Musikermedizin

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Musikphysiologie und Musikermedizin 2001, 8. Jg., Nr. 2
67
Musikermedizin
Beeinträchtigungen des Instrumentalspiels durch Arzneimittelnebenwirkungen
M. Schuppert und F. Schuppert, Bad Oeynhausen
Zusammenfassung
Summary
Verschiedene
Arzneimittelnebenwirkungen
können zu Beeinträchtigungen beim Instrumentalspiel führen. Besonders wirken sich
medikamentenbedingte neurologische Symptome störend auf die sensomotorischen
Funktionen der oberen Extremität aus. Weiterhin können Hautreaktionen im Bereich der
Hände, Mundtrockenheit und Störungen des
Gehör- und Gleichgewichtssinnes für Instrumentalisten eine gravierende Behinderung
darstellen. Meist lassen sich diese Nebenwirkungen jedoch durch den Einsatz anderer,
vergleichbar wirksamer Präparate weitgehend
vermeiden. Bei der medikamentösen Behandlung von Musikern sollten daher die Auswirkungen möglicher unerwünschter Wirkungen
bedacht und gegebenenfalls eine individuell
abgestimmte Umstellung der Therapie vorgenommen werden.
A number of adverse drug reactions may lead
to impairments in musical instrument playing.
Particularly drug-induced neurological disorders can affect fine sensory-motor function of
the upper extremity. Furthermore, skin reactions, dry mouth as well as impairments of
cochlear and vestibular function may present
severe problems for the instrumentalist. Most
often, however, these reactions can be
minimized by prescribing different drugs, that
are comparably effective. Therefore, potential
side effects of medical therapy should be
considered when treating musicians and if
necessary, therapy should be modified
individually.
Schlüsselworte
Musiker - Instrumentalspiel - unerwünschte
Arzneimittelwirkungen - Nebenwirkungen
Key-Words
Musicians - musical instrument playing adverse drug reactions - side effects
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M. und F. Schuppert - Beeinträchtigungen durch Arzneimittelnebenwirkungen
Einführung
Beeinträchtigungen der instrumentaltechnischen Fähigkeiten sind oftmals durch Umstände bedingt oder mitbedingt, die in keinem
ursächlichen Zusammenhang mit dem Musizieren stehen. Am häufigsten sind dies
Verletzungen oder Überlastungen der am
Instrumentalspiel beteiligten Strukturen durch
„außermusikalische“ Tätigkeiten sowie zahnmedizinische und HNO-ärztliche Erkrankungen. Daneben können verschiedene internistische Störungen mit Funktionseinschränkungen
der Hände oder auch des Herz- Kreislaufsystems einhergehen und die manuellen bzw.
atemtechnischen und konditionellen Möglichkeiten des Musikers limitieren (18, 20).
Arzneimittelnebenwirkungen werden in ihrer
speziellen Bedeutung für Musiker nur selten
berichtet und wurden bislang nicht systematisch dargestellt, obwohl auch sie die Musikausübung gravierend beeinträchtigen können.
Ausführlich wurden in der musikermedizinischen Literatur lediglich problematische
Auswirkungen auf die Gesangsstimme beschrieben. Insbesondere können Sängerinnen
unter Einnahme verschiedener hormoneller
Kontrazeptiva starke, zuweilen bleibende
Stimmlagenveränderungen und Stimmstörungen erfahren (12, 17). Eine Reihe psychoaktiver Medikamente beeinflussen ebenfalls den
Vokaltrakt in einer für den professionellen
Sänger problematischen Weise, beispielsweise
durch Mundtrockenheit und Schwellung der
Nasenschleimhäute (16, 19).
