Community Music meets Stadttheater

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Community Music meets Stadttheater
von Alicia de Bánffy-Hall, Lee Higgins und Thalia Kellmeyer
Community Music in Deutschland von Alicia de Bánffy-Hall
Obwohl Community Music Schnittmengen mit einigen Feldern wie der Musiktherapie, der Volksmusik, der
elementaren Musikpädagogik und der sozialen Arbeit bildet, gibt es keinen Bereich in Deutschland, der sich
rein mit Community Music beschäftigt. Es finden jedoch schon lange einzelne Entwicklungen und Aktivitäten
statt, die auch in Deutschland als Community Music bezeichnet werden könnten. Dazu gehören viele
Musikprojekte, die seit den 1970er Jahren im Feld der Soziokultur und der sozialen Arbeit (Hill 2013, 2016)
stattfinden (wie zum Beispiel der „Jam Truck“, ein mobiles Aufnahmestudio in einem Lkw, das in die
Stadtviertel fährt und Jugendlichen die Möglichkeit gibt, eigene Lieder zu schreiben und aufzunehmen). Aber
auch Projekte, die eher der Musiktherapie zugeordnet werden können, wie das „DrumPower“-Projekt des
Freien Musikzentrums München (Wölfl 2016), wo Musiktherapeuten in Grundschulklassen mithilfe von
musikalischer Improvisation Gewaltprävention und soziale Integration unterstützen. Die Arbeit der Deutschen
Kammerphilharmonie Bremen, die ihren Probenraum in der Gesamtschule Bremen-Ost hat und gleichzeitig
in Projekten eng mit der Schule und den Anwohnern des Stadtteils zusammenarbeitet, ist ebenso
Community Music. Gemeinsam mit der Schulführung, den Lehrern, Schülern und Bewohnern des
Stadtviertels werden seit einigen Jahren auf Augenhöhe gemeinsame Opern geschrieben und aufgeführt. In
den letzten Jahren haben in Deutschland vermehrt Entwicklungen im Bereich Community Music
stattgefunden. Das Feld ist dabei sich weiter zu etablieren, was durch die verschiedenen
Fortbildungsangebote und Studienangebote sichtbar wird. So gibt es zum Beispiel seit 2014 ein
Community-Music-Modul an der Hochschule München, seit 2017 befindet sich der erste
Community-Music-Masterstudiengang an der Professur für Musikpädagogik der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt im Aufbau. Das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und der Bezirk Oberbayern
fördern zudem seid 2016 den Community Music Salon, ein nachhaltiges Netzwerk und Fortbildungsangebot
für Community-Music-Akteure in München und Bayern (https://communitymusicmuenchen.com/).
Die Münchner Community-Music-Aktionsforschungsgruppe (bestehend aus Vertreterinnen und Vertreter von
Forschung, Kulturverwaltung und Praxis: der Hochschule München, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt
München, den Münchner Philharmonikern, dem Bezirk Oberbayern, dem Freien Musikzentrum, der Express
Brass Band und dem Munich Centre of Community Arts) hat sich seit 2013 intensiv mit dem Thema
Community Music auseinandergesetzt. Durch die Arbeit dieser Gruppe sind in München neben einer
internationalen Fachtagung in 2015 mit 150 Gästen, dem ersten deutschsprachigen Buch über Community
Music (Hill und de Bánffy-Hall 2017), dem Community Music Salon, einem regelmäßigen Fortbildungs- und
Netzwerktreffen für Akteure im Bereich Community Music, auch Community-Music-Projekte entstanden. Zum
Beispiel haben die Münchner Philharmoniker seit 2015 Community Music als festen Bestandteil in ihre
Education Arbeit integriert, eines ihrer kontinuierlich fortlaufenden Projekte ist das
Community-Music-Orchester, geleitet von Wolfgang Berg (Bratschist der Münchner Philharmoniker), Wolfi
Schlick und Marja Burchard (Musiker der Express Brass Band): jeder darf mitmachen, alle dürfen Lieder
mitbringen, es wird gemeinsam Musik gemacht, komponiert und aufgeführt.
Aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, beispielsweise ausgelöst durch die Flüchtlingskrise und die
demografische Entwicklung, fordern und verändern unsere Gesellschaft allgemein, stellen aber auch neue
Anforderungen an Institutionen und Pädagogen. Viele kulturelle Institutionen suchen deshalb nach Wegen,
sich der Stadtgesellschaft zu öffnen und weiterhin relevant zu bleiben. Es werden neue Rollen gesucht, bei
denen es nicht mehr nur um das Publikum von morgen geht, sondern um eine gesellschaftliche
Verantwortung und Verankerung, die über die Grenzen und das vertraute Terrain des Gebäudes und der
Kunstform hinausgeht. Partizipation, Inklusion, Zugang für alle, Bezug zum Kontext, kulturelle Vielfalt sind
Elemente, die den Arbeitsweisen von Community Music zugrunde liegen. Community Music bietet deshalb
das Handwerkszeug, um diese neuen Wege zu gehen. Das erklärt die große Resonanz, die der Ansatz
Community Music in den letzten Jahren in Deutschland, aber auch international erfahren hat. Die
Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise sind nur ein Beispiel dafür, wie sich unsere Gesellschaft
verändert und kulturelle Institutionen wie auch Musiker und Musikpädagogen sich neuen Herausforderungen
stellen müssen. Um dies zu schaffen, besteht in Deutschland verstärkt Ausbildungsbedarf in Bereichen der
Community Music (vor allem in Partizipation, Integration und Inklusion): zum Beispiel im Studium von
Musiklehrkräften (Grosse 2016), der Ausbildung von Chorleitern (Deutsche Chorjugend 2016), aber auch in
der alltäglichen Praxis des Laienmusizierens der Musikverbände (Musikverbund von Ober- und
Niederbayern 2016). Außerdem benötig es Menschen und Institutionen mit einer Portion Mut und Offenheit,
neue Wege zu gehen, so wie es Thalia Kellmeyer in ihrem Artikel über die Community Music am Theater
Freiburg darstellt. Community Music als international etablierter Ansatz kann genau hier eine große
Unterstützung sein.
Community Music – ein internationaler Überblick von Lee Higgins
Community Musicians beginnen ihre Arbeit mit der festen Absicht, Räume für inklusives und partizipierendes
Musikmachen zu schaffen. Oft kommt dieser Impuls von der Überzeugung, dass Musikmachen einen
fundamentalen Aspekt menschlichen Erlebens darstellt und dass es aus diesem Grund ein immanenter und
grundlegender Teil menschlicher Kultur und Gesellschaft ist – ein Gedanke, der sich auf der gleichen Linie
befindet wie die Arbeiten des Musikethnologen John Blacking (1973) und des Musiksoziologen Christopher
Small (1996). Vor diesem Hintergrund kann musikalischer Ausdruck als ein Schmelztiegel von sozialem
Wandel, kulturellem Kapital, Emanzipation und Ermächtigung betrachtet und genutzt werden. Daraus lässt
sich ableiten, dass Community Music ein interventionistischer Ansatz ist, der zwischen einem musikalischen
Facilitator und den involvierten Teilnehmern stattfindet.
Menschen, soziale Orte, Partizipation, Inklusion und Vielfalt sind fünf Schlüsselbegriffe, die hilfreich sind, um
die Intentionen von Community Musicians herauszustellen:
• Menschen: Musik machen zu können ist eine der Eigenschaften, die uns als Menschen auszeichnen.
Teilnehmern einen Platz als Ko-Autor und Ko-Produzierendem an der Seite von Community Musicians zu
geben, schafft den Ansporn, sich gemeinsam auf die Reise in Richtung transformativer musikalischer
Erfahrungen zu machen.
• Orte: Der sozialräumliche Kontext wird zum Dreh- und Angelpunkt für das Musikmachen, für Gespräche
und für ein kritisches Hinterfragen des sozialen Geschehens.
• Partizipation: Gelegenheiten für aktive musikalische Partizipation zu schaffen, bildet den Kern von
Community Music. Das heißt: Die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, suchen nach Wegen,
vorhandene Gelegenheiten in Richtung eines sinnstiftenden musikalischen Engagements zu erweitern.
• Vielfalt: Unterschiedlichkeit zu feiern, ist ein Wesensmerkmal von Community Music und nur in einer
sicheren, positiven und fürsorglichen Umgebung möglich, in der sich jeder entsprechend seiner Herkunft und
seinen Fähigkeiten entfalten kann.
• Inklusion: Community Music betont die Bedeutung des Umgangs mit Vielfalt, das Schaffen von
Verbindungen zwischen Menschen unterschiedlichster Art sowie das Verständnis ihrer verschiedenen
Themen und Biografien. Indem sie umfassende und nachhaltige Rahmenkonzepte für Interaktion fördern,
verfolgen Community Musicians das Ziel, engagierte Gemeinschaften und neue Wissenszusammenhänge
entstehen zu lassen.
