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„ICH MÖCHTE ICH SEIN“
Zu Gast bei der Luxemburger Pianistin Cathy Krier
Foto: © Delphine Jouandeau
Cathy Krier ist ein „aufsteigender Stern“: Die Philharmonie Luxemburg hat die junge Pianistin erfolgreich für die
Nachwuchskünstler-Reihe „Rising Stars" der European
Concert Hall Organisation (Echo), einem Zusammenschluss von Konzerthäusern Europas, nominiert. In dieser
Saison wird die Luxemburgerin ihr Rising-Star-Programm
in 17 europäischen Konzertsälen spielen. glanzvoll hat
die 30-Jährige in ihrem Appartement im Luxemburger
Stadtteil Hollerich getroffen.
Jeder Antwort dieses Interviews könnte man ein „(lacht)“ hinzufügen: Cathy Krier lacht viel und sehr herzlich. Deswegen
bedeutet bei diesem Interview ein „(lacht)“, dass ihr Lachen
ganz besonders herzlich war. Überhaupt ist sie beim Gespräch sehr entspannt. Wenige Tage zuvor war sie in Paris,
hat Fotos für ihre neue CD gemacht, die Anfang Oktober erscheint: Schönberg, Berg, Zimmermann und zwei späte Werke von Liszt, „weil die eigentlich auch schon atonal sind“.
Vier bis sechs Stunden übt Cathy Krier täglich am Flügel
in ihrem Studio. Aber auch in ihrem Appartement in Hollerich, in dem sie mit ihrem Mann lebt, steht ein Klavier,
denn: Ein Zuhause ohne Instrument könne sie sich nicht
vorstellen.
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Bevor das Interview beginnt, macht sie die Musik aus –
„Masques“ von Karol Szymanowski.
Hören Sie viel Klaviermusik?
Krier: Ich höre viel Musik, aber wenig Klaviermusik. Eher Orchesterwerke, auch Jazz und Worldmusic. Wenn ich Klaviermusik höre, ist das oft mit einer Information verbunden, die ich
haben möchte.
Sie haben ein Faible für Klaviermusik der Moderne und der
Gegenwart.
Krier: Schon als Kind war ich begeisterter von Bartók als
von Chopin. Natürlich mag ich die Romantik auch. Doch das
20. Jahrhundert finde ich sehr spannend, weil es so viele
neue Richtungen einschlägt und es trotzdem Tradition und
Verbundenheit gibt – auch wenn viele das nicht denken. Die
Wege werden geöffnet und neue Lösungen für die Weiterentwicklung gesucht. Das Ende der Romantik war unausweichlich. Weiter als Wagner konnte man die Chromatik im
Sinne des traditionellen Musikschreibens nicht führen. Es ist
logisch, dass in diesem Moment die Atonalität aufkommt.
Die Zeit, in der man denkt, es gibt keine Regeln mehr, ist
kurz. Jeder versucht, sich eine neue Regelstruktur aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, dass man mit Regeln freier ist.
Wenn man machen kann, was man will, gibt es keine Hürden
und Grenzen. Und wenn es keine Grenzen gibt, muss man
sich nicht weiterentwickeln.
Kommt das Publikum mit, wenn Sie zeitgenössische Musik
spielen?
Krier: Warum soll es nicht mitkommen? Wir leben in einer
Zeit, die, provokant gesagt, sehr arm ist. Zu Beethovens Zeiten wurde Beethovens Werk gespielt, das war die Gegenwart.
Heute spielen wir das Repertoire des 19. Jahrhunderts und
halten Schönberg und Bartók immer noch für modern, obwohl ihr Werk schon 100 Jahre alt ist. Wenn man die Menschen ein bisschen dazu zwingt, sind sie sehr offen für Zeitgenössisches und merken, dass auch das schöne Musik sein
kann. Natürlich haben sich Ästhetik und Spielart verändert.
Aber das war auch von Mozart zu Chopin so. Ich finde es
unglaublich wichtig, die Musik, die heute geschrieben wird, zu
spielen. Wie soll das Publikum sie sonst kennen?
Wolfgang Rihm hat für Ihr „Rising Star“-Programm ein Stück
geschrieben. Macht Sie das stolz?
Krier: Sehr. Ich bin sehr froh, dass jemand wie er sich die
Mühe macht, für mich zu schreiben. Er ist einer der ganz großen Komponisten unserer Zeit.
Das Stück hat vor Ihnen noch niemand interpretiert. Ist das
eine besondere Herausforderung?
Krier: Wenn ich neues Repertoire lerne, versuche ich, so
wenig Einfluss von außen zu bekommen wie möglich und
so an ein Werk zu gehen, als hätte ich es noch nie gehört.
