Sei immer nett zum Gemüsehändler!

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# 2006/14 dschungel
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Sei immer nett zum Gemüsehändler!
Von Birgit Schmidt
Bewerbungstraining als Fulltime-Job: Die US-amerikanische Journalistin Barbara
Ehrenreich hat es ausprobiert. von birgit schmidt
Wer arbeitslos ist, kennt das: stundenlanges Warten in der falschen Schlange, tagelanges
Ausfüllen inquisitorischer Fragebögen, gereizte Sachbearbeiter und die zunehmende
Bürokratisierung des Tatbestands Arbeitslosigkeit. Wer seinen Job verliert, muss das
heutzutage schon lange vorher gewusst und gemeldet haben – und dann direkt zum
Bewerbungstraining marschieren.
Bewerbungstraining – das hat zumindest den Nebeneffekt, dass zahlreiche ansonsten
arbeitslose oder unterbezahlte JournalistInnen, GermanstInnen, PolitologInnen etc. auf
Honorarbasis Tipps für die Jobsuche loswerden können, die ihnen selbst nichts genützt
haben. Das ist sinnvoll, das weist den Weg, und wer vermag heutzutage zu sagen, wie
viele Beratende und Helfende dem oder der Arbeitslosen unterstützend zur Seite stehen
wollen? Gegen Bares versteht sich. Es gibt Bewerbungs- und
KommunikationstrainerInnen, Mediation und Farbberatung (Sind Sie der Sommer-, Herbst, Frühlings- oder Wintertyp?), es gibt Coaching auf allen sozialen Ebenen und
wahrscheinlich auch in diesem Bereich schon längst eine besondere Form des Feng Shui.
Doch es kommt noch dicker. Das lässt zumindest der Blick vermuten, den uns die USamerikanische Schriftstellerin Barbara Ehrenreich auf den amerikanischen Markt der
Arbeitssuche werfen lässt. Für ihr neues Buch »Qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch
die Bewerbungswüste« legte sie sich einen anderen Namen und eine fiktive
Berufsbiografie zu und machte sich auf die Suche nach einem gut dotierten Job mit
Krankenversicherung.
Anständig bezahlt und krankenversichert – damit gilt man als Mittelschichtler, von dem
angenommen wird, dass er auch in arbeitslosem Zustand noch über einige Ersparnisse
verfügt. Und das weckt Begierden. In den USA bei den rund 10 000 so genannten
Karrierecoachs, deren Zahl sich, laut Barbara Ehrenreich jedes Jahr verdoppelt. Einige von
ihnen hat sie ausprobiert: Morton beispielsweise, der mit Puppen aus »Der Zauberer von
Oz« arbeitet. (Sind Sie der Löwe oder die Vogelscheuche?). Mit Joanne, die ihr empfiehlt,
die Worte »ich« und »mein« aus den Bewerbungsunterlagen zu entfernen. Und mit
Kimberley, deren aufgeregtem Psy­cho­ge­quas­sel sie sich schnell nicht mehr gewachsen
sieht. Denn das lautet beispielsweise so: »›Was macht Ihnen Sorge?‹ ›Mein Alter zum
Beispiel.‹ ›Dann besteht der Trick darin, Ihr Alter zu vergessen. Wie alt wären Sie gerne?‹
Ich erkläre ihr, dass ich mich mit meinem tatsächlichen Alter ganz wohl fühle, aber das
wird ihren Erwartungen eindeutig nicht gerecht. Sie ergeht sich in Erläuterungen über den
Unterschied zwischen dem ›biologischen‹ und dem ›chronologischen‹ Alter, und obwohl
ich darauf bestehe, dass ich froh bin, die zu sein, die ich bin, lässt sie sich nicht davon
abbringen. ›Würden Sie sagen, Sie fühlen sich wie 37?‹ Ehrlich gesagt, fühle ich mich viel
besser als mit 37, aber was soll’s, ich erkläre mich einverstanden, ihrer fixen Idee zu
folgen, dass 37 mein ›bio­logisches Alter‹ ist. ›JA? Dann SIND Sie 37!‹ verkündet sie
triumphierend.«
Nun, all das nennt sich Übergangsindustrie, erfährt man von Ehrenreich, und dass diese
immer größer und infantiler wird. Und dass es, wenn man seinen Gemüsehändler
freundlich grüßt, durch­aus als »Networking« zu bezeichnen ist. Aber: Tragen Sie immer
korrekte Kleidung, denn es könnte ja sein, dass er jemanden kennt, der jemanden kennt,
der eventuell den passenden Job für Sie hat.
