Arbeitsberichte des Lehrstuhls für Allgemeine und Industrielle Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München Prof. Dr. Dr. h.c. Ralf Reichwald (Hg.) Christof M. Stotko Das wirtschaftliche Potenzial von Mass Customization als Maßnahme zur Erhöhung der Kundenbindung Arbeitsbericht Nr. 30 (Juli 2002) des Lehrstuhls für Allgemeine und Industrielle Betriebswirtschaftslehre der Technischen Universität München Leopoldstrasse 139, 80804 München, Tel. 089 / 289 24800 www.prof-reichwald.de ISSN 0942-5098 © Copyright 2002 by Christof M. Stotko, TUM. Alle Rechte vorbehalten. Inhaltsverzeichnis 1 Ziel dieses Working Papers ist ein Modell, die Vorteilhaftigkeit einer Mass Customization Strategie als Instrument zur Kundenbindung abzuschätzen................... 1 2 Eine Mass Customization Strategie birgt hohes wirtschaftliches Potenzial .................. 3 3 Mass Customization kann helfen, dauerhafte Kundenbindung zu erzielen ................... 7 3.1 In Käufermärkten ist Kundenbindung schwer zu erzielen ............................................. 7 3.2 Vertrauen und Kundenzufriedenheit führen noch nicht zu Kundenbindung ................. 9 3.3 Erst reale Wechselbarrieren motivieren den Kunden zur Loyalität ............................. 11 4 Das Potenzial der höheren Kundenbindung eines Mass Customizers kann ausreichen, eine der Massenfertigung überlegene Wettbewerbsposition einzunehmen.................. 14 4.1 Das Kundenwertmodell nach Blattberg/Deighton eignet sich zu einer ersten Abschätzung des Wertes eines Kunden für ein Unternehmen ..................................... 15 4.2 Der Erfolg einer Mass Customization Strategie wird durch den Akquiseerfolg und das Deckungsbeitrags-Premium bestimmt.......................................................................... 19 4.2.1 Bei einer maximal möglichen Akquiserate von 50 % reicht ein DeckungsbeitragsPremium von 20 % aus, um Mass Customization erfolgreich zu machen ................... 20 4.2.2 Eine maximal mögliche Marktdurchdringung von nur 30 % stellt hohe innerbetriebliche Anforderungen, um Mass Customization profitabel zu machen ...... 24 5 Mass Customization erscheint dann als richtige Strategie, wenn dadurch die Kundenbindung erheblich gesteigert werden kann ...................................................... 25 6 Literaturverzeichnis...................................................................................................... 28 Seite I Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Untersuchungsdesign des Working Papers .......................................................... 3 Abbildung 2: Kosten und Nutzen einer Mass Customization Strategie aus Sicht des Anbieters ............................................................................................................................................ 4 Abbildung 3: Gegenseitige Bedingung einer Mass Customization und einer CRM Strategie .. 7 Abbildung 4: Kundenbindungs- Kundenloyalitäts- Matrix....................................................... 7 Abbildung 5: Kundenloyalitätsdomino ...................................................................................... 9 Abbildung 6: Grundsätzliche Prämissen zum Kundenwert eines Mass Customizers.............. 12 Abbildung 7: Wechselbarrieren durch Mass Customization.................................................... 14 Abbildung 8: Prämissen auf dem Weg vom Massenfertiger zum Mass Customizer............... 21 Abbildung 9: Kundenkapitalwerte eines Massenfertigers und eines Mass Customizers......... 21 Abbildung 10: Kundenwertszenarien eines Mass Customizers ............................................... 23 Abbildung 11: Szenario einer Mass Customization Strategie für eine geringe Akquiserate (30%)................................................................................................................................ 24 Abbildung 12: Inhalte von Economies-of-integration und Economies-of-relationship........... 25 Seite II 1 Ziel dieses Working Papers ist ein Modell, die Vorteilhaftigkeit einer Mass Customization Strategie als Instrument zur Kundenbindung abzuschätzen Die Einführung einer Mass Customization Strategie bietet für ein Unternehmen Vorteile, die das wirtschaftliche Potenzial einer solchen Strategie nahe legen. Dies ist beispielsweise die Erhöhung der Differenzierung von Wettbewerbern, indem Kunden ein individuell gestaltetes Produkt oder eine individuell abgestimmte Dienstleistung angeboten werden kann1. Die enge Kommunikation, die dazu mit dem Kunden erforderlich ist, bietet einerseits die Möglichkeit, das Wissen über den Kunden dazu zu nutzen, weitere Produktvorschläge zu unterbreiten und so zu Wiederholungskäufen zu motivieren2. Auf der anderen Seite reduziert sich aus Sicht des Kunden der Nutzen, den ein Mass Customizer (Anbieter kundenindividueller Leistungen) bieten kann3. Hierzu zählt insbesondere die für den Kunden aufwendige Interaktion zur Erfassung der Individualisierungswünsche und die (lange) Wartezeit bis dem Kunden das individuell gefertigte Produkt zur Verfügung steht. 4 Daraus ergibt sich ein Dilemma der folgenden Art, das im Verlaufe dieses Working Papers näher begründet werden wird: Auf der einen Seite wird ein Mass Customizer auf Grund der geringeren Bekanntheit des Phänomens Mass Customization weniger Kunden zum Erstkauf eines individuellen Produktes motivieren können als dies einem Massenfertiger vergleichbarer Güter gelingen wird. Andererseits besteht für einen Mass Customizer die Chance, die einmal gewonnen Kunden länger an das Unternehmen zu binden und so den anfangs entgangenen Umsatz später überzukompensieren. Mit diesem Working Paper soll theoretisch untersucht werden, ... 1. wie sich durch Mass Customization eine erhöhte Kundenbindung realisieren lässt. 2. wie sich die erhöhte Kundenbindung bei gleichzeitig geringerem Akquiseerfolg in der Erstkaufphase auf den Kundenwert nach Blattberg/Deighton5 auswirkt. Demgegenüber soll der Kundenwert gestellt werden, den ein Unternehmen mit nur geringer Kundenbindung, dafür aber höherem Akquiseerfolg in der Erstkaufphase, in der Lage ist zu erzielen. Dies kann beispielsweise ein Massenfertiger vor der Strategieentescheidung, Mass 1 vgl. Piller 2001, S. 167 vgl. Piller 2001, S. 171 3 Die Haltung des Kunden gegenüber der primär unerwünschten Mitwirkung lässt sich beispielsweise so ausdrücken: „Ich habe den Anbieter beauftragt, die Leistung für mich zu erstellen. Hätte ich es selber machen wollen, hätte ich keinen anderen zu beauftragen brauchen.“ (Fließ 1996, S. 94) 4 vgl. Fließ 1996, S. 94 5 vgl. Blattberg/Deighton 1996 2 Seite 1 Customization einzuführen, sein. Aus dem Vergleich der beiden Kundenwerte soll das Deckungsbeitrags-Premium errechnet werden, das ein Mass Customizer mindestens realisieren muss, um einen Kundenwert zu erzielen, der dem eines vergleichbaren Massenfertigers entspricht. Das Ergebnis soll ein einfaches Bewertungsmodell sein, um den Nutzen abzuschätzen, den eine Mass Customization Strategie als Instrument zur Kundenbindung bieten kann. Das Deckungsbeitrags-Premium kann als erforderliches Minimum gelesen werden, um die Wettbewerbsposition eines Massenfertigers zu übertreffen und damit Mass Customization als eine wirtschaftliche Strategieoption einzuführen. Dazu wird zunächst theoretisch hergeleitet, warum davon ausgegangen werden kann, dass ein Mass Customizer mehr Kunden an sein Unternehmen binden kann als dies einem vergleichbaren Massenfertiger gelingen würde. Dabei wird insbesondere auf die Wechselhürden eingegangen, die ein Mass Customizer im Verlauf einer Kundenbeziehung aufbauen kann und so einen Kunden längerfristig an sein Unternehmen binden kann. Aus dieser engen Beziehung zum Kunden können „Economies-of-relationship“ realisiert