Wenn man Stücke schon sehr gut kennt, ist die Gefahr unbewussten Nachahmens riesengroß. Man arbeitet viel ungenauer, macht etwas, weil man es so kennt, aber weiß
nicht, warum. Aber ich finde es wichtig, nicht nur ein Werk,
sondern auch den Komponisten zu erarbeiten. Kompositionen sind immer beeinflusst von Lebenslagen, Assoziationen
und Ideen. Man muss den Kontext, in dem ein Werk geschrieben wurde, kennen. Gerade, wenn es um historische
Aufführungspraxis geht: Es ist spannend zu wissen, für welche Instrumente etwas komponiert wurde, egal, ob es ein
Beethoven-Stück ist oder etwas Zeitgenössisches. In einem
Konzert hört man, ob sich jemand gänzlich mit etwas beschäftigt hat oder nur punktuell mit einem Werk. Gleichzeitig
muss man die Balance halten und seinen eigenen Zugang
finden.
Was bedeutet es, zu üben? Wie gehen Sie vor?
Krier: Erst mal liegt ein Stück ziemlich lang auf dem Regal
(lacht). Neue Stücke lernen finde ich lästig. Ich bin sehr begeistert, wenn ich es anfange. Aber dann kommt das lästige
Üben, um es zu können. Als Allererstes lese ich das Stück.
Wenn man direkt an den Flügel geht, ist man sofort mit Fingersätzen und Ähnlichem beschäftigt und verliert den Überblick über die Struktur. Die ist aber wichtig, um schnell voranzukommen. Wenn man das Stadium erreicht hat, in dem
man durchkommt und sich nicht nur um technische Probleme kümmern muss, macht es wieder Spaß. Dann kann man
ein Stück gut, aber noch nicht richtig auswendig – das ist
wieder eine lästige Phase. Ich habe kein Problem auswendigzulernen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem
Auswendigkönnen und dem „In-allen-Lebenslagen-Auswendigkönnen“, ohne Unsicherheit zu verspüren. Also auch
dann, wenn man müde ist und die Konzentration nachlässt.
Oder wenn der Flug Verspätung hatte und man schnell auf
die Bühne muss.
Irgendwann ist das Stück dann im Körper drin, und man muss
nicht mehr nachdenken?
Krier: Man muss da aufpassen, es ist hinterlistig. Stücke,
die man gut kann, sind gefährlich. Man übt sie nicht mehr
so richtig, und dann kommen Unsicherheitsmomente. Man
muss ein Stück immer wieder konsequent und konzentriert
auffrischen.
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Sie haben schon in vielen Ländern auch außerhalb Europas
gespielt. Wie anders ist das Publikum?
Krier: Sehr anders. Die Europäer sind extrem diszipliniert.
In Kolumbien war das Publikum wahnsinnig enthusiastisch
und herzlich. Und es war extrem jung, viele waren 15 oder
16 Jahre alt. In China ist es relativ laut, es gibt viele Nebengeräusche. Es war gut, dass mich jemand darauf vorbereitet
hatte. Sonst könnte man das Gefühl haben, dass es dem
Publikum nicht gefällt. Es ist eine andere Art, Musik zu konsumieren.
Sind Sie allein unterwegs, wenn Sie im Ausland spielen?
Krier: Meistens. Ich bin nicht so gern in Begleitung. Ich soll
mich ja auf Konzerte konzentrieren, dann stört es mich, wenn
jemand dabei ist, der nichts zu tun hat. Der als Tourist mitfährt,
während ich arbeiten muss. Das finde ich nicht so gut (lacht).
Ist für Sie theoretisch jedes Klavierstück erlern- und spielbar?
Krier: Ich denke nicht, dass ich technische Schwierigkeiten
habe, etwas zu spielen. Da muss man einfach länger üben.
Es ist ja auch eine Herausforderung. Die reinen Bravourstücke haben mich aber nie interessiert. Werke von Charles Valentin Alkan oder die Etüden von Leopold Godowsky – das
ist unglaublich schwer. Es ist spaßig anzuhören, aber es ist
o.k., wenn andere das tun. Ich würde mir die Mühe nicht
machen. Es gibt aber physische Grenzen: Ich habe keine
Riesenhand. Anton-Rubinstein-Etüden oder Klavierkonzerte von Rachmaninow könnte ich nicht greifen. Aber das ist
auch nicht mein Schwerpunkt. Gerade beim Klavier hat man
den Vorteil des riesigen Repertoires. Warum soll man sich
dann mit Musik herumschlagen, die man nicht richtig spielen
kann?
Haben Sie freie Hand, was die Zusammenstellung des Repertoires angeht?
Krier: Ja, aber ich versuche schon, das mit meiner Agentur
abzusprechen. Wichtig ist, dass ich mich repräsentiere – gerade wenn man jung ist und am Anfang einer Karriere steht.
Natürlich ist das manchmal schwierig, wenn man eine Anfrage
hat und „Nein“ sagt. Aber ich möchte mir treu bleiben. Ich
möchte ich sein.
Wann haben Sie gewusst, dass Sie richtig gut sind?
