Musikerhandschriften. Von Heinrich Schütz bis Wolfgang Rihm

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A NTONIO V IVALDI
La Cetra op. 9 (1728)
Stimme der 2. Violine, Bl. 7r
Als Antonio Vivaldi im September 1728 Kaiser Karl VI. in Triest
seine Konzertsammlung op. 9 La Cetra persönlich überreichen
durfte, stand der venezianische Komponist, Violinvirtuose und
Opernunternehmer auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Bei seiner
Geburt am 4. März 1678 in Venedig konnte hingegen noch niemand
ahnen, dass das schwächliche Kind einmal zu den größten Komponisten der Serenissima zählen würde. Da er kränkelte und an
Asthma litt, sollte er Geistlicher werden, doch bald nach der
Priesterweihe wurde er wegen »Engbrüstigkeit« vom Messlesen
befreit. Dieses Leiden hinderte ihn jedoch nicht, fast zeitgleich eine
sehr aufreibende Musikerlaufbahn zu beginnen: 1703 wurde der
junge Geigenvirtuose »Maestro di violino« am Ospedale della Pietà,
einem Waisenhaus für Mädchen und einem der Konservatorien der
Stadt. In dieser Funktion komponierte Vivaldi nicht nur laufend
Stücke für seine Schülerinnen, sondern bereitete den Druck seiner
ersten Sonatensammlung vor, die 1705 in Venedig erschien. Ab 1713
(der Komponist konnte bis dahin auf bereits vier gedruckte Opera
hinweisen) begann sich Vivaldi im venezianischen Opernleben zu
engagieren – nicht nur als Komponist, sondern auch als Unternehmer. Vivaldi blieb, wenn er auch einige Opernaufträge anderer
italienischer Städte (Rom, Mantua, Mailand) annahm, seiner Heimatstadt treu und ein ›freier Unternehmer‹, d. h. er strebte keine
gesicherte Anstellung in einer adeligen Kapelle an, wenngleich er
sich selbst gerne mit Ehrentiteln (erfundenen wie tatsächlich verliehenen) und seine gedruckten Werke mit Widmungen an prominente Persönlichkeiten schmückte.
Und unter diesem Aspekt scheint auch die Widmung der
Sammlung La Cetra an den Kaiser entstanden zu sein; nahm der
Kaiser die Widmung an, bedeutete dies nicht nur eine große Auszeichnung für den Komponisten, sondern auch eine finanzielle
Zuwendung und eine Ehrengabe in Form einer goldenen Kette mit
einer Porträt-Medaille des Widmungsträgers; diese Ketten wurden,
gleichsam als ›Ordensabzeichen‹, gerne bei offiziellen Anlässen
getragen, um allen anderen die hohe Auszeichnung, die dem Widmenden zuteil geworden war, zu zeigen. Für gewöhnlich wurde die
zu widmende Schrift durch den Komponisten persönlich oder durch
einen Mittelsmann in einer autografen Reinschrift und meist kunstvoll eingebunden überreicht; der Widmungsträger – nach huldvoller
Annahme – unterstützte darauf die Drucklegung und ließ dem Komponisten die oben genannten Ehrengaben überreichen. Bei Vivaldis
La Cetra scheint jedoch diese Reihenfolge durcheinander gekommen
zu sein, denn es gibt zwei La Cetra-Sammlungen – eine 1727 bei Le
Cene in Amsterdam gedruckte Version und das Autograf, aus dem
eine Seite hier abgebildet ist, das jedoch mit 1728 datiert ist und mit
der gedruckten Version, abgesehen von einem Konzert und einem
Satz, nicht übereinstimmt. Die Handschrift, ursprünglich fünf
gebundene Stimmen, von denen heute ausgerechnet die Stimme
der ersten Violine fehlt, wurde zwar von Vivaldi in Schönschrift
begonnen, doch scheint dem Komponisten die Zeit zu knapp
geworden zu sein: je weiter man in den Stimmen nach hinten
blättert, desto eiliger wird die Schrift. Die ausgewählte Schriftprobe
stammt vom Beginn der Stimme der zweiten Violine; es ist der
Beginn des Concerto II (Larghetto – Allegro non molto) mit den für
Vivaldis Schreibstil typischen Geigenfiguren: rasche Läufe in den
Violinen und jene charakteristischen Tonwiederholungen (auch in
den übrigen Stimmen), die den uns bekannten dichten Klangeindruck der Vivaldi’schen Konzerte ergeben. Die vorhandenen Stimmen (Violino II, Violino III, Alto und Basso per il Cembalo) sind
im originalen dunkelroten Seidensamt gebunden, nur der AußenKarton ist erst in den letzten Jahren zum Schutz der wertvollen
Originalhandschriften angefertigt worden; dass diese Samteinbände
heute noch ebenso schön wie vor bald 275 Jahren aussehen, gibt
Zeugnis von der Sorgfalt, mit der Widmungsautografe behandelt
wurden. Eine Besonderheit zeigen die Titelblätter der Cetra-Stimmen: auf allen wurde Kaiser Karl zunächst als »Carlo III Imperatore«
bezeichnet (es handelt sich somit nicht um einen einmaligen
Schreibfehler) – auf Le Cenes Druck von 1727 hingegen stand richtig
»Carlo VI / Imperadore / e Terzo Re delle Spagne«. Wollte Vivaldi
dem Kaiser schmeicheln, von dem bekannt war, dass er alle, die sein
spanisches Königtum (als Carlos III.) anerkannten, besonders förderte? Wurde vielleicht erst nach der Überreichung die Zählung –
ungeschickt mit Deckweiß – korrigiert (vorher wäre es doch ein
Leichtes gewesen, das falsche Titelblatt herauszuschneiden und
durch ein korrekt geschriebenes neues zu ersetzten)? Diese Fragen
mussten bis jetzt unbeantwortet bleiben. Interessant ist, dass Vivaldi
für die Bezeichnung seines Opus 9 den Titel La Cetra (›Die Leier‹)
wählte. Widmungen von Werken mit diesem oder ähnlichen Titeln
haben für das Haus Habsburg eine gewisse Tradition. Vivaldi griff
wohl bewusst diesen oft in der Panegyrik verwendeten Topos der
Habsburger als Herrscher, die ihr Land ›mit Leier und Schwert‹
regieren, auf.
Wie auch immer – die Begegnung zwischen Herrscher und
Komponisten verlief harmonisch und in gelöster Stimmung: Vivaldi
erhielt vom Kaiser ein Geldgeschenk und die übliche »Güldene Ketten« mit dem Bildnis Karls VI. Dass der Kaiser Vivaldi in den Adelsstand erhoben oder ihm eine Stelle bei Hof angeboten hätte, ist hingegen durch nichts zu belegen (Vivaldis Reise 1740 nach Wien steht
in einem anderen Zusammenhang). Der wortkarge, schrullige, aber
ungemein Musik liebende Monarch soll nach Augenzeugenberichten bei jenem Zusammentreffen, bei dem das Autograf von La Cetra
übergeben wurde, mit dem Komponisten »in fünfzehn Tagen mehr
geredet haben als er mit seinen Räten in zwei Jahren spreche«.
Elisabeth Hilscher
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