Das Zigeunerblut brodelte beim ungarischen

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Volksstimme, 16.04.2007, Von Ulrike Löhr
Pianistin Gerlint Böttcher musizierte gemeinsam mit der Magdeburgischen Philharmonie
Das Zigeunerblut brodelte beim ungarischen Abend im Opernhaus
Wenn über ungarische Musik des 20. Jahrhunderts gesprochen wird, dann nennt man Kodály und
Bartók in einem Atemzug. Das jüngste Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie tat das
ebenso mit den „Tänzen aus Galánta" von Zoltán Kodály und Béla Bartóks Klavierkonzert Nr. 3.
Magdeburg. Beide Komponisten reisten vielfach über die ungarischen Dörfer und avancierten
förmlich zu Volksliedforschern. Folkloristisch inspiriert gingen jedoch beide eigene kompositorische
Wege. Die Magdeburgische Philharmonie unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors (GMD)
Francesco Corti präsentierte mit Kodálys „Tänzen aus Galánta" einen schmissigen Konzertauftakt mit
spielfreudiger Geschlossenheit und wunderbarer Präzision im rhythmischen Zusammenspiel.
Musikalisches Denkmal an die Heimat
Nahmen die Ovationen des Publikums beim jüngsten Sinfoniekonzert im Opernhaus
entgegen: Der Magdeburger Generalmusikdirektor Francesco Corti und die Gastpianistin
Gerlint Böttcher. Foto: Ulrike Löhr
Kodálys musikalisches Denkmal
an seine Heimat, in der er seine
glückliche Kindheit verbrachte,
gehört zu den populärsten
seiner Orchesterwerke
überhaupt. Dass das so bleibt,
dafür sorgten die
Philharmoniker mit
schmelzenden Unisono-Celli,
schwelgerischen Streichern und
einer bezaubernden romantisch
sehnsuchtsvollen SoloKlarinette, bis schließlich
musikalisch das Zigeunerblut
sowohl bei Corti als auch bei
den Musikern zu brodeln begann.
Wie vehement stimmten die Holzbläser die schönen Tanzthemen an, immer wieder wurde man an
die Rolle der Klarinette in der Zigeunerkapelle erinnert. Den Sonderapplaus hatte sich Soloklarinettist
Georg Dengel für sein hervorragendes Musizieren zwischen melodiösen, temperamentvollen und
rhythmisch anspruchsvollen Klangfarben redlich verdient.
Ein ähnlicher Reichtum an spätromantisch-impressionistischer Klangvielfalt kam mit Béla Bartóks
Klavierkonzert Nr. 3 zu Gehör. Die Weichheit und den lyrischen Grundcharakter des Werkes - man
sagt, weil Bartók es für seine Ehefrau und Pianistin Ditta Pásztory komponierte - brachte in
Magdeburg auch die Gast-Pianistin Gerlint Böttcher zutage.
Mit sehr beeindruckender Anschlagskultur wurde sie mit diesem Konzert ihrem Ruf als gefühlvolle
Virtuosin vollends gerecht. Hier schienen sich Bartóks Anliegen und das Empfinden der Solistin zu
einen in dem Verzicht spieltechnischen Prunks und solistischer Eitelkeit zugunsten eines flüssigen
Parlandostils. Mit fein differenziertem Klavieranschlag charakterisierte Gerlint Böttcher sowohl die
Vogelrufe im Zwiegespräch mit dem aufmerksamen Orchester als auch die verschiedenen
akkordischen Choräle im „Adagio religioso". Eine Wonne war es, als ein wundervolles Bläserquartett
mit Horn, Oboe, Klarinette und Fagott die Solistin in den Harmoniewechseln elegant unterstütze.
Besonders in diesem zweiten Satz war die von Beethoven und Bach hergeleitete Klangsprache zu
hören.
Doch immer wieder ertönte die klare taghelle Natur mit Vogelrufen - vielleicht eine Rückbesinnung
für Bartók am Ende seines Lebens und dem Schrecken eines Weltkrieges.
Diese Emotionalität, auch im beschließenden Ecksatz mit Pauke, großer Trommel und Blechbläsern,
gewann durch Gerlint Böttchers plastisches Spiel an hintergründiger Gestaltungskraft - ohne Härte
entwickelte sie dynamische Spannungen als angenehme Mischung von galantem Klangsinn und
energischer Spielfreude, wofür sie das Publikum feierte.
Brahms - ernsthaft und pathetisch
Ebenso von der Übermacht des Beethovenschen Vorbildes beeinflusst war Johannes Brahms' langer
und beschwerlicher Weg zu seiner 1. Sinfonie c-Moll op. 68, die im zweiten Konzertteil erklang.
Brahms' 1. Sinfonie wird als ernsthaft und pathetisch charakterisiert. Die anhaltenden Achtel der
Pauke zu Beginn zeugten davon, doch die Schönheiten des ersten Satzes erklangen in einer
beeindruckenden Homogenität der Musiker. Die Satzvorgaben von langsam zurückhaltend, über
schnell bis zu weich-süß und schließlich mit Feuer erfasste Francesco Corti hervorragend mit
strukturiertem entschlossenem Dirigat. Die Solo-Einlagen von Oboe, Horn und Violine und wieder der
Klarinette wurden hervorragend gemeistert. Die Zuhörer schwelgten in tollen Holzbläsersequenzen,
die Zwiesprache der Stimmgruppen war faszinierend gestaltet.
Und im großartigen Schlusssatz mit Alphornmotiv, vollem hymnischen Streichersatz, choralartigen
Blechbläsern - freiheitlich á la Beethoven - hatten Corti und seine Philharmoniker immer noch
Spannung und Energie für einen brillant gesteigertes Finale.
Diese Sinfonieaufführung gehört in den Topf der Highlights der Saison.
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