DEUTSCI-IE MEDIZINiSCHE WOCHENSCFIRIFT 2.17 Aus dem Standortlazarett Wünsdorf b. Berlin. Ein schwerer Fall von Enzephalitis nach Salvarsan geheilt unter Suprareningaben. Von Stabsarzt Dr. Voith y. Voithenberg. 10. Vii. 1922 wurde dem Lazarett aus einer auswättigen Krankenstube der Kanonier B. zugeführt. Er war wegen schwerer Krämpfe unter Morphium gesetzt worden und wurde von dem beAni Arzt begleitet. Aus der Vorgeschichte ist bemerkenswert: Syphilitische Infektion im Juli 1921, seitdem zweI Kuren; nach der ersten Kur Gelbsucht, bei handelnden der letzten mußte nach 4 Gaben Neosalvarsan abgesetzt werden wegen Klagen über Schwindelanfälle, Kopfschmerzen. Uebelkeit. Danach Schmierkur. Jetzt 3. Kur wegen stark positiver Wa.R. ambulant mit Silbersalvarsan. Zunächst vorsichtig tastend mit kleinen Dosen, die langsam gesteigert und gut vertragen werden. Wie nachträglich festgestellt wurde, hat B. aber entgegen der ärztlichen Anordnung nach den Injektionen nicht Bettruhe gehalten, sondern ist eilig mit dem Fahrrade in der Mittagshitze nach der 12 km entfernten Kaserne gefahren, um den Mittagsdienst mitzumachen. Auch habe er kurz vor seiner schweren Erkrankung eine hochgradige psychische Erregung dienstlicher Natur gehabt. Am 5. VII. erkrankte er mit Kopf- und Augenschmerzen, Fieber bis 38,70, Puls 90. Behandlung durch einen auswäftigen Arzt mit Aspirini und Pyramidon. Am 7. VII. stander nachts auf und wandelte umher, wachte erst auf Anruf auf. Am 10. VII., nachdem sich der bisherige Zustand nicht geändert hatte, traten schwere epileptiforme Anfälle auf, verbunden mit völ- liger Bewußtlosigkeit. lnjeknon von 0,02 M und Einlieferung ins Lazarett. Befund: Mittelgroßer, kräftiger Mann in völliger Bewußtlosig.- keit. Gesichtsfarbe und Lippen zeigen tiefste Zyanose. Lippen- und Wangenschleimhaut blutig gebissen. Atmung schwerster CheyneStockesscher Typus mit Atempausen, in denen das Gesicht sich bläu- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 16. Februar 1923 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCÍ-IRrF'T 218 Nr.7 lich verfärbt. Puls beschleunigt und recht unregelmäßig, 1-Lerztöne rein. Läßt Stuhl und Urin unter sich, mehrfach Erbrechen. Etwa alle 10 Minuten, oft auch mit kürzeren Pausen treten symmetrische klonische Zuckungen am ganzen Körper besonders auch der Gesichtsmuskulatur auf. Dazwischen tonische IKrämpfe des ganzen Körpers, wobei _sich der Körper wie ein Sprengel zusammenzieht. Kornealreflex: -, Pupillen: mittelweit, ungleich, erweitern und verengern sich bei jedem Pulsschlage, ohne Reaktion, starren ins Leere. Bauchdecken- und Kremasterreflexe angedeutet. Patellarr&flex positiv, beiderscits gleich. Achillessehnennreflex schwach positiv. Babinski angedeutet. Patellarreflex und Fufiklonus: + beiderseits. Die Lumbal- punktion mißlingt trotz mehrfacher Versuche wegen der Krämpfe, muß dann auch aufggeben werdeji, wegen Blutung aus dem Plexus. 0,001 Suprarenin - subkutan gegen 6 Uhr nachmittags, weiter häufig Erbrechen. Die Anfälle wiederholen sich regelmäßig bis 10.30 Uhr abends. Von da ab hören sie auf. VII. Noch getrübtes Bewußtsein. Erinnerung fehlt seit Beginn der Anfälle, Patient glaubt nicht, daß er sich im Lazarett be- VIl. Nachts einmal aufgestanden. . Patient ist jedoch bei der Visite bei vollem Bewußtsein. Stuhl und Urin sind heute wieder willkürlich, geringe Nahrungsaufnahme, starke Schläfrigkeit. VII. Nachts durchgeschlafen, Temperatur normai, Kopf- schmerzen gebessert, Erregbarkeit der Reflexe gesunken. - 0,001 Suprarenin subkutan. 