Aggressionen und Möglichkeiten zur Aggressionsverminderung

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Aggressionen und Möglichkeiten zur
Aggressionsverminderung
Der Begriff „Aggression“
Unter Aggression kann sich jeder etwas vorstellen. Die Frage ist nur, stellen sich alle
dasselbe vor?
Die Unterschiede im individuellen Begriffsverständnis können sehr vielfältig sein.
Manche Menschen denken nur an intensives Verhalten, wie körperliche oder verbale
Angriffe oder Sachbeschädigung. Für andere Menschen ist aber auch schon
Missachtung oder mangelhafte Hilfeleistung eine Art der Aggression. Für manche
gehört zur Aggression eine affektive Erregung (Ärger, Wut). Viele Menschen
sprechen nur dann von Aggression, wenn sie das Verhalten ungerecht finden. Und
einige fassen vor allem das Adjektiv „aggressiv“ so weit, dass jedes offensive,
energische oder tatkräftige Handeln sich mit einschließen lässt.
Auch in der Psychologie gibt es keine eindeutige Definition für Aggression. Es ist
schwer eine Grenze zwischen aggressiven und nichtaggressiven Verhalten zu
ziehen.
Einige Definitionsmöglichkeiten:
•
Aggression umfasst jene Verhaltensweisen, mit denen die direkte oder indirekte
Schädigung eines Individuums, meist eines Artgenossen, intendiert wird. (Merz
1965, S.571)
•
Aggression ist eine Handlung, mit der eine Person eine andere Person zu
verletzten versucht oder zu verletzten droht, unabhängig davon, was letztendlich
das Ziel dieser Handlung ist (Felson 1984, S.107; eigene Übersetzung von HansPeter Nolting)
•
Mit Aggression ist jenes Verhalten gemeint, das im wesentlichen das Gegenteil
von Passivität und Zurückhaltung darstellt. (Bach &Goldberg 1974, S14)
•
Als Aggressivität gilt ... alles, was durch Aktivität- zunächst durch Muskelkrafteine innere Spannung aufzulösen sucht. (Mitscherlich 1969a, S.12)
Verhalten oder Emotion?
In den meisten Definitionen heißt es, Aggression sei ein „Verhalten, welches ...“. In
weiter gefassten Definitionen ist auch von Disposition, Energie und anderen
1
Escheinungen die Rede, die eher so etwas wie eine innere Bereitschaft, aggressiver
Impulse und dergleichen meinen.
Doch nicht jedes aggressive Gefühl drückt sich auch in aggressivem Verhalten aus,
und
nicht
jedes
aggressive
Verhalten
Beispielsweise beruhen aggressive
beruht
auf
aggressiven
Gefühlen.
Handlungen aus Gehorsam oder zwecks
Bereicherung nicht auf aggressiven Emotionen. Es kann beim Versuch der
Aggressionsverminderung sinnvoll sein, die Gefühle so zu akzeptieren, wie sie sind,
aber das Verhalten- die Art, wie man die Gefühle ausdrückt- zu verändern. Zwischen
aggressiven Verhalten und aggressiven Emotionen gibt es also keine feste Bindung.
Typische Erscheinungsformen aggressiven Verhaltens:
•
Körperliche
Aggressionsformen:
Schlagen,
Kratzen,
Beinstellen,
Würgen,
Schießen, Vergiften, usw.
•
Sprachliche (verbale) Aggressionsformen: zum einen solche, die ihrem Inhalt
nach aggressiv sind, wie Verleumden, Hetzen, Drohen, Lächerlichmache, usw.,
zum anderen solche, die sich auch durch den eigenen Wortschatz auszeichnen,
wie Fluchen. Beschimpfen, usw. Im weitersten Sinn gehören auch Tonfall uns
Stimmlage zur verbalen Aggression z.B. Schreien
•
Mimisch- gestische Aggressionsformen (nichtverbaler Ausdruck): böse Blicke,
Zähne fletschen, Zunge rausstrecken, drohenden Finger erheben, usw.
Obwohl es solche typischen Erscheinungsformen gibt, kann sich auch hinter
äußerlich sanften und unauffälligen Verhaltensweisen durchaus eine aggressive
Intention verstecken. Einige Beispiele:
•
Jemanden
übergehen,
nicht
zuhören,
nicht
antworten,
absichtliches
Missverstehen, eine Hilfeleistung unterlassen, usw.
•
Selbst Geschenke, können eine Aggression sein, wenn sie jemanden beschämen
oder in Verlegenheit bringen.
Erklärung aggressiven Verhaltens
Aggressionen gibt es in ungemein vielfältigen Erscheinungsformen. Trotz ihrer
äußerlichen Unterschiede fallen sie alle unter denselben Begriff der Aggression, weil
sie gemeinsam das Definitionsmerkmal des mehr oder minder gezielten Schädigens
erfüllen.
2
Die klassischen Aggressionstheorien der Psychologie versuchen, jeweils auf ihre
Weise, die menschliche Aggression zu erklären:
• Triebtheorie:
Im Organismus gibt es eine angeborene Quelle, die spontan und fortwährend
aggressive Impulse produziert. Diese müssen in der einen oder anderen Form, wenn
auch nicht unbedingt zerstörerisch, zum Ausdruck kommen. Anderenfalls führen sie
zu seelischen Störungen.
Der Todestrieb bei Freud
In seinem berühmten Aufsatz „ Das Unbehagen in der Kultur“ (1930) spricht Freud
von der „angeborenen Neigung des Menschen zum Bösen“, zur Aggression,
Destruktion und damit zur Grausamkeit. Früher hatte Freud angenommen, dass
Aggression eine elementare Reaktion auf alle Behinderungen und Versagungen
(Frustrationen) der sexuellen und lebenserhaltenen Bedürfnisse ist. Heute ist sie, in
den Worten Erich Fromms (1974, S.15) „ein ständig fließender Impuls, der in der
Konstitution des menschlichen Organismus wurzelt“.
Laut Freud muss es außer dem lebenserhaltenen Trieb, dem Eros, einen anderen,
ihm
gegensätzlichen
geben,
der
diese
Einheiten
aufzulösen
und
in
den
uranfänglichen anorganischen Zustand zurückzuführen strebt. Also einen Todestrieb.
Das Todesziel bedeutet zugleich eine Erfüllung des „Nirwanaprinzips“. Damit meint
Freud die Tendenz des Organismus, Spannung zu reduzieren und einen Zustand der
Spannungslosigkeit herbeizuführen.
Das eigentliche Ziel des Todestriebes ist die Selbstzerstörung und deshalb muss
erklärt werden, wie der Mensch mit einem Todestrieb leben kann. Nach Freud wirkt
der Todestrieb- außer in pathologischen Ausnahmefällen (extrem: Selbstmord)- nie
frei für sich allein, sondern in einer Mischung der Energie des lebenserhaltenen Eros,
der Libido. So ist der Sexualakt eine Aggression mit der Absicht der innigsten
Vereinigung (1938, S.71). Zweitens lenkt der Eros die Energie des Todestriebes über
das Muskelsystem nach außen, und somit tritt dieser als Aggression in Erscheinung.
Der Aggressions- oder Destruktionstrieb ist also der abgelenkte Todestrieb des
Menschen. Das Lebewesen schützt sein eigenes Leben dadurch, dass es Fremde
zerstört.
3
Da die Ablenkung, also die Aggression, gegen andere von der menschlichen
Gesellschaft
wenig
gestattet
wird,
wird
die
Aggression
zum
Teil
„dorthin
zurückgeschickt, wo sie hergekommen ist“, als sich gegen das eigene Ich wendet.
Vergleichende Verhaltensforschung: Vom Mensch zum Tier
Lorenz’ Theorie
Der
Tierverhaltensforscher
Konrad
Lorenz
formuliert
was
die
Lehre
vom
Aggressionstrieb bedeutet: „Die Spontaneität des Instinktes ist es, die ihn so
gefährlich macht.
In unserem Organismus werden also ständig aggressive Impulse erzeugt, die sich so
lange aufstauen, bis eine bestimmte Schwelle überschritten wird. Dann kommt es zur
Entladung in einer Aggressiven Handlung. Nach dieser Aggressionstheorie ist der
Mensch nicht wütend, weil ihm z.B. Ärgerliches widerfuhr, das hat nur das Ventil
geöffnet, sondern weil der spontane Trieb wieder einmal entladen musste. Nach der
„Abreaktion“ herrscht Ruhe, bis wieder ein gewisser „Druck“ erreicht ist.
Je länger die Entladung aufgeschoben wird, um so größer ist der Triebstau
und
damit umso kleiner der Anlass, der für einen aggressiven Ausbruch nötig ist.
