Arbeitspapier 3

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DFG-Projekt WI 2142/2-1
‚Liebe’, (Erwerbs-)Arbeit, Anerkennung –
Anerkennung und Ungleichheit in
Doppelkarriere-Paaren
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe
Annette Henninger
Wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen für
Anerkennungsverhältnisse in Dual Career Couples
Arbeitspapier 3
Nürnberg, September 2006
Dr. Annette Henninger
Institut für Soziologie der
FAU Erlangen-Nürnberg
und
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
Regensburger Str. 104 (Postanschrift)
Weddigenstraße 20-22 (Hausanschrift)
90478 Nürnberg
Tel: 0911 / 179-5664
Email: [email protected]
http://www.iab.de/asp/mitarbeiterDB/showMitarbeiter.asp?pkyMitarbeiter=499
http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/liebe.php
aktuelle Adresse:
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Reichpietschufer 50
10785 Berlin
[email protected]
http://www.wzb.eu/bal/laa/leute/henninger.de.htm
http://www.wzb.eu/bal/laa/
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Arbeitspapier 3/2006
1
Inhalt
Vorbemerkung zum Projektkontext ........................................................................................2
Einleitung ................................................................................................................................3
1.
Anerkennung von Paaren: Erkenntnisse aus der Wohlfahrtsstaatsforschung..................5
Der Ausgangspunkt der Debatte: Esping-Andersens Regimetypologie........................6
Die geschlechtsspezifische Gewährung sozialer Rechte ...............................................7
Die Stärke des Ernährermodells ....................................................................................8
Individualmodell versus Ernährermodell ......................................................................9
Kulturelle Familienleitbilder als Ursache von Varianz ...............................................11
Familalisierung und De-Famililialisierung..................................................................13
Reformen des Wohlfahrtsstaates: Auf dem Weg zum adult worker model?...............15
Die Art der Sicherheitserbringung...............................................................................16
Positive und negative Maßnahmen der De- bzw. Re-Familialisierung .......................16
Das Modell der universellen Betreuungsarbeit ...........................................................18
2. Die institutionalisierte Anerkennungsordnung im deutschen Wohlfahrtsstaat .................20
Indikatoren zur Charakterisierung der institutionalisierten Anerkennungsordnung ...21
Pluralisierung von Geschlechterleitbildern .................................................................24
Beharrungs- und Wandlungstendenzen im Zuge der Reform des Sozialstaates .........25
3. Konsequenzen für die Analyse von Anerkennungsverhältnissen innerhalb von DCCs ...26
Auswirkung der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’ auf Paare ..................27
Relevante Themenkomplexe für die geplanten Paar- und Einzelinterviews ...............28
Literatur .................................................................................................................................31
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2
Vorbemerkung zum Projektkontext
Das Projekt „‚Liebe’, (Erwerbs-)Arbeit, Anerkennung – Entgrenzung und Pluralisierung
intersubjektiver Anerkennungschancen in Doppelkarriere-Paaren?“ fragt nach Anerkennungschancen innerhalb moderner Paarbeziehungen und nach deren Verhältnis zu gesellschaftlichen Anerkennungsstrukturen. Es ist am Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg und am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Nürnberg) angesiedelt und wird seit Januar 2006 im Emmy-Noether-Programm der DFG gefördert.
Neuere theoretische wie auch empirisch fundierte Überlegungen gehen von einer Pluralisierung und Entgrenzung gesellschaftlicher Anerkennungsforen und -formen aus. Im Zuge
gesellschaftlicher Modernisierung wird, so die Grundannahme, durch die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen sowie durch eine Entgrenzung von ‚Arbeit’ und ‚Leben’ die Gültigkeit des männlichen Familienernährer- und des weiblichen Hausfrauenmodells samt damit einhergehender Sphärentrennung in Frage gestellt. Geht man davon aus, dass personale
Identität wesentlich durch wechselseitige Anerkennung konstituiert wird und zwei zentrale
Foren für derartige Anerkennung Primär- bzw. Paarbeziehungen sowie Erwerbstätigkeit
darstellen, dann liegt es nahe, dass ein Wandel der Organisation von Familie und Erwerbsarbeit auch die Anerkennungsmodi und damit letztlich auch die Modi der Identitätsstiftung
tangiert.
Was bedeutet dies für intersubjektive und gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse?
Geht damit eine Pluralisierung, Entgrenzung und Egalisierung intersubjektiver Anerkennungschancen innerhalb von Paarbeziehungen und von gesellschaftlichen Anerkennungsforen einher? Welche Anerkennungschancen bestehen in modernen Zwei-Verdiener-Paaren
und insbesondere in Dual Career Couples (DCCs), für welche Handlungen, Eigenschaften
und Fähigkeiten finden Partner in solchen Paaren intersubjektiv Wertschätzung? Wie geht
diese wechselseitige Anerkennung vonstatten? Zeigen sich hier geschlechtsspezifische Ungleichheiten? Wie beeinflussen welche gesellschaftlichen Anerkennungsstrukturen die intersubjektiven Anerkennungschancen in Paarbeziehungen? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Antworten für gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse?
Diese Fragen werden im Projekt auf drei Analyseebenen bearbeitet: 1. Empirische Untersuchung der Anerkennungschancen und -strukturen in Dual Career Couples; 2. Analyse des
Umgangs mit Dual Career Couples in Arbeitsorganisationen; 3. Analyse der in wohlfahrtsstaatliche Institutionen eingelassenen paarbezogenen Anerkennungsordnung sowie deren
Veränderungen angesichts des gegenwärtigen Sozialstaatsumbaus. 4. In der abschließenden
Synthese wird nach den theoretischen Konsequenzen der empirischen Ergebnisse für gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse gefragt.
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Einleitung
Axel Honneth (1992, 2003) fasst die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft als Ergebnis der
Ausdifferenzierung von drei Anerkennungssphären: Liebe, soziale Wertschätzung bzw.
Leistung und rechtliche Achtung. Diese drei Sphären bilden für Honneth in ihrer Gesamtheit die ‚institutionalisierte Anerkennungsordnung’ einer Gesellschaft. Sozialstaatliche Regelungen sind nach Honneth zentraler Bestandteil der gesellschaftlichen Anerkennungsordnung, die die intersubjektiven Anerkennungschancen in Paarbeziehungen beeinflusst (zur
theoretischen Auseinandersetzung mit der aktuellen Anerkennungsdebatte vgl. Wimbauer
2005). Moderne, westliche Wohlfahrtsstaaten gewähren ihren BürgerInnen allerdings geschlechtsspezifisch codierte soziale Rechte.
Das vorliegende Arbeitspapier unternimmt erste Schritte zur Rekonstruktion dieser ungleichen, in wohlfahrtsstaatliche Policies eingeschriebenen Anerkennungsordnung im Hinblick
auf Paarbeziehungen, insbesondere im Hinblick auf Doppelkarrierepaare1. Es verfolgt das
Ziel, unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung
hierfür zentrale Politikfelder und geeignete Analysedimensionen zu identifizieren. Die Ergebnisse dieser Literaturanalyse sollen zum einen als theoretische Grundlage für eine Analyse des Wandel des deutschen Wohlfahrtsstaates im Zuge der aktuellen sozialpolitischen
Reformen dienen (vgl. Henninger/Wimbauer 2007, in Vorbereitung). Im Zuge dieser Entwicklungen, so unsere Ausgangsthese, wandelt sich auch die in sozialstaatlichen Regelungen eingeschriebene Anerkennungsordnung – mit spezifischen, teilweise widersprüchlichen
Folgen für Paarbeziehungen. Zum anderen sollen die Erkenntnisse über die institutionalisierte Anerkennungsordnung im deutschen Wohlfahrtsstaat dazu genutzt werden, Themenkomplexe festzulegen, die in den geplanten Paar- und Einzelinterviews mit Doppelkarrierepaaren angesprochen werden sollen.
Ausgangspunkt für die Darstellung der Erkenntnisse der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung im ersten Teil des Arbeitspapiers ist die feministische Kritik an der Geschlechterblindheit der Regimetypologie von Gøsta Esping-Andersen. Die Kritikerinnen wiesen
darauf hin, dass die Entstehung der meisten westlichen Wohlfahrtsstaaten historisch mit der
Herausbildung von Geschlechterrollen zusammenfiel, die für Männer eine außerhäusliche
Erwerbstätigkeit und für Frauen die Rolle der Hausfrau und Mutter vorsahen. Dieses männliche Familienernährermodell floss als Leitbild in die Ausgestaltung sozialpolitischer Maßnahmen ein. Die Beiträge feministischer WohlfahrtsstaatsforscherInnen fokussieren daher
auf die Analyse der (geschlechtsspezifischen) Ausgestaltung sozialer Rechte.
1
Im Projekt wird eine breite Definition von Doppelkarrierepaaren bzw. Dual Career Couples zugrunde
gelegt, die alle Paare umfasst, in denen beide PartnerInnen ein hohes Bildungsniveau und ein starkes
berufliches commitment aufweisen sowie eine eigenständige Berufslaufbahn verfolgen bzw. verfolgen
wollen. Damit unterscheiden sich DCCs von Zwei-Verdiener-Paaren, in denen beide Partner lediglich
in irgendeiner Form erwerbstätig sind (vgl. Wimbauer 2005, Anm. 2).
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Einzelne AutorInnen zeichnen zudem Entwicklungspfade nationaler Geschlechterregimes
nach und nehmen damit explizit den Wandel von Geschlechterverhältnissen im Zuge der
steigenden Bildung und Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie des normativen Wandels hin
zu egalitäreren Paarbeziehungen in den Blick. Allerdings sind in sozialpolitischen Regelungen teilweise noch überkommene Geschlechterleitbilder konserviert. Änderungen zeichnen
sich in Deutschland erst im Zuge der sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre ab.
Das in wohlfahrtsstaatliche Policies eingeschriebene Leitbild, die gesellschaftlichen Geschlechterleitbilder und die soziale Praxis von Individuen bzw. von Paaren können also
auseinanderdriften. Dies gilt in besonderem Maße für Dual Career Couples: Aufgrund der
(angestrebten) Erwerbstätigkeit beider Partner geht das Leitbild des männlichen Familienernährers an der Lebensrealität von Doppelkarriere-Paaren vorbei. Allerdings setzen wohlfahrtsstaatliche Policies dennoch die Rahmenbedingungen für die Erwerbsmuster und die
häusliche Arbeitsteilung von Dual Career Couples und somit auch für paarinterne Anerkennungschancen, obwohl sie auf die Lebenslagen dieser Gruppe nicht zugeschnitten sind.
Hieran anknüpfend lassen sich mit Blick auf die in die Policies des deutschen Wohlfahrtsstaates eingeschriebene ‚institutionalisierte Anerkennungsordnung’ eine Reihe von Fragen
formulieren, die zugleich das vorliegende Arbeitspapier strukturieren:
1. Welche Tätigkeiten und Verhaltensweisen von Individuen-in-Paaren sowie von Paaren
werden durch die Gewährung sozialer Rechte in welcher Weise anerkannt? Inwiefern lässt
sich dabei eine unterschiedliche Anerkennung verschiedener Tätigkeiten, etwa von Erwerbs- und Familienarbeit, sowie unterschiedlicher Paarformen feststellen? Dieser Frage
wird im ersten Kapitel anhand von Arbeiten aus der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung nachgegangen.
2. Wie lässt sich auf der Grundlage dieser Erkenntnisse die institutionalisierte Anerkennungsordnung im deutschen Wohlfahrtsstaat im Hinblick auf Paarbeziehungen, insbesondere im Hinblick auf Doppelkarrierepaare, beschreiben? Welche Wandlungstendenzen zeichnen sich ab, und welche Anschlussfragen ergeben sich daraus für die Analyse des Wandels
der institutionalisierten Anerkennungsordnung im Zuge der sozialpolitischen Reformen seit
Ende der 1990er Jahre? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels.
3. Im abschließenden dritten Kapitel werden die theoretischen und methodologischen Konsequenzen diskutiert, die sich aus den Ergebnissen für die empirische Untersuchung von
Anerkennungsverhältnissen innerhalb von DCCs ergeben. Wie kann das Verhältnis zwischen der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’ auf der Makroebene von Wohlfahrtsregimen bzw. sozialpolitischen Maßnahmen und den Deutungen und Handlungsstrategien von Individuen-in-Paaren konzipiert werden? Welche Themenkomplexe sind in den
geplanten Paar- und Einzelinterviews anzusprechen, um Einflüsse der ‚institutionalisierten
Anerkennungsordnung’ auf paarinterne Anerkennungschancen zu identifizieren?
