Fachmagazin Architektur 07/2014

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SPLITTERWERK Architekten
Und die
Fassade lebt!
BIQ-Wohnhaus / Hamburg / SPLITTERWERK Architekten
Fotos: Colt, SSC, Arup, Paul Ott
„Die Entwicklung von Gebäuden muss dahin gehen,
dass sie nicht nur Schutz geben und den Energieverbrauch minimieren, sondern Lösungen anbieten,
wie eine urbane Umgebung mit Energie, Wasser, Frischluft und mehr versorgt werden kann. Die SolarLeaf Fassade ist hierfür ein herausragendes Beispiel,
das Energiegewinnung ermöglicht ohne zusätzlichen
Raum zu verbrauchen. Das Projekt hat auch deshalb
eine besondere Qualität, weil es eine bahnbrechende
Entwicklung ist, die tatsächlich in einem konkreten
Gebäude funktioniert.“
So lautete die Begründung der Jury des Zumtobel
Group Award 2014, die das BIQ-Haus mit dem Preis
in der Kategorie ‚Applied Innovations‘ auszeichnete.
Außen - die SolarLeaf-Fassade
Die rot-weißen Streifen auf der Fassade lassen an
eine überdimensionale Baustellenabsperrung denken. Zwischen den Streifen schimmert es grün in
allen nur erdenklichen Schattierungen. Die Glasflächen, die als Balkongeländer fungieren, sind grün
gefärbt, freie Wandflächen sind mit froschgrünen
Mustern bedruckt, große, geschosshohe Glaspaneele bedecken den Großteil der Außenfassaden der Architektur. Und in diesen Glasscheiben blubbert eine
grüne Flüssigkeit, Luftblasen steigen auf - wie in einem Sumpfaquarium.
Es handelt sich um das erste Projekt, bei dem ein
neues Fassadensystem, das von Arup Deutschland
in Zusammenarbeit mit der SSC Strategic Science
Consult GmbH und der Colt International GmbH mit
Fördermitteln der Initiative ZukunftBau entwickelt
wurde, zur Anwendung kam. Und zwar an dem Wohngebäude BIQ, das von den Architekten SPLITTERWERK zur Internationalen Bauausstellung 2013 (IBA)
in Hamburg entworfen worden war.
Das kubische, fünfgeschossiges Passivhaus BIQ ist
weltweit das erste Gebäude mit einer Bioreaktorfassade als Teil eines ganzheitlich regenerativen Energiekonzepts. Die erste SolarLeaf-Fassade, als ein in
das Gebäude integriertes System, das CO2-Emissionen absorbiert, während gleichzeitig Mikroalgen
gezüchtet werden, die als erneuerbare Energiequelle
Biomasse und Wärme produzieren. Ermöglicht wird
der Prozess durch Fotobioreaktoren, die an zwei Fassadenseiten angebracht sind.
Die geschosshohen Glaselemente an Südwest- und
Südostfassade sind auf ihrer Vertikalachse drehbar
gelagert und können so dem Sonnenstand nachgeführt werden. Bei geschlossener Stellung bilden sie
eine thermische Pufferzone. Jedes Fassadenelement
misst 2,70 x 0,70 Meter und weist einen mehrschichtigen Glasaufbau auf. Von den Deckscheiben aus
Verbundsicherheitsglas (VSG) geschützt und thermisch isoliert, befindet sich der 18 Millimeter breite
Hohlraum - der sogenannte Fotobioreaktor - der mit
Wasser gefüllt ist (24 Liter) und in dem die Mikroalgen wachsen.
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Die SolarLeaf-Fassade macht sich den biochemischen Prozess der Fotosynthese für energieeffiziente Gebäude und auch Gebäudecluster zunutze. Das
System hat drei wesentliche Vorteile: Erstens wird
hochwertiger Biomasse für Energiezwecke oder als
Ressource für die Lebensmittel- und die pharmazeutische Industrie (Urban Farming) generiert. Zweitens
solare Wärmeenergie erzeugt und drittens dient der
Einsatz des Systems als dynamische Beschattungsvorrichtung.
Die Züchtung von Mikroalgen in flachen, paneelförmigen Fotobioreaktoren erfordert keine zusätzliche
Flächennutzung und ist von den Witterungsbedingungen weitgehend unabhängig. Somit ist die Installation im urbanen Umfeld ermöglicht. Eine Abscheidevorrichtung erntet die Algenbiomasse des BIQ
automatisch; der zur Ernährung der Algen benötigte
Kohlenstoff wird aus einem Verbrennungsvorgang in
der Nähe der Fassadenanlage gewonnen, um einen
kurzen Kohlenstoffzyklus zu implementieren. Dadurch wird verhindert, dass Kohlenstoffemissionen
zum Klimawandel beitragen.
