Enterale Ernährung - ernährungs umschau

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Enterale Ernährung
Nährsubstrate und deren Anwendung beim erwachsenen Patienten
Glossar:
APACHE-Score = acute
physiology and chronic
health evaluation; Verfah-
Einleitung
ren zur standardisierten
Bewertung von Schweregrad und Prognose einer
Erkrankung
Oligomer = Im Gegensatz
zu den Polymeren (50 bis
mehrere 1 000) aus wenigen (2 bis <50) gleichen
Einheiten (= Monomere,
z. B. Aminosäuren,
Disacchariden) aufgebaute Makromoleküle
(griech. oligo = wenige;
poly = viel)
Peptide = Die Grenze zwischen den Peptiden und
Proteinen entspricht mit
ca. 50 durch Peptidbindung
verknüpften Aminosäuren
der Grenze zwischen
Oligo- und Polymeren
(Darm)Stenose = Ver-
Grundsätzlich ist eine enterale Ernährung dann indiziert, wenn die normale
orale Ernährung aufgrund von Störungen der Nahrungspassage oder Verdauungsleistung nicht oder nur teilweise
möglich ist oder der Ernährungszustand
mit einer normalen oralen Ernährung
nicht aufrechterhalten werden kann
(쏆 Tabelle 1).
Dabei umfasst die Begriffsdefinition der
enteralen Ernährung nicht mehr nur die
Sondenernährung, sondern auch die
oralen Trink- und Zusatznahrungen.
Dementsprechend stehen an die unterschiedlichsten Anforderungen, Erkrankungs- und Stoffwechselsituationen angepasste Nährlösungen und -substrate
zur Verfügung. Der vorliegende Artikel
gibt eine Übersicht über das Substratangebot und dessen wissenschaftlich und
klinisch begründbare Anwendung.
engung, die die physiologische (Darm-)Funktion
einschränkt
Grundlagen
Tumorkachexie = Aus-
Definition der enteralen
Ernährung
zehrung bei bösartigen
Tumorerkrankungen
verzweigtkettige Aminosäuren = die Aminosäuren
Leucin, Isoleucin und Valin
haben ein verzweigtes
Kohlenstoffgerüst
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In der EG-Richtlinie 1999/21/EG der
Kommission vom 25. März 1999 wird der
Begriff „enterale Ernährung“ nicht nur
auf Sondennahrung angewandt, sondern schließt auch Formen von Nah-
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rungssupplementen mit ein, die oral verabreicht werden können. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass es sich um „diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ handelt. Diese Anforderung, die ebenfalls auf nationaler
Ebene mit der Diät-Verordnung Anwendung findet, wird von industriell hergestellten Nährsubstraten erfüllt [2, 3].
Vergleich von selbst hergestellten
Trink- und Sondennahrungen mit
industriell gefertigten Nahrungen
Selbst hergestellte Nahrungen sind
i. d. R. nicht dazu geeignet, die ernährungsmedizinischen, technischen und
hygienischen Anforderungen, die insbesondere an Sondenkost gestellt werden,
zu erfüllen.
Aus ernährungsmedizinischer Sicht
muss die enterale Ernährung eine bedarfsgerechte Zufuhr gewährleisten. Die
Zusammensetzung der Nährlösungen
richtet sich nach den von den Fachgesellschaften empfohlenen „Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr“ für Gesunde [4]. Industriell gefertigte Nahrungen erfüllen hierbei den Anspruch
einer konstanten und reproduzierbaren
Zusammensetzung an Makro- und Mikronährstoffen, d. h. ihr Nährstoffgehalt
ist bilanziert.
Dipl. oec. troph.
Christiane Bott
Johann Wolfgang
Goethe-Universität
Frankfurt
Med. Klinik I
Schwerpunkt
Gastroenterologie
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt
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Indikationen
■ Vorbestehende oder drohende Mangelernährung
■ Inadäquate orale Nahrungszufuhr (<500 kcal/Tag) voraussichtlich über mehr als 7 Tage
Kontraindikationen
■ Schwere Störungen der gastrointestinalen Funktion (z. B. Ileus,
Peritonitis, unstillbares Erbrechen, Malassimilation)
Tab. 1: Allgemeine Indikationen
und Kontraindikationen der
enteralen Ernährung [1]
Darüber hinaus müssen Sondennahrungen bestimmte technologische
Anforderungen erfüllen. Sie dürfen
die relativ englumigen Sonden nicht
verstopfen, d. h. sie müssen frei von
Partikeln sein, dürfen nicht zu viskös
sein und ihre Bestandteile dürfen
nicht ausfallen (z. B. Koagulation von
Proteinen und Mineralstoffen). Auch
diese Bedingungen können mit selbst
hergestellter Nahrung kaum erfüllt
werden.
Außerdem bietet die Industrie leicht
zu handhabende Behältnisse und Applikationssysteme, so dass auch der
hohe Aufwand der Nahrungszubereitung als erheblicher Kostenfaktor entfällt. Die industrielle Fertigung bietet
zudem einen höheren Schutz vor bakterieller Kontamination, wodurch die
Gefahr einer zusätzlichen gastrointestinalen Infektion minimiert wird.
Aus den genannten Gründen sollte
selbst hergestellte Sondennahrung sowohl im klinischen als auch im ambulanten Bereich keine Anwendung
mehr finden [5, 6].
Bilanzierte Diäten
Als „diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ müssen industriell hergestellte Nahrungen gemäß Diät-Verordnung bzw. EGRichtlinie 1999/21/EG in ihrer Nährstoffformulierung zulässige Mindestund Höchstmengen pro Tag einhalten, d. h. bilanziert sein. Spezialnahrungen zur Behandlung bestimmter
Erkrankungen müssen deren diätetische Anforderungen erfüllen.
■ Metabolische Instabilität (z. B. diabetische Ketoazidose, Coma
hepaticum)
Die Diät-Verordnung unterscheidet
wiederum bilanzierte Diäten zur ausschließlichen und vollständigen Ernährung von bilanzierten Diäten zur
ergänzenden Ernährung. In diesem
Zusammenhang wird auch von vollbilanzierten und teilbilanzierten Nahrungen gesprochen.