Krier: Die Frage habe ich mir nicht gestellt, und ich werde Sie
mir nie stellen (lacht). Wann ist man gut? Ich habe mir auch
nie die Frage gestellt, ob ich besser bin als andere oder ob
es normal ist, so früh zu studieren. Es ist wichtig, nicht das
Gefühl zu haben, etwas Besonderes zu sein.
Passiert das nicht automatisch, wenn man etwa lobende Kritiken liest?
Krier: Nein, denn das ist nicht der Fokus. Es hat auch viel
mit der Entourage zu tun, in der man lebt. Meine Eltern und
Lehrer waren von Anfang an sehr darauf bedacht, dass alles
bodenständig bleibt. Man kann sich schnell verlieren im Sichgut-Finden. Bei mir verlief alles sehr natürlich. Wir haben früh
gemerkt, dass ich Lust am Klavierspiel und eine Begabung
hatte. Ich hatte einen tollen Unterricht am Konservatorium und
einen tollen Lehrer, der sich sehr für mich eingesetzt und mich
mehr unterrichtet hat, als er hätte müssen. Irgendwann hieß
es eben: „Jetzt müssen wir ins Ausland.“ Also ging ich mit 14
an die Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Das lief ohne
großes Trara. Meine Mutter wurde damals zur Taxifahrerin und
hat mich nach Köln und zurück gefahren. Mit dem Zug hätte
ich viel zu lange gebraucht.
Sind Sie dann auch noch zur Schule gegangen?
Krier: Ja, später aber nur noch zu den Prüfungen. Ich hatte einen Banknachbarn, der mir täglich alles gefaxt hat, und
ich habe zu Hause gelernt. So gewinnt man viel Zeit. Wenn
ich heute darüber nachdenke, wie ich mir einen Tag vor der
Prüfung die Mathesachen angeschaut habe – das war schon
sehr optimistisch … Aber wenn man schon relativ früh Musik
auf hohem Niveau macht, hat man eine andere Konzentrationsfähigkeit. Man kann vieles schneller aufnehmen und fokussierter arbeiten.
Geben Sie selbst Klavierunterricht?
Krier: Ich unterrichte an der Musikschule, und es macht mir
viel Spaß. Ich finde es besonders spannend, mit kleinen Kindern zu arbeiten. Die sind sehr begeisterungsfähig und haben
keine Berührungsängste mit Neuer Musik. Die mögen es oder
eben nicht, aber ob es Neue Musik ist oder Chopin, ist ihnen
egal.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Konzertbesuch?
Krier: Das war Brigitte Engerer. Da war ich drei. Ich weiß noch,
was ich anhatte, wo ich saß und was sie gespielt hat. Das war
ein starker Moment. Meine Eltern sind mit meinem Bruder und
mir wahnsinnig viel in Konzerte gegangen. Oft sind wird nach
der Hälfte nach Hause, weil am nächsten Tag Schule war. Ich
kann mich an ein Konzert erinnern, bei dem nur Iannis Xenakis
gespielt wurde. Es war einfach wahnsinnig laut, mein Bruder
und ich fanden das total cool. Als Kind ist man viel weniger
schockiert von etwas und nimmt intuitiver die gesegneten
Momente in einem Konzert wahr. Kinder sind offener, und sie
spüren die Intensität. Als Erwachsener verliert man die Gabe,
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etwas einfach auf sich wirken und sich berieseln zu lassen.
Ich finde es toll, dass die Philharmonie so viele Kinderkonzerte anbietet. Doch Kinder sollen auch in richtige Konzerte
gehen. Natürlich ist Ruhe wichtig. Aber Konzerte sind bei uns
sehr steif geworden. Ich finde es nicht schlimm, wenn ein Kind
nicht hundert Prozent still ist. Viele andere Besucher regen
sich dann auf – das ist lästiger. Ich freue mich immer, wenn
Kinder da sind.
Ariane Arndt-Jacobs
Foto: © Delphine Jouandeau
AUFTRITTE UND CDS
In der Philharmonie präsentiert Cathy Krier ihr „Rising Star“Programm am 26. Januar. Beim Konzert am 19. und 20.
September für Kinder zwischen fünf und neun Jahren begleitet sie die Schauspielerin Larisa Faber in der musikalischen Geschichte „Lea, Opa und das Himmelsklavier“.
Cathy Kriers erste CD erschien 2008 mit Solowerken von
Scarlatti, Haydn, Chopin, Dutilleux und Müllenbach. Von
der Presse hoch gelobt wurde ihre Einspielung des Klavier-
werks des tschechischen Komponisten Leoš Janácek.
2014 erschien eine CD mit den „Pièces de Clavecin“ von
Jean-Philippe Rameau und der „Musica ricercata“ von
György Ligeti. Ihre neueste Einspielung wird Anfang Oktober veröffentlicht.
www.cathykrier.com
www.philharmonie.lu
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