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1. Anerkennung von Paaren: Erkenntnisse aus der Wohlfahrtsstaatsforschung
Paare stehen in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung nicht im Mittelpunkt des
Forschungsinteresses. Gefragt wird allenfalls nach dem Beitrag von Familien im Sinne von
privaten Haushalten2 zur Wohlfahrtsproduktion. Während die klassische politische Ökonomie sich bei der Untersuchung des Wohlfahrtsstaates auf die Rolle von Markt und Staat
konzentriert, lässt sich in jüngerer Zeit ein comeback der Familie in der WohlfahrtsstaatsForschung beobachten. Als Gründe hierfür benennt Esping-Andersen (1998b: 49) neben der
feministischen Kritik an bisherigen theoretischen Konzepten die Erosion der Ein-VerdienerKernfamilie mit männlichem Familienernährer und weiblicher Hausfrau, die das Fundament
wohlfahrtsstaatlicher Arrangements der Nachkriegszeit darstellte. Familien könnten oder
wollten heute aufgrund einer veränderten Struktur und eines veränderten Verhaltens die
ihnen zugedachte Funktion als Wohlfahrtsproduzentinnen nicht mehr in der überkommenen
Art und Weise erfüllen. Auch Franz-Xaver Kaufmann (2002: 266) plädiert für eine Berücksichtigung familiärer Leistungen in der Wohlfahrtsstaatsforschung: Zwar habe sich der Sozialstaat historisch als Ergänzung und teilweise Substitution familialer Leistungen entwickelt. Dennoch seien die in der Familie erbrachten Dienstleistungen, Transfers und Güterumverteilungen weiterhin ein notwendiger Beitrag zur Wohlfahrtsproduktion (ebd., 268).
Diese Leistungen seien allerdings umso weniger selbstverständlich, je wohlhabender eine
Gesellschaft werde und je mehr damit die Opportunitätskosten familiärer Leistungen ansteigen.
Wie Familien und die innerhalb von Familien erbrachten Leistungen allerdings in der Wohlfahrtsstaatsforschung Beachtung finden, unterscheidet sich je nach Forschungsfrage und
theoretischen Erklärungsversuchen, wie anhand der Debatte zwischen Esping-Andersen und
seinen KritikerInnen gezeigt wird. Dabei ist von zentralem Interesse, wie die Frage der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb der Familie, die Frauen die Zuständigkeit für
die unentgeltlichen familialen Leistungen zuschreibt, bei der Analyse berücksichtigt wird.
Im folgenden wird ein kurzer Überblick über die inzwischen weit verzweigte Debatte geboten, für den AutorInnen ausgewählt wurden, die wichtige theoretische Impulse einbrachten
oder sich empirisch mit der Analyse des deutschen Wohlfahrtsstaates beschäftigt haben.
Aus den theoretischen Überlegungen und empirischen Befunden feministischer AutorInnen
über die geschlechtsspezifische Gewährung sozialer Rechte an Individuen-in-Paaren lassen
sich für das Projekt relevante Erkenntnisse über die in wohlfahrtsstaatliche Institutionen
eingeschriebene Anerkennungsordnung im Hinblick auf Paare ableiten.
2
Dieser Familien-Begriff unterscheidet sich von der engeren familiensoziologischen Definition, wonach
Familie mehrere Generationen umfasst.
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Der Ausgangspunkt der Debatte: Esping-Andersens Regimetypologie
Gøsta Esping-Andersen (1990; 1998a) erklärt in seiner viel beachteten Studie über die drei
Welten des Wohlfahrtskapitalismus die Entstehung von Wohlfahrtsstaaten mit Hilfe des
Machtressourcen-Ansatzes. Dabei zieht er den unterschiedlichen Mobilisierungsgrad der
Arbeiterklasse als treibende Kraft bei der Erkämpfung sozialer Rechte, die eingegangenen
Koalitionen sowie das nationalstaatliche historische Erbe als Erklärung für die Herausbildung von liberalen, korporatistischen und sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten heran.
Diese Regimetypen unterscheidet Esping-Andersen entlang folgender Analysedimensionen:
1. Grad der Dekommodifizierung (Ausmaß, in dem der Wohlfahrtsstaat die Warenförmigkeit von Arbeitskraft durch die Gewährung sozialer Rechte abmildert);
2. Ausprägung der sozialen Stratifizierung;
3. Verhältnis von Markt, Staat und Familie.
Deutschland ist nach Esping-Andersens Analyse ein Beispiel für einen korporatistischen
Wohlfahrtsstaat: soziale Rechte sind stark klassen- und statusgebunden, die Sozialversicherung ist an eine Erwerbstätigkeit geknüpft. Dies führt zu einem mittleren Grad an Dekommodifizierung und sozialer Stratifizierung, der deutlich hinter der Universalisierung sozialer
Rechte und der „Gleichheit auf höchstem Niveau“ (Esping-Andersen 1998a: 45) im sozialdemokratischen Regimetyp zurückbleibt. Während der Staat Esping-Andersens Analyse
zufolge im liberalen Regime den Markt fördert, spielt staatliche Sozialpolitik sowohl im
korporatistischen als auch im sozialdemokratischen Regime eine zentrale Rolle. Im korporatistischen Typus sind wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen jedoch auf den Erhalt der traditionellen Familie bezogen. Der Staat greift auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips nur dann
ein, wenn die Selbsthilfekapazität der Familie erschöpft ist. Dagegen zeichnet sich der sozialdemokratische Typus durch eine Vergesellschaftung familialer Kosten und einen ausgebauten staatlichen Dienstleistungssektor aus, was individuelle Unabhängigkeit maximiert
und die Erwerbstätigkeit von Frauen fördert.
Allerdings wird der Beitrag der Familie von Esping-Andersen nicht systematisch für alle
Regimetypen analysiert; so wird ihre Wohlfahrtsleistung im liberalen Regimetypus vom
Autor nicht thematisiert. Soziale Rechte kommen in seiner Analyse lediglich in Form der
Dekommodifizierung der Ware Arbeitskraft in den Blick, d.h. als erwerbsarbeitsbezogene
soziale Rechte. Zudem blendet Esping-Andersen die Frage aus, wer innerhalb der Familie
wohlfahrtsstaatlich relevante Leistungen erbringt und ob daraus ebenfalls soziale Anspruchsrechte entstehen. Eine systematische Analyse der national unterschiedlich ausgeprägten Arbeitsteilung zwischen Wohlfahrtsstaat, Markt und Familie sowie der sozialen
Absicherung der innerhalb der Familien in erster Linie von Frauen erbrachten Sorgearbeit3
ist Gegenstand der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung, die in kritischer Auseinandersetzung mit Esping-Andersens Regimetypologie entstand.
3
Der in englischsprachigen Veröffentlichungen verwendete Begriff ‚care work’ wird hier mit Sorgearbeit übersetzt.
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Die feministische Kritik zielt nicht nur auf Inkonsistenzen in Esping-Andersens Analyse
(vgl. hierzu z.B. Lewis 1997), sondern richtet sich auch gegen den männlichen Bias der von
ihm genutzten theoretischen Erklärungen und Vergleichsdimensionen. Einige Autorinnen
nutzen einen modifizierte Variante des Machtressourcen-Ansatzes, um die Varianz wohlfahrtsstaatlicher Geschlechterregime zu erklären (vgl. z.B. Lagan/Ostner 1991, Lewis 1992,
Lewis/Ostner 1994, Orloff 1993, Dackweiler 2003 und 2005). Andere führen ergänzend
kulturell geprägte Geschlechterleitbilder, die in wohlfahrtsstaatlicher Politik ihren Niederschlag gefunden haben, als Erklärungsfaktor an (Pfau-Effinger 1998a, b und 2000, Sainsbury 1994 und 1999).
Die geschlechtsspezifische Gewährung sozialer Rechte
Ann Shola Orloff (1993) erweitert Esping-Andersens’ Ansatz für die vergleichende Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der sozialen Absicherung von Männern
und Frauen. Machtressourcen-TheoretikerInnen, so Orloff, ignorierten die unterschiedliche
Ausstattung von Männern und Frauen mit sozialen Rechten sowie die Machtbeziehungen
innerhalb der Familie, die sich aus der Verfügung von Männern über die unbezahlte Hausund Sorgearbeit und über die Körper von Frauen ergeben. Neben dem Fokus auf die Kompensation der Risiken des Arbeitsmarktes fordert Orloff die Berücksichtigung von Risiken,
die für Frauen aus ihrem Status als abhängige Familienangehörige resultieren. Anknüpfend
an Thomas H. Marshall (1992 [1949]) argumentiert sie, die unzureichende Ausstattung von
Frauen mit bürgerlichen Rechten (insbesondere bei der Verfügung über den eigenen Körper) und ihr später Zugang zu politischen Rechten habe zu Defiziten bei ihrer Ausstattung
mit sozialen Rechten geführt.4 Wohlfahrtsstaaten seien aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte paternalistisch und beeinflussten ihrerseits die Geschlechterverhältnisse, indem sie zur
Herausbildung von Identitäten und Mobilisierung von Interessen beitragen.
Das Ausmaß des Paternalismus von Wohlfahrtsstaaten kann nach Orloff anhand folgender
Indikatoren gemessen werden:
1. In der Dimension Dekommodifizierung, die Orloff mit sozialen BürgerInnenRechten gleichsetzt, seien (familien-)rechtliche Regelungen zu berücksichtigen, die
die Ausstattung von Frauen mit bürgerlichen Rechten beeinflussen, ebenso wie die
Ansprüche auf soziale Dienstleistungen;
2. In der Stratifizierungs-Dimension fordert Orloff die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Wirkungen der sozialpolitischen Behandlung bezahlter und unbezahlter
Arbeit;
3. Das Verhältnis Markt-Staat-Familie müsse um eine systematische Berücksichtigung
der Familie ergänzt werden. Aufgrund der ungleichen Machtverteilung innerhalb
der Familie könnten staatliche Maßnahmen eine egalisierende Wirkung entfalten,
4
Zur späten Gewährung bürgerlicher Rechte an Frauen in Deutschland und den Konsequenzen für die
Sozialpolitik vgl. Gerhard 2003.
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indem sie Haus- bzw. Fürsorgearbeit auf sozialstaatliche Dienstleister oder auf die
Männer verlagern.
Neben diesen an Esping-Andersen angelehnten Analysedimensionen schlägt Orloff zwei
ergänzende Kategorien vor:
4. den Zugang von Frauen zu bezahlter Arbeit oder „the right to be commodified“ (Orloff 1993: 318) und
5. ihre Fähigkeit, einen eigenständigen Haushalt führen zu können.
Die Überlegungen von Orloff erlauben eine detailliertere Analyse des Verhältnisses von
Markt, Staat und Familie, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sowie die unzureichende Kommodifizierung der Arbeit von Frauen berücksichtigt. Orloff analysiert die
geschlechtsdifferente Gewährung sozialer Rechte und liefert damit einen wichtigen Hinweis
auf unterschiedliche Anerkennungschancen für männliche Lohnarbeiter und Frauen als abhängige Familienangehörige. Dabei geht sie jedoch von einem männlichen Familienernährer mit nicht-erwerbstätiger Hausfrau als soziale Norm und gesellschaftliche Realität aus.
Das Einwirken des Wohlfahrtsstaates auf diesen Familientypus wird im Hinblick auf das
Geschlechterverhältnis als egalisierend gedacht; die Möglichkeit, dass wohlfahrtsstaatliche
Policies auch re-traditionalisierend wirken können oder über die Kommodifizierung von
Frauen neue, marktvermittelte Ungleichheiten entstehen, bleibt unberücksichtigt. Zudem
fehlt bei Orloff eine trennscharfe Unterscheidung zwischen normativen Leitbildern, konkreten wohlfahrtsstaatlichen Policies und dem Handeln von Paaren bzw. Individuen-in-Paaren.
Die Stärke des Ernährermodells
Auch Lewis (1992) kritisiert an Esping-Andersens Ansatz die Vernachlässigung der überwiegend von Frauen erbrachten unbezahlten Familienarbeit und legt eine eigene Typologie
europäischer Wohlfahrtsstaaten vor (vgl. auch Lewis/Ostner 1994). Lewis macht die wohlfahrtsstaatliche Behandlung bezahlter und unbezahlter Arbeit und sowie ihre Aufteilung
zwischen Frauen und Männern zum Ausgangspunkt ihrer Analyse. Sie plädiert für historisch-rekonstruktiv angelegte Länderfallstudien und entwickelt vorab kein Analyseraster für
einen systematischen Vergleich. Lewis geht davon aus, dass die Entstehung moderner
Wohlfahrtsstaaten historisch mit der Herausbildung von Geschlechterrollen zusammenfiel,
die für Männer eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit und für Frauen die Rolle der Hausfrau
und Mutter vorsahen. Dieses idealtypische Ernährermodell, das die soziale Realität der Mittelklasse abbildete, wurde zum gesellschaftlichen Leitbild.