Globale Perspektiven
Das Wachstum und die Entwicklung von Community Music – als eine Praxis, die sehr eng mit den
Umgebungen verbunden ist, in denen sie stattfindet – offenbart sich in unterschiedlichen Kontexten aus
unterschiedlichen Gründen. Zwar kann der Begriff „Community Music“ verschieden verstanden werden und
eine Vielzahl möglicher Kontexte und musikalischer Situationen umfassen (Veblen et al. 2013), wir legen hier
jedoch den Fokus auf Community Music als aktive Intervention zwischen einem Music Facilitator und den
Teilnehmern, mit denen dieser arbeitet (Higgins 2012b). Der Begriff Intervention – eine Art rücksichtsvolle
Störung – bezeichnet eine Begegnung mit „Neuem“. Es geht um eine Perspektive, aus der neue Ereignisse
die Gegenwart auf eine Weise mit Innovation und positiven Störungen konfrontieren, dass Momente von
Transformationen entstehen (Bhabha 1994). Intervenierende Handlungen dieser Art – wie zum Beispiel
Workshops anzuleiten, Diskussionen zu begleiten oder Gruppen bei ihren musikalischen Bemühungen zu
unterstützen – erfordern durchdachte Strategien, Menschen zu befähigen, mithilfe musikalischer Mittel eine
Form des Selbstausdrucks zu finden und angemessene Formen des sozialen Umgangs zu entwickeln.
Indem Community Musicians Lehrkonzepte nutzen, die ihre Wurzeln in der außerschulischen Bildung haben
(Rogers 2004) – wie zum Beispiel Facilitation (Hogan 2002) –, legen ihre pädagogischen Ansätze die
Betonung auf Aushandlung und Kooperation. Lernen findet so eher über den Bottom-up- als über den
Top-down-Ansatz statt. Die Menschen, die im Bereich Community Music arbeiten – beziehungsweise sich
für diese einsetzen –, haben ein Herz für Ko-Autorenschaft, kooperative Gruppenarbeit und eine
unumstößliche Überzeugung hinsichtlich des kreativen Potenzials von Gemeinschaften. Aus dieser Haltung
heraus werden Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte bezogen auf das Musikmachen transformiert, so
dass ein Lernen ohne Druck möglich ist und selbst das Komponieren zu einem egalitären Akt wird. Diese
Vorgehensweise hat zu einem kritischen Hinterfragen der Angemessenheit aktueller Musikpädagogik
geführt: Inwieweit kann diese mit ihren herkömmlichen Konzepten Inklusion, gemeinschaftliche
Verantwortung sowie Möglichkeiten für Kreativität und Vielfalt bieten? Inwieweit schafft sie die Motivation, ein
Leben lang Musik zu machen?
In Großbritannien ist der interventionistische Ansatz zu Community Music mit der Community Arts-Szene,
die in der Zeit der Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre ihre Blütezeit hatte, verknüpft (Higgins 2008).
Community Musicians hatten den Wunsch, Zugang zu Kunst und Kultur sowie Inklusion – sowohl in sozialen
als auch in musikkulturellen Kontexten – zu ermöglichen. Sie forderten damit die herkömmlichen Regeln des
Kunst- und Kulturbetriebs, die oft als repressive und hierarchische Normen bezeichnet wurden, heraus. Die
Aktivitäten von Community Music wuchsen entsprechend den Verschiebungen im Bereich Erziehung und
Bildung in der Regierungspolitik, wo Community Music zunehmend als Mittel zur Bewältigung des
Strukturwandels gesehen wurde; hinzu kamen die veränderten Erwartungen und Leistungsanforderungen
öffentlich finanzierter Organisationen im Bereich Kunst (Brown/Higham 2014; Rimmer 2014; Doeser 2014).
