Klaus-Stephan Otto / Thomas Speck (Hrsg.) Darwin meets Business

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Klaus-Stephan Otto / Thomas Speck (Hrsg.)
Darwin meets Business
Klaus-Stephan Otto /
Thomas Speck (Hrsg.)
Darwin meets Business
Evolutionäre und
bionische Lösungen
für die Wirtschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
1. Auflage 2011
Alle Rechte vorbehalten
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Lektorat: Maria Akhavan | Sabine Bernatz
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Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN 978-3-8349-2443-8
Vorwort
5
Vorwort
Das Thema Nachhaltigkeit erfordert neue
Denkweisen im Managen von Unternehmen
und Organisationen. Deswegen haben wir
als Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)
das Projekt „Darwin meets business: Ein
neues Wirtschaften – von der Natur lernen“
gefördert. Eingebettet in das viel beachtete
Darwin-Jahr 2009 ist es dem Projektteam
gelungen, mit einer Vielzahl von neuartigen
Veranstaltungen und Aktionen einen soliden
Grundstein für ein interdisziplinäres Netzwerk zu legen. Die DBU hat mit einer Reihe von
Aktivitäten die Bionik-Entwicklung in Deutschland unterstützt. Uns war es wichtig, im
nächsten Schritt nun eine inhaltliche Entwicklung und Netzwerkbildung im Bereich Evolutionsmanagement/Wirtschaftsbionik voranzubringen.
Als die weltweit größte Umweltstiftung fördert die DBU Vorhaben zum Schutz der Umwelt unter besonderer Berücksichtigung der mittelständischen Wirtschaft. In neun Förderbereichen werden Vorhaben in Umwelttechnik, Umweltforschung und Naturschutz sowie
Umweltkommunikation und Kulturgüterschutz gefördert. Die Gesellschaft steht gemeinsam vor großen Herausforderungen, wie beispielsweise der zunehmenden Bedrohung
durch Klimawandel und Ressourcenknappheit, aber ebenso durch die ansteigende Komplexität der weltwirtschaftlichen Verflechtungen. Dieser Aufgabe stellen wir uns auch mit
unseren Förderprojekten. Daher unterstützen wir das in dieser Publikation dokumentierte
Vorhaben, ein nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften unter Einbeziehung evolutionärer Prinzipien im Management auf Problemlösungsansätze gerade mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zu diskutieren, auf Praxisrelevanz zu prüfen und zu verbreiten.
Die Konferenz Darwin meets business vom 17. bis zum 18.06.2009 im Botanischen Garten
Berlin war ein bedeutender Bestandteil zum Aufbau des Netzwerkes aus Wissenschaftlern
und Praktikern der verschiedensten Disziplinen. Auch die begleitende Ausstellung zum
Thema, die im Botanischen Museum Berlin-Dahlem für sechs Monate zu sehen war und
die an weitere Standorte ziehen wird, trägt zur Bekanntmachung und Verbreitung des
Gedankens „Von der Natur für die Wirtschaft lernen“ bei.
Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Diskussion über neue Formen des
Wirtschaftens anzuregen. Dank der engagierten Referenten und Autoren, die sowohl auf
der Konferenz als auch in diesem Tagungsband ihre Erkenntnisse zu so verschiedenen
Ansatzpunkten wie beispielsweise Evolutionsökonomik, Bionik, Evolutionäres Management, Neurobiologie und Schwarmintelligenz zur Verfügung gestellt und weiterführende
Fragen diskutiert haben, können diese hochinteressanten Gedanken und Ergebnisse nun
einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
6
Vorwort
An dieser Stelle sei auch den Initiatoren des Projekts, der Dr. Otto Training & Consulting,
dem Bionik-Kompetenznetz BIOKON und dem Botanischen Garten und Museum BerlinDahlem/Freie Universität Berlin, für ihre anspruchsvolle und engagierte Arbeit gedankt.
Ich wünsche den Leserinnen und Lesern viel Spaß bei der Lektüre und dem Projektteam
viele weitere erfolgreiche Aktivitäten zur Stärkung dieses zukunftsfähigen Themenfeldes!
Dr.Ing.E.h.FritzBrickwedde
GeneralsekretärderDeutschenBundesstiftungUmwelt
Inhaltsverzeichnis
7
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ............................................................................................................................................... 5
Einleitung.......................................................................................................................................... 11
WieOrganisationenundMenschensichevolutionärentwickeln
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich durchsteuern ................................................. 19
KlausStephanOtto
Krisen als Chance: Lernen aus der Evolution ............................................................................. 35
WolfgangKießling
Innovation. Gerechtigkeit. Zukunft. –
Nachhaltige Unternehmens- und Personalentwicklung ........................................................... 43
EdeltraudGlänzer
OrganischesManagement
Systemisch-evolutionäres Management....................................................................................... 55
CyrusAchouri
Bakterien, Business und Pfeifhasen –
Was Führungskräfte von der Natur lernen können ................................................................... 63
MatthiasNöllke
Warum Konkurrenz die Basis von Teamwork ist ...................................................................... 71
KlausDehner
InnovationàlaNature
Sind Prozesse aus der Natur auf Wirtschaftsprozesse übertragbar? ....................................... 81
AntoniaB.Kesel
Von der RNA zum ROI – Biologisch inspirierte Innovationen bei Konsumgütern .............. 87
DirkBockmühl
Prozessketten in Natur und Wirtschaft ........................................................................................ 95
ThomasSpeck&RainerErb
BIONOS ressourceneffiziente Gestaltung von Wertschöpfungsketten durch Bionik ......... 113
PeerSeipold
8
Inhaltsverzeichnis
SchwarmintelligenzundBeteiligung
Kollektives Verhalten und Schwarmintelligenz ....................................................................... 127
JensKrause&StefanKrause
Naturinspirierte Verfahren in der Informatik am Beispiel der Verkehrssteuerung ............ 135
StefanFischer
Beteiligungsorientierte Prozesse in der gewerkschaftlichen Arbeit ...................................... 141
HansHerzer
NeurobiologiederKunden
Der Mehrwert der Hirnforschung für das Marketing.............................................................. 157
ChristianScheier
Praxisoffensive der Neurobiologie ............................................................................................. 173
StefanSkirl
Evolutionsökonomik
Evolutionsökonomik ..................................................................................................................... 193
CarstenHerrmannPillath
Dynamischer Wettbewerb von Unternehmen –
eine Anwendung der Replikatordynamik ................................................................................. 201
UweCantner
NachhaltigWirtschaften
Das Nachhaltigkeitskonzept der Berliner Stadtreinigung ...................................................... 213
AndreasScholzFleischmann
Wilkhahn – ein Pionierunternehmen für nachhaltige Unternehmensgestaltung ................ 221
BurkhardRemmers
Aus Alt mach … Arbeit – Recyclingdesign als nachhaltige Wertschöpfung ....................... 231
WernerBaumann
Biotechnologie, Gentechnik und nachhaltige Entwicklung .................................................... 249
FranzTheoGottwald
Inhaltsverzeichnis
9
EvolutionäreKunstaktionundAusstellungen
Der Freiraum zwischen Kunst, Evolution und Wirtschaft ...................................................... 261
JuttaGoldammer
Evolutionsmanagement zum Anfassen –
die Ausstellung „Darwin meets business“ ................................................................................ 269
MyravonOndarza
Wege zu Darwin - Pflanzen, Mannigfaltigkeit, Evolution ...................................................... 281
ThomasBorsch,KathrinGrotz&GescheHohlstein
Die Herausgeber ............................................................................................................................ 285
Die Autorinnen und Autoren ...................................................................................................... 287
Einleitung
11
Einleitung
Während des ganzen Jahres 2009 wurde überall auf der Welt der 200. Geburtstag von
Charles Darwin gefeiert. Aus diesem Anlass wurde auch heftig über seine Ideen und seine
Bücher, insbesondere über sein vor 150 Jahren erschienenes epochales Werk „On the origin
of species by means of natural selection“, diskutiert. Dadurch erhielt die Evolutionstheorie
eine breite Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Gleichzeitig ereignete sich eine Wirtschaftskrise, wie die Welt sie in diesem Ausmaß nach dem 2. Weltkrieg noch nicht erlebt
hatte und deren Folgen uns noch lange beschäftigen werden. Beides zusammen führte zu
einem breiten Interesse der Öffentlichkeit für das Thema Lernen aus Naturprozessen und
Evolution für wirtschaftliches Handeln. Die Tatsache, dass die Wirtschaftskrise von den
meisten Wirtschaftswissenschaftlern nicht vorhergesehen wurde, stellte die traditionelle
Wirtschaftslehre und lineare Planungskonzepte in Frage und förderte die Bereitschaft, sich
auch in diesem Umfeld mit evolutionären Konzepten auseinanderzusetzen.