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Das BIQ-Projekt ist ein Meilenstein mit Bezug auf die
Erschließung dieser Wertkette und die Schaffung der
resultierenden Infrastruktur. Die entwickelten Bioreaktoren erfassen außerdem die solare Wärmeenergie
mit einer Effizienz von ca. 50 %. Beim BIQ wird die
Wärme mittels Wärmetauschern extrahiert, und die
Temperaturniveaus der überschüssigen Wärme können durch Einsatz einer Wärmepumpe erhöht werden, um das Gebäude mit Warmwasser zu versorgen
oder zu heizen, oder um sie geothermisch zu speichern. Das System umfasst Bioreaktorpaneele, die
dazugehörigen mechanischen Leistungen sowie die
Steuereinheit zur Verbindung der Durchflussmengen
und Optimierung der Effizienz des Gebäudes. Das
BIQ spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Errichtung von CO2-neutralen Überschussenergiegebäudekomplexen für die Zukunft.
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Zwischen den rot-weißen
Streifen schimmert es
grün in allen nur erdenklichen Schattierungen.
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Mikroalgen sind winzige, ca. fünf Mikrometer große,
meist einzellige Organismen. Wie andere Pflanzen nutzen Mikroalgen das Sonnenlicht als Energiequelle, um
daraus zusammen mit CO2 und Nährstoffen durch den
fotosynthetischen Prozess die sogenannte Biomasse
aufzubauen. Mikroalgen sind wesentlich effizienter
in der Umwandlung von Lichtenergie in Biomasse als
höhere Pflanzen, da sie einzellig sind und jede einzelne
Zelle Fotosynthese betreibt.
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Innen - tolle Wohnungen
Die SPLITTERWERK Architekten haben im BIQ-Haus
aber auch zwei sehr interessante Wohnungen eingerichtet. Eine nennen sie die ‚Mailänder Wohnung‘ ein sogenannter ‚smart space‘ mit unterschiedlichen
Typologien von rekonfigurierbaren Grundrissen. Der
fließende Raum von Mies van der Rohe oder der offene Grundriss von Frank Lloyd Wright, der Raumplan
von Adolf Loos, aber auch die Ökonomie der Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky, finden
ihre zeitgemäße Weiterentwicklung in den intelligenten Wohntypologien dieses Grundrisses. Im schaltbaren Gefüge dieser neuen Wohnungstypologien
werden Funktionsräume wechselnd oder gleichzeitig – on demand – zu und wieder weggeschaltet. Der
Loos’sche Raumplan wird zum individuellen und verzeitlichten Wohnplan. Der zeitliche Wohnablauf und
das wechselnde Programm prägen userorientiert das
Erscheinungsbild der Wohnung.
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Die zweite Wohnung nennen die Architekten die
‚Hamburger Wohnung‘ - eine multiinzidente Hülle, in
der sich Funktionen ‚on demand‘ zuschalten lassen.
Multiinzidente Hüllen sind schaltbare Gefüge, die mit
Ereignissen angereichert sind. Die Nettonutzfläche
dieser Wohnung beträgt 64 m2. Davon bilden 46 m2eine Art funktionsneutrale Zone. Die verbleibenden 18
m2 sind durch Bad, WC, Garderobe, Küche und diverse Stauräume belegt. Weiters sind die Einrichtungen
wie Tisch, Sofa und Bett Bestandteil dieses schaltbaren Gefüges. Allesamt sind sie getrennt voneinander
zur Zone zuschaltbar. So entstehen über 46 m2 große
Badezimmer, Küche, Ess- und Schlafzimmer. Bezieht
man demzufolge die Flächenberechnung des Prototypen auf seine Einzelteile, ergibt das eine Wohnung
mit einer Nettonutzfläche von 368 m2.
Effizienz und Nachhaltigkeit kann durchaus
auch gepaart mit gutem Design auftreten.
Ökologisch richtig bauen, heißt eben nicht, auf
Kreativität und Ästhetik verzichten zu müssen.
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BIQ - ‚The clever Treefrog‘
Hamburg, Deutschland
Bauherr:
Planung: Mitarbeiter:
Konstruktionsplanung:
KOS Wulff Immobilien GmbH
PLITTERWERK, Label for Fine Arts, Graz; Arup GmbH, Berlin; B+G Ingenieure Bollinger
und Grohmann GmbH, Frankfurt; Immosolar GmbH, Hamburg
Mark Blaschitz, Edith Hemmrich, Max Juengling, Josef Roschitz, Ingrid Somitsch
Arup GmbH, Berlin; sprenger von der lippe; Timm & Goullon;
Technisches Buero der Otto Wulff Bauunternehmung GmbH
Grundstücksfläche:
Nutzfläche:
Planungsbeginn: Bauzeit:
Fertigstellung:
839 m2
1.000 m2
12/2011
2011 - 2013
03/2013
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