Im Extremfall kann es nach Lorenz sogar ohne äußeren Auslöser zu aggressiven
Abreaktionen kommen (Lehrlaufreaktion).
Da Aggression nach Lorenz ein angeborener Instinkt sehr vieler Trierarten und eben
auch des Menschen ist, muss für jeden, der darwinistisch zu denken gelernt hat, ein
solcher Trieb einen arterhaltenden Sinn haben. Lorenz definiert daher Aggression als
den „auf Artgenossen gerichteten Kampftrieb von Tier und Mensch“.
Den biologischen Zweck dieser innerartlichen Aggression beschreibt Lorenz unter
dem Titel „Wozu das Böse gut ist“ in folgenden Funktionen:
1. Die Artgenossen stoßen sich gegenseitig ab; auf diese Wiese verteilen sie
ihren Lebensraum, dass jeder sein Auskommen hat.
2. Die
Auswahl
der
besten,
d.h.
stärksten,
für
die
Fortpflanzung
wird
gewährleistet (in sogenannten Rivalenkämpfen).
3. Damit wird zugleich die Selektion eines kämpferischen Familienverteidigers für
die Brutpflege gesichert.
4. Bei in Gemeinschaft lebenden höheren Tieren dient die Aggression auch der
Bildung von Rangordnungen, die für die Gemeinschaft von Bedeutung sind.
4
In der heutigen Situation kommt nach Lorenz als Problem für den Menschen hinzu,
dass die Hemmungsmechanismen, die jede Art neben ihrem Aggressionstrieb zur
Vermeidung einer grenzenlosen gegenseitigen Ausrottung mitbekommen hat (z.B.
Demutsgebärden bei Tieren, Schreien des Opfers beim Menschen) durch die
Entwicklung von Fernwaffen, deren Wirkung man nicht mit ansehen muss, außer
Kraft gesetzt werden.
Als Ethologe beschäftigt sich Lorenz in erster Linie mit dem Verhalten von Tieren. So
werden
bei
dem
wichtigen
Punkt
der
Spontaneität
der
Aggression
der
Schmetterlingsfisch, der Drückerfisch und der Buntbarsch genannt. Doch insgesamt
ist bei Lorenz kein einziger stichhaltiger Beweis dafür zu finden, dass das aggressive
Verhalten von Menschen nach dem Modell des Buntbarsches zu erklären ist.
Andere Ethologen weisen sogar darauf hin, dass der biologische Sinn einer
spontanen Aggression kaum möglich ist, da sich die Tiere damit unnötig in Gefahr
begeben würden.
•
Frustrations- Aggressions- Theorie:
Aggression beruht auf aggressiven Impulsen, die nicht spontan, sondern als
Reaktion
auf
störende,
unangenehme
Ereignisse,
sogenannte
Frustrationen,
entstehen. Einmal entstanden, müssen sie sich in irgendeiner Aggressionsform
äußern.
Diese bei weitem populärste Vorstellung geht davon aus, dass Aggressionen eine
Reaktion auf negative, frustrierende Erfahrungen ist. Im Jahre 1939 veröffentlichten
die Amerikaner Dollard, Doob, Miller, Mowrer und Sears das Buch „Frustration und
Aggression“. Sie definierten Frustration als Störung einer zielgerichteten Aktivität. Mit
dieser Definition lagen sie recht nahe am lateinischen Ursprung des Wortes: frustra=
vergebens.
Hindernisfrustration: Barrieren, Fehlschläge
Eine Frustration im engeren Sinn liegt vor, wenn eine zielbezogene Aktivität durch
eine Barriere gestört wird. Dieser Typ wird Hindernisfrustration genannt.
Es reicht nicht aus, dass ein Wunsch unerfüllt bleibt, es muss eine Aktivität in
Richtung auf ein Ziel in Gang gekommen sein (eine erwartete Zielrichtung bzw.
Befriedigung wird verhindert).
5
Experiment von Tamara Dembo:
Eine Versuchsperson musste sich in ein Quadrat von 2.5m stellen. Außerhalb des
Quadrats stand ein Holzblock mit einer Blume. Die Versuchsperson hatte die
Aufgabe, die Blume zu ergreifen, ohne dabei mit den Füßen das Quadrat zu
verlassen. Es gab zwei Lösungen: 1. man konnte einen innerhalb des Quadrats
stehenden Stuhl nach außen stellen, sich mit einer Hand darauf stützen und die
Blume ergreifen; 2. man konnte sich niederknien und dabei die Füße im Quadrat
lassen. Die Lösungen wurden im allgemeinen nach einiger Zeit gefunden. Nun sagte
die Versuchsleiterin es gäbe noch eine dritte Möglichkeit, die es jedoch nicht gab. Die
Versuchspersonen stießen bei ihren Lösungsversuchen über eine unüberwindliche
Barriere. Auf diese Weise wurden sie frustriert.
Mit zunehmenden Misserfolgen der Teilnehmer kam es
-
zu instruktionswidrigen Ersatzlösungen (Ergreifen einer näherstehenden,
aber falschen Blume)
-
zu Rückzugtendenzen ( sich hinsetzen und Zeitung lesen oder endgültig
aufhören)
-
zu verschiedenen Formen von Aggressionsausbrüchen (Schimpfen, Rache
androhen, körperliche Kämpfe)
Die Frustration hatte also auf die meisten Versuchspersonen eine deutliche Wirkung.
Es gab jedoch auch einige, die ohne Ärger blieben und kein aggressives Verhalten
zeigten.
Ebenso ist im Alltag oft zu beobachten, dass Menschen auf ein Hindernis oder einen
Fehlschlag keine aggressiven Reaktionen zeigen. Wenn aggressives Verhalten nur
eine der möglichen Frustrationsfolgen ist, welches sind dann die nichtaggressiven?
Mögliche Alternativen:
•
Entschärfende Bewertung der Situation z.B. Humor
•
Vermehrte Anstrengung oder konstruktive Lösungsversuche
•
Ersatzhandlungen (zeitunglesen) oder Befriedigung in der Phantasie (Tagträume)
•
Stereotype Wiederholung desselben erfolglosen Verhaltens
•
Selbstbehauptung durch Alkohol, Drogen und dgl.
•
Selbstvorwürfe, Selbstaggression
•
Resignieren und Aufgeben
•
Voraggressive
Unmutsäußerungen
wie
gerichtetes Fluchen („So ein Mist“)
6
etwa
ein
nicht
gegen
Personen
Provokation: Angriffe, Belästigungen
Zur Frustration im weiten Sinne lassen sich Bedingungen zählen, die nicht eine
Zielaktivität stören, sondern einfach aversiv auf einen Menschen einwirken. Das
können physische Einwirkungen wie Lärm oder Hitze sein. Vor allem aber ist an
körperliche Angriffe wie Beleidigungen, Drohungen, Belästigungen und andere
unfreundliche Behandlungen durch andere Menschen zu denken. Die Vorkommnisse
bezeichnet man als Provokation und die Reaktion auf solche Provokationen ist oft ein
aggressives Verhalten. Einige Experimente zur Hindernisfrustration enthielten auch
Elemente, die als Provokation angesehen werden können. Es sind nämlich meist
andere Personen, die das Hindernis verursachen.
Doch auch bei Provokationen sind nicht- aggressive Reaktionen möglich. Je nach
Einzelfall können das sein:
•
Entschärfende Bewertung des aversiven Verhaltens
•
Bewusstes Ignorieren der Provokation
•
Aufforderungen, Fragen oder Argumente an den Provokateur
•
Mitteilen eigener Gefühle
•
Akzeptieren der Provokation
•
Rückzug bzw. Flucht
Physische Stressoren
Neben schlechter Behandlung durch andere Menschen gibt es viele externe
Bedingungen, die als unangenehm empfunden werden, z.B. Hitze, Lärm, schlechte
Luft, Menschengedränge usw.
Unter Umständen können diese Faktoren zu aggressiven Verhalten führen. Dies gilt
etwa für die Zusammenballung von Menschen auf engen Raum. Falls sie sich
gegenseitig stören, kann dies eine gereizte Stimmung fördern und im Extremfall
sogar zu Gewalttätigkeiten führen.
Hitze kann dazu beitragen, die Gemüter zu erhitzen. So weist eine Analyse von
Anderson nach, dass in heißeren Regionen und in heißeren Jahresabschnitten mehr
Gewalttätigkeiten auftreten als in kühleren.
Ebenso kann Kälte eventuell eine momentane Aggressionsbereitschaft begünstigen.
Viele äußere aversive Bedingungen können offenbar aggressives Verhalten
erleichtern, aber sie haben nicht dasselbe Gewicht wie Provokationen.
