Die zwölfgliedrige Kette des Entstehens und ihre Einordnung in das Denken des Mahāyāna Vortrag von Marc Nottelmann-Feil zum Frühlingstreffen der EKO Gemeinschaft, April 2013 1 Als ich neulich einen Vortrag hielt, der eine ganz grobe Einführung in die Gedankenwelt des Großen Sūtras geben sollte, kam ich auf die zwölfgliedrige Kette des Entstehens zu sprechen, und ich versprach, diese einmal ausführlicher anhand der tibetischen Lebensrad-Darstellungen (Sanskrit: bhava-cakra, Tib. Srid pa.hi .hkhor lo, Jap. Shōjirin ) zu behandeln. Obwohl diese Darstellung in Japan wohl kaum eine Rolle gespielt hat, 1 ist sie indischen Ursprungs.2 Es gibt ein Sūtra, in welchem der Buddha die Mönche auffordert, eine solche Darstellung neben das Tempeltor zu malen. 3 Offenbar sind hier ganz allgemein buddhistische Lehren veranschaulicht, weshalb sich die Erklärung lohnt. Der Hintergrund des Bildes zeigt eine ideale Landschaft, wo wir in der Luft schwebend einen Buddha und einen Bodhisattva erkennen können. Sie deutet sicherlich eine Art Nirvana-Welt an. Eingeschrieben in der Bildmitte ist ein großer Kreis, der von einem zähnefletschenden Dämonen gehalten wird. Der Dämon wird als der Totengott Yama.h gedeutet, oder als Kāla.h, die Zeit. Ewigkeit und Zeitlichkeit stoßen in dem Bild also aufeinander. Yama.h trägt als Kopfschmuck eine Art Kette, bestehend aus fünf Totenköpfen: dies sind die sogenannten fünf Skandhas. Darunter versteht man die fünf Dimensionen, die zusammen ein fühlendes Wesen ausmachen: 1. Die Körperlichkeit (rūpa) –die fünf Sinneswahrnehmungen plus das Denken, das diese sozusagen erweitert 2. Die Gefühle (vedanā) 3. Die Gegenstandswahrnehmung (sa.mj~nā) 4. Die Geistesformationen (sa.mskāra) – dazu gehören vor allem der Wille und die Tatabsichten 5. Die Bewusstseingruppe (vij~nāna), die alles zu einer Einheit verbindet. 1 Nakamura Hajime erwähnt im Bildband zum Bukkyōgo daijiten 1998 nur, dass diese Bilder in tibetischen Klöstern vorzufinden sind. Von japanischen oder theravadabuddhistischen Lebensrad-Bildern spricht er nicht. 2 In Ajānta Höhle Nr.17 findet sich eine solche Darstellung aus der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Aus dem 10.Jahrhundert stammt die Darstellung aus Höhle Nr. 19 in 安西楡林. Hazuike/Yamabe 2010 蓮池利隆 山部能宜 「仏教信仰と社会」 『文明文化の交差点』 (新アジア仏教史 5) 佼成出版 Eine umfangreiche Beschreibung der Darstellung von Ajānta findet sich in: Zin, Monika Schlingloff, Dieter: Saṃsāracakra: Das Rad der Wiedergeburten in der indischen Überlieferung (Buddhismus-Studien: EKŌ-Haus, Düsseldorf 2007). Gerade den Höhlentempeln in Ajānta wird immer eine Nähe zum Mahāyāna-Buddhismus nachgesagt. Die äußeren Bereiche dieses Bhavacakra zeigen aber nicht die Nirvana-Welt und alle die Dinge, die ich am Ende erkläre. Man sieht rechts oben offenbar den Angriff des Mara. Auch alles andere im äußeren Bereich verbleibt im samsarischen. 3 Nach Hazuike/Yamabe 2010 im Vinaya der Mulasarvastivadim Nr.34 (T. Bd.23, S.811). Vgl, Dīva avadāna Nr.21 2 Wenn wir die geistige Welt, mit der wir uns identifizieren, einmal untersuchen, so ist klar, dass wir darin unsere augenblicklichen Sinneswahrnehmungen, Gefühle, Willensregungen usw. vorfinden. Auch dass wir mit der Sinneswahrnehmung etwas tun, dass wir einen Gegenstand erst erfassen müssen, weil wir dieselbe Sinneswahrnehmung für eine Schlange oder ein Seil halten können, ist einleuchtend. Denn wir sehen ja – vielleicht irrtümlich – schon im ersten Augenblick eine Schlange und nicht isolierte Farbpunkte. Also sind die etwas abstrakteren Skandhas wie „Gegenstandswahrnehmung“ auch leicht einzusehen. Wenn man also fragt: „Wer bin ich?“ Oder „Was ist meine geistige Welt?“ – so kann man darauf antworten, dass die fünf Skandhas alles enthalten, was „wir“ sind. Hier entsteht aber ein Problem: die fünf Skandhas verändern sich ständig, sie sind vergänglich – darum ihre Darstellung als Totenkopf. Ständig kommen neue Sinneswahrnehmungen auf uns zu, unsere Gefühlswelt ist äußerst veränderlich und labil, und selbst unsere Charaktereigenschaften, die wir unter den Geistesformationen zu suchen hätten, ändern sich im Lauf eines Lebens. Wir beobachten, dass einige Menschen sich zum Positiven und einige sich zum Negativen hin entwickeln. Wenn das Ich etwas Unveränderliches sein soll, das sogar im Tod gleichbleibt, so kann es nicht mit den fünf Skandas identifiziert werden. Die fünf Skandhas gibt es, aber das ich ist – wohlmöglich – nur eine Illusion. – Dies ist ein wichtiges klassisches Argument der buddhistischen Philosophie. Nun interessieren sich gute Buddhisten in der Regel nicht für Philosophie, sondern sie interessieren sich für die Überwindung des Leidens. Was macht diese Welt – d.h. den Inhalt der fünf Skandhas - eigentlich so leidvoll? Eine Antwort auf die Frage gibt der eingeschriebene Kreis: und es ist wohl sinnvoll, mit der zweiten Bahn von Außen