden allerdings noch mühsam mit der Hand illustriert. Der endgültige Durchbruch gelang dem Buchdruck schließlich während der Reformationszeit am Beginn des 16. Jh.: Besonders Flugblätter konnten in großer Anzahl rasch vervielfältigt werden; das Gedankengut Luthers und anderer Reformatoren verbreitete sich in kürzester Zeit über ganz Europa. Arbeitsfragen zum Text: • Was versteht man unter Humanismus und Renaissance? Gib Beispiele dafür! • Welche neuen Erkenntnisse wurden in den Naturwissenschaften gewonnen? Materialien Mittelalterliches und neuzeitliches Weltbild im Spiegel von historischen Landkarten a) Gesamtansicht [die Kontinente kennzeichnen] b) Detail Afrika 1) Hereford-Karte (Hereford Cathedral, um 1280/1290) Die Karte wurde vermutlich in der mittelenglischen Stadt Lincoln von Richard of Holdingham angefertigt. Nur kurze Zeit später kam sie nach Hereford – daher der Name. Die Welt bzw. das, was man von der Welt kannte, ist als Scheibe dargestellt, umgeben vom Okeanos, dem Ozean rundherum. Dargestellt sind die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa, wobei die Stadt Jerusalem genau im Zentrum liegt. Bei dieser Karte handelt es sich dabei eher um eine „Merkkarte“, auf der man eintrug, was man 4 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) von der Erde wusste, und nicht um ein Abbild des damaligen Weltbildes. Außerdem spielt auch die Symbolsprache eine große Rolle: Das Meer bildet ein O (= Okeanos), in das ein T (= Terra/Land) eingeschrieben ist. OT bildet wieder die Abkürzung für orbis terrarum (Erdkreis). Die Welt bzw. das, was man von der Welt kannte, ist als Scheibe dargestellt, umgeben vom Okeanos, dem Ozean rundherum. Dargestellt sind die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa, wobei die Stadt Jerusalem genau im Zentrum liegt. Im Detailbild ist Afrika dargestellt: links das östliche Mittelmeer in das der Nil mündet, neben den Städten sind auch zum Teil fabelhafte Tiere und Menschen sowie biblische und geschichtliche Bezüge eingetragen (horrea Joseph/Getreidespeicher des Joseph aus dem Alten Testament, castra Alexandri/Heerlager Alexanders). Es ist ein typisches Merkmal der antiken und mittelalterlichen Ethnographie, dass die Menschen, von denen man fast gar nichts wusste, fabelhafte Züge tragen: Füße, die nach hinten schauen, mehrere Köpfe, Einäugigkeit, Mischwesen aus Tier und Mensch etc. Einen guten Einblick in diese Vorstellungswelten bietet übrigens der zweite Teil des Romans „Baudolino“ von Umberto Eco. 2) Portulankarte zu Westeuropa von Pietro Vesconte (Handschrift aus London, Mitte 14. Jahrhundert) Ab dem 14. Jh. wurden für die neu aufkommende Seefahrt unter Berücksichtigung der neuen technischen Voraussetzungen (Kompass, Quadranten, Sextanten etc.) Seekarten erstellt, bei denen das Hauptaugenmerk auf dem Küstenverlauf bzw. den Häfen liegt. Charakteristisch sind vor allem die strahlenförmigen Vermessungslinien, die von so genannten Windrosen ausgehen und den Seefahrern als Navigationshilfen dienten. Die Portulankarten – der Name ist abgeleitet vom lateinischen Wort portus (Hafen) – bieten schon ein vergleichsweise naturgetreues Abbild des Küstenverlaufs. Anhand eines Vergleichs mit der Hereford-Karte wird deutlich, dass man im 13./14. Jh. sehr wohl schon in der Lage war, die Erde einigermaßen zuverlässig abzubilden und dass im Gegensatz dazu die OT-Karten symbolhafte „Merkkarten“ waren. 3) Weltkarte des Heinrich Martellus (Handschrift aus London, um 1490) Die „wiederentdeckten“ Erkenntnisse des antiken Geographen Claudius Ptolemaios spielten bei der Erstellung der Karte ebenso eine Rolle wie die jüngsten Entdeckungsreisen, z. B. die Fahrt des Bartolomeo Diaz ans Kap der Guten Hoffnung (1488). Amerika war zum Zeitpunkt der Entstehung der Karte noch nicht entdeckt. Interessant ist auch ein Vergleich mit einer der wenigen erhaltenen Weltkarten auf der Basis des Claudius Ptolemaios – siehe dazu die Abbildung zu Kapitel 2.5 (Handschrift aus der Zeit um 1300). 5 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Arbeitsaufgaben: • Vergleiche die drei Karten: Welche Unterschiede, welche Parallelen fallen dir auf? • Was lassen die drei Karten jeweils über die Weltanschauungen der damaligen Zeit erkennen? • Betrachte das dritte Beispiel: Welche Gebiete der Erde waren damals schon „entdeckt“, welche nicht? Großmachtpolitik im 16. Jh. – Die Habsburger zwischen Franzosen und Osmanen Das Zeitalter Friedrichs III. Ab der Mitte des 15. Jh. gelang es den Habsburgern endgültig, auch die Herrschaft als Könige bzw. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches an sich zu ziehen. Der nur mäßig aktive Kaiser Friedrich III. (1440-1493) glänzte aber nur dadurch, dass er während seiner langen Herrschaft alle seine Feinde überlebte; schon zu seinen Lebzeiten erhielt er von seinen Kritikern den Beinamen „Erzschlafmütze des Reichs“. Selbst die Wiener Bürger vertrieben ihn mehrfach aus seiner Residenzstadt, sodass er sich hauptsächlich in Wiener Neustadt, Graz und Linz aufhielt. Bekannt ist allerdings sein rätselhafter Wahlspruch A.E.I.O.U. Das Zeitalter Maximilians I. Als Kaiser Maximilian I. (1493-1519), der einzige Sohn des Habsburgerkaisers Friedrich III., die Regierung antrat, waren alle habsburgischen Erbteilungen des Spätmittelalters wieder überwunden. 1490 hatte Maximilian 1490 auch Tirol von seinem Cousin Sigismund übernommen. Mit militärischer Gewalt und geschickten Verträgen dehnte er seine Herrschaft auch auf das untere Inntal und die Teile des heutigen Vorarlberg aus, die bis dahin noch nicht unter habsburgischer Herrschaft gestanden waren. Als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches versuchte Maximilian eine vorausschauende Reformpolitik: Auf dem Reichstag zu Worms (1495) gelang es ihm, einen „Ewigen Landfrieden“ durchzusetzen. Dadurch wurden die Fehde (= Privatkriege) und die private Blutrache verboten, die oft ganze Landstriche in bürgerkriegsähnliche Zustände verstrickt hatten. Ebenso versuchte Maximilian den so genannten „Gemeinen Pfennig“, eine Art allgemeine Vermögenssteuer, ein. Das Projekt scheiterte aber bald am massiven Widerstand des Adels und an organisatorischen Problemen. 6 A.E.I.O.U. Über den Wahlspruch Friedrichs III. wurde schon zu seinen Lebzeiten gerätselt. Mehr als 300 zeitgenössische und neuzeitliche Auflösungen sind bekannt, z. B. All Erdenreich ist Oesterreich untertan. Andere mögen Kriege führen Die Devise „Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate!“ (Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube!) hat bis heute zu einem Mythos geführt, was die Heiratspolitik der Habsburger um 1500 betrifft. Zwei Gegenargumente sind in diesem Zusam- VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Heiratspolitik als „Rechtfertigung“ für kriegerische Eroberungen Mit ihren umfangreichen Erblanden und der Kaiserwürde waren die Habsburger zu den führenden Dynastien Europas aufgestiegen. Die habsburgische Heiratspolitik orientierte sich um 1500 nach den wichtigsten Fürstenhäusern Europas. So heiratete Maximilian I. zunächst die Tochter des letzten Herzogs von Burgund, Maria. Als 1477 der letzte Herzog von Burgund starb, gelang es Maximilian auf kriegerische Weise, seine Erbansprüche gegen Frankreich weitgehend durchzusetzen. Nach dem frühen Tod Marias heiratete Maximilian nochmals: Durch die Ehe mit Bianca Maria Sforza fiel 1516 das Herzogtum Mailand an die Habsburger. Philipp, der Sohn Maximilians aus erster Ehe, wurde 1496 mit Johanna vermählt, der Tochter des spanischen Königspaares Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien. Philipp starb schon 1506, sein ältester Sohn Karl (der spätere Kaiser Karl V.) trat daher 1516 in jugendlichen Jahren das spanische Erbe an. Habsburger herrschten somit über ganz Spanien sowie über die neuen Kolonien in Übersee, aber auch über ganz Süditalien, Sardinien und Sizilien. Trotz seines frühen Todes hinterließ Philipp der Schöne zahlreiche Kinder, die jeweils eine entscheidende Rolle in der habsburgischen Heiratspolitik spielten. Der jüngere Sohn Ferdinand und dessen Schwester Maria wurden 1515 noch als Kinder in einer Doppelhochzeit mit dem Geschwisterpaar Anna von Böhmen und Ungarn bzw. Ludwig II., König von Böhmen, Ungarn und Schlesien, verheiratet. Auf diese Weise sollten sich die beiden Herrscherhäuser im Falle des Aussterbens eines Hauses jeweils gegenseitig beerben. Im Jahr 1526 fiel der böhmisch-ungarische König Ludwig bei Mohács (Südungarn) gegen die vorrückenden Osmanen. Somit erbten die Habsburger Böhmen, Schlesien und Ungarn. Diese Länder waren nicht nur wirtschaftlich sehr wichtig: Mit der böhmischen Krone erwarben die Habsburger auch die lange ersehnte Kurfürstenwürde. menhang vorzubringen: Zum einen betrieben alle Herrscherhäuser, aber auch alle Adelshäuser, eine offensive Heiratspolitik. Zum anderen konnten durch dynastische Hochzeiten hergestellte Erbansprüche nur in wenigen Fällen unkriegerisch durchgesetzt werden. Gerade die Regierungszeit Maximilians I. bestätigt dies. Burgund Burgund umfasste im 15. Jh. die heutigen Niederlande, Belgien, Luxemburg und einige Teile Ostfrankreichs. Es war, eingebettet zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Europas. Karl V. Karl wurde 1500 in Gent im heutigen Belgien geboren. Er wuchs vor allem im burgundischen und spanischen gebiet auf, und sprach bei seinem Amtantritt im Heiligen Römischen Reich nicht einmal Deutsch. Die Osmanen Die Habsburger konnten die ungarische Erbschaft vorerst aber nicht antreten, weil fast das gesamte Land von den Osmanen besetzt war. Im Jahr 1529 belagerten die Osmanen schließlich Wien, doch mussten sie aufgrund des anbrechenden Herbstes wieder abziehen. Für über 150 Jahre blieben die Osmanen aber eine ständige Bedrohung im Osten und Südosten des Habsburgerreiches. Nur durch ständige Geldzahlungen konnte der übermächtige Gegner von neuen Angriffen vorerst abgehalten werden. Zudem genossen die Osmanen die Unterstützung Frankreichs, das an einer weiteren Ausdehnung der habsburgischen Macht kein Interesse hatte. An dem Bündnis zwischen Frankreich und den Osmanen lässt sich erkennen, dass Die Osmanen religiöse Unterschiede im europäischen Mächtespiel der Frühen Neuzeit nur Das aus Innerasien oberflächlich eine Rolle spielten. stammende Volk hatte sich seit dem 13. Jh. Die Teilung der habsburgischen Erblande der Herrschaft über die Das Anwachsen der habsburgischen Länder machte 1522 eine Teilung nö- heutige Türkei bemächtig: Karl wurde als Karl V. zum König bzw. Kaiser des Heiligen Römischen tigt. 1389 zerstörten sie Reiches bestimmt (1519-1556). Zudem erhielt er Spanien einschließlich das Serbenreich auf Süditalien und den Kolonien, das Herzogtum Mailand und Burgund. Ferdi- dem Balkan, 1453 ernand blieben die österreichischen Länder sowie ab 1526 Böhmen, Schlesien oberten sie Konstantiund Ungarn. Es war vorauszusehen, dass besonders Karl an dieser Aufgabe nopel und rückten in zerbrechen musste, war er doch bei seiner Thronbesteigung im Heiligen der Folge nach MittelRömischen Reich erst 19 Jahre alt. Zudem setzte gerade die Reformation europa vor. ein, auch soziale Unruhen bahnten sich an. Arbeitsfragen: • Fasse die Zusammenhänge zwischen Heiratspolitik und Eroberungen zusammen (mit Beispielen)! • In welchen Erbangelegenheiten kreuzten sich die Großmachtinteressen der Habsburger und der französischen Könige? 7 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Materialien Die Ausdehnung des habsburgischen Besitzes um 1500 Europa im 16. Jahrhundert Stammbaum der Habsburger im 15. und 16. Jh. Frühkapitalistische Wirtschaftsformen in Europa Wirtschaft im Spätmittelalter Mit dem Aufkommen der Städte im 11. bis 13. Jh. erlebte der Handel einen deutlichen Aufschwung: Die Handwerker erzeugten in den Städten nicht nur Waren für den eigenen Gebrauch und den regionalen Markt, sondern auch 8 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) für den Fernhandel. Im Gegenzug kamen Luxusgüter aus dem Orient oder aus anderen Regionen Europas in die Stadt. Immer mehr verdrängte dabei die Geldwirtschaft die bisher dominierenden Tauschgeschäfte. Es lag daher im Interesse jedes Landesherrn, Gold- und Silbervorkommen abzubauen und zu Münzen zu prägen. Besonders das alte Transitland Tirol erlebte durch den Schwazer Silberbergbau und die Münzprägungen im Hall in Tirol einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die wirtschaftliche Entwicklung wurde allerdings durch die Pest der Jahre 1347-1352, durch mehrere Hungersnöte sowie eine Verschlechterung des Klimas am Ende des 14. Jh. deutlich gedämpft: Diesen Katastrophen fiel in Europa ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer. Dieser Verlust konnte in den meisten Gebieten bis in das späte 15. Jh. nicht völlig wettgemacht werden. Die Regionen, in denen die Pest sich nicht ausgebreitet hatte, erlebten jedoch einen großen wirtschaftlichen Aufschwung, besonders der Norden Burgunds (heute Nordostfrankreich und Belgien) und die Stadt Nürnberg. Die oft wirtschaftlich schwierigen Zeiten am Ende des Mittelalters ließen auch die Kluft zwischen Arm und Reich größer werden: Große Teile der städtischen Bevölkerung gaben im 15./16. Jh. etwa 80 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, sodass an eine Anhäufung von Kapital nicht zu denken war. Zudem verteuerte eine weitere massive Klimaverschlechterung um die Mitte des 16. Jh. die Getreidepreise noch mehr. Das Aufkommen des Banken- und Börsenwesens Seit dem 14. Jh. hatte sich ausgehend von Italien neben der Geldwirtschaft eine weitere Zahlungsform entwickelt: der Wechsel. Dabei verpflichtete sich ein Schuldner, ein aufgenommenes Darlehen an einem anderen Ort in einer anderen Währung zurückzuzahlen. Dabei nahm der lokale Geldwechsler eine Schlüsselstellung ein: Von seinem Wechseltisch (ital. banca) leitet sich der moderne Begriff Bank her. Bei ihm konnte man auf ein Konto Geld einzahlen. Darunter verstand man ein Verzeichnis, in dem der Wechsler Einzahlungen und Schulden eintrug. Ein Geschäftspartner konnte nun auf dieses Konto mittels eines Wechsels seine Schulden begleichen. Zudem gewährte der Bankier auch Darlehen an Kaufleute und Handwerker. Ab dem 16. Jh. begannen von der Stadt Antwerpen im heutigen Belgien aus auch Börsen aufzukommen. Im Gegensatz zu Märkten und Messen versteht man darunter die Zusammenkünfte von Händlern, die ihre Waren verkauften, ohne diese mitzuführen. Der Aufstieg der Bankiers Im Gegensatz zum Mittelalter waren die Bankiers am Beginn der Neuzeit nicht nur jüdischer Herkunft. Immer mehr wurde deutlich, dass Bankgeschäfte einen großen Gewinn abwerfen konnten, sodass man diese lukrative Berufssparte nicht mehr den Juden allein überließ. Das Augsburger Bank- und Handelshaus der Fugger erreichte als Finanziers der römisch-deutschen Kaiser nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht. Dem mit den Fuggern konkurrierenden Bankhaus der Welser, die ebenfalls in Augsburg ihren Hauptsitz hatten, wurde im 16. Jh. für einige Zeit sogar die von den Spaniern eroberte Kolonie Venezuela zur Begleichung der Schulden überantwortet. Auch in Italien und Frankreich bestimmten derartige Bankiersdynastien nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das politische Leben immer mehr mit. Die Bank- und Handelshäuser hatten Beteiligungen an zahlreichen Unternehmungen: In Außenstellen des Unternehmens, den so genannten Kontoren und Faktoreien, wurden Rohstoffe und Fertigwaren an- und verkauft. Die Handwerker und Heimarbeiter (v. a. im Textilbereich) erhielten vom Handelshaus ihre Rohstoffe. Die fertigen Produkte wurden vom Handelshaus in den lokalen Verkauf sowie auf die großen internationalen Messen gebracht; man nennt diese Wirtschaftsform Verlagswesen. Auch die Beteiligungen der Bank- und Handelshäuser an Mühlen, Bergwerken, ja selbst an Überseeexpeditionen warfen reichen Gewinn ab. 9 Die ersten Börsen: 1531 Antwerpen 1553 Köln 1558 Hamburg 1585 Frankfurt VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Arbeitsfragen zum Text: • Fasse die wichtigsten Charakteristika der spätmittelalterlichen Wirtschaft zusammen! • Erkläre die Begriffe Wechsel, Bank und Börse! • Welche Rolle konnten die Inhaber von Bank- und Handelshäusern auch in der Politik spielen? Begründe deine Aussage! Materialien Das Handelsimperium der Fugger Die Familie der Fugger war 1367 als Weber nach Augsburg zugewandert und erlebte dort innerhalb weniger Jahrzehnte einen Aufstieg in die höchsten Bürgerschichten der Stadt. Unter Jakob II. Fugger (1459-1525) wurde ihr Bank- und Handelshaus zum wichtigsten Wirtschaftsimperium Europas. 1511 wurden die Fugger von Kaiser Maximilian I. in den Reichsgrafenstand erhoben. Das Wirtschaftssystem des Frühkapitalismus lässt sich kaum besser erarbeiten als am Beispiel der Fugger. Die Augsburger Weberdynastie schaffte nicht nur innerhalb einer Generation den Aufstieg zum städtischen Patriziat, sondern konnte durch eine geschickte Beteiligungspolitik rasch auch ein über den Textilbereich hinausgehendes Imperium aufbauen. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Investitionen in Tirol. Der Habsburger Sigismund der Münzreiche hatte in der Mitte des 15. Jh. Investoren für den Ausbau des Silberbergbaus in Schwaz (Tirol) gesucht. Die Fugger erhielten für ihre Darlehen im Gegenzug das Recht zum Abbau aller Silber- und Kupfervorkommen des Landes – der Beginn des späteren „Kupfermonopols“ der Fugger. Jakob II. Fugger, als jüngster Sohn Jakobs I. Fugger ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt, übernahm zunächst 1485 die Leitung der wichtigen Faktorei in Innsbruck. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass Herzog Sigismund völlig bankrott das Land seinem Cousin Maximilian I. übergab (1493). Rasch wurden die Fugger auf diese Wiese zu den wichtigsten Finanziers der immer in Geldnot befindlichen Habsburger. Die Erhebung der Fugger in den Reichsgrafenstand (1511) ist daher nicht nur ein Zeichen der Dankbarkeit Maximilians, sondern auch ein Spiegelbild für den wachsenden politischen Einfluss der Fugger. Bei der Königswahl von Maximilians Enkel Karl V. zum römisch-deutschen König (1519) waren die von den Fuggern vorfinanzierten „Schmiergelder“ ganz offensichtlich das die Wahl entscheidende Element. Die Grafik zeigt allgemein, aber vor allem an den Fuggern orientiert, die zahlreichen wirtschaftlichen Beteiligungen eines Bank- und Handelshauses. Zum einen sorgten diese Wirtschaftsimperien für eine Vernetzung von An- und Verkauf von Waren. Die Gewährung der Nutzungsrechte von Bergwerken und Hütten waren das Produkt der kontinuierlichen Darlehen an die Könige und Landesherren, vor allem an die Habsburger. Durch den Aufstieg der Habsburger, v.a. durch deren Erwerb von Burgund, Mailand und Spanien konnten sich die Fugger auch eine wichtige Position im neuen Überseehandel sichern. Wie die Karte veranschaulicht, spannte sich das Wirtschaftsnetz der Fugger über ganz Europa und über die Stützpunkte in Spanien bis nach Amerika. Die Beteiligungen an Bergwerken im Tiroler und Salzburger Bereich bilden eine der wichtigsten Grundlagen für ihren Reichtum. Die wirtschaftlichen Verflechtungen einer frühkapitalistischen Handelsgesellschaft (nach Hans-Georg Hofacker, Europa und die Welt um 1500, Berlin 2001, S. 61) 10 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Die Bank- und Handelshäuser der Fugger in Europa zu Beginn des 16. Jh. (nach HansGeorg Hofacker, Europa und die Welt um 1500, Berlin 2001, S. 64) Die Fugger als Kaisermacher? „E(hr)w(ürdige) Kais(erliche) Majestät werden ohne Zweifel wissen, wie ich und meine Vettern bisher dem Haus Österreich zu dessen Nutzen und Wohlfahrt in aller Untertänigkeit zu dienen geneigt sind. Deshalb haben wir uns auch mit dem verstorbenen Kaiser Maximilian ... eingelassen und uns ... verpflichtet, für E(hr)w(ürdige) Kais(erliche) Majestät die römische Krone zu erlangen, weil eine große Anzahl von Fürsten ihr Zutrauen auf mich und sonst niemand setzen wollten. Wir haben dann den von E(hr)w(ürdiger) Kais(erlicher) Majestät eingesetzten Kommissaren, um den genannten Zweck zu erreichen, eine beachtliche Summe Geldes vorgestreckt. ... Es ist allgemein bekannt, dass E(hr)w(ürdige) Majestät die römische Krone ohne mich nicht erlangt hätten, wie das auch aus allen Schreiben von E(hr)w(ürdiger) Kais(erlicher) Majestät Kommissaren hervorgeht. Ich habe in dieser Sache nicht an meinen eigenen Nutzen gedacht; denn wäre ich vom Hause Österreich zu Frankreich übergegangen, hätte ich bedeutende Vorteile an Gut und Geld ... gehabt. Was aber E(hr)w(ürdiger) Kais(erlicher) Majestät daraus für Nachteil entstanden wäre, das wird E(hr)w(ürdiger) Kais(erlicher) Majestät nicht verborgen geblieben sein. ... Demnach ist eine untertänige Bitte an E(hr)w(ürdige) Kais(erliche) Majestät, Sie möge meine untertänigsten Dienste ... gnädig bedenken und ... veranlassen, dass mir meine ausstehende Summe Geld samt den Zinsen ohne längeren Verzug entrichtet und bezahlt wird.“ (aus einem Brief Jakobs II. Fugger an Kaiser Karl V. vom 24. April 1524, gekürzt; zitiert nach HansGeorg Hofacker, Europa und die Welt um 1500, Berlin 2001, S. 64 f.) Arbeitsaufgaben: • Versuche anhand der Grafik festzustellen, welche wirtschaftlichen Bereiche mit dem Wirtschaftsimperium der Fugger in Verbindung standen! • Vergleiche Grafik und Karte: Wo befanden sich die Faktoreien und Bergwerksbeteiligungen der Fugger? • Welche Rolle spielten die neu eroberten Kolonien in Übersee im Handelsnetz der Fugger? • Analysiere anhand des Textes, in welcher Form die Fugger auch politischen Einfluss gewinnen konnten! Welches Bild entsteht anhand des Briefes von der Königswahl Karls V.? Die Reformation Martin Luthers und ihre Folgen Der Ablasshandel Die Missstände in der katholischen Kirche, die schon von Jan Hus angeprangert worden waren, konnten auch durch mehrere Konzilien im Laufe des 15. Jh. nicht gelöst werden. Umstritten war auch der weit verbreitete 11 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Ablasshandel: Im Mittelalter konnte man einen Ablass in erster Linie auf Wallfahrten erlangen. Dabei musste man vorgeschriebene Gebete und Bußübungen verrichten, spendete an eine Kirche und erhielt dafür einen Nachlass an Sündenstrafen. Um 1500 kam es aber auch zum Verkauf von so genannten Ablassbriefen: Durch Geldzahlungen konnte man sich die beschwerliche Wallfahrt ersparen. Rasch wurde der Handel mit Ablassbriefen zum einträglichen Geschäft. Aus der Sicht der spätmittelalterlichen Frömmigkeit waren sie eine Art „Versicherungspolizze für die Ewigkeit“. Der Ablasshandel um Albrecht von Brandenburg Die Hintergründe dieses Ablasshandel werfen ein bezeichnendes Licht auf die Zustände in der Kirche am Beginn des 16. Jh.: Albrecht von Brandenburg. hatte als zweitgeborener Sohn wenig Aussicht auf die Nachfolge als Kurfürst von Brandenburg. Wie viele zweitgeborene Söhne wurde er Geistlicher und hatte schon im Alter von 23 Jahren die Würde des Erzbischofs von Magdeburg inne. Zudem strebte er das damals unbesetzte Amt eines Erzbischofs von Mainz an, womit er auch die Kurfürstenwürde erlangen würde. Die üblichen Gebühren, die für die Verleihung dieses Amtes nötig waren, brachte Albrecht durch einen Kredit beim Augsburger Großbankier Fugger auf. Albrecht erhielt nun vom Papst eine Lizenz zum Ablasshandel in seinem Erzbistum verliehen. Die dabei eingenommenen Gelder sollten zu 50 % an die Fugger als Kreditrückzahlung fließen, zu 50 % als Dank an den Papst zur Errichtung des Petersdomes. Als Ablasskommissar wurde der Dominikanermönch Johann Tetzel ausgewählt, der die Ablassbriefe gewinnträchtig vermarktete. Luthers 95 Thesen Die Legende, dass Luther seine Thesen an der dortigen Stiftskirche anschlug, wird heute stark bezweifelt; vielmehr dürfte er sie an andere gelehrte Theologen zur Diskussion ausgesandt haben. Mit 31. Oktober 1517 ist allein ein Brief an den Luthers 95 Thesen Erzbischof von Mainz, Der deutsche Theologieprofessor Martin Luther (1483-1546) wurde zum Albrecht von Brandenvehementesten Kritiker des Ablasshandels und allgemein der herrschenden burg, datiert. Missstände in der Kirche. Der Überlieferung nach am 31. Oktober 1517 veröffentlichte er in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) seine 95 Thesen. Das Ziel Luthers war zunächst eine Reform innerhalb der katholischen Kirche und keine Spaltung. Die Kernaussagen Luthers lassen sich auf drei Punkte zusammenfassen: • Allein der Glaube zählt: Nicht Ablassgelder, sondern nur ein gottgefälliges Leben führe in den Himmel. • Allein die Gnade Gottes bringe Vergebung: Luther nahm dabei die Lehren des katholischen Kirchenlehrers Augustinus (354-430 n. Chr.) auf, wonach der Mensch nicht aus eigener Kraft gut sein könne, sondern nur durch die Gnade Gottes. • Allein die Heilige Schrift sei maßgeblich: Die Lehre Christi werde allein durch die Heilige Schrift, nicht auch durch die Lehrmeinung der Päpste und das Kirchenrecht offenbart. Daher lehnten die Anhänger Luthers auch die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester, den Zölibat, strikt ab, da dies nicht in der Bibel verankert sei. Wegen ihres starken Bezuges auf das Evangelium werden die Lutheraner auch „Evangelische“ genannt. Als gedruckte Flugschrift fanden die 95 Thesen innerhalb von wenigen Monaten rasch Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum. Zentrum der neuen Lehre wurde die Universität Wittenberg. Aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen Anhänger nach Wittenberg und brachten Luthers Schriften in ihre Heimat zurück. 12 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Politischer Druck auf Luther Der junge Kaiser Karl V. reagierte erst Jahre nach seinem Amtsantritt auf die Diskussionen um eine Kirchenreform, dann aber umso schärfer: Auf dem Reichstag zu Worms (1521) wurde Luther durch das so genannte Wormser Edikt geächtet. Während bei anderen Personen die Ächtung einem Todesurteil gleichgekommen wäre, konnte Luther auf den Schutz seiner mittlerweile zahlreichen Anhänger bauen. Besonders Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen verteidigte ihn gegen alle Angriffe des katholischen Habsburgerkaisers. Er „entführte“ ihn 1521 zum Schutz auf die Wartburg bei Eisenach (Thüringen). Auch in Abwesenheit Luthers ließen sich die Anhänger der neuen Lehre nicht von den Drohungen Karls V. einschüchtern. 1529 protestierten sie feierlich dagegen, das Wormser Edikt von 1521 in voller Schärfe anzuwenden, wonach die Verbreitung von Luthers Schriften untersagt war. Seitdem werden die Anhänger Luthers „Protestanten“ genannt. 1530 unternahm Karl V. am Reichstag zu Augsburg einen weiteren Versuch die Glaubenseinheit zu retten, der jedoch scheiterte: Die Protestanten legten ein noch klareres Bekenntnis zu ihrem Glauben ab, das Augsburger Bekenntnis. Reformation und soziale Unruhen Die Lage der Bauern, aber auch der Ritter hatte sich an der Wende zur Neuzeit zusehends verschlechtert. Im Jahr 1525 erhoben sich die Bauern gegen die Obrigkeit, indem sie Luthers Werk „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ in ihrem Sinn interpretierten. Allerdings reagierte Luther scharf auf die Vereinnahmung seiner Lehren. In der Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ rief er die Fürsten auf, gegen die Bauern hart vorzugehen, damit sie nicht die von Gott eingesetzte Obrigkeit stürzen. Der Bauernkrieg endete somit nach Anfangserfolgen in einer totalen Niederlage der Bauern. Ihre Lage verschlechterte sich weiter, die Leibeigenschaft nahm in der Frühen Neuzeit noch zu. Pattstellung zwischen Katholiken und Protestanten Durch das Augsburger Bekenntnis war die Spaltung der Kirche endgültig besiegelt. Der Protestantismus hatte mittlerweile so viele Anhänger gefunden, dass sich beide Seiten, Katholiken und Protestanten, die Waage hielten. Im Jahr 1555 wurde zwischen dem Kaiser und den Landesfürsten der so genannte Augsburger Religionsfriede geschlossen; allerdings galt der Religionsfriede nur für die Lutheraner, nicht für die Anhänger anderer Reformatoren. Nach dem Motto „cuius regio, eius religio“ (Wer das Land regiert, bestimmt die Religion) gab in Zukunft der Landesfürst vor, ob ein Land katholisch oder protestantisch blieb. Den jeweils andersgläubigen Bewohnern blieb die Möglichkeit, entweder zum anderen Glauben überzutreten oder auszuwandern. Durch den Augsburger Religionsfrieden war der Protestantismus endgültig zur offiziell anerkannten Glaubensrichtung geworden. Der streng katholische Kaiser Karl V. empfand den Friedensschluss offensichtlich als schwere Niederlage: Er dankte 1556 zugunsten seines jüngeren Bruders Ferdinand ab und starb zwei Jahre später in einem spanischen Kloster. Zwingli und Calvin In Zürich bildete sich eine eigene reformatorische Bewegung um den Prediger Ulrich Zwingli. In „67 Schlussreden“ entwickelte er Vorschläge zur Reform der Kirche, die vom Rat der Stadt Zürich im Jahr 1523 angenommen wurden. Zwingli wandte sich gegen Prozessionen sowie gegen die Verehrung von Reliquien und Bildern; von Seiten der Stadtverwaltung sollte kontrolliert werden, ob die Bürger regelmäßig die Messe besuchten und ihre Pflichten in der Armenpflege wahrnahmen. Mehrmalige Versuche zu einer Einigung mit der lutherischen Lehre scheiterten, sodass sich eine eigene reformierte Kirche entwickelte. In Genf wirkte der französische Reformator Jean Calvin (1509-1564). Genf wurde in einen „Gottesstaat“ umgewandelt, in dem die Gemeinde sich selbst 13 Das Augsburger Bekenntnis Bis heute wird die lutherisch-reformierte Kirche als „evangelisch A. B.“ (= Augsburger Bekenntnis) bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden die Anhänger der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin als „evangelisch H. B.“ (= Helvetisches Bekenntnis) bezeichnet. Luthers Bibelübersetzung Auf der Wartburg fertigte Martin Luther eine Übersetzung der Bibel ins Deutsche an. In den Augen der damaligen Katholiken war die Übersetzung der Bibel ins Deutsche ein Verbrechen, weil dadurch nach ihrer Ansicht die Heiligkeit der Bibel verloren ginge. Es handelt sich bei Luthers Übersetzung nicht um die erste Übertragung der Bibel ins Deutsche, aber um eine sehr wirkungsvolle: Sie erschien, illustriert mit Holzschnitten von Albrecht Dürer, 1534 in Druck und war rasch über den ganzen deutschen Sprachraum verbreitet. Sie war maßgeblich für die Herausbildung der neuhochdeutschen Sprache. „Täufer“ Neben Luther, Zwingli und Calvin gab es im 16. Jh. noch zahlreiche weitere Reformatoren. Einige von ihnen lehnten die Taufe von Kleinkindern vehement ab und führten die Erwachsenentaufe ein. Diese Gruppen, die zumeist von den katholischen VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) leitete und ihre Geistlichen wählte. Bilder und Altäre wurden aus den Kirchen verbannt, Spiel und Tanz verboten. Der Gottesdienst konzentrierte sich auf Predigt, Gebet und Psalmen. Kritik an diesem System wurde brutal unterdrückt, auch Todesurteile waren nicht selten. Calvins Lehren verbreiteten sich auch in Frankreich und England, doch wurden seine Anhänger in beiden Ländern von der Obrigkeit nicht geduldet. Jahrzehntelang wurden die französischen Calvinisten, die Hugenotten, verfolgt. Grausiger Höhepunkt war dabei die „Bartholomäusnacht“ (1572), als in einer Nacht etwa 30000 Hugenotten in ganz Frankreich umgebracht wurden. Die Anhänger Calvins in England, Puritaner genannt, wichen der ständigen Unterdrückung aus und wanderten ab 1620 in großer Zahl nach Amerika aus. und protestantischen Obrigkeiten hart verfolgt wurden, werden unter dem Begriff „Täufer“ zusammengefasst. Der englische Sonderweg Während sich die Lehren Luthers, Zwinglis und Calvins deutlich von der katholischen Lehre abhoben, bestehen zwischen der anglikanischen und der katholischen Kirche kaum theologische Unterschiede. König Heinrich VIII. von England (1509-1547) spaltete die Kirche in England von der römisch-katholischen ab, als der Papst die Ehe mit seiner ersten Gattin nicht annullieren wollte. Heinrich gründete daraufhin eine Nationalkirche, bei der der König von England gleichzeitig Oberhaupt der Kirche ist. Nach Heinrichs Tod brach in England ein Bürgerkrieg um die Rekatholisierung des Landes aus, bis sich schließlich unter seiner zweiten Tochter Elisabeth I. (15581603) die anglikanische Kirche endgültig durchsetzte. Arbeitsfragen: • Welche Faktoren gewährten der Reformation Martin Luthers ihren Erfolg? • Fasse die Unterschiede zwischen Luther und den anderen Reformatoren zusammen! • Häufig spielten in sozialen Konflikten religiöse Argumentationen eine wichtige Rolle. Kennst du Beispiele aus anderen Zeiten und aus der Gegenwart? Katholiken und Protestanten/Reformierte im heutigen Europa Das 16. Jh. hat auf weite Strecken die Verteilung der Konfessionen in Europa grundgelegt: Die Reformation Martin Luthers, Ulrich Zwinglis und Jean Calvins brachte die endgültige Aufspaltung Zentralund Westeuropas in zahlreiche Glaubensbekenntnisse. Rasch wurde der Protestantismus Luthers im gesamten Norden des Heiligen Römischen Reiches, besonders aber auch in Skandinavien verbreitet und hält dort, wie die Tabelle zeigt, bis heute fast eine Monopolstellung inne. Der Augsburger Religionsfriede von 1555, der durch den Westfälischen Frieden von 1648 nochmals bestätigt wurde, schuf die Basis dafür, dass es in den einzelnen Ländern des Heiligen Römischen Reiches jeweils eine ausschließlich zu befolgende Konfession gab: katholisch oder protestantisch. Wer der „falschen“ Glaubenrichtung folgte, musste nach den Bestimmungen des Religionsfriedens entweder konvertieren oder auswandern. Eine einzige Ausnahme bildeten die freien Reichsstädte (Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Ulm, Frankfurt, Dortmund, Bremen und andere), die direkt dem Kaiser unterstanden: dort galt weitgehend Religionsfreiheit. So ergab es sich, dass in katholisch dominierten Ländern wie Bayern die meisten Protestanten in der nächstgelegenen Reichsstadt Zuflucht suchten. Städte wie Nürnberg sind bis heute protestantisch dominiert, während das Umland katholisch geprägt ist. Für den Norden Deutschlands gilt Ähnliches mit umgedrehten Vorzeichen. Der habsburgische Raum wurde somit nach dem Augsburger Religionsfrieden rekatholisiert. Dies gilt nicht nur für Österreich, sondern auch für die Erblande der spanischen Habsburgerlinie: Belgien ist bis heute weitgehend katholisch geblieben; die Niederlande, die nach einem langen Unabhängigkeitskrieg 1648 schließlich aus dem Heiligen Römischen Reich herausgelöst wurden, haben trotz einer protestantischen Tradition bis heute einen sehr hohen Anteil an Katholiken aufzuweisen. In Deutschland spielt es eine maßgebliche Rolle, ob eine Region in früheren Zeiten einem katholischen oder einem protestantischen Fürstentum angehörte. Es wird deutlich, dass es heute in den nördlichen Bundesländern zum Großteil Protestanten gibt, während Länder wie Bayern bis heute mehrheitlich katholisch geblieben sind. Bemerkenswert ist das im Norden gelegene Bundesland Nordrhein-Westfalen, das bis heute mehrheitlich katholisch geblieben ist: Die Wurzeln dafür liegen in den 1555 katholisch gebliebenen geistlichen Territorien dieser Region (Erzbistum Köln, Bistum Paderborn, Bistum Münster). Auch 14 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Niedersachsen weist auf diese Weise eine starke katholische Minderheit auf. Bei den Angaben für die östlichen Bundesländer ist natürlich zu bedenken, dass während der kommunistischen Herrschaft in der DDR zahlreiche Menschen aus der Kirche ausgetreten sind, sodass die Gesamtzahl der sich zu einer Konfession bekennenden Einwohner deutlich geringer ist. Was die reformierten Kirchen neben der protestantisch-lutherischen Kirche betrifft, so sind deren Anhänger, abgesehen von der Schweiz, heute auf viele Länder verstreut, machen aber selten einen großen Anteil aus: Die Calvinisten in Frankreich machen dort etwa 1,6% aus; Ähnliches gilt für diverse reformierte Kirchen in den heutigen Niederlanden. In Großbritannien dominiert bis heute die von König Heinrich VIII. begründete anglikanische Staatskirche, doch konnten sich gerade in Schottland und – durch schottische Kolonisten – in Nordirland zahlreiche calvinistisch geprägte Kirchen, v.a. die Presbyterianer, behaupten. Der Anteil der Katholiken in Großbritannien/Nordirland steigt heute wieder stark, sowohl in Nordirland, wo die Katholiken mittlerweile schon fast die Mehrheit erreicht haben, als auch in Großbritannien selbst, v.a. durch Zuwanderung aus der Republik Irland und die deutlich höhere Geburtenrate in katholisch-irischen Familien. Land Bevölkerung ges. Anteil Katholiken Anteil Protestanten Österreich 8,1 Mio 78,00% 5,00% 1 Schweiz 7,1 Mio 46,10% 40,00% Deutschland – Bayern 10,9 Mio 67,24% 23,88% Deutschland – Nordrhein-W. 16,7 Mio 49,43% 35,18% Deutschland – Niedersachsen 7,2 Mio 19,56% 65,22% Deutschland – Berlin/Brand. 