Vollbilanzierte Nahrungen müssen in
ihrem Energie- und Nährstoffgehalt so
formuliert sein, dass sie nach den
D-A-CH-Referenzwerten auch bei ausschließlicher Ernährung eine bedarfsdeckende Nährstoffzufuhr gewährleisten.
Teilbilanzierte Nahrungen sind zur
Verwendung als ergänzende Diät bestimmt, d. h. sie wären bei ausschließlicher Zufuhr nicht dazu geeignet, den gesamten Energie- und
Nährstoffbedarf zu decken. Grundsätzlich dürfen auch diese Diäten zur
ergänzenden Ernährung nicht die vorgeschriebenen Höchstmengen für die
Zufuhr von Mineralstoffen und Vitaminen überschreiten, wenn die ausgewiesenen Verzehrsmengen eingehalten werden [3].
Da Patienten, die eine Ernährungssonde benötigen, i. d. R. nicht in der
Lage sind, auch nur teilweise ihren
Nahrungsbedarf auf oralem Wege zu
decken, sind alle angebotenen Sondennahrungen vollbilanziert.
Orale Nährsubstrate, die sowohl in
Form von Trinknahrungen als auch
in Form von Pulver zum An- bzw. Einrühren oder in „Dessert-Form“ hergestellt werden, können voll- oder
teilbilanziert sein. Der Großteil der
auf dem deutschsprachigen Markt an-
gebotenen Trinknahrungen ist vollbilanziert und eignet sich damit gleichermaßen zur ausschließlichen wie
zur ergänzenden Ernährung.
Substrate enteraler Diäten
Die bilanzierten Diäten setzen sich in
der Regel aus isolierten Einzelkomponenten der enthaltenen Nährstoffe
zusammen, die im Folgenden näher
beschrieben werden. Einige Hersteller bieten auch Diäten an, die auf regulären Lebensmitteln wie Fleisch,
Milch, Getreide etc. basieren. Sie eignen sich besonders für Patienten mit
einer ablehnenden Haltung gegenüber einer „künstlichen Ernährung“.
Ihr Einsatz setzt jedoch eine gute Verdauungs- und Resorptionsleistung voraus. Ferner muss die Diät ggf. auf
ihren Gehalt an Laktose oder Gluten
überprüft werden.
Als Proteinquelle dienen in erster
Linie Milch- und Sojaeiweiß. Seltener
werden Fleisch, Eiklar und andere Eiweißträger als Proteinquelle für bilanzierte Nahrungen genutzt. Zum
Einsatz kommen entweder intakte
Proteine oder Proteinhydrolysate in
Form von freien Aminosäuren oder
Oligopeptiden mit einer Kettenlänge
von 2–50 Aminosäuren. Bilanzierte
Diäten sind in der Regel glutenfrei [2,
3].
Kohlenhydrate werden in Form von
intakten Polysacchariden sowie als
Oligo- und Monosaccharide eingesetzt und meist aus Maisstärke gewonnen. Laktose ist meist nicht in
klinisch relevanten Mengen enthalten und mit Mengenangabe auszuweisen [2, 3].
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Als Fettkomponente bilanzierter Diäten dienen in erster Linie pflanzliche
Fette wie Soja-, Sonnenblumen- und
Maiskeimöl. Die Fettkomponente
kann bezüglich ihres Fettsäuremusters modifiziert sein, wenn z. B. die
aus Kokosnussöl gewonnenen MCTFette (mittelkettige Triglyceride)
oder ein erhöhter Anteil an n-3Fettsäuren in Form von Fischöl zum
Einsatz kommen. Für die Intensivmedizin wurde eine Nährlösung (Intestamin, Fresenius Kabi) konzipiert, der
u. a. die kurzkettige Fettsäure Butyrat
zugesetzt ist. Kurzkettige Fettsäuren
sollen aufgrund ihres positiven Einflusses auf die Mukosaintegrität den
häufig zu beobachtenden strukturellen und funktionellen Veränderungen im Dünn- und Dickdarm von
kritisch Kranken entgegenwirken
(s. Abschnitt zu Ballaststoffen) [2, 3].
Der Wassergehalt flüssiger bilanzierter Diäten variiert mit der Energiedichte, also ihrem Anteil an
Makronährstoffen. Je höher die Energiedichte, desto niedriger ist der Gehalt an freiem Wasser. Bei normokalorischen bilanzierten Diäten liegt
der Wassergehalt durchschnittlich bei
80 % und kann bei hochkalorischen
Diäten bis auf 70 % sinken [6].
Obwohl Ballaststoffe per Diät-VO
kein zwingender Bestandteil der enteralen Ernährung sind, ist ihr Einsatz
vor allem im Zuge einer Langzeittherapie von Patienten mit normaler
Verdauungs- und Resorptionsfunktion auf Grund ihrer stuhlregulierenden Wirkung unerlässlich. Zudem
findet im Kolon die bakterielle Fermentation wasserlöslicher Ballaststoffe zu den kurzkettigen Fettsäuren
Acetat, Propionat und Butyrat statt.
Kurzkettige Fettsäuren dienen der
Kolonschleimhaut als wichtiges Energiesubstrat und fördern nachweislich
die Mukosaproliferation sowie die Absorption von Wasser und Elektrolyten. Dieser Schleimhaut stabilisier-
1
Aus Mitgliedern der Fachgesellschaften ISPN (International Society of Parenteral Nutrition) und ASPN (American Society of Parenteral and Enteral Nutrition)
konstituierte sich 1980 in Newcastle, England, die Europäische Fachgesellschaft ESPEN.
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ende Effekt lässt sich zudem für die
Therapie von Diarrhöen nutzen.
Für die Langzeittherapie werden Diäten empfohlen, die wenigstens 10 g
Ballaststoffe pro 1 000 kcal liefern. Als
Grundlage der wasserlöslichen Ballaststoffkomponente in bilanzierten
Diäten dienen z. B. Pektin, Gummi
Arabicum, Guar oder die aus Inulin
gewonnenen Fruktooligosaccharide.