zu beginnen. Sie gibt Anwort, in welcher Weise uns das Leiden begegnet. Dargestellt sind die sechs Daseinsbereiche, in denen sich ein fühlendes Wesen befinden kann. Zwei Bereiche kennen wir aus der unmittelbaren Anschauung, nämlich 1. die Welt der Menschen 2. die Welt der Tiere. Die anderen drei sind „unsichtbar“, aber der Buddhismus teilt sie mehr oder weniger mit den anderen Religionen. Es ist der 3. der Bereich der Höllenwesen 4. der Bereich der Hungergeister, die nirgenwo ihre Begierden stillen können 5. der Bereich der Halbgötter oder streitenden Götter (Asura) 6. der Bereich der Götter Götter und Halbgötter streiten sich um den Baum des Lebens 3 Im Großen und Ganzen gibt es also drei Bereiche, die man als positiv bezeichnen kann, nämlich den Bereich der Menschen, der Halbgötter und der Götter, und drei Bereiche, die eher negativ zu werten sind: den Bereich der Tiere, der Hungergeister und Höllenwesen. Dies entspricht der buddhistischen Sichtweise, dass es gutes und schlechtes Karma gibt. Dementsprechend sehen wir weiter innen eine Bande, die zweigeteilt ist: sie zeigt einen schwarzen und einen weißen Weg. Wenn man darüber nachdenkt, sind die sechs Existenzbereiche nichts anderes als Extremsituationen, die wir aus dem menschlichen Leben auch schon irgendwie kennen. Einem zuviel von Hass, entspricht die Hölle, einem zu viel von Gier entspricht die Welt der Hungergeister, die nie zufrieden gestellt werden können. Die Tiere kommen in der Liste natürlich schlecht weg, aber nicht weil sie nicht liebenswert wären, sondern weil sie dumm sind und darum in vieler Hinsicht hilflos. Wer einmal ein kleines Vögelchen gesehen hat, das sich in ein Zimmer verflogen hat und in Panik gerät. Obwohl das Fenster sperrangelweit geöffnet ist, weiß wovon ich spreche. Die drei Wurzelübel als Tiere, der weiße und der schwarze Pfad Gier, Hass und Verblendung (Dummheit) – dies sind die Dinge, deren Mehr oder Weniger das Verweilen in einem der Existenzbereiche bedingen. Der menschliche Geist besitzt aus buddhistischer Sicht zahlreicheVerunreinungen (wie z.B. Neid, Eifersucht, Arroganz usw.), aber diese drei sind die Wurzeln, auf die sich alle anderen zurückführen lassen. In der Mitte des Bildes sehen wir darum drei Tiere einen Hahn, eine Schlange und ein Wildschwein. Der Hahn steht für die Gier, die Schlange für den Hass und das Wildschwein für die Verblendung. Es scheint, dass sie sich in den Schwanz beißen und so gegenseitig jagen. Wer gierig ist, wird diejenigen hassen, die ihn bei der Befriedigung der Gier im Wege stehen. Und wer von Gier und Hass getrieben ist, der kann die Welt unmöglich sehen, wie sie ist. Darum setzen Gier, Hass und Verblendung auf der Achse des Lebensrades den Existenzkreislauf gleichsam in Bewegung (obwohl die Wiedergeburt natürlich nicht im Urzeigersinn stattfindet, sondern je nach Umständen). Der Grund des Leidens Nun sind wir erst beim eigentlichen Thema: dem bedingten Entstehen. Buddha sagt in der ersten Wahrheit für Edlen: Die fünf Skandhas sind leidvoll, d.h. irgendwo in der Welt, die wir erfahren steckt immer der Wurm. Wer geboren wird, begegnet auf jeden Fall dem Leiden. 4 Wie ein Arzt suchte der Buddha nach dem Grund des Leidens und fand ihn in der Gier: das ist die zweite Wahrheit für Edle. So gesehen ist in unserer Darstellung der eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Samsara-Rades der Hahn in der Mitte. Gier, Hass und Verblendung sind menschliche Unzulänglichkeiten und Fehler. Sie zeigen schon, wo der Mensch den Hebel ansetzen kann, wenn er das Leiden überwinden will. In diesem Sinne sind es Dinge, die den Menschen in seinem Tun und Lassen, d.h. praktisch bewegen. In unserem Schaubild gibt es noch eine Darstellung, die die Ursache des Leidens von einem eher theoretischen (beinahe möchte man sagen erkenntnistheortischen) Standpunkt aus analysiert. Es ist die zwölfgliedrige Kette des Entstehens, die in den zwölf Bildern des äußeren Kreises dargestellt ist, die fast wie die Zifferblätter einer Uhr angeordnet sind und auch im Uhrzeigersinn gelesen werden müssen. Ich möchte mit den letzten fünf Bildern beginnen. Das letzte Bild – sozusagen das Resultat – befindet sich rechts unten und zeigt zwei Männer, die einen Leichnam auf der Bahre davontragen. Dies ist eine Darstellung des Todes, der hier für alles Leiden stehen soll. Alle anderen Glieder der Kette sind so zu lesen, dass jedes Glied im vorhergehende Glied eine notwendige Bedingung hat. Das folgende Glied kann nur bestehen, wenn das vorhergehende schon gegeben ist. Wäre das vorhergehende nicht, so wäre das folgende auch nicht. Die notwendige Voraussetzung des Todes ist, dass man geboren wurde. Also zeigt das elfte Bild eine Geburt. Die notwendige Voraussetzung für die Geburt ist, das schon etwas herangewachsen ist: das Werden. Unser Bild zeigt eine schwangere Frau. (Dieses Werden bhava