5,9 Mio 6,41% 24,97% Belgien 10,0 Mio 81,00% keine Angabe 2 Niederlande 15,7 Mio 36,00% 26,00% Schweden 8,6 Mio 1,68% 89,00% Dänemark 5,3 Mio 0,61% 90,00% 3 4 Großbritannien und Nordirl. 59,0 Mio 13,10% 56,80 + 15,00% Italien 57,6 Mio 90,00% 0,09% 5 Frankreich 58,8 Mio 81,00% 1,61% Quellen: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1999 (übernommen nach HansGeorg Hofacker, Europa und die Welt um 1500, Berlin 2001, S. 150); Fischer Weltalmanach 2002 (CD-ROM Version). Religiöse Gruppen in Europa im 16. Jh. Religiöse Gruppen in Europa im 16. Jh. 1 Großteils Anhänger der Reformation Zwinglis und Calvins. Verschiedene reformierte Kirchen, 19% der Gesamtbevölkerung Protestanten. 3 Die meisten Katholiken wohnen in Nordirland, wo sie 47% der Bevölkerung stellen. 4 56,8% der Bevölkerung Großbritanniens und Nordirlands sind Anglikaner, weitere 15% sind verschiedenen reformierten Kirchen zuzuordnen, v.a der presbyterianischen Kirche, die in Schottland sogar Staatskirche ist und auch in Nordirland stark vertreten ist. Unter den Presbyterianern versteht man den Zusammenschluss mehrerer calvinistisch geprägter Reformkirchen, die ihre Glaubensrichtlinien schließlich 1647 in der „Westminster Confession“ festlegten. 5 vorwiegend Calvinisten, nur geringe Zahl an Protestanten. 2 15 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Arbeitsaufgaben: • Versuche anhand der große Karte herauszufinden, wo sich im 16. Jh. der katholische Glaube hielt, wo sich die Lehre Martin Luthers durchsetzte und wo sich weitere Reformatoren (Zwingli, Calvin, Täufer, Sonstige) verbreiteten! • In welchen Gebieten Europas dominierte weder die katholischen noch die protestantischlutherische noch eine der sonstigen reformierten Kirchen? • Betrachte die Karte: Welche Gebiete wurden nach dem Augsburger Religionsfrieden wieder katholisch bzw. blieben es, welche protestantisch? Vergleiche diese Ergebnisse mit den Angaben der Tabelle, wo sich heute mehrheitlich katholische bzw. protestantische Bevölkerung befindet! Nimm für Deutschland eine aktuelle politische Karte hinzu und gehe nach Bundesländern vor! Von der katholischen Erneuerung zum Dreißigjährigen Krieg Das Konzil von Trient Viel zu spät erkannte die Führung der katholischen Kirche die weit reichenden Folgen der Reformation Martin Luthers und anderer Reformatoren. In vielen Teilen Europas waren 90 % der Bevölkerung zum Protestantismus übergetreten. Schließlich kamen die katholischen Bischöfe zum Konzil von Trient (1545-1563) zusammen. Immer wieder wurden die Beratungen für längere Zeit ausgesetzt, ohne dass Ergebnisse erzielt wurden. Außerdem dominierten auf dem Konzil vor allem die italienischen und spanischen Bischöfe, wo die Reformation am wenigsten Verbreitung gefunden hatte. Die Schlussdokumente des Konzils brachten keine grundlegenden Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche: Der Ablauf der Messe wurde neu gestaltet, blieb jedoch weiterhin in lateinischer Sprache; er behielt bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) Gültigkeit. Weiters wurde ein Verzeichnis (Index) erstellt, welche Bücher in der katholischen Kirche verboten seien; darunter befanden sich auch zahlreiche, damals aktuelle Werke aus den Naturwissenschaften. Für die katholische Erneuerung und die Gegenreformation hatte die Gründung des Jesuitenordens eine wesentliche Bedeutung. Verschärfte Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten Am Ende des 16. Jh. stritten sich zwei Brüder, die beiden Habsburger Rudolf II. (1576-1612) und Matthias (1612-1619), um die Herrschaft im Reich und in den habsburgischen Erblanden. In dieser Situation gelang es dem meist protestantischen Adel, sich immer wieder religiöse Zugeständnisse zu erkämpfen, weil sie die beiden Kontrahenten um die Kaiserkrone gegeneinander ausspielten. Aufgrund der starken Position des protestantischen Adels begann die vom Jesuitenorden getragene Gegenreformation in den katholisch verbliebenen Ländern erst gegen Ende des 16. Jh. zu greifen. In den habsburgischen Ländern nahmen 1579 eigene Reformationskommissionen die Rückführung der Bevölkerung zum katholischen Glauben in Angriff. Die Protestanten, die in diesen Ländern nach wie vor die Mehrheit stellten, wurden nach den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens zum Übertritt zum katholischen Glauben oder zur Auswanderung gezwungen. Allgemein verschärfte sich nach 1600 der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten: Die protestantischen Länder im Heiligen Römischen Reich verbanden sich schließlich 1608 zur Protestantischen Union, die katholisch verbliebenen Länder 1609 zur Katholischen Liga. Besonders in Böhmen, wo der Anteil der Protestanten und anderer reformierter Gruppen groß war, wurden die Spannungen immer größer, denn die Habsburger schrieben als böhmische Könige die katholische Religion vor. Schließlich wurden in einem Streit auf der Prager Burg drei kaiserliche Beamte aus dem Fenster geworfen (Prager Fenstersturz). Die böhmischen Adeligen erkoren den protestantischen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz zum böhmischen König, nachdem sie den Habsburger Matthias in diesem Amt abgesetzt hatten. Der 16 Katholische Erneuerung: Reformbestrebungen innerhalb der Kirche parallel zur Reformation Gegenreformation: zum Teil gewaltsame Wiedereinführung des katholischen Glaubens nach dem Augsburger Religionsfrieden in den Ländern, in denen ein katholischer Fürst regierte. Jesuitenorden Dieser Gemeinschaft, wurde nur wenige Jahre vor dem Konzil von Trient vom spanischen Offizier Ignatius von Loyola (1491-1556) gegründet. Die Jesuiten wurden mit der Durchführung der Gegenreformation betraut. Sie legten großen Wert auf hohe rhetorische Bildung, um ihre Gegner zu überzeugen. Ihr Wirkungsbereich lag besonders in den Schulen. Prager Fenstersturz Die drei kaiserlichen Beamten überlebten den Sturz, weil sie auf einen Misthaufen fielen. Der Schreiber Fabricius wurde um seiner „Verdienste“ sogar geadelt erhielt den Namenszu- VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Dreißigjährige Krieg begann (1618-1648). satz „von Hohenfall“. Dreißig Jahre Krieg Die Heere der Habsburger gingen rasch gegen die böhmischen Protestanten vor. Der (Gegen-)König Friedrich von der Pfalz wurde schon 1620 in der Schlacht am Weißen Berg (westlich von Prag) besiegt. Die Habsburger errangen somit gewaltsam die böhmische Königskrone wieder und nahmen in der Folge den protestantischen böhmischen Adeligen viele Rechte. Mit brutaler Unterdrückung führten die habsburgischen Reformationskommissionen die Gegenreformation auch in Böhmen durch. Dabei wurde etwa versucht, die Verehrung des „katholischen böhmischen Heiligen“ Johannes von Nepomuk unter der Bevölkerung zu verbreiten; er sollte als „Ersatz“ für den böhmischen Reformator Jan Hus sowie Martin Luther dienen. Der Krieg war mit dem Sieg der Habsburger über die aufständischen Böhmen noch lange nicht vorbei. Die Katholische Liga kämpfte gegen die Protestantische Union. Aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen griffen auch mehrere europäischen Großmächte auf der einen oder anderen Seite in den Krieg ein. Vor allem das protestantische Schweden unterstützte seine Glaubensgefährten. Auch Frankreich unterstützte die Protestanten, obwohl es katholisch war, doch erhofften sich König Ludwig XIII. (16101643) und der junge Ludwig XIV. (1643-1715) davon Landgewinne. Um die Söldnerheere zu bezahlen, verpachtete der Habsburgerkaiser Ferdinand II. (1619-1637) Oberösterreich während des Krieges an Bayern. Die bayerischen Besatzer übten in dieser Zeit eine Schreckensherrschaft aus. Sie beraubten die Bauern, um sich selbst genug Nahrung zu verschaffen. Zusätzlich ließen sie die protestantischen Bauern nach einem Aufstand um ihr Leben würfeln (Frankenburger Würfelspiel). Im Jahr 1626 erhoben sich daher die oberösterreichischen Bauern unter Stefan Fadinger gegen die Bayern. Nach Anfangserfolgen wurde ihr Aufstand aber blutig niedergeschlagen. Karte: Mitteleuropa im Jahr 1648 Der Westfälische Friede Viele Teile Europas, besonders aber Deutschland, wurden durch die dreißig Jahre Krieg völlig verwüstet. Als alle Seiten nicht mehr die geringste Motivation zum Kriegführen besaßen, einigte man sich schließlich 1648 in einem großen Vertragswerk, dem so genannten Westfälischen Frieden – benannt nach den Städten Münster und Osnabrück in Westfalen, wo die Verträge unterzeichnet wurden – auf eine Neugestaltung Europas. Die wichtigsten 17 Johannes von Nepomuk Dieser Heilige war unter dem böhmischen König Wenzel im 14. Jh. von der Prager Karlsbrücke gestoßen worden, weil er das Beichtgeheimnis nicht preisgab. Man findet daher seine Statue noch heute auf vielen Brücken im böhmisch-österreichischen Bereich. Söldnerheere Beide Seiten setzten alles daran, um ihre Söldnerheere finanzieren zu können. Die wichtigsten Söldnerführer erreichten mit der Zeit nicht nur militärische, sondern auch politische Bedeutung, etwa der böhmische, katholische Graf von Wallenstein (Waldstein). Als er immer mächtiger wurde, verfolgte er offensichtlich eigene Pläne: die Vermutungen gehen von einem Pakt mit den Protestanten bis hin zum Streben nach der Kaiserkrone. 1634 wurde er unter mysteriösen Umständen ermordet. VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Bestimmungen: • Die Schweiz und das Königreich der Niederlande wurden endgültig selbstständige Staaten. Bisher hatten sie dem Heiligen Römischen Reich angehört. • Alle Länder und Städte des Heiligen Römischen Reiches, deren Herrscher direkt dem Kaiser unterstanden (= die Reichsstände), wurden weitgehend unabhängig. Sie erhielten beispielsweise das Recht, eigenständig mit ausländischen Mächten Verträge abzuschließen, sofern diese nicht gegen das Reich gerichtet waren. Der Kaiser besaß somit keinerlei übergeordnete Macht mehr, es war nur noch ein Ehrentitel. • Die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurden bestätigt. Der Landesfürst bestimmte also weiterhin, welche Religion seine Untertanen zu befolgen hatten. • Frankreich und Schweden erreichten Gebietsgewinne. Arbeitsfragen zum Text: • Was versteht man unter „katholischer Erneuerung“ und „Gegenreformation“? • Welche Konflikte führten zum Dreißigjährigen Krieg? Ging es während des Krieges tatsächlich rein um den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten? • Versuche, die Bestimmungen des Westfälischen Friedens anhand der Karte nachzuvollziehen! Materialien Die Rekatholisierung in Österreich Seit die drei katholischen Landesfürsten von Bayern, Tirol und Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain) sich 1579 in München zu einer Geheimkonferenz getroffen hatten – bezeichnender Weise unter Ausschluss Kaiser Rudolfs II. (1576-1612), war die Durchsetzung der katholischen Gegenreformation nur noch eine Sache der Zeit geworden. Erzherzog Karl II. von Innerösterreich beauftragte schließlich 1587 die ersten „Religionsreformationskommissionen“ mit der Wiederherstellung des katholischen Kirchen- und Schulwesens und der Einleitung der Rekatholisierung der Bevölkerung. Karl konzentrierte sich dabei zunächst auf die Städte, während sein Sohn Ferdinand II. eine landesweite Gegenreformation in Angriff nahm. Ferdinand war in Ingolstadt (Bayern) von Jesuiten erzogen worden. Schon 1596 bei seinem Regierungsantritt zog er die Religionszusagen von 1572/78 an den steirischen Adel zurück; noch 1596 huldigten ihm die steirischen Stände, 1597 die Stände von Kärnten und Krain und mussten dabei versprechen, sich im Sinne des Katholizismus zu verhalten. Unter der Leitung des Seckauer Bischofs Martin Brenner zogen von 1599 bis 1601 die „Religionsreformationskommissionen“ in Begleitung von hunderten Soldaten durch das Land und führten regelrechte Feldzüge gegen protestantische Bürger und Bauern durch. Evangelische Predigerhäuser, Kirchen und Friedhöfe wurden zerstört, lutherisches Schrifttum in großer Zahl verbrannt. Auf dem geschilderten Zug der Religionsreformationskommission im Herbst 1599 durch die Obersteiermark dürfte Bischof Martin Brenner von Seckau noch nicht persönlich anwesend gewesen sein, sodass es zu großen Übergriffen der Soldaten gekommen sein dürfte; selbst von Leichenschändungen wird berichtet. Durch die Verfolgung der Protestanten dürften zwischen 1598 und 1605 etwa 11000 Menschen aus Innerösterreich in andere Teile des Heiligen Römischen Reiches emigriert sein. „Berichte hiermit, dass wir mit den elfhundert Soldaten, die wir bei uns hatten, nicht nur die treulosen und meineidigen Eisenerzer (welche sich anfangs zwar nur durch ihr Gesinde zur Wehr gesetzt, als hätten sie keine Schuld daran), sondern auch die rebellischen Ausseer, dann die Gröbminger, 6 Schladminger, … ja das ganze Ennstal auf einen Schlag reformiert, alle Prädikanten verjagt, katholi7 sche Priester eingesetzt …, die Bücher der Sektierer von Haus zu Haus gesucht und überall unter den Galgen (von denen wir 14 haben neu aufstellen lassen) öffentlich verbrannt haben. Allein in Schladming wurden sektiererische Bücher für über 3000 Taler gefunden und in den Rauch geschickt. … Von allen reformierten Orten sind die vornehmsten Rädelsführer in Ketten nach Graz gebracht 6 7 Prediger in den reformierten Kirchen Anhänger einer Sekte, hier: Protestanten 18 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) worden. … Schließlich haben wir den Eisenerzern 150, den Ausseern 50 Soldaten auf ihre Unkosten als Stadtwache einquartiert. … Zur Sicherung dieser Reformation haben wir drei Kirchen der Sektierer … nach Wegnahme des Besitzes bis auf den Grund verbrannt, niedergerissen und gesprengt: welches alles nun eine heilsame und der katholischen Kirche nützliche Verrichtung und eines ewigen lobwürdigen Gedächtnisses wohl wert ist.“ (Bericht der Kommissäre der Religionsreformationskommission über ihre Arbeit in der Obersteiermark, Herbst 1599; zitiert nach Hofacker, Europa und die Welt um 1500, S. 147) Arbeitsaufgaben: • Welches Bild ergibt sich nach dem Bericht von der Durchführung der Gegenreformation in der Steiermark? Vergleiche auch das allegorische Bild zu Ferdinand II. von Innerösterreich im Haupttext! • Was geschieht mit den Schriften der Protestanten, was mit den Rädelsführern? Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges im Bild Der Franzose Jacques Callot stellte in insgesamt 18 Radierungen die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges dar. Die Bauern waren die Hauptleidtragenden des Krieges, da sich die Söldnerheere durch Plünderungen ihre Nahrungsversorgung sicherten. Immer wieder kam es daher zu Racheaktionen der Bauern. Jacques Callot, Die Rache der Bauern, Radierung 1633. Die Bildunterschriften Callots lauten (in deutscher Übersetzung): „Es rotten sich die Bauern wider die Soldaten, von denen sie zu oft erlitten größten Schaden, sie lauern ihnen auf und schlagen jählings los, da liegen schon die Feinde ganz entseelt und bloß, so schrecklich rächen sie sich an den armen Toten fürs Hab und Gut, das sie durch deren Hand verloren.“ (Text zitiert nach Harm Mögenburg, „… wo wir hin nur schaun, ist Feuer, Pest und Tod“. Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden, in: Geschichte lernen, Themenheft 65: 1648 (September 1998), Velber 1998, S. 10-18, hier S. 13) Arbeitsaufgaben: • Versuche die Details des Bildes genau zu erfassen • Welche Ziele könnte der Künstler mit dieser Darstellung verfolgt haben? Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg Die sozialen und demographischen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges sind vermutlich größer gewesen als nach allen anderen großen Kriegen der Neuzeit. Nur durch die Pestepidemie in der Mitte 19 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) des 14. Jh. wurde die Bevölkerung Europas noch stärker dezimiert. Aus dem Massensterben schlugen in der Folge vor allem die katholische und die protestantische Kirche Kapital, die die Situation geschickt nutzten, um alte Feindbilder zu prolongieren und einen „Ausweg“ in Wallfahrten und anderen religiösen Handlungen „anboten“. Karte: Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg (erstellt von Thekla Fomiczenko-Beyer nach Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, S. 178) Arbeitsaufgaben: • Welche Gebiete des Heiligen Römischen Reiches waren in besonderem Maße von den Kriegshandlungen betroffen, welche (fast) gar nicht? • Versuche – auch unter Berücksichtigung des Bildes von Jacques Callot – zu ergründen, welche sozialen Folgen die Kriegshandlungen und Plünderungen des Dreißigjährigen Krieges für die Gesamtbevölkerung mit sich brachten? Die Karte zeigt sehr eindringlich, welche Gebiete des Heiligen Römischen Reiches besonders schlimm von den Kriegshandlungen betroffen waren. Zum einen fällt auf, dass der österreichische Raum von den Schlachten und Plünderungen weitgehend verschont blieb; allein das heutige Innviertel (damals noch zu Bayern gehörig) und die angrenzenden Gebiete in Oberösterreich wiesen erhebliche Verluste an Menschenleben auf. Ganz besonders aber waren der Südwesten Deutschlands (Württemberg, Pfalz), wo vor allem die Kriege zwischen kaiserlich-katholischen Heeren und Franzosen wüteten, und der Nordosten Deutschlands betroffen. In Mecklenburg und Pommern fielen große Einheiten der Schweden ein und plünderten in großem Ausmaß. „Ich bet’ zur heiligen Jungfrau, dass der Schwed’ nicht kommt“, wurde zu einem häufigen Stoßgebet in Deutschland. Die völlige Verwüstung Pommerns fand selbst in Kinderliedern Eingang: „Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg. Die Mutter ist in Pommerland. Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg.“ 20 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Grundprobleme des Zeitalters des Absolutismus und der Aufklärung Der Gesellschaftsvertrag Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes erzählt in seinem Hauptwerk „Leviathan“ wie es in grauer Vorzeit in der Gesellschaft zur Übergabe der Macht an einen einzigen Herrscher gekommen sei: Früher seien alle Menschen gleichberechtigt gewesen; jeder konnte bestimmen, was er wollte. Aus dieser Gleichberechtigung sei aber nur Chaos entstanden. Die Menschen hätten daher einen aus ihrer Mitte bestimmt, der in ihrem Namen das Gemeinwesen leitete. Die Nachfahren dieser Führer seien die Könige der Neuzeit, die von Gottes Gnaden dazu berufen seien, diese Ordnung weiter aufrecht zu erhalten und allein alle Gewalten im Staat innezuhaben. Die einstige Abmachung zwischen Volk und Herrscher wird Gesellschaftsvertrag genannt. Thomas Hobbes wurde mit seiner Erzählung vom Gesellschaftsvertrag zu einem der wichtigsten „Ideologen“ des Absolutismus: Der Herrscher sei durch die einstige Übergabe der Macht an ihn dazu berechtigt, ohne irgendeine Einschränkung zu regieren. Doch schon bald wurde dieser Gesellschaftsvertrag vom Engländer John Locke im Sinne der Aufklärung neu gedeutet: Der Herrscher habe durch den Vertrag den Auftrag erhalten, im Sinne des Volkes zu regieren. Tue er das nicht, so habe das Volk das Recht, sich einen besseren Regenten zu suchen. Absolutismus In Frankreich und in anderen Staaten konnte der Herrscher seine Macht gegenüber dem Adel immer mehr ausbauen. War er bei der Steuereintreibung bisher auf den guten Willen der Adeligen angewiesen, die bisher auf ihren Gütern die Steuern einhoben, so übten jetzt Beamte diese Aufgabe im Namen des Herrschers aus. Die Adeligen verloren damit ihr wichtigstes Druckmittel gegenüber dem Herrscher. Der Herrscher regierte schließlich absolut, d.h. losgelöst von allen Einschränkungen. Parlamentarismus In England konnten die Könige keine absolutistische Regierung durchsetzen. Nach jahrelangen Bürgerkriegen und der kurzfristigen Einführung der Republik mussten die Könige schließlich das Parlament als wichtige Kontrollinstanz akzeptieren. Gesetze regelten die Aufteilung der Macht zwischen König und Parlament. Barock Die absolutistischen Herrscher entwickelten gemeinsam mit der Kirche eine Kultur, die zum Inbegriff des weltlichen und geistlichen Prunkes wurde: das Barock. Darunter fiel aber nicht nur die Baukunst oder die Malerei, sondern auch die Kunst, unwiederholbare Feste zu inszenieren. Aufklärung Zu Beginn des 18. Jh. begann sich im gebildeten Bürgertum eine Gegenbewegung zum Absolutismus zu formieren. Der Mensch sollte das Recht haben sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Damit verbanden die Bürger auch die Forderung nach politischer Mitsprache und persönlichen Freiheiten. Aufgeklärter Absolutismus Die Ideen der Aufklärung beeinflussten seit der Mitte des 18. Jh. auch die Regierungspraxis in Österreich, Preußen und Russland: Die Herrscher strebten nach Reformen im Sinne des Staates und des Volkes, gaben aber dabei von ihrer absolutistischen Macht nur wenig ab. „Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk!“ lautete die Devise. Thomas Hobbes (1588-1679) studierte zunächst in Oxford und war dann mit Unterbrechungen zeit seines Lebens Hauslehrer der Grafen von Devonshire. Er floh 1640 vor dem englischen Bürgerkrieg nach Frankreich und wurde dort zum Lehrer des im Exil aufwachsenden späteren Königs Karl II. von England. 1651 kehrte er, von Oliver Cromwell geholt nach England zurück, ein Umstand, der ihm später nach der erneuten Machtübernahme der Royalisten (1660) häufig angekreidet wurde. Auf seinen Reisen durch Frankreich und Italien schloss er zahlreiche wissenschaftliche Kontakte, unter anderem mit Galileo Galilei und René Descartes. Beeinflusst von der Naturwissenschaft suchte er in all seinen Werken eine Herleitung aus der Vernunft und aus wissenschaftlich erzielten Erfahrungswerten. Diese 21 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Übertragung der naturwissenschaftlich-exakten Methode auf die Staatstheorie ist wohl die Hauptleistung von Thomas Hobbes. In seinem Hauptwerk „Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates“, das erstmals 1651 erschien, beschreibt er ausführlich den einstigen Urzustand der menschlichen Gesellschaft, in der alle Menschen gleich sind, aber nach Krieg, Eigennutz und Macht streben: „Homo homini lupus“ (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf). Erst der Gesellschaftsvertrag bringe Ordnung in das Gesellschaftssystem. Es entstehe dadurch ein Staat als übergeordnetes System, als „Leviathan“, d.h. als „sterblicher Gott“. Die Menschen würden in der Folge die Ideen ihres Herrschers (als Repräsentanten des Staates) als ihre eigenen Ideen ansehen, auch was die Religion betrifft. Die Breitenwirkung von Thomas Hobbes in seiner Zeit sollte zwar nicht überschätzt werden, doch wurden seine staatstheoretischen Werke zum Ausgangspunkt einer naturwissenschaftlich-rationalen Staatstheorie. John Locke (1632-1704) entstammte einem puritanischen Elternhaus und genoss zunächst eine humanistische Ausbildung an der Westminster School in London; später studierte er in Oxford Philosophie und Medizin. Seine Interessen galten vor allem chemischen Versuchen; mit seinen Experimentierreihen begründete er den so genannten Empirismus, wonach Erkenntnis in erster Linie durch naturwissenschaftlich exakte Versuche erlangt werden könne. neben seiner Tätigkeit als Naturwissenschafter und Arzt bekleidete Locke auch zahlreiche Ämter in Politik und Verwaltung, bis er nach Verwicklungen in zahlreiche Intrigen nach Frankreich und später in die Niederlande fliehen musste. 1689 kehrte er schließlich auf Geheiß des neuen Königs Wilhelm von Oranien nach England zurück. In seinem 1689 erschienenen Hauptwerk „Über den menschlichen Verstand“ sowie im zweiten seiner „Two treatises of government“ (1690, dt. „Über die Regierung“) wandte sich Locke vehement gegen das göttliche Recht des Herrschers. Hingegen würden die Freiheit, Gleichheit sowie die Unverletzlichkeit von Person und Eigentum zu den unverrückbaren Grundrechten eines jeden Menschen gehören. Der Monarch, Oligarch oder eine demokratische Volksvertretung habe die Aufgabe eines obersten Schiedsrichters in der Gesellschaft; daher sei auch eine Trennung zwischen Exekutive (ausführende, regierende Gewalt) und Legislative (gesetzgebende Gewalt) anzustreben – die Ideen Montesquieus wären ohne John Locke wohl undenkbar gewesen. Das Volk habe zudem das Recht, einen gegen das Volk regierenden Tyrannen zu beseitigen, allerdings nur im Vertrauen darauf, dass Gott dieses Vorgehen rechtfertige. Locke wurde damit zum wichtigsten Wegbereiter der aufklärerischen Staatstheorie. Das System von Absolutismus und Merkantilismus in Frankreich Auf dem Weg zur unumschränkten Macht Im Spätmittelalter hatte sich der Konflikt zwischen dem Herrscher und den Adeligen zunehmend verstärkt. Wer dabei die Oberhand behielt, hing von zahlreichen Faktoren ab. Die vorläufige „Entscheidung“ darüber fiel im 16. oder 17. Jh.: In Frankreich und in Spanien setzten sich die jeweiligen Könige durch und konnten ihre Macht immer weiter ausbauen. Im Heiligen Römischen Reich behielten nach dem Westfälischen Frieden von 1648 endgültig die Reichsfürsten gegenüber dem Kaiser die Oberhand; sie wiederum konnten zumeist die Ansprüche der ihnen untergebenen Adeligen abwehren. In England hingegen misslang der Versuch, eine unumschränkte Herrschaft der Könige zu etablieren. Unter Absolutismus versteht man ein System von Herrschaft, bei dem der Herrscher losgelöst (= lateinisch absolutus) von Gesetzen und anderen Verpflichtungen uneingeschränkt regiert. Der Herrscher vereinigt in sich alle drei Staatsgewalten, die gesetzgebende Gewalt (Legislative), die ausführende Gewalt (Exekutive, d. h. Regierung und Verwaltung) und die Recht sprechende Gewalt (Jurisdiktion). Die theoretische Untermauerung des Absolutismus Die unumschränkte Herrschaft der Fürsten wurde auch durch staatstheoretische Schriften untermauert. Schon im frühen 16. Jh. riet der Florentiner Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469-1527) in seinem Hauptwerk „Der Fürst“ (1513), dass der Herrscher jedes Mittel anwenden könne, um seine Macht zu sichern und auszubauen. Das rechtfertige beispielsweise auch Vertragsbrüche. Berühmt wurde die Devise divide et impera! (Teile und 22 Hugenottenkriege Zwischen den Anhängern des Reformators Calvin in Frankreich, den Hugenotten, und den Katholiken tobte zwischen 1562 und 1598 ein erbitterter Bürgerkrieg. Den Höhepunkt bildete dabei die „Bartholomäusnacht“ (24. August 1572), als etwa 30000 Hugenotten in einer Nacht ermordet wurden. 1598 wurden die Hugenotten schließlich geduldet. VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) herrsche!) – der Fürst solle danach trachten, seine Gegner untereinander zu entzweien. Der französische Staatstheoretiker Jean Bodin (1530-1596) entwarf in seinem Hauptwerk „Über den Staat“ das Modell eines Staates mit einem uneingeschränkt herrschenden König. Bodin sah in einem gestärkten Herrscher den einzigen Weg aus den chaotischen Zuständen der Hugenottenkriege. Der Engländer Thomas Hobbes (1588-1679) entwickelte in seinem Hauptwerk „Leviathan“ (1651) die Theorie vom Gesellschaftsvertrag. Die Machtstellung des Königs wurde zusätzlich nach mittelalterlicher Tradition „von Gottes Gnaden“ hergeleitet. Damit war er – zumindest aus seiner Sicht – von der Pflicht befreit, über seine Regierung Rechenschaft vor seinen Untertanen ablegen zu müssen. Aus der Betonung des Gottesgnadentums erklärt sich auch die enge Verbindung von absolutistischem Herrscher und der Kirche. Besonders in Frankreich, aber auch in anderen Staaten, hatten hohe Geistliche Schlüsselstellungen im Staat inne. Beamte, Kriege, Prachtentfaltung In Frankreich war die Dynastie der Bourbonen aus den Hugenottenkriegen als Siegerin hervorgegangen. Zahlreiche Konkurrenten um den Thron und viele hohe Adelige hatten während der Kriege ihr Leben oder einen Teil ihres Besitzes verloren. Verstärkt wurden königliche Beamte für die Einhebung der Steuern eingesetzt, eine Aufgabe, die bis dahin dem landbesitzenden Adel zugefallen war. In den Generalständen, der Versammlung des Königs mit den Ständen in Frankreich, hatte der König stets die Adeligen zur Bewilligung und Einhebung von Steuern überreden müssen und ihnen dafür Zugeständnisse gemacht. Ab 1614 musste König Ludwig XIII. (1610-1643) die Generalstände nicht mehr zur Steuerbewilligung einberufen, die Adeligen hatten ihr wichtigstes Druckmittel gegenüber dem König verloren. Die enge Verbindung zwischen absolutistischem Herrscher und den Spitzen der Kirche war allgegenwärtig: wichtigster Berater Ludwigs XIII. war Kardinal Richelieu. Nach dem Tod Ludwigs XIII. leitete ein hoher Vertreter der katholischen Kirche, Kardinal Mazarin, die Regierungsgeschäfte für Ludwig XIV. (1643/61-1715), der als vierjähriges Kind auf den Königsthron kam. Nach dem Dreißigjährigen Krieg entflammten zwar weniger Kriege aus religiösen oder sozialen Gründen, doch traten an deren Stelle die so genannten Kabinettskriege. Gestärkt durch die Gebietsgewinne nach dem Dreißigjährigen Krieg strebte Frankreich danach, die „natürlichen Grenzen Galliens“ wiederherzustellen; man spricht dabei von der Réunionspolitik (von französisch réunion = Wiedervereinigung). Damit waren insbesondere die nichtfranzösischen Gebiete westlich des Rheins gemeint. So geriet etwa 1681 die Stadt Straßburg unter französische Herrschaft. Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714), der nach dem Aussterben der spanischen Habsburger zwischen Frankreich und Österreich ausgebrochen war, erreichte Ludwig XIV. lediglich, dass eine Nebenlinie der Bourbonen in Spanien den Thron bestieg. Das Streben Ludwigs XIV. nach einer Vorherrschaft (Hegemonie) in Europa scheiterte letztlich am Widerstand der übrigen Mächte, die an einem Gleichgewicht der Kräfte interessiert waren. Der neue Herrschaftsstil zeigte sich auch in einer gewaltigen Prunkentfaltung, was die königlichen Residenzen und die Hofhaltung betraf. Zunächst residierten die französischen Könige in Fontainebleau südlich von Paris. Ludwig XIV. ließ schließlich mit enormem Aufwand das Schloss Versailles westlich von Paris erbauen. Es blieb unerreicht an Größe und Prunk. Der Adel, der politisch entmachtet worden war, hatte entweder repräsentative Aufgaben am Hof inne (Hofadel) oder zog sich auf seine eigenen Besitzungen zurück, um sich dort ebenfalls höfischem Prunk sowie seinen grundherrschaftlichen Aufgaben zu widmen. Kardinal Mazarin Der aus Italien stammende Mazarin (16021661, eigentlich Giulio Mazzarini) wurde nach dem Tod Kardinal Richelieus (1642) leitender Minister der Bourbonen. Kardinal Mazarin war es auch, der als Vormund Ludwigs XIV. den letzten Adelsaufstand in den Jahren 1648-1653 zum Teil blutig niederschlagen ließ. Die Bewegung der so genannten Fronde, bestehend aus hohen Adeligen und Vertretern der Gerichtshöfe, hatte vergeblich versucht, dem Absolutismus Einhalt zu bieten Kabinettskriege Im Kabinett, dem engsten Beraterstab des Königs wurde versucht, Eroberungskriege durch Erbansprüche oder sonstige Gründe zu rechtfertigen. Dabei wurden diese oft weit hergeholten „Kriegsgründe“ von Hofhistorikern aufgestöbert; im Kabinett wurden die Kriege geplant. Hauptziel war, das teure stehende Heer möglichst effizient zu nützen. Fontainebleau Seit dem frühen 16. Jh. residierten die französischen Könige in Schloss Fontainebleau südlich von Paris, bis Ludwig XIV. seine Residenz nach Versailles verlegte. Später nutzte Napoleon als Kaiser der Franzosen Fontainebleau erneut als Residenz. Das Wirtschaftssystem des Merkantilismus Die große Prachtentfaltung des absolutistischen Hofstaates, aber auch die zahlreichen Kriege und der Beamtenapparat verschlangen gewaltige Sum- Manufakturen men an Geld. Um die Staatskassen zu füllen, entwarf der königliche Finanz- Ludwig XIV. gründete berater Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) das Wirtschaftssystem des Mer- zahlreiche staatliche 23 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) kantilismus, auch Colbertismus genannt. Hauptziel des Staates müsse es sein, seine Finanznot durch neue Einnahmequellen sowie eine effizientere Steuereintreibung abzuwenden. Der Staat solle zur Erreichung dieser Ziele massiv in die Wirtschaft des Landes eingreifen. Der Reichtum eines Landes wurde in dessen Besitz an Geld und Edelmetall gemessen; eine bessere Nutzung der eigenen Rohstoffreserven wurde angestrebt. Um eine aktive Handelsbilanz, d. h. mehr Exporte als Importe, zu erreichen, wurden zunächst die Importe durch hohe Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen eingedämmt. Innerhalb Frankreichs wurden hingegen alle Zollschranken beseitigt und gute Verkehrswege (Kanäle, Straßen) für den Handel errichtet. Rohstoffe, die in Frankreich nicht verfügbar waren, wurden aus den eigenen Kolonien billig beschafft. Im Mutterland selbst wurden vor allem teure Luxusgüter für den eigenen Bedarf, aber auch für den Export erzeugt. Um die Produktion so billig wie möglich zu halten, errichtete man Manufakturen. Um die Transportkosten zur und von der Manufaktur zu senken, wurde das Straßen- und Kanalnetz ausgebaut. Weitere Maßnahmen zur Verringerung der Produktionskosten waren die Heranziehung von billigen Arbeitskräften aus Waisen- und Arbeitshäusern, die Verringerung der Feiertage sowie das Niedrighalten der Preise für landwirtschaftliche Produkte. Bald jedoch zeigten sich die Grenzen des Merkantilismus: Als auch andere Staaten Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen erließen, um ihre eigene Wirtschaft vor zu vielen Importen zu schützen, konnte auch Frankreich keine größeren Exportumsätze mehr verzeichnen. Nur für kurze Zeit konnte der Export in die eigenen Kolonien über dieses Absatzproblem hinweghelfen. Im System des Merkantilismus hatte man zudem eine wichtige, nämlich die zahlenmäßig noch immer größte gesellschaftliche Gruppe vernachlässigt: die Bauern. Durch niedrige Agrarpreise profitierten sie nicht vom allgemeinen Wirtschaftsaufschwung. Viele Bauern zogen in die Städte, sodass die verbliebenen Bauern die wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren konnten: Hungersnöte unter den ärmeren Schichten waren die Folge. Als Ludwig XIV. starb, hinterließ er seinen Nachfolgern einen Staat, der praktisch bankrott war. Gewerbebetriebe, in denen in Handarbeit (lateinisch manu facere = händisch verrichten), aber in Arbeitsteilung Luxusgüter wie Porzellan, Seide und Teppiche hergestellt wurden. Im Gegensatz zu den Fabriken des 19. und 20. Jh. wurden aber noch keine Maschinen eingesetzt. Canal du Midi Der französische Architekt Riquet errichtete zwischen 1666 und 1681 einen etwa 241 km langen Kanal, der quer durch Südwestfrankreich das Mittelmeer mit dem Atlantik verband. Steigungen wurden mit insgesamt 64 Schleusen, Hügel durch Tunnels und Flüsse mit 55 Wasserbrücken überwunden. Entlang des Kanals wurden etwa 100000 Platanen gepflanzt. Arbeitsfragen zum Text: • Welche Faktoren führten dazu, dass die französischen Könige den Einfluss des Adels immer mehr zurückdrängen konnten? • Fasse die wichtigsten Charakteristika des absolutistischen Herrschaftssystems zusammen! • Erkläre, wie im Wirtschaftssystem des Merkantilismus die Importe verringert und die Konkurrenzfähigkeit von Exportartikeln gesteigert werden sollten! Materialien Das Schloss Versailles – Inbegriff absolutistischer Prachtentfaltung Bis 1661 bestand im Sumpfgebiet von Versailles gerade ein kleines Jagdschloss König Ludwigs XIII., das zum Ausgangspunkt für den größten Palastbau Europas werden sollte. Ab 1661 beauftragte der junge König Ludwig XIV. zunächst den Baumeister Louis Le Vau, seit 1678 Jules Hardouin-Mansart, ein unerreichbares Schloss samt riesigem Garten zu errichten. 