Das Ernährermodell sei im Zeitverlauf durch das historische Erbe sowie durch unterschiedliche Politikprozesse in einzelnen Nationalstaaten modifiziert worden, was zu Unterschieden bei der Behandlung von Frauen in der Sozialversicherung, in der Ausstattung mit sozialen Dienstleistungen und bei der Position verheirateter Frauen auf dem Arbeitsmarkt geführt
habe. Bei einem starken Ernährermodell (Irland, Großbritannien; Lewis/Ostner 1994 nennen auch Westdeutschland) würden verheiratete Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten und
erwerben lediglich von ihrem Ehemann abgeleitete Ansprüche auf Sozialleistungen, da Sor-
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gearbeit überwiegend als unbezahlte Familienarbeit organisiert ist. Ein modifiziertes Ernährermodell (Frankreich) eröffne Frauen aufgrund einer pro-natalistischen Politik durch Familienleistungen und öffentliche Betreuungsangebote Wahlmöglichkeiten zwischen Erwerbsarbeit und Familientätigkeit, obwohl am männlichen Ernährermodell festgehalten werde.
Ein schwaches Ernährermodell (Schweden) fördere Doppelverdiener-Paare, da Sorgearbeit
überwiegend von öffentlichen Einrichtungen übernommen wird, die Besteuerung von Ehepaaren individualisiert ist und hohe Lohnersatzleistungen bei familienbedingten Unterbrechungen existieren.
Lewis setzt einen anderen Schwerpunkt als Orloff, indem sie auf die national unterschiedliche Weiterentwicklung des Ernährermodells verweist. Zudem unterscheidet sie zwischen
Familienleitbildern, der sozialen Realität und wohlfahrtsstaatlichen Policies, die mehr oder
weniger günstige Rahmenbedingungen für bestimmte Muster partnerschaftlicher Arbeitsteilung und der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen setzen. Das Handeln von Paaren bzw.
von Individuen-in-Paaren interpretiert sie als Anpassung an diese Rahmenbedingungen.
Lewis relativiert Orloffs These einer egalisierenden Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Politik,
indem sie darauf hinweist, dass die Vorzüge, die Schweden und Frankreich nach Einschätzung von Orloff für Frauen bieten, Nebenprodukt anderer politischer Zielsetzungen (z.B.
der pro-natalistischen Politik in Frankreich) seien. Der bei Esping-Andersen sowie bei Orloff vorhandene Fokus auf die Stratifizierungseffekte sozialstaatlicher Politik geht bei Lewis’ Analyseperspektive jedoch verloren.
Individualmodell versus Ernährermodell
Sainsbury (1994) kritisiert an der Typologie von Lewis und Ostner, dass sie nur solche sozialen Ansprüche von Frauen berücksichtige, die auf ihrem Status als Erwerbstätige bzw.
als abhängige Familienangehörige beruhen. Ansprüche, die aus der Übernahme von Sorgearbeit, aus dem BürgerInnen-Status oder aus Bedürftigkeit resultieren, könnten so nicht
erfasst werden. Im Unterschied zu Lewis und Ostner expliziert Sainsbury vor der Durchführung von Länderfallstudien ihre Vergleichsdimensionen. Diese umfassen das vorherrschende Familienleitbild, die auf dieser Basis konstruierten Anspruchsrechte und Beitragspflichten gegenüber dem Wohlfahrtsstaat (vom Ehemann abgeleitete vs. eigenständige Ansprüche
von Frauen; Individuen oder Familien als Empfänger), den Einfluss des Familienleitbilds
auf andere Policies, die die innerfamiläre Arbeitsteilung beeinflussen (vor allem Steuerpolitik, Beschäftigungspolitik und Lohnfestsetzung), sowie die Frage, ob Sorgearbeit überwiegend privat oder als öffentliche Dienstleistung bzw. unbezahlt oder bezahlt erbracht wird.
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Übersicht 1: Dimensionen zur Unterscheidung des Ernährer- und des Individualmodells
Dimension
Familienleitbild
Ansprüche
Basis der Ansprüche
Person, die die Leistungen erhält
Einheit der Ansprüche
Einheit der Beiträge
Besteuerung
Beschäftigungs- und
Lohnpolitik
Sorgesphäre
Sorgearbeit
Ernährermodell
Klare Arbeitsteilung
Mann = Verdiener
Frau = Sorgearbeit
Differenziert zwischen den Gatten
Ernährerstatus
Individualmodell
Geteilte Rollen
Mann = Erwerbs- und Sorgearbeit
Frau = Erwerbs- und Sorgearbeit
Gleich
Haushaltsvorstand
Haushalt oder Familie
Haushalt
Gemeinsame Besteuerung; Reduzierung für Abhängige
Bevorzugt Männer
Individuum
Individuum
Individuum
Getrennte Besteuerung, gleiche
Besteuerung
Zielt auf beide Geschlechter
Vorwiegend privat
Unbezahlt
Starkes Engagement des Staates
Bezahlte Komponenten
Anderes
Quelle: Sainsbury 1994: 153 (Übersetzung: Annette Henninger und Christine Wimbauer)
Auf der Basis dieser Analysedimensionen unterscheidet die Autorin zwei Idealtypen: Das
Individualmodell, in dem jedes Gesellschaftsmitglied individuell für seinen Unterhalt verantwortlich ist und individuell besteuert wird, wobei zugleich viele reproduktive Arbeiten
vom Wohlfahrtsstaat übernommen werden, und das Ernährermodell, das auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruht, die unbezahlte Sorgearbeit den Frauen zuweist.
Die Basis für soziale Ansprüche und für die Besteuerung ist hier die Familie, die über einen
dem männlichen Haushaltsvorstand gewährten Familienlohn subventioniert wird.
Die so gewonnenen Idealtypen nutzt Sainsbury als heuristisches Modell, um die sozialen
Rechte von Männern und Frauen in realen Wohlfahrtsstaaten (Großbritannien, USA, Niederlande und Schweden) in den späten 1960er Jahren zu vergleichen. Auf der Basis ihrer
empirischen Befunde unterscheidet Sainsbury (1999) zwei Varianten des Ernährermodells:
das Regime des männlichen Ernährers und das Regime getrennter Geschlechterrollen.
Letzteres beruht ebenso wie das Ernährermodell auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, gewährt Frauen jedoch auch Ansprüche auf der Basis von Mutterschaft. Den dritten
Regimetyp bezeichnet Sainsbury als Regime der geteilten Rollen („earner-carer regime“,
Übersetzung bei Flattich 2004: 16). Dieser Typus sieht gleiche Rechte und Pflichten für
Männer und Frauen vor, die Kosten von Kindern werden großzügig kompensiert und Familien durch ein öffentliches Betreuungsangebot entlastet. Soziale Rechte werden dabei auf
der Basis von Staatsbürgerschaft bzw. Wohnsitz gewährt.
Der Erkenntnisgewinn von Sainsburys Überlegungen für die Analyse der in wohfahrtsstaatliche Policies eingeschriebenen Anerkennungsordnung ist, dass sie neben arbeitsmarktbezogenen und abgeleiteten sozialen Rechten weitere Anspruchsgrundlagen für soziale Rechte
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(Mutterschaft, Staatsbürgerschaft bzw. Wohnsitz) in den Blick rückt. Ein weiterer Fortschritt ist die von Sainsbury vorgenommene Systematisierung der Analysedimensionen.
Allerdings treten aufgrund der Fokussierung auf die soziale Absicherung von Sorgearbeit in
ihrer Analyse die Dimensionen Dekommodifizierung und Stratifizierung in den Hintergrund. Zwar unterscheidet Sainsbury zwischen kulturell geprägten Familienleitbildern und
konkreten Policies; das Handeln von Paaren bzw. Individuen-in-Paaren wird von ihr allerdings ebenso wie bei Lewis und Ostner als Reaktion auf diese Rahmenbedingungen interpretiert.
Kulturelle Familienleitbilder als Ursache von Varianz
Birgit Pfau-Effinger (1998a) kritisiert ein verkürztes Verständnis der Wirkungen wohlfahrtsstaatlicher Politik bei feministischen Ansätzen: Viele AutorInnen gingen davon aus,
Frauen reagierten in ihrem Erwerbsverhalten entweder auf wohlfahrtsstaatliche Anreize
oder würden durch den Wohlfahrtsstaat daran gehindert, den ihnen unterstellten Wunsch
nach kontinuierlicher Vollzeiterwerbstätigkeit zu realisieren. Zudem sei die Annahme, die
männliche Versorgerehe sei generell an die Herausbildung moderner Industriegesellschaften geknüpft, empirisch nicht haltbar (Pfau-Effinger1998b). Pfau-Effinger erklärt Varianzen
in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und bei Familienformen statt dessen mit Wechselwirkung zwischen der kulturellen Ebene dominanter Familienmodelle, der Ebene der Institutionen (Wohlfahrtsstaat, Betriebe, Familie) und der Ebene sozialer AkteurInnen, deren
Aushandlungsprozesse zur Dominanz bestimmter Leitbilder und Policies führten (PfauEffinger 1998a, 183f.). Sie sieht ein potentielles Spannungsverhältnis zwischen dem Wandel von Familienleitbildern und wohlfahrtsstaatlicher Politik: Verändern sich die kulturellen
Orientierungen, während der Wohlfahrtsstaat an traditionellen Leitbildern festhält, spricht
sie von einem ‚institutional lag’, im umgekehrten Fall von einem ‚cultural lag’ (PfauEffinger 1998b: 184). Die Autorin unterscheidet Familienmodelle anhand von fünf Analysedimensionen:
1. Vorstellungen über das Verhältnis der Arbeitssphären von Frauen und Männern
(symmetrisch vs. komplementär);
2. Wertung beider Sphären (gleichwertig vs. hierarchisch);
3. kulturelle Leitbilder zu Kindheit und Elternschaft;
4. Konstruktion von Abhängigkeiten zwischen Frauen und Männern (Autonomie, gegenseitige oder einseitige Abhängigkeit);
5. kultureller Stellenwert der Familie neben anderen Lebensformen.
In ihren sozio-historischen Länderfallstudien unterscheidet Pfau-Effinger fünf Familienmodelle, die historisch aufeinander folgen können. In bäuerlich-handwerklichen Finnland habe
zunächst ein familienökonomisches Modell dominiert, bei dem alle Familienangehörigen
gemeinsam im Familienbetrieb arbeiteten und Frauen und Männer derselben gesellschaftlichen Sphäre zugeordnet waren. Dieses Modell wurde in den 1950er und 60er Jahren vom
Doppelversorgermodell mit staatlicher Kinderbetreuung abgelöst. In Deutschland und in
den Niederlanden entstand im städtischen Bürgertum ein Hausfrauenmodell der Versorger-
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ehe, das Erwerbsarbeit den Männern und die privat organisierte Haus- und Sorgearbeit den
Frauen zuordnete. Dieses Modell war in Holland bereits seit dem 17. Jahrhundert verankert.
In Deutschland wurde es im Zuge der Industrialisierung kulturell dominant und erst ab den
1950er Jahren mehrheitlich praktiziert. In beiden Ländern kam es in den 1960er und 70er
Jahren zu einer Modernisierung der Versorgerehe auf der Basis von Teilzeitarbeit. In den
Niederlanden bildete sich dabei ein Doppelversorgermodell mit partnerschaftlicher Kinderbetreuung heraus, bei dem – so die Autorin – Frauen und Männer an der Erwerbstätigkeit
und an der häuslichen Kinderbetreuung zu gleichen Anteilen partizipieren. Kindererziehung
gilt als private Aufgabe, was die Berücksichtigung der Doppelbelastung von Eltern im Erwerbssystem erfordert. In Westdeutschland wurde das Vereinbarkeitsmodell der Versorgerehe mit teilzeiterwerbstätiger Hausfrau und Mutter zum dominanten Familienleitbild. Allerdings lässt sich nach Pfau-Effinger in der sozialen Praxis eine Pluralisierung beobachten,
da sich die kulturellen Leitbilder und die Möglichkeiten zu ihrer Realisierung in verschiedenen Gruppen von Frauen unterschiedlich schnell gewandelt haben. So bevorzugten jüngere Frauen mehrheitlich das Vereinbarkeitsmodell, während bei älteren Frauen die Versorgerehe dominiere.