gibt übrigens der ganzen Darstellung seinen korrekten Namen. Ich spreche von Rad des Lebens, aber auf Sanskrit ist es das Rad des Werdens, bhavacakra.) Die notwendige Bedingung für das Werden ist das Ergreifen. Das ist etwas schwer zu verstehen, aber es bezieht sich zweifellos auf den Wiedergeburtsprozess. Dass ein Wesen dieses oder jenes Wesen geworden ist, bedeutet dass es dieses oder jenes „Schicksal“ angenommen hat. Nicht-Buddhisten machen sich darüber normalerweise keine Gedanken, oder halten diesen Gedanken für abwegig. Sie sagen vielleicht: „Ich bin dieser Mensch – Mann/Frau, schön/hässlich, behindert/gesund“ weil ich es von meinen Eltern geerbt habe. Aber sie fragen nicht: „Warum habe gerade ich dies geerbt und nicht ein anderer?““Warum stehe ich nicht von vorneherein an einer anderen Stelle in der Welt?“ – Diese Frage verstehen die meisten Menschen heutzutage gar nicht mehr. (Christen würden das vielleicht als göttliche Gabe bezeichnen.) Auf dem Bild sehen wir einen Affen, der nach einer Frucht greift. Das, was ergriffen werden kann, ist also eine Frucht – nämlich des vergangenen Karma. Auf unser Version des Bildes steht neben dem Baum noch eine Frau, was wohl andeuten soll, dass dieses Ergreifenim Augenblick der Empfängnis geschieht. Die notwendigeVoraussetzung für ein Ergreifen ist, dass man etwas haben will. Dies ist die Gier, genauer Sanskrit t.r.sna (Pali tanha), ein Wort das sprachgeschichtlich mit dem deutschen Wort Durst verwandt ist und auch so übersetzt werden kann. Dargestellt werden Menschen, die sich dem Genuss des Gerstenbieres hingeben. Die zwei Säufer: Sinnbild für Durst (Gier)- 5 (Stellt der Künstler ironischerweise einen tibetischen Lama und seinen Schüler dar?) An dieser Stelle ist eigentlich – nach der zweiten Wahrheit für Edle- der Grund des Leidens erreicht. In der Tat scheint die älteste Form der Kette des Entstehens diese fünfgliedrige Kette gewesen zu sein. Später wurde sie von Mönchen aufgrund von anderen Aufzählungen erweitert, zunächst zu einer neungliedrigen, zehngliedrigen und schließlich zur zwölfgliedrigen Kette, die in der ganzen buddhistischen Welt heute die fast ausschließlich bekannte ist.4 Die Erweiterung beginnt beim „Unwissen“ –Sanskrit avidhyā: wörtlich das Nicht-Sehen (das eigentlich ein anderes Glied der drei Wurzelübel ist, welches auf unserem Bild, wie erwähnt durch das Wildschwein dargestellt wird.) Dies wird auf dem Bild links unten dargestellt: wir sehen eine blinde Greisin, die mit einem Stock durch eine sicherlich nicht ungefährliche Gebirgslandschaft geht. Aber ich möchte wiederum lieber den Prozess von seinem Resultat her erklären, weil dies eher dem Erkenntnisprozess entspricht: Wir waren bis zur Gier – dem Durst gelangt: Die notwendige Bedingung für Gier ist, dass wir ein Objekt attraktiv finden. Also ist eine Empfindung (vedana) nötig, die uns ein Objekt als begehrenswert oder abstoßend darstellt. In unserem Bild trifft ein Pfeil das Auge. Diesen dürfen wir uns wahrscheinlich wirklich wie den Pfeil des Eros vorfindet, der einen unvermittelt und ohne eigenes Zutun trifft. Die notwendige Bedingung aber, dass wir überhaupt ein Objekt als attraktiv oder abstoßend empfinden kommen ist, dass wir ihm überhaupt begegenen. Dieses Glied der Kette des bedingten Entstehens ist also der Kontakt : hier dargestellt durch einen Mann und eine Frau die sich gegenseitig umarmen. Wir würden aber nicht zu einem Objekt in Kontakt kommen, hätten wir nicht unsere Sinne: Sehen, Hören, Riechen usw. Diese werden dargestellt durch ein Haus mit sechs Fenstern. Es überrascht westliche Menschen immer, dass der Buddhismus von sechs Sinnen spricht und nicht nur von fünf, dass er also das Denken als sechste „Sinneswurzel“ hinzunimmt. Hier macht es aber einmal Sinn, denn natürlich kann man auch mit Objekten in Kontakt kommen, die man sich nur ausdenkt. Den Satz des Pythagoras kann man nicht sinnlich wahrnehmen, aber man kann ihn dennoch lieben oder hassen.) Die Voraussetzung für den Kontakt ist nun nāma-rūpa „Name und Form“. Nāman ist nach Nakamura Hajime die „individuelle seelische Komponente“ und rūpa die materielle: wir können also durchaus mit „Geist und Körper“ übersetzen. Die umfasst (ebenfalls nach Nakamura Hajime) die „Gesamheit der fünf Skandha. Die Körperlichkeit (rūpa) entspricht dem ersten, der fünf Skandha, wie ich sie oben erklärt habe, und nama, das Geistige, den anderen vier Skandha, die darum auch als Gruppe zusammengefasst werden. Der Gefühle, Gegenstandsbildung, Tatabsichten, und die Einheit des Bewusstseins sind natürlich etwas Geistiges. Auf unserem Bild sehen wir zwei Menschen in einem Boot, der eine gibt Anweisungen und der andere rudert. Der Geist ist der Fahrgast (Er hat das Sagen!) und der Körper der Ruderer. 