Hoppmann zeigt in einer Übersicht Nebenwirkungen nichtsteroidaler anti-entzündlicher
Medikamente (NSAIDs, z.B. Aspirin®) auf,
welche die Musikausübung beeinträchtigen
(11). Sie werden zur Behandlung von entzündlichen Prozessen und Schmerzsyndromen
eingesetzt und können neben den bekannten
gastrointestinalen Störungen dosisabhängig
mit Schwindelerscheinungen, Tinnitus, vorübergehender Hörminderung oder Beschwerden
im Bereich der Bronchien (Bronchospasmen)
einhergehen. Weiterhin finden die unerwünschten Wirkungen von Antidepressiva
Erwähnung, die durch Mundtrockenheit,
Schwitzen und Tremor das Musizieren einschränken können (11).
Da eventuelle Nebenwirkungen im Alltag oder
bei anderen beruflichen Tätigkeiten unter
Umständen ohne nennenswerte Bedeutung
sein können, besteht eine gewisse Gefahr,
dass sie vom betroffenen Patienten oder Arzt
vorab nicht bedacht werden. Außerdem
können sich besonders die arzneimittelbedingten sensomotorischen Symptome klinisch
kaum von anderen Ursachen unterscheiden,
so dass sich die Differentialdiagnose schwierig
gestaltet und es ohne eingehende Medikamentenanamnese leicht zu Fehlinterpretationen der
Beschwerden kommen kann (8).
Der folgende Artikel soll eine Übersicht über
die speziell für Instrumentalmusiker relevanten
unerwünschten Arzneimittelwirkungen geben.
Die Gliederung erfolgt nach Symptomenkomplexen. Aufgrund der zahlreichen beim
Instrumentalspiel
zusammenwirkenden
Faktoren und der vielfältigen, zum Teil äußerst
seltenen Medikamentennebenwirkungen sowie
der Wechselwirkungen verschiedener Medikamente untereinander oder mit bestimmten
Grunderkrankungen kann eine solche Darstellung sicherlich nicht vollständig sein. Sie
beschränkt sich auf die häufigsten und für
Instrumentalisten wichtigsten Problemkreise.
Neurologische Symptome
Periphere Neuropathie
Die meisten medikamentenbedingten peripheren Neuropathien (funktionelle Störungen der
peripheren Nerven) sind gemischt sensomotorisch und verlaufen im allgemeinen subakut,
d.h. die Symptome treten innerhalb weniger
Wochen bis Monate nach Therapiebeginn auf.
Klinisch zeigt sich überwiegend eine Polyneuropathie, die durch eine symmetrische Ausprägung der Symptome mit bevorzugtem Befall
zunächst der Füße, später auch der oberen
Extremität mit Fingern und Händen gekennzeichnet ist. Die ersten Zeichen sind meist
sensorische Störungen in Form von Parästhesien (Missempfindungen, Kribbeln), Störungen
der Sensibilität, Einschlafgefühl, Brennen oder
Schmerzen,
später
können
motorische
Schäden hinzukommen (3, 8, 14). Es gibt eine
Reihe verantwortlicher Medikamente, wovon
hier nur die wichtigsten erwähnt werden sollen.
An erster Stelle wären die Zytostatika zu
nennen (Medikamente zur Chemotherapie bei
bösartigen Tumoren), wobei Vinca-Alkaloide
(Vincristin) am stärksten zu schädigen scheinen. Nach mehreren Behandlungszyklen treten
bei einem Großteil der Patienten Störungen
der Oberflächensensibilität und motorische
Symptome auf, die sich nach Absetzen des
Musikphysiologie und Musikermedizin 2001, 8. Jg., Nr. 2
Medikamentes im allgemeinen langsam
verbessern. Sogenannte Akro-Parästhesien,
d.h. Kribbeln und Einschlafen der Hände sind
zuweilen irreversibel (8, 21). Auch Cisplatin
kann zu einer anfangs meist rein sensorischen
peripheren Neuropathie führen, die sich unter
Umständen selbst nach Beendigung der
Behandlung noch verschlimmert (21). Hier
besteht ein zusätzliches Risiko für weibliche
Patienten und bei gleichzeitiger Behandlung
mit Vinca-Alkaloiden (21). Carboplatin bewirkt
ähnliche Symptome wie Cisplatin mit vermutlich synergistischer toxischer Wirkung, weshalb
sich ein Austausch dieser Arzneimittel bei
Auftreten einer Neuropathie verbietet (21).