In den Vereinigten Staaten gibt es andere Förderstrukturen und Bildungssysteme, und das Interesse an
Community Music scheint sich über die Pädagogen, die von der Musikpädagogik in den Schulen und
Hochschulen frustriert sind, auszubreiten. Viele amerikanische Kritiker der vorherrschenden Musikpädagogik
sehen Community Music daher als ein Mittel, die für eine Weiterentwicklung wichtigen Schlüsselthemen zu
transportieren. Zu diesen gehören: lebenslanges und informelles Lernen, Musik als Freizeitbeschäftigung,
kulturelle Vielfalt als gesellschaftliche Realität und eine Musikpädagogik, die mit Popmusik arbeitet – all
diese Themen bergen eine Vielzahl von Chancen für Alternativen zum traditionellen, formalen Unterricht
(Abril 2014; Berberick 2014; Mantie 2013b; Mantie 2013a; Jones 2009; Bowman 2009). Ein weiteres Beispiel
ist die Entwicklung von Nordamerikas ersten Masterstudiengängen zu Community Music in Kanada. Zwar
bieten auch andere Institutionen in Nordamerika Module und Seminare zu Community Music an1, die Wilfrid
Laurier Universität in Ontario hat jedoch ein umsichtig gestaltetes, interdisziplinäres Teilzeitprogramm für die
Entwicklung von Führungskompetenzen im Bereich Community Music entwickelt, das die Balance zwischen
Theorie und Praxis schafft.2
In Oslo, Norwegen, hat das Zentrum für pädagogische Forschung im Bereich Musik der Norwegischen
Musikhochschule3 den Begriff Community Music mit in seine Mission aufgenommen (Johansen 2014).
Norwegen hat eine lange Geschichte der Community Music (Veblen 2008), und diese Entwicklungen sind
eng verflochten mit den Menschen, die Community Music-Therapie befürworten beziehungsweise in diesem
Bereich arbeiten, wie zum Beispiel Evan Ruud (2004) und Brynjulf Stige (2014).
In Deutschland fängt Community Music gerade erst an, eine gewisse Aufmerksamkeit zu erlangen – das
belegt die große Zahl von deutschen Teilnehmern an einer 2015 durchgeführten Konferenz4 sowie die
Entscheidung der Münchner Philharmoniker, ihre Bildungsarbeit zu erweitern und Community
Music-Initiativen zu initiieren.5 München ist derzeit ein zentraler Ort für diese Entwicklungen, wofür es eine
Reihe von Gründen gibt: Zunächst die Arbeit von Alicia de Bánffy-Hall als Community Musician und von
Burkhard Hill im Rahmen seiner Professur in der Sozialen Arbeit in München. Beide entwickelten eine
Sonderausgabe des International Journal of Community Music und initiierten dadurch einen
interdisziplinären Diskurs innerhalb der Bereiche Musik, Pädagogik und sozialer Arbeit in Richtung
Community Music. Ein wichtiger Impuls geht von de Bánffy-Halls Aktionsforschungsprojekt aus, das der
Entwicklung von Community Music in der Stadt München Aufmerksamkeit und Akzeptanz verschafft hat
(Härtel 2015).
Die Beispiele aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Norwegen, Großbritannien und Deutschland
repräsentieren einen Teil des aktuellen Interesses an Community Music in der ganzen Welt. Für viele
Beteiligte ist der Aufbau nachhaltiger Partnerschaften mithilfe von Kreativität, Zusammenarbeit und
Gemeinschaft das zentrale Element, um in einer „think globally, act locally“-Kultur zu agieren. Diese
Geisteshaltung ist elementar für die Musikpädagogen, die der Ansicht sind, dass Musikpädagogik Menschen
aller Altersstufen besser dienen könnte als bisher. Community Music ist sowohl als Idee als auch als Praxis
gut positioniert, um dabei zu helfen, einige dieser Ziele zu realisieren.6
1 Zum Beispiel, UMass Lowell, New York University und University of Washington. Es gibt außerdem einige Orte mit Community Music-Schulen,
wie zum Beispiel die University of Delaware, De Paul, und die Southeastern Louisiana University.
2 https://wlu.ca/programs/music/graduate/community-music-ma/index.html
3 http://nmh.no/en/research/centre_for_educational_research_in_music
4 http://munichcommunitymusicconference.blogspot.co.uk/
5 http://www.spielfeld-klassik.de/projekte/community-music.html
6 Dieser Artikel basiert auf folgendem Kapitel:Higgins, Lee (2017): „Community Music verstehen – Theorie und Praxis“. In: B. Hill & A. de
Banffy-Hall (Hrsg.): Community Music – Beiträge zur Theorie und Praxis aus internationaler und deutscher Perspektive (S. 45 - 61). Waxmann:
Münster.
Quelle: https://www.theaterderzeit.de/buch/heart_of_the_city_ii/extra/35379/komplett/
Abgerufen am: 22.08.2017
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