Hier sieht man deutlich, wie das Gas durch die Kanäle zwischen den Stegen nach oben strömt und die in die Nährlösung einströmenden Algen in Bewegung bringt Fotos: inga schaefer Photovoltaik & Solarthermie Grüne Fassade Webcode: SHK3P43Y •Nachhaltige Energieerzeugung •Beschattung, Wärme- und Schallschutz •Energetische bioreaktive Fassadenkonstruktion Ende April wurde auf der IBA, der Internationalen Bauausstellung 2013 in Wil­ helmsburg bei Hamburg das BIQ eingeweiht. Das BIQ ist ein Gebäude mit einer außergewöhnlichen Fassade. Die grüne Gebäudehaut ist das Herzstück eines rege­ nerativen Energiekonzepts, das von drei Partnern entwickelt wurde (siehe Kasten). An das fünfgeschossige Passivhaus wurden an der südwestlichen und südöstlichen Fassade bewegliche Elemente der eigentlichen Bioreaktorfassade angebracht. In den vertikalen Glaslamellen werden Mikroalgen gezüchtet, die durch Photo­ synthese und Solarthermie Biomasse und Wärme produzieren. M 42 it seinem Entwurf für das Algen­ haus belegte 2009 das Grazer Architekturbüro Splitterwerk mit Pla­ nungspartner Immosolar im Wettbewerb Smart Materials der IBA den 1. Rang. Das Algenhaus BIQ ist weltweit das erste Gebäude mit einer Bioreaktorfassade. Als positiven Nebeneffekt ermöglicht die grü­ ne Fassade neue Perspektiven in punkto Beschattung und Lichtsteuerung. Das BIQ ist eines von mehreren „Smart Material“Häusern auf der IBA, deren Baustoffe sich im Unterschied zu herkömmlichen Baustoffen dynamisch verhalten. in Biomasse um, die später als Rohstoff für die Erzeugung von Biogas als Energie­ quelle dient. Die Einzeller sind effizienter in der Umwandlung von Lichtenergie in Biomasse als andere Pflanzen: Sie teilen sich bis zu einmal täglich und verdoppeln so ihre Masse. 1 g trockene Biomasse enthält etwa 23 bis 27 kJ Energie. Gleich­ zeitig ist die Biomasse aber auch Rohstoff für Kosmetik und Pharmazie oder für Tierfutter und Nahrungsergänzungsmit­ tel. Je nach Algengehalt im Medium lässt sich die Transparenz des Systems von ca. 10 bis 80 % steuern. Photobioreaktor-Fassade Mikroalgen, die in den Bioreaktoren gezüchtet werden, nutzen das Sonnenlicht für ihr Wachstum und wandeln im Zuge der Photosynthese CO2 sowie Nährsalze Funktionale Eigenschaften Die transparenten, plattenförmigen Hohlkörper der Bioreaktoren, die als Behäl­ ter für die Algenkulturen dienen, müssen funktionale Eigenschaften aufweisen und Auf den Punkt gebracht Ulrich Kremer Colt International GmbH Kleve Stefanie Schnippenkötter SHK Profi-Redaktion Gütersloh ästhetische Ansprüche erfüllen. Zur maximalen Ausnutzung des Sonnenlichts befinden sich die Reaktoren an den Südseiten der Gebäudewand und bilden somit das Gesicht des Gebäudes – während sie von innen im Blickfeld der Gebäudenut­ zer liegen. Es wurde ein Aluminiumrah­ men konstruiert, der zwei durch ein Distanzprofil getrennte Glasscheiben hält, die wiederum den Raum für die Algenkul­ turen bilden. Die Schwierigkeit war, dass die Rahmenprofile die Spannkraft aushal­ ten müssen, die nötig ist, um die beiden Glasscheiben sicher und dicht zusammen­ zuhalten. Der Hohlraum fasst etwa 24 l des mit Nährsalzen angereicherten Kulturme­ diums, in dem die Algen angesiedelt sind. Die Bioreaktoren haben je einen Zu- und Ablauf. So können alle Reaktoren zu einem zirkulierenden System miteinander verbunden werden. Das Kulturmedium Dr.-Ing. Jan Wurm (Arup Deutschland GmbH): „Spannend war insbesondere die Überschreitung der Gewerkegrenzen.