1/4 Tomihiro Art Museum Midori-shi, azuma-cho, Kusaki 68 3760302 Gunma, Japan © Judit Solt Gestaltung als Obsession SAMMLUNG Das kürzlich eröffnete Museum des Mundmalers Hoshino Tomihiro besteht aus 33 unterschiedlich grossen Zylindern, die von einer auf Silobau spezialisierten Firma erstellt wurden. Trotz einer schier ungeheuerlichen Vielfalt an Farben, Mustern und Materialien bildet das Gebäude eine ausgewogene Einheit. ARCHITEKTIN von Judit Solt STATIK archithese aat+ Makoto Yokomizo BAUHERRIN Azuma Village Arup Japan Die selektive Aneignung der japanischen Kunst durch die westliche Welt begann gegen FUNKTION Mitte des 19. Jahrhunderts. Seither hat sie mehrere Phasen durchlaufen. Die erste Museen und Ausstellungsgebäude Japanmode war geprägt von der Sehnsucht nach Exotik und der Bemühung, die durch die AUSFÜHRUNG Industrialisierung zerstörte Einheit von Kunst und Alltag wieder herzustellen; der Japonismus wurde zu einem integralen Bestandteil des Jugendstils. 1933 erkannte Bruno 2004 - 2005 MITARBEIT PLANUNG Taut, durch die Machtübernahme der Nazis zur Verlängerung eines Japanaufenthalts Satoru Ito, Makoto Wada gezwungen, in der kaiserlichen Katsura-Villa bei Kyoto die Verkörperung absoluter Schönheit und Funktionalität. 1954 entdeckte Walter Gropius die traditionellen japanischen Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden zwischen der HTML- und der Printversion kommen. Wohnhäuser als Vorbild für die Moderne, was ihm seitens japanischer Kollegen den Vorwurf der Romantisierung eintrug. Heute wird japanische Architektur im Westen meist mit formaler Reduktion, Abstraktion und vollendeter Einfachheit in Verbindung gebracht, was nicht zuletzt auf John Pawsons 1996 erstmals erschienenes Buch Minimum zurückzuführen ist. Doch spätestens bei der ersten Japanreise sieht sich der verblüffte Besucher mit einer visuellen Vielfalt konfrontiert, der mit westlichen Kriterien nicht beizukommen ist. Pflanzenbilder im «gewachsenen» Haus Ein Beispiel für diese verwirrende Komplexität ist das 2005 eröffnete Tomihiro Art Museum in Azuma, einem Bergdorf im Norden von Tokio. Der Mundmaler Hoshino Tomihiro ist in Japan äusserst populär. Der ehemalige Sportlehrer, der infolge eines Arbeitsunfalls vom Hals abwärts gelähmt ist, begann während seines Spitalaufenthalts zu malen; als Sujet dienten ihm die mitgebrachten Blumen auf dem Nachttisch. Die farbenfrohen Aquarelle wurden zunächst in einem ehemaligen Altersheim in Azuma ausgestellt, wo sie zu einer wichtigen Einkommensquelle für die Region wurden: In zehn Jahren pilgerten vier Millionen Besucher in das entlegene Heimatdorf des Künstlers. Dieser Erfolg bewog die Gemeinde, ein neues Museum zu bauen. Aus dem 2002 durchgeführten Wettbewerb ging das Büro aat Makoto Yokomizo als Sieger hervor – teilgenommen hatten über 1200 Büros aus 53 Ländern. Das Museum besteht aus 33 dicht aneinandergedrängten Zylindern unterschiedlichen Durchmessers. Dadurch entsteht ein Konglomerat von kreisrunden Innenräumen, die mit © Judit Solt © Judit Solt http://www.nextroom.at/building.php?id=28972&sid=26604, 22.08.2017 2/4 Tomihiro Art Museum einem oder mehreren Nachbarn verbunden sind. Einen vorgegebenen Weg durch das Labyrinth gibt es nicht; die Zylinder können nach Bedarf zu Raumgruppen kombiniert oder voneinander abgetrennt werden. Im Gegensatz zu dieser Flexibilität der Struktur steht die Unabänderlichkeit der einzelnen Räume: Die Wände sind tragend, die Grösse vorgegeben und die runde Grundform so stark, dass an eine Unterteilung der Ausstellungssäle nicht zu denken ist. Ziel waren nicht neutrale Räume, sondern eine Komposition von unterschiedlichen, sorgfältig aufeinander abgestimmten Stimmungen. Die Architekten sprechen von einem Gebäude «like a natural forest»; folgerichtig suchten sie nicht nur beim Ergebnis, sondern auch beim Entwurfsprozess Parallelen zur Natur. Die Anordnung der Zylinder wird mit der natürlichen