Vor diesem Hintergrund fand am 17. und 18. Juni 2009 in Berlin im Botanischen Garten
der Freien Universität die Konferenz „Darwin meets business“ zum Thema Evolutionsmanagement und Organisationsbionik statt. Veranstaltet wurde die Konferenz von dem Beratungsinstitut Dr. Otto Training & Consulting, vom Botanischen Garten und Botanischen
Museum der Freien Universität Berlin und dem bundesweiten Bionik-Kompetenznetz e.V.
(BIOKON). Mit mehr als 30 Referenten und über 120 Teilnehmern war dies das bislang
umfangreichste Treffen zu diesem Thema. Vertreter der unterschiedlichsten Disziplinen,
aus Wissenschaft und Praxis und von Verbänden kamen zusammen, um sich zu diesem
Thema auszutauschen. Eines der großen Glashäuser des Botanischen Gartens bot einen
anregenden Ort für inspirierende Diskussionen.
Klimaveränderung und Ressourcenprobleme auf der Erde erfordern neue Lösungsansätze.
In der Wirtschaft werden nicht nur neue Produkte und Produktionsweisen, sondern auch
neue Denkweisen gebraucht.
Die Bionik, der Wissenschaftszweig, der sich mit der Übertragung der im Laufe der Evolution entstandenen Lösungen der Natur auf technische Anwendungen des Menschen beschäftigt, hat sich schon seit vielen Jahren eine hohe Reputation für ihre innovativen Denkansätze und Lösungen erarbeitet. Durch erfolgreiche bionische Entwicklungen und Produkte wie z.B. den Lotuseffekt® oder die durch das Wachstum von Bäumen und Knochen
inspirierte Form- und Gewichtsoptimierung technischer Bauteile ist der Nutzen für innovative technische Lösungen deutlich geworden. Auf der Konferenz wurde dies durch die
Vorträge einer Reihe von Referenten, die sich mit der Entwicklung bionischer Produkte
beschäftigen, deutlich. Nun sollte es darum gehen, auch in anderen Feldern wirtschaftlichen Handelns und der Organisationsentwicklung von der Natur und von dem Geschehen
und den Gesetzmäßigkeiten der Evolution zu lernen. Dieses Feld wird inzwischen mit den
Begriffen Evolutionsmanagement, Evolutionsökonomik, Wirtschaftsbionik und Organisationsbionik betitelt.
K.-S. Otto, T. Speck (Hrsg.), Darwin meets Business, DOI: 10.1007/978-3-8349-6381-9_1,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
12
Einleitung
Dabei handelt es sich um eine interdisziplinäre Vorgehensweise, die Erkenntnisse aus der
Natur für ein nachhaltiges und ökonomisch verträgliches wirtschaftliches Handeln nutzen
will. Vertreter aus unterschiedlichen Bereichen präsentierten zu diesen Fragestellungen auf
der Konferenz ihre Arbeitsergebnisse. Bei der Herausgabe haben wir uns entschlossen,
dieses Buch um einige Beiträge weiterer Autoren zu ergänzen, die relevante Ergebnisse zu
dieser Thematik erarbeitet haben. Hierdurch soll eine gute und möglichst umfassende
Darstellung zu diesem wichtigen, sich stark entwickelnden Themenfeld gegeben werden.
Ein kurzer Überblick soll im Folgenden kurz in die Inhalte des Bandes einführen. Im Kapitel „WieOrganisationenundMenschensichevolutionärentwickeln“wird eine Einführung in das Thema gegeben und aus der Sicht eines Paläontologen nach möglichen Übertragungen aus der Biologie in die Wirtschaft gesucht sowie die Anwendung auf Personalund Unternehmensentwicklung aus gewerkschaftlicher Sicht dargestellt. In dem Kapitel
„OrganischManagen“geht es um die Übertragung von Anregungen aus der Biologie auf
das konkrete Managementhandeln, aber auch auf das Feld der Teamarbeit. Im Kapitel
„InnovationàlaNature“werden bionische Anwendungen im Allgemeinen sowie in spezifischen Feldern vorgestellt. Außerdem wird hier die interessante Frage erörtert, inwieweit man nicht nur Strukturen, sondern auch Prozesse aus der Natur auf die Wirtschaft
übertragen kann. Die Autoren des Kapitels „Schwarmintelligenz und Beteiligung“ beschäftigen sich mit dem Hintergrund dieses Begriffes und diskutieren zwei konkrete Übertragungsfelder im Bereich der Verkehrssteuerung und der gewerkschaftlichen Beteiligungspolitik. Im Kapitel „Neurobiologie der Kunden“ wird die Anwendung neuerer
neurobiologischer Erkenntnisse auf die Marktforschung und speziell die Markenpolitik
vorgestellt. Im Kapitel „Evolutionsökonomik“ stellen zwei führende Vertreter dieser
Fachrichtung ihre aktuellen Forschungsergebnisse dar. Das Kapitel „Nachhaltig Wirt
schaften“ zeigt an vier praktischen Beispielen für zwei Unternehmen, eine RecyclingInitiative und eine Initiative aus dem Bereich der Ernährungswirtschaft, wie weit die praktische Umsetzung dieses Gedankens schon vorangeschritten ist. Zum Schluss wird unter
der Überschrift „Evolutionäre Kunstaktion“ ein während der Tagung durchgeführtes
Kunstprojekt vorgestellt, bei dem sich Skulpturen in einem Kreislauf von Zerstörung und
Weiterentwicklung intensiv veränderten. Abschließend wird ein kurzer Überblick über
eine Ausstellung gegeben, die zeitgleich und mit gleichem Titel im Botanischen Museum
zu besichtigen war.
Wir wollen mit diesem Buch die Diskussion und die weitere Arbeit am Fachgebiet „Organisationsbionik/Evolutionsmanagement“, d.h. der kritischen Analyse und der Übertragung von Anregungen aus biologischen und insbesondere evolutionären Prozessen auf
Wirtschaftsprozesse, fördern und weiter intensivieren. Nach Ansicht der Herausgeber sind
ausgehend von den Ergebnissen der Konferenz und den an die Konferenz anschließenden
Diskussionen in den nächsten Jahren zwei Weiterentwicklungen notwendig: Es wird darauf ankommen, die praktische Anwendung in den verschiedenen Wirtschaftsfeldern
voranzubringen. In der Arbeit in Unternehmen und Organisationen werden die Lehren,
die aus Prozessen der Natur und aus dem Evolutionsmanagement gezogen werden können, noch zu wenig angewandt. Eine erste gute theoretische Grundlage ist in diesem Feld
bereits gelegt, muss aber noch weiter ausgearbeitet und verfeinert werden.