Taxol kann bei Verwendung hoher Dosen
innerhalb eines Zyklus reversible sensomotorische Symptome verursachen. Unter αInterferon-Therapie treten nur vereinzelt
sensomotorische Störungen auf, die vermutlich
durch Vinca-Alkaloide verstärkt werden (21).
Des weiteren führt Isoniazid, ein TuberkuloseMedikament, zu einer Polyneuropathie, sofern
eine Dosis von mehr als 15mg pro Kg Körpergewicht / Tag verabreicht wird. Durch Gabe
von Pyridoxin (Vitamin B6) kann diesen
Nebenwirkungen vorgebeugt werden (3, 8, 14).
Nitrofurantoin, das zur Behandlung von
Harnwegsinfekten eingesetzt wird, geht
besonders bei gleichzeitig bestehender
Niereninsuffizienz mit einer ausgeprägten, zum
Teil irreversiblen Polyneuropathie einher (8,
14). Das Antibiotikum Metronidazol kann unter
langdauernder Therapie (z.B. bei der Behandlung eines Morbus Crohn) zu einer nur langsam oder inkomplett abklingenden sensorischen Neuropathie führen (3, 22).
Arzneimittelbedingte Neuropathien entwickeln
sich häufiger bei bestehenden Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, paraneoplastischen Syndromen (Erscheinungen im Rahmen
von Tumorerkrankungen), Vitaminmangelerkrankungen oder Alkoholismus. Grundsätzlich
stellen Arzneimittel nicht die häufigste Ursache
einer peripheren Neuropathie dar. Es sollten
zunächst die genannten Grunderkrankungen
ausgeschlossen werden, die jeweils auch per
se zu Neuropathien führen können (3).
Parkinson-Syndrom
Das Parkinson-Syndrom ist typischerweise
gekennzeichnet durch die sogenannte Trias
Rigor, Tremor und Akinesie. Diese tritt bei
degenerativen Erkrankungen der Basal-
69
ganglien auf, bestimmter Gehirnstrukturen, die
an der Steuerung von willkürlichen Bewegungen beteiligt sind. Der Rigor ist hierbei gekennzeichnet durch eine Zunahme des
Spannungszustands der Muskulatur mit
Widerstand gegen passive Bewegungen. Der
Tremor ist durch ein grobschlägiges, in Ruhe
auftretendes, distal (= körperfern, z.B. Hände)
betontes Zittern charakterisiert, welches bei
beabsichtigter Bewegung abnimmt oder
verschwindet. Die Akinesie zeigt sich in einer
verminderten
Mimik
(„Maskengesicht“),
Verringerung spontaner Bewegungen und
Fehlen der physiologischen Mitbewegungen
der Extremitäten.
Ein medikamentös bedingtes ParkinsonSyndrom wird am häufigsten durch sogenannte Neuroleptika (einschließlich Phenothiazine
und Butyrophenone) hervorgerufen, die über
die Blockade von Dopamin-Rezeptoren im
Gehirn wirken und u.a. zur Behandlung
verschiedener psychotischer Symptome und
bei psychomotorischer Erregtheit und Angst
eingesetzt werden (6, 8, 10). Bei einer Dauermedikation mit Neuroleptika kommt es,
unabhängig von der chemischen Grundstruktur, in circa 20 % zur Entwicklung eines
Parkinsonismus (6). Das Risiko steigt mit
zunehmender Dosierung und der neuroleptischen Potenz des Medikaments, sowie mit
höherem Lebensalter des Patienten. Auch
unter Langzeittherapie mit den Calciumantagonisten Flunarizin (zur Behandlung von
vestibulärem Schwindel) und Cinnerizin
(eingesetzt besonders bei cerebraler und
peripherer Mangeldurchblutung) wurde ein
Parkinsonismus beobachtet, ebenso wie unter
einigen trizyklischen Antidepressiva, dem
Fluoxetin
Serotoninwiederaufnahmehemmer
(z.B. bei Depressionen, chronischen Schmerzzuständen) sowie dem Antiemetikum Metoclopramid, das bei bestimmten Formen von
Übelkeit eingesetzt wird (6, 8, 14).
