Buchbesprechung Buchbesprechungen ANLEITUNG ZUR ÜBER DIE MEDITATION LEERHEIT Eine Besonderheit des tibetischen Buddhismus in Anlehnung an große indische Meister wie Någårjuna und Candrakïrti ist die Darstellung der Weisheit. Danach reicht es nicht aus, den Geist von Gedanken frei zu machen, um sich vom Leiden zu befreien, sondern man muss in der Meditation eine Erkenntnis üben, die der Unwissenheit direkt entgegengesetzt ist: die Erkenntnis von Abhängigem Entstehen und Leerheit. S.H. der Dalai Lama erläutert in diesem Buch, wie diese Weisheit entwickelt wird. Systematisch und mit großer Klarheit erklärt er die einzelnen Schritte der Meditation: Anfangs macht man sich bewusst, wozu die Erkenntnis der Leerheit überhaupt benötigt wird: Wir erleben vielfältige Leiden und diese stehen in direktem Zusammenhang mit unserem Geist, insbesondere den Leid bringenden Emotionen. Der Autor leitet die Übenden an nachzuforschen, wie diese Emotionen aus getäuschten HERZENSVERBINDUNG ÜBER DEN TOD HINAUS In diesem sensiblen Buch der gut ausgebildeten Engländerin geht es um einfache Mittel, mit denen wir Kontakt zu unserem „Herzen“, d. h. unserem grundlegenden Gewahrsein, unserer Verbundenheit, zu Offenheit, Klarheit und „Feinfühligkeit“ aufnehmen. Immer wieder setzt sich die Autorin mit traditionellen Auffassungen und ihren eigenen Erfahrungen mit westlicher Skepsis auseinander und zeigt schlichte, einfache Wege auf, die ein tiefes Vertrauen im Leben wie im Tod fördern. In der Meditation oder im Traum können wir täglich erleben, wie jeder Gedanke ein Tor zu einer neuen Wahrnehmungswelt öffnet, die der Geist sich selbst schafft, und ihn mit dem Prozess von Leben und Tod vergleichen. Auch in unserer Kultur sind Herzensverbindungen zu anderen Menschen über den Tod hinaus bedeutsam, ohne dass wir dies logisch be- Bewusstseinszuständen hervorgehen. Dann geht es in medias res der buddhistischen Philosophie, das Verneinungsobjekt: Ohne zu verstehen, wie uns die Dinge normalerweise fälschlich erscheinen und was die Leerheit verneint, kann keine rechte Sichtweise entstehen. Der Hauptteil des Buches behandelt verschiedene Argumente für die Leerheit und wie man sie in der analytischen Meditation bedenkt: das Abhängige Entstehen, besonders auch die Abhängigkeit von der Benennung, die Beziehung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen sowie die Art und Weise, wie Dinge nicht aus sich selbst und nicht aus inhärent anderem entstehen. Zwar sind dies anspruchsvolle philosophische Überlegungen, aber man kann sich voll Vertrauen auf den versierten Autor stützen, der es versteht, die Zusammenhänge sehr anschaulich und mit einleuchtenden Beispielen darzulegen. Alle Erklärungen sind als Anleitung für die Meditation verfasst. Nach der Analyse fokussiert man sich in einer konzentrativen Meditation auf die ge- wonnene Schlussfolgerung. Auch hier gibt der Dalai Lama Hilfestellung und erläutert die Körperhaltung und den Umgang mit Hindernissen in der Meditation wie Erregung oder die Lethargie des Geistes. Am Ende eines jeden Abschnitts sind die wichtigen Punkte knapp zusammengefasst. Das sehr gelungene Buch trägt auch die Handschrift von Jeffrey Hopkins, dem langjährigen Übersetzer S.H. des Dalai Lama, der wie kaum ein anderer Übender im Westen tiefe Kenntnisse und Meditationserfahrung in diesen Themen besitzt. Für alle, die eine systematische Meditationsanleitung über die Leerheit suchen, ist dies eine qualifizierte und praxisnahe Einführung. Birgit Stratmann gründen könnten: Woher sonst das Bedürfnis, vor dem Tod mit allen Frieden zu schließen, oder das Bedürfnis, Blumen auf ein Grab zu legen? Dahinter steht das instinktive Gefühl, dass wir in einer tieferen Wirklichkeit verankert sind, in