7
Ärger und andere Emotionen
Leonard Berkowitz, der wohl wichtigste Weiterentwickler der Frustrationstheorie,
wandelte die ursprüngliche Sequenz: Frustration → Aggression ab, indem er „anger“
(Ärger/ Wut/ Zorn) als emotionales Bindungsglied dazwischenstellte: Frustration →
Ärger → Aggression.
Heute stellt Berkowitz nicht mehr „anger“ in den Mittelpunkt, sondern einen
„negativen Affekt“. Er weist darauf hin, dass Schmerz, Hitze und andere
Beeinträchtigungen, ja sogar Depressionen aggressive Tendenzen wachrufen
können. Willkürliche und ungerechte Behandlung machen nur deshalb aggressiv,
weil sie besonders starke negative Gefühle hervorrufen. Die Sequenz bedeutet
allerdings nicht: jede Frustration führt zu Ärger und nicht jeder Ärger führt zu
Aggression.
Die Art, wie man ein Ereignis auffasst, bestimmt die Art des Gefühls. Die selbe Kritik
kann von Person A als Beleidigung und von Person B als Denkanstoß aufgefasst
werden, eine Panne als Störung
oder als Herausforderung. Entscheidend für die
Emotion ist, wie wir die Ereignisse interpretieren und inwieweit wir sie auf uns selbst
beziehen.
Einige Emotionen kann man als Verwandte des Ärgers ansehen. Wut ist eine sehr
intensive Ärger- Emotion. Verachtung und Hass sind emotionale Dauerhaltungen,
sozusagen eingefrorener Ärger, gegenüber bestimmten Personen. Dabei hat die
Verachtung mehr kognitiv- wertenden und der Hass mehr affektiven Charakter.
Während bei Verdruss und Enttäuschung der Schuldvorwurf keine Rolle spielt, steht
er bei Zorn und Empörung im Vordergrund.
Zornig und empört ist man einfach, weil eine Norm verletzt wurde, auch dann, wenn
man selbst nicht zu Schaden gekommen ist. Zorn und Empörung haben eine deutlich
engere Verbindung zu aggressiven Verhalten, als Enttäuschung und Verdruss.
Frustrations- Antriebs- Hypothese
Fast alle Verhaltensweisen in einer Frustrationssituation sind sehr intensiv. Für
aggressive Verhalten ist dies ohnehin typisch (heftig, laut, usw.), doch auch
konstruktive Anregungen, Flucht, Tagträume oder verbales Argumentieren können
intensiver werden. Bandura und Walters (1963) haben daher als Alternative zur
ursprünglichen Frustrations- Aggressions- Hypothese die Frustrations- Antriebs8
Hypothese formuliert. Danach führt die Frustration zu einer Aktivierung des
Organismus, zu einer Erhöhung von Erregung und Antrieb, der sich in verschiedenen
Verhaltensweisen umsetzten kann.
Ob Ärger, Angst oder einfach negativer Affekt, die Emotionen haben neben einer
Gefühls- auch eine Antriebsseite. Aber auch diese Hypothese hat ihre Grenzen. So
ist es etwa möglich, dass Hindernisfrustrationen mit Resignation, also mit einem
Antriebsverlust, beantwortet werden. Auch andere Verhaltensweisen, wie humorvolle
Bemerkungen und sogar einige Aggressionsformen („links liegen lassen“) sind nicht
intensiv. Im Ganzen aber wird die Antriebs- Hypothese der Vielfalt möglicher
Frustrationen sicher besser gerecht, als die ursprüngliche Frustrations- AggressionsHypothese.
• Lerntheorie
Aggressives Verhalten beruht nicht auf speziellen Impulsen, sondern wird von
Lerngesetzen bestimmt wie anderes Verhalten auch. Das heißt vor allem: Es tritt in
Situationen auf, wo es erfolgreich was bzw. Erfolg verspricht und es wird über das
Vorbild von Mensch zu Mensch weitervermittelt.
Die dritte grundlegende Position neben der Trieb- und Frustrationstheorie geht davon
aus, dass aggressives Verhalten keine Erklärung bedarf, sondern, wie soziales
Verhalten generell, überwiegend auf Lernvorgängen beruht. Als prominenteste
Vertreter dieser Richtung gelten Albert Bandura und Walters.
Lernen
bedeutet
die
Veränderung
personaler
Dispositionen
aufgrund
von
Erfahrungen. Mit Dispositionen können gemeint sein: Einstellungen, Fähigkeiten,
Fertigkeiten, Kenntnisse, Gewohnheiten, Motive, Vorlieben, usw.
Modell- Effekt:
Durch Beobachtung können sehr schnell und einfach Verhaltensweisen gelernt
werden, die der betreffende Mensch zuvor nicht ausführen konnte. Das gilt für das
Bedienen einer Maschine oder für das Sprechen ebenso wie für aggressives
Verhalten. In verschiedenen Experimenten ahmten Kinder Verhaltensweisen nach,
die sie vorher nie gezeigt hatten. Bei diesem „Modellier- Effekt“ handelt es sich um
Lernen bzw. um einen Entwicklungsprozess. Das Vorbild anderer vermittelt eine
Orientierung für das eigene Verhalten, wirkt stimulierend oder reduziert eventuelle
9
Hemmungen. Vor allem ist an die „ansteckende Wirkung innerhalb einer Gruppe“ zu
denken. Jede Aggression erhöht die Wahrscheinlichkeit weiterer Aggressionen.
Familie und Erziehung
Die wichtigsten Modelle für die Entwicklung eines Menschen sind in der Regel die
Eltern. Aber auch andere Erzieher, wie Lehrer oder Jugendbetreuer, sind potentielle
Vorbilder. Der Einfluss aggressiver Erziehermodelle kann sich bei den Kindern auf
verschiedene Weise manifestieren, z.B. in deren aggressiven Umgang mit anderen
Kindern oder auch bei der eigenen Kindererziehung. Wirksam werden können die
Modelle dann, wenn die Kinder sie nur beobachten, aber auch dann, wenn sie selber
darunter leiden.
Bandura und Walters fanden, dass Kinder von aggressiven Vätern zwar nicht ihnen
gegenüber, wohl aber gegenüber Mitschülern erhöhte Aggressivität zeigten. Zwar
sind diese Kinder durch die häuslichen Erfahrungen auch frustriert, doch dis würde
nicht ausreichen, um speziell aggressives Verhalten zu erklären. Das Lernen am
Modell stellt hier eine sehr direkte Verbindung her.
Das elterliche Erziehungsverhalten setzt sich womöglich in der nächsten Generation
fort. Jedenfalls unterliegen Menschen, die in ihrer Kindheit misshandelt wurden,
einem erhöhten Risiko, später als Eltern selbst Gewalt gegen ihre Kinder auszuüben.
Auch Gewalt der Eltern untereinender kann als Modell für die Kinder dienen, und
zwar als Verhalten des Täters (meist der Ehemann) als auch das Verhalten des
Opfers (meist die Frau). Gewalt auszuüben und Gewalt zu erdulden kann
gewissermaßen als „normaler Umgang“ gelernt und möglicherweise in das spätere
eigene Eheleben übertragen werden.
Eltern und Lehrer sind besonders wirksame Modelle, da sie die Kinder nicht nur oft
sehen, sondern auch, weil sie Personen mit Macht und hohem Status sind.
Gruppe, Gesellschaft
Kinder und Jugendliche schauen auch auf ihre Altersgenossen. Vor allem Jungen,
die bereits zu antisozialem Verhalten neigen, suchen meist spätestens im
Jugendalter Anschluss an eine entsprechende Gruppe. Manche Gruppen verfolgen
rein kriminelle Ziele, manche lieben die Rivalität mit anderen „Banden“ und einige
engagieren sich in gewalttätigen politischen Extremismus. Alle gruppentypischen
Verhaltensweisen bis hin zu bestimmten Kampftechniken oder Bestrafungsritualen
10
werden über das Lernen am Modell rasch an neue Mitglieder weitergegeben. Es
kommt noch dazu, dass das Nachahmen der Modelle in manchen Kreisen durch
Anerkennung belohnt wird.
Auch in Großgruppen wie Völkern, Religionen oder politischen Bewegungen werden
über das Lernen am Modell die dort gültigen Verhaltensnormen von einer Generation
an die nächste weitergegeben. Völker, deren Leben sich um den Krieg dreht, neigen
z.B. dazu, schon Kindern und Jugendlichen ein militärisches oder vormilitärisches
Training zu vermitteln, bei dem das Vorbild der Erwachsenen eine wichtige Rolle
spielt.
Film und Fernsehen
Eines der meist diskutierten aggressiven Modelle sind die Medien. Viele Menschen
schreiben ihnen einen besonders gefährlichen Einfluss zu.