Im allgemeinen treten die Erscheinungen
innerhalb eines Monats nach Therapiebeginn,
nur in 10 % nach über dreimonatiger Therapie
auf. Klinisch ist der medikamentös bedingte
Parkinsonismus kaum vom idiopathischen
(selbständig, ohne erkennbare Ursache
entstandenen) Parkinson-Syndrom zu unterscheiden. Deffond beschreibt als einziges
verlässliches diagnostisches Zeichen der
medikamentösen
Parkinson-Form
eine
bukkofaziale Dyskinesie (motorische Fehlfunktionen im Gesichtsbereich), auch sollen die
Symptome eher symmetrisch ausgeprägt und
der Tremor weniger stark sein. In der Literatur
70
M. und F. Schuppert - Beeinträchtigungen durch Arzneimittelnebenwirkungen
wird dies allerdings kontrovers diskutiert (6, 8,
14).
Die Behandlung des medikamentösen Parkinson-Syndroms durch andere Arzneimittel wie
Anticholinergika ist wenig wirkungsvoll und
wiederum mit Nebenwirkungen verbunden. Die
beste Therapie scheint demnach eine Dosisreduzierung oder ein Absetzen des auslösenden
Medikamentes zu sein, wobei sich die Symptome jedoch nur langsam, über Monate hinweg
zurückbilden (6, 8).
Haltetremor
Verschiedene Arzneimittel können einen
Haltetremor verursachen, der meist als eine
Verstärkung des physiologischen („normalen“)
Tremors betrachtet wird (7, 8). Auslösende
Medikamente können sogenannte Sympathomimetika (z.B. zur Asthmabehandlung) und
Theophyllin sein, ebenso wie trizyklische
Antidepressiva, Valproinsäure (ein zur Epilepsiebehandlung eingesetztes Medikament) und
Lithium (zur Therapie der Manie und Vorbeugung manisch-depressiver Erkrankungen).
Thyroxin (Schilddrüsenhormonpräparat) löst
bei zu hoher Dosierung ebenfalls einen
feinschlägigen Tremor der Hände aus (8). Im
allgemeinen kann durch Umstellen der Therapie auf andere Arzneimittel mit vergleichbarer
Wirkung bzw. durch bessere Dosisanpassung
ein rasches Abklingen des beeinträchtigenden
Tremors erreicht werden (7).
Muskuläre Störungen
Arzneimittelbedingte Myopathien (muskuläre
Störungen) wie Muskelschwäche, Muskelschmerzen oder Krämpfe ähneln in ihrem
klinischen Bild anderen Muskelerkrankungen.
Überwiegend besteht eine proximale (stammnahe) symmetrische Muskelschwäche. Es
werden schmerzhafte und schmerzlose
Formen unterschieden, die wiederum mit oder
ohne Neuropathie einhergehen können (8, 13,
23).
Am häufigsten tritt die schmerzlose Verlaufsform ohne Neuropathie auf. Sie ist meist durch
längerdauernde Behandlung mit Kortikosteroiden verursacht, die prinzipiell alle zu dieser
unerwünschten Wirkung führen können.