dem Herzensverbindungen bedeutsam bleiben. Hookham geht kurz auf die vielen Beschreibungen ein, die in Tibet über den Todes- und Nachtodprozess im Umlauf sind, warnt jedoch davor, das allzu wörtlich zu nehmen. Tibetische Meister sprechen von der Erfahrung eines „weißen Lichts“, von dem aus die Rückkehr ins Leben noch möglich ist. In späteren Todesphasen, wenn sich unsere Sicherheiten weiter auflösen und es kein Zurück mehr gibt, kann Panik auf uns zukommen, auf die wir gefasst sein sollten. Bereits der Begriff „Feinfühligkeit“, der unangenehme Erfahrungen mit einschließt, weißt auf Shenpens realistische Einschätzung unserer Erlebniswelt als gewöhnliche Menschen hin. Im Tibetischen gibt es hier keine wörtliche Ent- sprechung. Die Worte, die Hookham im Glossar angibt, weisen auf den verwirklichten Aspekt des Gewahrseins: dewa (Glückseligkeit), tukje (Mitgefühl), ma-gag (ungehindertes Spiel). Im Leben wie im Tod können wir jedoch mit einfachen Mitteln üben, auch Unangenehmes oder Verwirrung anzunehmen, in unserem Herzen zentriert zu bleiben und andere mit unserer Herzenswärme zu unterstützen. Ein nachdenkliches, leicht zu lesendes und gut fundiertes Buch, das Buddhisten wie Nicht-Buddhisten hilft, zu Essenziellem zu finden und mit unseren tieferen Seinsschichten Kontakt aufzunehmen. Cornelia Weishaar-Günter JEFFREY HOPKINS (HRSG.)/ DALAI LAMA: DAS LEBEN TIEFER VERSTEHEN. ERKENNE DICH SELBST UND LEBE GELASSENER. Herder Verlag 2007. 218 S., 19,90 E LAMA SHENPEN HOOKHAM: BEIM STERBEN GEHT ES UM MEHR TOD. INSPIRAWEISHEIT DES BUDDHISMUS. Theseus Verlag, Stuttgart 2007. 237 S., 22,95 E ALS DEN TION AUS DER Tibet und Buddhismus 1/08 51 Buchbesprechung SCHULUNG FÜR KÖRPER UND GEIST Ein Buch, das vom weit reichenden Studium der Autorin zeugt: Buddhistische Quellen werden ebenso herangezogen wie QiGong, Philosophie, Psychologie, Wissenschaft, Bioenergetik. Wer buddhistisches Tantra gewohnt ist, wird sich in der Fülle des Materials kaum zu Hause fühlen – zu weit sind wir von den originalen Unterweisungen entfernt, auch gelegentliche Fehler fallen auf: So stimmt es nicht, dass es im Tibetischen kein Wort für „subtile Energie“ gibt (tib.: shin-tu phra-ba i rlung). Dennoch bietet das Buch sehr viele wertvolle Anregungen und vor allem Übungen zur Entwicklung eines besseren Körpergefühls, Atemübungen, Übungen zur Verbindung unseres Seins mit anderen Wesen (darunter SEINE WORTE ACHTSAM WÄHLEN Worte besitzen Zauberkraft. Aus den Märchen unserer Kindheitstage wissen wir, dass ein mit Inbrunst gesprochenes „Simsalabim“ alles verwandeln konnte. Und tragen wir nicht bis heute diese stille Sehnsucht nach einem Zauberwort in uns? In ihrem ‚Handbuch für rechte Rede’ beschreibt Sylvia Wetzel in klarer und überhaupt nicht mystischer Weise, wie Worte in unserem Alltag Wunder bewirken können. Es gelingt ihr, das komplexe Thema Sprache in transparenter Struktur darzustellen, Gewohnheiten zu sortieren, Spielregeln und Fallen innerhalb unserer täglichen Kommunikation zu entlarven und die Macht der Worte so zu präsentieren, dass man sich selbst leicht WAHRHEIT ERFAHREN JENSEITS BEGRIFFLICHER KONZEPTE Gedün Chöpel, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amdo geboren, erfuhr seine Ausbildung in den Klosteruniver- 52 Tibet und Buddhismus 1/08 auch Pflanzen, die im buddhistischen Tantra traditionell keine Rolle spielen) und zum vernünftigen Umgang mit unseren Emotionen. Übungen zum Kleinen Energiekreislauf oder zum Inneren Lächeln haben taoistischen Ursprung, und auch die Ratschläge zur Sexualität entsprechen nicht den buddhistischen Tantras. So sehr man sich auch wünschen mag, die Sexualität schon jetzt in einen spirituellen Weg einzubinden – vor einer wirklich engagierten