Einleitung
13
Auf der Konferenz „Darwin meets business“ gab es bereits eine Reihe von Beiträgen, die
auf die praktische Anwendung ausgerichtet war. Gerade im Bereich des direkten Anwendungsbezugs der Forschungen und bei der Übertragung in die Praxis ist aber weitere Arbeit notwendig und insbesondere folgende Fragen sind zu beantworten: Was bedeutet das
evolutionäre Vorgehen für die praktische Unternehmensplanung? Inwieweit ist wirtschaftliches Handeln vorhersagbar? Wie kann sich auf der einen Seite die praktische Planung
eines Unternehmens auf unvorhergesehene bzw. unvorhersehbare Ereignisse vorbereiten
und auf der anderen Seite aber auch dort, wo Trends klar sind, diese in die Unternehmenssteuerung einbeziehen? Wie können die eindeutigen Ergebnisse der Neurobiologie noch
konkreter nicht nur in das Marketing, sondern auch in das Führungsverhalten von Managern und die Interaktion von Teams einbezogen werden? Wie können die Erkenntnisse der
Schwarmintelligenz-Diskussion noch anwendungsbezogener bei der Einbeziehung der
Mitarbeiter in die Unternehmensgestaltung praktisch umgesetzt werden? Wie können wir
für die Stärkung der Innovationskraft der Unternehmen von den Prozesslösungen der
Natur lernen? Bei all diesen Überlegungen darf man jedoch auch den ethischen Aspekt
einer Übertragung von Erkenntnissen aus der Biologie in die verschiedenen Aspekte der
Unternehmensführung und -steuerung nie aus den Augen verlieren. Im Zentrum all dieser
Überlegungen sollte stets das Ziel einer „menschenwürdigen Arbeitswelt“ stehen. Wichtig
ist aber auch die Frage, ob es uns gelingen wird, schnell genug die notwendigen Veränderungen in der Wirtschaft voranzubringen oder ob wir an Themen wie Klimaveränderung
oder Verringerung der Biodiversität nur noch Schadensbegrenzung betreiben können, die
grundsätzlichen Entwicklungen aber schon unaufhaltsam sind.
Zentral für einen langfristigen Erfolg von Organisationsbionik und Evolutionsmanagement ist auch die Weiterführung der theoretischen Auseinandersetzung. Hier geht es z.B.
darum, die Grenzen und Möglichkeiten dieser Ansätze weiter auszuloten. So sollten wir
uns fragen, ob es „nur“ Bilder und Allegorien sind, die wir übertragen und die als Anregungen für neue Denkkonzepte in der Unternehmensführung dienen, oder ob es die Gesetzmäßigkeiten der Evolution selbst sind, die nicht nur in der Natur gelten, sondern auch
für das wirtschaftliche Handeln. Letztendlich könnte das wirtschaftliche Handeln auch als
ein Teil evolutionärer Naturvorgänge betrachtet werden, nämlich als eine spezielle Interaktionsform der Spezies Homosapiensmit sich und ihrer Umwelt. Zu Fragen ist auch, welche Rolle Konzepte, die sich als ganzheitliche oder integrale Ansätze verstehen in einer
solchen Debatte spielen können und sollen gegenüber den eher aus der Kybernetik abgeleiteten, an Technik und Logik orientierten Ansätzen. Heftige Diskussionen gab es auf der
Konferenz über die Verknüpfung zu systemischen Ansätzen. Ist die Herangehensweise
von Organisationsbionik und Evolutionsmanagement in den systemischen Ansatz einzuordnen oder geht sie über den systemischen Ansatz hinaus und entwickelt ihn an wesentlichen Punkten weiter; z.B. steht im Zentrum dieser Herangehensweise nicht mehr die
Frage nach dem „Wie funktioniert ein System?“ sondern vielmehr die Fragen nach dem
„Wo kommt ein System her und wie entwickelt es sich weiter?“. Kontrovers wurde auch
diskutiert, welche Bedeutung die Selbstorganisation eines lebenden Systems/Organismus
nach intrinsischen Regeln und Gesetzmäßigkeiten gegenüber der Bedeutung der Anpassungsleistung an sich verändernde Umweltveränderungen hat, ob sich die beiden Aspekte
14
Einleitung
überhaupt trennen lassen und inwieweit man hieraus Anregungen für die Führung und
Steuerung von Unternehmen aufgreifen kann.
In der Diskussion zeigte sich, dass der Titel „Darwin meets business“ für einige Teilnehmer durchaus provokant war, da sie mit dem Namen Darwin eher das Konzept des „Überlebens des Stärkeren“ verbinden und den Sozialdarwinismus als eine logische Konsequenz
der Darwinschen Erkenntnisse sehen. Gerade in dieser Frage zeigten sich durchaus große
Unterschiede in der Sichtweise von Biologen und Evolutionswissenschaftlern auf der einen
Seite sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern auf der anderen Seite. Große Einigkeit
herrschte jedoch darin, dass das vor 150 Jahren von Charles Darwin in seinem Werk „On
the origin of species by means of natural selection“ vorgelegte Erklärungskonzept, das in
der Folge zur synthetischen Evolutionstheorie vervollständigt wurde, es erlaubt, den Ablauf der Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, die der Evolution zu Grunde liegen. Die Mehrheit der Kongressteilnehmer war sich zudem einig, dass trotz einer möglicherweise gewissen Überzeichnung Darwins, was die Bedeutung der Konkurrenz im Evolutionsprozess
betrifft, seine bahnbrechenden Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten der Evolution des
Lebens auf der Erde die Wissenschaftsentwicklung enorm befruchtet haben. Dass auch
Symbiosen und Kooperationen von nicht zu unterschätzender Bedeutung in der evolutionären Entwicklung des Lebens sind, belegt eine Vielzahl von Ergebnissen der modernen
Biologie. In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, wie Konkurrenz und Kooperation
im menschlichen Zusammenleben miteinander im Verhältnis stehen und welche Rolle
Kooperation und Symbiose in der Dynamik der langen Geschichte der Evolution spielen.
Während hier von sozialwissenschaftlicher Seite eher die tragende Rolle von Kooperationsprozessen in der Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft betont wird, sehen
die meisten Biologen eher das Wechselspiel von Konkurrenz und Kooperation/Symbiose
in der Natur als treibenden Faktor an und betonen die Bedeutung der natürlichen Selektion bei der Evolution. Insgesamt zeichnet sich mit den verschiedenen Themen ein spannendes Feld der wissenschaftlichen Kontroverse ab, das für die Weiterentwicklung des
wirtschaftlichen Handelns zunehmend Bedeutung erhalten wird.
Danken wollen wir an dieser Stelle der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die mit
ihrer Förderung dieses Projekt erst ermöglicht hat. Hier sei besonders dem Geschäftsführer
Herrn Dr. Fritz Brickwedde und Frau Verena Exner gedankt. Dank an Myra von Ondarza
und das Team der Dr. Otto Training & Consulting für die Planung und Betreuung der
Konferenz. Herr Dr. Rainer Erb vonBIOKON e.V. und Frau Dr. Cornelia Löhne und Herr
Professor Dr. Thomas Borsch vom Botanischen Garten und Botanischen Museum BerlinDahlem haben mit ihrer Unterstützung diesen Dialog mit ermöglicht. Wir bedanken uns
außerdem bei Herrn Dr. Ralf Meyer von der Volkswagen Coaching, Herrn Andreas
Scholz-Fleischmann und Frau Birgit Nimke-Sliwinski von der Berliner Stadtreinigung
sowie Herrn Joe Faß und Frau Sabine Süpke von der Industriegewerkschaft Bergbau,
Chemie und Energie, die dieses Projekt ebenfalls maßgeblich unterstützt haben. Dank auch
an alle Referenten, die mit ihren Beiträgen die Vielfältigkeit und geistige Breite dieses
Buches ermöglicht haben und an die Teilnehmer/innen der Konferenz für ihre engagierten
und spannenden Diskussionsbeiträge. Mit viel Energie hat Frederik Fleischmann von Dr.
Otto Training & Consulting den großen Kreis von Autoren zusammengeführt und für die
Einleitung
15
inhaltliche und formale Qualität der Beiträge gesorgt. Mit dem Gabler Verlag haben wir
für dieses Werk, das nicht unbedingt im Mainstream in der Wirtschaftsdebatte steht, einen
renommierten Verlag gefunden. Herzlichen Dank an die Verlagsbereichsleiterin Frau Maria Akhavan-Hezavei für die intensive und kompetente Betreuung und Begleitung des
Projektes.