“ www.shk-profi.com Photovoltaik & Solarthermie wird durch Druckluft ständig in Bewegung gehalten, so dass die Mikroalgen innerhalb des Reaktors nicht absinken. Hohe Strö­ mungsgeschwindigkeiten an den Innenflächen verhindern ein Absetzen oder Faulen der Mikroalgen. Kontinuierlich wird, um das Wachstum der Algen zu fördern, CO2 in den Reaktor eingebracht. Drei parallel laufende, vertikale Innenstege sorgen für die Vertei­ lung des Gases im Reaktor. Sie bilden vier unabhängige Kanäle, durch die das CO2 eingebracht wird. In einem onlinestehenden Video sieht man deutlich, wie das Gas durch die Kanäle zwischen den Stegen nach oben strömt und die gesamte Algenkultur in Bewegung bringt. Den Direktlink zum Video finden Sie in der Online-Version dieses Beitrags (Webcode: SHK3P43Y). Multipler Energielieferant Damit aus der Bioreaktorfassade ein multipler Energielieferant wird, bedarf es weiterer technischer Komponenten, die zusam­ mengeführt und gesteuert werden müssen. Zunächst werden die Bioreaktoren in Reihe geschaltet, damit das Algen-Kulturmedi­ um zirkuliert. In der Haustechnikzentrale können Biomasse und Wärme entnommen werden. Die gewonnene Energie wird über das Energiemanagement gespeichert bzw. verteilt. Über Tag fungieren die Reaktoren wie solarthermische Absorber, durch den Lichteinfall heizen sie sich auf. Im Haustechnikraum wird die Wärme über einen Wärmetauscher abgeleitet und anschließend gespeichert oder unmittelbar zur Brauchwasser­ erwär­mung genutzt. Die Temperatur wird über eine angeschlosse­ ne Wärmepumpe gesteuert; neben der Warmwasseraufbereitung kann es auch für die Raum- bzw. Luftheizung genutzt werden. Die entstehende Biomasse wird mit einem Algenabscheider „geerntet“, der Mikroalgen und Kulturmedium trennt: Die Algenbiomasse wird in einen Behälter gesammelt, während das Kulturmedium zurück in den Kreislauf geführt wird. Die Al- Für Sicherheit und höchsten Komfort bei der Erst- und Nachbefüllung von Heizungsanlagen PT-IB 20 Die intelligente Heizungsbefüllstation Kontrollierte Nachspeisung mit Füllwasser entsprechend der VDI-Richtlinie 2035 und EN 1717 Automatisches Erkennen der vorliegenden Wasserhärte bzw. der Leitfähigkeit Optional für größere Anlagevolumen mit Anschluss-Set für permasoft 18000 erhältlich Leckage-Erkennung mit Wasserstopp durch permanente Nachfüllmengenüberwachung Kapazitätskontrolle der permasoftEntmineralisierungseinheiten Ulrich Kremer (Colt International GmbH) vor Ort im Gespräch mit SHK Profi-Redakteurin Stefanie Schnippenkötter genbiomasse wiederum wird in einer Konversionsapparatur zu Methan (Biogas) umgewandelt. Dabei liegt die Effizienzquote bei 70 bis 80 %. Das Biogas wird ins öffentliche Gasnetz eingespeist oder kann für gasbetriebene Autos bzw. BHKW genutzt werden. Energie-Management-Zentrale Die automatisierte Prozess- und Anlagenführung macht eine kontinuierliche Kultivierung der Algen möglich. Sie verknüpft diese bei minimalem Aufwand mit deren Ernte und Verwertung, was technisch als „plug-in“ in standardisierte Haustechniklö­ sungen integriert werden kann. Die Wasserversorgung und die Entsorgung der Bioreaktoren erfolgt über das städtische Frischbzw. Abwassersystem. Auch die Ausrichtung der Bioreaktor­ 5/2013 Auf den Punkt gebracht 43 Integration in Gebäudeleittechnik über einen potenzialfreien Ausgang ® Wasserbehandlung mit Zukunft perma-trade Wassertechnik GmbH Röntgenstraße 2 · 71229 Leonberg Tel. 07152 / 9 39 19-0 · Fax 07152 / 9 39 19-35 www.perma-trade.de · [email protected] Photovoltaik & Solarthermie Projektpartner: SSC Strategic Science Consult GmbH (Verfahrenstechnik und Prozessführung; www.ssc-hamburg.de), Arup Deutschland GmbH (Projektkoordination, Konzeption und Engineering; www.arup.com) und Colt International GmbH (Design, System- und Komponentenfertigung; www.colt-info.de). fassade, um die Produktion von Wärme und Biomasse, aber auch die Funktiona­ litäten Wärme-, Hitze- und Lichtschutz sowie Schalldämmung zu steuern, funk­ tioniert über die Energie-ManagementZentrale. Einsatzorte Zu den möglichen Einsatzorten der Biore­ aktorfassade gehören sowohl großflächige Industriebauten oder Gewerbehallen als auch Gebäude der öffentlichen Infrastruk­ tur wie Bahnhöfe oder Flughäfen, aber auch