Barbara Ehrenreich ließ sich richtig auf die Sache ein. Sie surfte täglich mehrere Stunden
im Internet, ging dann ins Fitness-Studio, ließ sich coachen, farb- und stilberaten, kleidete
sich neu ein, networkte in mehreren Städten der USA und überarbeitete immer wieder
und mit vorgeblich professioneller Hilfe ihre Bewerbungsunterlagen. Sie übte die so
genannte elevator speech, die eine dreiminütige mitreißende Selbstdarstellung sein soll,
unterzog sich diversen Persönlichkeitstests, die mittels Versatzstücken aus dem Sufismus,
dem Buddhismus, der jesuitischen Philosophie, aus keltischer und numerologischer
Weisheit konzipiert wurden, und gelangte – natürlich – zu einander diametral
entgegengesetzten Ergebnissen. Und sie ließ sich einbläuen, dass es nur und
ausschließlich an ihr liegen könne, dass sie immer noch ohne Job war.
Die Arbeitssuche wurde zu einem Fulltime-Job, und entsprechend wird die Stellensuche in
US-amerikanischen Büchern zum Thema als »Arbeit« bezeichnet; Ehrenreich zitiert aus
einem Wirtschaftsbestseller: »›Wenn Sie eine Stelle haben, genießen Sie vielleicht den
Luxus, von 9 Uhr bis 17 Uhr zu arbeiten. Wenn Sie eine Stelle suchen, sollten Sie von 12
bis 16 Stunden am Tag ausgehen.‹«
Nach mehr als einem halben Jahr erhielt sie ihr erstes Stellenangebot: als
Versicherungsvertreterin auf Provisionsbasis. Die Alternative wäre gewesen, als eine Art
Avon-Beraterin zu jobben. Oder einen der Jobs zu übernehmen, die die Journalistin und
Bestseller-Autorin in ihrem 2001 erschienenen Buch »Arbeit poor. Unterwegs in der
Dienstleistungsgesellschaft« beschrieben hat. Sie konstatiert bitter: »So habe ich also
nach fast sieben Monaten Stellensuche, einem Imagewechsel, einem für teures Geld
überarbeiteten und später aktualisierten Lebenslauf sowie Networking-Treffen in vier
Städten genau zwei Angebote bekommen: von Aflac und von Mary Kay. Aber es sind
keine Stellen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ich sie mir zu Beginn dieses Projekts
vorgestellt hatte, da sie kein Gehalt, keine Sozialleistungen und keinen Arbeitsplatz
bieten.«
Wozu das alles also? Barbara Ehrenreich ist keine Linksradikale, nur eine Vernünftige. (So
plädiert sie beispielsweise vehement für Hillary Clintons Ziel, allen US-AmerikanerInnen
eine Krankenversicherung unabhängig von ihrer Berufs- bzw. Jobsituation zu
ermöglichen.) Aber auch sie träumt davon, welch positive Auswirkungen es haben könnte,
wenn Arbeitslose – statt sich 16 Stunden am Tag mit einer ergebnislosen Arbeitssuche zu
beschäftigen – endlich einmal richtig networken würden. Und zwar gemeinsam. In ihrem
Sinne.
Barbara Ehrenreich: Qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste.
Antje Kunstmann, München 2006, 253 Seiten, 19,90 Euro
© Jungle World Verlags GmbH
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