Wasserunlösliche Ballaststoffe werden
meist aus Sojabohnen gewonnen [3,
6–10].
Kontraindikationen für Ballaststoffe
sind z. B. ein entzündlich aktiver Morbus Crohn, Stenosen oder der Kostaufbau nach ausgedehntem abdominellem chirurgischem Eingriff [6].
Unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages richtet sich der Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementgehalt von bilanzierten Diäten
nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften für Gesunde sowie nach
den zulässigen Mindest- und Höchstmengen. Bislang stehen keine sicheren Daten zum Bedarf an Mikronährstoffen von Patienten mit bestimmten Erkrankungen zur Verfügung [3].
Hoch- und niedermolekulare
Diäten
Als Synonyme für den Begriff hochmolekulare Diät werden auch die Begriffe Polymerdiät oder nährstoffdefinierte Diät verwendet. Diese Be-
griffe weisen darauf hin, dass die
Hauptnährstoffe in ihrer intakten
Molekularstruktur vorliegen (쏆 Tabelle 2).
Die Definition für niedermolekulare
Diät und ihre Synonyme Oligomerdiät oder chemisch definierte Diät ist
in der Literatur weniger eindeutig beschrieben. Nach den Leitlinien der
ESPEN (European Society for Clinical Nutrition and Metabolism1, Europäische Gesellschaft für Klinische
Ernährung) für enterale Ernährung
werden hiermit Diäten bezeichnet,
deren Proteinkomponente aus Peptiden mit einer Kettenlänge von 2–50
Aminosäuren besteht. Hierfür wird
auch der Begriff Peptiddiät verwendet. Die Leitlinien der DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin) für enterale Ernährung beziehen sich in ihrer Begriffsdefinition
auf einen hohen Anteil schnell verwertbarer monomerer und oligomerer Bausteine von Kohlenhydraten
und Proteinen [2, 3]. Da freie Aminosäuren und kleine Peptide auf
Grund ihres schlechten Geschmacks
als Komponente einer Trinknahrung
nur begrenzt akzeptabel sind, werden
niedermolekulare Diäten vorwiegend
als Sondennahrungen angeboten.
Niedermolekulare Diäten werden bevorzugt bei eingeschränkter Absorptionsfähigkeit oder eingeschränkter
bzw. fehlender Verdauungsleistung
eingesetzt. Ihr Fettanteil ist meist mit
etwa 10–20 % des Gesamtenergiege-
Nährstoffkomponente
hochmolekulare Diät
niedermolekulare Diät
Kohlenhydrate
Poly- und Oligosaccharide Mono-, Di-, Oligosaccharide
(z. B. Stärke und
(z. B. Glukose,
Maltodextrin)
Maltodextrin)
Proteine
Hochmolekulare intakte
Proteine
Fette
Triglyzeride (überwiegend Triglyzeride (überwiegend
LCT)
MCT)
Ballaststoffe
je nach Indikation
Keine
Vitamine und
Mineralstoffe
entsprechend der
jeweiligen Empfehlungen
entsprechend der
jeweiligen Empfehlungen
Aminosäuren und/oder
Peptide (Hydrolysate)
Tab. 2: Zusammensetzung von hochmolekularen und niedermolekularen bilanzierten Diäten (nach [3])
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haltes zugunsten des Kohlenhydratanteils reduziert. Die Fettkomponen-
Nährstoffmodifizierte
Spezialdiäten
te besteht i. d. R. aus einem hohen
Anteil an so genannten MCT-Fetten,
die unter Umgehung der Mizellenbildung wie die Verdauungssprodukte von Kohlenhydraten und
Proteinen über die Portalvene in den
Blutkreislauf eingehen [2, 3, 6]. Niedermolekulare bzw. chemisch definierte Diäten sind frei von Ballaststoffen und enthalten keine Laktose
(s. auch Abschnitt Nährstoffmodifizierte Spezialdiäten).
Hierzu zählen Diäten, die in ihrem
Gehalt an Makro- und Mikronährstoffen an bestimmte Erkrankungen
und Stoffelwechselsituationen angepasst sind und damit von den Standardnahrungen abweichen. Die
spezielle Zusammensetzung einiger
dieser Nahrungen bezieht sich jedoch
teilweise auf veraltete oder theoretische Überlegungen, deren klinische Bedeutung nicht immer anhand von klinischen Prüfungen bestätigt werden konnte. Derzeit
existieren keine allgemeinen Empfehlungsgrundlagen für den Mikronährstoffbedarf im Rahmen einzelner Erkrankungen [3].
Standarddiäten und nährstoffmodifizierte Spezialdiäten
Standarddiäten
Für stoffwechselgesunde Patienten
mit normaler gastrointestinaler Funktion stehen hochmolekulare Standarddiäten zur Verfügung. Ihr
Energiegehalt ist mit 0,9–1,2 kcal/ml
etwa normokalorisch. Eine bedarfsdeckende Zufuhr an Mikronährstoffen wird normalerweise mit 1 500–
2 000 ml bzw. kcal erreicht. Ist der
Energiebedarf erhöht oder soll die
Flüssigkeitszufuhr eingeschränkt werden, stehen hochmolekulare hochkalorische Nahrungen mit 1,5–2 kcal/
ml zur Verfügung. I. d. R. wird die von
den Fachgesellschaften empfohlene
Nährstoffrelation in Bezug auf die
Energiezufuhr mit ca. 55 % Kohlenhydraten, ca. 15–20 % Protein und ca.
30 % Fett eingehalten. Im Angebot
sind Nahrungen mit und ohne Ballaststoffe [2, 3, 6].
Sondennahrungen mit Standardnährstoffzusammensetzung sind sowohl in normo- als auch in hochkalorischer Form erhältlich. Bei
Trinknahrungen geht der Trend aufgrund der höheren Nährstoffdichte
zur hochkalorischen Diät. Auch bei
gastraler Sondenernährung kann
eine hochkalorische Diät von Vorteil
sein, da mit geringerem Volumen
eine höhere Nährstoffmenge appliziert werden kann.