AnuttarayogatantraPraxis, die weit mehr beinhaltet, als in diesem Buch beschrieben, ist es sinnlos, Sexualität zu einem Ritus zu verklären. Dagegen können uns die Ratschläge zum Traumyoga anregen, unser Gefühl für die Möglichkeiten unseres Geistes zu bereichern. Das letzte Kapitel des Buches ist dem Sterben gewidmet. Es gibt einen kurzen, nicht leicht verständlichen, aber doch informativen Einblick in einige Aspekte des Themas, wie es in Tibet gelehrt wird. Die abschließende Geschichte lehrt uns: Wir erleben das, was unser Geist vorgibt, und die Schulung dieses Geistes in Verbindung mit Körper und Energie ist die lohnenswerteste Aufgabe des Menschen. Cornelia Weishaar-Günter und oftmals auch erheitert wiedererkennt. Lügen, leeres Geschwätz, Smalltalk, höfliche Floskeln gehören zu unserem Alltag, ohne dass wir es wirklich wahrnehmen. Wir machen Komplimente, um Vorteile zu erhaschen, tadeln jemanden, um ihn klein zu halten. Wichtig ist die Motivation, die hinter unseren Worten steht, ein Schlüsselwort in den Lehren des Buddha. Sind unsere Handlungen von Geisteszuständen wie Gier, Hass, Verblendung bestimmt, verletzen wir uns und andere. Lassen wir uns stattdessen von Geduld, Aufrichtigkeit, Freundlichkeit leiten und wählen achtsam unsere Worte, dann können sie tatsächlich Wunder wirken. Wetzels Buch der Worte ist mit seinen Anwendungen, Tipps und vielen Übungen auch ein buddhistisches Übungsbuch. Man kommt seinen kleinen oder großen Gemeinheiten auf die Spur, erkennt – wenn man denn will – eigene Schönrederei als Selbsttäuschung. Zudem ist es lebendig geschrieben, in manchmal atemloser Eindringlichkeit und – was das Lesen so gewinnbringend macht – mit Humor. Christine Rackuff sitäten Labrang Tashi Kyil und Drepung. Mit 29 Jahren, kurz vor seiner Geshe-Prüfung, verließ er das Kloster und ging als Laie für zwölf Jahre nach Indien, lernte Englisch, Sanskrit und Pali und befasste sich mit westlichen Philosophien und Wissenschaften. Nach seiner Rückkehr nach Tibet ward er aufgrund seiner Unkonventionalität und regierungskritischen Haltung angefeindet und schließlich verhaftet. Erst kurz vor dem chinesischen Einmarsch wurde er mit ruinierter Gesundheit entlassen und verstarb 1951. Er war ULLI OLVEDI: DIE ENERGIEN DES LEBENS UND DES STERBENS. MEDITATIVE ENERGIEARBEIT NACH DEN PRINZIPIEN DES BUDDHISTISCHEN TANTRA. O.W. Barth Verlag, Frankfurt 2007. 237 S., 19,90 E SYLVIA WETZEL: WORTE WIRKEN WUNDER – REDEN MIT HERZ UND VERSTAND. Theseus Verlag, Stuttgart 2007. 159 S., 14,95 E Buchbesprechung einer der begnadetsten Künstler, Poeten, Forscher und Vordenker seiner Zeit. In Tibet – aber auch im tibetischen Exil – wird er inzwischen, gerade von jungen Leuten, sehr verehrt. Sein in Indien verfasstes Traktat über die Liebe wurde zum ersten Mal 1967 in New Delhi veröffentlicht. 1992 erschien es in den USA, übersetzt von dem Tibetologen Jeffrey Hopkins in Zusammenarbeit mit der tibetischen Schriftstellerin Dorje Yudon Yuthok. Für uns Westler des beginnenden 21. Jahrhundert ist es nicht einfach, diesen Text Gedün Chöpels in seiner Komplexität zu begreifen. Umso wichtiger sind das kritisch aufklärende Vorwort von Andreas Gruschke und der ausgefeilte, brillante Kommentar von Jeffrey Hopkins, der – fast genauso umfangreich wie das Traktat selber – einen Überblick verschafft und einzelne Kernpunkte kenntnisreich kommentiert. Gedün Chöpels eigenwilliger Schreibstil ist ein Ausdruck seiner Geisteshaltung: Bewusst setzt er das deftig Banale und das Feinsinnige nebeneinander. So äußerte er kurz vor seinem Tode: „Ich habe geglaubt, das Sein und das Nichtsein zu kennen. Ich habe geglaubt, immerfort das Niedrige wie das Hohe zu durchdringen.