4 Baba Norihisa 馬場紀寿 史 3) 佼成出版社 2010 「初期経典と実践」 90 項 in: 『仏典からみた仏教世界』 (新アジア仏教 6 Schmächtiger Fahrgast und starker Ruderer Die notwendige Voraussetzung von nāma-rūpa , d.h. aller fünf Skandhas ist nun das Bewusstsein (vijñāna). Dies ist auch streng logisch so, da vijñāna, die Einheit des Bewusstseins, schon in den fünf Skandha enthalten ist. (Natürlich ist das Vorhandenseín des Teils eine notwendige Voraussetzung für das ganze). Dennoch ist es nicht ganz trivial, sondern zeigt die Perspektive der Betrachtung. Gegenstand der Betrachtung ist eine wirklich „individuelle“ Welt, die in der Einheit eines Bewusstseins stattfindet, und nicht mehr! In unserem Bild klammert sich ein Affe an einen Baum voller Früchte, ein anderer sitzt unabhängig davon daneben. Der Baum voller Früchte lässt sich kaum anders deuten als das, was aus der Gesamtheit des individuellen Karma heranreift, und hier hat jeder gleichsam sein eigenes Bäumchen. Die notwendige Bedingung für das Bewusstsein ist nun sa.mskāra, ein Wort das der große Buddhismus-Forscher Friedrich Weller niemals übersetzt hat, weil er es nach seinem eigenen Angaben nicht verstand. Ich würde es am liebsten auch tun, aber ich habe es schon übersetzt, nämlich als Geistesformationen, die in der obigen Liste das vierte der Skandha sind. Nach Nakamura Hajime sind es die Formbildungskräfte (形勢力) und auch die so geformten Dinge (形成されたもの), die mit den sogenannten Sa.msk.rta, den zusammengesetzten Dingen identisch sind. Wahrscheinlich müssen wir uns das folgenderweise vorstellen: alle Dinge werden durch eine Formbildekraft vereinigt. Was hält denn einen zusammengesetzten Gegenstand wie einen materiellen Gegenstand, oder meinen Körper, oder auch meinen „geistigen Körper“ den Charakter usw. zusammen? Man könnte vielleicht von der Kraft der karmischen Bedingungen sprechen. Der Topf, der aus Lehm, Arbeit, Einwirkung von Feuer usw. zustande gekommen ist, ist in gewisserweise der Zusammenfluss all dieser gestaltenden Kräfte. Und das Bewusstsein, das ein individuelles fühlendes Wesen bildet, ist ebenfalls etwas aus unterschiedlichen Elementendurch den Karmaprozess geformtes. Auf unserem Bild sehen wir darum einen Töpfer, der verschiedene Gefäße macht. Ein anderer sitzt untätig daneben: ihn scheinen diese Gefäße nichts anzugehen. Die notwendige Bedingung der Geistesformationen ist nun das Nicht-Wissen, das NichtSehen. Angenommen man würde sehen, dass am Ende der ganzen Kette das Leiden steht, so würde man sich auf dieses Spiel, das man nur verlieren kann, niemals einlassen. Das Interesse der ganzen Argumentation liegt in der umgekehrten Richtung, in der ich sie dargestellt habe. Wenn man nämlich das Nicht-Wissen beseitigt, so entzieht man der ganzen restlichen Kette und damit letztendlich dem Leiden die Grundlage. Exkurs: Von der Schwierigkeit, die zwölfgliedrige Kette des Bedingten Entstehens als Ganzes zu verstehen Über die Kette des Bedingten Entstehens ist viel philosophiert worden. Im Großen und Ganzen hat niemand mit der Erklärung der Abhängigkeitskette als solche, wie ich sie Euch eben vorgeführt habe, Schwierigkeiten gehabt. Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Kette 7 nur in eine Richtung lesbar ist (uni-directional) oder ob sie umkehrbar ist (reciprocal mediation). Außerdem hat es die Interpreten verwirrt, dass sich einige Dinge im dargestellten Ablauf wiederholen. Das Ergreifen z.B. entspricht der Empfängnis eines neuen Lebewesens, hier beginnt also ein neues Leben. Aber dasselbe könnte man auch von den Karmaformationen sagen, denn sie resultieren in einem Bewusstsein, das einem Einzelwesen entspricht. Darum besagt eine klassische Analyse dieser zwölfgliedirgen Kette, dass hier nicht von der Bedingungskette in einem einigen Leben die Rede ist, sondern von einer Bedingungskette die sich über drei Leben erstreckt. Diese Leben stehen im Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Man kann die Ursache und Wirkung noch weiter analysieren, indem man in der Ursachen noch zwischen dem menschlichen Fehler, der einem Handeln zugrundeliegt, und dem Handeln selbst. Wenn man das zweite Leben als das gegenwärtige definiert, erhält man folgende Liste: Analyse nach Ursache und Wirkung in den drei Leben (uni-directional) Verg. Urs. 過去因→Geg. Res.現在果 現在果 過去因 惑 Unwissen 無明 Fehler Ursache 因 業 Karmaformation 行 Karma Bewusstsein 識 Wirkung 苦 名色・六処・触・受 果 Leiden Name-Form, 6 Sinne, Kontakt, Empfindung Geg. Urs.現在因 現在因→Zuk. Res.