Hochmolekulare Standardnahrungen finden im klinischen Bereich
eine breit gefächerte Anwendung
(쏆 Tabelle 3).
Niedermolekulare und MCThaltige Diäten
Niedermolekulare Diäten kommen in
erster Linie bei Patienten mit erheblich eingeschränkter Digestions- oder
Resorptionsleistung zur Anwendung.
Aufgrund der vorgespaltenen Struktur ihrer Protein- und Kohlenhydratkomponente und dem meist hohen
Anteil an MCT-Fetten werden sie bereits in den oberen Dünndarmabschnitten nahezu vollständig resorbiert, wodurch die Stuhlbildung erheblich vermindert ist. Sie werden
z. B. bei Patienten mit akuter Pankreasinsuffizienz, Strahlenteritis, akuten
entzündlichen Darmerkrankungen,
chronischer intestinaler Pseudoobstruktion, Kurzdarmsyndrom und bei
Sondenernährung mit jejunaler Sondenlage eingesetzt. Allerdings fehlt
der Beweis für den klinischen Vorteil
gegenüber einer ballaststofffreien
Standarddiät bei manchen dieser
klassischen Indikationen, etwa dem
akuten entzündlichen Schub eines
Morbus Crohn oder dem Kurzdarmsyndrom [38, 50, 54, 58, 75].
Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet
für niedermolekulare Diäten sind die
seltenen intestinalen Lymphangiektasien (intestinale Lymphabflusstörungen), die häufig mit einer exudativen Gastroenteropathie und demzufolge mit einem intestinalen Pro-
teinverlust einhergehen. Günstig sind
eine LCT-arme bzw. -freie Diät und
der Einsatz von MCT-Fetten [76]. Für
solche Situationen, in denen eine
Fettmalabsorption bei ansonsten
funktionierender Digestion vorliegt,
werden auch hochmolekulare Produkte mit hohem MCT-Anteil angeboten.
Proteinreiche Diäten
Von den meisten Herstellern werden
zusätzlich proteinreiche Varianten
der bilanzierten hochmolekularen
Diäten angeboten. Sie sind in der
Regel hochkalorisch und haben mit
etwa 30 % Protein der Gesamtenergiezufuhr einen höheren Proteingehalt als Standardnahrungen. Von den
Anbietern werden sie u. a. für den
Einsatz bei konsumierenden Erkrankungen mit erhöhtem Proteinbedarf
empfohlen. Ein eindeutiger Beweis
für ihre bessere Wirksamkeit gegenüber hochkalorischen Standardnahrungen konnte bisher nur bei
geriatrischen Patienten zur Prävention des Dekubitus nachgewiesen werden. Hierfür wird nach den
ESPEN-Leitlinien der Einsatz von proteinreicher Trinknahrung mit dem
Evidenzgrad A eingestuft. Weniger
eindeutig sind Hinweise auf einen
Einfluss der Wundheilung bei bereits
bestehenden Dekubitusulzera [74,
77].
Mit verzweigtkettigen Aminosäuren (VKAS) angereicherte
Diäten
VKAS finden Anwendung in der Behandlung von Patienten mit chronischen Lebererkrankungen. Klinische
Studien zeigen, dass sie die hepatische Proteinsynthese stimulieren und
damit zu einem besseren Ernährungsstatus beitragen. Darüber hinaus ist ihr positiver Einfluss auf den
Verlauf der chronischen hepatischen
Enzephalopathie eindeutig belegt,
wobei der zugrunde liegende Mechanismus hierfür immer noch nicht eindeutig aufgeklärt ist [78]. Bei Patienten mit fortgeschrittenen Lebererkrankungen, z. B. Leberzirrhose, wer-
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Indikation/Empfehlung
Evidenzgrad
(A, B od. C*)
weiterführende
Literatur
Chirurgische Patienten [11]
Eine Sondenernährung wird empfohlen, wenn ein früher oraler postoperativer Kostaufbau nicht möglich ist, insbesondere
[12–14]
■ nach schweren Tumoroperationen im Hals-, Kopf- oder Gastrointestinalbereich,
A
■ mit schwerem Polytrauma,
A
■ mit manifester Mangelernährung zum Zeitpunkt der Operation oder
A
■ mit voraussichtlich unzureichender (< 60 %) Nahrungsaufnahme über mehr als 10 Tage postoperativ.
C
Hierbei ist für die meisten Patienten eine hochmolekulare Standardnahrung angemessen. (s. Immunonutrition).
C
Nichtchirurgische onkologische Patienten [15]
Mit einer Ernährungstherapie sollte begonnen werden bei vorliegender Mangelernährung oder wenn der Patient
voraussichtlich länger als 7 Tage nicht essen kann oder bei vorauszusehender unzureichender Nahrungszufuhr
(< 60% des geschätzten Energiebedarfs für länger als 10 Tage).
C
[16–21]
Die enterale Ernährung ist angezeigt bei Gewichtsverlust aufgrund einer ungenügenden Nahrungszufuhr,
um den Ernährungszustand zu erhalten oder zu verbessern.
B
[22–24]
Bei Patienten mit hohem ernährungsbedingtem Risiko sollte eine 10- bis 14-tägige präoperative Ernährungstherapie
erfolgen (auch wenn die Operation hierdurch verzögert wird).
A
[11]
Während Strahlen- oder Radio-Chemo-Therapie sind die intensive Ernährungsberatung u. der Einsatz oraler
Supplemente (Trinknahrung) ratsam, um die Nahrungszufuhr zu erhöhen sowie um einen therapiebedingten
Gewichtsverlust (aufgrund einer therapiebedingten Mukositis) und einen Therapieabbruch zu vermeiden.
A
[22, 25–27]
Um den Gewichtsverlust zu minimieren, kann in der fortgeschrittenen Palliativsituation eine enterale Ernährung
in Erwägung gezogen werden, solange der Patient zustimmt und die Sterbephase nicht eintritt.