“ Durch Sexualität versuchte er, drei Dinge zu verwirklichen: Sehnsucht nach dem Weiblichen, Freiheitsliebe und spiri- TIBET IN SCHWIERIGER ZEIT Der britische Diplomat Sir Charles Bell, der verschiedene hochinteressante Tibetbücher veröffentlicht hat, (The People of Tibet, The Religion of Tibet, Tibet einst und jetzt) war seit 1891 im Indian Civil Service tätig und wurde 1901 als Politischer Beamter nach Kalimpong versetzt, wo er für Sikkim, Bhutan und Tibet zuständig war. 1920 ging er für ein Jahr nach Lhasa. Eine enge politische und persönliche Freundschaft verband ihn bis zu dessen Tod 1935 mit dem 13. Dalai Lama, dem er 1910 zum ersten Mal begegnet war. tuelle Offenheit. Immer wieder wies er darauf hin, wie wichtig es sei, Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen und unverzichtbare Freundinnen zu sehen. Das Traktat verbindet praktische Anweisungen, Gesellschaftskritik und philosophische Erörterungen auf der Basis der klassischen indischen ErotikLiteratur. Gedün Chöpel stützt sich dabei hauptsächlich auf das kurz nach der Zeitenwende entstandene Kamasutra und andere, teils vom indischen Tantrismus beeinflusste Texte, erklärt aber ausdrücklich, dass sich sein Werk von den anspruchsvollen, elitären Praktiken des tantrischen Buddhismus unterscheide. Aus den indischen Texten übernimmt er die Typenbeschreibung der Männer und Frauen, ihre Charakterzüge und körperlichen Bedürfnisse; ausführlich listet er unterschiedliche sexuelle Praktiken auf, oft auch aus weiblicher Sicht erklärt. Er betont auch die Bedeutung der spirituellen Dimension von Liebe und Partnerschaft, wobei er die körperliche Liebe als perfekte Möglichkeit bezeichnet, Wahrheit jenseits begrifflicher Konzepte zu erfahren. So beschreibt er den bewusst wahrgenommenen Orgasmus als den Moment, in dem alle groben Konzepte in den Hintergrund getreten sind und intensive Glückseligkeit erlebbar werden kann. Gedün Chöpel zeigt auf, dass unser Bewusstsein all diese konzeptionellen Auflösungs- und Entstehensprozesse auch im Alltag unablässig durchläuft, ähnlich wie die Wellen eines Ozeans, die kommen und gehen. Doch wir sind uns dessen normalerweise nicht bewusst. So leben wir inmitten einer uns verborgenen Großartigkeit, die wir in der sexuellen Ekstase bewusst erfahren könnten. Indem er die Erfahrung des Klaren Lichts in einem Atemzug mit dem Liebesakt nennt, will er eines erreichen: Die Menschen sollen wachgerüttelt werden und begreifen, dass die Wahrheit nicht getrennt von ihnen existiert oder nur nach jahrzehntelangem Studium begriffen werden kann. Die Natur des Geistes kennt – so schreibt Gedün Chöpel – keine Künstlichkeit, keine Zuordnungen, keine Verbote. Elke Hessel Bells Aufzeichnungen, die 1946, ein Jahr nach seinem Tod, veröffentlicht wurden und jetzt erstmalig in deutscher Übersetzung vorliegen, schildern nicht nur das Leben und den Kampf des 'Großen Dreizehnten' für das Wohl Tibets, sondern beleuchten auch die schwierige innen- wie außenpolitische Position des Landes und geben einen fundierten Einblick in das Alltagsleben seiner Menschen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Das abschließende Kapitel des Buches ist der Auffindung und Inthronisierung des 14. Dalai Lama gewidmet. Als einer der raren Augenzeugenberichte aus Tibet in der Zeit vor der chinesischen Invasion 1949/50 ist dieses – kaum umworbene – Taschenbuch eine Fundgrube an Informationen und Pflichtlektüre für jeden an Tibet Interessierten. Monika Deimann-Clemens GEDÜN CHÖPEL: DIE TIBETISCHE LIEBESKUNST, EROS, EKSTASE UND SPIRITUELLE HEILUNG. Nietsch Verlag, 2006. 298 S., 18,90 E SIR CHARLES BELL: DER GROSSE DREIZEHNTE – DAS UNBEKANNTE LEBEN DES XIII. DALAI LAMA VON TIBET. Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2005. 576 S., 8,95 E Tibet und Buddhismus 1/08 53