werden. „Economies-of-relationship“ sind Verbundvorteile, die aus der guten Beziehung zum Kunden gezogen werden können. Diese beziehen sich insbesondere auf die Möglichkeit, einem Kunden über „Cross-selling“ und „Up-selling“ im Laufe der Kundenbeziehung immer mehr Produkte zu verkaufen (vgl. Abbildung 12). Die gute Beziehung zahlt sich dann insofern aus, wenn sich die Trefferwahrscheinlichkeit, was der Kunde als nächstes kaufen möchte, stetig erhöht. Mit dem Bewertungsmodell wird untersucht, welchen Einfluss alleine die „Economies-ofrelationship“ auf den Kundenkapitalwert eines Mass Customizers haben. Abbildung 1 gibt einen schematischen Überblick über das Untersuchungsdesign dieses Working Papers. Seite 2 Investitionen Investitionen in in die die Akquise Akquise von von Kunden Kunden Umsatzsteigerung • Wiederholungskauf • Cross-selling Potenzial • Erzielen von PremiumPreisen • Verringerung der Zeitabstände zwischen den Kaufakten • Erhöhung des Wertes der Kundenbeziehung Kundenakquise ÖkonoÖkonomische mische AuswirAuswirkungen kungen Investitionen Investitionen in in die die Erhöhung Erhöhung der der Kundenbindung Kundenbindung Kundenbindung Kundenkapitalwert (KKW) Kostensenkungspotenzial • Reduktion der Transaktionskosten • Verringerung Streuverluste im Marketing Alternativen: • Mass Customization • CRM • etc. ... Mit jedem einzelnen Kunden realisierte Marge Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 1: Untersuchungsdesign des Working Papers Nicht Gegenstand dieses Working Papers ist es jedoch einzuschätzen, ob die mit diesem Modell errechneten notwendigen Premiums durch Preissteigerungen im Markt durchzusetzen sind. Diese Einschätzung können nur die Unternehmenslenker unter den gegebenen Rahmenbedingungen einer solchen Strategieentscheidung abgeben. Ebenfalls nicht Gegenstand dieses Working Papers ist es abzuschätzen, ob die von der Mass Customization Literatur vorgeschlagenen Umsatzsteigerungs- und innerbetrieblichen Kostensenkungspotenziale, z. B. „Economies-of-integration“ (vgl Abbildung 12), dazu ausreichen, den geforderten Deckungsbeitrag realisieren zu können. 2 Eine Mass Customization Strategie birgt hohes wirtschaftliches Potenzial „Mass Customization stellt [...] durch die gleichzeitige Verwirklichung von Wettbewerbsvorteilen auf Basis von Differenzierungsvorteilen durch größtmögliche Varietät und einer relativ [...] guten Kostenposition eine simultane hybride Wettbewerbsstrategie dar, d. h. die Differenzierung durch zusätzliche Varietät wird gleichzeitig mit einer günstigen Kostenposition verbunden.“6 „Mass Customization wird vielfach als neue Stufe in der Evolutionsgeschichte der Fertigung gesehen – nach der handwerklichen Fertigung, den Manufakturen, der industriellen Massenproduktion und schließlich der variantenreichen flexiblen Produktion.“7 Was früher undenkbar war, die individuellen Wünsche einzelner Kunden im komplexen Fertigungsablauf einer arbeitsteiligen Organisation zu realisieren, ist heute in vielen Branchen durch den 6 7 siehe Piller 2001, S. 246 siehe Piller 2001, S. 200 Seite 3 Einsatz moderner Informationstechnologie und flexibler Fertigungsanlagen möglich. „Technologies enabling mass customization now permeate a vast number of manufacturing and service industries, from automobiles, blue jeans, and mattresses to grocery shopping, insurance, and personal investing.”8 Mass Customization stellt damit die Überwindung der von Porter aufgestellten Alternativhypothese als den zentralen Erfolgsfaktor dar. Porter sieht die Erlangung strategischer Wettbewerbsvorteile nur dann als wahrscheinlich an, wenn eine klare Fokussierung auf eine der beiden Normstrategien erfolgt:9 § Differenzierung § Kostenführerschaft Mass Customization hingegen strebt danach, sich im Markt zu differenzieren und dabei gleichzeitig eine Kostenposition einzunehmen, die es erlaubt, kundenindividuelle Produkte zu einem Aufpreis anzubieten, den Kunden vergleichbarer Massengüter noch bereit sind, für die Realisierung individueller Produkte zu zahlen. Auf der anderen Seite führt „Mass Customization [...] auch zu zusätzlichen Kosten, die gegen diese Potenziale [abgewogen] werden müssen.“10. Abbildung 2 gibt einen schematischen Überblick darüber, wo zusätzliche Kosten zur Implementierung einer Mass Customization Strategie anfallen und welcher zusätzliche Nutzen daraus zu erwarten ist. • Aufwand der Interaktion • Abhängigkeit von Kundeninput • Premium Preise • Verbesserte Planungsbedingungen • Zielgenaue Marktbearbeitung • Sinkendes Absatzrisiko • Komplexität • Erhöhte Fertigungskomplexität • Unsicherheit in Bezug auf Abnehmerzufriedenheit • Weniger Fehlerkosten • Steigendes Kundenbindungspotenzial Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 2: Kosten und Nutzen einer Mass Customization Strategie aus Sicht des Anbieters 8 siehe Gilmore 2000, S. vii vgl. Porter 1992, S. 32 10 siehe Piller 2001, S. 245 9 Seite 4 Auf der Kostenseite ist insbesondere der hohe Aufwand der Kundeninteraktion zu nennen. Diese zusätzlichen Kosten „[...] beruhen [...] auf dem Aufwand der Information und Kommunikation zur Erhebung und Spezifikation der [individuellen] Kundenwünsche.“11 Zusätzlich sind erhöhte Kosten für vertrauensbildende Maßnahmen zu veranschlagen, die sich beispielsweise in einem erweiterten Rückgaberecht niederschlagen können. Aber auch die Transformation der gewonnenen Kundeninformation in eine konkrete Fertigungsinformation verursacht Kosten, die in diesem Maße bei Massenfertigern nicht zu erwarten sind. Die Abhängigkeit vom Input der Kunden verursacht ebenfalls Kosten in nicht unerheblicher Höhe, da Kunden oft selbst nicht genau wissen, was sie möchten, bzw. nicht in der Lage sind, diese Wünsche so zu artikulieren, dass ein Mass Customizer daraus bereits eine Produktkonfiguration ableiten kann. „The difficulty is that fully understanding customers’ needs is often a costly and inexact process. Even when customers know precisely what they want, they often cannot transfer that information to manufacturers clearly or completely.”12 Dieses Dilemma, mehr Kundennähe zu bieten als Kunden in der Lage sind zu bewältigen, führt zu hohen Komplexitätskosten. Diese begründen sich einerseits in aufwendigen Systemen zur Kundeninteraktion und Kosten zur Qualifikation der Mitarbeiter, insbesondere der Vertriebsmitarbeiter. Auf der anderen Seite fallen Komplexitätskosten im Bereich der Fertigung an, in der die individuellen Produkte umgesetzt werden. Der Komplexität in der Fertigung geht eine erhöhte Komplexität in der Produktentwicklung voraus, in der eine Produktarchitektur gestaltet wird, die eine Individualisierung bei minimaler Produktinhärenten Komplexität erlaubt. Eine solche Produktarchitektur ist beispielsweise ein modularer Produktaufbau.13 Diesen Kosten, die mit der Einführung von Mass Customization anfallen, stehen eine Reihe von Vorteilen gegenüber. Ein gewichtiger Vorteil ist beispielsweise, dass sich ein Mass Customizer durch die geringe Vergleichbarkeit individueller Produkte in einer QuasiMonopolstellung befindet. Dadurch kann er Preiszuschläge erzielen, die über den Grenzkosten zur Erstellung liegen. Damit lässt sich das akquisitorische Potenzial nach Gutenberg maximieren.14 11 siehe Reichwald/Piller 2002 siehe Thomke/Hippel 2002 13 vgl. Lindemann/Freyer 2000 14 vgl. Gutenberg 1984 12 Seite 5 Zu diesen Vorteilen auf der Erlösseite kommen weitere15 hinzu, die sich insbesondere in einer verbesserten Planungssituation auf einer Informationsbasis begründen, die durch eine enge Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess geprägt ist. Diese Kostensenkungspotenziale können als „Economies-of-integration“16 bezeichnet werden. Durch die Kenntnis der individuellen Präferenzen einzelner Kunden kann sowohl die allgemeine