Wir befinden uns in einer außerordentlich interessanten Debatte, an der auch die Öffentlichkeit immer mehr Anteil nimmt. Wir wollen mit diesem Band diese Debatte durch fundierte Beiträge namhafter Autoren mit weiterem „Diskussionsstoff“ anreichern. Ein weiterer wichtiger Meilenstein wird die nächste Konferenz zu diesem Thema sein, die im Herbst
2011 stattfindet. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich weiter über die Seite www.darwinmeets-business.de informieren und sich an der Diskussion zu diesem Thema beteiligen.
In seinem Buch über die Abstammung des Menschen erklärte Charles Darwin: „Der
Mensch ist selbst in dem rohesten Zustand, in welchem er jetzt existiert, das dominierendste Tier, was je auf der Erde erschienen ist. Er hat sich weiter verbreitet als irgendeine andere hoch organisierte Form und alle anderen sind vor ihm zurückgewichen. Offenbar verdankt er diese unendliche Überlegenheit seinen intellektuellen Fähigkeiten, seinen sozialen
Gewohnheiten, welche ihn dazu führten, seine Genossen zu unterstützen und zu verteidigen, und seiner körperlichen Bildung.“ Wir können heute nur hoffen, dass diese menschliche Dominanz auf der Erde wieder mehr dazu genutzt wird, die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und die Vielfalt der Organismen auf dieser Erde zu erhalten. Hier wird
es besonders auf ein bewussteres Agieren der Wirtschaft, aber auch der Verbraucher ankommen. Wir verstehen die in diesem Band versammelten Abhandlungen als einen kleinen Beitrag zu diesem Ziel.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Berlin, Juni 2010
Klaus-Stephan Otto und Thomas Speck
Einleitung
WieOrganisationenundMenschensich
evolutionärentwickeln
17
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich durchsteuern
19
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich
durchsteuern
KlausStephanOtto
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden wir mit unserem Ansatz „Evolutionsmanagement - von der Natur für die Wirtschaft lernen“ von vielen belächelt. Das hat sich geändert. Eine Reihe von Ereignissen macht die in der Wirtschaft agierenden Menschen heute
nachdenklich und fördert die Diskussion alternativer Ansätze.
Die Wirtschaftskrise hat die Grenzen der traditionellen linearen Wirtschaftskonzepte deutlich gemacht, Energiekrise und Klimawandel erfordern neue Formen des Wirtschaftens.
Grundlagen des Evolutionsmanagements
Beginnen wir mit einer Definition: Unter Evolutionsmanagement verstehen wir eine Herange
hensweiseandasManagementvonOrganisationen,beiderdieVorgängeinundzwischenOrgani
sationenalsLebensprozessebetrachtetwerden,dienachdengleichenoderähnlichenPrinzipienund
Gesetzmäßigkeiten wie andere Prozesse in der Natur und im Evolutionsgeschehen ablaufen. Aus
diesenvergleichbarenNaturprozessenkannmanfürdieindividuelleHandlungsebenedesManagers
und die Ebene der Organisationsprozesse und Unternehmensentwicklung lernen. Es geht also
nicht nur darum, mit Analogien aus der Natur zu arbeiten, sondern das Wirtschaftsgeschehen wird als ein Teil der vielfältigen evolutionären Entwicklungen auf der Erde gesehen, für den die gleichen Gesetzmäßigkeiten gelten, wie in der Natur auch. Unternehmen
sind jeweils einzigartig. Sie sind keine Maschinen, sondern lebende Organismen in einem
ständigen Veränderungsprozess. Um zu wissen, wo es hingeht, brauchen sie ein Bewusstsein, woher sie in ihrer evolutionären Entwicklung kommen.
K.-S. Otto, T. Speck (Hrsg.), Darwin meets Business, DOI: 10.1007/978-3-8349-6381-9_2,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Abbildung 1
Wie Organisationen und Menschen sich evolutionär entwickeln
Vorgehensweisen im Evolutionsmanagement
Bei dem Übertragungsprozess auf Wirtschaft und Management lassen wir uns von fünf
grundlegenden Herangehensweisen leiten:
1. Auf der Mikroebene lernen wir aus spezifischen Vorgängen in der Natur für Organisationsprozesse, so, wie die Bionik intelligente Lösungen der Natur für neue technische
Lösungen nutzt. Dies trifft z.B. auf Innovationsprozesse zu, bei denen man das später
erläuterte Prinzip der Präadaptation übertragen kann.
2. Auf der Makroebene beobachten wir die Gesetzmäßigkeiten der Evolution aus der
Langzeitperspektive und vergleichen z.B. die Entwicklung der Arten in der Geschichte
der Evolution mit dem Auf und Ab der Entwicklung von Branchen, neuen Technologien oder Produkten in der Wirtschaft.
3. Auf der Verhaltensebene überträgt der Evolutionsmanager Kenntnisse aus der Biologie und hier vor allem aus der Neurobiologie auf das Verhalten von Menschen in Organisationen und entwickelt daraus Anregungen für das konkrete Führungsverhalten.
Hier gibt es z.B. interessante Übertragungen am Punkt der Motivation, wo Erkenntnisse über die Wirkung der körperinternen Dopamine neue Rückschlüsse auf Führungsverhalten ermöglichen.
4. Auf der Bewusstseinsebene zeigt es sich, dass der Mensch eine besondere Rolle im
evolutionären Geschehen spielt. Einerseits „geschieht“ ihm Evolution. Gleichzeitig hat
er durch seine Bewusstseinsentwicklung die Möglichkeit, in Evolutionsprozesse stärker
als jede tierische Art einzugreifen, sie dabei zumindest in Teilbereichen zu gestalten
und weiterzuentwickeln. Dies ist eine Chance, aber auch eine Gefahr für unseren Pla-
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich durchsteuern
21
neten, wie wir an der vom Menschen gemachten Klimaveränderung sehen können.
Deswegen geht es hier darum, das Potenzial des menschlichen Bewusstseins für die
Wirtschaftsentwicklung einzusetzen und wirtschaftlich nachhaltige strategische Entscheidungen zur fördern, die das langfristige Überleben der Organisation sichern.
5. Auf der ökologischenEbene ist Evolutionsmanagement bestrebt, die gestaltenden
Möglichkeiten im Wirtschaftsleben in das biologische Geschehen der Evolution zu integrieren, so dass wirtschaftliches Handeln die Natur nicht zerstört, sondern im Sinne
von Nachhaltigkeit zur Bewahrung des Lebens auf diesem Planeten beiträgt.
Grade in Krisenzeiten rücken jene Aspekte unternehmerischen Handelns in den Vordergrund, die für das Überleben der Organisation zwingend notwendig sind. Einzelne Bausteine für ein erfolgreiches Handeln in stürmischen Zeiten sollen im Folgenden aus dem
Blickwinkel des Evolutionsmanagements betrachtet werden.
Konkurrenz und Kooperation
Konkurrenz und Kooperation haben in der Evolution eine dialektische Beziehung. Beide
sind notwendige Verhaltensformen, um das Überleben zu sichern. Die Konkurrenz bringt
eher die Dynamik von evolutionären Prozessen voran, aber sie birgt auch die Gefahr, dass
sie zu einem hohen Ressourcenverbrauch und im Extrem auch zur Vernichtung führen
kann. Kooperation ist ressourcenschonend und kombiniert bestehende Eigenschaften und
Fähigkeiten, kann aber auch dazu führen, dass die Entwicklungsdynamik nachlässt.
Darwin hat in seinen Schriften die Bedeutung des Kampfes überbetont, was sicher mit
dem herrschenden Zeitgeist zusammenhing. Denn er kannte auch Karl Marx und dessen
Theorie vom notwendigen Klassenkampf. Heute wissen wir mehr über die Bedeutung der
vielfältigen symbiotischen Prozesse in der Natur.