Beispiel:
Zwei Mädchen (13 &14 Jahre) brachten einen siebenjährigen Jungen um: sie lockten
ihn auf den Dachboden und erstickten ihn. Wie sie bei der Vernehmung sagten,
hatten sie den Entschluss zu diesem Mord gefasst, als sie im Fernsehen in dem Film
„Die Lustpartie“ miterlebten, wie ein Mann seine Frau zu Tode trampelte. Der
Entschluss kam allerdings nicht plötzlich. Vielmehr waren sie schon seit längerer Zeit
neugierig, einmal auszuprobieren, was sie so oft in Krimis und Western gesehen
hatten (Der Spiegel Nr. 38, 1975)
Es scheint gesichert, dass Gewaltdarstellungen aggressives Verhalten von Kindern
nicht nur bei einer nachfolgenden filmähnlichen Gelegenheit, sondern auch in einer
unmittelbar anschließenden, freien Spielsituation in gewissem Maße stimulieren.
Solche kurzfristigen Affekte können auch bei Erwachsenen vorkommen.
Doch
die
meisten
Zusammenhang
Untersuchungen
zwischen
dem
ergeben
Konsum
von
einen
schwachen
statistischen
Gewaltdarstellungen
und
der
individuellen Aggressivität.
Fördern Die Filme die Aggressivität, oder haben umgekehrt Menschen mit
aggressiven Neigungen eine Vorliebe für aggressive Filme? Der Fernsehkonsum
fördert ein wenig die Aggressivität und umgekehrt. Der Zusammenhang entsteht
dadurch, dass beide Erscheinungen- Aggressivität und ausgiebiger Fernsehkonsumsich auf einen dritten Faktor gründen, nämlich auf ein ungünstiges familiäres und
soziales Milieu. Trotzdem ist es wichtig, wer sich die Filme anschaut. Zu achten ist
11
also nicht nur auf die Art der Filme, sondern ebenso auf die Psyche der
menschlichen „Fernsehempfänger“. Doch Gehässigkeiten in der eigenen Familie sind
für die Entwicklung eines Kindes sicher weit schwerwiegender als ganze Horden
knallender Cowboys.
Lernen am Effekt (Erfolg und Misserfolg)
Die Tatsache, dass durch Beobachtung von Modellen aggressives Verhalten gelernt
werden kann, erklärt nicht, warum sich die Modelle aggressiv verhalten. Modelllernen
kann die Weitergabe aggressiven Verhaltens erklären, nicht aber die Tatsache, dass
es überhaupt auftritt.
Die Selbstdurchsetzung eine kleinen Kindes, das ein Spielzeug haben möchte ist ein
Beispiel für ein allgemeines, für die Lebenserhaltung wichtiges, Grundgesetz
menschlichen und tierischen Verhaltens.
Für diese Lernart haben sich in der Psychologie mehrere Bezeichnungen
eingebürgert: Lernen am Erfolg, Lernen durch Bekräftigung (oder Verstärkung),
operante oder instrumentelle Konditionierung. Da die lerntheoretische Auffassung
behauptet, dass aggressives Verhalten keine Sonderstellung einnimmt, sondern
nach denselben Gesetzen gelernt wird, wie anderes Verhalten auch, muss diese
Prinzip auch hier Geltung besitzen. Das Lernen am Erfolg erklärt allerdings nicht,
warum einem Menschen aggressives Verhalten möglich ist, sondern warum er davon
Gebrauch macht.
Das Verhalten kann möglich sein,
•
Weil die Aggressionsform zu den natürlichen Fähigkeiten des Individuums gehört
(wie das kleine Kind, das sein Spielzeug haben will)
•
Weil die Aggressionsform bei anderen abgeschaut worden ist (Lernen am Modell)
•
Weil die Aggressionsform durch problemlösendes Denken entwickelt wurde
(raffinierte Verbrechen, militärische Taktik, usw.)
In allen Fällen aber bestimmt die Erfolgserwartung mit, ob der betreffende Mensch
dazu neigt, sich aggressiv zu verhalten. Durch die Bekräftigung wird das Verhalten
stabilisiert,
aufrechterhalten
und
weiterentwickelt.
Modelle
lehren
uns
Verhaltensweisen; Erfolge lehren uns, Verhaltensweisen einzusetzen.
Positiv erlebte Effekte aggressiven Verhaltens:
•
•
•
Durchsetzung und Gewinn
Beachtung und Anerkennung
Abwehr, Verteidigung, Schutz



Äußere Effekte (Erfolge, Nutzen)
12
neue
•
•
•



Selbstbewertung
Gerechtigkeitserleben
Stimulierung
Innere Effekte (emotional, kognitiv)
Es gibt kaum etwas, was nicht unter Umständen durch Aggression erleichtert werden
kann. In allen Fällen wird auch der Schaden und Schmerz des Opfers angestrebt.
Dies ist allerdings für die eigentlich gesuchte Befriedigung in einigen Fällen nur eine
Art „Zwischeneffekt“, in anderen hingegen ganz normal.
Durchsetzung, Gewinn
Diese beiden Begriffe umfassen ein breites Spektrum von Effekten, bei denen die
Person bekommt, was sie will. Beim aggressiven Vorgesetzten, der sich Respekt
verschaffen will, geht es um die Durchsetzung des eigenen Willens. Weitere
Beispiele: Ein Vater spricht ein „Machtwort“ und nun macht es die ganze Familie so,
wie er es wünscht. Ein Schüler zwingt einen Mitschüler durch Gewalt, ihm von
seinem Taschengeld abzugeben. Ein Bankräuber verschafft sich Beute durch die
erhobene Pistole.
Wie solche Erfolge auf die Person zurückwirken und ihr Verhalten verändern,
illustriert recht gut eine Langzeitbeobachtung von Patterson, Littmann und Bricker:
Sie beobachteten neun Monate lang bei Kindergartenkindern aggressives Verhalten
(körperliche
Angriffe,
verbale
Angriffe,
Drohungen
dem
anderen
etwas
wegzunehmen) sowie die Reaktion des Opfers darauf. 80% dieser Konsequenzen
wurden von den Autoren als Bekräftigung eingestuft: alle Reaktionen wie sichzurückziehen, nachgeben, weinen. Es verwunderte nun nicht mehr, dass viele
Kinder, die beim Eintritt in den Kindergarten wenig aggressiv waren, im Laufe der
Zeit deutlich aggressiver wurden. Das galt besonders für solche, die zunächst passiv
waren, aber häufig angegriffen wurden und mit ihren Gegenangriffen viel Erfolg
hatten. Passive Kinder, die wenig angegriffen wurden und mit Gegenangriffen
Misserfolge hatten, zeigten keine oder nur eine sehr geringe Zunahme.
Weitere Untersuchungen bestätigten, was man auch im Alltag gelegentlich
beobachten kann: dass andere Menschen aggressive Verhalten oftmals durch
Nachgeben positiv bekräftigen. Diese Gewohnheit ist z.B. häufig bei Eltern von
aggressiven Kindern zu finden. Zwar ist es verständlich, wenn genervte Eltern ihrem
brüllenden Kind seinen Wunsch erfüllen, um endlich Ruhe zu haben, aber langfristig
stabilisieren sie damit das Verhalten.
13
Beachtung und Anerkennung
In Gruppen oder Kulturen, in denen Aggression als ehrenhaft gilt, wird sie
Anerkennung und Bewunderung hervorrufen, während ihre Unterlassung vielleicht
gar mit Spott und Verachtung gestraft wird. Aggressive Kinder und Jugendliche
werden sich zwar bei den meisten Altersgenossen unbeliebt machen, doch in einer
Gruppe von Gleichgesinnten haben sie durchaus Unterstützung zu erwarten.
Zu denken ist weiter an die „Heldenverehrung“ im ereich politischer Gewalt, sei es für
„unsere tapferen Soldaten“ oder für „unsere Freiheitskämpfer“.
Experimente und Feldstudien bestätigen die Wirkung von Lob, Zustimmung und
Ermunterung für aggressives Verhalten:
•
In verschiedenen Experimenten wurde gezeigt, dass sich körperliche wie verbale
Aggression von Kindern steigert, wenn sie dafür gelobt oder belohnt werden. Das
gleiche gilt für Erwachsene, die Bestrafung erteilen. Ebenso nehmen feindselige
Äußerungen von Erwachsenen zu, wenn sie auf zustimmende Resonanz stoßen.
•
In einer Untersuchung fanden Bandura und Walters, dass aggressive Jugendliche
im Vergleich zu einer nichtaggressiven Gruppe von ihren Eltern, besonders den
Vätern, viel stärk zu aggressiven Verhalten, außerhalb der Familie, ermuntert
wurden.