Überwiegend sind jedoch die fluorierten
Kortikoide wie Triamcinolon, Betamethason
und Dexamethason verantwortlich. Diese Form
der Myopathie wird leicht übersehen, da sie oft
subklinisch verläuft und die Symptome eher
der mit den Kortikoiden behandelten Grunderkrankung des Patienten (z.B. Autoimmunerkrankungen, Polymyositis etc.) zugeschrieben
werden. In erster Linie ist die Bein- und
Beckengürtelmuskulatur, zuweilen aber auch
die obere Extremität von einer Muskelschwäche betroffen, wobei sich die Symptome
innerhalb von vier bis 32 Wochen nach
Therapiebeginn zeigen. Durch Absetzen des
Medikamentes kann im allgemeinen ein
komplettes Verschwinden der Myopathie
erreicht werden. Sollte dies aufgrund der
behandelten Grunderkrankung nicht möglich
sein, führt eine Verminderung der täglichen
Dosierung zu einem allmählichen Rückgang
der Symptome (13, 23).
Chloroquin dient nicht nur zur Prophylaxe und
Therapie der Malaria sondern auch als
Basistherapeutikum
bei
verschiedenen
entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen.
Unter langdauernder hochdosierter Therapie
(> 250 mg / Tag), welche gerade im Rahmen
dieser rheumatischen Erkrankungen eventuell
notwendig ist, kann es ebenfalls zu einer
reversiblen Myopathie kommen. Sie zeigt sich
besonders in einer für das Instrumentalspiel
störenden Schwäche der Schultergürtelmuskulatur und wird von einer Neuropathie begleitet
(13, 22).
Schmerzhafte Myopathien ohne Neuropathien
werden durch eine Reihe von Arzneimitteln
induziert. Hier wären besonders die Lipidsenker (Blutfette senkende Medikamente) zu
nennen, die zu einer strukturellen Schädigung
des Muskels führen können. So wurden unter
Therapie mit Fibraten Muskelschmerzen und
Schwäche der stammnahen Arm- und Beinmuskulatur beschrieben, die sich innerhalb
weniger Tage oder auch im Verlauf mehrerer
Jahre entwickelten. Patienten mit Niereninsuffizienz sind hierbei stärker gefährdet (13, 25).
Die recht häufig verschriebenen neueren
Statine
(HMG-CoA-Reduktase-Hemmer)
haben im allgemeinen eine gute Verträglichkeit, doch Myopathien mit erhöhten Kreatinkinase-Werten sind als Nebenwirkung bekannt,
wobei die Kombination von Statinen mit
Fibraten ein deutlich erhöhtes Risiko darstellt.
Häufige Kontrollen der Kreatinkinase werden
besonders in den ersten Wochen nach
Therapiebeginn empfohlen (13, 25). Die durch
Lipidsenker bedingte Myopathie bildet sich im
allgemeinen nach Absetzen der Medikamente
schnell zurück, selten muss der Heilungspro-
Musikphysiologie und Musikermedizin 2001, 8. Jg., Nr. 2
zess durch Steroide unterstützt werden (13).
Auch der H2-Rezeptorenblocker Cimetidin (zur
Verringerung der Magensäuresekretion, z.B.
Behandlung von Magen-Darm-Geschwüren)
kann mit vorübergehenden Gelenk- und
Muskelschmerzen einhergehen, ebenso wie
ACE-Hemmer, hierbei besonders Enalapril (zur
Behandlung von Bluthochdruck und Herzinsuffizienz) (13).
Schmerzhafte Myopathien und Neuropathie mit
typischer proximaler (stammnaher) Muskelschwäche können bei Hypokaliämie (erniedrigte Kaliumwerte) durch Diuretika, Laxantien,
Lakritze oder Alkohol auftreten. Ebenso
wurden unter dem Antiarrhythmikum Amiodaron proximale Muskelschwächen in Verbindung mit peripheren Neuropathien selbst bei
kurzdauernder Behandlung in normaler
Dosierung beobachtet (13, 15).