115. VII. Psyche wieder völlig klar, Reflexe sämtlich gesteigert, auch. Kornealreflex. Sensibilität infakt. Bei der Sensibilitätsprüfung sucht Patient sichtlich nach den Ausdrücken spitz und stumpf, die Sprache ist langsam skandierend, kein ausgesprochenes Silbenstolpern. Noch beiderseits klonische Zuckungen im Gebiet der Mm. risorius und caninus. Starker Herpes labialis, Klagen über heftige Schmerzen in der Wadenmuskulathr. - Kernig und Lasègue ositiv. 19. VII. Temperatur dauernd normal, Eßlust und Allgemeinbefinden gut, Herpes im Abheilen. Sensoriuni frei. Sprache noch unsicher und zögernd, noch fibrilläre Zuckungen im M. caninus. Reflexe jetzt und in der Folgezeit noch gesteigert; der Gang ist aber frei, Romberg und Babinski negativ. Einleitung einer Schmierkur. 25. VIl. Dauerndes Wohlbefinden, Kopfschmerzen haben unter Pyramidoti nachgelassen. Nur noch Schmerzen in der Kniekehle und der Wadenmuskulatur im Verlauf des Nerven. Kernig positiv. Das Suprarenin ist uns als ausgezeichnetes Therapeutikum und Prophylaktikum gegen die Erscheinungen des angioneurotischen Symptomenkomplexes bekannt. Als Heilmittel bçi den ernsten Erschei- nungen der Enzephalitis habe ich es nur béi Ja f fé gefunden, der es in eineni Falle, den er als arsenotoxisch auffaßte, nach der Lumbalpunktion mit Traubenzuckerlösung intravenös gab. Auch ReinhardEichel baum empfiehlt das Suprarenin, doch verfügt er nicht über Erfahrungen ,bei Fällen von Enzephalitis. Weitere Literatur steht mir zur Zeit nicht zur Verfügj.ing. In unserem Falle versagte die Lumbalpunktion, die sonst wenigstens vorübergehend Erleichterung schafft, wenn auch ihr endgültiger Heilerfoig ja bekanntlich leider nur gering ist. Da nun ein Teil der schweren Erscheinungen wohl sicher durch die Schädigung des Gefäßsystems hervorgerufen wird -- sei diese nun arsenotoxischer oder spirillotoxischer Natur -, so entschloß ich mich zu dem Versuch, die herabgesetzte Elastizität der Arterieii durch wiederholte Gaben von Suprarenin zu stärken, um auf diese Weise auch, wenn möglich, die gefürchteten Blutungen ins Gehirn hintanzuhalten. Die so überraschend schnelle Wendung, die schon nach der ersten Gabe des Mittels eintrat, hat bei mir den bestimmten Eindruck hinterlassen, daß in unserm Falle das Suprarenin lehensrettcnd gewirkt hat. Ich möchte es daher in geeigneten Fällen zur Nachprüfung empfehlen. Dreyfus, D. m. W. 1922 Nr.26 S.860. Jaff, M. m. W. 1921 Nr.15 S.454. - Reif, M. m. W. 1921 Nr. is. 14. - Rein hard-Eicheibaum, D. m. W. 1922 Nr.24 S. 804. Stüm pke, M. m. W. 1921 Nr.31 S. 987. - Weigelt, D. m. W. 1921 Nr.35 S. 1018. Werther, D. m. W. 1922 Nr.14 S.443. - Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. findet; starkes Schlafbedürfnis. Pupillen gleich weit, reagiereii prompt auf Lichteinfall und Konvergenz; sämtliche Reflexe' stark gesteigert, kein Babinski, kein Patellarklonus. Hypersensibilitiit, Eßunlust. 0,001 Suprarenin subkutän. Patient sehr ängstlich, häufige Zuckungen der Gesichtsmuskulatur. Klagen über starke Kopfschmerzen in der Schläfengegend. Nervendruckpunkte im Trigeminusgebiet nicht nachzuweisen.