22
Abbildung 2
Wie Organisationen und Menschen sich evolutionär entwickeln
Evolutionäre Weiterentwicklung durch Konkurrenz und Kooperation
Nach dem letzten großen Artensterben vor 65 Millionen Jahren, bei dem die Dinosaurier
untergegangen sind, haben die Säugetiere nicht überlebt, weil sie gegen die Dinosaurier
gekämpft und gewonnen hätten. Dazu waren sie zu diesem Zeitpunkt viel zu klein, meist
nur mausgroß. Nach dem Meteoriteneinschlag, der so viel Energie freisetzte wie die Explosion von einer Milliarde Hiroshima-Bomben, waren sie als kleine, oft unter der Erde
lebende Wesen viel besser geeignet, die Klimaveränderungen zu überstehen, während die
großen starken Dinosaurier zu viele Ressourcen verbrauchten und wahrscheinlich nicht
mehr genug Nahrung fanden. Die Säugetiere hatten mit der evolutionären Herausbildung
dreier Ohrknöchelchen ein besseres Gehör entwickelt und konnten aus diesem Grund
schneller auf Gefahren reagieren. Mit ihren breiten Backenzähnen konnten sie außerdem
die spärlich vorhandene Nahrung besser verwerten. Sie waren also besser an die Krisensituation angepasst. Sie hatten innovativere Überlebenskonzepte im Umgang mit Ressourcen. Auch in der Betrachtung der Krise von 2009 zeigt sich, dass diejenigen Unternehmen
besser durch die Krise gekommen sind, die innovativere Ressourcenkonzepte besaßen.
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich durchsteuern
23
Bei der strategischen Arbeit eines Unternehmens ist die Wettbewerberanalyse zwar wichtig, sie ist aber nur einer von vielen Faktoren, die die Veränderungen im Umfeld kennzeichnen und aus denen dann die notwendigen internen Veränderungen und die Veränderungen der Produkte und Dienstleistungen abzuleiten sind. Die Anpassungsfähigkeit an
veränderte Umfeldbedingungen ist also das entscheidende Kriterium für den Erfolg eines
Unternehmens.
Komplexitätsentwicklung geschieht in der Natur oft über Koevolution, wie z.B. bei Menschen und Bakterien der Fall ist. Der Mensch entwickelt immer komplexere Medikamente,
die Bakterien entwickeln Resistenzen.
Koevolution kann im Rahmen eines Konkurrenzverhältnisses stattfinden, wo man aus der
Konkurrenz heraus die jeweiligen Fähigkeiten in der Auseinandersetzung weiterentwickelt. Sie kann aber auch über symbiotische Prozesse erfolgen, in denen man sich gegenseitig unterstützt und zusammenarbeitet.
Dies kann auch auf Wirtschaftsprozesse übertragen werden. Auch hier entwickeln sich
Unternehmen über die Konkurrenz am Markt oder durch interessante Kooperationen, wie
z.B. die Star Alliance in der Luftfahrt, die als Reaktion auf die Luftfahrtkrise der 1990er
Jahre entstand und bei der die Teilnehmer in bestimmten Bereichen kooperieren, obwohl
sie auf dem Gesamtmarkt weiter konkurrieren. Unsere kulturelle Aufgabe besteht nicht
darin, Konkurrenz im Leben, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft zu eliminieren,
sondern die Formen der Konkurrenz zu zivilisieren und hier eine kulturelle Weiterentwicklung zu ermöglichen.
Dabei gilt, dass komplexe Kooperationen gerade auch in der Wirtschaft nur möglich sind,
wenn die Partner eine hohe Konkurrenzkompetenz haben: Kooperationen funktionieren
nur, wenn es gelingt, die in ihnen auftretenden Auseinandersetzungen und Konkurrenzen
zu lösen und damit die Weiterführung der Kooperation zu gewährleisten. Dies bedeutet
für die Anwendung in Unternehmen, dass es notwendig ist, eine positive Konkurrenzkompetenz der Mitarbeiter und Führungskräfte zu entwickeln. Immer mehr bedeutende
Innovationen entwickeln sich aus Kooperationen von Unternehmen, die aber nur gelingen,
wenn die Konkurrenzseite erfolgreich gemeistert wird.
Auf Umfeldveränderungen reagieren
Als 2009 der Quelle-Konzern Konkurs anmelden musste, ging ein Unternehmen bankrott,
das viele Jahre das Leben in der Bundesrepublik mit seiner schier unendlichen Warenwelt
und den bunten Katalogen geprägt hatte. Aber das Management des Unternehmens hatte
die Veränderungen im Kundenverhalten unterschätzt. Viel schneller hatten die neuen
Kommunikationsformen über das Internet zwischen Handel und Kunden Fuß gefasst, zu
langsam hatte sich der große Konzern umgestellt. Die Evolution zeigt uns: Wer sich nicht
schnell genug auf Veränderungen des Umfelds einstellt, der wird nicht überleben. Wenn
wir die Geschichte der Evolution betrachten, so können wir eine stetige Komplexitätsentwicklung der Organismen beobachten. Von den einzelligen Bakterien hin zu komplexen
Gesellschaftsformen wie bei den Ameisen und zu immer höher entwickelten Gehirnleis-
24
Wie Organisationen und Menschen sich evolutionär entwickeln
tungen wie bei den Säugetieren und den Menschen. Aber diese Entwicklung ist nicht gradlinig und stetig erfolgt. Im Laufe der vielen hundert Millionen Jahre der Evolution sind
viele und zum Teil sehr heftige Krisen durchschritten worden, die zu großen Artensterben,
aber auch zu fast explosionsartiger Entwicklung von neuen Arten geführt haben. Allein in
der Perm-Trias-Katastrophe vor 251 Millionen Jahren sind fast 90 Prozent aller Tierarten
ausgestorben. Wahrscheinlich führten eine plötzliche Klimaerwärmung und riesige Mengen von Lava in Sibirien zu dieser Katastrophe. Doch nach dieser Katastrophe entwickelten sich viele neue Arten, und z.B. die Muscheln konnten sich sehr stark ausbreiten.
Wirtschaftsentwicklung wird oft als eine Geschichte des Wachstums erzählt, aber tatsächlich ist es auch hier ein Auf und Ab. Krisen gehören genauso zur Wirtschaftsgeschichte
wie Wachstum. Diese Parallelität lässt darauf schließen, dass hier ähnliche Gesetzmäßigkeiten herrschen wie in der Evolution. Es ist sinnvoll, aus dieser Entwicklung für die Wirtschaft zu lernen. Auch hier sterben viele Unternehmen. Doch wenn ein Unternehmen in
die Insolvenz geht, so leben über die am Unternehmen beteiligten Menschen viele der
Fähigkeiten in anderer Form bzw. an anderer Stelle weiter. In den zehn Jahren von 2000 bis
2009 haben in Deutschland mehr als 340 000 Unternehmen Insolvenz beantragt. In diesen
Unternehmen waren zum Zeitpunkt der Antragstellung fünf Millionen Menschen beschäftigt. Damit hat in den vergangenen zehn Jahren fast jeder fünfte Arbeitnehmer eine Firmeninsolvenz miterlebt.
Ständiger Wandel kennzeichnet die Entwicklung der Evolution und die Entwicklung der
Wirtschaft. Je besser Management und Mitarbeiter das Umfeld beobachten und analysieren und in einer angemessenen Geschwindigkeit (statt hektisch) die notwendigen Veränderungsschlüsse ziehen, umso besser gelingt es ihnen, die Stabilität ihres Unternehmens
zu sichern und ein gesundes Wachstum zu erreichen.
Zielkorridore nutzen
Die traditionelle Betriebswirtschaft hat viele Planungsinstrumente entwickelt, um Unternehmen zu steuern. Die Krise der Finanzwirtschaft und ihre Folgen haben so deutlich wie
noch nie gezeigt, dass diese Planungstechniken nicht gut genug funktioniert haben und
nicht in der Lage sind, die Komplexität unseres Wirtschaftsgeschehens abzubilden. Selten
hat man so viele Manager angetroffen, die sich nicht in der Lage sahen, eine belastbare
Unternehmensprognose abzugeben.