Planungssituation als auch die Zielgenauigkeit der Marktbearbeitung verbessert werden. Gegenüber der Massenfertigung und des begleitenden Massenmarketings können so die Streuverluste minimiert werden, indem Mittel zur Kundenakquise und –bindung gezielt dort eingesetzt werden, wo sich das größte wirtschaftlich Potenzial ergibt. Einer der wichtigsten Nutzenpotenziale einer Mass Customization Strategie liegt jedoch darin, die Kundenbindung zu erhöhen (vgl. Kap. 3). Die Potenziale zur Ertragssteigerung und Kostensenkung, die sich daraus ergeben, können als „Economies-of-relationship“ bezeichnet werden. Durch eine nachhaltige Kundenbindung werden die oben genannten Vorteile in einer lernenden Kundenbeziehung17 realisiert. Aus dieser lernenden Kundenbeziehung können „Economies-of-relationship“ realisiert werden. Diese haben zum Ziel, Verbundeffekte aus der Kundenbeziehung zu ziehen. Dies kann beispielsweise durch den Verkauf weiterer Produkte oder Dienstleistungen (Cross-selling) erfolgen oder indem die Aufmerksamkeit des Kunden auf Produkte mit einem höheren Deckungsbeitrag gelenkt wird (Up-selling). Dadurch können die anfallenden Kosten einer Mass Customization Strategie im Laufe der Kundenbeziehung amortisiert werden. Die Entscheidung, eine Mass Customization Strategie zu implementieren, kann in diesem Fall nur mit der Entscheidung einhergehen, Mass Customization gleichzeitig als ein Instrument zur Kundenbindung einzusetzen (vgl. Abbildung 3). Unter einer Customer Relationship Management (CRM) Strategie werden dabei alle Maßnahmen verstanden, die ein Unternehmen ergreift, um die Wahrscheinlichkeit von Wiederholungskäufen zu maximieren. Solche Maßnahmen können beispielsweise die Einführung von Kundenkarten oder Vielfliegerprogramme sein. 15 siehe hierzu ausführlich Dörflinger/Marxt 2001; Hildebrand 1997; Pine 1993; Reichwald/Piller/Möslein 2000; Schnäbele 1997 16 vgl. Noori 1990, S. 142 17 vgl. Peppers/Rogers 1997, S. 168 - 194 Seite 6 Mass Customization Strategie CRM Strategie Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 3: Gegenseitige Bedingung einer Mass Customization und einer CRM Strategie 3 3.1 Mass Customization kann helfen, dauerhafte Kundenbindung zu erzielen In Käufermärkten ist Kundenbindung schwer zu erzielen Kundenbindung bzw. -loyalität lässt sich auf verschiedene Art und Weise erreichen (vgl. Abbildung 4). Einerseits bleiben Kunden einem Anbieter treu, weil sie zufrieden sind und keine Veranlassung dazu sehen, den Anbieter zu wechseln (Loyalisten). Andererseits bleiben aber auch Kunden einem Anbieter treu, wenn sie zwar mit dessen Leistung unzufrieden sind, aber keine Alternative zu diesem Anbieter sehen (Gefangene). Geringe Loyalität Hohe Loyalität Höchste Wechselbarriere Zielbereich “Loyalisten” “Gefangene” • Lock-in Modelle (z. B. Gilette) • Monopole (z. B. Deutsche Bahn) • Proprietäre Standards (z. B. MS Windows) “Terroristen” • Enttäuschte Kunden • Aktive Kunden Geringe Zuriedenheit • Markentreue Kunden • Kunden individualisierter Leistungen “Variety seekers” • Lifestyle Produkte • Lebensmittel Geringste Wechselbarriere Hohe Zufriedenheit Quelle: Jones/Sasser 1995 Abbildung 4: Kundenbindungs- Kundenloyalitäts- Matrix Seite 7 Zu Zeiten von Käufermärkten ist dieses Privileg des „customer lock-in“ (Gefangene) jedoch nur noch in Teilmärkten, beispielsweise durch Setzen von proprietären Standards oder durch den Zwang, patentierte Ersatzteile einzusetzen, durchsetzbar. Kunden akzeptieren diese „lockin“ Situation entweder, da sie durch Netzwerkeffekte profitieren, die sich aus proprietären Standards ergeben (z. B. Microsoft Office). Andererseits akzeptieren Kunden relativ hohe Preise für Originalersatzteile, da sie dadurch das Grundprodukt zunächst kostengünstiger erhalten (z. B. Gillette Rasierapparate; Flugzeugtriebwerke). In Käufermärkten, in denen es nicht möglich ist, solche Mechanismen durchzusetzen, dominiert die Gruppe der „Variety Seekers“. Hierbei wechseln auch solche Kunden den Anbieter, die mit dessen Leistung rundherum zufrieden sind. Stum und Thiry beispielsweise haben in ihrer empirischen Studie herausgefunden, dass dieser Anteil an zufriedenen Kunden, die trotz Zufriedenheit den Anbieter wechseln, sehr hoch sein kann. „Forty percent of customers who claimed to be satisfied switched suppliers without looking back.“18 Ein direkter Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung kann also primär nicht zwangsläufig unterstellt werden. 19 Nachhaltige Kundenbindung kann durch Maßnahmen erreicht werden, die über die reine Kundenzufriedenheit hinausgehen. Hierzu bietet Mass Customization einen möglichen Ansatzpunkt, der im Folgenden näher untersucht werden soll. Die in der Literatur auftretenden Erklärungsansätze werden hier zu einem „Kundenloyalitätsdomino“ zusammengefasst, an dessen Ende nachhaltige Kundenloyalität als Folge einer Mass Customization Strategie steht. (vgl. Abbildung 5). Die so erreichte Kundenbindung wird das bestimmende Maß der Wirtschaftlichkeitsrechnung in Kapitel 4. 18 19 siehe Stum/Thiry 1991, S. 35 vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999 Seite 8 Kundenloyalität Kundenbindung Commitment Kund enzu denh frie eit Inv olv me nt Ve rtr au en Ergeben sich aus der impliziten Zustimmung des Kunden zum Aufbau von Wechselkosten Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 5: Kundenloyalitätsdomino 3.2 Vertrauen und Kundenzufriedenheit führen noch nicht zu Kundenbindung Vertrauen einem Anbieter gegenüber ist eine notwendige, jedoch noch keineswegs hinreichende Bedingung, einen Kunden zum Kauf zu motivieren. Daher steht die Fähigkeit, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen am Anfang einer jeden Geschäftsbeziehung und somit auch am Anfang des „Kundenloyalitätsdominos“. Ein Erklärungsansatz, das Maß an Vertrauen zu bestimmen, das ein Kunde einem Anbieter gegenüber aufbringt, ist das Confirmation-Disconfirmation-Pradigm (C/D Paradigma) in Verbindung mit der Lerntheorie.20 Demnach entsteht Zufriedenheit eines Kunden daraus, dass die wahrgenommene Produktleistung einem zugrundeliegenden Vergleichsmaßstab entspricht oder diesen übertrifft. Die Lerntheorie besagt, „dass nur diejenigen Verhaltensweisen beibehalten werden, für die das Individuum in der Vergangenheit ‚belohnt’ wurde, wohingegen die ‚Bestrafung’ von Verhalten stets zu Verhaltensänderungen führt.“21 Ist ein Kunde also einmal mit der Leistung eines Anbieters zufrieden, empfindet er die Richtigkeit seiner Kaufentscheidung als Belohnung. Er wird also danach streben, diesen Prozess zu wiederholen. Für einen Mass Customizer bedeutet dies einerseits, dass Kunden schwerer dazu zu bewegen sein werden, dem noch unbekannten Phänomen Mass Customization zu trauen und in einen Erstkauf einzuwilligen. Die Kunden haben Vertrauen in ihren bisherigen Anbieter und werden somit anfangs zweifeln, ob ein Mass Customizer wirklich in der Lage sein wird, die versprochene Leistung zu liefern. Daher wird in dem hier betrachteten Modell angenommen (vgl. Kap. 4), dass ein Mass Customizer auch bei unbegrenztem Akquisebudget nicht so viele Kunden zu einem Erstkauf motivieren kann wie ein vergleichbarer Massenfertiger. 20 21 vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999 siehe Homburg/Giering/Hentschel 1999, S. 180 Seite 9 Wurde von einem Kunden jedoch einmal das Vertrauen entgegengebracht, in einen Erstkauf einzuwilligen, kann ein Mass Customizer das Anstoßen der nächsten Stufe des Dominos, das Involvement, erreichen. Involvement ist die „[...] Ich-Beteiligung oder das Engagement, das mit einem Verhalten verbunden ist, zum Beispiel die innere Beteiligung, mit der jemand eine Kaufentscheidung fällt.