Plattenapparaturen Franz Günter Sander und Christian Sander Aktive Platten und Sonderschrauben 77 Respondschienen Herausnehmbare Behandlungsbehelfe 77 Herstellung Indikationen Einsatzbereiche 83 Kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen in Multibandtechnik 90 Anhang 92 97 97 Fallbeispiele 109 102 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 5 Aktive Platten und Sonderschrauben Herausnehmbare Behandlungsbehelfe Herausnehmbare Behandlungsbehelfe sind seit Jahrhunderten bekannte Behandlungsmittel. Durch Verwendung einer Coffinfeder war bereits auch ein Schritt in Richtung einer aktiven Dehnung getan. Mit der Zeit nachlassende Federkräfte, Materialbrüche und problematische Nachaktivierungen bahnten jedoch den Weg zu den heute üblichen Schrauben. Obwohl vor einigen Jahren als „unkieferorthopädisch“ abgelehnt, haben die herausnehmbaren Behandlungsbehelfe einen hohen Stellenwert bei der Behandlung der Patienten, insbesondere im frühen Milch- und Wechselgebiss, bei kleineren Maßnahmen und als Retentionsgeräte. In Verbindung mit funktionskieferorthopädischen Geräten können derartige Behandlungsbehelfe im Sinne einer interzeptiven Behandlung größere Anomalien verhindern, Habits abstellen und eine eventuell später notwendig werdende Multiband-Therapie erheblich erleichtern. Für den Erfolg einer Behandlung mit herausnehmbaren Behandlungsbehelfen sind jedoch drei Dinge wesentlich: Das Erstellen einer genauen Diagnose. Für die Diagnosestellung stehen dem Behandler neben den Funktionsbefunden und den allgemeinen Befunden vor allen Dingen die Modelle und das Fernröntgenbild sowie eine Panoramaaufnahme zur Verfügung. Nur in wenigen Fällen ist zusätzlich eine Handwurzelaufnahme erforderlich. Ist das Wachstumsmuster nicht eindeutig bestimmbar, so sollte zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Fernröntgenaufnahme hergestellt und ausgewertet werden. Bei Verdacht auf verlagerte Zähne ist eine DVT empfehlenswert. Die richtige Konstruktion der Behandlungsgeräte. An der richtigen Konstruktion von herausnehmbaren Geräten sind oft genug Behandlungen gescheitert. Selbst bei bester Mitarbeit kann oft eine Plattenapparatur nicht das leisten, was man von ihr erwartet. Die Beachtung von Aktio und Reaktio, die optimale Verankerung an den Zähnen, der passgenaue Sitz der Apparatur, die richtige Auswahl von Drähten, Federn und Schrauben und die qualifiziert ausgeführte Arbeit sind entscheidend für die Wirkungsweise derartiger Geräte. Oft wird die Wirkung unterschätzt oder nur übermäßig gedehnt. Die Mitarbeit des Patienten. Die Tragezeit derartiger Geräte kann mit einem mitgegebenen Stundenplan (siehe Anhang) jeweils geprüft werden. Nicht immer ist es die Uneinsichtigkeit des Kindes, die die Tragezeit verkürzt, zum Teil ist es auch die falsch konstruierte Apparatur, die dem Patienten Schmerzen bereitet oder die fehlende physiologische Führung durch den Behandler. Teilweise führt die mangelnde Hygiene zu Schleimhautreizungen. Drahtelemente Für herausnehmbare Geräte kommen im Wesentlichen Edelstahldrähte (V2A, 18/8 Drähte) infrage. Derartige Drähte werden als harte oder federharte Drähte geliefert. Harte Drähte haben eine geringe Elastizität, federharte Drähte eine höhere Elastizität, aber auch eine größere Bruchgefahr. Weiche Drähte kommen nur in der Multibandtechnik vor. Für besonders beanspruchte Teile der Geräte seien die Elgiloy- oder Remaloy-Drähte empfohlen. Derartige Drähte bestehen aus Chromkobald und halten ein Vielfaches der Biegewechsel-Belastungen aus wie die vergleichbaren Edelstahlmaterialien. Auch die Verwendung von vorgelenkten Drähten aus Edelstahl und ein gutes Biegewerkzeug können die Bruchgefahr verringern. Bei Nickelallergikern sollte auf Manganstahl zurückgegriffen werden, die Nickel nur als Verunreinigung enthalten. Halte- und Stützelemente. Halte- und Stützelemente (Abb. 5.1) müssen in der Regel bei jeder Kontrollsitzung neu angepasst werden. Daher ist es ratsam, die Halteelemente aus hartem Draht mit einem Durchmesser von 0,7 oder 0,8 mm zu biegen. Ein sicherer Halt wird dann gewährleistet, wenn für alle Halteelemente die Modelle radiert werden und so ein Schnappeffekt eintritt. Mit besonderer Sorgfalt sollten diese Halteelemente über die Okklusion geführt werden, damit es nicht zu Störungen im Gegenkiefer kommt. Derartige Störungen können zu ungewollten Zahnbewegungen oder zu Bisserhöhungen führen. Bewegungselemente. Bewegungselemente (Abb. 5.2) werden vorzugsweise aus federhartem Draht hergestellt. Je nach Aufgabenbereich kommen Drähte von 0,5–0,7 mm federhart zur Anwendung. Besonders wichtig ist, dass vor der Herstellung des Kunststoffgeräts der gesamte Federbereich ausgewachst wird (Abb. 5.3). Besonders geeignet sind Australian Wire der Qualität „gelb“ oder „gold“ in der Dimension 0.016" oder 0.018". Bei der Anwendung federnder Elementen müssen einige Überlegungen angestellt werden: 1. Die Drahtstärke ist abhängig von der Wurzeloberfläche des Zahnes. Je kleiner die Wurzeloberfläche ist, desto dünner sollte der Draht sein. 2. Die Kraftrichtung sollte der Richtung der erwünschten Zahnbewegung entsprechen. 3. Welche Zähne des Kiefers werden als Verankerung herangezogen, damit im Wesentlichen die Aktio und nicht die Reaktio wirkt? 