C
[28]
Generell wird der Einsatz von Standardnahrungen empfohlen, da keine Ergebnisse aus kontrollierten Studien vorliegen,
die eine spezielle enterale Ernährung für onkologische Patienten rechtfertigen, wie z. B. einen erhöhten od. modifizierten Fettanteil. Bzgl. der Wirkung von n-3-Fettsäuren existieren widersprüchliche, anhand von randomisierten Studien
ermittelte Ergebnisse, aus denen derzeit keine schlüssigen Aussagen od. Empfehlungen abgeleitet werden können.
C
[29]
n-3Fettsäuren:
[30–37]
Da die enterale Ernährung eine effektive Therapie des akuten Entzündungsschubs darstellt, wird sie als alleinige
Therapie bei Erwachsenen empfohlen, wenn eine Kortikoidtherapie nicht durchführbar ist.
A
[39–43]
Die enterale Enährung gilt bei Kindern mit aktiver Entzündung als Therapie der ersten Wahl, um eine Kortikoidtherapie zu vermeiden.
C
Bei persistierender intestinaler Entzündungsaktivität wurde ein Vorteil durch Trinknahrung nachgewiesen.
B
[44, 45]
Sondenkost od. Trinknahrung sollten zusätzlich zur normalen Kost zur Verbesserung des Ernährungszustands oder
Vermeidung von Mangelernährung u. deren Folgen (z. B. Wachstumsverzögerungen im Kindesalter) eingesetzt werden.
A
[46, 47]
Generell wird eine hochmolekulare bilanzierte Diät empfohlen, da kein signifikanter Unterschied zu niedermolekularen Nahrungen nachgewiesen werden konnte.
A
[40, 48–51]
Vorteile speziell modifizierter enteraler Nahrungen (z. B. angereichert mit n-3-Fettsäuren, TGF-β, Glutamin,
MCT-Fetten) sind nicht eindeutig belegt.
C
[52–56]
Gastroenterologische Erkrankungen [38]
Morbus Crohn (MC)
Allgemeine Indikationen für enterale Ernährung bei MC: Prävention von Mangel- u. Fehlernährung während der
akuten Phase u. Therapie des MC.
Colitis Ulcerosa
Eine enterale Ernährung wird bei Mangelernährung u. ungenügender Nahrungsaufnahme empfohlen.
C
Kurzdarmsyndrom
Die enterale Ernährung wird empfohlen zur Verbesserung des Ernährungsstatus, der Lebensqualität und der
Adaptation des Darms sowie zur Verminderung von Diarrhöen.
C
Es ist keine spezifische Nährstoffzusammensetzung notwendig. In Abhängigkeit der Ausprägung der
Malabsorption können die Erhöhung der Energiemenge u. eine Modifikation der Nährstoffzusammensetzung
(z. B. MCT-Fette, niedermolekulare bilanzierte Diät) angebracht sein.
C
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Indikation/Empfehlung
Evidenzgrad
(A, B od. C*)
Lebererkrankungen [59]
Alkoholische Steatohepatitis u. Leberzirrhose
weiterführende
Literatur
[60–63]
■ Energiebedarf erhöht mit 35–40 kcal/kg KG/d!
C
■ Proteinbedarf erhöht mit 1,2–1,5g/kg KG/d!
C
Bei Patienten mit Leberzirrhose wirkt sich eine enterale Ernährung positiv auf den Ernährungszustand, die
Leberfunktion sowie die Überlebenszeit aus u. vermindert die Komplikationsrate.
A
Generell werden hochmolekulare Nahrungen empfohlen; bei Patienten mit Aszites sollten hochkalorische
Produkte vorgezogen werden. (s. Spezialnahrungen)
C
Nierenversagen beim Erwachsenen [64]
Falls beim akuten Nierenversagen eine enterale Ernährung notwendig ist, sind Standardlösungen für die meisten
Patienten ausreichend.
C
Beim konservativ behandelten chronischen Nierenversagen können Standardlösungen für die kurzfristige
enterale Ernährung bei Mangelernährung verwendet werden (s. Spezialnahrungen).
C
Unter Hämodialyse können für die orale Supplementierung Standardtrinknahrungen eingesetzt werden.
C
Chronische Herzinsuffizienz [65]
Um die Gewichtsabnahme bei bestehender kardialer Kachexie aufzuhalten, wird eine enterale Ernährung aus
physiologischer Sicht empfohlen. Hierfür eignen sich hochkalorische Standardprodukte, um eine Flüssigkeitsüberladung zu vermeiden.
C
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) [65]
Der Nachweis, dass Patienten mit COPD grundsätzlich von einer enteralen Ernährung profitieren, kann nur bedingt
geführt werden.
B
Von hochkalorischen Standardlösungen gehen gegenüber speziellen fettreichen und kohlenhydratreduzierten
Nahrungen bei stabiler COPD keine Nachteile aus.
B
Wasting bei HIV [66]
Indikationen für eine Ernährungstherapie sind ein signifikanter Gewichtsverlust u./o. ein signifikanter
Verlust an Körperzellmasse von >5 % innerhalb von 3 Monaten …
B
… oder ein BMI von < 18,5 kg/m2.
C
Als enterale Ernährung wird grundsätzlich eine hochmolekulare Standardnahrung empfohlen.
B
Bei Diarrhö und schwerer Mangelernährung sollte jedoch eine Nahrung mit hohem Anteil an MCT-Fetten eingesetzt
werden.
A
[67–71]
[68, 69,
72, 73]
Geriatrie [74]
In der Geriatrie wird eine Vielzahl von Indikationen für enterale Ernährung mit hohem Empfehlungsgrad
ausgesprochen, für die Standardnahrungen als ausreichend angesehen werden. Diese sind z. B.
■ manifeste oder drohende Mangelernährung,
■ Trinknahrung bei gebrechlichen Älteren zur Beeinflussung des Ernährungszustands,
A
■ Trinknahrung nach Hüftfrakturen oder orthopädisch-chirurgischen Eingriffen zur Verringerung von Komplikationen,
A
■ frühzeitige enterale Ernährung bei neurologisch bedingten Schluckstörungen zur Verbesserung bzw.
Aufrechterhaltung des Ernährungszustandes.