Selbst wenn Anerkennung und Respekt ausbleiben, kann schon die bloße
Beachtung als positive Bekräftigung wirken. Manchmal ist aggressives Verhalten im
Kern nur eine unbeholfene Form der Kontaktsuche. Manche Kinder neigen zu
störendem Verhalten oder Wutanfällen, weil sie vielleicht auf diese Weise die
Aufmerksamkeit ihrer Eltern oder Lehrer erregen.
Auch Gewalttaten Erwachsener sind manchmal von der Sehnsucht begleitet, einmal
im Blickpunkt des Interesses zu stehen.
Abwehr, Verteidigung, Selbstschutz
Bei diesem Typ liegt der Nutzeffekt nicht darin, etwas zu bekommen, sondern etwas
abzuwenden,
z.B.
Angriffe,
Unannehmlichkeiten,
usw.
Verschiedene
Erscheinungsformen: die warnende Drohung eines Kindes gegenüber seines
Bruders: “Wehe du gehst an meine Sachen“; die aggressive Zurückweisung einer
peinlichen Frage; persönliche Notwehr bei einem Überfall; Verteidigungsschlacht in
einem
Krieg.
Auch
die
gehorsame
Gewaltausübung
auf
Befehl
dient
als
Selbstschutz, wenn eine Verweigerung bestraft würde. Lernpsychologisch sind
14
solche Effekte als negative Bekräftigung anzusehen. Die negative Bekräftigung ist
keine Bestrafung, sondern im Gegenteil ein subjektiv positives Ergebnis.
Erfolglosigkeit und Bestrafung
Häufig hat aggressives Verhalten keinerlei Erfolg. Nicht nur das; oft folgen sehr
unangenehme Konsequenzen wie physische oder materielle Bestrafung.
Manche Aggressionen schauen zwar für Außenstehende erfolglos aus, sind aber für
die aggressive Person mit inneren Effekten wie Nervenkitzel oder Stolz verbunden.
So ist es nicht erforderlich, dass ein Verhalten jedes Mal Erfolg haben muss. Die
dauerhafte
Wirkung
unregelmäßiger
Bekräftigungen
hängt
vermutlich
damit
zusammen, dass Misserfolge in der Erfolgserwartung miteingeplant werden. Es reicht
also völlig aus, dass sich ein Kind mit Wutausbrüchen hin und wieder durchsetzt,
oder dass ein Straßenräuber nur ab und zu Beute macht, bei den übrigen Fällen
lediglich nicht erwischt wird. Gerade unter diesen Lernbedingungen ist es besonders
schwer, das Verhalten wieder zu ändern.
Das Beispiel des Kriminellen legt die Frage nahe, ob nicht eine Bestrafung, also
ausgesprochen negative Konsequenz statt vorübergehender Erfolglosigkeit, das
aggressive Verhalten abbauen oder verhindern kann.
Gewöhnlich haben Bestrafungen nur eine zeitlich und situativ begrenzte Wirkung.
Sofern nämlich weiterhin Erfolge erwartet werden, wird das Verhalten nur unterdrückt
oder getarnt, kann aber leicht wieder auftreten, wenn kein Risikofaktor mehr besteht.
Entstanden ist dann nur eine Aggressionshemmung aus Angst vor Strafe.
Ein weiterer Punkt, der für die Wirkung negativer Konsequenzen von Bedeutung ist,
ist der zeitliche Abstand, mit dem sie auf das aggressive Verhalten folgen. Unter
sonst gleichen Bedingungen ist eine Konsequenz umso wirksamer, je unmittelbarer
sie auf das Verhalten folgt. Viele schädliche Folgen, sei es durch Rauchen oder
aggressives Verhalten, haben deshalb eine s geringe Rückwirkung auf das
Verhalten, weil sie erst mit großer Verzögerung eintreten, während die angenehmen
Folgen sehr schnell verspürt werden.
Aus diesen Zusammenhängen ist zu folgern, dass eine Verminderung aggressiven
Veraltens ein konsequentes Ausbleiben von Bekräftigungen, also eine durchgehende
Erfolglosigkeit erfordern würde.
15
Verminderung aggressiven Verhaltens
1. Die Anreger verändern
In diesem Kapitel geht es um die Anregungsfaktoren der Situation. Dabei gehören
zur Situation alle Faktoren, die ein Individuum umgeben, vor allem andere
Menschen.
•
Verminderung von Provokationen und Herabsetzungen
Aus
der
Frustrationstheorie
Frustrationen
nach
wurde
Möglichkeit
die
Konsequenz
vermeiden
oder
gezogen,
zumindest
man
müsse
reduzieren.
Die
Verminderung aversiver Bedingungen ist ein wichtiger Ansatzpunkt. „So kann der
bösartigste Angestellte ein erträglicher Mitarbeiter werden, wenn er an einen
Arbeitsplatz kommt, wo er sich wohl fühlt, wo er seltener gestört wird, wo er die
gestellten aufgaben beherrscht“ (Fürntratt 1974).
Von
allen
aversiven
Erfahrungen
sind
Provokationen
die
wirksamsten
Aggressionsanreger. Es sind Verhaltensweisen, die man als Verstoß gegen Regeln
des Zusammenlebens bewertet und/oder die man gegen sich gerichtet sieht.
So lassen sich vielleicht manche Menschen von der Vorstellung leiten, dass man mit
persönlicher Kritik und Herabsetzung anderer Menschen besonders wirksam
erziehen oder zur Vernunft bringen könne, und bedenke dabei nicht die schweren
Nebenwirkungen, zu denen oft heftiges Vergeltungsbedürfnis gehört.
Grundsätzlich geht es nicht darum, jedes Schimpfwort und jeden Tadel aus der Welt
zu schaffen, sondern Kritik so zu verpacken, dass niemand sich in seinem
Selbstwertgefühl getroffen fühlt.. Was aber vermieden werden sollt, sind Angriffe, die
die Welt als bedrohlich und feindselig erscheinen lassen, sowie starke persönliche
Abwertungen, z.B. Menschen wegen eines Leistungsversagens lächerlich zu machen
oder zu verachten; andere wegen einer Schwäche zu hänseln und zu verspotten;
Menschen wegen eines Fehlverhaltens zu demütigen und herabzuwürdigen.
Solche Verhaltensweisen sind nicht nur starke Aggressionsanreger, die auf Dauer
die Persönlichkeitsentwicklung schädigen können. Sie sind auch sachlich nicht
gerechtfertigt, weil sie weit über die Anlässe hinausgehen. Statt dessen sind negative
Botschaften möglich , die sich eng an die Anlässe halten. Diese kritisieren das als
falsch empfundene Verhalten, nicht pauschal die Person. z.B.
16
Pauschale Personalabwertung
Verhaltensbezogene Kritik
- Du bist ein ausgesprochener
- Du hast bisher nur von deinen
Egoist.
Wünschen gesprochen und zu
meinen noch nichts gesagt.
- Was kann man von dir schon
- Du hast unsere Veraredung jetzt
anderes erwarten, als dass du
schon mehrmals nicht eingehalten.
uns hängen lässt.
Wie hier zu erkennen ist, läuft der Abbau von Aggressionsanregern darauf hinaus,
eigene aggressive Äußerungen durch weniger verletzende zu ersetzen.
•
Verminderung aggressiver Modelle, Symbole, Instrumente
Durch das Beobachten aggressiver Modelle können neue Verhaltensweisen
erworben oder bereits vorhandene aktiviert werden. Bei der Frage nach den
Anregern geht es darum, dass aggressives Verhalten eines Menschen die
Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich auch andere aggressiv verhalten.
Das aggressive Modell kann Emotionen stimulieren, eine Orientierung für das eigene
Handeln geben, Hemmungen lösen und den anderen provozieren. Zum Glück gibt es
auch den umgekehrten Fall, z.B. ein Mensch mit einem eher aggressiven Benehmen
wird durch eine friedliche Umgebung selbst auch friedlicher. Die Konsequenz daraus
ist, dass man durch die Verminderung aggressiven Verhaltens aggressives Verhalten
vermindern könnte.
Wo aggressive Modelle nicht zu verhindern sind, können jedoch nichtaggressive
Gegenmodelle zur Wirkung kommen:
-
So zeigte sich in den Gehorsamsexperimenten von Milgram und Mantell,
dass
viel
mehr
Versuchspersonen
abbrachen
oder
geringere
Schockstärken erteilten, wenn sie vorher andere Teilnehmer gesehen
hatten, die sich weigerten weiterzumachen.
-
Bei
verärgerten
Versuchspersonen
fand
Baron
ebenfalls
einen
aggressionsreduzierenden Effekt von nichtaggressiven Modellen. Er fand
17
darüber hinaus, dass bei zwei aufeinanderfolgenden unterschiedlichen
Modellen, einem aggressiven und einem nichtaggressiven, die Reihenfolge
von Bedeutung ist. Das erste Modell übt stärkere Wirkung aus.