1678-1684 wurden die Prunk- und Wohnräume mitsamt dem berühmten Spiegelsaal fertiggestellt, 1710 die Hofkapelle. Die Bauarbeiten zogen sich auch noch durch das gesamte 18. Jh. hin und trieben Frankreich 1788 schließlich (mit) in den Staatsbankrott. Während der Französischen Revolution verfiel das unvollendete Schloss rasch, bis es der „Bürgerkönig“ Louis Philippe 1833/1837 zum Nationalmuseum machte. Schloss und Gartenanlagen sind heute als Weltkulturerbe durch die UNESCO geschützt. Besonderes Augenmerk verdienen auch die Gartenanlagen, die mitten im Sumpfgebiet errichtet wurden. Schon 1661 begann der Gartenarchitekt Le Nôtre mit der Planung und dem Bau von Entwässerungskanälen. Die Anlage sollte gleichsam den Absolutismus nicht nur gegenüber den Untertanen, 24 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) sondern auch gegenüber der Natur demonstrieren, ähnlich wie die französische Gartenarchitektur als Ganzes. Die Dimension der Gärten von Versailles wird ein wenig durch das zeitgenössische Gemälde von Pierre Patel (1668) sichtbar. Ebenso zeigt das Gemälde Details aus dem täglichen Hofzeremoniell: Im Vordergrund kommen zahlreiche Kutschen an bzw. verlassen das Schloss. Bild: Schloss Versailles bei Paris aus der Vogelperspektive (Gemälde von Pierre Patel, 1668, Museum des Schlosses Versailles) Arbeitsaufgaben: • Beschreibe das Gemälde von Versailles möglichst exakt und detailgetreu! • Welche Details des Bildes weisen auf das Repräsentationsbedürfnis des Absolutismus hin? • Welchen Eindruck vermitteln die Gärten im Hintergrund? Wie sah deiner Meinung nach das Verhältnis des Absolutismus zur Natur aus? Die Reglementierung des königlichen Privatlebens in Versailles Louis de Rouvroy Saint-Simon (1675-1755) gehört wohl zu den schonungslosesten Kritikern unter den am Hof zu Versailles angesiedelten Adeligen. Zwischen 1694 und 1752, also über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren, verfasste er Memoiren (wörtlich „Andenken“), die vor allem durch seine Augenzeugenschaft einen hohen Quellenwert besitzen. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf das Hofzeremoniell am Ende der Regierung Ludwigs XIV. Ein Teil der Memoiren wurde schließlich 1788, am Vorabend der Französischen Revolution, veröffentlicht, die Gesamtausgabe von 1829/1830 umfasst nicht weniger als 21 Bände. In seinen Erinnerungen berichtet er durchaus kritisch über das Hofzeremoniell, das mit dem Aufstehen („Lever“) begann. „Des Morgens weckt ihn [den König] der erste Kammerdiener zu der von ihm bestimmten Stunde und der Reihe nach treten fünf Gruppen von Leuten ein, um ihre Aufwartung zu machen. Zuweilen sind die geräumigen Wartesäle nicht genügend, die Menge der Höflinge zu fassen. Zuerst kommt die ‚vertrauliche Gruppe’, bestehend aus den königlichen Kindern, den Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt, dem ersten Arzt, dem ersten Chirurgen und anderen nützlichen Personen. Dann folgt die ‚große Gruppe’; dabei befinden sich der Großkämmerer, die Kammer-Edelleute ... und verschiedene Diener. 25 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Man gießt dem König aus einer vergoldeten Schale Franzbranntwein auf die Hände und reicht ihm den Weihwasserkessel; er bekreuzigt sich und betet. Dann erhebt er sich vor der ganzen Gesellschaft aus dem Bette, zieht die Pantoffeln und den ihm vom Großkämmerer und vom ersten KammerEdelmann gereichten Schlafrock an und setzt sich auf den Ankleidesessel. In diesem Augenblick wird die dritte Gruppe hereingelassen, die teils aus Günstlingen, teils aus einer Menge von Dienstleuten ... zusammengesetzt ist. Auch die Nachtstuhlinspektoren fehlen nicht. ... Im Moment, da man den König anzukleiden beginnt, nähert sich diesem ... der erste Kammer-Edelmann und nennt ihm die Namen der vor der Tür wartenden Edlen. Diese treten als vierte Gruppe ein, die zahlreicher ist als die vorhergehenden ... Der König wäscht sich die Hände und entkleidet sich allmählich. Zwei Pagen ziehen ihm die Pantoffeln aus; das Hemd wird vom rechten Ärmel vom Großmeister der Garderobe, beim linken vom Diener der Garderobe entfernt und einem anderen Garderobe-Beamten übergeben, während noch ein anderer Garderobe-Diener das frische Hemd ... herbeibringt, In diesem feierlichen Augenblick, dem Gipfelpunkt der Handlung, wird die fünfte Gruppe eingelassen, die alles umfasst, was bisher fehlte. ... Nach alldem erteilt jener [der König] Tagesbefehle.“ (aus den Memoiren von Louis Rouvroy de Saint-Simon, gekürzt; zitiert nach Rohlfes/Völker, Der frühmoderne Staat, S. 136) Arbeitsaufgaben: • Fasse das beschriebene Zeremoniell in seinen zahlreichen Schritten nochmals zusammen! Wie viele Bedienstete sind zum Ankleiden des Königs nötig? • Kannst du Anhaltspunkte finden, dass der Autor mit einer gewissen Kritik und Ironie auf dieses Zeremoniell blickte? Kunst und Religion im Dienste der Macht: Das Zeitalter des Barock in den habsburgischen Ländern Neuorientierung der Habsburger Durch den Westfälischen Frieden von 1648 änderte sich die Stellung der Habsburger: Die Kaiserwürde war nur noch ein Ehrentitel, denn seit 1648 durften alle Länder im Heiligen Römischen Reich Verträge aller Art mit ausländischen Mächten schließen, sofern sie sich nicht gegen das Reich richteten. Das Reich bestand somit aus etwa 360 weitgehend unabhängigen Staaten. Die Habsburger blieben aber durch ihre vielen Erblande dennoch sehr mächtig. Es gelang ihnen aber nie, in ihrem Herrschaftsgebiet eine derart absolutistische Macht zu entfalten wie die Bourbonen in Frankreich. Habsburger gegen Osmanen Die Kriege zwischen Habsburgern und Osmanen lassen sich nicht auf die beiden Belagerungen Wiens (1529 und 1683) sowie die Eroberungen der Habsburger in Ungarn nach der zweiten Belagerung beschränken. Seit sich das Osmanenreich nach der Schlacht von Mohács (1526) bis nach Ungarn ausgedehnt hatte und diese Gebietsgewinne ab 1541 durch die Eroberung Ofens (eines Teiles von Budapest) zusätzlich abgesichert hatten, war es zwischen den beiden Nachbarn immer wieder zu kriegerischen Handlungen gekommen: Nach einem Waffenstillstand im Jahr 1547 konnten die Habsburger die Osmanen nur durch hohe Tributzahlungen in Schach halten. Das Geld für diese „Türkensteuer“ holten sich die Habsburger durch Sonderbesteuerungen der eigenen Bevölkerung, doch erkauften sie die Steuereintreibung durch zahlreiche Zugeständnisse an der meist protestantischen Adel – einer der Gründe, warum die katholische Gegenreformation erst relativ spät in den Habsburgischen Ländern einsetzte. Zwischen 1593 und 1606 brach der Konflikt zwischen Habsburgern und Osmanen neuerlich im so genannten „Langen Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs II, (1576-1612) aus. Er konnte zwar die Vorherrschaft der Osmanen am Balkan und in Ungarn nicht schmälern, doch gelang es den Habsburgern im Frieden von Zsitvatorok (1606), die Tributzahlungen abzuschütteln. Die Habsburger kämpften in Ungarn aber nicht nur gegen die Osmanen, sondern auch gegen einen protestantischen Adelsaufstand unter dem Sieben26 Eine Seeschlacht gegen die Osmanen 1571 konnte eine katholisch orientierte „Heilige Liga“ unter dem Kommando Don Juans d’Austria einen entscheidenden Seesieg über die Osmanen bei Lepanto (vor der Westküste Griechenlands erringen); dadurch wurde die osmanische Vorherrschaft zur See im östlichen Mittelmeer gebrochen. Dieser Krieg zeigt aber auch auf, dass es nicht nur die Habsburger waren, die in Opposition zu den Osmanen standen, sondern vor allem auch die Venezianer, die ihre VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) bürger Fürsten Stefan Bocskai. Daraus leitet sich der in Österreich weit verbreitete Fluch „Kruzi Türken“ ab – von „Kuruzzen (die calvinistischprotestantischen Ungarn) und Türken (= Osmanen)“. Mitte des 17. Jh. kam es erneut zu Zusammenstößen im westungarischen Gebiet, etwa 1664 bei Mogersdorf und St. Gotthard an der Raab, wo die Habsburger unter ihrem Feldherrn Raimund Montecuccoli siegreich blieben; dennoch konnte dieser Sieg die erneute Offensive der Osmanen und zahlreiche Einfälle im Südosten des habsburgischen Herrschaftsgebietes (u.a. in der Steiermark) nicht zum Stoppen bringen. Im Jahr 1683 stießen sie erneut bis Wien vor und schlossen die Stadt ein. Nach zwei Monaten Belagerung brach in Wien eine Hungersnot aus. Doch rechtzeitig für die Wiener kamen zwei Heere zur Unterstützung: eine Armee aus dem Heiligen Römischen Reich und eine unter dem polnischen König Jan Sobieski. Vom Kahlenberg bei Wien aus wurden die osmanischen Truppen besiegt und in die Flucht geschlagen. Der Sieg der beiden Entsatzheere aus dem Reich und aus Polen bei Wien am 12. September 1683 war zwar in jedem Fall ein Wendepunkt, mit Sicherheit aber noch nicht eine militärische Vorentscheidung zugunsten der Habsburger. Bis zur endgültigen Eroberung des historischen Königreichs Ungarn (inkl. der heutigen Slowakei, des westlichen Rumänien und Kroatiens) dauerte es noch mehr als 15 Jahre, bis schließlich im Frieden von Karlowitz (1699) der militärische Status quo besiegelt wurde. Durch die Eroberung Ungarns gelangte Wien ins Zentrum des Habsburgerreichs und wurde in der Folge groß ausgebaut. 1716-1718 kam es erneut zu einem Krieg zwischen Habsburgern und Osmanen. Nach der Eroberung der stark befestigten Stadt Belgrad im Jahr 1717 durch Prinz Eugen fielen damals auch die Gebiete südlich von Belgrad an die Habsburger, sodass das Habsburgerreich damals seine größte Ausdehnung am Balkan erreichte; die Gebiete südlich von Belgrad gingen aber bald wieder verloren. An der Grenze des Habsburgerreiches wurde ein militärisch organisierter Bereich geschaffen, den bewaffnete Bauern (Wehrbauern) verteidigten. Dazu wurde nicht nur die ansässige kroatische Bevölkerung herangezogen, sondern auch Serben, die aus dem Osmanenreich flohen. Dadurch vermischten sich kroatisch-katholische und serbischorthodoxe Bevölkerung. Die Kriege Prinz Eugens zwischen 1716 und 1718 wurden aufgrund der militärisch spektakulären Einnahme der Festung Belgrad im Jahr 1717 bald zum Mythos, doch konnten die in diesem Krieg erworbenen Gebietsgewinne (Banat, Nordserbien und die Walachei) nur bis zum nächsten Krieg der Jahre 1737-1739 gehalten werden. Die Habsburger hatten dabei weitgehend erfolglos in einen russisch-osmanischen Krieg auf der Seite Russlands eingegriffen; allein das Banat (die Gegend um Temesvár-Timişoara im heutigen Rumänien) konnte gehalten werden. Der Streit um das spanische Erbe Seit der Teilung der habsburgischen Erblande im Jahr 1522 existierten sowohl eine österreichische als auch eine spanische Linie der Habsburger. Die spanische Linie starb im Jahr 1700 im Mannesstamm aus. Ihr letzter Vertreter, Karl II., galt als völlig unzurechnungsfähig, wohl eine Folge der zahlreichen Verwandtschaftsehen zwischen den beiden Habsburgerlinien. Um das Erbe brach zwischen Frankreich und den österreichischen Habsburgern der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) aus. Es ging dabei gleichzeitig auch um die Vorherrschaft in Europa. Auf der Seite der Habsburger führte erneut Prinz Eugen die Truppen an, unterstützt von England, Portugal, Preußen und den Niederlanden. Kaiser Leopold I. (1656/57-1705) plante, seinen älteren Sohn Joseph I. in den österreichischen Ländern und im Reich nachfolgen zu lassen. Der zweite Sohn, Karl, sollte in Spanien eine neue habsburgische Dynastie begründen. Nach dem Tod Leopolds 1705 wurden diese Pläne auch umgesetzt. Die Lage veränderte sich aber, als der noch junge Römisch-Deutsche Kaiser Joseph I. im Jahr 1711 unerwartet starb. Sein Bruder und Nachfolger Karl VI. (1711-1740) vereinigte damit nicht nur die Herrschaft im Reich und in den österreichischen Län27 Stützpunkte im östlichen Mittelmeer absichern und ausbauen wollten. Friedliche Kontakte Das Verhältnis zwischen Habsburgern und Osmanen war durchaus nicht nur von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt, sondern auch von einem kulturellen Austausch, der bei aller habsburgischer Propaganda gegen „das Vorrücken der Muslime ins Abendland“ häufig übersehen wird. Von den Osmanen übernahmen die mitteleuropäischen Länder beispielsweise die Militärmusik. Einzelpersonen wie der aus den spanischen Niederlanden stammende habsburgische Gesandte in Konstantinopel, Oghier Ghislain de Busbecq (1522-1592), trugen maßgeblich zum Kulturtransfer bei: Der leidenschaftliche Botaniker brachte etwa die Tulpe, den Flieder und den Jasmin nach Europa; das „Nationalsymbol der Niederlande“ stammt somit eigentlich aus dem Osmanenreich. Ob auch die Wiedereinführung der in Europa damals schon ausgestorbenen Rosskastanie auf ihn oder seinen Nachfolger in Konstantinopel, Baron Ungnad, zurückgeht, ist zwar nicht restlos geklärt, doch zeigt sich auch daran die Transferfunktion dieser Gesandten am Hof des Sultans in Konstantinopel. Spanischer Erbfolgekrieg Die Kämpfe fanden vor allem in Norditalien, in VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) dern, sondern auch die in Spanien und damit auch in den Spanischen Niederlanden (= Belgien) und in den Kolonien. England, das sich immer um ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa bemüht war, zog sich folglich aus den Kampfhandlungen heraus. In den Friedensschlüssen von Utrecht (Niederlande, 1713) und Rastatt (Deutschland, 1714) wurde das Königreich Spanien mitsamt den Kolonien in Übersee einer Nebenlinie der Bourbonen zugesprochen, doch durften sich die Bourbonen in Frankreich und in Spanien nicht gegenseitig beerben. Österreich erhielt die Spanischen Niederlande (das heutige Belgien) und die Lombardei (das Gebiet um Mailand). Kameralismus – die österreichische Variante des Merkantilismus Karl VI. war noch ein typischer Vertreter des Absolutismus. Er benötigte dafür größere Einnahmequellen und versuchte deshalb den französischen Merkantilismus an die österreichischen Verhältnisse anzupassen. Dieses Wirtschaftssystem wurde Kameralismus genannt; es wurde dabei vor allem versucht, die Wirtschaft durch staatliche Förderungen zu stärken. Karl VI. unterstützte die Gründung von Handelskompanien, die für den Überseehandel zuständig waren. Diese Handelsgesellschaften mussten aber auf Druck der westlichen Seemächte (England, Frankreich, Königreich Niederlande) bald wieder geschlossen werden. Zudem wurden in Österreich von staatlicher Seite Seiden-, Porzellan- und Textilmanufakturen gegründet, in denen besonders Luxuswaren produziert wurden, um teure Importe zu vermeiden. Auch die berühmte Augarten-Porzellan-Manufaktur in Wien geht auf diese Zeit zurück. In Vorarlberg versuchte man sogar Seidenraupen zu züchten. Pietas Austriaca – „Österreichische Frömmigkeit“ im Dienste der Macht Neben den zahlreichen Kriegen gingen im 17. und 18. Jh. in den habsburgischen Ländern auch viele Seuchen um; mehrmals brach die Pest aus, bei der bis zu einem Drittel der Bevölkerung umkam. Die Kirche schlug aus der Angst vor dem Tod das meiste Kapital: Zahlreiche Menschen, allen voran das Kaiserhaus, gelobten den Bau von Pestsäulen und Kirchen; Wallfahrten, etwa nach Mariazell, hatten Hochkonjunktur. In der Barockkultur kam die überschwängliche Freude über die Besiegung der Osmanen und die Überwindung der Pest zum Ausdruck. Ganz besonders aber ging es auch um die eigene Repräsentation, egal ob das Kaiserhaus, Adelige oder die katholische Kirche die Auftraggeber waren: Kirchen und Klöster wurden unter oft gewaltigem Aufwand neu erbaut, ebenso herrschaftliche Schlösser. Führender Baumeister und Architekt des österreichischen Barock war Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723), auf den die Karlskirche in Wien, mehrere Adelspalais sowie der Prunksaal der Nationalbibliothek zurückgehen. Weitere wichtige Barockbaumeister in Österreich waren Johann Lukas von Hildebrandt (Schloss Belvedere in Wien), Jakob Prandtauer (Stift Melk/NÖ) und Johann Michael Prunner (Dreifaltigkeitskirche Stadl-Paura). Deutschland und in den Niederlanden statt. Zumeist war die Koalition um Österreich siegreich. Spanische Bourbonen Bis heute regiert die spanische Linie der Bourbonen als Könige das Land. Eine Unterbrechung der Herrschaft gab es nur zwischen 1931 und 1975: zunächst wurde die Republik ausgerufen, nach einem blutigen Bürgerkrieg (1936-1939) führte General Franco eine rechtsgerichtete Diktatur ein. Nach seinem Tod sollte der Bourbonenprinz Juan Carlos die Diktatur weiterführen, doch dieser kehrte zur Königsherrschaft und Demokratie zurück. Barock: von portugiesisch barroco = unregelmäßige Perle. Kunststil des 17. und frühen 18. Jh., der sich vor allem durch Farbenpracht und Verspieltheit in der Form auszeichnet. Pestsäulen Kaiser Leopold I. gelobte die Errichtung der Wiener Pestsäule und ließ keine Gelegenheit ungenützt, sich als Vorbild für die katholischösterreichische Volksfrömmigkeit darstellen Die Sorge um den Fortbestand der Dynastie zu lassen, so auch beKarl VI. hatte die große Angst, dass sein Geschlecht wie in Spanien aus- tend vor der Wiener sterben könnte. Er versuchte daher, durch die so genannte „Pragmatische Pestsäule am Graben. Sanktion“ (1713) durchzusetzen, dass die österreichischen Erbländer unteilbar und auch weibliche Erben voll erbberechtigt seien. Er musste allerdings Karlskirche in Wien die Anerkennung durch Zugeständnisse an die anderen Mächte in Europa Die Karlskirche wurde teuer erkaufen. Tatsächlich hatte Karl keinen männlichen Erben: Die älteste an 1714 von Johann Tochter, Maria Theresia, sollte ihm in den habsburgischen Erbländern nach- Bernhard Fischer von folgen. Erlach erbaut. Sie ist Maria Theresia heiratete im Jahr 1736 Franz Stephan von Lothringen. Ge- Sinnbild des Triumphes gen seinen Anspruch auf das habsburgische Erbe und gegen seine geplan- der katholischen Frömte Wahl zum römisch-deutschen Kaiser erhob sich besonders Karl Albert migkeit der Habsburger (Albrecht) von Bayern, der mit einer Tochter Kaiser Josefs I. – und somit über die muslimischen einer Cousine Maria Theresias – verheiratet war. Mit Unterstützung Frank- Osmanen. Auf den bei28 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) reichs und Preußens begann Bayern einen Erbfolgekrieg um die habsburgischen Länder. Maria Theresia bemühte sich zunächst erfolgreich, die Herrschaft als Königin von Ungarn und Böhmen zu sichern. Nach einer kaiserlosen Zeit (1740-1742) wählten die Kurfürsten Karl Albert zum Kaiser (17421745). Damit wurde die rund 300 Jahre ununterbrochene Herrschaft der Habsburger als Kaiser im Heiligen Römischen Reich für kurze Zeit unterbrochen. Die Herrschaft Karl Alberts war jedoch nur von kurzer Dauer, weil er zulassen musste, dass die österreichischen Truppen große Teile Bayerns besetzten. Allerdings verloren die Habsburger die im Norden gelegene Provinz Schlesien an Preußen. Sie war wegen der großen Kohlevorkommen wirtschaftlich sehr wichtig. Im Jahr 1745 wurde Franz Stephan von Lothringen schließlich doch von den Kurfürsten zum römisch-deutschen Kaiser gewählt. den Säulen sind die Kriege Karls auf einem gewundenen Band dargestellt, ähnlich wie auf antiken Säulen für die römischen Kaiser Trajan und Mark Aurel in Rom. Arbeitsfragen zum Text: • Fasse die wichtigsten Auseinandersetzungen der Habsburger mit Osmanen und Franzosen zusammen! • Was versteht man unter der „Pietas Austriaca“ („Österreichischen Frömmigkeit“)? Materialien Habsburgische Gebietserweiterungen im 17. und frühen 18. Jh. Europa um 1740 Arbeitsaufgaben: Versuche anhand der Karte den habsburgischen Besitz um 1740 herauszuarbeiten: • Welche Gebiete kamen durch die Kriege gegen die Osmanen hinzu, welche durch den Spanischen Erbfolgekrieg? • Welche Gebiete gingen zwischen 1739 und 1742 verloren? 