Selbstoptimierung runder Formen verglichen, etwa von Seifenblasen oder Seerosen, deren Blätter sich in Bezug auf das Sonnenlicht auf dem Wasser anordnen. Darin ist Toyo Itos Einfluss erkennbar, dessen Werke – wie die Mediathek in Sendai (2001) mit ihrer von Wasserpflanzen inspirierten Tragstruktur oder die baumartig verästelte Fassade des Tod’s Flagship Store in Tokio (2004) – immer wieder die Pflanzenwelt thematisieren. Tatsächlich war Yokomizo jahrelang in Itos Büro tätig. Vielfalt und Variation Dennoch ist das Museum in Azuma ein sehr eigenwilliges Werk. Dass die Räume sich bezüglich Grösse, Lichtstimmung, Farbe und Material unterscheiden, ist für heutige Museen an sich nicht ungewöhnlich. Ihre geradezu obsessive Gestaltung dagegen sucht ihresgleichen. Bereits von draussen wirkt das Gebäude irritierend: Weil es auf einer rechteckigen Grundfläche basiert, bestehen die Fassaden aus lauter Zylinderschnittflächen. Entsprechend den Räumen, die sich dahinter befinden, sind auch die Fassadenabschnitte individuell materialisiert. Säuberlich aneinandergereiht gibt es Chromstahl, Aluminiumpaneele, Granit, Marmor und alle erdenklichen Varianten von Glas: sandgestrahlt, gemustert, bedruckt, als Sandwichelement mit Blättern oder Holz, transparent, ganz oder teilweise spiegelnd, matt. Zu allem Überfluss ist der gedeckte Vorplatz – auch er eine Zylinderhohlform – weiss verputzt. Im Inneren erreicht diese Vielfalt an Baustoffen ungeahnte Höhepunkte. Die Lobby wirkt mit ihrem künstlichen Parkett und den hellen Leuchtröhren kühl und öffentlich. Im Kontrast dazu haben die in unterschiedlichen Farben gehaltenen, spärlich beleuchteten Ausstellungsräume einen intimen Charakter; man betritt sie über einen dunklen und verlässt sie über einen hellen Übergangsraum, in dem sich die Augen an die neue Situation gewöhnen können. Wand und Decke der Lounge bestehen aus glänzendem Chromstahl, der wie ein Hohlspiegel verzerrte Bilder der In- und Aussenwelt durcheinander http://www.nextroom.at/building.php?id=28972&sid=26604, 22.08.2017 3/4 Tomihiro Art Museum wirbelt. Der Museumsshop ist mit aufgeschäumten Aluminiumplatten, der Videoraum mit rosa Teppich verkleidet. Die Toilette ist aus mattem Chromstahl. Das Direktionszimmer schimmert elfenbeinfarben, durch eine zwischen Glasscheiben geklemmte Holzmembran dringt gedämpftes Tageslicht hinein. Die Bodenbeläge bestehen aus diversen Steinen, echtem und künstlichem Holz, Metall, blauen Glasscherben, grünen Kieseln, Teppich. Und überall taucht das Kreismotiv auf: als rutschfester Schliff im Granitboden des Vestibüls, als Bullaugen, als Löcher in den perforierten Vorhängen der Lounge, als Muster in allen möglichen Techniken. Das Erstaunliche ist, dass diese ungeheure Dichte an visuellen Reizen nicht unerträglich wird. Im Gegenteil, sie wirkt entspannend wie in einem japanischem Garten, der auf engstem Raum ganze Landschaften inszeniert. Beim Durchschreiten des Gebäudes freut man sich auf die schier unerschöpfliche Variation immer wiederkehrender Themen. Eine besondere Freude bereitet das endlose Spiel mit Transparenz und Transluzenz; auch das ein eminent «japanisches» Thema, das sowohl die traditionelle Architektur mit ihren papierbespannten Rahmenkonstruktionen als auch zahlreiche zeitgenössische Bauten prägt – etwa die Konsumtempel von SANAA, Kengo Kuma oder Jun Aoki in Tokio. Von deren Zurückhaltung ist in Azuma indes nichts zu spüren. aat Makoto Yokomizo ist das Kunststück geglückt, aus einer Ansammlung von Details, die man sonst eher von Baumusterzentralen her kennt, einen Ort der stillen Poesie zu kreieren. archithese, 03.04.2007 WEITERE TEXTE Zylinderpaket, Jan Dominik Geipel, Bauwelt, 17.11.2006 http://www.nextroom.at/building.php?id=28972&sid=26604, 22.08.2017 4/4 Tomihiro Art Museum © Judit Solt http://www.nextroom.at/building.php?id=28972&sid=26604, 22.08.2017 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)