In aggressionsträchtigen Situationen sollte demnach das Auftreten aggressiver
Modelle von vornherein verhindert werden, indem ruhige, konstruktive Modelle
frühzeitig die Stimmung zu prägen versuchen. Manche Leiter von Gruppen,
Versammlungen oder Demonstrationen erkennen dies und bemühen sich, durch das
eigene Verhalten und organisatorische Sicherungen Gewalt zu verhindern.
Auch aggressive Modelle in Filmen können, wie andere Modelle in geeigneten
Einzelfällen ein Faktor sein, der aggressive Handlungen erleichtert. Nun ist es
prinzipiell weder nötig noch möglich, Gewalt in Filmen und Fernsehprogrammen zu
vermeiden. Schließlich geht es ja nicht nur um Spielfilmen, sondern auch um
Nachrichtensendungen um reale Gewalt.
Neben aggressiven Verhalten als Modell könne auch aggressive Signalreize eine
fördernde Wirkung haben. Verschiedene Autoren (z.B. Berkowitz 1968, SchmidtMummendey 1973) meinen, dass solche Reize, die unsere Aggressionsbereitschaft
ansprechen und ein aggressives Klima verbreiten können, abzubauen sind.
Beispiele: Aggressive Symbole (z.B. geballte Faust), Reizworte und Parolen (z.B.
zerschlag die...), Waffen und aggressives Spielzeug, aber auch der Anblick von
Polizeibeamten, vor allem wenn sie Helme, Schilde und Gesichtsschutz tragen, oder
Waffen-. Militärfahrzeuge, lautes sprechen oder brüllen.
Solche Dinge können vielen Alltagssituationen eine aggressive Tönung geben
Anders als das Anschauen von Filmen, sind aggressive Symbole, Reizworte usw.
meist
in
reale
Lebenssituationen
eingebunden
(z.B.
in
Versammlungen,
in
Wahlpropaganda, Wettkämpfe).
In diesem Zusammenhang ist auch auf Gegenstände aufmerksam zu machen, die
aggressive Hinweisreize bieten, weil sie sich als Instrumente zur Ausführung
aggressiver Handlungen eigenen, also Waffen, Messer, Stöcke, Sprengstoff, Gift.
So wünschenswert eine Verminderung aggressiver Signalreize ist so schwierig ist
auch die Frage, wie im konkreten Fall eine Reduzierung erreicht werden kann. Es ist
klar , dass Gesetze und eine strenge Kontrolle von Nutzen sind. Das Beispiel der
USA zeigt aber auch, wie schwer es ist, solche Gesetze zu erlassen, wenn sie festen
18
Traditionen entgegenlaufen oder Profit und Arbeitsplatz vieler Bürger an der
Waffenproduktion hängen.
Auch aggressive Signalreize bildlicher und sprachlicher Art könne nicht einfach
abgebaut werden. So ist die aggressive Aufmachung der Polizei in vielen Fällen
unvermeidbar. Und was Bilder und Texte betrifft so bringen gesetzliche Verbote bei
einer breite Auslegung die Gefahr mit sich, für eine Demokratie unzumutbare
Zensuren einzuführen.
•
Förderung positiver Anreger
Man sollt nicht nur fragen, wie man das unerwünschte Verhalten abbauen, sonder
auch, wie man das erwünschte Verhalten fördern kann. Kann man Situationen so
gestalten, dass mit einiger Wahrscheinlichkeiten alternatives Verhalten stimuliert
wird? Im Grunde ist uns eine solche Strategie aus dem Alltag geläufig: Man sucht
z.B. eine Umgebung auf, die einen auf andere Gedanken bringt-. Sucht Zerstreuung
und Ablenkung, um Ärger oder Langeweile wenigstens vorrübergehend zu
vertreiben. Ähnlich geht man vor, um andere Menschen zu beeinflussen. Lehrer
bemühen sich um einen interessanten, Unterricht-. Regierungen sorgen vielleicht
durch Filme, sportliche Wettkämpfe usw. für gute Stimmung im Land. Es werden
einige
Beispiele
beschrieben,
bei
denen
es
um
das
Ziel
der
Aggressionsverminderung geht. Im ersten Beispiel geht es um eine Maßnahme in
einem Schulhof. Bietet man Kindern sinnvolle Aktivitäten an, so machen sie weniger
Unsinn.
In diesem Experiment (Murphy 1983), das über 300 Kinder des ersten und zweiten
Schuljahres sowie der Volkschule einschloss, wurden auf dem Schulhof einige Tage
lang von Helfern Spiele organisiert (Seilspringen und Wettlaufen). In seltenen Fällen
kam als weitere Maßnahme hinzu, dass Kinder für ernstere Verstöße für zwei
Minuten auf die Strafbank mussten. Systematische Beobachtungen zeigten, dass
Aggressionen wie Schlagen, Treten, Wegnehmen und zerstören von Gegenständen
während der Spielphase deutlich seltener auftraten als in den Tagen vorher und
nachher.
Man kann sagen, dass reizvolle Aufgaben und Aktivitäten ein wichtiges Prinzip zur
Verminderung von Disziplinproblemen und manchmal auch von aggressiven
Verhalten sind. Vermutlich wecken solche Anreger nicht nur die Motivation für
sinnvolles Verhalten, sondern sie regulieren auch das Verhalten.
19
Auch im Falle akuter Frustrationen können Anreger das Verhalten in eine
nichtaggressive Richtung lenken. Das könne Ablenkungen sein, z.B. belustigen oder
Mitleid erregen (Baron 1976).
Experiment: Das in Frankreich durchgeführte Experiment (Moser und Levy-Leboyer
1985) beschäftigt sich mit Aggressionen in Telefonzellen, die weder funktionierten
(erste Frustration) noch das Geld wieder rausgaben (zweite Frustration). Es zeigte
sich, dass sowohl Schläge auf den Apparat als auch ausgesprochene Gewaltakte
(Tritte mit voller Kraft) wesentlich seltener auftraten, wenn in der Zelle gut sichtbare
Hinweise zum Verhalten in solchen Störfällen ausgehängt waren.
Da hier die momentan Frustration nur teilweise gemildert werden konnte, liegt der
entscheidende Einfluss in der Anregung positiver Handlungsweisen für die
Bewältigung der Situation.
Manchmal könne die alternativer Anreger lange Ketten destruktiver Interaktionen
durchbrechen und somit den Einstieg in weiterführendes umlernen vorbereiten.
•
Anreiz Verlagerung auf alternatives Verhalten
Instrumentelle Aggression ist auf die Erreichung von Nutzeffekten gerichtet. Diese
Nutzeffekte bilden daher Anreize, ohne die das Verhalten nicht ausgeführt würde.
Die Anreize selbst lassen sich kaum vermindern. In Ausnahmefällen mag die zwar
sinnvoll sein (Bekämpfung von Rauschgift- Kriminalität durch Verminderung des
Rauschgift- Anbaus).
Ebenso wenig hätte es Sinn, immaterielle Reize wie Beachtung und Anerkennung
vermindern zu wollen. Das Problem liegt ja auch nicht in den Anreizen selbst,
sondern in etwas anderem: erstens sind vielleicht die Güter zu ungleich verteilt, so
dass sich ein Teil der Menschen benachteiligt fühlt. Zum zweiten werden Anreiz wie
Reichtum, Macht oder Geltung von manchen Menschen so sehr überbewertet, dass
sie sie ohne Rücksicht auf andere Werte zu erreichen versuchen.
Und schließlich ist ganz entscheidend, für welches Verhalten die Anreize eine
Belohnung bilden, für aggressives oder für alternatives Verhalten.
Im erzieherischen Bereich kann man gier häufig einen „doppelten Anregungsfehler“
beobachten. Viele Eltern und andere Erzieher provozieren zunächst aggressives
Verhalten, indem sie das Kind z.B. durch unnötige Eingriffe verärgern oder seine
leisen Bitten nicht beachten (Frustration als erster Anreger). Wenn das Kind aber nun
schreit und jammert, machen sie eine Kehrtwendung, um dies schnell zu beenden.
20
Sie belohnen das nervige Verhalten durch Beachtung und Nachgebe (zweiter
Anreger: Anreiz für unerwünschtres Verhalten).
Eine andere Art erzieherischer Kehrtwendung wäre hier zweifellos sinnvoller:
Entweder ist der Eingriff nicht nötig, dann sollte man ich von vornherein unterlassen;
oder man hält ihn wirklich für erforderlich, dann ist auch Brüllen kein Gegenargument,
und man sollte es ignorieren und auf ein Entgegenkommen des Kindes warten.
Außerdem sollte man leise Wunschäußerungen nicht übergehen, sondern mit
Beachtung und gegebenenfalls mit Wünscherfüllung belohnen.