4. Alle Federelemente sollten so konstruiert sein, dass kleine und langwegige Kräfte für die Zahnstellungsveränderungen genutzt werden. Die Kraft eines Drahtes ist proportional zu seinem Querschnitt (d4) und umgekehrt proportional zu seiner Länge (L3). Der Draht hat einen Hook-Bereich und nur innerhalb dieses Bereiches kehrt er nach Belastung wieder in seine Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Aktive Platten und Sonderschrauben 77 5 Plattenapparaturen Abb. 5.1 Halte- und Stützelemente. a Dreiecksklammer b Pfeilklammer c Knopfanker d Adamsklammer Abb. 5.2 Bewegungselemente. a Offene Protrusionsfeder b Geschlossene Protrusionsfeder c Distalisierungsfedern d Mesialisierungsfedern e Frontfeder (Labialbogen) f Fingerfederchen g E-Schlaufe h Paddelfeder Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 78 Aktive Platten und Sonderschrauben Einfluss von Drahtquerschnitt, -dicke und -länge auf die mechanischen Eigenschaften von Drähten (Abb. 5.4) Eigenschaften Drahtdicke Festigkeit Maximale Belastbarkeit Maximale Duktilität Runddraht (d) ~ d4 ~ d3 ~ L/d Vierkantdraht (b, h) ~ b × h3 ~ b × h2 ~1 / h ~1 / L3 ~1 / L ~ L2 Drahtlänge (L) (einseitig eingespannter Draht) ursprüngliche Form zurück. Hinsichtlich der Elastizitätskonstanten unterscheiden sich die Drähte oft ganz erheblich (Tab. 5.1, Abb. 5.4). In Zweifelsfällen kann die Kraft mit einer Federwaage nachgemessen werden, damit Überlastungen von Zähnen vermieden werden. MERKE • Bei Verdoppelung der Federlänge sinkt die Kraft auf die Hälfte. • Bei Verdoppelung der Drahtstärke ist die Federkraft sechzehnmal so groß. Frontfedern. Bei aktiven Platten werden in der Regel Frontfedern verwendet. Diese stellt man aus einem 0,7 mm federharten oder 0,8 mm harten Draht her. Verschiedene Modifikationen erleichtern das Einstellen bestimmter Zähne (Abb. 5.5). Teilweise können auf diese Frontfeder zusätzliche Elemente angelasert oder eingebogen werden, um retinierte Zähne zu bewegen oder rotierte Zähne auszurotieren (Abb. 5.6). Bei allen Derotationen sollte jedoch ein Moment auf die Zähne ausgeübt werden, damit es nicht zu kontrollierten Kippungen kommt. Abb. 5.3 Die Protrusionsfeder (offen und geschlossen) sollte immer im 90°-Winkel zur Zahnachse an der lingualen Zahnseite angreifen. Kieferorthopädische Schrauben Eine Schraube ist ein Kraftelement, das zusammen mit den Kunststoffteilen der Platte direkt auf Zähne und Alveolarfortsätze wirkt. Sie besteht in der Regel aus einer Schraubenspindel, zwei Führungsstiften und einem Gehäuse. Die Schraubenspindel hat jeweils ein Rechts- und Linksgewinde, sodass bei 360°-Drehung der Spindel eine Verbreiterung um 0,8–1,0 mm erfolgt (Abb. 5.7). Die Gewindesteigung beträgt somit 2 × 0,4 mm bzw. 2 × 0,5 mm jeweils für das Rechts- bzw. Linksgewinde. Bei einer Viertelumdrehung (90°), wie sie gewöhnlich vom Patienten pro Woche durchgeführt wird, entsteht eine Erweiterung von etwa 0,2 mm und damit 0,1 mm pro Seite. Diese kieferorthopädische Kraft ist die angestrebte gewebliche Kraft für einen biologischen Umbauvorgang, wenn Plattengeräte etwa 10–14 Stunden pro Tag getragen werden. Die Hubhöhe von Schrauben kann 5–15 mm betragen. Gute Schrauben bestehen aus Stahl, normale Schrauben aus vernickeltem Messing und Billigschrauben haben eine Kunststoff-Führung. Beim Kauf von Schrauben achte man darauf, dass die Plattenteile sich mit der Schraube fest und Abb. 5.4 Einfluss von Drahtquerschnitt, -dicke und -länge auf die mechanischen Eigenschaften von Drähten (Tab. 5.1). (1) Proportionalitätsbereich; hier gilt das Hook-Gesetz, (2) Streckgrenze, (3) Permanentverbiegung, (4) Bruchgrenze. starr verbinden, eine gut Passgenauigkeit der Schraube vorhanden ist, die Schrauben wenig Spiel haben und ein unkontrolliertes und ungewolltes Verstellen der Schraube ausgeschlossen ist. Für Spezialeinsätze gibt es Schrauben aus Titan. Selten werden Schrauben aus Neusilber genutzt. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 5.1 79 5 Plattenapparaturen Abb. 5.6 Frontfeder mit aufgelöteten Häkchen. An den auf die Frontfeder aufgelaserten Häkchen können Elastics eingehängt werden, um den retinierten Zahn zu bewegen. Abb. 5.5 Modifikationen der Frontfeder. a Korrektur distal rotierter 3er: Frontfeder mit nach mesial gerichteten Horizontalschlaufen. b Korrektur mesial rotierter 3er: Frontfeder mit nach distal gerichteten Horizontalschlaufen. c Frontfeder zur Retrusion aller Frontzähne: Die U-Schlaufen der Frontfeder werden bei dieser modifizierten Form mit zur Retrusion der Front eingesetzt. d Frontfeder zur Einordnung von 3ern im Außenstand: Frontfeder mit M-Schlaufen e Frontfeder zur Einordnung der Prämolaren: Die U-Schlaufen liegen im Bereich der 3er und haben nach distal gerichtete Horizontalschlaufen zur Einordnung der Eckzähne f Frontfeder zur Einordnung von 3ern im Außenstand: U-Schlaufen laufen nicht bis zur Gingiva, sondern parallel zum horizontalen Teil der Frontfeder zurück; auf diese Weise können größere Kräfte ausgeübt werden. Memoryschraube Schrauben sind eine sehr starre Verbindung im Patientenmund, was sich besonders bei der Nachaktivierung der Apparaturen zeigt. Auch wenn nur um 90° (eine Viertelumdrehung) nachgestellt wird, empfinden die Patienten einen verstärkten Druck im Kiefer. Diese Tatsache führt oft dazu, dass die Patienten ihre Geräte nicht so tragen wie vom Arzt angeordnet oder sogar das Tragen einstellen. Abb. 5.7 Kieferorthopädische Schrauben a Schematische Darstellung einer Dehnschraube b Schematische Darstellung einer Schraubenspindel Nicht selten findet dann der Behandler beim Wiedererscheinen des Patienten eine Situation vor, bei der die Behandlungsapparatur nicht mehr in den Mund hineinpasst. Nicht selten sind dann Neukonstruktionen der recht teuren Geräte erforderlich. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Akzeptanz derartiger Geräte bei vielen Patienten nicht vorhanden ist und somit der gewünschte Behandlungserfolg ausbleibt. Unzuverlässige Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 80 Aktive Platten und Sonderschrauben MERKE • Die Bezeichnung „Memoryschraube“ ist irreführend und falsch, da bei dieser Schraube nicht der Memory-Effekt, sondern die Superelastizität genutzt wird. • Bei Nickelallergie oder Ablehnen von Edelstahl können die Schrauben mit einer Titan-Nitrit-Beschichtung versehen werden. Sie haben dann eine Farbe, wie sie von Gold her bekannt ist. Der eventuelle Aufpreis ist zumindest bei nickelallergischen Patienten gerechtfertigt. Eine in Ulm durchgeführte Studie zeigte, dass mit derartigen Geräten eine etwa dreifach höhere Dehngeschwindigkeit gegenüber starren Schrauben erzielt wird. Der Grund für diese beschleunigte Bewegung liegt darin, dass die Patienten drei- bis viermal häufiger ihre Apparatur nachaktivieren dürfen, da jeweils die Nachaktivierung durch die superelastische Feder abgedämpft ist. Während normal mitarbeitende Kinder bei dem Einbau einer Schraube einmal pro Woche diese um 90° aktivieren dürfen, können Kinder, die mehr als 14 Stunden pro Tag ihre Apparatur tragen, zweimal nachaktivieren. Patienten, die eine Memoryschraube in ihren aktiven Platten haben, dürfen diese um vier Aktivierungen (360°) pro Woche nachstellen. Es empfiehlt sich die Nachaktivierung von jeweils zweimal 90° an festen Tagen der Woche vorzunehmen. PRAXISTIPP Häufig verkalken die Schrauben und somit auch die Führungsstege im Mund. Diese Kalkschicht behindert die passgenauen Führungsstege daran, weiterhin eine federnde Wirkung weiterzuleiten. Um diese Schrauben wieder von Kalk zu befreien und sie gut gängig zu machen, ist unbedingt eine professionelle Reinigung in der Zahnarztpraxis erforderlich. Eine Lösung von 5bis 10-prozentigem Zusatz von Stammopur im Ultraschallbad reinigt nicht nur die Schraube von ihrem Abb. 5.8 Memoryschraube. Kalkbesatz, sondern auch das PMMA. Daher sollten die kieferorthopädischen Geräte des Patienten für eine optimale Funktion mindestens alle sechs Wochen im Ultraschallbad gereinigt und anschließend auf leichte Gängigkeit überprüft werden. Der Patient kann die Reinigung selber durchführen mit Clean quick. Einbau von Schrauben Die folgenden Abbildungen zeigen gewisse Grundregeln beim Einbau von Schrauben, die unbedingt beachtet werden sollen (Abb. 5.9). Sägeschnittführung Bei Segmentplatten ist der exakte Sägeschnitt besonders wichtig. Wie in Abbildung Abb. 5.10 „falsch“ gezeigt, verjüngt sich der Sägeschnitt bei dieser Platte, so dass die Schraube sich nur kurzzeitig drehen lässt. Nach erfolgter Sägeschnittführung sollte die Schraube daher aufgedreht werden, um zu kontrollieren, ob die erwünschte Bewegung der Plattenteile möglich ist. Sonderelemente Headgear-Röhrchen. 0,8er- oder 0,9er-Drähte mit aufgeschweißten Headgear-Röhrchen können zu Adamsklammern verarbeitet werden (Abb. 5.11). Solche Röhrchen können dann gut zur Kombination von Platte und extraoralen Geräten verwendet werden, zum Beispiel zur Aufnahme eines Lipbumpers. Lipbumper. Ein Lipbumper oder eine Pelotte sollten für den Unterkiefer immer dann verwendet werden, wenn der Patient das Habit hat, die Unterlippe zwischen die Zahnreihen einzusaugen. Pelotten für den Oberkiefer sind immer erforderlich, wenn eine schwache apikale Basis vorhanden ist oder das Wachstum im Oberkiefer zu gering ist (Abb. 5.12). Häkchen. Häkchen und Attachments dienen zur Aufnahme von Gummizügen (Abb. 5.13, Abb. 5.6). Zungengitter. Zur Abgewöhnung von Zungendysfunktionen kann an die Oberkiefer- oder Unterkieferplatte ein Zungengitter aus 0,8 oder 0,9 mm hartem Draht ange- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Patienten erhalten dadurch ein Behandlungsgerät, das ein Nichttragen verzeiht. Durch das Zusammendrücken beider Plattenhälften entsteht die Situation, dass viel weniger häufig eine Neuanfertigung des Gerätes vorzunehmen ist. In diesen Fällen ist die Memoryschraube eine gute Lösung. Bei dieser Schraube wird eine Feder (SI-Feder) vorgedehnt, sodass eine Dehnapparatur entsteht, bei der die starre Schraube mit der elastischen Feder (Federn) kombiniert ist. Wird diese Memoryschraube als Dehnschraube eingesetzt, drückt der Patient beim Einsetzen beide Plattenhälften zusammen und setzt sie so in den Kiefer ein. Der Dehnbereich beträgt typischerweise 1–1,2 mm. Durch die Verwendung der superelastischen Federn mit einer Gesamtkraft von 5–7 N entsteht bei der Nachaktivierung der Schraube eine permanente Kraft von 5–7 N, die vom Patienten als angenehm empfunden wird und die zur Dehnung einen hervorragenden Anteil übernimmt. 81 5 Plattenapparaturen Abb. 5.9 a und b Richtlinien zum Einbau einer Dehnschraube. Schematische Darstellung der richtigen (a) und falschen (b) Einlagerung einer transversalen Dehnschraube. Die Dehnschraube sollte parallel zum Gaumendach gelegt werden. c– d Schematische Darstellung der Lage einer Dehnschraube in transversaler Richtung. Die Kraftrichtung einer Schraube verläuft immer geradlinig; dies sollte beim Einbau der Schraube unbedingt beachtet werden; d. h. eine transversale Dehnschraube muss senkrecht zur RapheMediane-Ebene eingearbeitet werden sowie im Bereich der Prämolaren zu liegen kommen. Abb. 5.11 Headgear-Röhrchen an den Adamsklammern der Sechsjahrmolaren oder an den Adamsklammern der Prämolaren können in Verbindung mit extraoralen Geräten recht nützlich sein. Abb. 5.10 Auch der nach Einbau der Dehnschraube zu erfolgende Sägeschnitt beeinflusst die richtige Wirkungsweise einer Schraube ganz wesentlich. Abb. 5.12 Pelotten. a Im Oberkiefer werden Pelotten bei einer schwachen apikalen Basis an die Platte angebracht. b Im Unterkiefer werden Pelotten angebracht, wenn Lippensaugen, Lippenbeißen oder andere Habits unterbunden werden sollen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 82 Aktive Platten und Sonderschrauben 83 bracht werden. Bei seitlich offenem Biss kann die gewohnheitsmäßige Einlagerung der Zunge zwischen die Zahnreihen durch ein seitliches Zungengitter unterbunden werden, bei einem frontal offenen Biss wird das Zungengitter in der Front angebracht (Abb. 5.14). Bei jungen Patienten ist die Anbringung des Zungengitters an der Unterkieferplatte sinnvoll, da so die Zunge nicht mehr aus dem Mund