Siedlungsbauten, Gewerbeimmo­ bilien oder Wohngebäude sind denkbar. Diese Gebäude könnten zu lebendigen Energiespendern umfunktioniert werden, was auch bei einer Sanierung möglich ist. Besonders für Industriebtriebe kann ein Imagevorteil generiert werden, wenn der Die nach Süden ausgerichtete Fassade des Algenhauses Ein Blick durch die transparenten Fassadenelemente CO2-Abbau gewissermaßen an der Fassa­ de „ablesbar“ ist. Das Bioreaktorensystem könnte auf diese Weise zu einem lebendi­ gen Baustein der Umweltkommunikation mit ansehnlicher Energiebilanz werden. Das BIQ in Hamburg-Wilhelmsburg verfügt über etwa 200 m² Algenfassade. Bei einem Ertrag von täglich 15 g getrock­ neter Biomasse pro m² kann bei der Umwandlung in Biogas ein Nettoenergie­ gewinn von ca. 4500 kWh jährlich erreicht werden. Die Algenfassade könnte einen Vierpersonenhaushalt mit nach­ weislich grünem Strom versorgen. Funktionsprinzip „SolarLeaf“ Die geschosshohen Glaselemente der Sekundärfassade sind auf ihrer Vertikalachse drehbar gelagert, können so dem Sonnenstand nachgeführt werden und bilden bei geschlossener Stellung eine thermische Pufferzone. Jedes Fassadenelement misst 2,70 x 0,70 m und weist einen mehrschichtigen Glasaufbau auf. Von den Deckscheiben aus Verbundsicherheitsglas geschützt und thermisch isoliert befindet sich der 18 mm breite Hohlraum, der sogenannte Photobioreaktor, der mit 24 l Wasser gefüllt ist und in dem die Mikroalgen wachsen. In den einzelnen Photobioreaktoren wird Luft mit Überdruck am unteren Ende in das Paneel eingeleitet. Die durch die aufsteigenden Luftblasen hervorgerufenen Turbulenzen stimulieren die CO2- und Lichtabsorption der Algen. Gleichzeitig „wäscht“ das Algen-/ Wassergemisch ständig die Innenoberflächen des Paneels ab. Alle Leitungen, etwa für die Luftzufuhr sowie für den Zu- und Abfluss der wässrigen Algenlösung, sind in der Unterkonstruktion des „SolarLeaf“ integriert. Beim BIQ sind bis zu 32 Paneele jeweils zu einem geschlossenen Wasserkreislauf verbunden und an den Technikraum angeschlossen. Ein zentrales Gebäude­ managementsystem überwacht die Zu- und Abflüsse jedes dieser Cluster, die Nährstoffversorgung, den Algengehalt, die Temperatur der Lösung und die „Algenernte“ an der Schnittstelle zur Gebäudetechnik. Die solarthermisch gewonnene Wärme beträgt ca. 40 °C und wird entweder direkt zur Warmwasserbereitung genutzt oder über geothermische Sonden im Erdboden gespeichert. Das System kann ganzjährig betrieben werden. Die Bioreaktorfassade erreicht bei der Produktion von Biomasse eine Energiekonversionseffizienz (EKE) von 10 % und bei Wärmeproduktion eine EKE von 38 %, während Photovoltaik bei etwa 12 bis 15 % und Solarthermie bei 60 bis 65 % liegen. In der Bioreaktorfassade wird äquivalent zum Biomasseaufbau CO2 aus einer Rauchgasquelle gebunden. Die Bioreaktorfassade verringert damit die CO2-Emission und verbessert die CO2-Bilanz. 44 Auf den Punkt gebracht Entwicklung Mit der Frage, wie man Mikroalgen im großen Stil kultivieren kann, beschäftigt sich die SSC Strategic Science Consult GmbH schon seit 2008. Sie rief das inter­ disziplinäre Forschungs- und Entwick­ lungsprojekt TERM (Technologien zur Erschließung der Ressource Mikroalgen) ins Leben. In Zusammenarbeit mit Hoch­ schulen und Universitäten aus Nord­ deutschland wurden in einer Pilotanlage in Hamburg Reitbrook die Voraussetzun­ gen geschaffen, um die Mikroalgentech­ nologie im Fassadenbereich einsetzen zu können. Im November 2010 folgte ein Verbundprojekt auf Initiative der Arup Deutschland GmbH, die gemeinsam mit der SSC Strategic Science Consult GmbH und Colt International mit der Entwick­ lung einer Mikroalgentechnologie für den Einsatz an Fassaden begann. Das Ver­ bundprojekt wird durch „Zukunft Bau“, eine 2006 ins Leben gerufene Forschungs­ initiative des BMVBS gefördert. www.shk-profi.com