Während andere AutorInnen von einer historischen Dominanz des Ernährermodells in
Westeuropa ausgehen (vgl. z.B. Sainsbury 1994, Lewis 1992, Lewis/Ostner 1994, Crompton 2001), differenziert Pfau-Effinger dieses Bild, indem sie zwei Entwicklungspfade beim
Wandel von Familienmodellen nachzeichnet: 1. Modernisierung der Versorgerehe auf der
Basis von Teilzeitarbeit (Westdeutschland, Niederlande); 2. Ablösung des familienökonomischen Modells durch ein Doppelernährermodell bei kontinuierlicher, vollzeitiger Erwerbsintegration von Frauen (Finnland).
Pfau-Effinger zieht zudem eine für die Untersuchung der sozialpolitischen Rahmung von
Anerkennungsverhältnissen in Paarbeziehungen relevante theoretische Unterscheidung zwischen kulturellen Leitbildern, wohlfahrtsstaatlicher Politik und sozialer Praxis ein. Auch
konzipiert sie Erwerbsmuster und Familienmodelle nicht als Anpassung an die Vorgaben
auf der Makroebene wohlfahrtsstaatlicher Politik. Sie erklärt die empirisch beobachtbare
Varianz vielmehr mit Wechselwirkungen zwischen kulturellen Leitbildern, (wohlfahrtsstaatlichen) Institutionen und Aushandlungsprozessen zwischen sozialen AkteurInnen, wie
dem städtischen Bürgertum und nationale Frauenbewegungen. In ihrer empirischen Untersuchung konzentriert sich Pfau-Effinger allerdings auf die kulturelle Ebene der Familienleitbilder, wobei sie eine öffentliche und private Organisation von Betreuungsarbeit unterscheidet. Durch die Konzentration auf diese kulturalistische Perspektive treten in ihrer Analyse die Bedeutung (geschlechtsdifferenter) soziale Rechte sowie die stratifizierenden Wirkungen wohlfahrtsstaatlicher Politik in den Hintergrund.
Indem Pfau-Effinger – begünstigt durch die Auswahl ihrer Länderfallstudien – bei der Organisation von Kinderbetreuung lediglich zwischen privater Betreuung im Rahmen der Familie und staatlicher Betreuung unterscheidet, vernachlässigt sie zudem den Nexus der Familie mit Staat und Markt. So lässt sich empirisch durchaus auch eine marktförmige Orga-
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nisation von Betreuungsarbeit vorfinden: Neben den von Pfau-Effinger genannten Familienmodellen identifiziert Crompton (2001) in einer empirischen Studie zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf in Großbritannien, Frankreich und Norwegen eine weitere Variante
des Doppelverdienermodells, bei dem Sorgearbeit überwiegend von marktförmig organisierten Dienstleistern übernommen wird (zu empirisch auffindbaren Varianten der Arbeitsmarktintegration von Frauen sowie damit einhergehenden Betreuungsarrangements vgl.
auch Lewis 2001).
Familalisierung und De-Famililialisierung
Als Reaktion auf die feministische Kritik modifizierte Esping-Andersen (1998b) seine Analysedimensionen und räumte ein, dass sein Konzept der Dekommodifizierung auf der unzutreffenden Annahme beruhe, dass alle Individuen bereits kommodifiziert seien (ebd., 44).
Für Frauen bestehe das funktionale Äquivalent von Marktabhängigkeit in Familienabhängigkeit. Die Voraussetzung für ihre Dekommodifizierung sei demnach zunächst ihre Kommodifizierung, d.h. ihre Freistellung von familiären Verpflichtungen. Esping-Andersen
führt nun analog zu seinem Konzept der Dekommodifizierung ‚Familialisierung’ und ‚DeFamilialisierung’ als weitere Vergleichsdimension ein. Während familialistische Wohlfahrtsregime ein Maximum an Wohlfahrtsleistungen an private Haushalte delegierten, maximierten auf De-Familialisierung bedachte Regimes die Unabhängigkeit der Individuen
von familialen Verpflichtungen und böten damit bessere Voraussetzungen für die Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Um den Grad an Familialisierung bzw. De-Familialisierung in einem Land zu messen, zieht
Esping-Andersen empirische Daten zur wohlfahrtsstaatlichen Familienpolitik und den von
den Familien übernommenen Lasten heran. Die De-Familialisierung durch den Wohlfahrtsstaat misst der Autor mit Hilfe von vier Indikatoren:
1. prozentualer Anteil der Ausgaben für familiale Dienstleistungen (außer Gesundheit)
am Bruttosozialprodukt;
2. finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern durch Transfers und Steuerabzüge;
3. Anteil von Betreuungsplätzen für Kinder unter 3 Jahre;
4. Anteil von über 65-Jährigen, die häusliche Pflegeleistungen erhalten.
Die Intensität der familialen Wohlfahrtsproduktion misst er anhand von drei Indikatoren:
1. Zeitaufwand für unbezahlte Hausarbeit;
2. Anteil von Älteren, die bei ihren Kindern leben;
3. Anteil von Jugendlichen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit bei ihren Eltern leben.
Mit Hilfe statistischer Verfahren identifiziert Esping-Andersen (1998b) anhand dieser Indikatoren drei Ländercluster, die seinem Drei-Welten-Modell nahe kommen. Während in den
skandinavischen Ländern aufgrund der Bereitstellung familialer Dienstleistungen durch den
Staat die De-Familialisierung weit fortgeschritten sei, gilt Deutschland als Beispiel für den
konservativen Regimetyp, dessen Kern eine Mischung von statusbezogener Segmentierung
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und Familialismus darstelle. In den Ländern des konservativen Clusters bürdeten „servicepassive welfare states“ (ebd., 63) den Familien die Hauptlast der Sorgearbeit auf. Die Voraussetzung einer Kompensation der vom Wohlfahrtsstaat oder der Familie erbrachten Serviceleistungen durch Märkte zumindest bei besser verdienenden Familien sei ein Niedriglohnsektor für personale Dienstleistungen, wie das Beispiel der USA zeige. EspingAndersen argumentiert, dass der Familialismus des von ihm zunächst als korporatistisch,
später als konservativ bezeichneten Regime-Typs die Erhöhung der Geburtenraten und der
Frauenerwerbstätigkeit behindere und damit zu niedrigen Steuerquoten führe. Beide Faktoren sieht der Autor als zentral für den längerfristigen Erhalt von Wohlfahrtsstaaten an. Implizit erscheint dabei der in den skandinavischen Staaten verwirklichte sozialdemokratische
Regimetyp als erstrebenswertes Modell, in dem Frauen wie Männer im Sinne eines ‚adult
worker models’ (Lewis 2004) in den Arbeitsmarkt integriert sind.
Esping-Andersen reagiert mit dieser Erweiterung seiner Analysedimensionen auf die feministische Kritik an seinen früheren Arbeiten und bezieht nunmehr die Familie systematisch
in seine Analysen ein. Allerdings bleiben die Arbeitsteilung innerhalb der Familie, die
Frauen nach wie vor die Sorgearbeit zuweist, sowie ihre Benachteiligung am Arbeitsmarkt
auch in Esping-Andersens überarbeiteter Regime-Typologie unberücksichtigt.
Ein Gewinn von Esping-Andersens erweiterter Regimetypologie ist die Einordnung von
Ländern anhand empirisch messbarer Indikatoren, wenn auch die Auswahl dieser Indikatoren auf Kritik stieß. So legt z.B. Bambra (2004) eine alternative Definition von DeFamilialisierung zugrunde, die sich darauf bezieht, inwiefern der Wohlfahrtsstaat die Abhängigkeit von Frauen von der Familie reduziert und ihre ökonomische Unabhängigkeit
stärkt. Bambra zieht zur Messung von De-Familialisierung andere Indikatoren heran, die sie
für gendersensibler hält:
1. Beschäftigungsquote von Frauen;
2. Leistungen für Mutterschutz;
3. Dauer des bezahlten Mutterschutzes;
4. durchschnittliche Frauenlöhne.
Die Autorin kommt allerdings bei der Länderzuordnung zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie
Esping-Andersen; nur vier Länder (Canada, Irland, UK, Japan) wurden anders eingeordnet.
Sie sieht daher Esping-Andersens Regime-Typologie im Wesentlichen als bestätigt an.
Allerdings bleibt seine Forderung nach einer De-Familialisierung und Kommodifizierung
von Frauen umstritten. Die Kritik richtet sich zum einen gegen Esping-Andersens Standpunkt, dass care work ‚de-familialisiert’ d.h. auf Staat oder Markt verlagert werden könne
und sollte, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern. Lewis (2002: 346) hält es für
unwahrscheinlich, dass Sorgearbeit vollständig kommodifiziert werden könne; zudem leisteten diese Maßnahmen keinen Beitrag zur gleichberechtigten Verteilung von care work
zwischen Männern und Frauen sowie zur verbesserten Anerkennung dieser Tätigkeiten.
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Die Forderung nach der Kommodifizierung von Frauen, so ein weiterer Kritikpunkt an
Esping-Andersen und weiteren VerfechterInnen des adult worker models, gehe zudem an
der nach wie vor bestehenden Geschlechtersegregation und der zunehmenden Prekarisierung des Arbeitsmarktes vorbei (Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004, Lewis 2002 und
2004). So gehe der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit mit einem hohen Anteil an (kurzer)
Teilzeit einher, vor allem bei verheirateten Müttern. Die erzielbaren (Teilzeit)-Einkommen
und die daraus resultierenden Sozialversicherungsleistungen seien häufig nicht existenzsichernd.
Reformen des Wohlfahrtsstaates: Auf dem Weg zum adult worker model?
Zum Zeitpunkt dieser zweiten Runde der Debatte zwischen Esping-Andersen und seinen
KritikerInnen waren in einigen westlichen Wohlfahrtsstaaten bereits tiefgreifende Reformen
durchgeführt worden, die in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung eine Debatte
über den Umbau (restructuring) oder den Abbau (retrenchment) von Wohlfahrtsstaaten entfachten (vgl. exemplarisch Pierson 1996; Clayton/Pontussen 1998). Im Zuge dieser Reformen zeichnete sich auf der Ebene supranationaler Organisationen wie der EU und der
OECD ein Leitbildwandel ab, bei dem das Ernährermodell durch ein adult worker Modell
abgelöst wurde (Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004).
Auf der Ebene der Policy-Instrumente, so Lewis (2002), habe sich allerdings noch wenig
geändert: Die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen entspreche häufig nicht den Anforderungen des adult worker models, und die Gewährung von Transfers sei teilweise nicht
an das individuelle Einkommen, sondern an das Haushalts-Einkommen geknüpft. Zudem
würden unterschiedliche Gruppen von Frauen unterschiedlich behandelt: während davon
ausgegangen werde, dass verheiratete Frauen von ihren Ehemännern unterstützt werden,
würden Alleinerziehende in einigen Ländern (z.B. Niederlande, Großbritannien) verstärkt in
den Arbeitsmarkt gedrängt. Lewis kommt zu dem Schluss, dass Personen, die Sorgearbeit
übernehmen, im adult worker model benachteiligt sind; dies betreffe vor allem Frauen (Lewis 2002: 344f.):
„This means that in a world in which individualization and the capacity for self-provisioning is
increasingly being assumed by policy-makers, carers are profoundly disadvantaged. It also
means that care continues to be associated with women rather than with both the sexes.“
Lewis fordert zur Vermeidung individueller und sozialer Folgekosten eine aktive Politik zur
Aufwertung und Umverteilung von Reproduktionsarbeit. Es müssten Anreize geschaffen
werden, um Familienarbeit für Männer attraktiver zu machen, wie eine gegenseitige Übertragung von Rentenansprüchen in Paarbeziehungen sowie ein Grundeinkommen für Menschen, die einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, z.B. in Form von Sorgearbeit. Denkbar sei
auch eine Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit im Lebensverlauf. Damit
setzt Lewis in erster Linie auf die Umverteilung von Sorgearbeit innerhalb von Paarbeziehungen.
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Sofern Wohlfahrtsstaaten im Zuge der Reform ihrer sozialen Sicherungssysteme stärker auf
Eigenvorsorge setzen, kann dies einschneidende Konsequenzen für Frauen haben, da sie
aufgrund häufig geringer Einkommen oftmals keine marktförmige Zusatzvorsorge, z.B. bei
der Kranken- und Rentenversicherung, betreiben können. Auch bei der sozialen Absicherung von Frauen besteht also trotz ihrer Kommodifizierung weiterhin ein ‚gender gap’: „In
ihren Erwerbschancen eingeschränkt, bleiben Frauen zugleich abhängig von einem zweiten
Einkommen: von Leistungen des Partners oder von Transferzahlungen“ (Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004: 15).