29 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Der Absolutismus in Brandenburg-Preußen und Russland Im 17. und 18. Jh. bildeten sich immer klarer fünf Großmächte in Europa heraus, die um die Vorherrschaft stritten, aber auch Interesse hatten, dass es bei einem Gleichgewicht der Kräfte blieb: Neben Frankreich, England und dem habsburgischen Imperium gewannen um 1700 vor allem BrandenburgPreußen und Russland an Macht: a) Brandenburg-Preußen Im 17. Jh. stiegen die Hohenzollern zur wichtigsten Dynastie neben den Habsburgern im Heiligen Römischen Reich auf. 1618 hatten die Hohenzollern zu ihrer Herrschaft im Kurfürstentum Brandenburg auch Ostpreußen durch Erbschaft erhalten, weiters Gebiete am Rhein. Der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm (1640-1688) baute gegen den Widerstand der Stände einen fürstlichen Beamtenapparat auf. Somit war vor allem die Finanzverwaltung den Ständen entzogen. In religionspolitischen Fragen nahm Friedrich Wilhelm eine tolerante Rolle ein: „In meinem Reich soll jeder nach seiner Façon glücklich werden!“, lautete seine Überzeugung. Mit Hilfe von niederländischen Einwanderern und von 20000 Hugenotten, die er in Brandenburg-Preußen nach ihrer Vertreibung aus Frankreich aufgenommen hatte (1685), verbesserte er die Landwirtschaft und erschloss neues Ackerland. Die eigene Wirtschaft wurde durch Einfuhrverbote geschützt. Mit dem gestiegenen Steueraufkommen wurde vor allem ein stehendes Heer aufgebaut. Der Nachfolger Friedrich Wilhelms, Friedrich III. (1688-1713), förderte die Künste und erbaute zahlreiche Schlösser, sodass der Staatshaushalt arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. 1701 krönte er sich selbst mit Zustimmung des Kaisers zum „König in Preußen“. Sein Sohn, König Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), herrschte zwar ebenso im Sinne des Absolutismus, doch kehrte er zu einer äußerst sparsamen Hofhaltung zurück. Unter großem Aufwand sorgte er sich um eine Stärkung des Heeres und führte den „preußischen Drill“ ein. Er begründete damit das Bild vom preußischen Militarismus. Die Ausprägung des Absolutismus in Brandenburg-Preußen weist einige markante Parallelen, aber auch gravierende Unterschiede zum Absolutismus in den habsburgischen Ländern auf. Wie die Habsburger konnten die Hohenzollern vom Kurfürstentum Brandenburg aus ihre Machtposition sowohl innerhalb (Besitztümer am Niederrhein) als auch außerhalb (Preußen) nach 1648 deutlich vergrößern. Mit der Königskrönung Friedrichs im Jahr 1701 rückten die Hohenzollern auch rangmäßig nahe an die Habsburger heran. Die wichtigsten Unterschiede betreffen vor allem den militärischen Bereich, wo der „preußische Drill und Militarismus“ für Jahrhunderte sprichwörtlich wurde, aber auch die Religionspolitik. Als erster Reichsfürst gewährte Kurfürst Friedrich Wilhelm weitgehende Religionsfreiheit und nahm Religionsflüchtlinge wie die Hugenotten aus Frankreich bereitwillig auf, um sie im Rahmen des Landesaufbaus gezielt einzusetzen. Bis heute sind diese französischen Einwanderer im Osten Deutschlands auch namentlich fassbar, man denke nur an den letzten Staatskanzler der DDR, Lothar de Mezière. Die Habsburger verfolgten in den innerhalb des Reiches liegenden Erblanden eine konsequent katholische Politik, in der Toleranz das System der „Pietas Austriaca“ unterlaufen hätte. Hingegen war man bei der Ansiedelung von Protestanten in den neu eroberten Gebieten im Südosten durchaus toleranter. Aus den diversen (erzwungenen) Aussiedelungen von Protestanten aus den habsburgischen Ländern rühren die deutschsprachigen Sprachinseln in der heutigen Slowakei (Region um Zips) als auch in Siebenbürgen her. b) Russland In Russland regierte die Dynastie der Romanow als Zaren (1614-1762). Wirtschaftlich hinkte Russland weit hinter Europa nach. Erst unter der Herrschaft Peters I. des Großen (1689-1725) erfolgte eine militärische Ausdehnung und gleichzeitige Öffnung nach Westen. Durch einen klaren Sieg im Nordischen Krieg (1700-1721) gegen Schweden übernahmen die Russen die Vormachtstellung im Ostseeraum. Peter bewunderte besonders den straff organisierten absolutistischen Staat Preußen. Er holte zahlreiche deutsche und andere westliche Berater ins Land und versuchte nicht ohne Gewalt, Russland zu europäisieren. Als neue Hauptstadt und als Tor zum Westen wurde 1703 St. Petersburg gegründet; das sumpfige Küstenland musste für die Errichtung der Stadt und die zahlreichen Paläste in der Umgebung erst kunstvoll trocken gelegt werden. Schrittweise erfolgte auch die Erschließung und Eroberung Sibiriens. Der Absolutismus in Russland hat andere Wurzeln als in Europa. Dennoch umgab die Öffnung nach Westen unter Zar Peter I. („dem Großen“) diesen russischen Absolutismus mit barock-europäischem Gewand: Die Idee für eine neue Hauptstadt St. Petersburg wurde von preußischen Beratern mitgetragen. Zunächst dominierte bei den frühen Barockbauten der deutsche bzw. niederländische Einfluss, bis man zwischen 1725 und 1760 unter dem Architekten Bartolomeo Francesco Rastrelli die Stadt im Stil des italienischen Spätbarock ausbaute. Die Schlösser in der Peripherie der Stadt (Peterhof, Puschkin, Pawlowsk) kommen wohl Versailles von allen europäischen Fürstenresidenzen am nächs30 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) ten. Der deutsche Einfluss im neuen Russland manifestiert sich bis heute auch in einer Vielzahl deutscher Fremdwörter im Russischen, von denen zahlreiche mit der barocken Kultur in Zusammenhang stehen: Landschaft oder Maßstab wurden deckungsgleich ins Russische übernommen – Spiegelbilder der damals aufkommenden Landvermessung; Friseur heißt bis heute auf Russisch „Parikmacher“, also Perückenmacher, ganz im Sinne der barocken Mode. Arbeitsaufgaben: • Vergleiche die Informationen des Kurztextes über Preußen mit der Karte: Welche Parallelen zwischen Österreich und Brandenburg-Preußen ergeben sich, was die Ausdehnung ihrer Territorien betrifft? • Welche Parallelen und welche Unterschiede kannst du zwischen den absolutistischen Regimes in Frankreich. Österreich, Preußen und Russland erkennen? Der englische Sonderweg: Die Entwicklung des Parlamentarismus Der Kampf in England zwischen König und Parlament In England war die enge Verbindung von Staat und Kirche seit der Gründung der anglikanischen Kirche vorgegeben, weil der König bzw. die Königin ihr Oberhaupt war. Unter Königin Elisabeth I. (1558-1603) setzte sich schließlich der Anglikanismus endgültig durch, nachdem Elisabeth ihre härteste Widersacherin, die katholische Königin Maria Stuart von Schottland, hatte hinrichten lassen. Die Nachkommen Maria Stuarts, die nach dem Tod Elisabeths als Könige von England und Schottland an die Macht kamen, waren bereits zum Anglikanismus übergetreten. Die Stuart-Könige versuchten zwar, eine absolutistische Herrschaft nach dem Vorbild Frankreichs zu errichten, scheiterten aber am Widerstand des englischen Parlaments, das schon seit 1215 durch die „Magna Charta libertatum“ (Große Urkunde der Freiheiten) mit schriftlich festgelegten Rechten ausgestattet war. Die Gesellschaft in England war mehrfach zerrissen: Königstreue standen Parlamentstreuen gegenüber; zwischen Anhängern der anglikanischen Staatskirche, calvinistischen Puritanern und Katholiken kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Eine Republik von religiösen Fanatikern Nach einem Bürgerkrieg zwischen Königstreuen und Parlamentstreuen (1642-1648) setzte sich schließlich das Parlamentsheer unter der Führung von Oliver Cromwell durch. 1649 schaffte Cromwell die Monarchie ab, ließ König Karl I. hinrichten und errichtete eine Republik, den so genannten Commonwealth (= Gemeinwohl). Beeinflusst von puritanischen Fanatikern ging Cromwell vor allem gegen die Katholiken im englisch beherrschten Irland vor. Er ließ zwar anfangs noch ein Rumpfparlament zu, errichtete jedoch 1653 unter dem Titel eines Lordprotektors eine blutige Militärdiktatur. Nach dem Tod Cromwells (1658) fand sich kein geeigneter Nachfolger, sodass schließlich wieder die Monarchie eingeführt wurde. Die Wiedereinführung der Monarchie König Karl II. (1660-1685), der am Hofe Ludwigs XIV. von Frankreich im Sinne des Absolutismus erzogen worden war, verhalf der anglikanischen Kirche wieder zur Vorherrschaft; die Puritaner wurden verfolgt. Seine Versuche, absolutistisch zu regieren und auch den Katholizismus wieder öffentlich zuzulassen, scheiterten am Widerstand des Parlaments. Im Jahr 1679 musste er der Habeas-Corpus-Akte zustimmen, in der die persönliche Freiheit jedes Einzelnen gesichert und Schutz vor willkürlicher Verhaftung zugestanden wurde. Als Karls Nachfolger Jakob II. (1685-1688) den katholischen Glauben und den Absolutismus in England wieder durchsetzen wollte, holte das Parlament den niederländischen König Wilhelm III. von Oranien ins Land. Jakob II. wurde 1688 in der so genannten „Glorreichen Revolution“ unblutig gestürzt und ins französische Exil geschickt. 1689 gestand Wilhelm in der Declaration of Rights dem Parlament Redefreiheit und das Recht auf 31 Parlament Seit dem 13. Jh. wurde in England der erweiterte Rat des Königs als Parliament (von französisch parler = sprechen) bezeichnet. Das englische Parlament besteht seitdem aus zwei Kammern, dem House of Lords, in dem Adelige kraft ihres Erbrechts vertreten sind, und dem House of Commons, in dem sich neben (gewählten) Adeligen auch Abgeordnete der Städte und Grafschaften befinden. Im Spätmittelalter wurde das Parliament immer mehr zum Kontrollorgan gegenüber dem König. König gegen Parlament Die Diskussion um Lord Stafford, der als „rechte Hand des Königs“ versucht hatte, die Kompetenzen des Parlaments zu beschneiden (1640/41), ist symptomatisch für die Gräben zwischen Königstreuen und Parlamentstreuen, die ab den 1630erJahren in England vorherrschten. Da zunächst eine Anklage gegen Lord Stafford auf Hochverrat nach den geltenden Gesetzen VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Steuerbewilligung zu. England war damit zu einer konstitutionellen Mo- ohne Erfolg blieb, schuf narchie geworden: Der Absolutismus war dem Parlamentarismus unterle- man ein eigenes neues gen. Gesetz, das eine Verurteilung ohne BeweiserDas Schicksal Irlands hebung möglich maIrland stand seit 1170 unter englischer Herrschaft. Im 16. Jh. waren die chen sollte. Die radikameisten Bewohner Irlands katholisch geblieben. Da die Katholiken die Ein- len Parlamentarier moführung der anglikanischen Staatskirche nicht anerkennen wollten, ging bilisierten die Londoner König Heinrich VIII. hart gegen sie vor. Seine Tochter Elisabeth I. intensi- Unterschichten zu Masvierte die Politik der „Plantations“ (Ansiedelungen): Anglikanische Siedler sendemonstrationen, aus England und calvinistisch-presbyterianische aus Schottland wurden vor damit der König dem allem im Nordosten Irlands (dem heutigen Nordirland) angesiedelt und er- Gesetz zustimme. hielten Land auf Kosten der katholischen Bevölkerungsmehrheit. Schließlich wurde Lord Unter dem Puritaner Oliver Cromwell kam es erneut zu zahlreichen Zerstö- Stafford zum Tod verurrungen gegen katholische Kirche und Klöster, doch auch dadurch wandte teilt. sich die Bevölkerung nicht vom katholischen Glauben ab. Als der letzte König aus dem Hause der Stuarts, Jakob II., nach der „Glorreichen Revolution“ Materialien zunächst Zuflucht bei seinen katholischen Getreuen in Irland suchte, kam es dort zu einem Bürgerkrieg, den die Truppen Wilhelms von Oranien schließ- Konstitutionelle Monarchie: lich gewannen. Eine Verfassung (Konstitution) regelt die Aufteilung der Macht zwischen König und Parlament. Arbeitsfragen zum Text: • Fasse die wichtigsten Stationen der Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament zusammen! • In welchen Auseinandersetzungen spielten dabei religiöse Konflikte eine Rolle? Materialien Absolutismus gegen Parlamentarismus Nach dem Tod seiner Mutter Maria Stuart in englischer Gefangenschaft (1587) bestieg Jakob I. zunächst den schottischen Königsthron. 1603 folgte er der englischen Königin Elisabeth nach und vereinigte damit die beiden Königreiche von England und Schottland, eine Personalunion, die bis heute besteht. Während seine Erziehung durch den schottischen Humanisten George Buchanan (1506-1582) noch calvinistisch geprägt war, wandte er sich von dessen Ideen vom Herrschaftsvertrag und vom Widerstandsrecht rasch ab und entwarf in der anonym erschienenen Abhandlung „True Law of Free Monarchies“ (Das wahre Recht der freien Monarchien) einen frühabsolutistischen Herrschaftsanspruch. Die Rechte des seit dem 13. Jh. bestehenden englischen Parlaments sollten auf ein Bitt- und Vorschlagsrecht bei Gesetzen eingeschränkt werden. Er selbst als König habe hingegen die Macht und das Recht, Statuten nach seinem eigenen Gutdünken zu erlassen. Interessant ist auch der Hinweis, dass es zuerst den König gegeben habe und dann erst die Stände der Gesellschaft mitsamt ihren Vertretern. „ ... Die Könige von Schottland waren schon da, bevor es Stände oder Rangabstufungen innerhalb derselben gab, bevor Parlamente gehalten oder Gesetze gemacht wurden. Sie verteilten das Land, das ursprünglich in seiner Gesamtheit ihnen gehörte, sie riefen Ständeversammlungen durch ihren Befehl ins Leben, sie entwarfen Regierungsformen und richteten sie ein. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dass die Könige Urheber und Schöpfer der Gesetze waren und nicht umgekehrt. ... Es entspricht diesen Fundamentalgesetzen, wenn wir Tag für Tag vor Augen sehen, wie im Parlament (das nichts anderes ist als der höchste Gerichtshof des Königs und seiner Vasallen) die Gesetze von den Untertanen lediglich beantragt, aber vom König allein, wenn auch auf ihre Bitte und mit ihrem Rat, gemacht werden. Der König erlässt auch täglich Statuten und Verordnungen mit 32 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Strafandrohungen ganz nach seinem Ermessen, ohne Beirat des Parlaments oder der Stände, aber kein Parlament hat die Macht, irgendein Gesetz oder Statut zu erlassen, ohne dass sein Szepter dabei mitwirkt und ihnen die bindende Kraft eines Gesetzes gibt. ... Und wie der König ganz offensichtlich oberster Herr des ganzen Landes ist, so ist er auch Herr über jede Person, die darin wohnt, und hat Gewalt über Leben und Tod einer jeden von ihnen. Zwar wird ein gerechter Herrscher keinem seiner Untertanen das Leben nehmen ohne eine klare Gesetzesbestimmung, aber dieselben Gesetze, kraft derer er es ihnen nimmt, hat er selbst oder haben seine Vorgänger erlassen, und so geht alle Gewalt jederzeit von ihm selber aus.