未 未 現在因 来果 Gier 愛・Ergreifen 取 Werden 有 Geburt 生 Alter und Tod 老死 Die Tafel habe ich der japanischen Wikipedia übernommen. Sie ist aber allgemein bekannt. Vergleiche auch: Nyanatilokas Buddhistisches Wörterbuch „Pa.ticasamuppāda! Die Liste erklärt einigermaßen gut, wo der Mensch etwas machen kann, um aus dem Prozess, der unweigerlich zum Leiden führt zu befreien: er kann nämlich seine Fehler minimieren. Wenn er die Unwissenheit beseitigt, die Gier minimiert und nicht gleich nach jedem Gegenstand greift, den er begehrt, dann macht er spirituellen Fortschritt. Doch hier sieht man auch, wie wackelig die ganze Kontruktion ist. In der Praxis verlangt der Buddhismus oft, dass man den Kontakt mit dem Gegenstand aufgibt, um Gier usw. zu überwinden. Das ist die Idee des gesamten Mönchtums und wird mit dem Austrocknen eines auf trockenes Land gelegten Treibholzes verglichen. Also beginnt hier schon das Machbare: die Ursache ist, dass man sich dem Kontakt aussetzt. Überhaupt ist es unbefriedigend zu sagen, der Buddha habe von drei Leben gesprochen, und von jedes Leben eine andere Ursachenkette aufgestellt. Warum? Vielleicht aus diesem Moment des Zweifels gibt es noch eine andere Deutung, die meines Wissens relativ spät, nämlich erst Anfang des 20.Jahrhunderts, aufgekommen ist: Es ist die Auffassung, die zwölfgliedrige Kette finde in einem Augenblick statt (j. setsuna engi 刹那縁 起)5. In Deutschland hat der große Querdenker Paul Dahlke (1865-1928) diesen Standpunkt vertreten. Möglicherweise hat Ui Hakuju (1882-1962) auf irgendwelchen direkten oder indirekten Wegen hierdurch eine Anregung erfahren. Jedenfalls ist Ui wohl zum Hauptvertreter der These geworden, dass man die Verursachung in beiderlei Richtung lesen 5 Sōgō bukkyō daijiten I S. 641 8 könne, was natürlich eine zeitliche Augenblickstheorie zumindest ähnelt.6 Deutung unterminiert und somit Dahlkes Analyse als logische Äquivalenz in einem Augenblick: Unwissen 無明⇆Karmaformation 行⇆Bewusstsein 識⇆Name-Form 名色⇆6 Sinne 六処⇆ Kontakt 触⇆Empfindung 受⇆Gier 愛⇆Ergreifen 取⇆Werden 有⇆Geburt 生⇆Alter und Tod 老死 Wenn man die zwölfgliedrige Kette strikt als logische Äquivalenz fasst, ist die Gleichzeitigkeit am deutlichsten. Bei näherem Hinsehen geht durch diese Deutung noch mehr verloren als durch die Analyse in drei Leben. Alles, was in der Zeit ablaufen muss, z.B. das Altern oder das Ergreifen, wird dadurch unklar. Schon die These, dass aus dem Leiden die Unwissenheit folgen sollte, also die Gegenschlussrichtung ist fragwürdig. Noch fragwürdiger ist die Äquivalenz, wenn man sie anhand der einzelnen Glieder prüft: Folgt wirklich aus dem Ergreifen die Gier? Die Gier ist eine notwendige Bedingung für das Ergreifen, aber umgekehrt ist das Ergreifen für die Gier doch nicht relevant (es sei denn, in einem sehr abstrakten, noch zu definierenden Sinne). Das Vorhandensein von Bewusstsein ist eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein von Name-Form (Körper und Geist), weil das Vorhandensein des Teils die notwendige Bedingung für das Ganze ist. Umgekehrt ist das aber nicht der Fall: ein blühender Kirschbaum kann nur sein, wo blühende Zweige sind. Aber wo blühende Zweige sind, muss nicht unbedingt ein ganzer blühender Kirschbaum sein. Was die zwölfgliedrige Kette so unbefriedigend für unser modern programmiertes Gehirn macht, ist, dass vollkommen verschiedene Formen der Aufeinanderfolge wild durcheinander gewirbelt werden. Die Beziehung zwischen Bewusstsein und Name-Form ist logischer Natur, aber die Beziehung zwischen Werden und Geburt zeitlicher. Selbst mit diesen beiden Ursache-Wirkungs-Begriffen, an den wir uns in der Neuzeit so schön gewöhnt haben, kann man diese Kette schlecht nachvollziehen. Eine ganze Reihe von Bedingungsbegriffen scheint nebeneinander zu existieren, was durch unser simples Pfeilschema in keiner Weise ausgedrückt wird. So zitiert Nyanatiloka in seinem Buddhistischen Wörterbuch z.B. einen siamesischen Abhidhamma-Text (Pa.t.hāna), der 24 Bedingungsverhältnisse nennt (wie z.B. Karma-Bedingung, Nährstoffbedingung, Pfadbedingung usw). Zwischen dem Körper (rūpa) und dem Bewusstsein besteht diesem Text zufolge die „NachherentstehungsBedingung“ (pacchājāta-paccaya), denn das Bewusstsein entsteht erst, wenn ein Körper schon vorhanden ist. In diesem Sinne kann man dann einen Umkehrpfeil von Name-Form zum Bewusstsein setzen. Wenn man bereit ist anzuerkennen, dass die Pfeile ganz Unterschiedliches bedeuten, wenn man sie etwa mit Zahlen zwischen 1 und 24 indiziert, mag es möglich sein, die Kette in beiderlei Richtung zu lesen. Nur auf diese Weise ist die These der Umkehrbarkeit vertretbar, dann hat sie aber mit Gleichzeitigkeit nichts mehr zu tun. Die Anhänger der Umkehrungstheorie müssen sich die Frage gefallen lassen, was sie mit ihren Lehren überhaupt bezwecken. In Paul Dahlkes Form einer Augenblickstheorie entspricht sie dem religiösen Bedürfnis eines sehr rational denkenden Arztes und bekennenden Buddhisten, der sich bei Vorträgen die Notwendigkeit ersparte, die Wiedergeburtslehre rechtfertigen zu müssen. In der abgemilderten Form erhält man einen höchst wackeligen Bedingungsentwicklung vom Leiden zur Unwissenheit hin. Wozu soll das gut sein? Mir scheint, dass hier eine alte buddhistische Tradition zu einer Art westlicher Erkenntnistheorie umfunktioniert wird. 6 Auch Takeuchi Yoshinori vertritt die Inversions-Deutung. Er zitiert einen