Die Art der Sicherheitserbringung
Anknüpfend an die zunehmenden Anforderungen an Eigenvorsorge, die in einigen Wohlfahrtsstaaten im Zuge sozialpolitischer Reformen an die Individuen gerichtet werden, ist ein
von Ludwig-Mayerhofer und Allmendinger (2004) entwickeltes Konzept für die vergleichende Analyse von Geldarrangements in Paarbeziehungen von Interesse. Die AutorInnen
kritisieren die implizite Grundannahme vieler Arbeiten der vergleichenden Wohlfahrtstaatsforschung, Makro-Kontexte beeinflussten als „Gelegenheits- oder Verhinderungsstrukturen“ das Verhalten der Akteure auf der Mikroebene. Dies decke sich nicht mit empirischen
Befunden zum Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit trotz unveränderter wohlfahrtstaatlicher
Rahmenbedingungen. Sie schlagen folgende Analysedimensionen für den Vergleich von
Geldarrangements in Paarbeziehungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten vor, aus
denen sie Forschungshypothesen ableiten, die empirisch zu überprüfen seien:
1. (staatliche) Politiken des Gebens und Nehmens, die individuell oder haushaltsbezogen ausgerichtet sind;
2. die Art der Sicherungserbringung, die entweder auf Selbstorganisation setzt oder
staatlich vororganisiert ist;
3. Kulturelle Vorstellungen über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die traditionell oder egalitär sein können;
4. Kulturelle Wahrnehmungsmuster und Werte, die sich als individualistisch oder kollektivistisch charakterisieren lassen.
Aufgrund der Untersuchungsfrage nach Geldarrangements in Partnerschaften fokussieren
Ludwig-Mayerhofer und Allmendinger damit ähnlich wie andere AutorInnen auf kulturelle
Geschlechter- bzw. Familienleitbilder sowie auf Individuen bzw. Haushalte als ‚unit of benefits’ und ‚unit of contributions“ (Sainsbury 1994). Mit der Verantwortlichkeit für die soziale Absicherung führen sie eine zusätzliche Analysedimension ein, die angesichts wohlfahrtsstaatlicher Reformen an Relevanz gewinnt.
Positive und negative Maßnahmen der De- bzw. Re-Familialisierung
Leitner/Ostner/Schratzenstaller (2004) fragen danach, ob sich der auf der Ebene supranationaler Organisationen beobachtbare Leitbildwandel vom traditionellen Ernährermodell zu
einem adult worker model auch in Deutschland abzeichnet, inwiefern sich dadurch Verschiebungen im Welfare-Mix im Sinne einer De-Familialisierung bzw. Re-Familialisierung
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ergeben und welche Auswirkungen für das Geschlechterverhältnis sowie mit Blick auf Unterschiede zwischen Frauen mit dieser neuen Entwicklung verbunden seien.
Unter Bezugnahme auf Berger und Offe (1982) weisen die Autorinnen zunächst darauf hin,
dass es keiner westlichen Gesellschaft gelang, alle Erwerbsfähigen in den Arbeitsmarkt zu
integrieren und mit ausreichendem Erwerbseinkommen zu versorgen; daher ging die Arbeitsmarkt-Integration einer Gruppe häufig mit der partiellen, häufig staatlich subventionierten Herausnahme anderer Gruppen einher. Entlang der Frage, ob staatliche Maßnahmen
den Zwang zur Arbeitsmarktbeteiligung erhöhen oder Wahlmöglichkeiten zwischen Erwerbsarbeit und alternativen Formen der Existenzsicherung schaffen, unterscheiden Leitner,
Ostner und Schratzenstaller zwischen ‚positiven’ und ‚negativen’ Maßnahmen der (Re)Kommodifizierung und Dekommodifizierung. Die (Re-)Kommodifizierung von Frauen
erfordere zunächst ihre De-Familialisierung; diese könne ebenfalls durch negative (d.h. den
Erwerbszwang verstärkende) und positive (d.h. Optionen schaffende) Maßnahmen erreicht
werden.
In den sozialpolitische Reformen in Deutschland sehen die Autorinnen Tendenzen in beide
Richtungen – einerseits werde der Erwerbszwang erhöht und damit Wahlmöglichkeiten
eingeschränkt, andererseits ließen sich aber auch Verbesserungen der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und eine Erweiterung von Optionen beobachten (Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004: 18f.).
Als Maßnahmen, die zu einer negativen De-Familialisierung beitragen, sehen sie die Abschaffung oder Reduzierung von abgeleiteten Ansprüchen, z.B. die Reform der Witwenund Witwerrenten (2001); weitere Änderungen stünden zur Diskussion, so z.B. die beitragsfreie Mitversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie das steuerliche Ehegattensplitting. Diese Änderungen führten vor allem für nicht erwerbstätige kinderlose verheiratete Frauen zu Verschlechterungen. Anzeichen für eine negative Re-Familialisierung
sehen die Autorinnen in den Rentenkürzungen der letzten Jahre sowie in der Kürzung von
Leistungen und Diensten für ältere und chronisch kranke oder behinderte Menschen; dies
treffe vor allem (ältere) Frauen mit geringem eigenen Einkommen.
Andererseits gebe es auch Anzeichen für eine positive De-Familialisierung. Hierzu zählen
die Autorinnen die Einführung der Pflegeversicherung (1995 für ambulante, 1997 für stationäre Leistungen), die Familien tendenziell von Pflegearbeit entlaste; allerdings verweise
der Vorrang ambulanter Leistungen und die Pauschalierung der Pflegesätze Pflegebedürftige wiederum auf familiale Selbsthilfe. Der seit 1993 bestehende Rechtsanspruch auf einen
(Halbtags-)Kindergartenplatz, die Verbesserung der rentenrechtlichen Anerkennung von
Kindererziehungszeiten für teilzeit-erwerbstätige Eltern im Jahr 2001, die Einführung flexibler Elternzeit (2001), eines Rechts auf Teilzeitarbeit (2002) sowie von Steuerfreibeträgen
für Haushaltshilfen oder private Kinderbetreuung (2002) erweiterten die Möglichkeiten für
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und seien damit Beispiele für eine positive DeFamilialisierung. Diese Regelungen begünstigten vor allem verheiratete Mütter, d.h. Haus-
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halte mit zwei Einkommen, die sich Teilzeitarbeit eines Partners oder den Zukauf von
Haushalts- und Betreuungsdiensten leisten könnten. Als positive Re-Familialisierung werten Leitner u. a. die im Jahr 2001 verbesserte rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten für nicht erwerbstätigen Eltern mit mindestens zwei Kindern, die Förderung
der freiwilligen privaten Altersvorsorge (‚Riester-Rente’) auch für nicht erwerbstätige Ehegatten (2001) sowie den Zuschlag zur Witwen- und Witwerrente für Kindererziehende
(2001).
Diese widersprüchlichen Tendenzen führten, so die Autorinnen, einerseits zur Einschränkung, andererseits zur Erweiterung weiblicher Lebensentwürfe. Allerdings sei zu bedenken,
dass Frauen aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation schneller auf
bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen bzw. auf familiale Unterstützung angewiesen seien als
Männer. Der Abbau von Sozialleistungen habe daher besonders harte Konsequenzen für
Alleinerziehende und alleinstehende arme, kranke oder pflegebedürftige Menschen, in der
Regel also für Frauen.
Als positiv ist an der Analyse von Leitner, Ostner und Schratzenstaller hervorzuheben, dass
sie mit ihren Überlegungen zu den Auswirkungen marktförmiger Zusatzvorsorge auf untere
Einkommensgruppen implizit die Dimension der Stratifizierung wieder in die Analyse einführen. Zudem unterscheiden sie bei der Abschätzung der Folgen sozialpolitischer Maßnahmen zwischen unterschiedlichen Gruppen von Frauen (verheirat/unverheiratet, Mütter/kinderlose Frauen, Alleinerziehende/vollständige Familien). Damit kommen sie zu einer
differenzierten Sicht der Folgen eines Leitbildwandels hin zum adult worker model für
Frauen; allerdings bleiben die Folgen für Männer aus der Analyse ausgeblendet.
Problematisch ist jedoch, dass die Autorinnen nicht zwischen abgeleiteten und eigenständigen sozialen Rechten z.B. auf der Basis von Mutterschaft und Staatsbürgerschaft unterscheiden und damit hinter den bereits erreichten Stand der Analyse zurückfallen. Daher
erscheinen re-familialisierende Maßnahmen, die auf der Gewährung abgeleiteter Rechte
beruhen, in ihrer Analyse teilweise als positiv. Auch die Forderung nach Wahlmöglichkeiten zwischen Erwerbstätigkeit und alternativen Formen der Existenzsicherung (gemeint ist
hier: staatlich subventionierte Sorgearbeit)5 ist zumindest ambivalent: solange Sorgearbeit
nicht als gleichwertig anerkannt und umverteilt wird, gibt es keine echte Wahlfreiheit – und
vermutlich auch keinen Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, wie Fraser
(2001) herausstellt.
Das Modell der universellen Betreuungsarbeit
Ein weiterer interessanter Ertrag der feministischen Debatte für das Projekt, der Unterschiede in der Anerkennung von Erwerbs- und Sorgearbeit in den Blick nimmt, sind die Überlegungen von Nancy Fraser (2001). Fraser analysiert idealtypische geschlechterpolitische
5
Zur Forderung nach Wahlmöglichkeiten für Frauen zwischen der Übernahme bezahlter und unbezahlter Arbeit vgl. auch Lewis 1997: 173f.
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Strategien daraufhin, inwiefern sie geeignet sind, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen.
Bei der Bewertung legt sie einen Katalog aus sieben Einzelkriterien zugrunde (Bekämpfung
von Armut und Ausbeutung, Gleichheit von Einkommen und Freizeit; gleiche Achtung,
Bekämpfung von Marginalisierung und Androzentrismus). Eine Gleichheit der Geschlechter ergibt sich ihrem Konzept zufolge aus dem Zusammenspiel dieser Kriterien, die sowohl
auf Umverteilung als auch auf Anerkennung zielen.
Zwar schneide das Modell der allgemeinen Erwerbstätigkeit, das dem adult worker model
nahekommt, laut Fraser bei der Bekämpfung von Armut und Ausbeutung gut ab, weise aber
bei den übrigen Kriterien Mängel auf. So bleibe das Einkommensgefälle zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten sowie zwischen ArbeitsplatzbesitzerInnen und Nichterwerbstätigen bestehen. Auch gleiche Freizeit könne nicht erreicht werden, da sich nicht alle reproduktiven Tätigkeiten an den Markt oder an den Staat auslagern ließen und keine Anreize für
Männer geschaffen würden, sich daran zu beteiligen. Inklusion werde im Wesentlichen über
eine Vollzeiterwerbstätigkeit geschaffen, was die Gefahr der Missachtung von Menschen
berge, die diese Rolle nicht oder nur unvollständig ausfüllen können. Bei der Bekämpfung
des Androzentrismus sei diese Strategie ebenfalls nicht weiterführend, da sie das männliche
Normalarbeitsverhältnis zur Norm erhebe und Haus- und Sorgearbeit lediglich als lästige
Pflicht betrachte, die an andere delegiert würde.
Strategien, die auf die Aufwertung von Sorgearbeit zielen, bezeichnet Fraser als Modell der
Gleichstellung von Betreuungsarbeit. Selbst unter idealen Bedingungen, d.h. bei gleicher
Bezahlung und sozialer Absicherung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit, sei die Inanspruchnahme von dieser Rechte mit Folgekosten verbunden: diese Strategie könne nicht
verhindern, dass Frauen am Arbeitsmarkt diskriminiert und auf befristete oder TeilzeitArbeitsplätze abgeschoben würden. Dies vermindere zwar ihre zeitliche Doppelbelastung
durch Erwerbs- und Familienarbeit, verstärke aber die Auffassung, dass Familienarbeit
Frauenarbeit sei, und trage nicht zu gleicher Achtung beider Geschlechter bei, zumal von
Männern keine Veränderungen verlangt würden.
Mit ihrem Modell der universellen Betreuungsarbeit entwickelt Fraser einen Vorschlag zur
Synthese beider Strategien. Soziale Rechte und Pflichten in diesem Modell beziehen sich
auf die Beteiligung beider Geschlechter an care work und Erwerbsarbeit. Die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie soll durch Arbeitszeitverkürzung und die Bereitstellung sozialer
Dienste gewährleistet werden; zugleich sollen sich alle BürgerInnen in privaten Haushalten
oder zivilgesellschaftlichen Einrichtungen an Sorgearbeit beteiligen. Dieses Modell soll
dem Problem abhelfen, dass soziale Rechte, die auf der Anerkennung von Sorgearbeit beruhen, häufig auf der Frauen zugeschriebenen Geschlechterrolle basieren und damit Differenzen zwischen den Geschlechtern verfestigen.