Sollte man deswegen nicht mehr planen? Die Unternehmen brauchen weiterhin Planung,
denn sie soll Orientierung geben. Sie muss aber gefährliche Fixierungen vermeiden. Heute
ist es in den Unternehmen üblich, am Anfang des Jahres genau definierte Ziele festzulegen
und diese Ziele dann mit aller Kraft umzusetzen. Doch dieses Vorgehen birgt Gefahren in
sich: Der Blick auf die fixierten Ziele schränkt die Wahrnehmung von zum Zeitpunkt der
Zielfestlegung noch nicht sichtbaren neuen Chancen ein. Da hilft es, Zielkorridore festzulegen und nicht nur Ziele. Planung muss auch schnell und flexibel umgeworfen werden
können, wenn unvorhergesehene Ereignisse eintreten.
Mit Evolutionsmanagement Krisen erfolgreich durchsteuern
Abbildung 3
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Unterscheidung zwischen der Festlegung eines Ziels und eines Zielkorridors
Die Evolution ist eine Mischung aus Zufall und Notwendigkeit. Die Wirtschaft wird lernen
müssen, den Zufall in ihre Planungsinstrumente zu integrieren. Unternehmen sollten heute auf der Grundlage verschiedener Zukunftsszenarien darauf vorbereitet sein, unterschiedliche Strategien fahren zu können und sich sehr schnell für die Umsetzung der einen
oder anderen zu entscheiden. Sie müssen bereit sein, Fehler zu machen, und, indem sie aus
diesen Fehlern lernen, ihre Strategie weiterzuentwickeln.
Grundbedürfnisse erfüllen und Kompetenzen stärken
Die Wirtschaftswissenschaftler haben für sich das Menschenbild des „Homo oeconomicus“
geschaffen, der vom rationalen Denken geprägt ist. Eduard Spranger bezeichnete 1914 in
seiner „PsychologiederTypenlehre“ den Homo oeconomicus als jemanden, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Die neueren neurobiologischen Erkenntnisse weisen in eine andere Richtung. Wir sind in unserem Erleben und Verhalten
noch immer tiefgehend von alten, in Millionen Jahren durch die Evolution entstandenen
Antrieben geprägt. Der Neurobiologe António Damásio hat für den Menschen zwei
grundlegende Antriebe festgestellt: zu überleben und sich Wohlbefinden zu verschaffen.
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Wie Organisationen und Menschen sich evolutionär entwickeln
Wenn wir Organisationen und Unternehmen als Organismen begreifen, so kann man auch
für sie diese beiden grundlegenden Antriebe konstatieren. Es ist nicht die Befriedigung der
Shareholder oder die Befriedigung der Kunden, die das Unternehmen antreibt, sondern
der Wunsch zu überleben, und das möglichst angenehm. Shareholder Value oder Kundenzufriedenheit dienen dem Überleben, sind aber nicht der eigentliche Zweck der Organisation.
In einer sich ständig verändernden Welt und sich verändernden Märkten braucht das
Unternehmen aus Sicht des Evolutionsmanagements die folgenden grundlegenden Fähigkeiten:
႑Anpassungsfähigkeit: Es muss in der Lage sein, sich schnell an veränderte
Umfeldbedingungen anzupassen. Nicht Größe oder dauernde hohe Geschwindigkeit
sind die Erfolgsfaktoren. Dies hat das Beispiel Daimler-Chrysler gezeigt, als der geplante „Weltkonzern“ die Existenz des Unternehmens gefährdete. Es sind die Fähigkeit
zur Voraussicht und die adäquate Anpassung, die das Überleben sichern.
႑Innovationskompetenz: Leben erfordert die Fähigkeit, Strukturen, Produkte und Prozesse ständig weiterzuentwickeln. Je stärker der Wettbewerb, je stärker der Wunsch
nach einem angenehmen Leben, umso höher ist die Notwendigkeit, die eigene Arbeit
zu optimieren und Neues zu erfinden. In einem weltweit verschärften Wettbewerb
kann die deutsche Wirtschaft mit ihren vergleichsweise hohen Löhnen nur bestehen,
wenn sie mit ihren Innovationen immer ein Stück voraus ist.
႑Symbiosefähigkeit: Komplexitätsentwicklung in der Evolution ist oft über neue For-
men der Symbiose und Kooperation entstanden. Komplexe Produkte und Dienstleistungen erfordern eine hohe Kooperationskompetenz. Große technologische Weiterentwicklungen können heute immer seltener von einem Unternehmen allein geschaffen
werden, wie das Beispiel der Kooperationen bei der Weiterentwicklung von Autobatterien zeigt, wo nicht mehr einzelne Unternehmen, sondern Forschungszusammenschlüsse mehrerer Unternehmen konkurrieren. Daimler arbeitet mit den Chinesen von
BYD (Build your dreams) zusammen, Volkswagen mit Varta.
႑Konkurrenzkompetenz: Das Unternehmen muss in der Lage sein, sich im Wettbewerb
gegenüber Konkurrenten zu schützen und kraftvoll im positiven Sinne konkurrieren
zu können. Eine sinnvolle evolutionäre Weiterentwicklung könnte in der Erarbeitung
eines Konkurrenzkodexes liegen, der Formen der Konkurrenz entwickelt, die den
Konkurrenten nicht vernichten wollen, sondern die gemeinsame Weiterexistenz im Fokus haben.
႑Ressourcenkompetenz: Das Unternehmen muss mit den für seine Arbeit notwendigen
Ressourcen effektiv und sparsam umgehen können. Die Klimaveränderungen fordern
einen anderen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Wir sehen jetzt schon deutlich,
wie die Autofirmen, die mehr ressourcensparende Modelle im Angebot haben, ihren
Wettbewerbern gegenüber besser dastehen. Die Unternehmen, die diesen Wandel
schnell umsetzen, werden langfristig erfolgreich sein.
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႑Bewahrungsfähigkeit: Die Evolution zeigt uns, dass sie Strukturen und Prozesse, die
sich über lange Zeit bewährt haben, bewahrt und nicht verändert. Die Baupläne der
wichtigsten Lebewesen einschließlich des Menschen sind in ihrer Grundstruktur in der
„kambrischen Explosion“ vor rund 530 Millionen Jahren entstanden und haben sich
danach nicht grundlegend verändert. Auch Unternehmen müssen die Strukturen und
Prozesse bewahren, die den Erfolg des Unternehmens gewährleistet haben. Neue
Chefs, die meinen, in ihrer Organisation alles umwerfen zu müssen, um ihre eigenen
Duftmarken zu setzen, erzeugen unter den Mitarbeitern nur Widerstand und sind
langfristig unproduktiv.
Das Unternehmen kann mit einem Unternehmens-Check überprüfen, inwieweit die jeweiligen Kompetenzen vorhanden oder nicht vorhanden sind. Die zu gering ausgebildeten
Kompetenzen können über Qualifizierungsprogramme für Mitarbeiter und Führungskräfte und über organisationales Lernen gestärkt werden.
Präadaptation und Exaptation
In der Natur entsteht vieles durch zufällige Mutationen. Dabei können sich Merkmale
herausbilden, die unter bestimmten Umfeldbedingungen nicht besonders nützlich sind.
Verändern sich aber die Umfeldbedingungen, so kann dieses Merkmal auf einmal von
großem Vorteil sein. Der Paläontologe Neil Shubin entdeckte 2004 in der kanadischen
Arktis die Fossilien eines 375 Millionen Jahre alten Fisches mit Flossen, die wie Handgelenke konstruiert waren und mit denen der Fisch sich auf dem Boden fortbewegen konnte.
Das war im Wasser erst einmal nicht besonders nützlich. Aber wenn das Wasser austrocknete oder er sich vor größeren Fischen an Land flüchten konnte, so war genau dieses
Merkmal verbunden mit einer Lunge ein großer Überlebensvorteil. Dieser nun berühmt
gewordene Fisch wurde nach einem Begriff der Inuit-Sprache „Tiktaalik“ genannt.