“ (True Law of Free Monarchies, 1598, gekürzt; zitiert nach Dickmann, Geschichte in Quellen 3, S. 352) Aus der Declaration of Rights bzw. Bill of Rights Gut neunzig Jahre später und nach dem vielleicht turbulentesten Jahrhundert der englischen Geschichte stellte sich die rechtliche Basis für den König ganz anders dar. Nachdem der letzte StuartKönig Jakob II. 1688 vertrieben wurde (und sich für einige Zeit nur mehr im katholischen Irland behaupten konnte), holte man das niederländische Prinzenpaar Wilhelm III. und Maria II. von Oranien ins Land, allerdings unter der Bedingung, allein den Anglikanismus zu befolgen und die Rechte des Parlaments anzuerkennen. Die vom Parlament entworfene Declaration of Rights (13. Februar 1689, Erklärung der Rechte), die alle Grundrechte der englischen Bürger zusammenfasste, musste von Wilhelm und Maria vor der Wahl bestätigt werden und wurde als Bill of Rights zu einem der Grundgesetze der englischen Monarchie, das bis heute Gültigkeit besitzt. Die Bestimmungen der Declaration bzw. Bill of Rights richteten sich zum einen gegen den Absolutismus, andererseits auch gegen den Katholizismus (vgl. die Bestimmung, dass es allein Protestanten erlaubt ist, Waffen zu ihrer Verteidigung zu führen). Die Bill of Rights schuf somit die Grundlage für den Parlamentarismus in Großbritannien. „Die in Westminster versammelten geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, die gesetzmäßige, vollständige und freie Vertretung aller Stände des Volkes in diesem Königreich, legten am 13. Tag im Februar im Jahr unseres Herrn 1689 Ihren Majestäten ... Wilhelm und Maria, Prinz und Prinzessin von Oranien, eine geschriebene Erklärung vor, welche von oben angeführten Lords und Gemeinen in folgenden Worten ausgestellt wurde ...: Die angemaßte Befugnis, Gesetze oder die Ausführung von Gesetzen durch königliche Autorität ohne Zustimmung des Parlaments aufzuheben, ist gesetzwidrig. ... Steuern für die Krone oder zum Gebrauch der Krone ... ohne Erlaubnis des Parlaments für längere Zeit oder in anderer Weise, als erlaubt oder bewilligt wurde, zu erheben, ist gesetzwidrig. Es ist das Recht des Untertans dem König Bittschriften einzureichen und jede Untersuchungshaft sowie Verfolgung wegen solch einer Petition ist gesetzwidrig. Es ist gegen das Gesetz, es sei denn mit Zustimmung des Parlaments, eine stehende Armee im Königreich in Friedenszeiten aufzustellen oder zu halten. Den protestantischen Untertanen ist es erlaubt, Waffen zu ihrer Verteidigung gemäß ihrer Stellung und wie es das Gesetz gestattet zu führen. Die Wahl von Parlamentsmitgliedern soll frei sein. Die Freiheit der Rede und der Debatten und Verhandlungen im Parlament darf von keinem Gerichtshof oder sonstwie außerhalb des Parlaments angefochten oder in Frage gestellt werden. ... In vollem Vertrauen, dass seine Hoheit der Prinz von Oranien seine diesbezügliche Erklärung erfüllen und sie gegen Verletzung ihrer hiermit zugesicherten Rechte sowie gegen alle sonstigen Angriffe auf ihre Religion, Rechte und Freiheiten schützen wird, beschließen die in Westminster versammelten geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, dass Wilhelm und Maria ... König und Königin von England sein und als solche erklärt werden sollen ...“ (Declaration of Rights bzw. Bill of Rights, 13. Februar 1689, gekürzt; zitiert nach Dickmann, Geschichte in Quellen 3, S. 494 f.) Arbeitsfragen: • Fasse die Hauptinhalte der Positionen Jakobs I. zusammen! • Fasse die Bestimmungen zusammen, die als Bedingungen für den Herrschaftsantritt Wilhelms III. von Oranien vom englischen Parlament vorgelegt wurden! • Vergleiche beide Positionen: Was hat sich am Verhältnis zwischen König und Parlament im Laufe des 17. Jh. verändert? 33 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Die Aufklärung: Staatstheorie, Wissenschaft und Kultur Die Aufklärung Schon bald nach der Durchsetzung des Absolutismus entstand als Gegenbewegung die so genannte Aufklärung. Die Menschen sollten der Allgewalt von Staat und Kirche entzogen und bezüglich ihrer Rechte auf Gleichheit und Selbstbestimmung „aufgeklärt“ werden. Viele Wurzeln der Aufklärung gehen schon auf die Antike und den Humanismus zurück. Träger der Aufklärung waren zumeist gebildete Bürger. Staatstheorie Angelpunkt der Kritik am absolutistischen System war der Gesellschaftsvertrag, den Thomas Hobbes zur Rechtfertigung der fürstlichen Allmacht herangezogen hatte. Der Engländer John Locke (1632-1704) interpretierte den Gesellschaftsvertrag dahingehend, dass er im Falle von groben Fehlleistungen des Monarchen auch durch das Volk aufgekündigt werden könne. Der Herrscher müsse sich somit andauernd um das Wohl des Volkes kümmern, da er ansonsten seiner Funktion als „oberster Schiedsrichter“ der politischen Gemeinschaft (= des Volkes) nicht mehr nachkomme. Es sei zudem für die Kontrolle der Macht des Herrschers sinnvoll, Legislative und Exekutive zu trennen. Weiters betonte Locke die Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit von Person und Eigentum. Im 18. Jh. mehrten sich besonders in Frankreich die Vertreter der Aufklärung. Montesquieu (1689-1755) entwickelte in seinem Hauptwerk „Vom Geist der Gesetze“ (1748) die Lehre von der Gewaltenteilung, wonach Legislative, Exekutive und Jurisdiktion getrennt und voneinander unabhängig sein müssten, um Machtmissbrauch zu verhindern. Jean-Jacques Rousseau leitete aus dem Gesellschaftsvertrag ab, dass im Zweifelsfalle das letzte Wort, die Souveränität im Staat, beim Volk und nicht beim König liege. Die drei Gewalten im Staat: Legislative: gesetzgebende Gewalt Exekutive: ausführende Gewalt (Regierung und Verwaltung) Jurisdiktion: richterliche Gewalt Jean-Jacques Rousseau Rousseau (1712-1778) stammte aus Genf aus einer calvinistischen Familie und lebte seit 1742 zumeist in Paris. Neben seinen staatstheoretischen Schriften verfasste er auch Werke zur Musik. Kritik an der Religion Unter den Vertretern der Aufklärung finden sich auch mehrere, die massive Kritik nicht nur an der Kirche, sondern auch am christlichen Glauben übten. In Frankreich reichte das Spektrum der Gotteskritik von harscher Kritik an der Kirche und an der Glaubenspraxis bis hin zur völligen Leugnung eines Gottes: Julien Offray de Lamettrie (1709-1751) ging sogar so weit, im Menschen eine „Maschine“ zu sehen; alles geistige Leben des Menschen sei vom körperlichen abhängig und daher sei auch Gott eine Erfindung. Seine radikalen Positionen zwangen ihn, Frankreich zu verlassen und nach Preußen zu fliehen. Weiters forderten die Aufklärer religiöse Toleranz gegenüber Andersgläubigen und die Respektierung menschlicher Grundrechte, wie beispielsweise der Meinungsfreiheit. Der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire (1694-1778) trat gegen jede Form von religiösem Fanatismus ein. Das brachte ihn in Kontakt mit König Friedrich II. von Preußen, der um die Mitte des 18. Jh. der mit Abstand aufgeschlossenste Herrscher war, was die Gedanken der Aufklärung betraf. Die Forderung Voltaires nach religiöser Toleranz fand schließlich ihre Wirkung in den Toleranzpatenten von 1781/1782, durch die in Österreich die Protestanten, Griechisch-Orthodoxen und Juden ihre Religion frei ausüben durften. Johann Jakob Scheuchzer Das Interesse an der Natur Im 18. Jh. war es selbst Auch die Natur rückte während der Aufklärung immer mehr ins Zentrum des für aufgeklärte Gelehrte Interesses. Während im Zeitalter der Glaubensspaltung Naturkatastrophen wie Scheuchzer (1672zumeist als Strafe Gottes gedeutet wurden, begann man die Welt nun ratio- 1733) nicht denkbar, an nal, d. h. vernunftbezogen zu deuten: Privatpersonen beobachteten das der Rolle Gottes als Wetter und führten darüber Aufzeichnungen. Als im Jahr 1755 ein verhee- Schöpfer zu zweifeln. rendes Erdbeben die portugiesische Hauptstadt Lissabon völlig zerstörte, Ebenso konnte man bot dieses Ereignis gelehrten Kreisen für mehrere Jahre Stoff für Diskussio- sich Funde von ausge34 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) nen. Die ausführliche Berichterstattung in Zeitungen und Flugblättern machte das Erdbeben außerdem zum ersten gesamteuropäischen Medienereignis. Auch Naturwunder aller Art erregten damals großes Interesse und man suchte nach Erklärungen: So führte der Schweizer Gelehrte Johann Jakob Scheuchzer Fossilienfunde im Gestein und urgeschichtliche Knochenfunde auf die biblische Sintflut zurück. Zoologen und Botaniker versuchten die Natur bis ins letzte Detail in Klassen einzuteilen: das System des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (1707-1778) hat bis heute weitgehende Gültigkeit. storbenen Tierarten nur so erklären, dass diese bei der Sintflut umgekommen seien. Aufklärung und Pädagogik Die Aufklärung sah eine ihrer wesentlichen Aufgaben in der Belehrung des Volkes. Damit rückte auch die Pädagogik als eigene Wissenschaft in den Blickpunkt. Jean Jacques Rousseau und andere forderten vor allem eine bessere Schulbildung; die Forderung nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurde bald auch von den Regierenden aufgegriffen. Der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) versuchte die theoretischen Ansätze der Pädagogik in die Praxis umzusetzen: praktische „Anschauung“ sei höher einzuschätzen als das „Buchwissen“. Er gründete zu diesem Zweck ein Waisenhaus und eine Versuchsschule. Er ging wie andere Aufklärer davon aus, dass eine gute Erziehung die positiven Seiten in einem Menschen besser entfalten lasse. Pädagogik: griechisch „Anleitung der Knaben“; die Lehre von Bildung, Erziehung und Unterricht Wissenschaft im Dienste des Staates Gefördert von den Regierungen ihrer Zeit dehnten sich die Forschungen der Gelehrten auf immer neue Bereiche aus. So beschäftigte sich der deutsche Statistiker Johann Peter Süßmilch (1707-1767) erstmals mit Fragen des Bevölkerungswachstums. Der aus Udine stammende Mathematiker, Astronom und Landvermesser Johann Jakob von Marinoni gab in Wien den Anstoß zu einer flächendeckenden Kartierung der habsburgischen Länder. Er entwickelte dafür auch Methoden zur Landaufnahme in schwer zugänglichem Gelände. Es dauerte bis in die 1820er-Jahre, bis diese genauen Karten, der so genannte Kataster, für die gesamte Habsburgermonarchie fertiggestellt war. Blatt für Blatt wurde jeder Acker, jedes Haus mitsamt der Anzahl an Bewohnern und jede unbebaute Fläche eingetragen. Mit dieser Landaufnahme sollte ermittelt werden, wie viele Menschen in der Habsburgermonarchie lebten, wie hohe Steuern sie aufgrund ihres Besitzes leisten mussten und wie viele junge Männer im Falle eines Krieges zum Wehrdienst rekrutiert werden könnten. Auch in der Ökonomie (= Wirtschaftswissenschaft) kam es zu neues Ansätzen: Nachdem das System des Merkantilismus bald an seine Grenzen gestoßen war, entwickelte der Franzose François Quesnay das Wirtschaftssystem des Physiokratismus. Demnach gebe es einen natürlichen Wirtschaftskreislauf, der aus einer Kette von Tauschhandlungen zwischen den sozialen Klassen besteht. Die in der Landwirtschaft tätigen Menschen, die „produktive Klasse“, erwirtschaftet Güter, die von der „Klasse der Grundeigentümer“ in Umlauf gesetzt werden. Eine dritte Gruppe, die „unproduktive Klasse“ (Handwerker und Händler), konsumiert die Agrargüter. Die Produktion und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten solle daher durch staatliche Wirtschaftsreformen gefördert werden. Im Gegensatz zum Merkantilismus wurde im Physiokratismus somit vor allem die Rolle der Landwirtschaft für den Wohlstand eines Landes betont. Johann Jakob Marinoni Durch die Pionierleistungen Marinonis (16761755) wurde die österreichische Landvermesserkunst (Geodäsie) international führend. Für die Kartierung der habsburgischen Lande wählte man eine markante Linde unweit von Kremsmünster (OÖ); der Baum trug seitdem den Namen „Baum mitten in der Welt“. Die Encyclopédie Die beiden französischen Gelehrten Jean Le Rond d’Alembert und Denis Diderot gaben 1751-1772 gemeinsam die „Encyclopédie“ heraus, ein umfangreiches Lexikon, in dem alle naturwissenschaftlichen und philosophischen Errungenschaften der Aufklärung gesammelt Wissenschaft für das Volk Während die Naturwissenschafter des 16. und 17. Jh. ihre Kenntnisse nur waren. einer kleinen wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich machten, strebten die Forscher des 18. Jh. nach einer möglichst großen Breitenwirkung. Zum einen wurden die Bürger ermuntert, selbst zu forschen. Zum anderen verfassten zahlreiche Gelehrte auch allgemein verständliche Fassungen ihrer Abhandlungen; Voltaire und andere ließen wissenschaftliche und philosophische Inhalte in vereinfachter Form in ihre Briefe an Adelige und Bürger 35 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) einfließen. Auch gebildete Frauen gehörten zu den Empfängern solcher Briefe. Öffentliche Vorführungen von physikalischen und chemischen Versuchen wurden zu gern gesehenen Attraktionen im bürgerlichen Milieu. Auch wenn die Verbreitung von wissenschaftlichen Ergebnissen immer noch nur eine kleine gebildete Schicht von Bürgerinnen und Bürgern erreichte, so war dennoch der Anfang zu einer „Volksbildung“ gemacht. Arbeitsfragen zum Text: • Welche Ideen verfolgten die aufgeklärten Staatstheoretiker? Vergleiche diese mit den Theoretikern des Absolutismus! • In welchen Bereichen der Wissenschaft machte sich der Geist der Aufklärung ganz besonders bemerkbar? • Auf welche Weise waren die Gelehrten der Aufklärung im Dienste der damaligen Staaten tätig? Materialien Neue Ansätze in der Pädagogik Der deutsche Gelehrte August Ludwig Schlözer (1735-1809) richtete seine historischen Studien nicht nur an ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern er wollte damit „die Geschichtskunde unter den großen Haufen bringen“. Besonders die Erziehung und Bildung von Kindern spielt in seinen Werken eine große Rolle. Sein Ziel war es, die Kinder durch hohe Bildung zu selbstbewussten BürgerInnen zu erziehen. Erstes „Versuchsobjekt“ war dabei seine 1770 geborene Tochter Dorothea, die schon als Kind zahlreiche Fremdsprachen erlernte und mit 17 Jahren an der Universität Göttingen das Doktorat der Philosophie erwarb. Die Prüfung musste sie als Frau allerdings in einem Privathaus ablegen und auch ihre eigene Ernennung zur Doktorin (der ersten des deutschsprachigen Raumes) durfte sie nur durch ein Fenster von außen verfolgen. Die „Vorbereitung zu Weltgeschichte für Kinder“ verfasste August Ludwig Schlözer 1779 für Kinder ab zehn Jahren; sie sollten durch dieses Buch mit der Geschichte und den Gedanken der Aufklärung vertraut gemacht werden. „Es ist ein sonderbares Ding um den Menschen. Sein ganzer Unterschied vom Tiere besteht nicht darin, dass er Vernunft hat, sondern dass er Vernunft kriegen kann. Vernunft bringt kein Mensch mit auf die Welt. Ein neugeborenes Kind hat so wenig Vernunft als ein neu ausgekrochenes Hühnchen. Der Unterschied ist nur, dass das Hühnchen schlechterdings nie Vernunft kriegen kann; das Kind aber kann es, je nachdem mit ihm verfahren wird. Keine Nachtigall wird Philomelenmäßig8 singen, wenn sie es nicht von andern Nachtigallen hört und lernt. … Ebenso wird kein Mensch sprechen, weder Deutsch noch Französisch sprechen, wenn er es nicht von anderen hört und lernt; sonst gibt er keine anderen als tierische Töne von sich. Kein Kind wird auf zwei Beinen gehen, wird drei zählen können, wird vernünftig werden, wenn es nicht unter anderen bereits vernünftigen und also reden könnenden Geschöpfen aufwächst. … Erwachsene Leute also kultivieren die jungen, menschliche Eltern machen ihre Kinder menschlich. Die Kultur ist (in gutem Verstande) ansteckend, wie Pest und Pocken (in schlimmem). Sind die Alten klug, so werden es die Jungen; sind jene dumm, so bleiben es auch diese. Kann dann ein Kind stricken und spinnen lernen, wenn im ganzen Lande niemand ist, der stricken und spinnen kann? – Aber auch, sind die Alten Diebe und Räuber, so stehlen auch die Kinder und haben nichts Arges daraus. Und fressen jene gar Menschen, nun so werden die Kinder auch kleine Menschenfresser und haben nichts Arges daraus.“ (August Ludwig, Schlözer, Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, Teil 1, § 32, Göttingen 1779, gekürzt; zitiert nach Heese/Schoo, „Er heißt Adam und nicht Herr von Adam“, S. 63) Arbeitsaufgaben: • Welche Fähigkeit unterscheidet aus der Sicht des Autors die Menschen von den Tieren? 8 Philomele, die Tochter des athenischen Königs Pandion, wurde Zeugin einer Schandtat ihres Gatten Tereus, der ihr deswegen die Zunge herausschnitt, damit sie über das Gesehene nicht reden könne. Philomele wurde schließlich von den Göttern in eine Nachtigall verwandelt. Diese Verwandlungssage aus der griechischen Mythologie ist in den „Metamorphosen“ des Ovid überliefert, einem der wichtigsten Werke im Lateinunterricht. 36 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) Welchen Sinn hat aus der Sicht des Autors eine gute Erziehung und Vorbildwirkung seitens der Eltern für deren Kinder? Teilst du seine Meinung? • Die Encyclopédie Kaum ein anderes Werk versinnbildlicht den Geist der Aufklärung mehr als die unter der Leitung der französischen Schriftsteller und Philosophen Jean Le Rond d’Alembert (1717-1783) und Denis Diderot (1713-1784) herausgegebene „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ („Enzyklopädie oder wohlbegründetes Lexikon der Wissenschaften, der Künste und des Handwerks), das 1751-1772 in Paris erschien. Schon 1777/78 wurde die dritte Auflage des Monumentalwerks verlegt. Rasch wurde die „Encyclopédie“ als autoritative Sammlung all dessen angesehen, was unter Aufklärung zu verstehen sei: Zu den 22 Lexikonbänden erschienen in den Jahren 1762 bis 1777 insgesamt 13 Tafelbände mit Kupferstichen. Einen besonderen Stellenwert nehmen bei den in der Encyclopédie enthaltenen Abbildungen die technisch-mechanischen Errungenschaften der damaligen Zeit ein. Zudem sind in der Encyclopédie zahlreiche Artikel zu den Grundsätzen der Aufklärung publiziert.Neben naturwissenschaftlich-technischen Abschnitten (mit hervorragenden Kupferstichen zu alten Handwerken und damals moderner Technologie) sind auch die philosophischen und politischstaatstheoretischen Beiträge von großer Bedeutung, nicht zuletzt, wenn sie aus der Feder Diderots, Voltaires oder Rousseaus selbst stammten. Die „Encyclopédie“ wurde nicht nur für eine ganze Gattung an Nachschlagewerken namengebend, sondern fand auch zahlreiche Nachahmer in der Spätzeit der Aufklärung sowie im 19. Jh.: Parallel bzw. sogar etwas früher erschien im deutschsprachigen Raum Johann Heinrich Zedlers „Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste“ (1731-1754) in 64 Bänden; die „Ökonomisch-technische Enzyklopädie“ (1773-1858) von Johann Georg Krünitz umfasste gar 242 Bände und die „Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste“ (1818-1889) von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber brachte es immerhin auf 167 Bände. In der Anlage von Enzyklopädien spiegelt sich auch das in der Aufklärung populäre Streben nach universaler Gelehrtheit wider, wie es in Deutschland um 1800 Johann Wolfgang von Goethe oder Alexander von Humboldt verkörperten. Denis Diderot über das Verhältnis des Staates zu Religion und Aberglauben „Soll der Gesetzgeber die Religion als Haupttriebfeder in der Regierungsmaschine benutzen? ... Macht der Gesetzgeber aus der Religion eine Haupttriebfeder des Staates, so gibt er notwendiger Weise den Priestern ein allzu großes Ansehen und dadurch werden sie bald ehrgeizig. In den Ländern, in denen der Gesetzgeber sozusagen die Religion mit der Regierung verschmolzen hatte, hat 9 man gesehen, wie die Priester, nachdem sie Einfluss gewonnen hatten, den Despotismus förderten, um ihre eigene Autorität zu vermehren. Sobald diese Autorität fest begründet war, haben die Priester den Despotismus bedroht und ihm die Knechtung der Völker streitig gemacht. Schließlich wäre die Religion eine Triebfeder, deren Wirkungen der Gesetzgeber nicht immer voraussehen könnte und deren Beherrschung ihm nichts gewährleisten kann. Dies genügt wohl als Begründung dafür, dass er die hauptsächlichen Verfassungs- und Zivilgesetze und ihre Vollziehung unabhängig vom Kult und von den religiösen Dogmen10 macht; doch soll er die Religion achten und lieben und dafür sorgen, dass sie geliebt und geachtet wird. Nie darf der Gesetzgeber die Neigung der menschlichen Natur zum Aberglauben vergessen; er kann damit rechnen, dass es Aberglauben zu allen Zeiten und bei allen Völkern geben wird. Der Aberglaube wird sich sogar der wahren Religion immer beimischen. Die Kenntnisse und die Fortschritte der Vernunft sind die besten Mittel gegen die se Krankheit unserer Gattung; aber da sie bis zu einem gewissen Punkt unheilbar ist, verdient sie viel Nachsicht.