Damit strebt Fraser neben der Anerkennung und Aufwertung von Sorgearbeit auch die Umverteilung dieser Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern sowie zwischen Eltern und Kinderlosen an. Auf diese Weise umgeht ihr Modell das Problem, eine staatlich alimentiere
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Nische für Personen mit schlechten Arbeitsmarktchancen zu schaffen, die – wie die Inanspruchnahme von Erziehungszeiten zeigt – überwiegend von Frauen besetzt ist. Allerdings
führt Fraser nicht aus, wie dies ohne Zwangsmaßnahmen zu erreichen wäre, die sich vermutlich negativ auf die Qualität der zu leistenden Sorgearbeit auswirken würden.
Frasers Überlegungen sind eher normativer Art, können aber durchaus für empirische Überlegungen fruchtbar gemacht werden. So nutzt z.B. Woods (2005) unter Bezug auf Fraser die
Verteilung von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit innerhalb eines Paars sowie zwischen Menschen mit und ohne zu betreuende Angehörige als Kriterien zur Messung von Geschlechtergleichheit. Im nächsten Schritt analysiert die Autorin anhand dieser Kriterien familienpolitische Reformen in den Feldern Arbeitsmarktaktivierung, Steuervergünstigungen, Elternzeit
und Kinderbetreuung in den USA und in Großbritannien. Woods kommt zu dem Ergebnis,
dass familienpolitische Reformen in beiden Ländern nicht zur Verringerung der Ungeschütztheit von care work führten und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb
der Familie eher verfestigten, wobei sie allerdings in Großbritannien Tendenzen in Richtung Frasers Modell der Gleichstellung von Betreuungsarbeit sieht.
2. Die institutionalisierte Anerkennungsordnung im deutschen Wohlfahrtsstaat
Die bei der Weiterentwicklung der analytischen Konzepte der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung gewonnenen Erkenntnisse erlauben eine erste Annäherung an die Beschreibung der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’ im deutschen Wohlfahrtsstaat im
Hinblick auf Paare und Geschlecht.
Hierzu können zu einen die von Esping-Andersen entworfenen und von seinen feministischen KritikerInnen weiterentwickelten Analysedimensionen herangezogen werden. Die
vorgestellten Arbeiten ermöglichen eine Identifikation von relevanten Policies, die Rahmenbedingungen für Anerkennungsverhältnisse in Paarbeziehungen setzen, und sensibilisieren für geschlechterdifferente Wirkungen ihrer Ausgestaltung. Hierbei handelt es sich
insbesondere um die Arbeitsmarkt-, Familien- und Steuerpolitik sowie die sozialstaatlich
gerahmte Absicherung gegen Risiken wie Krankheit, Alter, Erwerbslosigkeit und Armut.
Auf der Basis dieser konzeptionellen Überlegungen und empirischen Befunden lässt sich
eine erste Charakterisierung des Wohlfahrtsregimes in Deutschland Ende der 1990er Jahre
vornehmen.
Zum anderen kann die von Birgit Pfau-Effinger eingeführte analytische Unterscheidung
zwischen Leitbildern, Policies und individuellem Handeln für die Analyse von Anerkennungsverhältnissen fruchtbar gemacht werden. Zwischen dem Wandel gesellschaftlicher
Leitbilder und dem Wandel von Policies kann es durchaus zu Ungleichzeitigkeiten kommen, wie Pfau-Effinger (1998a, b) hervorhebt: bei einem ‚institutional lag’ verändern sich
gesellschaftliche Leitbilder schneller als die politischen Institutionen einer Gesellschaft, bei
einem ‚cultural lag’ hinken gesellschaftliche Leitbilder dem Wandel von Policies hinterher.
In Deutschland lassen sich gegenwärtig Tendenzen in beide Richtungen beobachten, wie
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sich anhand der empirisch beobachtbaren Pluralisierung von Geschlechterverhältnissen
sowie anhand von Beharrungs- und Wandlungstendenzen in einzelnen Politikfeldern zeigen
lässt.
Indikatoren zur Charakterisierung der institutionalisierten Anerkennungsordnung
Die von Esping-Andersen eingeführten Analysedimensionen wurden von seinen feministischen Kritikerinnen stark ausdifferenziert. Dies trifft insbesondere auf die Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Markt, Staat und Familie zu, das bei Esping-Andersen einige
Unschärfen aufwies. Hier wurde ergänzend auf die Rolle von Leitbildern verwiesen, insbesondere auf kulturelle Vorstellungen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dominante Vorstellungen über Familie, Kindheit und Elternschaft (Sainsbury 1994, PfauEffinger 1998 a, b), die in wohlfahrtsstaatliche Policies einfließen und so wiederum die
Arbeitsteilung innerhalb der Familie beeinflussen. Ebenso müsse die gesellschaftliche Organisation von care work bzw. der Zugang zu sozialen Dienstleistungen in die Analyse des
Verhältnisses von Markt, Staat und Familie einbezogen werden (Orloff 1993, Sainbury
1994, 1999).
Auch um den Dekommodifizierungsbegriff wurde eine intensive Debatte geführt, ausgehend
von der Feststellung, dass nur Personen in den Genuss dekommodifizierender sozialer
Rechte kommen, die zuvor bereits kommodifiziert worden sind. Dies trifft für nicht erwerbstätige Frauen bzw. für Personen, für die ein Erwerbseinkommen lediglich ein Zuverdienst ist, nicht bzw. nur eingeschränkt zu. Orloff (1993) schlug daher den Zugang von
Frauen zu bezahlter Arbeit sowie ihre Fähigkeit, einen eigenständigen Haushalt zu führen,
als zusätzliche Analysedimensionen vor.
Während dieser Diskussionsstrang auf die Frage abzielt, ob und inwieweit ein Wohlfahrtsstaat Frauen eine eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit ermöglicht, wurde
im Laufe der Debatte auch eine Erweiterung des Dekommodifizierungsbegriffs dahingehend vorgeschlagen, soziale Rechte auf der Basis von Mutterschaft oder Staatsbürgerschaft
in die Analyse einzubeziehen (Sainsbury 1994). Zudem wurden Politiken des Gebens und
Nehmens danach unterschieden, ob sie auf die Familie oder auf das Individuum ausgerichtet sind (Sainsbury 1994, Ludwig-Mayerhofer/Allmendinger 2004). Ludwig-Mayerhofer
und Allmendinger führen zudem als weitere Analysedimension die Art der Sicherungserbringung ein, die selbst organisiert oder staatlich vororganisiert sein kann.
Die von Esping-Andersen eingeführte Kategorie der Stratifizierung, die auf die Beeinflussung von Einkommensunterschieden durch Sozialpolitik abzielt, rückte im Laufe der Debatte in den Hintergrund. Diese Dimension gewinnt allerdings im Zuge sozialpolitischer Reformen, die verstärkt auf Eigenleistungen bei der Risikovorsorge setzen, (wieder) an Bedeutung.
Esping-Andersen (1998b) führt bei der Weiterentwicklung seiner Analyse den Begriff der
Defamilialisierung ein, um die Entlastung von Familienarbeit durch die Bereitstellung sozi-
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aler Dienstleistungen zu erfassen. Auch bei dieser Analysedimension führte die feministische Kritik zu einer Ausdifferenzierung: Leitner, Ostner und Schratzenstaller unterscheiden
eine ‚positive’ Re- bzw. De-Familialisierung, die Wahlmöglichkeiten zwischen Erwerbsarbeit und alternativen Formen der Existenzsicherung schafft, und einer ‚negativen’ Re- bzw.
De-Familialisierung, die den Zwang zur Arbeitsmarktbeteiligung oder die Abhängigkeit
von der Familie erhöht. Da Sorgearbeit zudem nicht vollständig an den Markt oder an den
Staat verlagert werden kann, fordern einige Autorinnen zusätzlich eine Umverteilung von
care work zwischen den Geschlechtern (z.B. Lewis 2002) oder auch zwischen Personen mit
und ohne Betreuungsverantwortung (Fraser 2001).
Das Wohlfahrtsregime in Deutschland Ende der 1990er Jahre
Die im Rahmen der geschlechtersensiblen, vergleichend angelegten Wohlfahrtsstaatsdebatte
entwickelten Typologien ermöglichen die Beschreibung nationaler Varianten von Wohlfahrtsstaaten in einem bestimmten historischen Moment. Deutschland gilt dabei noch Ende
der 1990er Jahre als Beispiel für ein konservativ-korporatistisches Wohlfahrtsregime, dessen Geschlechterleitbild sich vom traditionellen Ernährermodell zu einem Vereinbarkeitsmodell der Versorgerehe mit teilzeiterwerbstätiger Hausfrau und Mutter gewandelt hat.
Dieses Leitbild wurde im Zuge des Institutionentransfers nach der deutschen Vereinigung
auch auf Ostdeutschland übertragen, wo allerdings nach wie vor das DoppelverdienerModell als kulturelles Leitbild dominiert (vgl. Schenk 1995, Dölling 2003).
Das korporatistische Regime zeichnet sich nach Esping-Andersen (1990, 1998) durch die
Vorrangstellung der Sozialversicherung bei der Absicherung arbeitsmarktbezogener Risiken aus. Die Art der Sicherungserbringung lässt sich dabei mit Ludwig-Mayerhofer und
Allmendinger (2004) als weitgehend staatlich vororganisiert charakterisieren – auch wenn
sich im Zuge aktueller sozialpolitischer Reformen eine zunehmende Bedeutung von Eigenvorsorge abzeichnet. Das Versicherungsprinzip bei der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung begünstigt Personen mit einer durchgängigen Erwerbsbiographie. Führen
die im Sozialversicherungssystem erworbenen Ansprüche nicht zu existenzsichernden Leistungen, ist auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips zunächst die Familie (Ehepartner bzw.
Eltern und Kinder) zu finanzieller Unterstützung verpflichtet. Die Sozialhilfe bzw. ALG II
(seit 0.01.2005) als bedürftigkeitsgeprüfte Sozialleistung auf niedrigem Niveau wird nur
dann gezahlt, wenn die Selbsthilfekapazität der Familie erschöpft ist.
Auch bei der gesellschaftlichen Organisation von Betreuungsarbeit greift der konservativkorporatistische Wohlfahrtsstaat auf die Familie zurück. Aufgrund von kulturellen Leitbildern über Familie und Elternschaft gilt Betreuungsarbeit als eine Tätigkeit, die von Frauen
im privaten Rahmen der Familie zu leisten ist (Pfau-Effinger 1998a, b). Dementsprechend
werden kaum soziale Dienstleistungen bereitgestellt, die Familien bzw. die Frauen in diesen
Familien von Betreuungsaufgaben entlasten. Für die Übernahme von Betreuungsarbeit können zwar sozialrechtliche Ansprüche (Freistellungsmöglichkeiten wie Elternurlaub bzw.
Elternzeit, Recht auf Teilzeitarbeit, finanzielle Transfers, Anrechnungszeiten in der Renten-
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versicherung) erworben werden. Diese bleiben aber bei ihrer Höhe deutlich hinter den erwerbsarbeitsbezogenen Leistungen zurück, was auf eine ungleiche Anerkennung von Erwerbs- und Familienarbeit hindeutet.
Eine gemeinsame steuerliche Veranlagung und der Erwerb von abgeleiteten Rechten (Witwen/Witwerrenten, kostenlose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung)
sind nur in der Ehe möglich. Das Ehegattensplitting im Steuerrecht bringt durch die Verdoppelung des steuerfreien Grundfreibetrags und durch die Abmilderung von Progressionseffekten die höchste Steuerersparnis bei Nicht-Erwerbstätigkeit eines Ehepartners, während
der Splitting-Effekt bei gleicher Einkommenshöhe entfällt (Dingeldey 2000, Spangenberg
2005). Heterosexuelle Paarbeziehungen werden über die Ehe anerkannt und unabhängig
vom Vorhandensein von Kindern steuerlich besser gestellt und sozialrechtlich abgesichert.
Zwar wurden in den letzten Jahren auch anderen Paarformen neue Rechte gewährt, etwa
unverheirateten Eltern und eingetragenen (homosexuellen) Lebenspartnerschaften; diese
Paarformen erlauben jedoch nicht den Erwerb von abgeleiteten Ansprüchen. Politiken des
Gebens und Nehmens sind damit in Deutschland in erster Linie auf die Ehe ausgerichtet,
wobei die (modernisierte) Ernährerehe sozial- und steuerrechtlich privilegiert wird.