“22 Diese „Ich-Beteiligung“ lässt sich durch Mass Customization nachhaltig erhöhen. Durch das hohe Maß der Beteiligung des Kunden am Produktentstehungsprozess23, das für die erfolgreiche Umsetzung individueller Produkte erforderlich ist, wird dem Kunden ein äußerer Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen seine innere Beteiligung zwangsläufig unerlässlich ist. Die positiven Auswirkungen des Involvement auf die angestrebte Kundenloyalität lässt sich mit Hilfe der Risikotheorie erklären. Demnach bestimmt sich das Kaufverhalten als ein Versuch, das wahrgenommene (subjektive) Risiko zu minimieren.24 Mögliche Risikovermeidungsstrategien stellen die zusätzliche Beschaffung von Informationen, die Orientierung an Meinungsführern oder loyales Kaufverhalten dar.25 „Die Markentreue ist stärker, wenn ein hohes Kaufrisiko wahrgenommen wird. Die Konsumenten sind dann nach dem Leitsatz ‚keine Experimente’ markentreu und vermeiden dadurch Risiko.“26 Dieses wahrgenommene Risiko ist umso höher, je höher die Integration in den Leistungserstellungsprozess ist. In der Literatur herrscht allgemein Übereinstimmung darüber, dass das Ausmaß an empfundenem Risiko von dem Involvement des Kunden abhängt.27 Dennoch sind die beiden ersten Stufen einer Kundenbeziehung, Vertrauen und Involvement, nur dazu geeignet, die Kundenzufriedenheit zu erhalten bzw. zu erhöhen. Eine nachhaltige Hemmung von Wechselneigung ergibt sich nur durch den Aufbau von realen (d. h. monetär bewertbaren) Wechselbarrieren, die das Kundenloyalitätsdomino letztendlich bis zur beabsichtigten Kundenloyalität zum kippen bringt. Wie durch Mass Customization reale Wechselbarrieren aufgebaut werden können, wird im folgenden Kapitel dargelegt. Die Realisierung dieser Wechselbarrieren stellt die Kernvoraussetzung dar, die in Kapitel 4 angenommene höhere Kundenbindung im Markt wirklich zu erreichen. 22 siehe Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 174 vgl. Piller 2001 24 vgl. Bauer 1960 25 vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999 26 siehe Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 396 27 vgl. u. a. Laurent/Kapferer 1985, S. 43; Beatty/Kahle/Homer 1988, S. 145 23 Seite 10 3.3 Erst reale Wechselbarrieren motivieren den Kunden zur Loyalität Die Wirksamkeit von Wechselbarrieren, Wechselneigung zu unterdrücken, lässt sich mit Hilfe der Transaktionskostentheorie erklären. „Die Existenz dauerhafter Beziehungen und somit auch der Abnehmerbindung begründen Vertreter der Transaktionskostentheorie mit dem Vorliegen spezifischer Investitionen.“28 Spezifisch sind Investitionen dann, wenn die erforderlichen Ressourcen nicht in ihrer angestrebten Verwendung, sondern anderweitig eingesetzt werden müssen.29 Unspezifisch sind in diesem Sinne Investitionen in den Kauf von Massengütern. „Investitionen“ sind beispielsweise die Erlangung von Kenntnis vergleichbarer Güter, die Erlangung von Kenntnis über mögliche Händler, die diese Produkte verkaufen oder das Erlernen von Internetplattformen auf denen diese Massengütern zum geringsten Preis gehandelt werden. Spezifisch sind hingegen Investitionen in den Kauf von individuellen Gütern. Beispielsweise können persönliche Daten, die einem Anbieter kundenindividueller Leistungen zur Leistungserstellung übermittelt wurden, nicht auf einen anderen Mass Customizer übertragen werden. Die Investitionen in die Übermittlung der Daten (Zeitaufwand, Erklärungsaufwand, etc. ...) müssen bei einem Anbieterwechsel erneut getätigt werden. Dies gilt auch für das Wissen, wie ein Produktkonfigurator eines Anbieters funktioniert, das nicht auf den Produktkonfigurator eines anderen Mass Customizers übertragen werden kann. Die Spezifität dieser Investitionen führt also über Wechselkosten zu Wechselbarrieren, die Geschäftsbeziehung aufzulösen. Im Bereich Mass Customization stimmt der Kunde implizit dem Aufbau z. T. erheblicher Wechselbarrieren zu. Diese Barrieren lassen sich in die folgenden Kategorien einteilen: § Funktional § Temporal § Psychisch Funktionale Wechselbarrieren ergeben sich aus der Unsicherheit, ob das individuelle Produkt oder die begleitende Dienstleistung wirklich den Anforderungen genügen werden. Wurde also einmal das dem Anbieter von kundenindividuellen Leistungen entgegengebrachte Vertrauen durch die Lieferung eines funktional einwandfreien individuellen Produktes (z. B. ein gut sitzender Maßanzug) belohnt, würde der Wechsel eines Anbieters ein erneutes Risiko auf Seiten des Nachfragers bedeuten. Gemäß der Risikotheorie, nach der ein Verbraucher 28 29 siehe Herrmann/Huber/Braunstein 2000, S. 297 vgl. Picot/Reichwald/Wiegand 2001, S. 51 Seite 11 risikominimales Verhalten bevorzugt, und gemäß der Lerntheorie, nach der ein Verbraucher das Verhalten wiederholt, für das er belohnt wurde, wird ein Kunde den Anbieter beibehalten, von dem er weiß, dass er ein funktional einwandfreies Produkt erwarten kann. Für einen Mass Customizer haben diese funktionalen Wechselbarrieren einerseits den Nachteil, dass Kunden schwerer davon zu überzeugen sind, von einem Massenanbieter zu einem Mass Customizer zu wechseln. Während Massenprodukte überall ausprobiert werden können, ist dies bei individuellen Produkten nicht möglich, da sie erst nach Übermittlung der Kundenabsicht erstellt werden. Auf der anderen Seite verhindern funktionale Wechselbarrieren ebenso den Wechsel eines Kunden von einem Mass Customizer zu einem anderen. In der Kundenwertbetrachtung, die in Kapitel 4 durchgeführt wird, wird dieser Sachverhalt dadurch widergespiegelt, dass ein Mass Customizer weniger Kunden zu einem Erstkauf motivieren kann, dafür aber mehr Kunden längerfristig an sein Unternehmen binden kann (vgl. Abbildung 6). Kundenakquise Der Einsatz von Mass Customization ermöglicht es, wirkungsvolle Wechselbarrieren aufzubauen. Da das Phänomen Mass Customization neu ist, werden die Kunden zu Beginn weniger Vertrauen gegenüber einem Mass Customizer haben als gegenüber einem Massenfertiger. Es wird daher angenommen, dass ein Mass Customizer in der Lage ist, eine höhere Kundenbindung zu erzielen als ein Massenfertiger. Es wird daher angenommen, dass ein Mass Customizer weniger Kunden zu einem Erstkauf motivieren kann als ein Massenfertiger. Kundenbindung Abbildung 6: Grundsätzliche Prämissen zum Kundenwert eines Mass Customizers Wechselbarrieren, die sich im Zeitaufwand des Kunden begründen, werden beim Mass Customization durch einen z. T. erheblichen Konfigurationsaufwand in der Phase der Auftragsannahme erzeugt Konfigurationsaufwand in (Initialaufwand).30 Bei Wiederholungskäufen stärkerem auf den Maße Kunden kann verlagert der werden (Selbstkonfiguration) und somit der Zeitaufwand für den Anbieter und den Nachfrager erheblich reduziert werden.31 Würde nun also ein Nachfrager den Anbieter für einen Wiederholungskauf wechseln, würde ihm auf Grund der Spezifität der gelieferten 30 31 vgl. Piller 2001 vgl. Piller 2001 Seite 12 Informationen der gleiche Initialaufwand ein weiteres Mal entstehen. Der Kunde wird somit eher einem Anbieter treu bleiben. Psychische Wechselbarrieren werden dadurch aufgebaut, dass der Kunde Freude an der Selbstkonfiguration hat. Dieser „Spaßfaktor“ ist beispielsweise umso größer, je mehr die Fähigkeiten des Kunden benötigt werden, um die gestellte Aufgabe der Konfiguration zu lösen. Diese als „Flow“32 definierte Summe persönlicher Fähigkeiten und gestellter Herausforderungen hat einen positiven Einfluss auf das Such- und Kaufverhalten von Kunden im Internet. „Flow, defined as the sum of skill and challenge experienced, is found to be positively related to users’ online search and purchasing activities.