Text im Zusammenhang mit Dhammapada Vers 146, der Abhängigkeitsverhältnisse innehalb von Nama-Rupa mit einem Strohbündel vergleicht, bei dem sich die zwei Seiten gegenseitig abstützen. Der Zusammenbruck´h von Nāma-rūpa führt dann zum Verschwinden der anderen Glieder. Takeuchi, Yoshinori: The Heart of Buddhism New York: Crossroad 1983 S. 88 9 Ich habe dazu eine eigene Meinung, die Ihr mit Vorsicht genießen solltet, da Sie noch nicht von Wissenschaftlern geprüft ist.7 Trotzdem möchte ich sie hier mitteilen: Mir scheint, beide Deutungen versagen, weil sie im Nachhinein etwas als Einheit begreifen wollen, was vielleicht am Anfang vielleicht gar keine Einheit war und aus ganz anderen als philosophischen Gründen zu einer Einheit zusammengestellt wurde. Die interessante Frage ist eher, warum nicht die Fünfer-, Neuner- oder Zehner-Kette zum klassischen Modell geworden ist obwohl eine kürzere Kette uns Wiederholungen ersparen würde und somit irgendwie logischer wäre. Warum lehrt die zwölfgliedrige Kette eine Art Spiralbewegung? Meine Hypothese ist, dass die Zahl zwölf deswegen eine so wichtige Zahl ist, weil sie einer dreifachen Umrundung eines Stupa entspricht. Wie Ihr wisst, war die Stūpa-Verehrung, d.h. die Verehrung der Asche des verstorbenen Buddha, von Anfang an eine universale Bewegung im Buddhismus, noch lange bevor es irgendeine Unterscheidung zwischen Theravada und Mahāyāna gab. Ein Stupa hat einen quadratischen Umlauf, der nach den vier Himmelrichtungen orientiert ist, und man umrundet ihn in der Regel dreimal, gegebenenfalls auf drei verschiedenen Ebenen. Die Stupas scheinen als eine Art buddhistischer Themenpark genutzt worden zu sein. Wenn man umwandelte, kam man an Bildern vorbei, die z.B. das Leben des Buddha erklärten. Bei einer dreifachen Umwandlung passierte man also zwölf Hauptaltäre, die auf den Zentralachsen der vier Himmelsrichtungen lagen. Dementsprechend bot es sich an, den Stupa als Kontemplationsweg über Zwölfheiten zu gestalten. Wenn man einmal hypothetisch davon ausgeht, dass der Ausgangspunkt des Rundgangs eine Kontemplation über den letzten Grund des Leidens, nämlich die Unwissenheit, war, die man besten durch den lichtlosen Norden symbolisiert wird, und dass der Endpunkt eine Kontemplation über den Tod war, der meistens dem Westen zugeordnet wird, so erhält man folgende Liste. 1.Ebene: 2. Ebene: 3. Ebene: Herkunft der Herkunft der Herkunft individuellen Ursache des Leidens Existenz Leidens (=Gier) (Skandha) des Die Ursachen Erfahrung des Die Folge des der Augenblicks Augenblicks augenblicklichen Situation: Norden Osten Süden Westen Vergangenheit Unwissen 無明 Karmaformation 行 Bewusstsein 識 Gegenwart Zukunft Sechs Sinne 六 Ergreifen 取 処 Kontakt 触 Werden 有 Empfindung 受 Name-Form 名 Gier 愛 色・ Ursache Reifung (unbewusst) Geburt 生 Reifung (bewusst) Alter und Tod Resultat 老死 Man sieht – meine ich- recht deutlich, dass sich die zwölfgliedrige Kette ziemlich gut in drei Vierer-Segmente gliedern lässt, die in sich eine gewisse Entwicklung zeigen. Die Kontemplation geschieht auf drei Ebenen: Die erste, die man grob mit der Vergangenheit identifizieren kann, erklärt, warum ich gegenwärtige in dieser materiell-geistigen Verfassung bin. An ihrem Ende stehen die fünf Skandhas und diese sind die Grundlage (Ursache 因), auf der ich stehen und an der ich nichts mehr ändern kann. Die zweite Ebene schildert den gegenwärtigen Augenblick, es sind die Bedingungen (縁) meines Handelns, bis hinzu Gier. 7 Insbesondere weiß ich nicht, ob es schon eine ähnliche Analyse, wie ich sie vorschlage, gibt. Hier muss ich weiter recherichieren. 10 Hier findet die eigentliche spirituelle Arbeit statt: Man kann die Augen schließen, den Kontakt abbrechen, sich für ein anderes Muster der Empfindung konditionieren usw. Die dritte Ebene kann man mit der Zukunft in Zusammenhang bringen. Es sind die Folgen (果) meines Handelns - bis hin zum Tod. Das Ganze ähnelt einer Ein-Augenblicks-Deutung, und es lässt durchaus Raum für eine agnostische Haltung in Bezug auf die Wiedergeburt. Die Drei-Leben-Theorie erklärt die „dritte Ebene“ ziemlich gut, nämlich als ein Leben von der Empfängnis bis zur Bahre, aber die erste Ebene ziemlich schlecht. Dahingegen erklärt die „erkenntnistheoretische“ Theorie die erste Ebene ziemlich gut, aber die dritte Ebene ziemlich schlecht. Meine Hypothese bietet aber einen Kompromiss an. Ich gebe zu: das ist alles Spekulation. Ihre Überzeugungskraft gewinnt die Hypothese allein aus der Strukturanalyse der Kette selbst. Aber sind die alternativen Ansätze eigentlich weniger spekulativ? Was verleitet uns zu der Annahme, dass die zwölfgliedrige Kette jünger ist als die fünfgliedrige? Ist es nicht allein das Prinzip, dass das einfache auch das ältere sein muss? Trifft das zu? Könnten nicht alle möglichen äußeren Umstände der Grund sein, warum in einem Sutra eine verkürzte Version