heraus kann. Bei der Herstellung eines Zungengitters muss darauf geachtet werden, dass auch noch genügend Seitwärtsbewegungen möglich sind. Abb. 5.13 Verschiedene Modifikationen von Adamsklammern, die das Einhängen intermaxillärer Gummizüge im distalen Kieferabschnitt ermöglichen. Indikationen Erwachsene Bei der Erwachsenenbehandlung sollten herausnehmbare Geräte kaum verwendet werden, wenn körperliche Bewegungen gewünscht sind. Folgende Indikationen sind jedoch gegeben: • Retention: Hier kommen sowohl Crozat-Techniken als auch normale Schwarz-Platten vor. Herausnehmbare Geräte in der Retention bei Erwachsenen beinhalten die Möglichkeit, dass bei erneuten Zahnbewegungen zusätzliche Elemente eingebaut werden, wie kleine Federn oder kleinere Schrauben. Besonders empfehlenswert ist die Verwendung von Federbolzenschrauben (Abb. 5.16), die auch nachträglich leicht in Platten eingebaut werden können. Mit ihnen lässt sich die Rotation von Frontzähnen beeinflussen. Der Einbau erfolgt durch eine Bohrung von 1,2 mm. Mit einem Gewindeschneider, der mit Flüssigseife geschmiert wird, entsteht das Gewinde im Kunststoff (PMMA). • Bei Patienten, bei denen eine Schienenbehandlung erwünscht ist. Abb. 5.14 Zungengitter helfen im frontalen und seitlichen Bereich bei der Umstellung von Zungendyskinesien. Patienten im Milch- oder Wechselgebiss Für diese Patientengruppe sind die herausnehmbaren Geräte ganz besonders geeignet. Folgende Aufgaben lassen sich bei guter Tragezeit des Gerätes leicht behandeln: Kreuzbiss. Die Behandlung erfolgt möglichst früh, unter Umständen sogar im Milchgebiss. Dies geschieht durch Platzhalter, die einen Aufbiss über der Okklusionsfläche haben. Ist ein einseitiger Kreuzbiss vorhanden, so ist jeweils ein Aufbiss und ein Einbiss vorzusehen (Abb. 5.17). Abb. 5.15 Durch die schiefe Ebene wird die Kraft der Muskeln, die den Unterkiefer in kraniale Richtung bewegen, in eine sagittale und eine vertikale Kraftkomponente abgeändert. Die Kraftvektoren sind abhängig von der Neigung der schiefen Ebene. Bei einer Neigung der schiefen Ebene von 45° liegt eine günstige Resultierende für die Protrusion der oberen Schneidezähne vor. Die Neigung von 45° sollte nicht unterschritten werden, da sonst der gewünschte Effekt der Protrusion zu gering wird und die intrudierende Kraft überwiegt. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Herausnehmbare schiefe Ebene. Die Unterkieferplatte mit der schiefen Ebene ist ein einfaches Behandlungsmittel zur Überstellung eines umgekehrten Frontzahnüberbisses (Abb. 5.15). Es ist sinnvoll, eine derartige schiefe Ebene mit einem Konstruktionsbiss herzustellen und zunächst nur für zwei Zähne einzuschleifen. Eine derartige schiefe Ebene benötigt eine gute Abstützung im Seitenzahnbereich. Schon nach wenigen Wochen erfolgt dann ein weiteres Einschleifen, sodass innerhalb von höchstens zwei Monaten eine entsprechende Überstellung erfolgt ist. 5 Plattenapparaturen Abb. 5.16 Insbesondere im Frontzahnbereich eignen sich die Federbolzenschrauben, um Derotationen vorzunehmen. Dazu werden die Schrauben asymmetrisch angebracht, d. h. bei einem nach mesial rotierten 1er auch an der mesialen Seite, um den Zahn bei Aktivierung nach distal zu rotieren. (Brodie Bite) empfiehlt sich die Anwendung von posterioren Dehnschrauben im Unterkiefer (Abb. 5.18). Auch für diese Behandlungsmaßnahmen sind Aufbisse erforderlich. Beim generalisierten Scherenbiss kommt nur ein glatter Aufbiss infrage, beim singulär auftretenden Scherenbiss, der mit Federn und kleinen Schrauben behandelt wird, muss in der Regel kein Einbiss gemacht werden. PRAXISTIPP Abb. 5.17 Bei der Überstellung eines einseitigen Kreuzbisses wird auf der korrekt verzahnten Seite ein Einbiss angebracht, auf der Seite, die sich im Kreuzbiss befindet, ist ein glatter Aufbiss zu gestalten. Bei der Behandlung von Scheren- und Kreuzbiss muss auf eine hervorragende Mitarbeit seitens des Patienten hingearbeitet werden. Insbesondere in den Ferien sollte ein ganztägiges Tragen erfolgen. Für beide Maßnahmen kann die eingebaute Schraube bei entsprechender Mitarbeit jeweils zweimal wöchentlich um eine Viertelumdrehung weitergestellt werden. Transversale Erweiterung im Oberkiefer Der Einbiss wird mit schnellhärtendem Kunststoff in der Praxis selbst durchgeführt. Vom Labor wird in der Regel das Gerät geliefert mit beidseitigem Aufbiss. Lediglich wenn ein Konstruktionsbiss in der habituellen Okklusion mitgeliefert wird, kann auch der Einbiss vom Labor selbst gemacht werden. Die Bukkalbewegung des sich im Kreuzbiss befindlichen Zahnes kann mit einer Schraube oder einer Bukkalfeder erfolgen. Besonders erfolgreich ist die Überstellung, wenn Stahlbleche der Stärke 0,1–0,2 mm als Aufbiss verwendet werden. Scherenbiss. Der isoliert auftretende Scherenbiss wird durch Federn oder kleine Schrauben behoben. Da im Milchgebiss in der Regel noch keine Criss-cross-Gummis gesetzt werden können und auch das Wachstumsmuster oft unbekannt ist, sind derartige Geräte oft die beste Therapiemöglichkeit. Beim generalisierten Scherenbiss Transversale Erweiterungen ≤ 5 mm. Hier können gut herausnehmbare Geräte eingesetzt werden (Abb. 5.19), besonders effektiv ist die Anwendung einer Memoryschraube. Die Richtlinien zum Einbau einer solchen Schraube sind in Abb. 5.8 dargestellt. Je mehr gedehnt wird, umso wichtiger ist ein kompletter Aufbiss im Oberkiefer. Um keine zu starke Kippung der Zähne zu erhalten, sollte für den Unterkiefer eine Aufbissplatte angefertigt werden, sodass eine unerwünschte Dehnung im Unterkiefer ausgeschlossen wird. Nach erfolgter transversaler Erweiterung sollte aber eine Retentionszeit von mindestens sechs Monaten bedacht werden, ehe weitere Geräte, wie Aktivatoren oder Bionatoren, eingesetzt werden. Vorschubdoppelplatten können selbstverständlich zu derartigen Maßnahmen verwendet werden und können auch sofort als Retentionsgeräte benutzt werden. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 84 Aktive Platten und Sonderschrauben 85 MERKE • Im Alter von 13 Jahren ist die transversale Entwicklung im Ober- und Unterkiefer abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Dehnung mit herausnehmbaren Geräten nicht mehr sinnvoll, da sie nicht mehr durch das Wachstum unterstützt werden. • Dehnungen im Unterkiefer sind selten erfolgreich und daher nicht sinnvoll. Retrusion und Protrusion von Zähnen Abb. 5.19 Transversale Erweiterung im Oberkiefer. Transversale Erweiterungen > 5 mm. Bei größeren Dehnungen ist es in der Regel empfehlenswert, Gaumennahterweiterungen mithilfe einer Hyrax-Schraube durchzuführen, die an den Sechsjahrmolaren und den Prämolaren durch Laser-Schweißung an den Bändern befestigt wird (Abb. 5.20). Auch die Nutzung einer Kappenschiene ist eine sinnvolle Maßnahme für mehr körperliche Dehnung. Eine größere Dehnung im anterioren Bereich kann durch den Einbau einer Fächerdehnschraube erreicht werden. Der umgekehrte Einbau gibt mehr Dehnung im posterioren Bereich. Retrusion und Protrusion von Zähnen können mit herausnehmbaren Geräten und zusätzlichen Federelementen bzw. Schrauben durchgeführt werden (Abb. 5.21, Abb. 5.22). Häufig kann dabei die Frontfeder (Labialbogen) als Idealbogen angesehen werden, an dem sich bei der Protrusion die Zähne orientieren. Bei der Retrusion von Zähnen genügt es oft, die U-Schlaufen des Labialbogens zu verkleinern. FEHLER UND GEFAHREN Achtung: FRS beachten! Aufrichtung von nach mesial gekippten Zähnen Distalisierungsschrauben. Häufig ist nach frühzeitiger Extraktion der zweiten Milchmolaren der erste Molar nach mesial gekippt. Sofern die zweiten Molaren noch nicht durchgebrochen sind, können die ersten Molaren mit Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 5.18 Die Posterior-Dehnschraube dient zur transversalen Erweiterung des Zahnbogens im distalen Bereich. Sie ist besonders geeignet, den generalisierten Scherenbiss zu therapieren. 5 Plattenapparaturen e Abb. 5.20 Soll im Oberkiefer eine Dehnung von mehr als 5 mm vorgenommen werden, so sollte eine Gaumennahterweiterung mit einer Hyrax-Schraube erfolgen. Die Retentionsarme der Schraube werden auf Molaren- und Prämolarenbänder aufgeschweißt und fest im Mund einzementiert. a Geöffnete Hyrax-Schraube. b Geschlossene Hyrax-Schraube. c Aufsicht. d Ansicht von dorsal. e Klinisches Bild von dorsal. Abb. 5.21 Protrusion der Front. Die Frontfeder wird als idealer Frontzahnbogen geformt; durch das Anliegen der Frontfeder an der mesialen Kante der 2er können diese gehalten oder ausrotiert werden. Durch die Protrusionsfedern an den 1ern können diese sich, nach erfolgter Protrusion, am Idealbogen orientieren. Abb. 5.22 Retrusion der Front. Durch linguales Freischleifen des Kunststoffes und Verkleinern der U-Schlaufen der Frontfeder können die gesamten Frontzähne retrudiert werden (siehe gestrichelte Linie). Distalisierungsschrauben aufgerichtet werden (Abb. 5.23). Zur Vermeidung einer Protrusion der Front darf das Seitenzahnsegment nicht insgesamt mit einer Schraube distalisiert werden. Empfehlenswert ist es, den Sägeschnitt mesial der Molaren zu legen und die Prämolaren mittels Fingerfederchen, die im distalen Segment der Platte verankert sind, zu distalisieren. Dieses Verfahren darf jedoch nur angewandt werden, wenn erstens für den zu distalisierenden Zahn eine Adamsklammer verwendet werden kann und zweitens im Restgebiss eine genügende Abstützung vorhanden ist. Insbesondere beim Vorhandensein der zweiten Molaren ist jedoch mit einer Protrusion der Front zu rechnen. Eine Aufrichtung der Molaren kommt in diesen Fällen Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 86 Aktive Platten und Sonderschrauben dann nicht mehr zustande. Hier müssen extraoral verankerte Geräte verwendet werden, wenn es noch zu einer Distalisation kommen soll. Platzhalter. Ist der Durchbruch der zweiten Prämolaren in nächster Zeit nicht zu erwarten, so empfiehlt sich die Anwendung von Platzhaltern (Röhrchen) oder der vorgeformte Platzhalter von Hotz, der durch das Aufbringen entsprechender Federn auch noch die Lücke vergrößern kann (Abb. 5.24). Für ein derartiges Vorgehen ist jedoch das Anpassen von Bändern und das Auflöten der entsprechenden Platzhalterteile erforderlich. Aus forensischen Gründen ist es erforderlich, die Bänder spätestens alle zwei Jahre zu entfernen und erneut aufzuzementieren. Während der einzelnen Kontrollsitzungen muss auf den festen Sitz der Bänder geachtet werden. Schrauben und Federn. Bei der Konstruktion von aktiven Platten stellt sich immer wieder die Frage, ob Einzelzahnbewegungen mit Federn oder Schrauben durchzuführen sind. Folgende Überlegungen helfen bei der Entscheidung: • Der Einsatz von Schrauben ist teurer, lässt sich aber leichter vom Patienten aktivieren. Ein Herausheben der Platte tritt eigentlich nie auf. Eine Überlast wird erfolgreich vermieden. • Der Einsatz von Federn ist preiswerter. Ein Bruch der Feder muss einkalkuliert werden. Die Aktivierung der Feder ist schwierig, da der Aktivierungsbereich etwa 1 mm beträgt. Ein häufiger Nebeneffekt ist das Abhebeln der Platte. Eine Überbelastung der Zähne kann nicht ausgeschlossen werden: Das Einsetzen der aktiven Platte nach Aktivierung der Federn ist komplizierter. Folgende Teile sind erforderlich: 1. V2A-Röhrchen ∅ 1–2 mm 2. Stahlligatur 3. GIZ oder Tetric Flow (Abb. 5.24 b) Abb. 5.24 Platzhalter. a Einfacher Platzhalter, der die Mesialkippung des Molaren bei frühzeitigem Milchmolarenverlust verhindert. Durch künstliches Halten der Lücke kann in vielen Fällen eine spätere schwierigere Lückenöffnung oder eine unnötige Extraktion vermieden werden. b Platzhalter nach Hotz. Vorgeformter