“33 Insbesondere die geschilderten Wechselbarrieren bedeuten für den Kunden persönliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer er sich selbst wohler fühlt, wenn er diese unverändert lässt. Für einen Mass Customizer ergeben sich daraus grundsätzlich zwei Sachverhalte, die vor der Einführung einer Mass Customization Strategie zu bedenken sind: 1. Wechselbarrieren hindern einen Kunden daran, einen Massenfertiger zu verlassen und einem Mass Customizer eine „erste Chance“ zu geben. 2. Wechselbarrieren hindern einen Kunden daran, von einem Mass Customizer zu einem anderen zu wechseln. In Kapitel 4 werden diese beiden Sachverhalte in dem zu entwickelnden Modell derart berücksichtigt, dass einerseits angenommen wird, dass ein Mass Customizer weniger Kunden zu einem Erstkauf motivieren kann als dies einem Massenfertiger gelingt. Andererseits wird die Wirkung der Wechselbarrieren berücksichtigt, indem angenommen wird, dass es einem Mass Customizer gelingt, eine höhere Anzahl von Kunden an sein Unternehmen zu binden als dies einem Massenfertiger möglich wäre (vgl. Abbildung 6). Abbildung 7 fasst die oben genannten Argumente, warum sich Mass Customization dazu eignet, wirkungsvolle Wechselbarrieren aufzubauen, zusammen. 32 33 vgl. Csikszentmihalyi 1977, 1990 siehe Franke/Piller 2002 Seite 13 Wechselbarriere Maßnahmen, diese durch Mass Customization aufzubauen Funktional Wurde einmal einem Anbieter kundenindividueller Leistungen das Vertrauen entgegengebracht, ein einwandfreies, individuelles Produkt bereitzustellen, ist das Risiko hoch, den Anbieter leichtfertig zu wechseln. Temporal Vom Kunden wird zur erstmaligen Konfiguration seiner Individualisierungswünsche ein hoher Zeitaufwand abverlangt. Bei Wiederholungskäufen kann dieser Aufwand zunehmend verringert werden. Bei einem Anbieterwechsel könnte auf diese Erleichterung nicht zurückgegriffen werden. Psychisch Durch den spielerischen Umgang mit Tool-Kits zur Selbstkonfiguration kann der Kunde kognitive Dissonanzen vermeiden. Ein leichtfertiger Anbieterwechsel würde dieses kognitive Gleichgewicht des Kunden stören. Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 7: Wechselbarrieren durch Mass Customization Es kann also angenommen werden, dass sich Mass Customization dazu eignet, Kunden mit einer Kombination aus Wechselkosten und überragender Produktleistung zu loyalem Verhalten zu motivieren (vgl. „Loyalisten“ Abbildung 4). 4 Das Potenzial der höheren Kundenbindung eines Mass Customizers kann ausreichen, eine der Massenfertigung überlegene Wettbewerbsposition einzunehmen Wie oben gezeigt wurde, bietet Mass Customization theoretisch die Möglichkeit, wirkungsvolle Wechselbarrieren aufzubauen und damit eine Voraussetzung für Kundenbindung zu schaffen. Aus diesem Grund erscheint es angebracht, in der Fähigkeit, Kunden zu binden, ein großes wirtschaftliche Potenzial einer Mass Customization Strategie zu vermuten. Im Folgenden wird daher untersucht, ob für einen Mass Customizer alleine das Potenzial der erhöhten Kundenbindung („Economies-of-relationship“) ausreicht, um eine Wettbewerbsposition einzunehmen, die der eines Massenfertigers überlegen ist. Ein Mass Customizer wird dabei als ein Unternehmen angesehen, das in der Erstkaufphase über einen geringeren Akquiseerfolg verfügt, dafür aber seine Kunden länger binden kann. Im Gegensatz dazu ist ein Massenfertiger (der die Situation des Unternehmens vor der Strategieentscheidung, Mass Customization einzuführen widerspiegelt) ein Unternehmen, das zwar mehr Kunden zu einem Erstkauf motivieren kann, diese aber nicht längerfristig an sein Seite 14 Unternehmen binden kann. Die übrigen Investitionen, die zur Implementierung einer Mass Customization Strategie erforderlich sind, werden hierbei vorerst nicht berücksichtigt34. 4.1 Das Kundenwertmodell nach Blattberg/Deighton eignet sich zu einer ersten Abschätzung des Wertes eines Kunden für ein Unternehmen Um das wirtschaftliche Potenzial der „Economies-of-relationship“ abzuschätzen, das sich hinter dem Kundenbindungsaspekt einer Mass Customization Strategie verbirgt, soll untersucht werden, wie viel sowohl in den Akquisitionsprozess als auch in den Kundenbindungsprozess investiert werden muss bzw. kann, um einen höheren Kundenwert zu erzielen als dies mit vergleichbaren Massengütern möglich wäre (vgl. auch Abbildung 1). Der Kundenwert wird hierbei aus Sicht des Unternehmens definiert, stellt also den auf heute abgezinsten Cash-Flow ((Einnahmen) – (Ausgaben zur Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung)) der Kundenbeziehung dar. Aus dieser Sicht stellt sich Mass Customization als ein Allokationsproblem von Ressourcen dar, die im Streben um Kundenloyalität gegeneinander konkurrieren. Im Folgenden soll das Modell vorgestellt werden, mit dem die Vorteilhaftigkeit konkurrierender Maßnahmen bewertet werden kann. Als Grundlage zur Ermittlung der erforderlichen Ressourcen, vorgegebene Ziele zu erreichen, wird der deterministische Ansatz von Blattberg und Deighton35 verwendet. Dieser Ansatz bietet gegenüber einem stochastischen Ansatz, beispielsweise dem von Bitran und Mondschein36, den Vorteil, durch relative Einfachheit einen ersten Einblick in die Besonderheiten der Fragestellung zu gewähren.37 Im Gegensatz dazu ist der Ansatz von Bitran und Mondschein „[...] für reale Probleme nicht mehr lösbar [...]“38. Blattberg und Deighton unterstellen ein vereinfachtes Allokationsproblem, das von den folgenden Prämissen ausgeht39: § Es handelt sich um ein Einproduktunternehmen. § Kunden erwerben das Produkt mindestens einmal im Jahr. 34 Weitere Investitionen sind: Aufbau eines Systems zur Kundeninteraktion; Umstellung der Produktentwicklung, um das Potenzial zur Individualisierung bereitstellen zu können; Integration der Zulieferer in den Individualisierungsprozess; Umstellung der Fertigung auf Flexible Fertigungssysteme (FFS); Schulung der Mitarbeiter; Kommunikation der Individualisierungsoptionen im Markt Schaffen von Vertrauen bei den Kunden 35 vgl. Blattberg/Deighton 1996 vgl. Bitran/Mondschein 1996 37 vgl. Krafft 2002 38 siehe Krafft 2002, S. 167 39 vgl. im Folgenden Blattberg/Deighton 1996 36 Seite 15 Zunächst ermitteln die Autoren den Kundenkapitalwert, der sich aus den Ausgaben zur Akquisition eines Kunden und der Marge, die mit diesem Kunden erzielt werden kann, zusammensetzt. Daraus lässt sich das optimale Akquisitionsbudget ableiten, das zu einem maximalen Kundenakquisitionskapitalwert führt. Analog zum Kundenkapitalwert akquirierter Kunden ermitteln die Autoren im zweiten Schritt den Kundenkapitalwert gebundener Kunden. Daraus lässt sich wiederum das optimale Kundenbindungsbudget ableiten, das zu einem maximalen Kundenbindungskapitalwert führt. Im letzten Schritt werden die Kapitalwerte der Kundenakquisition und die Kapitalwerte der Kundenbindung zusammengefasst, d. h. die Aufwände zur Bindung eines Kunden auf den Zeitpunkt der Akquisition abgezinst. Daraus lassen sich die insgesamt optimalen Budgets für Akquisition und Bindung ableiten, für die die Summe der Kapitalwerte aller Kunden maximal wird. Im Folgenden werden diese Zusammenhänge näher beschrieben. Die Autoren Blattberg und Deighton unterstellen die in der Modellierung von Marketing-MixWirkungen häufig verwendete modifizierte Exponentialfunktion sowohl für die Akquisition als auch für die Kundenbindung.40 Als Akquisitionsrate wird dabei der Anteil der angesprochenen Kunden verstanden, der sich zu einem Erstkauf motivieren ließ. Die erreichte Akquisitionsrate ergibt sich daraus folgendermaßen: [ a = amax ⋅ 1 − e (− k1 $ A ) ] Gleichung 1: Akquisitionsrate in Abhängigkeit vom Akquisitionsbudget je gewonnenem Kunden a amax -k1 $A Akquisitionserfolg (Akquisitionsrate) Maximal möglicher Akquisitionserfolg Parameter, der die Neigung des funktionalen Zusammenhangs von Akquisitionsrate und –budget beeinflusst Akquisitionsbudget je gewonnenem Kunden Die Werte zur Auflösung dieser Gleichung nach k1 sollen nach Blattberg und Deighton durch gezielte Fragen