Das Entstehen solcher Merkmale, die sich bilden, ohne gleich nützlich zu sein, nennt man
Präadaptation. Solche Präadaptationen findet man auch in der Wirtschaft. So wurde die
SMS nebenbei entwickelt, ohne dass anfänglich die Potenziale erkannt wurden. Heute ist
die SMS einer der Hauptumsatzträger für die Telekommunikationsunternehmen. In der
Krise geht es also nicht unbedingt darum, etwas Neues zu erfinden, sondern zu entdecken,
was im Unternehmen schon vorhanden ist, aber unter den veränderten Umfeldbedingungen nun zum Markterfolg führen kann.
Ähnlich bedeutsam ist die Exaptation in der Evolution. Hier geht es in der Natur darum,
eine bestimmte Eigenschaft für eine neue Funktion zu nutzen, für die sie eigentlich bisher
nicht gedacht war. So wurde die Feder von den Tieren ursprünglich zur Wärmeisolation
genutzt. Später wurde sie wegen ihres relativ geringen Gewichts bei einer hohen Luftverdrängung von den Vögeln zum Fliegen eingesetzt.
Auch in der Wirtschaft werden bestimmte Eigenschaften für andere Funktionen eingesetzt.
Teflon wurde 1938 entdeckt und zuerst von den Amerikanern im Manhattan-Projekt beim
Bau der Atombombe eingesetzt. Heute findet es Verwendung zur Beschichtung von Bratpfannen. Auch Exaptationen sind für Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil, weil sie in
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dieser Technologie schon erfahren sind und sie nun für ein anderes Produkt einsetzen und
schnell Marktreife erlangen können.
Krebsähnliche Prozesse im Finanzsystem
Wachstum ist kein Wert an sich. Das gilt für Organismen genauso wie für Organisationen.
Krebszellen haben sich von dem Lebenszyklus einer Zelle befreit. Während die normale
Zelle sich 20 bis 50 Mal teilt, dann altert und stirbt, scheint die Krebszelle unsterblich. Sie
teilt sich immer wieder, das Krebsgeschwür wächst und breitet sich durch Metastasen aus.
Krebszellen erfüllen keine nützliche Funktion mehr, ihr Egoismus steht über dem Gesamtinteresse des Organismus als Ganzem und führt zum Absterben des Organismus, folglich
auch zum Absterben des Krebses. Dies kann nur verhindert werden, wenn der Organismus den Krebs eindämmt, ihm Grenzen setzt.
Eine ähnliche Entwicklung hat das Finanzsystem genommen, weil ihm nicht genügend
Grenzen gesetzt wurden. Es hat sich im eigenen Interesse vermehrt und war nur noch für
sich selbst nützlich. Seine Krise schädigte die gesamte Gesellschaft und damit natürlich
auch wieder das Finanzsystem. Das Finanzsystem sollte wieder zurückgeführt werden auf
die dienende Funktion, die es für die Lebensprozesse des gesamten Wirtschaftssystems
hat. Es gilt, dafür zu sorgen, dass nicht die Quantität einer Profitanhäufung im Mittelpunkt
steht, sondern die Qualität der Finanzprozesse – die Frage, wofür der Profit erwirtschaftet
werden soll – wieder in den Mittelpunkt gerückt wird.
Sterblichkeit ist eines der Grundgesetze der Evolution
Darwin hat herausgefunden, dass sich die Arten verändern und aus wenigen einfachsten
Formen unzählige komplexe Lebewesen entstanden sind. Da der vorhandene Lebensraum
und die Ressourcen endlich sind, konnte diese unendliche Vielfalt nur auf Grund der
Sterblichkeit der Organismen entstehen. Das Absterben von Individuen, aber auch von
Arten, ermöglicht die Entstehung neuer Arten und ermöglicht Veränderung. 99 Prozent
aller Arten, die jemals auf der Erde gelebt haben, sind ausgestorben. Das heißt nicht, dass
ihre Baupläne und Eigenschaften ausgestorben sind, denn viele von ihnen leben in existierenden Arten fort.
Dies gilt auch für Unternehmen, Branchen und Produktreihen. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Unternehmens liegt bei 18 Jahren, somit sind auch 99 Prozent aller Unternehmen, die jemals existierten, „ausgestorben“. Ein Beispiel ist die Schreibmaschinenindustrie, auf deren Markt die modernen Drucker das Feld erobert haben. Es werden so gut
wie keine Dampflokomotiven mehr produziert und vor nicht allzu langer Zeit wurde das
gute alte Telegramm abgeschafft, das bis vor einigen Jahren die Familie über Geburten
oder Sterbefälle schnell informiert hat. Telefon und E-Mail haben seine Stelle eingenommen. Das Fax, das zwischenzeitlich an Bedeutung gewonnen hatte, ist auch schon wieder
im Niedergang. Diese Umbrüche erfolgen einerseits allmählich, sie sind aber auch von
Schüben begleitet. In der Regel sind Krisen der Auslöser für solche Schübe. Da geht etwas
unter, aber dieser Untergang macht den Weg frei für neue Entwicklungen. In der viele
Millionen Jahre langen Geschichte der Evolution sind den Artenexplosionen immer Krisen
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vorangegangen. Professor Kießling, Paläontologe am Berliner Naturkundemuseum, stellt
fest: „Es kristallisiert sich zunehmend heraus, dass ein Aufbruch des Lebens kaum ohne
eine vorherige Krise zu haben ist.“ Kießling hat für die Meeresgattungen eine Kurve erstellt, die zeigt, wie sich in den letzten 500 Millionen Jahren die Aussterbe- und die Neuentstehungsrate entwickelt haben (siehe Beiträge von Myra von Ondarza und Wolfgang
Kießling). Dabei zeigt sich, dass eine Krise mit einer sehr hohen Aussterberate verbunden
ist – manchmal sterben fast alle Arten aus – aber danach steigt die Neuentstehungsrate
steil an. Die Natur entwickelt völlig neue Formen, die besser als die vorherigen in der Lage
sind, mit der nach der Krise veränderten Umwelt umzugehen. Wenn man sich die Wirtschaftsentwicklung anschaut, so finden auch dort regelmäßig Krisen statt und die Unternehmen überstehen diese Krisen nur, wenn sie auf die veränderten Bedingungen gut vorbereitet waren oder sich schnell anpassen können. Deswegen reicht es auch nicht aus, in
der Krise nur Sparprogramme zu initiieren. Die Dinosaurier hätten ihren Untergang durch
verringerte Nahrungsaufnahme auch nicht verhindern können, es waren strategisch neue
Konzepte nötig.
Wir dürfen also nicht einfach an Bestehendem festhalten, sondern sollten bereit sein, die
notwendigen Veränderungen zu vollziehen. Oftmals wehren sich die Menschen in Organisationen gegen Veränderungen, weil sie befürchten, im Veränderungsprozess unterzugehen. Dies ist nicht unbegründet, wie wir an der hohen „Sterberate“ von Unternehmen
sehen können. Es ist Aufgabe des Managements, die Zuversicht auszustrahlen, dass die
Veränderung das Unternehmen stärkt. Wer Veränderungen vor allem auf Kosten der Mitarbeiter vollzieht, kann nicht erwarten, Zustimmung für den Veränderungsprozess zu
erhalten. Eine Börse, die wie der Pawlowsche Hund auf jede Ankündigung von Massenentlassungen mit massiven Kurssteigerungen reagiert, ist hier nicht hilfreich.
Die evolutionäre Entwicklung des Unternehmens begleiten
In unserer praktischen Arbeit begleiten wir Unternehmen in ihrer evolutionären Entwicklung. Ausgangspunkt ist die notwendige Weiterentwicklung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Dabei orientieren wir uns an dem folgenden roten Faden, den wir
in Workshops mit den Beteiligten bearbeiten:
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Abbildung 4
Strategieentwicklung mit Evolutionsmanagement
1. Wokommenwirher?
Wir lassen die evolutionäre Entwicklungslinie der Organisation darstellen: Stärken und
Schwächen, Höhepunkte und Tiefen, herausragende Ereignisse und Sackgassen, Bifurkationen und Zusammenschlüsse. Es geht darum, ein umfassendes Bild von der Geschichte und dem Charakter dieser Organisation herauszuarbeiten, die die Basis für
das Zukünftige ist.