Lückenhalter mit Aufleger. Die Röhrchen-Stiftführung ermöglicht auch eine kleine Lückenöffnung mittels eingeschaltenen Spiralfederchen. Platzhalter mit Aufrichtung der Molaren. Ist der Molar bereits nach mesial gekippt, ist die Anwendung eines festen Platzhalters mit Aufrichtefeder sinnvoll. Beseitigung eines umgekehrten Frontzahn-Überbisses Durch einen ungünstigen Zahndurchbruch können die oberen Schneidezähne nach lingual gekippt sein. Wird dies nicht rechtzeitig erkannt, kann daraus ein großes Problem für den Patienten entstehen. Daher sollte eine derartige Situation möglichst früh behoben werden, d. h. schon beim Durchbruch der Schneidezähne. Dazu existieren zwei Therapiemöglichkeiten: Schiefe Ebene im Unterkiefer. (Abb. 5.15) Sie wird verwendet, wenn im Oberkiefer zu wenig Abstützungsmöglichkeiten vorhanden sind. Beachtet werden muss, dass nur jeweils zwei Zähne Kontakt zu der schiefen Ebene bekommen dürfen und die schiefe Ebene mit Blaupapier einzuschleifen ist. Y-Platte für den Oberkiefer. Sie soll in der Regel einen Aufbiss im Seitenzahnbereich haben und protrudiert die Frontzähne durch Aktivierung der Schraube. Da häufig mit dieser Problematik auch eine transversale Unterentwicklung vorhanden ist, empfiehlt sich an dieser Stelle der Einbau der Bertoni-Schraube (Abb. 5.26). Sie kann die Frontzähne, ähnlich wie eine Y-Platte, protrudieren und gleichzeitig eine transversale Nachentwicklung erzielen. Nachteil ist jedoch, dass die Bertoni-Schraube sehr grazil und damit der Verstellbereich relativ kurz ist. In der Regel muss deshalb zur transversalen Erweiterung und zur Überstellung der Front ein zweites Gerät nach kurzer Zeit hergestellt werden. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 5.23 Distalisierungsschrauben a Von lingual b Von bukkal 87 5 Plattenapparaturen a b c d e f Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 88 Abb. 5.25 g Platzhalter mit Aufrichtung der Molaren. Aktive Platten und Sonderschrauben 89 Mesialisationen und Distalisationen von Einzelzähnen Fehlt im Ober- oder Unterkiefer Platz im Seitenzahnbereich nach frühzeitigem Verlust eines Milchmolaren, so können einfache Dehnschrauben zur Platzgewinnung eingesetzt werden (Abb. 5.27). Derartige Bewegungen können durchgeführt werden, wenn die Zähne kippend in die neue Position gebracht werden dürfen. Für solche Bewegungen gibt es Spezialschrauben, bei denen jeweils ein Zahn, der mit einer Adamsklammer gehalten wird, entlang einer Schiene geführt wird (Abb. 5.28). Auch mit diesen Geräten ist keine rein körperliche Distalisation möglich. Ein Panorama-Röntgenbild erleichtert oft die Entscheidung, ob eine derartige Behandlungsmöglichkeit mit herausnehmbaren Geräten sinnvoll ist. Heller-Schraube. Die kombinierte Zug- und Druckschraube nach Heller (Abb. 5.28) wird eingesetzt, wenn „kippungsfreie“ Sagittalbewegungen erwünscht werden. Als Druckschraube erfolgt der Einbau mit geschlossener Spindel. Bei der Verwendung als Zugschraube wird die Schraubenspindel vor dem Einbau geöffnet und das offenliegende Gewinde zum Schutz gegen einlaufenden Kunststoff mit einer Schnappverschluss-Abdeckhalterung versehen. Abhängig von der Lage und von den Platzverhältnissen kann die Heller-Schraube mit geradem oder abgewinkeltem U-förmigen Verbindungsteil der Führungsstifte gewählt werden. Weitere Indikationen Für kleinere Einzelzahnbewegungen stehen diverse Federn und Schrauben zur Verfügung. Die Nachaktivierung von Schrauben kann einmal wöchentlich oder alle 14 Tage erfolgen. Federn sollten jeweils nach vier Wochen nachaktiviert werden. Empfehlenswert ist es, Federn zu nehmen, die einen kurzen Hub haben, damit keine Überlastung der Zähne entsteht, wenn der Patient Behandlungstermine auslässt. Herausnehmbare Behandlungsgeräte sind auch dann empfehlenswert, wenn sie als Erleichterung einer Multibandbehandlung angesehen werden können. Dabei bekommt insbesondere die Änderung der sagittalen Position einen hohen Stellenwert für die später zu erfolgende Multiband-Behandlung. Vor- und Rückverlagerungen des Unterkiefers erleichtern sehr häufig die nachfolgende Multiband-Therapie. In vielen Fällen zeigt sich auch, dass ein vorverlagerter Unterkiefer in dieser Position stabil bleibt, wenn die entsprechende Verzahnung den vorverlagerten Unterkiefer stabilisiert. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 5.26 Bertoni-Schraube. a Gleichmäßige transversale Erweiterung auf beiden Seiten. Die erforderliche sagittale Vorentwicklung kann – wenn es die Platzverhältnisse zulassen – gleichzeitig mit der Kieferdehnung begonnen werden oder erst nach der entsprechenden Dehnung erfolgen. b Bei den 3 unabhängigen Schraubenarmen kann eine kombinierte transversale und sagittale Bewegung gleichmäßig und gleichzeitig ablaufen. Es kann aber auch, und dies ist der besondere Vorteil dieser Bertoni-Schraube, jedes Plattensegment gesondert aktiviert werden. 90 5 Plattenapparaturen b c Abb. 5.27 Anwendung von Dehnschrauben. Zur Distalisation des Zahnes 26 und der transversalen Erweiterung sind MemorySchrauben besonders empfehlenswert. d Kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen in Multibandtechnik 1. Extraktionen. Nach allen Extraktionen sollte eine Multibandbehandlung erfolgen. Auch bei der Serienextraktion nach Hotz ist in vielen Fällen zur exakten Einstellung der Zähne eine Multibandbehandlung erforderlich. 2. Erwachsenenbehandlungen. Bei Erwachsenenbehandlungen dürfen die Zähne in der Regel nicht kippend bewegt werden. Außerdem ist Rücksicht zu nehmen auf das Parodont und den bereits erfolgten Knochenabbau. Auch die Aufrichtung gekippter Molaren kann nur mit festsitzenden Geräten sinnvoll durchgeführt werden. 