an das Management gewonnen werden:41 § Wie viel wurde in die Akquisition eines Kunden durchschnittlich investiert? ($A) § Wie hoch war die Akquisitionsrate bei diesem Budget? (a) § Wie hoch wäre die maximale Akquisitionsrate bei unendlichem Budget? (amax) Der Wert k1 ergibt sich aus Umstellen der Gleichung und durch Einsetzen der Management Antworten, die wie oben beschrieben abgefragt wurden. Im Folgenden wird mit dem von 40 41 vgl. Blattberg/Deighton 1996; Krafft 2002 vgl. Blattberg/Deighton 1996, Krafft 2002 Seite 16 Krafft vorgeschlagenen Wert k1 = 0,1 gerechnet.42 Dieser Wert k1 gibt den Zusammenhang an, der zwischen Akquisitionsbudget und –rate besteht. Ein kleinerer Wert für k1 würde einen schwächeren Zusammenhang unterstellen, während ein größerer Wert von k1 einen stärkeren Zusammenhang ausdrücken würde. Der Kundenwert der akquirierten Kunden ergibt sich aus der Berücksichtigung der Marge, die mit jedem erfolgreich akquirierten Kunden erzielt werden kann. KKW0 = a ⋅ $m − $ A Gleichung 2: Kundenkapitalwert akquirierter Kunden KKW0 $m Kundenkapitalwert zum Zeitpunkt der Akquisition Deckungsbeitrag der Transaktionen des Kunden des ersten Jahres Wird Gleichung 1 in Gleichung 2 eingesetzt ergibt sich folgender Zusammenhang: ( ) KKW0 = amax 1 − e − k1 $ A ⋅ $m − $ A → max!43 Gleichung 3: Kundenkapitalwert mit Berücksichtigung des Akquisitionsaufwandes Analog zum optimalen Akquisitionsbudget ermitteln Blattberg und Deighton den Kundenkapitalwert, der sich aus der Bindung der Kunden mittels eines gewissen Kundenbindungsbudgets ergibt. Die Kundenbindungsquote r ergibt sich daher folgendermaßen: ( r = rmax ⋅ 1 − e − k 2 ⋅$ R ) Gleichung 4: Kundenbindungsrate in Abhängigkeit vom Kundenbindungsbudget r rmax Kundenbindungsquote Maximale Kundenbindungsquote 42 vgl. Krafft 2002 Gleichung 3 wird dann maximal, wenn die erste Ableitung Null wird. Untenstehende Gleichung gibt den Rechenweg an, mit der diese Bedingung ermittelt werden kann. Diese Bedingung ist zwar notwendig, jedoch noch nicht hinreichend zur Bestimmung eines Maximums. Dazu müsste nachgewiesen werden, dass die zweite Ableitung größer Null an der Stelle des Maximums ist. Auf diesen Nachweis wird hier jedoch verzichtet, da die Bestimmung der Maxima der Funktionen gemäß dem Rat von Krafft „[...] mit Tabellenkalkulationsprogrammen [...] bestimmt werden [kann].“ (siehe Krafft 2002, S. 169, S. 174 (Fußnote 446)) 43 -k1⋅$A δ δ KKW0 = − amax ⋅ $m ⋅ e ⋅ (- k1 ⋅ $A) − δ $ A δ ($A) δ ($A) δ ($A) -k1⋅$A δ KKW0 = amax ⋅ $m ⋅ k1 ⋅ e −1 δ ($A) δ ges : max(KKW0 ) ⇔ KKW0 = 0 δ ($A) -k1⋅$A ⇔ amax ⋅ $m ⋅ k1 ⋅ e =1 Seite 17 -k2 Parameter, der die Neigung des funktionalen Zusammenhangs von Kundenbindungsquote und –budget beeinflusst. Kundenbindungsbudget $R Die Werte für die Gleichung 4 zur Ermittlung von k2 können nach Blattberg und Deighton ebenfalls vom Management mittels folgender Fragen erfragt werden:44 § Wie viel wurde durchschnittlich in die Bindung von Stammkunden investiert? ($R) § Wie hoch war die Bindungsquote bei diesem Budget? (r) § Wie hoch wäre die Bindungsquote bei maximalem Budget? (rmax) Im Folgenden wird, wie von Krafft vorgeschlagen, ein k2 Wert von 0,05 angenommen.45 Die Bedeutung von k2 ist dabei in Bezug auf die Kundenbindungsrate analog zu k1 der Akquiserate. Für ein gegebenes Jahr t = 1, ..., T ergibt sich der Kundenwert aus dem Deckungsbeitrag $m abzüglich des eingesetzten Bindungsbudgets $R. Dieses wird um die Wahrscheinlichkeit korrigiert, dass das beabsichtigte Ziel, die Kundenbindung, erreicht werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt $R/r. Der Kundenwert in der Periode t ergibt sich dann folgendermaßen: $R KKWt = r t ⋅ $m − r Gleichung 5: Kundenwert gebundener Kunden eines beliebigen Jahres KKWt rt Kundenkapitalwert gebundener Kunden zum Zeitpunkt t Abgezinste Kundenbindungsquote Der Kundenkapitalwert der Totalperiode kann schließlich aus der Summation der Einzelgleichungen für Akquise und Kundenbindung folgendermaßen ermittelt werden:46 KKWtotal $R r * = a ⋅ $m − $ A + a ⋅ $m − ⋅ → max! r 1− r* ( ) mit r* = r 1+ d Gleichung 6: Kundenkapitalwert Totalperiode KKWtotal r* Kundenkapitalwert der Totalperiode in Abhängigkeit vom Akquisitions- und Kundenbindungsbudget Abzinsung der Kundenkapitalwerte auf den Zeitpunkt der Akquisition 44 vgl. Blattberg/Deighton 1996, Krafft 2002 vgl. Krafft 2002 46 siehe Blattberg/Deighton 1996, S. 142 45 Seite 18 d Kalkulationssatz für die Verzinsung von Investitionen in Marketingaktivitäten Daraus können die Budgets für Akquisition und Bindung derart ermittelt werden, dass sich ein Maximum des Wertes eines Kunden für ein Unternehmen ergibt. „We can find the value of $R that, when substituted into this expression [Gleichung 6], yields the greatest value for customer equity. The result is the expected customer equity of an average customer acquired by spending $A and retained by spending $R each year.”47 Im Weiteren wird mit einem Kalkulationssatz von d = 10 % gerechnet. Die Maxima der Funktion aus Gleichung 6, die im Folgenden berechnet werden, werden mit dem Solver48 aus Microsoft Excel 2000 ermittelt. Im Prinzip eignet sich das Modell von Blattberg und Deighton sehr gut, die Vorteilhaftigkeit von Mass Customization abzuschätzen. Dennoch weist der Ansatz von Blattberg/Deighton zwei zentrale Schwächen auf:49 § Der vereinfachte Ansatz, die Akquisitions- und Bindungsraten unabhängig voneinander zu sehen entspricht nicht der Realität. So kann es beispielsweise sein, dass Kunden, die sich erst zögerlich für einen Anbieter entscheiden, diesem dennoch länger treu sind als beispielsweise Kunden, die über hohe anfängliche Preisnachlässe angelockt wurden.50 § Das Blattberg/Deighton Modell geht im ersten Schritt von unbeschränkten Akquisitions- und Bindungsbudgets aus. Bei der Anwendung dieses Modells in der Praxis sind daher die Beschränkungen der Ressourcen, die für die Akquisition und Bindung von Kunden ausgegeben werden können, zu berücksichtigen. 4.2 Der Erfolg einer Mass Customization Strategie wird durch den Akquiseerfolg und das Deckungsbeitrags-Premium bestimmt Das vorgestellte Modell zur Ermittlung des Kundenwertes soll nun auf Szenarios angewendet werden, die die Fähigkeit eines Massenfertigers, Kunden zu akquirieren und zu binden, denen eines Mass Customizers gegenüberstellen. Da das Phänomen Mass Customization für den 47 siehe Blattberg/Deighton 1996, S. 142 Die Einstellungen des Solver waren die Folgenden: Höchstzeit [zur Ermittlung des Ergebnisses]: 100 Sekunden Iterationen: 100 Genauigkeit: 0,000001 Toleranz: 5% Konvergenz: 0,0001 Die Schätzung erfolgt linear über eine Vorwärts-Differenz nach dem Newton-Verfahren. 49 vgl. Krafft 2002 50 vgl. Berger/Nasr 1998 48 Seite 19 Endverbraucher neu ist, kann nur schwer abgeschätzt werden, welcher Erfolg anfänglichen Akquisebemühungen im Konsumgüterbereich beschieden ist. Aus diesem Grund werden im Folgenden zwei Szenarien gezeichnet. Das erste Szenario ist optimistisch und geht von einer maximal erzielbaren Akquiserate von 50 % aus (vgl. Kap. 4.2.1). Das zweite Szenario ist pessimistisch und geht von einer maximal erzielbaren Akquiserate von nur 30 % aus (vgl. Kap. 4.2.2). 