Die Bedürfnisse von Menschen sind eine Sache, das Verhalten, das sie zur
Bedürfnisbefriedigung einsetzen eine andere. Die Empfehlung lautet daher, den Blick
auf die gewünschten Verhaltensweisen (z.B. bitten, verhandeln, usw.) zu richten und
sie mit Beachtung, Anerkennung und Entgegenkommen zu belohnen.
2. Aggressionen abreagieren
Eine verbreitete Theorie zur Aggressionsverminderung besagt, dass man aggressive
Impulse abreagieren soll und zwar in möglicht harmlosen, erträglichen formen, und
früh genug, um einen Stau zu vermeiden. Der Gedanke ist der, dass man aggressive
Bedürfnisse an einer Stelle befriedigen kann, um ihre Äußerungen an einer anderen
Stelle zu verhindern.
•
Das Bild vom Ventil und die Katharsis- Hypothese
Man spricht davon, dass man „Dampf ablassen“ müsse. Manche Erzieher oder
Therapeuten ermuntern Kinder, ihre Aggressionen auszuleben, und lassen sie dazu
z.B. Schießspiele machen oder Ton zerquetschen, damit die Affekte sich austoben
und in schöpferisch Kanäle fließen können. Erwachsenen wird vorgeschlagen, für
kurze Zeit einander anzuschreien oder mit wattierten Schlägen zu prügeln.
Besonders bekannt geworden sind die Empfehlungen von Konrad Lorenz, dem
Aggressionstrieb in sozial akzeptablen Bahnen Befriedigung zu schaffen, etwa in
sportlicher Betätigung und Wettkämpfen verschiedener art. Lorenz sah sogar die
Möglichkeit, solche Maßnahmen auf internationaler Ebene zu nutzen. So erhoffte er
sich vom Wettstreit der Völker eine Minderung der Kriegsgefahr.
Die vorschriftsmäßig ausgestatteten Aggressionsäußerungen erfüllen die Funktion,
unerlaubte Gewalt zu verhindern. Somit soll das Ausleben von Aggressionen nicht
21
nur der individuellen Seelenhygiene, sondern auch dem gesellschaftlich- politischen
Frieden nützlich sein.
Nicht nur eigener, auch beobachteter Aggression wird eine aggressionsabführende
Wirkung zugeschrieben, z.B. das Anschauen von Wildwestfilmen oder Gewalt in den
Medien. Die Vorstellung, um die es hier geht, wird in der Psychologie als KatharsisHypothese bezeichnet. Sie wird vorwiegend von Triebtheoretikern vertreten, gehört
aber auch zum ursprünglichen System der Frustrations- Theorie. Nach Dollard wird
durch die Frustration ein Aggressionsbedürfnis erzeugt, und dies kann nur durch
einen aggressiven Akt wieder entspannt werden. Wird diese verhindert, ist dies eine
zusätzliche Frustration, die die Aggressionstendenz noch verstärkt. Mit mehrfachen
Frustrationen kann sich ein größeres Aggressionspotential anstauen.
Es ist aber zu beachten, dass unterschiedliche Wege und Wirkungen des Auslebens
gemeint sein können. Strenggenommen gibt es nicht die Katharsis- Hypothese,
sondern verschiedene Versionen. Außerdem ist zu unterscheiden zwischen der
Vorstellung, dass ein Zustand akuten Ärgers abgebaut werde, und der anderen
Vorstellung, dass man vorbeugend aggressive Impulse abreagieren kann. Uns
schließlich werden dem Abreagieren unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben. Es
soll (1) weiteres aggressives Verhalten vermindern und (2) emotionale Erleichterung
mit sich bringen.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen zum Katharsis- Problem haben gemeinsam,
dass sie zwei Gruppen von Versuchspersonen in bezug auf ihr aggressives
Verhalten miteinander vergleichen, von denen die eine vorher Gelegenheit hatte,
Aggression auszuleben, die andere nicht. Unterschiede liegen vor allem in der Art
der Aktivitäten und der Messung der Aggression.
•
Vorbeugende Senkung angestauter Aggressionen
Es geht hier um die Vorstellung, dass der angeblich natürlich anwachsende
aggressive Energiedruck, auf die eine oder andere Weise abgelassen werden soll.
Schon Allport (1954/ 1971) hat die Theorie von de Ableitung kritisiert. Allport zitiert
einige Untersuchungen, die ihn zu dem Schluss führen: „ eine Person, die
Aggression in eine Richtung „kanalisiert, „kanalisiert sie wahrscheinlich ebenso in
andere Richtungen.“ Dass dies wahrscheinlicher als eine Ableitung ist, besagt auch
eine Untersuchung von Sipes (1973):
22
Sipes untersuchte an einer größeren Zahl von „primitiven Völkern“ den
Zusammenhang zwischen Krieg und Kampfspielen. Nach de Ventiltheorie müssten
Volksstämme, die viel Kampfsport treiben, auf diesem Weg ihre aggressiven Impulse
abreagieren und daher weniger zur Kriegsführung neigen. Snipes fand aber genau
das Gegenteil heraus. Offenbar dienten die Kampfspiele eher der Vorbereitung, als
der Verhinderung kriegerischer Handlungen.
Untersuchung von Feshbach:
Feshbach (1956) gab über vier Wochen Kindern mehrfach Gelegenheit zum Spiel mit
aggressivem
Spielzeug
(z.B.
Cowboys,
Soldaten,
usw.),
während
eine
Kontrollgruppe neutrales Spielzeug erhielt (z.B. Eisenbahn, Zirkus, usw.). Es zeigte
sich, dass die Kinder mit den aggressiven Spielzeugen häufiger Aggressionen ( wie
Kämpfe zwischen Soldaten) zeigten.
Auch wenn solch ein Ereignis noch nichts über langfristige Gefahren für die
Persönlichkeitsentwicklung aussagt, eine aggressionsvermindernde Wirkung hat das
Spielzeug sicher nicht.
•
Abbau akuter Ärger- Aggressionen
Sport und Bewegung
Am populärsten ist wohl die Annahme, dass man über Sport und andere heftige
körperliche Betätigungen (z.B. Holzhacken) seine Aggressionen loswerden kann. Die
wissenschaftlichen Befunde sprechen jedoch eindeutig dagegen.
Einige Beispiele:
Bei Zillmann (1972) hatten verärgerte Versuchspersonen kräftig in die Pedale eines
Hometrainers zu treten. Dies steigerte ihre Neigung, den Provokateur in einem
anschließenden Lernexperiment mit Elektroschocks zu bestrafen. (im Vergleich zu
einer Gruppe mit ruhiger Tätigkeit).
o In einer Studie von Peper (1981) wurden 15 jährige Schüler während der
Sportstunde bei einem Ballspieltest durch einen Sporthelfer provoziert und um
ihre Punkte gebracht. Anschließend macht ein Teil der Schüler Übungen, die
Kraft und heftige Bewegung erforderten. Die Vergleichsgruppe macht
Geschicklichkeitsübungen. Eine motorische Abreaktion von Aggressionen
durch den Kraftsport war nicht festzustellen.
23
o In einer Untersuchung von Stützle- Hebel (1993) verminderte Skigymnastik
die durch Provokation entstandenen aggressiven Gefühle nicht stärker als
gleich
langes
warten.
Als
wirksamer
erwies
sich
eine
Konzentrationsaufgabe.
Wie schon bei der vorbeugenden Abfuhr von aggressiven Energien ist also auch bei
akuter
Ärger-
Erregung
eine
besondere
Wirkung
motorischer
Aktivitäten
nachzuweisen.
Stellvertretendes Schimpfen
Anders als die vorhergehenden Ersatzformen ist dies nicht nur irgendeine
aggressive Aktivität, sondern eine, die sich inhaltlich auf den Ärger- Anlass bezieht.
Untersuchung:
o Bohart (1980) bat Studenten sich vorzustellen, dass ihnen der Provokateur
gegenübersitzt, und dann ein bis zwei Minuten zu schimpfen. Nach diesem
Verfahren fühlten die Teilnehmer mehr Groll auf den Provokateur als
vorher. Andere Vorgehensweisen, wie z.B. das Nachdenken über die
eigenen Gefühle oder das Sprechen mit einem verständnisvollen Zuhörer,
wurden dagegen als ärgermindernd empfunden.
Das spricht sicher nicht grundsätzlich dagegen, in aggressiver Form über Ärgernisse
zu reden. Das Schimpfen als solches, ohne auch nur das Ohr des verantwortlichen
zu erreichen, ist offenbar kein „Stuhlgang der Seele“.