71
Hyperhidrosis
Eine Reihe von Wirkstoffen kann während der
Einnahme zu einer vermehrten Schweißabsonderung, einer sogenannten sekundären
Hyperhidrosis führen. Da typischerweise auch
die Handinnenflächen verstärkt schwitzen, wird
das Instrumentalspiel unter Umständen
empfindlich gestört. Als wichtigste Substanzen
wären Opioide (zentral wirksame Schmerzmittel) wie Buprenorphin (Temgesic®), Tramadol,
und Tilidin (z.B. Valoron®) zu nennen, seltener
auch Asthma-Mittel (Terbutalin), Calciumantagonisten (Nifedipin), Pyrazolone (Metamizol),
Aufputsch- und Schlankheitsmittel (Amphetamine, Ephedrin), systemische Kortikosteroide
und das Migräne-Mittel Sumatriptan (4, 24).
Mundtrockenheit
Hautreaktionen
Lichtdermatosen
Unter Einnahme bestimmter Medikamente
kann eine erhöhte Sonnenlichtempfindlichkeit
der Haut bestehen, die sich naturgemäß
besonders im belichteten Bereich, also im
Gesicht und am Handrücken zeigt, was für
Instrumentalisten äußerst beeinträchtigend
sein kann. Am häufigsten handelt es sich um
sogenannte phototoxische Reaktionen, bei
welchen Arzneimittel oder andere Substanzen
als Sensibilisator wirken und in Gegenwart von
Sonnenlicht frühzeitig eine entzündliche
Hautreaktion mit Rötung, Blasenbildung und
verstärkter
Pigmentierung
entsteht.
Verantwortliche Medikamente sind in erster
Tetrazykline
Sulfonamide
Linie
und
Phenothiazine,
(Antibiotika-Gruppen),
Amiodaron, Griseofulvin und Chinolone. Durch
Vermeiden des Sonnenlichts oder Absetzen
des Arzneimittels bessern sich die Hauterscheinungen, ggf. muß
symptomatisch
behandelt werden. (4). Im Unterschied zu
diesen
phototoxischen
Reaktionen,
die
jedermann in gleicher Weise treffen können,
treten die photoallergischen Reaktionen nur
selten, und zwar als Immunreaktion bei einer
bestehenden Kontaktallergie auf. Wichtige
Sulfonamide,
Photoallergene
sind
Sulfonylharnstoffe und Phenothiazine (4).
Mundtrockenheit ist eine Nebenwirkung
verschiedener Arzneimittelgruppen und stellt
für Sänger und Bläser ein gravierendes
Hindernis dar. Diese müssen Behandlungen
mit entsprechenden Medikamenten nicht
selten abbrechen, da die Speichelproduktion
zu stark reduziert sein kann. Überwiegend
sind Wirkstoffe mit anticholinerger (Teil)Wirkung verantwortlich. Besonders häufig wird
Mundtrockenheit induziert durch trizyklische
Antidepressiva,
selektive
Serotonin–
Wiederaufnahmehemmer,
verschiedene
andere Psychopharmaka, Antihistaminika (z.B.
zur Behandlung von Pollenallergien), BetaRezeptorenblocker sowie zentral wirksame
Analgetika (Schmerzmittel) (1, 2, 16). Die
Nebenwirkungen treten nur während der
Einnahme der Medikamente auf. Da sie
unterschiedlich stark ausgeprägt sind, kann
gegebenenfalls auf verwandte Substanzen
ausgewichen werden (1, 2).