Der Zugang von Frauen zu bezahlter Arbeit ist im konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaat eingeschränkt: Am Arbeitsmarkt können Männer augrund der ihnen zugeschriebenen Rolle als Familienernährer ein höheres Einkommen erzielen. Aufgrund der dominanten Leitbilder von Familie und Elternschaft sind Frauen vor allem in Westdeutschland seltener erwerbstätig und haben aufgrund von Erwerbsunterbrechungen wegen Kinderbetreuung diskontinuierlichere Erwerbsbiografien. Frauen sind zudem häufiger als Männer in
Teilzeit- bzw. in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu finden. Somit erwerben Frauen
auch geringere erwerbsbasierte Sozialversicherungsansprüche und verfügen nur in eingeschränktem Maße über die Fähigkeit, einen eigenständigen Haushalt zu führen (Sainsbury
1994).
In die Struktur des konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaates mit starkem Ernährermodell ist damit ein Spannungsverhältnis eingelassen zwischen der Prämierung durchgängiger Erwerbstätigkeit in der Sozialversicherung und der privaten Organisation von Betreuungsarbeit – mit ungleichen Folgen für Männer und Frauen: Die in wohlfahrtsstaatlichen Policies institutionalisierte Anerkennungsordnung in der Bundesrepublik gewährt größere Anerkennungschancen für die häufiger bei Männern zu findende kontinuierliche Vollzeiterwerbstätigkeit als für Familienarbeit, die überwiegend von Frauen verrichtet wird.
Zudem wird das männliche Ernährermodell mit der Frau als Hausfrau bzw. allenfalls als
Zuverdienerin sozialrechtlich gegenüber anderen Paarformen privilegiert.
Zwar wird Betreuungsarbeit im deutschen Wohlfahrtsstaat durch die Gewährung von sozialen Rechten teilweise aufgewertet, was der Forderung nach Wahlmöglichkeiten für Frauen
zwischen Erwerbsarbeit und Familientätigkeit entgegen kommt (vgl. z.B. Lewis 1997, Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004). Solange Sorgearbeit nicht als gleichwertig anerkannt und
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umverteilt wird, ist jedoch nicht mit einem Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu rechnen, wie Fraser (2001) herausstellt.
Pluralisierung von Geschlechterleitbildern
Die Phase der normativen Dominanz und größten empirischen Verbreitung des Familienernährermodells lag in (West-)Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren (vgl. Sieder
1987: 243ff). In diesem ‚goldenen Zeitalter’ wohlfahrtsstaatlicher Expansion wurde die für
das Familienernährermodell konstitutive Sphären- und Zuständigkeitstrennung zwischen
den Geschlechtern, die Anerkennungschancen für Frauen in der Sphäre der Familie, für
Männer in der (gesellschaftlich höher bewerteten) beruflichen Sphäre verortet, in sozialpolitischen Regelungen institutionell festgeschrieben. Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse, begünstigt nicht zuletzt durch die steigende Bildung und Erwerbstätigkeit von Frauen und eine zunehmende Verbreitung des Ideals einer
gleichberechtigten Partnerschaft, lässt sich jedoch in den letzten Jahrzehnten eine Erosion
des Familienernährermodells beobachten.
Das Ernährermodell wurde allerdings nicht durch ein neues dominantes Leitbild abgelöst;
vielmehr kam es zu einer Pluralisierung von Geschlechterleitbildern und partnerschaftlichen Erwerbsmustern (Pfau-Effinger 1998a, b). Catherine Hakim (2000) geht sogar davon
aus, dass Frauen in wohlhabenden modernen Gesellschaften Ende des 20. Jahrhunderts
erstmals eine Wahl zwischen Familien- und Erwerbsarbeit hätten. In dieser Situation zeigten sich unterschiedliche Präferenzen von Frauen; idealtypisch unterscheidet Hakim zwischen familienzentrierten, erwerbszentrierten und ‚adaptiven’ Frauen, die keine klaren Präferenzen in die eine oder andere Richtung zeigen oder Erwerbstätigkeit und Familie vereinbaren wollen. Allerdings ist Hakims These der Wahlfreiheit in Frage zu stellen, da bei genauerer Betrachtung ersichtlich wird, dass der Ausgang dieser Wahl von kulturellen Leitbildern und Mustern sozialer Ungleichheit beeinflusst wird. So lässt sich für Deutschland
zeigen, dass sich Geschlechterleitbilder und partnerschaftliche Erwerbsmuster trotz einheitlicher sozialpolitischer Rahmenbedingungen regional (in Deutschland insbesondere zwischen Ost und West), nach Qualifikationsgruppen und in verschiedenen sozialen Milieus
unterscheiden.
Quantitative Daten auf der Basis des Sozio-ökonomischen Panels zeigen, dass der Anteil
von Paaren mit männlichem Alleinernährer in Westdeutschland von 41% (1984) auf 23%
(2003) sank, wohingegen das modernisierte Ernährermodell im gleichen Zeitraum einen
Zuwachs von 21% auf 30% verzeichnete (WSI-FrauenDatenReport 2005: 178). In Ostdeutschland lässt sich eine Persistenz des Leitbilds der Doppelverdiener-Partnerschaft beobachten: hier waren 2003 in deutlich mehr Paaren (38%) beide Partner vollzeiterwerbstätig
als in Westdeutschland (20%) (ebd.). Hierbei ist zu berücksichtigten, dass sich der Wunsch
nach einer Vollzeitbeschäftigung angesichts der schwierigeren Arbeitsmarktlage für ostdeutsche Paare nicht immer realisieren lässt (Schenk 1995, Dölling 2003).
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Zudem unterscheiden sich die Erwerbsmuster von Paaren nach der Qualifikation: So dominieren insbesondere bei hoch qualifizierten Frauen und Männern egalitäre Leitbilder verbunden mit dem Wunsch nach einer kontinuierlichen Erwerbstätigkeit beider Partner im
Sinne einer Doppelverdiener- oder Doppelkarriere-Partnerschaft, und hoch qualifizierte
Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt von Kindern gar nicht oder nur
kurzzeitig (Herlyn u. a. 2002, Betzelt/Gottschall 2005). Zugleich scheinen hoch qualifizierte
Männer in Berufen mit unsicherem Einkommen und wenig institutionalisierten Karrierewegen eher bereit zu sein, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten von Familienaufgaben zu unterbrechen, wie Gottschall/Henninger (2005) für freiberuflich tätige Designer und Journalisten
sowie Dettmer u. a. (2003) für Psychologen argumentieren. Anhand einer Befragung von
jungen westdeutschen Frauen mit Ausbildungsberufen konstatieren Birgit Geissler und
Mechtild Oechsle (Geissler/Oechsle 1994, Oechsle/Geissler 1998; Oechsle 1998) dagegen
eine widersprüchliche Modernisierung der weiblichen Lebensführung, in der das Leitbild
der selbständigen Frau nach der Familiengründung hinter das Leitbild der guten Mutter
zurücktritt, die ihr Kind in den ersten Lebensjahren selbst betreut.
Auch soziale Milieus beeinflussen die Geschlechternormen in Paarbeziehungen: Koppetsch/Burkhardt (1999) kommen zu dem Befund, dass Paare aus dem traditionalen und familialistischen Milieu an komplementären Geschlechternormen festhalten, während im individualisierten großstädtischen Milieu egalitären Diskurse dominieren. Die gelebte Praxis
bleibe aber auch in diesem Milieu hinter diesem Anspruch zurück.
Für ein Auseinanderdriften von zunehmend egalitären Geschlechterleitbildern und der Alltagspraxis sprechen auch Befunde zur Persistenz der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung
innerhalb Paarbeziehungen: Zeitbudget-Studien (z.B. Garhammer 1996, Kratzer u. a. 2005)
sowie qualitative Untersuchungen (neben anderen Röhler u. a. 2000, Behnke/Meuser 2002,
Huinink/Röhler 2005) belegen, dass in Deutschland nach wie vor der überwiegende Teil der
Haus- und Betreuungsarbeit von Frauen geleistet wird. Als wesentliche Ursache für Ungleichheiten in Paarbeziehungen gelten innerpartnerschaftliche Vereinbarkeitsstrategien.
Viele Paare beginnen ihre Partnerschaft als Gleichberechtigte, nach der Geburt von Kindern
oder bei Mobilitätsentscheidungen zugunsten des Mannes kommt es jedoch häufig zu einer
Re-Traditionalisierung der innerfamilialen Arbeitsteilung (Schulz/Blossfeld 2006): die Frau
übernimmt die Hauptzuständigkeit für die Kinderbetreuung und reduziert oder unterbricht
ihre Erwerbstätigkeit und damit ihre Karriere. In der Familienforschung dominieren bei der
Erklärung dieses Phänomens Rational Choice-Theorien, die diese Entscheidung als Ergebnis einer rationalen Wahlhandlung angesichts unterschiedlicher am Arbeitsmarkt erzielbarer
Einkommen darstellen (vgl. Brüderl 2006, Burkart 2006).
Beharrungs- und Wandlungstendenzen im Zuge der Reform des Sozialstaates
Wohlfahrtsstaatstypologien beinhalten insofern eine gewisse Statik, als sie eine Momentaufnahme in der historischen Entwicklung eines Wohlfahrtsstaates oder einer spezifischen
Policy darstellen, die als Indikator herangezogen wurde. Zudem zieht die den feministi-
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schen Typologien zugrunde liegende Suche nach einer inhärenten geschlechterpolitischen
Logik wohlfahrtsstaatlicher Politik eine Tendenz zur Vernachlässigung von Ambivalenzen
und Widersprüchen zwischen einzelnen Policies nach sich. Die Analyse von Leitner u. a.
(2004) weist jedoch durchaus auf Widersprüche bzw. ambivalente Veränderungstendenzen
in einzelnen Politikfeldern hin.
In Umbruchssituationen wie in der gegenwärtigen Periode von ‚restructuring’ oder ‚retrenchment’ stellt sich die Frage, ob die Zuordnung eines Landes zu einem bestimmten Regimetyp noch zutrifft oder ob es zu einem Pfadwechsel kommt, wie hier ansatzweise anhand der Frage eines Leitbildwechsels in der Geschlechterpolitik hin zu einem adult worker
model erörtert wurde. Dieser Frage gilt es bei einer vertieften Analyse des Wandels der
institutionalisierten Anerkennungsordnung im Zuge der sozialpolitischen Reformen in
Deutschland weiter nachzugehen. Dabei sind im nächsten Schritt Wandlungstendenzen in
der Arbeitsmarkt-, Familien- und Steuerpolitik sowie in der sozialstaatlich gerahmten Absicherung gegen Risiken wie Krankheit, Alter, Erwerbslosigkeit und Armut detailliert zu analysieren und auch auf gegenläufige Tendenzen hin zu untersuchen.
Zwar scheint sich im Zuge der sozialstaatlichen Reformen eine ambivalente Transformation
der überkommenen Anerkennungsordnung zu ereignen, bei der das männliche Familienernährermodell tendenziell an Bedeutung verliert, ohne dass sich jedoch das Anerkennungsgefälle zwischen Erwerbs- und Familienarbeit verändert. Vielmehr zeichnet sich ab, dass
Erwerbstätigkeit in ihrer Anerkennungsrelevanz immer zentraler wird. Der deutsche Sozialstaat setzt zudem weiterhin überwiegend auf die private Organisation von Betreuungsarbeit,
die im Wesentlichen innerhalb der Familie zu leisten ist, wobei familien- und steuerrechtliche Regelungen nach wie vor eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung begünstigen. Nach
wie vor setzt die deutsche Familienpolitik stärker auf finanzielle Transfers zur Abfederung
von Einkommensausfällen bei familienbedingten Erwerbsunterbrechungen als auf den Ausbau sozialer Dienstleistungen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Partner zu erleichtern. Das für den deutschen Wohlfahrtsstaat charakteristische Spannungsverhältnis zwischen der Prämierung durchgängiger Erwerbsarbeit und der privaten Organisation von Betreuungsarbeit scheint sich damit im Zuge der gegenwärtigen Reformen eher
noch zu verschärfen.
3. Konsequenzen für die Analyse von Anerkennungsverhältnissen innerhalb von DCCs
Abschließend werden nun die theoretischen und methodologischen Konsequenzen diskutiert, die sich aus den Ergebnissen für die empirische Untersuchung von Anerkennungsverhältnissen innerhalb von DCCs ergeben. Wie kann das Verhältnis zwischen der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’ auf der Makroebene von Wohlfahrtsregimen bzw. sozialpolitischer Maßnahmen und den Deutungen und Handlungsstrategien von Individuen-inPaaren konzipiert werden? Welche Themenkomplexe sind in den geplanten Paar- und Ein-
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27
zelinterviews anzusprechen, um Einflüsse der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’
auf paarinterne Anerkennungschancen zu identifizieren?