A
Bei sondenernährten geriatrischen Patienten werden ballaststoffhaltige Nahrungen zur Normalisierung
der Darmfunktion empfohlen.
A
* Bewertungsgrundlage A: schlüssige Literatur guter Qualität, die mindestens eine randomisierte Studie enthält; B: gut durchgeführte, nicht randomisierte Studien; C: Berichte od. Meinungen aus
Expertenkreisen u./od. klinische Erfahrung anerkannter Autoritäten
Tab 3.: Ausgewählte Beispiele für den Einsatz von Standardnahrungen nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft
für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN)
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special | Enterale Ernährung
den im Plasma verminderte Spiegel
an VKAS bei gleichzeitig erhöhten
Spiegeln aromatischer Aminosäuren
nachgewiesen. Da letztere Vorstufen
für hirntoxische Substanzen sind und
mit den VKAS um die Blut-HirnSchranke konkurrieren, wird hier ein
Zusammenhang vermutet [6]. Die für
Patienten mit Leberinsuffizienz angebotenen vollbilanzierten Diäten tragen diesem Befund mit einem
erhöhten Gehalt an VKAS und einem
verminderten Gehalt an aromatischen Aminosäuren in der Proteinkomponente Rechnung.
Aufgrund der früher insbesondere
bei hepatischer Enzephalopathie postulierten eingeschränkten Eiweißintoleranz beträgt der Proteingehalt
dieser Nahrungen bezogen auf die
Gesamtenergiezufuhr nur ca. 12 %.
In neueren Untersuchungen wird jedoch immer deutlicher, dass dieses
Postulat zugunsten eines erhöhten
Proteinbedarfs bei chronischen Lebererkrankungen auch bei bestehender episodischer hepatischer Enzephalopathie revidiert werden muss
[79]. Wegen des positiven Effektes
der VKAS auf den Verlauf der hepatischen Enzephalopathie haben die mit
ihnen angereicherten Nahrungen bei
hepatischer Enzephalopathie nach
den ESPEN-Leitlinien den Empfehlungsgrad A [59].
Diäten für Patienten mit
Niereninsuffizienz
Die Anforderungen an eine Diät von
Patienten mit Niereninsuffizienz hängen sehr stark ab von der individuellen Stoffwechsellage des Patienten
und davon, in welchem Erkrankungsstadium er sich befindet. Auch hier
stellt Mangelernährung die Hauptindikation für eine enterale Ernährung
dar. Dabei sollten zunächst Trinknahrungen als Supplemente zur normalen Kost eingesetzt werden, bevor
eine Sondenernährung in Betracht
gezogen wird. Für die Versorgung
während eines akuten Nierenversagens oder für die kurzfristige enterale
Ernährung reichen i. d. R. Standardlösungen aus. Für die längerfristige
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Behandlung des chronischen Nierenversagens ist entscheidend, ob ein Patient konservativ behandelt wird oder
ein Dialyseverfahren zum Einsatz
kommt. Die konservative Behandlung
erfordert je nach Grad der Erkrankung eine Einschränkung der Protein- und Mineralstoffzufuhr (Phosphat, Kalium, Natrium) bei oftmals
erhöhtem Energiebedarf. Unter Hämodialyse muss der mit diesem Therapieverfahren einhergehende Proteinverlust ausgeglichen und auf
einen niedrigen Natrium- und Phosphatgehalt geachtet werden. Außerdem kommt es dialysebedingt zu
Verlusten an wasserlöslichen Vitaminen. Für diese unterschiedlichen Anforderungen stehen von verschiedenen Anbietern spezielle enterale
bilanzierte Diäten mit angepasstem
Nährstoffgehalt – entweder als fertige
Nährlösungen oder in Pulverform –
zum Anrühren zur Verwendung als
Trink- und Sondennahrung zur Verfügung [64]. Bei der letztgenannten
Variante kann z. B. noch der Proteingehalt unter Zugabe eines Eiweißpulvers individuell angepasst werden.
Diäten für Diabetiker
Speziell für die enterale Versorgung
von Diabetikern wurden Diabetikernahrungen mit einem hohen Anteil
an einfach ungesättigten Fettsäuren,
Fruktose und Ballaststoffen in unterschiedlicher Kombination und Menge entwickelt. Eine Metaanalyse von
23 klinischen Studien zeigt, dass diese
Nahrungen sowohl bei kurzfristigem
Einsatz als auch in der Langzeitanwendung mit einer besseren glykämischen Kontrolle assoziiert sind.
Allerdings konnte der Nachweis für
einen klinisch relevanten Vorteil gegenüber Standarddiäten nicht erbracht werden [80, 81].
Diäten mit immunmodulierenden Substanzen
(Immunonutrition)
Unter dem Begriff Immunonutrition
werden Nahrungen zusammengefasst, die Substanzen enthalten, welche immunologische bzw. inflamma-
torische Prozesse im Zuge kritischer
Situationen (z. B. große Operationen,
Traumen, Sepsis, Verbrennungen,
schwere Infektionen, Tumorerkrankungen) positiv beeinflussen sollen.
Es stehen bilanzierte Diäten zur Verfügung, die Glutamin, Arginin, RNSNukleotide, n-3-Fettsäuren, Antioxidanzien (Vitamin E, C, Zink, Selen)
und andere Substanzen in erhöhter
Dosierung enthalten (쏆 Tabelle 4).
Die Aminosäure Glutamin ist die am
häufigsten vorkommende freie Aminosäure und wird in der Muskulatur
als Abbauprodukt der VKAS gebildet.
Sie hat vielfältige Aufgaben im Intermediärstoffwechsel und dient bspw.
den Zellen des Immunsystems und
der intestinalen Mukosa als Hauptenergielieferant, wird für die Übertragung von N- und C-Einheiten
benötigt und bildet mit Glyzin und
Cystein zusammen die Bausteine für
Glutathion (Bestandteil der antioxidativ wirksamen Glutathionperoxidase). Im Zuge von metabolischem
Stress kann der Glutamin-Plasmaspiegel stark absinken, so dass Glutamin
hier als eine bedingt essenzielle Aminosäure eingestuft wird. Ein Mangel
an Glutamin kann zu Störungen der
Mukosaintegrität, Beeinträchtigung
der Immunfunktion und zu Muskelabbau führen [6, 82]. Die Glutamin-Supplementierung bei kritisch
Kranken bewirkt nachweislich eine
signifikante Reduktion der Mortalitätsrate, der infektiösen Komplikationen und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes [83].