“ (Denis Diderot, Encyclopédie, Bd. 9, Paris 1765; zitiert nach Diderot, Philosophische und politische Texte in der „Encyclopédie“, S. 218 f.). Arbeitsfragen: • Welche Gefahren ergeben sich nach Ansicht des Autors beim Zusammenspiel von Staat (Gesetzgeber) und Kirche? Wie steht der Autor allgemein zur Religion? • Welches Mittel schlägt der Autor zur Überwindung des Aberglaubens in der Bevölkerung vor? 9 Herrschaft eines Despoten (Gewaltherrschers). Feste Lehrmeinungen. 10 37 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) • Die „Encyclopédie“ betont vor allem die Technik und ihre Bedeutung. Suche Hinweise, dass auch in dieser staatstheoretischen Passage eine „technisierte“ Sichtweise der Welt durchklingt! Der ausgewählte Text von Diderot gibt eine der „Hauptpositionen“ der französischen Aufklärung zum Verhältnis von Staat und Religion wieder: Beide hätten zur Sicherung der Macht ein enges Bündnis eingegangen, wobei manchmal nicht ganz deutlich werde, ob der Staat die Kirche oder die Kirche den Staat mehr zum eigenen Vorteil ausnutze. Diderot spricht sich daher für eine Trennung von Kirche und Staat aus, gesteht aber der „wahren Religion“ durchaus ihren Nutzen und ihre Existenzberechtigung zu. Interessant ist auch seine Position zum „Aberglauben“, worunter neben dem Aberglauben im heutigen Sinn auch ganz allgemein die barocke Volksfrömmigkeit zu verstehen ist: Der Aberglaube sei wie eine Volkskrankheit, der man nur mit der Vernunft wirkungsvoll begegnen könne. Dies gilt etwa auch für die damals häufigen Diskussionen über Naturkatastrophen und Wetteranomalien: Waren dies einfach Launen der Natur, die man naturwissenschaftlich erklären, wenn auch manchmal nicht vorhersagen konnte – oder war es die Strafe Gottes für irgendein Vergehen? Bei diesen Auseinandersetzungen darf nicht vergessen werden, dass die Aufklärung im 18. Jh. nur eine gebildete Bürgerschicht, also eine kleine Minderheit der Bevölkerung erreichte, während der Großteil der Bevölkerung weiterhin dem „Aberglauben“ (im Sinne der aufgeklärten Gelehrten) verhaftet war. Schließlich kommt in der Textstelle auch die „technisierte“ Weltsicht der Aufklärung sprachlich zum Tragen. Der Staat (Diderot spricht immer neutral vom „Gesetzgeber“) sei eine Maschine, deren Haupttriebfeder in vielen Ländern die Kirche darstelle. Die ganze Natur, der ganze Kosmos laufe wie ein Uhrwerk nach einem inneren Plan. Bei radikalen Materialisten wie Lamettrie (La Mettrie) führte dies bis zu der Ansicht, dass der Mensch nichts anderes als eine Maschine sei („l’homme machine“), dessen geistige Fähigkeiten allein von den körperlichen ausgingen. „Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk!“ – Der aufgeklärte Absolutismus in Preußen und Österreich Aufgeklärter Absolutismus in Brandenburg-Preußen Das Königreich Preußen wurde in der ersten Hälfte des 18. Jh. weiterhin absolutistisch regiert; militärische Disziplin herrschte nicht nur in den Kasernen, sondern auch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Auch der neue König Friedrich II. (1740-1786) änderte daran nicht viel: Bei seiner Herrschaft schloss er jede Mitsprache des Adels oder der Bürger aus; seine Residenz Sanssouci („Ohne Sorge“) in Potsdam bei Berlin baute er ganz im Stil absolutistischer Fürsten zu einem Prunkschloss aus. Andererseits herrschte in Brandenburg-Preußen seit dem ausgehenden 17. Jh. eine weitgehende Religionsfreiheit. Damit war ein erster Anknüpfungspunkt an die Ideen der Aufklärung gefunden. Friedrich interessierte sich persönlich für die Aufklärung und stand sogar in einem regen Briefkontakt mit dem französischen Philosophen Voltaire. Unter dessen Einfluss führte Friedrich in Brandenburg-Preußen die allgemeine Schulpflicht ein, sorgte sich um Krankenhäuser und die tolerante Aufnahme Fremder. Bei aller absolutistischer Machtfülle wollte er der „erste Diener seines Staates“ sein. Somit verbanden sich in Friedrichs Herrschaft absolutistische und aufklärerische Züge. Diese Art der Regierung, bei der nur von oben gelenkte aufklärerische Maßnahmen geduldet wurden, bezeichnet man als „aufgeklärten Absolutismus“. Auch die Regierungsweise Maria Theresias (1740-1780) sowie ihrer Söhne Josef II. (1765/80-1790) und Leopold II. (1790-1792) war zugleich aufgeklärt und absolutistisch; ebenso folgte die russische Zarin Katharina II. (1762-1796) dem Beispiel Friedrichs. Der österreichisch-preußische Gegensatz Nach den Kriegen um die Nachfolge Kaiser Karls VI. im Heiligen Römischen Reich und in den habsburgischen Erbländern herrschte zwischen Österreich unter Maria Theresia und Brandenburg-Preußen unter Friedrich II. ein Spannungsverhältnis. Beide waren 1740 an die Macht gekommen und waren ursprünglich auch für eine gemeinsame Ehe bestimmt gewesen. Fried38 Königin Maria Theresia Häufig wird Maria Theresia als „Kaiserin“ bezeichnet, doch ist dies nicht korrekt. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches konnte nur ein Mann werden; die Gattin führte nicht den Kaisertitel – im Gegensatz zu dem seit 1804 bestehenden Kaisertum Österreich. Hingegen war Maria Theresia in den habsburgischen Erbländern Königin von Ungarn, Böhmen, etc. Der „stille“ Kaiser Im Jahr 1745 übernahm Maria Theresias Gatte Franz Stephan als Kaiser Franz I. die Herrschaft im Heiligen Römischen Reich. Er stand damit zwar rangmäßig VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) rich II. war für Maria Theresia in vielen innen- und außenpolitischen Bereichen sowohl Konkurrent als auch Vorbild: zum einen wollte die Habsburgerin die wichtige Provinz Schlesien zurückgewinnen, zum anderen ahmte sie immer mehr die Reformen Friedrichs nach. Nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges 1748 verbündete sich Österreich mit Frankreich. Auf der anderen Seite rückten BrandenburgPreußen und England näher zusammen; somit entstanden zwei große Machtblöcke in Europa. Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) versuchte Maria Theresia nochmals, Schlesien zurückzugewinnen. Friedrich II. konnte sich mit Mühe gegen die österreichischen Armeen behaupten, sodass schließlich Schlesien bei Brandenburg-Preußen blieb. England und Frankreich bekämpften sich auch in den Kolonien in Nordamerika; daher könnte man erstmals von einem „Weltkrieg“ sprechen. Frankreich verlor dabei alle seine Kolonien in Nordamerika (Louisiana, Québec) an England. über seiner Gattin, doch hatte Maria Theresia als Herrscherin in den habsburgischen Erbländern viel mehr reale Macht. An der Seite der stets aktiven Maria Theresia blieben seine Tätigkeiten eher unauffällig: Mit der Einführung des Maria-TheresienTalers schuf er eine Silbermünze, die in manchen Gegenden der Erde bis ins 20. Jh. als Zahlungsmittel diente. Als Förderer der Wissenschaften und der Künste rief er mehrere Sammlungen ins Leben: ein Naturalienkabinett (der Kern des Naturhistorischen Museums in Wien), ein physikalischastronomisches Kabinett und ein Münzkabinett. Einige Sammlungen machte er auch der Öffentlichkeit zugänglich: die Hofbibliothek (heute Nationalbibliothek) steht seit seiner Regierungszeit allen Gelehrten offen. Auch der 1752 gegründete Tiergarten Schönbrunn, der älteste öffentliche Tiergarten der Welt, geht auf Franz Stephan zurück. Maria Theresias Reformen im Inneren Nach den Niederlagen im Österreichischen Erbfolgekrieg wurde das habsburgische Heer von Grund auf modernisiert. Zur Ausbildung der Offiziere schuf Maria Theresia die Militärakademie in Wiener Neustadt. Während des Siebenjährigen Krieges war die österreichische Armee der preußischen immerhin schon ebenbürtig. Zur besseren Verwaltung der habsburgischen Erbländer wurden unter Maria Theresia mehrere Reformen durchgeführt. Bisher hatten alle Länder des Habsburgerreiches Verwaltungsstrukturen gehabt, die historisch gewachsen waren. Jetzt wurden diese vereinheitlicht: an die Stelle der einzelnen Länder trat ein einheitlicher, zentralistischer Staat. Im Steuerwesen wurde eine jeweils für zehn Jahre gültige Vorschreibung der Steuer eingeführt. Maria Theresia führte auch die allgemeine Steuerpflicht ein; bisher hatten Adelige und Geistliche keine Steuern zu bezahlen. Auch das Strafrecht änderte sich: So schaffte Maria Theresia unter dem Einfluss von Josef Freiherr von Sonnenfels 1776 die Folter ab; das Strafgesetz wurde vereinheitlicht. Nach preußischem Vorbild führte Maria Theresia die allgemeine Schulpflicht ein und sorgte sich um Sozial- und Gesundheitseinrichtungen: staatliche Spitäler, Armenhäuser und Gebärhäuser wurden errichtet. Im wirtschaftlichen Bereich unterschied sich Österreich wenig von den übrigen Staaten: Schutzzölle wurden zur Förderung der eigenen Wirtschaft eingeführt, das Verkehrsnetz ausgebaut. Die Zünfte, die seit dem Mittelalter darüber wachten, dass nicht zu viel Konkurrenz innerhalb eines Handwerks aufkomme, verloren durch Verordnungen zahlreiche Kompetenzen. 1781, kurz nach dem Tod Maria Theresias, wurde im Sinne des Physiokratismus die Leibeigenschaft der Bauern abgeschafft, doch blieben die Bauern weiterhin von ihrem Grundherrn abhängig. Joseph Freiherr von Sonnenfels Gebietserwerbungen Der zum Christentum Maria Theresia umgab sich mit mehreren einflussreichen Beratern, allen übergetretene Jude voran Kanzler Wenzel Graf Kaunitz, der für eine aktive Außenpolitik sorgte. Sonnenfels (1733-1817) Er war es auch, der das Bündnis mit Frankreich schloss. Bei der Teilung wurde zu einem der Polens im Jahr 1772 „erbeutete“ er Galizien und Lodomerien (das heutige wichtigsten Berater Südpolen) für die Habsburger. Am Ende der Regierungszeit Maria Theresi- Maria Theresias und as brach schließlich 1779 der Erbfolgekrieg um Bayern aus, der aber nach ihres Sohnes Joseph II. einigen Scharmützeln auf diplomatischem Weg beendet wurde. Österreich Durch das strenge Hoferwarb dabei das Innviertel. zeremoniell durfte er allerdings als Jude der Joseph II. – Reformen der Kirche durch den Staat Königin Maria Theresia Nach Franz Stephans Tod folgte dessen ältester Sohn, Joseph II., als Kai- nie persönlich begegser nach (1765-1790). Zwischen 1765 und 1780 regierten Maria Theresia nen. Jede Kommunikaals Herrscherin in den österreichischen Ländern und Joseph II. als Kaiser tion fand schriftlich oder bzw. Mitregent nebeneinander – oder manchmal auch gegeneinander. Jo- über Boten statt. seph II. war in einem deutlich größeren Ausmaß von den Ideen der Aufklärung beeinflusst und suchte nach radikalen Reformen. Dieser Gegensatz 39 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) wurde vor allem im religiösen Bereich spürbar. Noch ganz im Sinne ihrer Vorgänger gestattete Maria Theresia der Kirche großen Einfluss auf die Politik und auf das Alltagsleben der Menschen, aber sie wollte die Kirche ganz in den Dienst des Staates stellen: Alles was die Kirche tat, musste dem Staat nützlich sein. Den Juden gegenüber war Maria Theresia aus religiösen Gründen sehr intolerant. So wies sie im Jahr 1745 alle Juden aus Böhmen aus. Erst nach dem Tod seiner Mutter konnte Joseph II. radikale Reformen im religiösen Bereich durchführen. 1781 gestattete er im Toleranzpatent die freie Religionsausübung für Protestanten und Griechisch-Orthodoxe, ein Jahr später auch für die Juden. Unter Joseph II. musste sich die katholische Kirche dem Staat völlig unterordnen, kirchliche Reformen blieben dem Herrscher vorbehalten; man nennt diese Art der Kirchenpolitik Josephinismus. Von oben verordnete er eine Pfarreform: Überall sollte das Pfarrnetz verdichtet werden, jeder sollte nicht mehr als eine Wegstunde zu Fuß in die Kirche haben. Die Ausbildung der Priester sollte durch die Schaffung von Priesterseminaren verbessert werden. Auch die Diözesen, die Tätigkeitsbereiche eines Bischofs, wurden verkleinert, um sie besser verwalten zu können: Es entstanden die neuen Diözesen St. Pölten, Linz und Innsbruck. Andererseits hob Josef auch zahlreiche Klöster und Orden auf, die keine für den Staat nützlichen Arbeiten verrichteten; darunter fielen alle „beschaulichen“ Orden, die nicht im Sozialbereich tätig waren, und Klöster mit nur wenigen Mönchen. Wallfahrten, kirchlicher Pomp und aufwändige Begräbnisse wurden eingeschränkt. Dadurch geriet Joseph II. sowohl mit Papst Pius VI. als auch mit großen Teilen der Gläubigen in Konflikt. Viele der kirchlichen Reformen wurden daher unmittelbar nach Josefs Tod zurückgenommen. Kaiser Joseph II. Joseph II. strebte vor allem am Beginn seiner Regierungszeit nach Volksnähe. So reiste er inkognito durchs Land und half einmal einem Bauern sogar beim Pflügen Die Begebenheit, dass Joseph 1769 beim Dorf Slavikovice in Mähren einem Bauern den Pflug aus der Hand nahm, trug ihm schnell den Ruf eines „Volkskaisers“ ein. Arbeitsfragen zum Text: • In welchen Bereichen regierte Friedrich II. von Preußen als absolutistischer Herrscher, in welchen ließ er die Ideen der Aufklärung einfließen? • Welche innen- und außenpolitischen Herausforderungen hatte Maria Theresia zu meistern? Die Aufhebung von Klöstern durch Joseph II. Im Jahr 1782 begann Kaiser Joseph II. mit der Aufhebung all jener Klöster, die nicht in der Land- und Forstwirtschaft oder im sozialen Bereich tätig waren und damit dem Staat dienlich waren. Die durch die Aufhebung frei werdenden Vermögenswerte wurden dem so genannten Religionsfonds zugeteilt, der zur Finanzierung einer besseren Priesterausbildung und zur Gründung neuer Pfarrkirchen angelegt wurde. Die Maßnahmen stießen auf derart großen Protest des Papstes, dass dieser 1783 nach Österreich reiste; dieser „erste Papstbesuch“ in Österreich verlief für den Papst freilich erfolglos. „Seine … Majestät haben aus erheblichen Ursachen für gut befunden, alle Klöster nachstehender Orden in den Erbländern aufzuheben und mit den Personen und dem Vermögen dieser Personen Nachfolgendes zu verfügen: 1. befehlen Seine Majestät, dass von nun an alle Ordenshäuser … von männlichem Geschlecht der 11 12 Karthäuser , Kamaldulenser-Orden und die Eremiten [= Einsiedler] …, dann von weiblichem Ge13 14 schlechte die Karmeliterinnen , Kapuzinerinnen und Franziskanerinnen aufgehoben werden und das gemeinschaftliche Leben der darin befindlichen Personen in denselben aufhören solle. 2. … wird der Commissarius [= kaiserliche Beauftragte] die Schlüssel von allen Kassen, Kirchenschätzen, Archiven und Vorratshäusern verlangen, all jenes was nicht zum täglichen Gebrauch in der Kir11 Einsiedlerorden aus dem 11. Jh., bei dem die Mönche in Einzelhäusern (Kartausen) leben und einer strengen Schweigepflicht unterliegen. 12 kirchliche Reformbewegung aus dem 11. Jh., bei der die Mönche (und Nonnen) nach der Benediktregel, aber abgeschieden als Einsiedler lebten; benannt nach dem ersten Kloster in Camaldoli (Italien). 13 ursprünglich von Kreuzrittern im Hl. Land gegründeter Einsiedlerorden, benannt nach dem ersten Kloster am Berg Karmel. 14 Reformzweig des Franziskanerordens. 40 VO Europa III: Die Zeitalter der Glaubensspaltung, des Absolutismus und der Aufklärung (© Christian Rohr 2004-2009) che und dem Hause … notwendig ist, versiegeln, über das aber, was zur täglichen Notdurft unversiegelt gelassen wird, auf der Stelle ein Inventarium [= Verzeichnis] verfertigen. … 6. Ferner ist allen wohl verständlich zu eröffnen …: a) dass diejenigen, welche die Profession [= Ordensgelübde] noch nicht abgelegt haben, … binnen vier Wochen das Kloster verlassen sollen, wobei sie aber ihr … Eigentum und was sie in das Kloster mitgebracht haben, mitnehmen können … b) bleibt es allen Priestern oder in höheren Würden stehenden Geistlichen sowohl als Klosterfrauen frei, sich außer den k. k. Staaten [=Erbländern der Habsburgermonarchie] in fremde Klöster ihres Ordens zu begeben und zu emigrieren. … d) Eben also würde man derjenigen Absicht behilflich sein, welche den Weltpriesterstand … erwählen wollten … e) Jenen Ordensgeistlichen männlichen Geschlechts, welche nach ihren Ordensregeln Gott in stiller Ruhe und von allen Weltlichen abgesondert dienen wollen, steht zwar frei, ferner nach diesen ihren Ordensregeln ungestört fortzuleben, jedoch haben sie sich ein Kloster eines anderen Ordens zum zukünftigen Aufenthalt wählen. …“ (Aufhebungsdekret Kaiser Josephs II. vom 12. Jänner 1782, gekürzt; zitiert nach Gerhard Winner, Die Klosteraufhebungen in Niederösterreich und Wien, Wien/München 1967, S. 82-87) Arbeitsaufgabe: • Was sollte mit den Mönchen und Nonnen geschehen, die in den aufgehobenen Klöstern lebten? 41