der Kette gelehrt wird? Solange wir für jedes einzelne Sutra den „Sitz im Leben“ nicht kennen (und davon sind wir in der Tat weit entfernt), kann man nur sehr wenig über die relative Datierung sagen. Warum soll die rein philoisophische Rekonstruktion effektiver sein als ein Nachdenken, das den Sitz im Leben eines Textes einbezieht? Die Lehre des zwölfgliedrigen Entstehens im Gesamtkontext des Buddhismus Auf folgenden Aspekt wird selten hingewiesen, obwohl er sehr wichtig ist: Die Lehre des zwölfgliedrigen Enstehens findet in all ihren Gliedern vollständig innerhalb der fünf Skandhas statt. Alle Glieder (nidāna) finden sich entweder direkt in den fünf Skandhas (wie z.B. Bewusstsein) oder sind sehr leicht aus ihnen abzuleiten. Ein Christ wird, wie ich oben schon erwähnt habe, sagen, dass das Ergreifen, d.h. die Annahme einer individuellen menschlichen Person, auf einen Schöpfungsakt Gottes zurückzuführen sei. Dabei steht der christliche Gott ohne Zweifel außerhalb dieser fünf Skandha, er gehört der Ewigkeit an und ist nicht innerhalb des reißendeden Gebisses des Dämons Kāla.h (Zeit). Alle Nidāna sind aber innerhalb der fünf Skandha und es ist wenig Zweifel daran, dass sie hier als individuelle „Persönlichkeit“ gemeint sind. Der tibetischen Maler macht es auch überdeutlich, indem er immer wieder Unbeteiligte zeigt. Nur der eine Affe umarmt „seinen“ Früchtebaum, es gibt zwei Säufer und jeder trinkt sein eigenes Bier. Damit sind wir beim Punkt. Für den tibetischen Buddhismus ist die zwölfgliedrige Kette des Bedingten Entstehens eine Lehre des Kleinen Fahrzeugs, dem es nur um die eigene Erlösung geht. Dies ist die allgemeine Lehre aller Mahāyāna-Schulen. Wie der Theravada-Buddhismus diese Lehre deutet, ist davon ganz unabhängig. Er hat diese Lehrer sicherlich ganz eigenständig und kreativ aufgegriffen, er sieht sie gewiss in einem anderen Rahmen. Der nördliche und der südliche Buddhismus haben sich ganz unabhängig entwickelt und zu einem Dialog kam es wegen der räumlichen Trennung so gut wie nie. Erst heute treffen beide Richtungen im Westen aufeinander, aber leider kennen wir Westler beide Lehren noch gar nicht gut. Deshalb möchte ich hier nur erklären, was unsere Tradition, der MahāyānaBuddhismus zur zwölfgliedrigen Kette sagt, mit dem Hinweis und der Bitte, dies nicht in Zusammenhang mit dem Theravada-Buddhismus zu bringen. Zum Kleinen Fahrzeug gehören die sogenannten Hörer, die diese Lehre von der zwölfgliedrigen Kette auf indirektem Weg vom Buddha hören. Aber man kann diese Lehre auch durch intensives Nachdenken von selber finden. In diesem Falle ist man, wenn man den Weg der Befreiung durch Überwindung der Ursache zuende gegangen ist, ein UrsachenErkenner, wie man auf Chinesisch übersetzen würde, nämlich ein Selbst-Verwirklicher (Pratyeka-Buddha). Was ist so schlecht, so minderwertig (hina) am Kleinen Fahrzeug? – Nun, dass die anderen Menschen und Wesen in seiner Erlösungslehre eigentlich gar nicht vorkommen. Typische Lehren des Buddhismus – zum Beispiel die liebende Güte (metta) des Theravada-Buddhismus 11 – werden in der Kette des zwölfgliedrigen Entstehens überhaupt nicht erwähnt. Es wird nur gesagt, dass, wer die Gier überwindet, das Leid überwindet. Wenn es also gelingt, alles aufzugeben - alle Anhaftung an Familie, Ehre, schöne Kunst, Politik, Wissenschaft, Nahrung – dann hat man mit dem Leiden Schluss gemacht. Die Skandha lösen sich auf, da schon die Formbildungskräfte nachlassen und man hat das Nirwana im Sinne einer Auslöschung (nirodha) erreicht. Vor dieser Auffassung, insbesondere dem Auslöschungsdenken warnen so gut wie alle mahāyāna-buddhistischen Texte. Ich habe im letzten Vortrag Nāgārjuna zitiert, der meinte, es sei besser in die Hölle zu fallen, als sich diesem „Kleinen Fahrzeug“ anzuvertrauen. Die Lehre der zwölfgliedrigen Kette des Bedingten Entstehens ist außerordentlich wichtig für das buddhistische Denken, man kann sich leicht vorstellen, dass sie zu einem Weiterdenken in den verschiedenen buddhistischen Schulen geradezu aufrief. Aber man darf nicht übersehen, dass sie einen äußerst begrenzten Spezialfall darstellt. Schon die Bilder innerhalb des Lebensrades enthalten Lehren, die weit darüber hinausgehen, darunter z.B. die Karmalehre. In den Bildern der 12gliedrigen Kette tauchen zwar oft Früchtebäume auf, die diese Karmalehre versinnbildlichen, aber was sie bedeuten kann nicht aus den zwölf Gliedern erklärt werden. Dass guten Werken gute Resultate folgen, schlechten Werken schlechte wird im zweiten und dritten Kreis klar dargestellt. Aber was gute Werke bedeuten, ist schwer einzusehen, wenn man die Skandhas bloß als Konstituenten eines individuellen Wesens versteht. Damit z.B. das Geben einer milden Gabe möglich wird, bedarf es eines anderen fühlenden Wesens. Einem bewusstlosen Gegenstand wie einem Tisch kann man nichts schenken. Darum ist