Arginin wird in der Niere aus Citrullin, dem Endprodukt des intestinalen
Glutaminstoffwechsels, synthetisiert.
Für Erwachsene wird es ebenfalls als
bedingt essenziell eingestuft. Für das
Immunsystem spielt es eine zentrale
Rolle, indem es als Vorläufer für die
Bildung von Stickstoffmonoxid (NO)
dient und sowohl die Funktion als
auch die Proliferation von T-Lymphozyten und Makrophagen stimuliert [82, 84]. Es gibt Hinweise auf
eine reduzierte Rate infektiöser Komplikationen und eine verbesserte
Wundheilung unter der Supplementierung mit argininhaltigen Diäten.
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Allerdings wurde Arginin in den zugrunde liegenden Studien nicht als
Einzelsubstanz, sondern in Form von
mit mehreren immunmodulierenden
Substanzen angereicherten Diäten
untersucht [82, 85].
Als ein zentraler Bestandteil der Zellmembran beeinflussen mehrfach
und einfach ungesättigte Fettsäuren
die Entzündungsreaktion. n-3-Fettsäuren, insbesondere die in marinen
Fischen vorkommenden Eicosapentaen- und Docosahexaensäure, schwächen die Entzündungsreaktion über
verschiedene Mechanismen ab. So
werden aus ihnen weniger proinflammatorisch wirkende Eicosanoide
(Leukotrien LTB5 und Prostaglandin
PGE3) gebildet als aus der n-6Fettsäure Arachidonsäure, mit der sie
um die entsprechenden Enzymsysteme konkurrieren. Darüber hinaus
führt ein erhöhtes Angebot an n-3Fettsäuren zu einer verminderten
Produktion von proinflammatorischen Zytokinen [84, 86].
Da das Phänomen der Tumorkachexie stark mit einem erhöhten Entzündungsstatus assoziiert ist, wurde
der Einsatz von n-3-Fettsäuren im
Rahmen der Ernährungstherapie von
Tumorpatienten in den letzten Jahren verstärkt untersucht. Die Hersteller enteraler Nährlösungen haben
auf die zahlreichen positiven Hinweise mit dem Angebot von n-3Fettsäure-haltigen, hochkalorischen
und proteinreichen bilanzierten Diäten reagiert. Leider liefern die hierzu
bisher anhand von randomisierten
Studien gewonnenen klinischen
Daten keine eindeutigen bzw. widersprüchliche Ergebnisse [15, 30–37].
In Bezug der enteralen Immunonutrition auf kritisch kranke Patienten
existieren kaum klinischen Daten, die
mit n-3-Fettsäuren als alleinigem Zusatz durchgeführt wurden. Es handelt
sich bei den meisten Untersuchungen um den Einsatz von Diäten, die
neben n-3-Fettsäuren auch Arginin,
Glutamin, RNS-Nukleotide und Antioxidanzien enthalten. Für Beatmungspatienten bzw. Patienten mit
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akuter respiratorischer Insuffizienz
(ARDS) konnte eine positive Wirkung durch eine mit n-3-Fettsäuren und Gamma-Linolensäure
angereicherte enterale Ernährung
nachgewiesen werden. Diese äußerte
sich in einer Besserung von Beatmungsparametern und einer reduzierten Beatmungs- sowie Gesamtaufenthaltsdauer auf der Intensivstation [87–89].
RNS-Nukleotide stellen vermutlich
eine weitere diätetisch relevante
Gruppe von Immunmodulatoren dar.
Als Bausteine der Nukleinsäuren spielen sie eine Rolle für die Zellproliferation von Lymphozyten und für die
Wundheilung. Obwohl der Körper
in großem Umfang zur De-novoSynthese von Nukleotiden fähig ist,
scheinen sie für Patienten in Stresssituationen und Neugeborene zumindest teilweise essenziell zu sein.
Insbesondere die Darmmukosa hat
Anbieter
aufgrund ihrer hohen Proliferationsrate einen entsprechend hohen Bedarf an Nukleotiden, so dass eine
ungenügende Zufuhr zu Störungen
der Mukosaintegrität führen könnte
[90–92].
Immunonutrition in der
perioperativen Ernährung
In diesem Bereich hat die Immunonutrition allgemeine Anerkennung
gewonnen. Der präoperative Ernährungszustand hat einen nachweislichen Einfluss auf die postoperative
Morbidität, Letalität und Krankenhausverweildauer. Zahlreiche Studien
zeigen, dass die präoperative Zufuhr
einer mit immunomodulierenden
Substanzen angereicherten bilanzierten Diät von etwa 3-mal täglich
250 ml, an 5–7 Tagen vor großen abdominellen Eingriffen bei onkologischen Patienten zur Reduktion der
postoperativen Morbiditätsrate und
Nahrung
besondere Inhaltsstoffe
B. Braun
Nutricomp Immun (S)
Glutamin, Fischöl, Antioxidanzien
Fresenius Kabi
Reconvan (S)
Intestamin (S)
Glutamin, Arginin, n-3-Fettsäuren
Glutamin, Butyrat, Antioxidanzien
Novartis
Impact (S),
Oral Impact (T)
Arginin, n-3-Fettsäuren,
RNS-Nukleotide
Impact Glutamin (S)
Arginin, n-3-Fettsäuren,
RNS-Nukleotide, Glutamin
kritisch Kranke
und Intensivpatienten
Pfrimmer Nutricia
Cubison (S)
Arginin, Zink, Antioxidanzien
Cubitan (T)
Arginin, Zink
Perative (S)
Arginin, Anitoxidantien
Oxepa (S)
n-3-Fettsäuren, GammaLinolensäure
Abbott
Pro Sure (T)
n-3-Fettsäuren
Novartis
Resource Support (T)
n-3-Fettsäuren
Pfrimmer Nutricia
Foritcare (T)
n-3-Fettsäuren
Fresenius
Supportan (S/T)
n-3-Fettsäuren, Antioxidanzien
Abbott
Beatmungspatienten
Abbott
Tumorpatienten
(S=Sondenkost; T=Trinknahrung)
Tab. 4: Auswahl an Diäten mit Inhaltsstoffen im Sinne einer
Immunonutrition (kein Anspruch auf Vollständigkeit)
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special | Enterale Ernährung
Zusammenfassung
Enterale Ernährung – Nährsubstrate und deren Anwendung beim erwachsenen Patienten
Christiane Bott, Frankfurt
Grundsätzlich wird die enterale Ernährung angewandt, wenn eine normale orale Ernährung
aufgrund von Störungen der Nahrungspassage oder Maldigestion bzw. -absorption nicht
möglich ist. Der Begriff enterale Ernährung umfasst per Definition (EG-Richtlinie 1999/21/EG
der Kommission vom 25. März 1999) sowohl Sondennahrung als auch oraleTrink- und Zusatznahrungen für besondere medizinische Zwecke. Es wird eine Vielzahl an nach ihrem
Nährstoffgehalt bilanzierten und zur bedarfsdeckenden Ernährung geeigneten Diäten angeboten.