2. WelchewichtigenUmfeldveränderungensindgeschehenoderzuerwarten?
Welchen Veränderungsdruck gibt es? Welche Einflussgrößen, intern und extern, wirken auf uns ein? Diese Veränderungen gilt es auf der Mikro- und auf der Makroebene
zu erfassen.
3. Wowollenwirhin?EvolutionäreEntwicklungslinienfürdieZukunfterstellen,diezukünftige
strategischeAusrichtungerarbeiten
Anhand von zukünftigen Herausforderungen mögliche neue Themenfelder und
Marktchancen erarbeiten und den Weg dorthin entwickeln.
4. NeueOrganisationsstrukturundprozesseentwickeln,diediestrategischeAusrichtungunter
stützen
Der Organismus passt sich in seiner inneren Organisation an die neuen Bedingungen
an. Wo sollte reduziert werden, wo Neues aufgebaut werden, welche Strukturveränderung sind nötig, welche neuen Formen der Zusammenarbeit werden etabliert?
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5. Umsetzungsschrittefestlegen
Was müssen wir tun, um die erarbeiteten Veränderungen umzusetzen, welche neuen
Projekte werden angestoßen, welche Vereinbarungen und Verabredungen werden getroffen?
Wer macht was bis wann?
Wenn ein solcher Prozess mit den wichtigen Beteiligten im Unternehmen durchgeführt
wird, wenn sie ihre Sichtweise und ihre Erfahrungen in den Prozess einbringen konnten,
dann führt dieser Prozess, gepaart mit einer klaren und vorausschauenden Führung, zu
einer nachhaltigen Ausrichtung des Unternehmens, das nach dem Prozess besser an das
Umfeld angepasst ist.
Bei einem Unternehmen aus dem Elektronikbereich wurde deutlich, dass wegen des sehr
schnelllebigen Marktes das Kernprodukt das Unternehmen auf Grund eines schnellen
Preisverfalls nicht mehr absichern konnte. Ein zweites Kernprodukt war notwendig, das
dann unter Begleitung von Dr. Otto Training & Consulting erfolgreich auf den Markt gebracht wurde.
Wichtige Kontroversen und inhaltliche Positionierungen
Für die Entwicklung eines Ansatzes ist es wichtig, ihn nicht nur selbst inhaltlich zu gestalten, sondern auch deutlich zu machen, wie er sich von anderen durchaus auch ähnlichen
Ansätzen unterscheidet und abgrenzt. Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Evolutionsmanagement, werden einige wichtige Kontroversen deutlich:
႑Im Mittelpunkt steht nicht die Betrachtung, wie das System/die Organisation funktioniert, sondern woher sie kommt und wohin sie gehen wird.
႑Statt Neutralität und Wertefreiheit in der Beratungsarbeit zu konstatieren, wird klar für
das Prinzip der Nachhaltigkeit Stellung bezogen.
႑Es geht nicht nur um Analogien mit der Natur, sondern um Gesetzmäßigkeiten der
Evolution, die es zu ergründen gilt und die auch für die Wirtschaft gelten.
႑Statt nur feste Ziele setzen zu wollen, sind neue Planungsinstrumentarien nötig: die
Planung von Korridoren und evolutionären Richtungen, um dadurch offen zu sein für
noch zu entdeckende Chancen.
႑Es geht nicht um das Heraushalten von Gefühlen/Emotionen/Intuition aus dem wirt-
schaftlichen Handeln, sondern um die Akzeptanz ihrer Bedeutung und um Integration
in den Managementalltag.
႑Anstelle von reiner Expertenberatung nutzen wir beteiligungsorientierte Konzepte, die
die Mitarbeiter einbeziehen und im Sinne von Schwarmintelligenz eine Stärkung der
Organisation bewirken.
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Wie Organisationen und Menschen sich evolutionär entwickeln
Paradigmenwechsel
Unsere Wirtschaft braucht einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen eine Produktpolitik,
die auf Nachhaltigkeit achtet und die nicht gegen die Natur, sondern im Einklang mit der
Natur produziert. Wir benötigen ein Management, das Unternehmen nach evolutionären
Prinzipien führt und offen ist für zufällige Gelegenheiten und Richtungswechsel in der
Marktentwicklung, die sich ungeplant dem Unternehmen als nicht vorhergesehene Möglichkeiten bieten. Die Krise zeigt, dass die alten Steuerungsformen nicht mehr funktionieren und evolutionäre Managementinstrumente gefragt sind. Die Unternehmen, die sich
darauf einstellen, werden unter veränderten Umfeldbedingungen gestärkt am Markt agieren können.
Neue Prozesse werden entstehen, in denen die Natur eine größere Rolle spielt als bisher.
Die Hamburger Wasserwerke nutzen Wasserflöhe, um die Qualität des Wassers zu überprüfen. Sie werden gefilmt und ihre Geschwindigkeit wird gemessen. Schwimmen sie
langsamer, so ist dies ein Indiz für Schadstoffe im Wasser. Dies geht schneller, als wenn
erst eine Probe gezogen und aufwendig im Labor untersucht werden muss.
Wenn es gelänge, durch den Einsatz von Bakterien oder Algen wirksam die CO2Emissionen umzuwandeln und dadurch die Klimaveränderung zu verlangsamen, so
könnte das ein gutes Beispiel für solche neuen Lösungen werden. Die Technik verändert
sich, lebende Organismen spielen eine stärkere Rolle: Biotechnologie im positiven Sinne.
Die Zahl der Verbraucher, die nach Produkten fragen, die ökologisch vertretbar sind,
nimmt zu. Die Kunden werden in die Produktentwicklung mit einbezogen, sie sind Partner und nicht einfach Melkkuh des Unternehmens.
Dies ermöglicht uns eine neue Integration des wirtschaftlichen Handelns in das Leben von
uns Menschen, aber auch der gesamten Natur, so dass der Mensch mit seinen Aktivitäten
eine bewahrende Rolle spielen kann. Bei den zunehmenden Veränderungen, sei es durch
Globalisierungseffekte, Klimaveränderungen oder Ressourcenverknappungen und daraus
resultierende Folgen im gesellschaftlichen Miteinander, wird das Steuern von Unternehmen nach Evolutionsprinzipien immer mehr zu einer Notwendigkeit werden. Dies wird
verbunden sein mit einer Ausdifferenzierung der dafür zur Verfügung stehenden Instrumente und Vorgehensweisen.
Literatur
BAUER, J.: Das kooperative Gen – Abschied vom Darwinismus. Hoffmann und Campe,
Hamburg, 2008
DAMASIO, A. R.: Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List Taschenbuch, Berlin, 2005
DE GEUS, A.: The living company – Habits for survival in a turbulent business environment. Harvard Business School Press, Boston, 1997
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KIEßLING, W.: Aufbruch und Untergang: Vom Werden und Vergehen des Lebens, in:
Glaubrecht, M./Kinitz, A./Moldrzyk, U. (Hrsg.): Als das Leben laufen lernte. Evolution
in Aktion. Prestel Verlag, München, Berlin, London, New York, 2007
LAWRENCE, P. R./NOHRIA, N.: Driven – Was Menschen und Organisationen antreibt. KlettCotta, Stuttgart, 2003
OTTO, K.-S.: Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement in: Baumgarten, H. (Hrsg.): Das Beste der Logistik. Innovationen, Strategien, Umsetzungen. Springer Verlag, Heidelberg, 2008
OTTO, K.-S./NOLTING, U./BÄSSLER, C.: Evolutionsmanagement. Von der Natur lernen: Unternehmen entwickeln und langfristig steuern. Hanser Verlag, München, Wien, 2007
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