das Karmagesetz ein sehr tiefliegendes Gesetz, das man nicht durch „Innenschau“ erreichen kann. Nach den Schriften des Pālikanons erkannte der Buddha es erst in der letzten Nachtwache vor der Erleuchtung. Es gehört also zum Buddhawissen hinzu, nicht aber zum Wissen eines Pratyeka-Buddha (der sich nach meiner obigen Darstellung sogar agnostisch zur Wiedergeburt verhalten könnte!) Insbesondere die Buddhaschaft selbst lässt sich mit der zwölfgliedrigen Kette des Bedingten Entstehens nicht erklären. Denn der Buddha trifft Aussagen, die für alle fühlenden Wesen gültig sein sollen, was nur möglich ist, wenn er Einblick in den Geist aller Wesen hat. Dies kann man mit einer Skandhalehre, wenn man sie so individuell auffasst, nicht beschreiben. – Hier muss die Sprache um viele Begriffe- wie Mitgefühl, Weisheit, Andersheit und Einheit usw. - erweitert werden, und genau das ist es, was die buddhistischen Schulen ja alle getan haben. Auf den tibetischen Schautafeln sind in der Regel in alle Existenzbereiche Buddhas und Bodhisattvas hineingemalt, die dort offenbar als Lehrer tätig sind. Trotdem war man sich bewusst, dass die zwölfgliedrige Kette des bedingten Enstehens das Wesen der Buddhas und Bodhisatvas wird durch die zwölfgliedrige Kette in keiner Weise beschrieben. Denn auf allen tibetischen Bildern, die ich im Internet gesehen habe, stehen ein großer Buddha und ein großer Bodhisttva außerhalb des eigentlichen Lebensrades: auf der rechten Seite sehen wir auf unserem Bild wohl eine weiße Tara (oder ist es Avalokiteshvara, der Bodhisattva, der „die Leiden der Wesen hört“?), links ist Buddha Shākamuni zu sehen, der mit einer Hand auf den wolkenlosen Mond hinweist. Der wolkenlose Mond ist in vielen Sūtren vor allem im Großen Parinirvana-Sūtra ein Gleichnis für die Buddha-Natur. Im Lankavara-Sūtra steht das berühmte Gleichnis, dass der Finger, der auf den Mond hinweist, nicht der Mond selber ist. Shākamuni hat durch seine Predigt also auch nur in dualistischer Weise auf das eigentliche Ziel hinweisen können. Kurz zusammengefasst gibt es nach den Lehren des Großen Fahrzeugs eigentlich zwei Ziele: es gibt das Ziel des Kleinen Fahrzeugs, welches das Nirvana im Sinne der Vernichtung durch Überwindung der Leid verursachenden Faktoren ist, und es gibt das Ziel des Großen Fahrzeugs, das in der allumfassenden Erkenntnis eines Buddha besteht (sarvaj~nāna issaichi 一切智), in der Liebe, Mitgefühl usw. natürlich enthalten sind. Ich möchte mit einem Zitat aus dem Kegon-Sūtra enden, das in ungeheuer schöner poetischer Sprache diese Zusammenhänge zum Ausdruck bringt, und von Torakazu Doi in diesem Kapitel (dem 32. ) sehr schön übersetzt wird(Kegon-Sutra III, S.174, T.278, 626b1): 12 „Liebe Söhne Buddhas! Lasst uns weiter im Gleichniss reden! Der König der GoldFlügel-Vögel fliegt hoch im blauen Himmel und blickt mit klaren Augen auf den Meerespalast des großen Drachen-Königs herab. Mit beiden goldenen Flügeln schlägt er gewaltig das Wasser des großen Meeres mitten entzwei und reißt die männlichen und weiblichen Drachen aus dem Grunde des großen Meeres heraus, die auf dem Sterbebett der Hoffnung liegen (wörtl. deren Leben sich erschöpft hat 有命盡). Mit Buddha, dem Erhellten, dem Unvergleichlichen, dem heiligen Gold-Flügel-VogelKönig, steht es ebenso. Buddha beruht in dem leeren Raum der grenzenlosen Freiheit (wörtl. friedvoll verweilt er im grenzenlosen Raum 安住無礙虚空之中) und blickt mit reinem und klarem Auge auf die Lebewesen in den Palästen [und Häusern] des ganzen Kosmos (wörtl. Dharmawelt) herab. Mit den beiden kräftigen Flügeln, mit den rechten Flügel „Vernichtung der Leidenschaft“ und dem linken Flügel „Schau der Sache als solcher“, schlägt der Heilige das im Kreislauf von Geburt und Tod wirbelnde Wasser des großen „Lieben Meeres“ (wörtl. das Meer der Gier 愛海)gerade mitten entzwei, um die gereiften Lebewesen aus dem Grunde des tiefen Meeres der Ur-Blindheit herauszureißen. Die Lebenwesen können also zu dem Bereich der „Tat der grenzenlosen Freiheit“ gelangen und darin beruhen(wörtl. Friedvoll vollbringen sie die grenzenlosen Übungen des Tathāgata “ 安立如來無礙之行). Schlussbemerkung Die tibetischen Maler haben, wie oben erwähnt, sehr unmittelbar Buddhas und Bodhisattvas in die Bilder des Existenzkreislaufes hereingemalt. Dies gibt den Bildern eine tibetischen Note. Auf einer Tafel der Jōdo Shinshū, wenn es so etwas gäbe! - würde man wohl außerhalb des Lebensrades das Reine Land darstellen (solche Darstellungen gibt es in Tibet gelegentlich auch!). Aber die Tätigkeit des Buddha würde man wohl auf Lichtstrahlen beschränken, die vom Buddha Amida im Außenbereich in alle Bereiche des Existenzkreislaufs reichten. In allen anderen Punkten, die hier dargestellt wurden, ist die Lehre des tibetischen Buddhismus aber gleich, da sie auf denselben (oder sehr ähnlichen) Sūtren wie der japanische Buddhismus beruht. 13