Auswirkung der ‚institutionalisierten Anerkennungsordnung’ auf Paare
Wie die bisherige Analyse zeigt, lassen sich bei geschlechterpolitischen Leitbildern und
Policies widersprüchliche Wandlungs- und Beharrungstendenzen identifizieren, die das
Handeln von Individuen-in-Paaren rahmen. Allerdings erscheint die in der vergleichenden
Wohlfahrtsstaatsforschung dominante Annahme, Sozialpolitik bzw. gesellschaftliche Leitbilder beeinflussten individuelles Handeln, indem Individuen sich konform zu den hierdurch gesetzten Anreizen und Sanktionen verhalten, als verkürzt. Phänomene auf der Makro-Ebene werden dabei als Gelegenheits- oder Verhinderungsstrukturen betrachtet, die das
Handeln der Akteure auf der Mikroebene erheblich beeinflussen (zur Kritik an dieser Annahme vgl. Ludwig-Mayerhofer/Allmendinger 2004: 87; Newman 2005: 234). Als empirischer Beleg werden quantitative Daten auf einer hohen Aggregationsebene (z.B. EspingAndersen 1998b) oder Meinungsumfragen (z. B Pfau-Effinger 1998b: 176) herangezogen.
Welche Motive aber den individuellen bzw. paarinternen Entscheidungen für ein bestimmtes Familien- oder Erwerbsmodell zugrunde liegen, wird dabei nicht empirisch erhoben.
Diese Annahme erweist sich jedoch als unzureichend für die Erklärung der Wirkungen
wohlfahrtsstaatlicher Policies auf das Handeln von Individuen-in-Paaren. Erstens bleiben
widersprüchliche Wirkungen sozialpolitischer Regulierung unberücksichtigt; gerade die
Steuerungsmechanismen der Arbeitsmarkt-, Familien- und Steuerpolitik sind aber häufig
nicht konsistent und setzen widersprüchliche Anreize. Zweitens bleiben in diesem Erklärungsmodell Ungleichzeitigkeiten zwischen dem Wandel von gesellschaftlichen Leitbildern,
wohlfahrtsstaatlicher Politik und individuellem Handeln ausgeblendet, wie sie sich in
Deutschland in Form einer Pluralisierung von Geschlechterleitbildern bei gleichzeitiger
Persistenz der modernisierten Ernährerehe als sozialpolitisch dominantes Leitbild nachweisen lassen. Drittens bleiben dabei Deutungen und Handlungsmotive von Individuen und
Paaren jenseits von zweckrationalen Kosten-Nutzen-Kalkülen außen vor,6 die zu eigensinnigem Handeln und damit zu Ergebnissen führen können, die nicht mit den Vorgaben wohlfahrtsstaatlicher Policies konform sind.
Die Erklärung der Wirkungen wohlfahrtsstaatlicher Policies auf das Handeln von Individuen und Paaren bedarf damit einer weiteren Theoretisierung, um die Engführungen eines an
Theorien der Rationalen Wahl angelehnten Handlungsmodells zu überwinden. Die Entwicklung einer solchen alternativen theoretischen Konzeptionalisierung der Auswirkungen
6
Schon Max Weber (1976: 4) unterscheidet vier Handlungstypen, die neben zweckrationalem und
wertrationalem Handeln auch affektives und traditionales Handeln umfassen. Zu Formen begrenzt
rationalen Handelns siehe Schimanck (2005).
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von Sozialpolitik auf individuelles Handeln, die die beschriebenen Verkürzungen vermeidet, ist Gegenstand eines projektbegleitenden Habilitationsprojekts der Autorin.7
Die Präferenzen, Motive, Deutungen und Handlungen von Individuen bzw. Paaren können
allerdings nicht postuliert werden, sondern müssen empirisch erforscht werden. Die von
gesellschaftlichen Leitbildern und wohlfahrtsstaatlichen Policies gesetzten Anreize und
Sanktionen stellen dabei Rahmenbedingungen dar, denen die Individuen zwar nicht entkommen können, deren subjektive Relevanz für ihr Handeln jedoch von Deutungsprozessen
abhängig ist. Zudem ist anzunehmen, dass die Bedingungen am Arbeitsmarkt, konkret die
Anforderungen von Arbeitsorganisationen, das Handeln der befragten Doppelkarrierepaare
ebenfalls prägen. Neben dieser Beeinflussung durch strukturelle Rahmenbedingungen ist
davon auszugehen, dass die Individuen bzw. Paare auch eigene, kreative Strategien beim
Umgang mit den dadurch gegebenen Möglichkeiten und Beschränkungen entwickeln.
Relevante Themenkomplexe für die geplanten Paar- und Einzelinterviews
Die teilweise widersprüchlichen gesellschaftlichen Leitbilder und Anreizstrukturen wohlfahrtsstaatlicher Policies müssen demnach innerhalb der Paarbeziehung alltagspraktisch und
biografisch bewältigt werden. Wie dies geschieht, gilt es in der empirischen Untersuchung
von Anerkennungsverhältnissen in Doppelkarriere-Paaren mit Hilfe geeigneter Untersuchungsfragen zu erhellen. Hierzu gilt es, in einem ersten Arbeitsschritt relevante Themenkomplexe zu identifizieren, die in den geplanten Paar- und Einzelinterviews angesprochen
werden müssen.
Zunächst gilt es, die Orientierungen beider Partner in Bezug auf Erwerbsarbeit, Paarbeziehung und Familienarbeit herauszuarbeiten, da zu vermuten ist, dass diese Orientierungen
eine hohe Relevanz für die Gewährung von Anerkennung innerhalb der Paarbeziehung besitzen. In der Forschungsliteratur wird DCCs ein hohes berufliches Commitment sowie ein
hohes Maß an Egalität unterstellt, da die Partner sich häufig an einem partnerschaftlichen
Beziehungskonzept (vgl. z.B. Giddens 1992) und an einer egalitären Beteiligung an Hausund Erwerbsarbeit orientieren. Hier gilt es empirisch zu überprüfen, ob dies in den befragten DCCs für beide Partner zutrifft oder ob sich möglicherweise Unterschiede in den Orientierungen auffinden lassen, die entweder zu Spannungen in der Beziehung führen oder als
bereichernd erlebt werden können. Hierzu sind in den Paar- und Einzelinterviews ausführliche Fragenkomplexe zu den Themen Paarbeziehung, Erwerbsbiografie und Haus- bzw.
Familienarbeit vorgesehen.
Zudem erscheinen auf der Basis der Ergebnisse des vorliegenden Arbeitspapiers folgende
Themenkomplexe von Interesse, um Auswirkungen der in sozialpolitischen Regelungen
7
Annette Henninger: Zwischen Markt, Familie und sozialstaatlicher Regulierung – Handlungsstrategien von DCCs in einem sich wandelnden Wohlfahrtsstaat (Arbeitstitel), Habilitationsprojekt.
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institutionalisierten Anerkennungsordnung auf die Deutungen und Handlungen von Individuen-in-Paaren zu analysieren:
•
Durch das Ehegattensplitting und abgeleitete Sozialversicherungsansprüche (Unterhaltsansprüche, Hinterbliebenenrente, Familienversicherung in der gesetzlichen
Krankenversicherung) für Ehepartner wird die (modernisierte) Ernährerehe steuerund sozialrechtlich privilegiert. Doppelkarrierepaare können diese Vorteile nicht
nutzen, sofern beide Partner (vollzeit-)erwerbstätig sind und ein annähernd gleich
hohes Einkommen erzielen. Spätestens bei einer Unterbrechung bzw. Reduzierung
der Erwerbstätigkeit z.B. nach der Geburt von Kindern gibt es allerdings auch für
diese Gruppe finanzielle Anreize zur Heirat. Hier gilt es empirisch zu klären, welche Motive aus der Sicht der befragten DCCs für bzw. gegen eine Heirat sprechen
und welche Rolle dabei sozial- und steuerrechtliche Regelungen spielen.
•
Führen die im Sozialversicherungssystem erworbenen Ansprüche nicht zu existenzsichernden Leistungen, ist auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips zunächst die Familie (in erster Linie der Partner) zu finanzieller Unterstützung verpflichtet. Hier ist
von Interesse, wie die Befragten angesichts der vermuteten Dominanz egalitärer
Leitbilder bei Doppelkarriere-Paaren eine solche Unterstützung durch den Partner
bewerten und wie eine solche (zeitweilige) finanzielle Unterstützung gegebenenfalls
die Anerkennungsverhältnisse innerhalb der Paarbeziehung beeinflusst.
•
Betreuungsarbeit gilt in Deutschland als eine Tätigkeit, die von Frauen im privaten
Rahmen der Familie zu leisten ist. Dementsprechend wird insbesondere für Kleinkinder kaum Betreuungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt. Stattdessen wird
Betreuungsarbeit innerhalb der Familie durch sozialrechtliche Ansprüche (z.B. Elterngeld, Anrechnungszeiten in der Rentenversicherung) subventioniert. Dies begünstigt bei Eltern (unabhängig vom Familienstand) eine arbeitsteilige Spezialisierung, bei der sich ein Elternteil – in der Regel die Mutter – auf die Kinderbetreuung
konzentriert und dafür die Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert. Hier wäre zu
klären, ob Aushandlungsprozesse in Doppelkarrierepaaren angesichts des hohen beruflichen Commitments beider Partner zu einem anderen Ergebnis führen oder ob
sich auch in diesen Paaren nach der Geburt von Kindern eine geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung mit den damit einhergehenden ungleichen Anerkennungschancen
herausbildet. Hierzu sind in den Interviews ausführlich die gewählten Betreuungsarrangements sowie die Entscheidungsprozesse zu thematisieren, die zu diesen Arrangements geführt haben.
•
Die sozialrechtlichen Ansprüche für die Übernahme von Betreuungsarbeit bleiben
in ihrer Höhe deutlich hinter den erwerbsarbeitsbezogenen Leistungen zurück, was
häufig zu einer schlechteren Absicherung von Frauen im Alter führt. Hier ist von Interesse, ob sich diese Ungleichheiten auch bei den untersuchten DCCs finden lassen
oder ob es diesen Paaren auf der Basis ihres hohen Einkommens gelingt, etwaige
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(geschlechtsspezifische) Unterschiede bei der sozialen Absicherung auszugleichen,
z.B. durch private Ersparnisse oder den Abschluss privater Versicherungen.
•
Neben den sozialstaatlichen Rahmenbedingungen können auch Anforderungen aus
der Erwerbsarbeit die Gleichstellungswünsche von Paaren konterkarieren oder
möglicherweise auch unterstützen. In den Interviews sind daher ausführlich die Arbeitsbedingungen, Leistungsanforderungen und Karrierewege in den Tätigkeitsfeldern beider Partner zu erfragen; ebenso ist von Interesse, ob etwaige Unterschiede
in der Paarbeziehung thematisiert und anerkennungsrelevant gemacht werden. Darüber hinaus ist in den Interviews zu erheben, welche Erfahrungen die befragten
DCCs mit den Instrumenten familienfreundlicher Personalpolitik, wie etwa Möglichkeiten zur Teilzeit- oder Heimarbeit, gemacht haben und wie die Inanspruchnahme dieser Angebote (sofern vorhanden) aus Sicht der Befragten die Anerkennungschancen am Arbeitsplatz beeinflusst.
Eine übergreifende Frage ist schließlich, ob die für die Ebene sozialstaatlicher Institutionen
konstatierte ungleiche Anerkennung von Erwerbs- und Familienarbeit sich auf der Paarebene widerspiegelt oder ob es den befragten Paaren gelingt, andere Relevanzen zu setzen.
Dabei interessiert auch die Relevanz weiterer Lebensbereiche für paarinterne Anerkennungsverhältnisse. Daher sind in den Interviews auch die Themenkomplexe Freizeit,
Freundschaften und (Herkunfts-)Familie anzusprechen. Darüber hinaus sind offene Fragen
erforderlich, in denen die Befragten bei der Bewertung unterschiedlicher Lebensbereiche
eigene Relevanzen setzen können. Dies soll insbesondere durch biografisch-narrative Einstiegsfragen gewährleistet werden.
Anhand der empirischen Analyse von Anerkennungsverhältnissen innerhalb von DCCs soll
die Frage beantwortet werden, wie gesellschaftliche Anerkennungsstrukturen die intersubjektiven Anerkennungschancen in Paarbeziehungen beeinflussen – lässt sich bei dieser
Gruppe tatsächlich eine Pluralisierung, Entgrenzung und Egalisierung intersubjektiver Anerkennungschancen innerhalb von Paarbeziehungen beobachten? Oder bestehen vielmehr
auch in vermeintlich egalitären Doppelkarriere-Paaren geschlechtsspezifische Ungleichheiten fort?
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