4.2.1 Bei einer maximal möglichen Akquiserate von 50 % reicht ein Deckungsbeitrags-Premium von 20 % aus, um Mass Customization erfolgreich zu machen Als Ausgangslage für diese Überlegungen wird ein Massenfertiger angenommen, für den die folgenden Prämissen gelten: § Maximal mögliche Akquiserate: 70 % § Deckungsbeitrag (jetzt und in Zukunft): 100 Geldeinheiten (GE) § Maximale Kundenbindungsquote: 50 % Diese Ausgangslage soll einem Massenfertiger entsprechen, der bisher Mass Customization noch nicht als Maßnahme zur Erhöhung der Kundenbindung einsetzt. Diese Ausgangslage stellt somit den „Status-Quo“ eines Unternehmens dar, das vor der Entscheidung steht, Mass Customization aus der Motivation heraus einzuführen, die Kundenbindung zu erhöhen. Der Kundenwert, den dieses Unternehmen realisieren kann, stellt somit den „Benchmark“ dar, an dem sich eine prognostizierte Unternehmensposition nach Einführung von Mass Customization messen lassen muss. Die neue Unternehmensposition wird sich in dem hier vorgeschlagenen Modell dadurch auszeichnen, dass zwar weniger Kunden zum Erstkauf motiviert werden konnten, sich jedoch mehr Kunden an das Unternehmen binden lassen (vgl. Abbildung 8). Seite 20 Geringere Akquiserate Situation als Mass Customizer Situation als Massenfertiger Mass Customization Potenzial Höhere Kundenbindungsrate Höhere Marge Abbildung 8: Prämissen auf dem Weg vom Massenfertiger zum Mass Customizer Durch Einsetzen der Werte der Ausgangssituation in Gleichung 6 unter Berücksichtigung der festgelegten Werte (k1, k2, d) ergibt sich bei dieser Ausgangslage für einen Massenfertiger ein maximaler Kundenwert der Totalperiode i. H. v. 49,6 GE (vgl. Abbildung 9 – Ausgangslage Massenfertiger). Ausgangslage Massenfertiger 60,00 KKW 50,00 40,00 40,00 30,00 30,00 20,00 20,00 10,00 KKW = 49,6 Abhängige 0,00 43 40 50 get bud s g 10 un 0 ind enb d n Ku 20 50 29 15 22 Akq uise budg et 36 43 40 50 29 Akq uise budg et 50 t dge sbu 20 g n 10 0 ndu nbi nde u K 30 36 15 22 1 8 0,00 1 10,00 Variable: 60,00 50,00 8 KKW Szenario Mass Customizer 1 30 KKW = 34,9 Max. Akquiserate: 70% 50% Marge nach Akquise $mA: 100 100 Max. Bindungsrate: 50% 60% Marge nach Bindung $mB: 100 100 opt. Akquiseaufwand: 20,8 18,5 opt. Bindungsaufwand: 21,1 26,7 Abbildung 9: Kundenkapitalwerte eines Massenfertigers und eines Mass Customizers Den eingesetzten Mitteln zur Kundenakquise i. H. v. 20,8 GE steht ein Akquiseerfolg i. H. v. 61,29 % (vgl. Gleichung 1) gegenüber. Die zur Kundenbindung eingesetzten Ressourcen i. H. v. 21,1 GE führen zu einer Kundenbindung i. H. v. 32,6 % (vgl. Gleichung 4). Seite 21 Die Kundenkapitalwerte, die einer anderen Verteilung der Akquisitions- und Kundenbindungsressourcen entsprechen würden, ließen sich entsprechend auf der Oberfläche des Kennfeldes ablesen. Der hier konstatierte maximale Kundenkapitalwert befindet sich auf dem „Gipfel“ des Kennfeldes. Eine Veränderung der Ressourcen, die zur Akquise bzw. zur Kundenbindung eingesetzt werden (beispielsweise auf Grund von Budgetrestriktionen), hätte ein „Abwandern“ entlang der Oberfläche zu Folge. Wird weniger Budget zur Akquise bzw. zur Bindung von Kunden eingesetzt, können nicht alle Kunden, die zu einem Erst- bzw. Wiederholdungskauf bereit sind, erreicht werden. Wird das Budget über das Maß des optimalen Budgets hinaus erweitert, deckt der mit diesen zusätzlich gewonnenen Kunden erreichte Deckungsbeitrag nicht die insgesamt angefallenen Kosten zur Akquise bzw. zur Kundenbindung. Demgegenüber steht ein angenommener Mass Customizer, der die Unternehmenssituation nach Einführung einer Mass Customization Strategie darstellt (vgl. Abbildung 9 – Szenario Mass Customizer 1). Für diese Unternehmenssituation sollen die Folgenden Prämissen gelten: § Maximal mögliche Akquiserate: 50 % § Deckungsbeitrag (jetzt und in Zukunft): 100 GE § Maximal mögliche Kundenbindungsrate: 60 % Zur besseren Vergleichbarkeit der beiden Szenarien wurde festgelegt, dass ein Unternehmen vor und nach der Einführung von Mass Customization den gleichen Deckungsbeitrag erzielen kann. In diesem Fall ist dieser auf 100 GE festgelegt. Dieser Deckungsbeitrag wird jedoch vorerst als fix angesehen, d. h. eventuelle Kostenwirkungen aus der Einführung von Mass Customization bleiben in diesem Working Paper unberücksichtigt. Entscheidend ist nur das proklamierte Ziel, einen Deckungsbeitrag in entsprechender Höhe zu realisieren. Wie und ob Mass Customization diese Bestrebungen unterstützt bzw. unmöglich macht, soll hier nicht betrachtet werden. Nach dem Blattberg/Deighton Modell kann ein Mass Customizer mit dieser Konstellation maximal einen Kundenwert i. H. v. 34,9 GE erzielen. Damit liegt der Kundenwert des Szenarios für einen Mass Customizer um 30 % unter dem Szenario, das für die Ausgangssituation gezeichnet wurde. Die angenommene Erhöhung der Kundenbindungsrate von 50 % auf 60 % reicht also nicht aus, um die auf 50 % reduzierte maximale Akquiserate zu kompensieren. Seite 22 Im nächsten Schritt ist es nun interessant zu untersuchen, welche Marge das Unternehmen nach der Einführung von Mass Customization erreichen muss, um den maximalen Kundenwert aus der Ausgangssituation einzuholen. Abbildung 10 zeigt das „Szenario Mass Customizer 2“, das diesen Sachverhalt widerspiegelt. Szenario Mass Customizer 2 50,00 40,00 40,00 30,00 30,00 20,00 20,00 10,00 10,00 KKW = 49,7 Max. Akquiserate: Abhängige 0,00 43 Akq uise budg et 50 get bud s g un 10 ind 0 enb d n Ku 20 50 29 15 22 40 36 43 36 Akq uise budg et 50 get bud s g 20 un 10 ind 0 enb d n Ku 30 50 29 15 22 1 8 0,00 Variable: 60,00 50,00 1 KKW 60,00 8 KKW Szenario Mass Customizer 3 30 40 KKW = 61,0 50% 50% Marge nach Akquise $mA: 120 120 Max. Bindungsrate: 60% 70% Marge nach Bindung $mB: 120 120 opt. Akquiseaufwand: 20,9 22,3 opt. Bindungsaufwand: 31,5 37,5 Abbildung 10: Kundenwertszenarien eines Mass Customizers Ein Mass Customizer kann also unter den gesetzten Prämissen einen der Ausgangssituation vergleichbaren Kundenwert i. H. v. 49,7 GE nur dann erreichen, indem er heute und in Zukunft einen Deckungsbeitrag i. H. v. 120 GE je Kunde erzielt. Den eingesetzten Mitteln i. H. v. 20,9 GE zur Kundenakquisition steht in diesem Fall ein Akquiseerfolg von 43,8 % gegenüber (vgl. Gleichung 1). Die Verwendung von 31,5 GE zur Kundenbindung führt zu einem Kundenbindungserfolg von 47,6 % gebundener Kunden (vgl. Gleichung 4). Gelingt es einem Mass Customizer zusätzlich zu dem erhöhten Deckungsbeitrag eine Kundenbindungsrate von 70 % zu erzielen, erreicht er einen Kundenwert i. H. v. 61,0 GE (vgl. Abbildung 10 - Szenario Mass Customizer 3). Damit würde er den Benchmark der Ausgangssituation um knapp 20 % übertreffen. Die unter den hier gesetzten Prämissen des optimistischen Szenarios untersuchte Einführung von Mass Customization ist also dann wirtschaftlich sinnvoll, wenn mindestens ein Deckungsbeitrag erzielt wird, der um 20 % höher liegt als bei der angenommenen Ausgangssituation. Dieser Deckungsbeitrag kann entweder durch ein Preis-Premium realisiert werden, das die zusätzlichen variablen Kosten kundenindividueller Produkte und das Seite 23 geforderte Delta deckt, oder aber durch innerbetriebliche Kostensenkungspotenziale, die durch Mass Customization realisiert werden können. Diese Kostenzusammenhänge von Mass Customization sind jedoch nicht Bestandteil dieses Working Papers. 