Reale Vergeltung
Manche Aggressionen werden nicht auf Ersatzwegen ausgedrückt, sondern durch
direkte Aggression gegen den Verursacher. Dies ist zwar eine Aggression und
insofern keine Aggressionsverminderung, aber man kann fragen. Ob es ruhe schafft
oder nichts bewirkt oder sogar das Aggressionsbedürfnis wachhält, wenn man den
Provokateur treffen kann.
In den psychologischen Untersuchungen wird dies so überprüft:
o Jemand wird von einer anderen Person provozierend beurteilt und erhält
seinerseits Gelegenheit, mit einer negativen Beurteilung zu antworten.
(Thibaut & Coules)
24
o Die provozierte Person hat die Möglichkeit sich über das unverschämte
Verhalten eines Kollegen beim Versuchsleiter zu beschweren. Dieser zeigt
Verständnis und verspricht den Kollegen zur Rechenschaft zu ziehen.,
oder tadelt sie vor den Augen der provozierten Person. (Peper 1981)
In vielen dieser versuche zeigten sich Katharsis- Effekte. So war in dem Experiment
von Thibaut und Coules die abschließende Einstellung zum Gegenspieler weniger
negativ, wenn die Versuchsperson ihren Ärger in ein Gegenbeurteilung abladen
konnte. Offenbar können durch die Vergeltung verschiedene Prozesse ausgelöst
werden. Wo die Vergeltung weitere Aggressionen steigert oder aufrechterhielt, kann
dies folgende gründe haben: 1. die Beschäftigung mit der Provokation wird
wachgehalten; 2. man strebt ein konsequentes Verhalten gegen den Provokateur an;
3. die erste Vergeltung wird nachträglich gerechtfertigt, indem man den Provokateur
als „wirklich schlimm“ beurteilt; 4. der Racheakt ist einfach angenehm und wird
deshalb wiederholt.
Andererseits ist es möglich, dass uns Ärgergefühle wach halten werden, wenn der
Provokateur ungeschoren davonkommt. Im Vergleich dazu könnte die Vergeltung
einen Schlusspunkt setzen. Dies zeigt sich auch darin, dass gewöhnlich nicht mit
irgendeiner Vergeltung reagiert wird, sondern mit einer, die der Provokateur seiner
Tat entsprechend verdient. Auch eine Bestrafung durch eine dritte Person kann sehr
befriedigend sein.
3. Aggressionshemmung fördern
Jeder hat wohl schon erfahren, dass er einem anderen gern „mal die Meinung gesagt
hätte“ und dass er es dann doch nicht tat. In solchen Fällen, in denen eine
Aggressionstendenz vorliegt, die Handlung jedoch nicht ausgeführt wird, spricht man
von einer Aggressionshemmung. Bei der Aggressionshemmung geht es um eine
Stärkung
der
Gegenmotivation.
Von
allen
Lösungsansätzen
zur
Aggressionsbewältigung wird das Erzeugen von Hemmungen am häufigsten
praktiziert.
25
•
Drei Arten von Hemmungen
Angst vor Bestrafung bzw. negativen Folgen
In vielen Situationen unterlassen Menschen aggressives Verhalten, weil sie
unangenehme
Konsequenzen
fürchten,
z.B.
Tadel,
böse
Blicke,
Schläge,
Geldstrafen, Rausschmiss, usw. Die Hemmungen sind meist besonders groß
gegenüber Stärkeren, z.B. Vorgesetzten oder Autoritäten.
Moralische Hemmungen bzw. Werthaltungen
Bei moralischen Hemmungen ist nicht, wie bei der Angst vor Bestrafung, die
Reaktion der anderen, sondern die eigene Reaktion, der entscheidende Faktor. Die
Verletzung eigener Wertmaßstäbe erregt Schuldgefühle bzw. ein schlechtes
Gewissen. Während man z.B. gegenüber Stärkeren Aggression aus Angst unterlässt,
beruht dies gegenüber Schwächeren auf einer moralischen Einstellung.
Die leid- induzierte Hemmung
Damit bezeichnet man den Impuls eine aggressive Handlung zu beenden oder zu
unterlassen, weil der Schmerz des Opfers instinktiv als unerträglich empfunden wird.
Ein solcher Faktor wird vor allem von Konrad Lorenz hausgestellt, der meint, dass
der Mensch, wie viele Tierarten, neben dem Aggressionstrieb auch natürliche
Hemmungen besitzt, die jedoch durch die heutigen Waffen, insbesondere die
Fernwaffen, außer Kraft gesetzt würden. So wirke es aggressionshemmend, wenn
man Schmerz und Qual des Opfers mit ansehe: „Kein Mensch würde auf Hasenjagd
gehen, müsste er das Wild mit Zähen und Fingernägel töten“ (Lorenz). Im direkten
Kampf zwischen Menschen könnten also die instinktiven Hemmungen wirksam
werden, nicht aber wenn die Entfernung zwischen Aggressor und Opfer so groß sei,
wie das z.B. für einen Bomberpiloten der Fall ist.
Im Falle von Vergeltung oder Sadismus empfinden Menschen das Leiden anderer
bei bestimmtem Motivationen jedoch befriedigend. Die leid – induzierte Hemmung
wirkt jedenfalls nicht immer und automatisch bei jedem wahrgenommenen Schmerz,
sondern nur unter bestimmten Umständen. Unklar ist aber auch hier, wieweit es eine
angeborene instinktive Erscheinung eigener Art ist. Denn sicherlich kann das Leid
anderer auch deshalb Hemmungen hervorrufen, weil man lernt, dass man anderen
26
nicht
weh
tun
darf
und
dass
Menschen,
die
man
getroffen
hat,
häufig
zurückschlagen.
•
Werthaltungen
Auch ohne die Gefahr von Strafen oder anderen Unfreundlichkeiten vermeiden
Menschen aggressives Verhalten, wenn sie sich von Werthaltungen (Einstellungen)
leiten lassen, die es ihnen verbieten. Wer nach eigenen Normen aggressive
Handlungen als falsch bewertet und sie unterlässt, wird mit sich zufrieden sein. Wer
sie trotzdem ausführt, weil andere Kräfte stärker sind, bekommt Schuldgefühle.
Einstellungsbedingte Hemmungen sind insofern wirksamer als Angst vor Bestrafung,
weil sie auch dann wirken, wenn man ohne Risiko aggressiv sein könnte. Aber
abgesehen davon, dass andere Kräfte die Hemmungen überwinden können (z.B.
akute Affekte, Befehle), lassen die moralischen Einstellungen viele Ausnahmen zu.
Beispiele:
o Man schlägt andere Menschen nicht, ausgenommen ungezogene Kinder
o Man greift nicht al erster an, darf aber zurückschlagen
o Man ist gut zu anständigen Menschen und Angehörigen der eigenen
Gruppe, aber nicht zu Feinden
o Man darf nicht für persönliche Vorteile Gewalt einsetzten, wohl aber im
Dienste einer guten Sache
Die Liste der Rechtfertigungen umfasst vor allem folgende Typen:
1. höhere Zwecke („Erziehung zu einem „anständigen“ Menschen“, „Heiliger
Krieg“)
2. Schuld des Opfers (Gegengewalt ist eine gerechte Strafe)
3. Minderwertigkeit des Opfers („Ungeziefer“, Menschen, die es nicht wert sind)
4. Vorteilhafte Vergleiche („Was hat denn XY damals gemacht?)
Auch ohne ein bewusstes Abschieben von Verantwortung kann der Einfluss anderer
die eigenen Werthaltungen auf die Probe stellen. So zeigten z.B. Kinder in einer
Untersuchung von Siegel und Kohn (1959) zunehmende Aggression im Spiel, wenn
ein Erwachsener nicht eingreifend danebenstand, während ohne ihn sogar eine
27
Abnahme eintrat. Vielleicht erweckt ein Erwachsener, der nicht eingreift, den
Eindruck, hier darf man aggressiv sein.
Doch selbst wer an seinen Einstellungen festhält, handelt vielleicht nicht danach, weil
er Angst hat, alleine dazustehen, oder weil er sich gegenüber einer Autorität zum
Gehorsam verpflichtet fühlt. Eigenständigkeit kann also0 sehr wichtig sein für die
Unterlassung einer Aggression.
Aus alldem ergibt sich, dass man bei der Förderung von aggressionshemmenden
Einstellungen zwei wichtige Ziele im Auge behalten muss:
1. Es ist wichtig, die gängigen Rechtfertigungen zu durchschauen und sich mit
ihnen kritisch auseinandersetzen. Denn je mehr man davon akzeptiert, um so
kleiner wird der tatsächliche Wirkungsbereich der hemmenden Normen.
2. Es ist wichtig zu lernen, sich mit seinen moralischen Einstellungen auch gegen
Druck anderer Personen zu behaupten.
28
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