Für stoffwechselgesunde Patienten mit normaler Digestions- und Absorptionsfunktion, d. h.
für eine Vielzahl von verschiedenen Indikationen im Bereich z. B. der Geriatrie, Onkologie,
Gastroenterologie und Chirurgie stehen hochmolekulare, normo- oder hochkalorische Standardnahrungen mit und ohne Ballaststoffe zur Verfügung. Für Patienten mit eingeschränkter Digestions- und Absorptionsleistung stehen niedermolekulare und mit MCT-Fetten
angereicherte Diäten zur Verfügung. Darüber hinaus werden nährstoffmodifizierte Spezialdiäten für spezielle Stoffwechselsituationen angeboten. Hierbei wurde die wissenschaftliche
und klinische Evidenz z. B. erbracht für proteinreiche Diäten zur Dekubitusprophylaxe, für
mit verzweigtkettigen Aminosäuren angereicherte Diäten bei hepatischer Enzephalopathie,
für Spezialdiäten bei Niereninsuffizienz und für mit immunmodulierenden Substanzen angereicherte Diäten bei bestimmten kritisch kranken Patientengruppen.
Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über das Substratangebot und dessen wissenschaftlich und klinisch begründbare Anwendung.
Summary
Enteral feeding – Nutritive substrates and their use in adult patients
Christiane Bott, Frankfurt
Enteral feeding is indicated if nutrition by the oral route is not possible because of disorders
of the food passage or because of maldigestion or -absorption. The term enteral feeding (defined in the EU directive 1999/21/EU by the Commission of March 25, 1999) includes gavage,
as well as oral fluid and additional preparations for specific medical purposes. Many diets of
balanced nutrient content and suitable for human nutrition according to requirements are
commercially available.
For patients with an intact metabolism and normal digestive and absorptive functions, i.e. for
many different indications in e.g. geriatrics, oncology, gastroenterology and surgery highmolecular, normo- or high-caloric standard diets with and without dietary fibre are available.
For patients with restricted digestive and absorptive functions, low-molecular diets and diets
enriched with MCT fats are available. There are nutrient-modified special diets for special
metabolic situations as well. Scientific and clinical evidence has been provided for e.g. highprotein diets for decubitus prophylaxis, diets enriched with branched-chain amino acids for
hepatic encephalopathy, for specific diets in renal insufficiency, and for diets enriched with immunomodulating compounds for certain severely sick groups of patients.
The present paper provides an overview of commercially available substrates and their scientifically and clinically justifiable use.
Keywords: clinical feeding, enteral feeding, ESPEN guidelines, fluid food, gavage, malnutrition, nutritional therapy, nutrient-modified specific diets
Ernährungs Umschau 54 (2007) S. 528–536
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Krankenhausaufenthaltsdauer führt.
Diese Vorgehensweise erweist sich bei
mangelernährten Patienten als besonders effektiv, Verbesserungen werden aber auch unabhängig vom
Ernährungszustand beobachtet. Verstärkt wird der Effekt, wenn die Immunonutrition postoperativ fortgeführt wird [11, 93–95]. Nach den
ESPEN-Leitlinien für enterale Ernährung hat der Einsatz einer perioperativen enteralen Ernährung mit immunmodulierenden Substraten den
Empfehlungsgrad A für Patienten mit
einer geplanten großen Kopf-Hals(Laryngektomie, Pharyngektomie)oder einer großen abdominalen Tumoroperation und für Patienten mit
schwerem Trauma [11].
Bei Patienten mit Sepsis wurden
ebenfalls Untersuchungen zur Wirkung immunmodulierender Nahrungen durchgeführt. Die Ergebnisse
einer dieser Untersuchungen waren
insofern ernüchternd, als dass die
Mortalitätsrate bei Patienten mit
schwerer Sepsis oder septischem
Schock signifikant anstieg und die
Studie abgebrochen werden musste
[96].
Patienten mit milder Sepsis (APACHE II-Score 10–15) profitieren wiederum von einer enteralen Immunonutrition [97, 98]. Aus diesen
Ergebnissen leiten die ESPEN-Leitlinien für enterale Ernährung die Aussage mit dem Empfehlungsgrad B ab,
eine enterale immunmodulierende
Ernährung bei milder Sepsis einzusetzen und bei schwerer Sepsis darauf
zu verzichten [99].
Literatur-Tipp zu den
Themen enterale Ernährung
und ESPEN-Leitlinien:
– Lochs H et al. (2006) Introductory to
the ESPEN Guidelines on Enteral Nutrition: Terminology, Definitions and
General Topics. Clin Nutr 25: 180–6
– Dormann A et al. (2003) DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung: Grundlagen.
Akt Ernaehr Med 28 (Suppl 1): S26–
S35
Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie im
Internet unter www.ernaehrungs-umschau.de.
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