4.2.2 Eine maximal mögliche Marktdurchdringung von nur 30 % stellt hohe innerbetriebliche Anforderungen, um Mass Customization profitabel zu machen Für den Fall, dass die Aufnahme kundenindividueller Produkte im Markt zögerlich verläuft, wird hier ein pessimistisches Szenario gezeichnet, das von einer maximal möglichen Akquiserate i. H. v. nur 30 % ausgeht. Es sei also ein Unternehmen angenommen, das nach der Einführung von Mass Customization auch bei unendlichem Budget zur Kundenakquisition nur 30 % der angesprochenen Kunden zum Kauf eines kundenindividuell erstellten Leistungsbündels motivieren kann (vgl. Abbildung 11 – Szenario Mass Customizer 4). Bei einer Kundenbindungsrate i. H. v. 60 %, wie sie auch in den Szenarien 1 und 2 angenommen wird, ergibt sich daraus ein Kundenwert für den Mass Customizer i. H. v. 14,6 GE d. h. ein Kundenwert, der um 70 % unter dem Kundewert der Ausgangssituation liegt (vgl. Abbildung 9 – Ausgangslage Massenfertiger). Szenario Mass Customizer 4 60,00 KKW 50,00 50,00 40,00 40,00 30,00 30,00 20,00 20,00 10,00 KKW = 14,6 Max. Akquiserate: Abhängige 30% 0,00 36 29 Akq uise budg et KKW = 49,6 50 get bud s g n 10 ndu 0 nbi nde u K 20 50 22 1 40 43 50 36 29 Akq uise budg et 50 get bud s 20 g un 10 0 ind enb d n Ku 30 43 22 1 15 8 0,00 8 10,00 Variable: 60,00 15 KKW Szenario Mass Customizer 5 30 40 30% Marge nach Akquise $mA: 100 180 Max. Bindungsrate: 60% 60% Marge nach Bindung $mB: 100 180 opt. Akquiseaufwand: 13,4 20,9 opt. Bindungsaufwand: 26,7 31,5 Abbildung 11: Szenario einer Mass Customization Strategie für eine geringe Akquiserate (30%) Seite 24 Im zweiten Schritt gilt es wiederum zu überprüfen, welche Marge ein Mass Customizer bei seiner höheren Kundenbindung erzielen muss, um die Nachteile, die sich aus der geringeren Akquiserate ergeben, zu kompensieren. Die Berechnungen nach dem Blattberg/Deighton Modell führen zu dem Schluss, dass ein Mass Customizer, der bei einer maximalen Akquiserate von 30 % eine Kundenbindungsrate von 60 % erzielen kann, eine Marge von 180 GE heute und in Zukunft erzielen muss, um den Nachteil der geringen Akquiserate wettzumachen. Da insbesondere zu Beginn der Implementierung einer Mass Customization Strategie nicht davon ausgegangen werden kann, dass kundenindividuelle Leistungen zu geringeren Kosten als vergleichbare Massengüter bereitgestellt werden können, muss dieses Delta größtenteils im Markt durchgesetzt werden. Dieses Bild kann sich im Zeitablauf ändern, wenn sich die sinkenden Planungsrisiken (vgl. Abbildung 2) in tatsächlich vermiedener Verschwendung niederschlagen und somit ein reales Kostensenkungspotenzial bilden. Diese als „Economies-of-integration”51 bezeichneten Kostensenkungspotenziale werden in diesem Paper jedoch vorerst nicht berücksichtigt. Abbildung 12 gibt der Vollständigkeit wegen einen Überblick über die zentralen Inhalte von „Economies-of-integration“ und der in diesem Working Paper berücksichtigten „Economiesof-relationship“. Economies-of-integration • • Kostensenkungspotenziale ergeben sich aus einer Fertigung nach Kundenbedarf durch: Economies-of-relationship • Kostensenkungspotenziale ergeben sich aus Verbundvorteilen der Beziehung zum Kunden • Geringeres Abnahmerisiko • Cross/up-selling • Reduktion der Lagerbestände • Wiederverwenden der Kundeninformation • Kein Abverkauf bzw. Verschrottung nicht nachgefragter Lagerbestände • Verringerung der Transaktionskosten • Reduktion der Akquisitionskosten Weitere Kostensenkungspotenziale ergeben sich aus der Kenntnis von Kundenwünschen und daraus abgeleiteter Produktneuentwicklungen (Mass Customization als Marktforschung) • Weitere Kostensenkungspotenziale ergeben sich aus der Ergänzung der Economies-of-integration Abbildung 12: Inhalte von Economies-of-integration und Economies-of-relationship 5 Mass Customization erscheint dann als richtige Strategie, wenn dadurch die Kundenbindung erheblich gesteigert werden kann In diesem Working Paper wurde dargelegt, dass die Fähigkeit, Kunden an ein Unternehmen zu binden, als ein sehr wirkungsvolles Potenzial einer Mass Customization Strategie angesehen werden kann, um nachhaltigen Unternehmenswert zu schaffen. Dies liegt 51 vgl. Noori 1990, S. 142 Seite 25 insbesondere darin begründet, dass durch Mass Customization beim Kunden effiziente Wechselbarrieren aufgebaut werden können, die es diesem schwerer machen, einen Anbieter leichtfertig zu wechseln (vgl. Abbildung 7). Durch den Aufbau dieser Wechselbarrieren, der durch einen Massenfertiger nicht einfach kopiert werden kann, rückt die Realisierung des Ziels Kundenloyalität näher. Auf der anderen Seite erfordert der Kauf einer kundenindividuellen Leistung ein hohes Maß an Vertrauen auf Seiten des Kunden. Berücksichtigt man weiterhin den Nutzenverlust, der dem Kunden z. T. durch die zwangsläufige Integration in den Wertschöpfungsprozess entsteht, wird deutlich, dass das Maß der Marktpenetration für kundenindividuelle Produkte beschränkt ist. Diese geringere Durchdringung kann jedoch dadurch wett gemacht werden, dass die einmal akquirierten Kunden länger treu bleiben und ggf. bereit sind, mehr für kundenindividuelle Produkte zu zahlen. Zur Ermittlung des Wertes, den ein Kunde für ein Unternehmen darstellt, wurde das Kundenwertmodell von Blattberg und Deighton vorgestellt. Dieser relativ einfache Ansatz erlaubt die Ermittlung des Kundenwertes in Bezug auf den Akquise- und Bindungserfolg sowie die mit jedem Kunden erzielbare Marge (vgl. Kap. 4.1). Um das wirtschaftliche Potenzial einer Mass Customization Strategie abzuschätzen, das sich aus der Fähigkeit ergibt, mehr Kunden an das Unternehmen zu binden, werden fünf Mass Customization Szenarien gezeichnet. Dabei gehen drei Mass Customization Szenarien von einer maximalen Akquiserate i. H. v. 50 % aus, und zwei Szenarien von einer maximalen Akquiserate i. H. v. 30 %. Diese Szenarien werden einem Unternehmen gegenübergestellt, das entweder ein Massenfertiger vor der Strategieentscheidung Mass Customization oder einen konkurrierenden Mass Customizer darstellt. Unter der Maßgabe, dass ein Mass Customizer umgekehrt zum Massenfertiger zwar weniger Kunden akquirieren, aber dafür mehr Kunden binden kann, wird gefolgert, dass ein Mass Customizer bei einer Akquiserate von 50 % in der Lage sein muss, eine Delta-Marge von mindestens 20 % im Vergleich zu Massengütern durchzusetzen, um eine Wettbewerbsposition einzunehmen, die der eines Massenfertigers der Ausgangslage gleichwertig ist. Nimmt man jedoch an, dass nur 30 % der angesprochenen Kunden zu einem Erstkauf motiviert werden können (vgl. Abbildung 11 – Szenario 4 und 5), muss eine Marge erzielt werden, die 80 % über der für vergleichbare Massengüter liegt. Diese Marge kann jedoch nicht alleine am Markt durchgesetzt werden, sondern muss maßgeblich durch innerbetriebliche Maßnahmen ergänzt werden – beispielsweise durch „Economies-ofSeite 26 integration“. Dieses wirtschaftliche Potenzial, das sich hauptsächlich durch die Vermeidung von Verschwendung positiv auf die Marge auswirkt, ist jedoch nicht Bestandteil dieses Papers. Durch die Anwendung des hier vorgestellten Modells auf einfache Szenarien wird deutlich, dass sich die Einführung einer Mass Customization Strategie aus Sicht der „Economies-ofrelationship“ dann wirtschaftlich rechnen kann, wenn dadurch tatsächlich eine signifikante Erhöhung der Kundenbindungsrate erzielt wird. Eine Alternative hierzu ist in der Realisierung von „Economies-of-integration“ zu sehen. Durch die konsequente Vermeidung von Verschwendung durch die Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess lassen sich innerbetriebliche Kostensenkungspotenziale realisieren, die eine Mass Customization Strategie auch bei einmaligem Kundenkontakt sinnvoll erscheinen lassen. Unternehmen, die die Einführung von Mass Customization erwägen, sollten sich daher im Vorfeld einen genauen Überblick darüber verschaffen, wie sich dies auf ihre maximale Akquiserate und innerbetriebliche ihre maximale Kundenbindungsquote Kostensenkungsmaßnahmen einen auswirken Deckungsbeitrag wird in und der ob Höhe ermöglichen, der nötig ist, um die wirtschaftliche Position eines Massenfertigers zu übertreffen. Seite 27 6 Literaturverzeichnis 1) Bauer, R. (Bauer 1960): Consumer Behavior as Risk-Taking. In: Hancock, R. (Hg.): Proceedings of the 43rd Conference of the American Marketing Association. Chicago 1960, S. 389 - 398 2) Beatty, S.; Kahle, L; Homer, P. (Beatty/Kahle/Homer 1988): The InvolvementCommitment Model. In: Journal of Business Research, 16. Jg. (1988), Nr. 2, S. 146 – 167 3) Berger, P. D.; Nasr, N. I. (Berger/Nasr 1998): Customer Lifetime Value. Marketing Models and Applications. In: Journal of Interactive Marketing, Vol. 12, S. 17 - 31 4) Bitran, G. R.; Mondschein S. 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