3. Deckbisspatienten. In der Regel erfolgt die Korrektur eines Deckbisses am stabilsten mit einer Multibandapparatur. Am sinnvollsten ist es, schon bereits im Wechselgebiss zu beginnen und auf Torque und Achsenstellung der Schneidezähne zu achten. Eine Klasse-II-Behandlung mit FKO-Geräten ist als Vorbehandlung sehr empfehlenswert. Zur Korrektur eines Überbisses von 4 mm müssten die Schneidezähne 40° protrudiert werden! 4. Stark ausgeprägte Spee-Kurve. Bei vielen Patienten mit stark ausgeprägten Spee-Kurven ist die Technik mit herausnehmbaren Geräten bei weitem überfordert. UtilityBögen oder Australian Wire leisten hier besonders gute Arbeit und verkürzen die Behandlungszeit. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. a Aktive Platten und Sonderschrauben 5. Vertikales Wachstumsmuster. Bei Vorliegen eines vertikalen Wachstumsmusters kann der erste Teil der Therapie mit herausnehmbaren Geräten und einem HighPull-Headgear erfolgen. In der Regel ist jedoch eine Multibandbehandlung anschließend erforderlich. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die kieferorthopädischen Maßnahmen nicht zu einer befriedigenden Korrektur führen und eine chirurgische Maßnahme erforderlich wird. Aufbisse und ein High-pull-Headgear sind hilfreich. 6. Zahnrotationen. Auch mit herausnehmbaren Geräten, Knöpfchen und entsprechenden Gummizügen können Zähne derotiert werden. Diese Methode ist jedoch relativ umständlich und schließt Überlastungen der Zähne nicht aus. Es empfiehlt sich daher, wenn mehrere Zähne rotiert sind, eine Multibandbehandlung durchzuführen. 7. Angulationen und Torque. Zur achsengerechten Einstellung der Zähne gehören der Torque und die Angulationen. beide lassen sich nicht mit einer herausnehmbaren Technik verwirklichen. Teilweise kann die ungünstige Position von 6-Jahr-Molaren nach einer Therapie mit einer Dehnplatte durch die Anwendung eines Headgears mit Heller-Schraube Nackenzug verbessert werden. Aktiv können jedoch diese Platten nur mit einer Multibandtechnik erfolgreich behandelt werden. Die Torqueapplikation kann recht gut mit FKO-Geräten durchgeführt werden. Torquefedern werden zu diesem Zweck für die Schneidezähne eingebaut. 8. Kreuz- und Scherenbiss bei Erwachsenen. Auch isolierte Kreuz- und Scherenbisse sollten bei der Erwachsenenbehandlung nur mit einer Multibandtechnik behandelt werden. Dies ist deshalb erforderlich, weil nach erfolgreicher Überstellung der Zähne eine achsengerechte Ausrichtung aller Zähne erforderlich wird. Diese kann nur mit einer Multibandtechnik durchgeführt werden. 9. Lückenschluss und Lückenöffnung. Auch wenn derartige Maßnahmen durch reine Kippbewegung der Zähne erfolgen können, dürfen bei Erwachsenen nur Multibandgeräte Anwendung finden. Der Grund für die Multibandtechnik ist neben der achsengerechten Einstellung der Zähne vor allen Dingen die kontrollierte Kraftübertragung und das Wirken der Kräfte über 24 Stunden. Besonders bei Erwachsenen hängt der Erfolg einer Behandlung von der kontrollierten Kraftausübung auf die Zähne ab. Neben Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 5.28 91 5 Plattenapparaturen den Kräften müssen auch die Momente kontrolliert appliziert werden. Herausnehmbare Geräte erlauben dies nicht. 10. Intrusion und Extrusion. Derartige Zahnbewegungen sind ebenfalls der Multibandbehandlung vorbehalten. Nur mit der Multibandtechnik können auch in diesen Fällen kontrollierte Kräfte auf die Zähne ausgeübt werden. Anhang Fächerdehnschraube. Die Fächerdehnschraube (Abb. 5.29) dient zur anterioren Dehnung des Oberkiefers. Es gibt zwei verschiedene Ausführungen dieser Fächerdehnschraube: eine einteilige Form und eine zweiteilige Form. Palatinal-Lingual-Zugschraube. Die Palatinal-Lingual-Zugschraube (Abb. 5.30) kann eingesetzt werden, wenn ein Kreuzbiss im Oberkiefer vorliegt (sehr selten notwendig). Abb. 5.29 Fächerdehnschrauben. a Einteilige Fächerdehnschraube. In diesen Fällen soll anterior mehr gedehnt werden als posterior. Werden die Schrauben um 180° gedreht, erfolgt eine größere Dehnung im posterioren Bereich. b Zweiteilige Fächerdehnschraube. Bei dieser Ausführung kann der Drehpunkt selber bestimmt werden. Abb. 5.30 Palatinal-Lingual-Zugschraube. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 92 Abb. 5.31 Bogenschraube. Abb. 5.32 Hebel-Schwenk-Schraube. Abb. 5.33 Beutelsbacher-Schraube. Bogenschraube. Die Bogenschraube (Abb. 5.31) wird eingesetzt, wenn eine verstärkte anteriore Dehnung im Unterkiefer erforderlich ist. Eingebaut wird eine solche Bogenschraube genauso wie eine gewöhnliche Dehnschraube. Hebel-Schwenk-Schraube. Die Hebel-Schwenk-Schraube (Abb. 5.32) findet sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer ihren optimalen Anwendungsbereich, wenn nach lingual gekippte Molaren aufzurichten sind. Haupteinsatzbereich sind die Weisheitszähne Beutelsbacher-Schraube. Die Mehrsektorenschraube nach Beutelsbacher (Abb. 5.33) ist eine Unterkieferschraube und entspricht der Bertoni-Schraube (im Oberkiefer). Die Beutelsbacher-Schraube wird bei Patienten eingesetzt, bei denen sowohl eine Frontprotrusion, als auch eine transversale Erweiterung im Unterkiefer nötig ist. Dehnungen im Unterkiefer sind nur selten erfolgreich. Nur bei jungen Patienten, die einen Unterkiefer-Eckzahnabstand von weniger als 24 mm besitzen, kann eine Dehnung versucht werden. 93 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Aktive Platten und Sonderschrauben 5 Plattenapparaturen Tragekarte. Abb. 5.34 Tragekarte. Abb. 5.35 Progenie-Aktivator-Schraube. Progenie-Aktivator-Schraube. Bei einem horizontalen Sägeschnitt durch einen Aktivator wird durch die ProgenieSchraube (Abb. 5.35) nach Weise das untere Teil des Aktivators nach distal und das obere Teil nach mesial verschoben. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 94 Aktive Platten und Sonderschrauben 95 Abb. 5.36 a Dreiecksklammer. g Labialbogen für einen Aktivator mit Sperrzonenverlauf (Kreis). b Mesialfederchen. h Paddelfeder. c Adamsklammer. i Labialbogen mit engem Kontakt zum 4er (kleines Kreuz) zur Abstützung oder Distalisation. d Offene Protrusionsfeder. j Fingerfederchen. e Frontfeder bzw. Labialbogen in der Grundform geschlossene Protrusionsfeder. k Modifizierter Labialbogen zur Einordnung eines 3ers im Außenstand. f Frontfeder bzw. Labialbogen, der Palatinal aktivierbar ist (Halbmond). l Paddelfeder. Symbolik für verschiedene Drahtelemente. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Symbolik für verschiedene Drahtelemente. 5 Plattenapparaturen Abb. 5.37 a Transversal- bzw. Dehnschraube. d Offene Sagittalschraube (Pfeil gibt die gewünschte Bewegung an). b Segmentschraube. e Distalisation und einseitige Dehnung infolge der Richtungsmarkierung möglich (Pfeil). c Geschlossene Sagittalschraube. f Hyraxschraube. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 96 Symbolik für verschiedene Schrauben. a b Abb. 5.38 Beispiele für Technikpläne. a Apparatur zur Distalbewegung der 1. Prämolaren bei Engständen im Eckzahnbereich. Die Molaren dienen zur Abstützung. Die Frontfeder wird gleichfalls zur Eckzahnführung und zur Einordnung von 11 herangezogen. b Apparatur zur Distalisation der Eckzähne und Prämolaren. Es ist darauf zu achten, dass die U-Schlaufe der Frontfeder jeweils vergrößert wird, da sonst eine Retrusion der Front erfolgt. Die Abstützung erfolgt im Wesentlichen im Bereich der Molaren. Die Distalisation wird mit offenen Sagittalschrauben durchgeführt. Tabelle für die Konstruktion von aktiven Platten. Bei der Konstruktion von aktiven Platten muss die Wurzeloberfläche der Zähne berücksichtigt werden. Für die mesiodistale Bewegungsrichtung gelten andere Werte als für Abb. 5.39 Die hier angegebenen Wurzeloberflächen in cm² sollten bei der Konstruktion aktiver Platten berücksichtigt werden. Mit dieser Tabelle lassen sich Aktio und Reaktio planen. die transversale Bewegung (Abb. 5.39). Aktio und Reaktio sind bei jeder Konstruktion zu berücksichtigen (Abb. 5.40). Respondschienen b Abb. 5.40 Zwei Beispiele für die Konstruktion von aktiven Platten. a 16, 17 und 26, 27 sollen distalisiert werden. Die Wurzeloberfläche der Molaren beträgt 4,6 cm2; die „Restzähne“ haben eine Wurzeloberfläche von 4,3 cm2, d. h. diese Platte protrudiert, bei Aktivierung der Schraube, die Front stark. In diesem Fall wäre es günstiger zuerst die 7er und dann die 6er zu distalisieren. Respondschienen Es handelt sich um eine klare Schiene, die auf die Zähne gesetzt wird. Diese Schienentherapie ist im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden weniger kostenintensiv. Außerdem ist die Respondschiene eine interessante Alternative für Patienten, die einen hohen Wert auf Ästhetik während der Behandlung legen. Herausnehmbare Geräte oder eine Multibandbehandlung empfinden viele Erwachsene als störend und verzichten daher auf eine kieferorthopädische Therapie. Die Respondschiene ist nahezu unsichtbar und bietet für den erwachsenen Patienten eine wertvolle Erweiterung der Therapiemöglichkeiten. Vorteile der Schiene sind: • Sie ist durchsichtig und fällt daher kaum auf. • Die Behandlung kann als komfortabel eingestuft werden, da keine übergroßen Kräfte appliziert werden. • Das Sprechen ist mit dieser Schiene problemlos möglich, da sie die Artikulation kaum beeinträchtigt. • Die Kosten für eine derartige Behandlung sind deutlich niedriger als die einer Multibandbehandlung. • Eine gute Mundhygiene ist gewährleistet, da die Schiene herausnehmbar ist. b 13,14,15 und16 sollen aus dem Kreuzbiss gebracht werden. Die Wurzeloberfläche dieser vier Zähne beträgt 2,05 cm2. Die „Restzähne“ besitzen die gleiche Wurzeloberfläche. Das bedeutet, dass bei der Aktivierung der Schraube beide Seitenzahnsegmente gleichweit erweitert werden. Dies kann vermieden werden, wenn auf der Seite, auf der nicht erweitert werden soll, ein Einbiss gestaltet wird, und auf der zu bukkalisierenden Seite die Platte mit einem glatten Aufbiss versehen wird. und evtl. distobukkale Fläche von 11 und 21 gefräst. Nach dem Tiefziehen entsteht in der Folie eine Ausbuchtung, die exakt die Rille abformt. Im Mund drückt die Ausbuchtung auf die unbehandelten Zähne und es entsteht eine Kraft in mesiobukkale Richtung. 4. Ausblocken, um Raum zu schaffen, in den der Zahn bewegt werden soll (Abb. 5.43). Der lichthärtende Ausblockkunststoff LC-Block-Out Resin von Ultradent eignet sich hervorragend zum Bilden von Reservoirs auf den Zahnoberflächen des Gipsmodells vor dem Tiefziehen (Abb. 5.44). Der Kunststoff sollte unbedingt minimal über die Schneidekante modelliert werden. Nach dem Auftragen an der gewünschten Stelle wird mit einer Polymerisationslampe der Kunststoff gehärtet (Abb. 5.45 a). Anschließend kann der Kunststoff mit einer Hartmetallfräse bearbeitet werden (Abb. 5.45 b). Wie unter Punkt 3 beschrieben, kann mit den entstandenen Ausbuchtungen an der Schiene (Bumps) eine Kraft auf den Zahn appliziert werden. Mithilfe dieser Technik bewegt sich der Zahn in die gewünschte Position, die allerdings einen gewissen Raum erfordert. Daher wird mesiobukkal und distopalatinal Kunststoff aufgetragen. Herstellung 1. Abformung des Ober- und Unterkiefers mit Alginat oder besser mit Silikon und Ausgießen der Abdruckmasse mit Hartgips (Abb. 5.41). 2. Herstellung eines Set-Up-Modells. Die Zähne werden in dem Set-Up in ihrer Position verändert. Die Größe der Veränderung sollte dabei nicht mehr als 0,5–1 mm betragen. 3. Zur Derotation müssen in die entsprechenden Zähne Rillen eingeschliffen werden, die später als sogenannte „Bumps“ dienen (Abb. 5.42). Mit einem Rosenbohrer wird eine ca.1 mm tiefe Rille in die mesiopalatinale Abb. 5.41 Ausgangssituation: rotierte Frontzähne (Zahn 11 ist mesiorotiert). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. a 97