Gehör- und Gleichgewichtsstörungen
Die Funktion des Gleichgewichts- und Hörorgans kann durch Arzneimittel eingeschränkt
werden, wobei der Schädigungsmechanismus
nicht einheitlich ist. Bereits durch einen
medikamentös bedingten Blutdruckabfall (z.B.
durch Beta-Rezeptorenblocker) oder eine
Hypoglykämie (Unterzuckerung) ist eine
72
M. und F. Schuppert - Beeinträchtigungen durch Arzneimittelnebenwirkungen
Störung des Gleichgewichts möglich (9). Es
kommt jedoch auch zu direkten vestibulären
(Gleichgewichts-) und cochleären (Gehör-)
Schädigungen. Sicherlich am risikoreichsten
sind die Aminoglykosid-Antibiotika (5, 9). Die
Halbwertszeit dieser Substanzen ist in den
Innenohrflüssigkeiten fünf bis sechs mal länger
als im Plasma, so daß sich in der Peri- und
Endolymphe des Innenohres rasch toxische
Konzentrationen entwickeln können. Unter
Umständen treten sogar bei Normdosierung
Funktionsstörungen auf. Bei eingeschränkter
Nierenfunktion sowie gleichzeitiger Einnahme
von Diuretika (entwässernde Medikamente)
oder Antimalariamitteln erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer zu großen Anreicherung
des Antibiotikums im Innenohr. Prinzipiell
können alle Aminoglykoside zu den genannten
Schäden führen, wobei Streptomycin und
Gentamycin überwiegend den Vestibularapparat schädigen, während Amikacin, Kanamycin
und Neomycin in erster Linie ototoxisch
(gehörschädigend) wirken. Tobramycin wirkt
auf beide Strukturen gleichermaßen toxisch (5,
9). Die Schäden durch Aminoglykoside sind oft
bleibend und resultieren aus der direkten
Zerstörung der Sinneszellen. Klinisch tritt als
erstes Symptom der Gehörschädigung häufig
ein Tinnitus auf, nach einigen Tagen gefolgt
von einer zunehmenden beidseitigen Hörminderung. Da diese zuerst nur die hohen Frequenzen betrifft, bleibt sie ohne audiometrische Untersuchung eventuell erst unentdeckt,
bis die mittleren Frequenzen ebenfalls eingeschränkt sind. Auch die Gleichgewichtsstörungen durch Aminoglykoside sind schwer
beeinflussbar,
sofern
das
schädigende
Medikament nicht bei den ersten Anzeichen
von Kopfschmerzen und/oder Schwindel
abgesetzt wurde (5, 9).
Eine vorübergehende Hörminderung und
Tinnitus wurde nach hohen Dosen von Acetylsalicylsäure (Aspirin®) beobachtet, die Sinneszellen bleiben jedoch unbeschädigt (9, 11).
Schleifendiuretika
Auch
(entwässernde
Medikamente) wie Furosemid und Etacrynsäure wirken ototoxisch. Sofern sie nicht mit
Aminoglykosiden kombiniert werden, bilden
sich die Störungen aber zurück. Weiterhin
können sogenannte alkylierende Zytostatika zu
bleibenden vestibulären und cochleären
Schäden führen (9).
Schlussbemerkung
Viele Arzneimittel können sich auf körperliche
Funktionen auswirken, die für ein Musizieren
auf professionellem Niveau essentiell sind. Es
muss jedoch betont werden, dass die beschriebenen Nebenwirkungen überwiegend
nicht häufig sind, bzw. im allgemeinen nicht auf
alle Präparate einer Wirkstoffgruppe zutreffen.
Musiker müssen daher entschieden davor
gewarnt
werden,
eventuell
medizinisch
notwendige Therapien aus Furcht vor Nebenwirkungen abzulehnen. Bei medikamentösen
Behandlungen, besonders bei Langzeittherapien und Zytostasen, sollten aber potentielle
unerwünschte Wirkungen individuell abgewogen werden und von Seiten des Arztes
gegebenenfalls auf andere Präparate zurückgegriffen werden.
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Adresse der Autoren:
Dr. med. Maria Schuppert
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Tel.: 05731 – 538933
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Prof. Dr. med. Frank Schuppert
Krankenhaus Bad Oeynhausen
Medizinische Klinik II
mit den Schwerpunkten
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